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Der Imprint-Faktor

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Nr. 1765

Der Imprint-Faktor

Es sind acht Containerwelten - fürMillionen Süchtige die letzte

Hoffnung

von Susan Schwartz

Wie ein Heuschreckenschwarm sind Millionen von Galaktikern in der Galaxis Hir-dobaan eingefallen, rund 118 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Ihreinziges Ziel: Sie wollen Imprint-Waren kaufen, wollen den »Zauber der Hamame-sch« wieder spüren. Doch in Hirdobaan, so scheint es, weiß niemand etwas davon.

Als die BASIS im Sommer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kom-mando von Perry Rhodan vor der kleinen Galaxis eintrifft, werden auch Rhodan undseine Freunde mit dieser ungewohnten Situation konfrontiert. Bei der BASIS sam-meln sich in der Folge Hunderte von galaktischen Raumschiffen, deren Besatzungensich von Perry Rhodan Hilfe erhoffen. Andere Imprint-Outlaws durchstöbern auf eige-ne Faust die Galaxis.

Doch dann strahlen die Hamamesch – oder wer auch immer einen Funkspruchaus; alle Galaktiker in Hirdobaan können Ihn empfangen. Sein Inhalt: »Es gibt Im-print-Waren für alle – kommt zu den Containerwelten.« Tausende von Raumschiffenmachen sich erneut auf den Weg – sie starten zu acht Containerwelten. Bei dieserneuen Jagd geht es letztlich um den Imprint-FAKTOR …

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Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Die Sucht nach dem Imprint hat ihm einige der besten Freunde genommen.Gucky - Der Mausbiber ist erneut auf Spionage-Einsatz bei den Fermyyd.Ralf Barjom, Hagen Fejk, Felia Horn - Drei Terraner stöbern auf Roenderveen herum.Florence Bordemoore - Kommandantin eines Hospitalschiffes.Schiller - Ein merkwürdiger Imprint-Süchtiger.

PrologDer Moment der Glückseligkeit

Und dann, auf einen Schlag, waren alleLeiden vorüber.

Alle Schmerzen, alle Grausamkeiten, dieaufgestaute Wut, lang gehegter Haß undNeid waren vergessen, als die Süchtigenendlich von ihrer Qual erlöst wurden. Stilleund Frieden breitete sich auf über 10.000Schiffen aus, als hätte es nie Streit, Gewalt-tätigkeit oder gar Mord gegeben.

Das schier Unglaubliche war eingetreten:Die Hamamesch hatten Wort gehalten undden süchtigen Galaktikern die Imprint-Wa-ren übergeben, nach denen sie sich mehr alsnach allem anderen gesehnt hatten.

Jeder der Süchtigen war inzwischen imEndstadium des körperlichen und seelischenEntzugs angekommen, so daß er alles dafürgetan hätte, sogar sein eigenes Leben ange-boten, nur um von der Seelenqual befreit zuwerden. Die Selbstmordrate war dramatischangestiegen; mancher Süchtiger würde ver-mutlich nicht mehr lange leben.

Jeder war zum Feind des anderen gewor-den; obwohl sie alle unter demselben Entzuglitten, hatten sich keine Leidensgemein-schaften oder gegenseitiges Verständnis ge-bildet. Das Gegenteil war der Fall gewesen:Jeder hatte sich auf sich allein gestellt ge-fühlt, hatte geglaubt, keinem trauen zu kön-nen, und unaufhörlich den anderen belauert,wartend auf ein Zeichen von Schwäche.

Wer sich und seine Tauschwaren nichtmehr verteidigen konnte, war den anderenhilflos ausgeliefert und sein Leben keinenPfifferling mehr wert gewesen. Gelegentlichhatten sich Bündnispartner zum Schein zu-sammengetan, um einen Dritten zu überwäl-

tigen, bevor sie sich anschließend gegensei-tig an die Kehle gegangen waren.

Die Kommandanten hatten dabei die mei-sten Vorteile auf ihrer Seite gehabt, da siedie Schiffe unter ihrer Kontrolle hielten undsorgfältig darauf achteten, diesen Vorsprungauch zu halten. Manche, wie die akonischeAdmiralin Stomal Zystaan, hatten sich zu-sätzliche Vorteile verschafft, indem sie ihre»Verbündeten« von sich abhängig machten– wie in Zystaans Fall durch ein tödlichesGift.

Doch all diese Bemühungen waren völligsinnlos geworden, als die Imprint-Warenübergeben wurden: Ganz gleichgültig, wie-viel ein Süchtiger an sich gerafft und eifer-süchtig bewacht hatte, er erhielt genausovielwie diejenigen, die außer ihrem Leben garnichts mehr besaßen! Jeder der Imprint-Outlaws erhielt genau ein einziges Waren-stück.

Keiner wurde ausgelassen; es spielte kei-ne Rolle, ob er bildlich gesprochen ganzvorne in der Reihe stand oder zurückge-drängt wurde. Die Proteste der»Vermögenden«, die mehr Imprint-Warenfür ihre wertvollen Tauschmittel verlangten,wurden völlig ignoriert.

Die Galaktiker waren betrogen worden,doch das wurde den Süchtigen selbst zu-nächst nicht so sehr bewußt; sie wollten nurErlösung von ihrer Pein.

Die erste, größere Enttäuschung kam auf,als die frisch eingetroffenen, sehnlich erwar-teten Waren in Empfang genommen werdendurften: Es waren einfache, unscheinbareWürfel.

Die Imprint-Würfel hatten eine Kanten-länge von etwa zwölf Zentimetern und be-standen aus einer unbekannten Metallegie-rung. Je nach Lichteinfall konnte die Farbtö-

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nung in allen Nuancen von rot bis gelbschwanken. Obwohl die Würfelflächen völ-lig undurchsichtig waren, schien aus dem In-neren heraus eine schwache Lichtquelle zuglimmen – eine reine Materialeigenschaft.Diese äußerlich wenig darstellenden, reinpragmatischen Würfel boten einen krassenGegensatz zu den in den Basaren der Milch-straße feilgebotenen, farbenprächtigen(wenngleich auch wenig nutzbringenden)Waren, so daß die erste Enttäuschung aufden Gesichtern der erwartungsvollen Im-print-Outlaws nur allzu verständlich war.

Doch dieser Moment herrschte nur ganzkurz vor, womöglich nicht einmal eine Se-kunde. Die wenigen Immunen, etwa dieBlues, konnten beobachten, wie sich derAusdruck auf den Gesichtern der Imprint-Outlaws innerhalb eines Augenblicks völligwandelte. Aus Enttäuschung, Frustrationund Zorn wurde selige Zufriedenheit. DieWürfel mußten ihren Reiz wie mit einemKeulenschlag entfaltet haben und sofort eineunglaubliche Wirkung auf die Süchtigenausüben.

Von einer Sekunde zur anderen herrschteFrieden auf sämtlichen Galaktiker-Schiffen.Kein Imprint-Outlaw dachte mehr daran,wie er an weitere psionische Würfel kom-men könnte; keiner neidete dem anderen sei-nen Besitz. Mit einem sprichwörtlichenSchlag waren alle von ihren Entzugserschei-nungen befreit.

Zufrieden und glücklich drückten sie dieWürfel an sich, zärtlich und behutsam wieeine sehr kostbare, zerbrechliche Rarität.Die ehemals Süchtigen hatten alle Sorgenund Ängste vergessen, und sie zerstreutensich auf den Schiffen in die entferntestenWinkel, um ihr Glück allein zu genießen.

Keiner von ihnen wäre mehr in der Lagegewesen, eine drohende Gefahr zu erkennenoder ihr zu begegnen.

Keiner von ihnen hätte mehr bewußt je-nen plötzlichen Aufschrei vernehmen kön-nen, selbst wenn er auf allen Schiffen überBordfunk in voller Lautstärke übertragenworden wäre – doch er war da, ein schriller

Schrei voller Not und Verzweiflung:»Nein, Bully! Nicht du!«

1.Der Schiller von Gombar

Ich mißtraute der Nachricht, als sie gera-dezu frohlockend über den Bordfunk ver-breitet wurde: »Wir haben es geschafft! Esgibt Imprint-Waren für alle!«

Mein Mißtrauen legte sich auch nicht, alswir die Mitteilung erhielten, uns umgehendin Hangar Soundso einzufinden, um mit ei-nem BASIS-Kreuzer zum Torresch-Systemzu fliegen und dort die Waren in Empfangzu nehmen. Den Namen des Kreuzers ver-gaß ich ebenso schnell wie die Hangar-Nummer, und eigentlich wollte ich michnicht darum kümmern. Seit Tagen hatte ichunerträgliche Kopfschmerzen und wollte inerster Linie schlafen, daher wurde ich durchdie Störung des laut kreischenden Funks nurgereizter.

Doch ich sollte nicht mehr zur Ruhe kom-men. Josch rannte in meine Kabine, packtemich und zerrte mich aus dem Bett(eigentlich hob er mich aus dem Bett undschleuderte mich wie ein welkes Blatt durchdie Luft).

»Was ist los mit dir, hast du die Nachrichtverschlafen?« rief er laut.

Ich hielt mir schmerzgepeinigt die Ohrenzu. »Brüll hier nicht herum!« herrschte ichihn an. »Du weißt genau, daß ich das nichtertragen kann!«

»Ja, schon gut«, sagte er gedämpft.Ich tat ihm unrecht, doch das kümmerte

mich wenig. Mein Gehör ist sehr empfind-lich, und wenn ich Kopfschmerzen habe, istder Aufprall einer Feder auf eine Metallplat-te unerträglich laut.

Josch konnte nichts für sein Organ, er warebenso groß wie stimmgewaltig mit seinemmächtigen Brustkorb. Darüber hinaus war ersehr gutmütig, und nur aus diesem Grundduldete ich ihn in meiner Nähe. Er hatteeinen Narren an mir gefressen, weiß Hurgder Regenreiche weshalb. Abgesehen davon

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natürlich, daß ich anfangs zur Entwicklungseiner freundschaftlichen Gefühle ein wenignachgeholfen habe, aber das fällt kaum insGewicht.

»Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren«,fügte Josch wispernd hinzu.

Er hatte mir einmal erzählt, daß er von ei-ner Welt stammte, die von Humanoiden, diesich Ertruser oder so ähnlich nannten, besie-delt worden war. So war das bei mir auch.Auch wenn an mir äußerlich eine Mengeverändert sein mochte, war ich ebenso hu-manoid wie Josch. Bedingt durch die Um-welt auf Gombar sind wir sehr stark mutiert;darüber rede ich allerdings nicht, denn dasist nur Schiller-Angelegenheit.

Immerhin kann ich das Verhalten der»echten« Humanoiden richtig verstehen, esist mir in manchem ähnlich, und ich kannsehr gut mit ihnen kommunizieren und Ge-danken austauschen.

Was mich an Josch besonders interessiert,ist seine bedingungslose Loyalität mir ge-genüber. Mit ihm legt sich keiner an, und sohabe auch ich meine Ruhe. Ich bin von mei-nem extrem zartgliedrigen Körperbau herden meisten anderen unterlegen, meine Glie-der sind viel zu unbeweglich und meine Re-aktionsfähigkeit viel zu langsam, um ent-sprechend ausweichen oder gar zurückschla-gen zu können.

»Hör auf mit dem dummen Geschwafel«,fiel ich Josch ins Wort. »Die wollen uns nurwieder verlegen, verstehst du? Sie haben unsauf die BASIS geholt, um uns aus dem Ver-kehr zu ziehen und unter Kontrolle zu hal-ten. Uns gegenüber haben sie behauptet, daßsie uns behandeln und angeblich heilenwollten. Und jetzt, wo sie tatsächlich nichtmehr weiterwissen, schieben sie uns einfachwieder ab!«

»Aber es ist wahr!« behauptete Josch ei-gensinnig. Er achtete nicht auf meine Prote-ste, sondern schob mich einfach den Gangentlang. »Es ist kein Trick oder sonst etwas,außerdem kann es uns völlig egal sein, wo-hin sie uns bringen!«

»Uns kann alles völlig egal sein«, stimmte

ich ihm zu.Ich sah ein, daß es keinen Sinn hatte, hier-

bleiben zu wollen. Also folgte ich diesemschwerfälligen, großen Menschen; eine an-dere Wahl hatte ich nicht.

*

Ich war froh, als wir endlich an Bord desKreuzers waren, denn ich war ziemlich aus-gepumpt. Gleich darauf wünschte ich mir,doch auf der BASIS geblieben zu sein. Zu-sammengepfercht hockten wir auf dem Auf-enthaltsdeck, unter strenger Bewachung, da-mit keiner von uns jetzt noch etwas anstellenkonnte. Angeblich waren die registriertenBesitztümer mit an Bord, aber keiner durftedas überprüfen.

»Es ist sinnlos, daß du mich mitge-schleppt hast«, sagte ich zu Josch. »SeitdemGur und Drakkan mich ausgeraubt haben,besitze ich nichts mehr.«

»Das spielt doch gar keine Rolle«, wider-sprach der sanftmütige Riese. »Sie sagen,daß es Waren für jeden gibt, ganz egal, ob eretwas besitzt oder nicht.«

Als Mensch wie Josch hätte ich jetztwahrscheinlich sarkastisch gelacht. In mirsteckt noch viel Erbe humanoiden Verhal-tens, aber ich bemühe mich, es zu unter-drücken. Ich möchte nicht als echter Huma-noider bezeichnet werden.

Daher sagte ich nur: »Verlier dich nichtimmer in deinen Träumen, Josch, sonst wirstdu eines Tages das Erwachen unerträglichfinden.«

Ich wartete nicht ab, ob er etwas erwidernwürde, sondern stand auf. Möglicherweisefand ich bei der Essensausgabe etwas, dasmeine Kopfschmerzen lindern konnte. Ichwar inzwischen schon fast blind vorSchmerz und nicht mehr sehr sicher auf denBeinen.

»He, Schiller!« rief mir ein hagerer, sehrhellhäutiger Mensch nach.

Ich blieb stehen, drehte mich zu ihm umund erkannte jetzt erst, daß es ein Arkonidewar. Diese Humanoiden kann ich nicht be-

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sonders leiden, weil sie meist so arrogantsind.

»Was willst du, Mensch?« fragte ich pro-vozierend.

»Ich bin kein Mensch, sondern Arkoni-de!« fuhr der Angesprochene auf.

»Siehst du, und ich heiße nicht Schiller«,konterte ich gelassen. »Ich bin einer vomVolk der Schiller und stamme von Gom-bar.«

Ich drehte mich um und ging so schnellweiter, wie meine schwachen, steifen Beinees noch schafften.

»Ich brech' ihm die langen dünnen Beine,das wird ihn von seinem Podest herunterho-len, auf das er sich selbst erhoben hat!«zischte der Arkonide.

Obwohl ich schon ein gutes Stück entferntwar, konnte ich ihn sehr gut von all den an-deren schwirrenden Stimmen im Raum un-terscheiden.

»Laß ihn in Ruhe«, sagte leise ein Mann,der neben ihm saß.

Ich spürte seinen Blick in meinemRücken. Aber es drohte keine Gefahr, undich lauschte aufmerksam, während ich wei-ter auf die Essensausgabe zustrebte.

»Du weißt wohl nicht, was er vor einigerZeit getan hat!« schnaubte der Arkonide.»Zwei miese Typen haben ihn überfallen,als sein dicker Freund gerade mal unterwegswar. Sie haben ihn ausgeraubt, ohne daß ersich zur Wehr gesetzt hätte. Aber kurz dar-auf sind sie unter merkwürdigen Umständenumgekommen. Selbstmord, heißt es, aberdaran glaube ich nicht. Weder seine nochderen Sachen hat man je gefunden. Ich glau-be, daß der Kerl uns alle übervorteilenwird!«

»Ich habe ganz andere Sachen über ihngehört«, fügte der andere hinzu. »Er sollmerkwürdige Dinge mit Leuten anstellen,die ihm zu nahe kommen.«

»Du meinst seinen beschränkten Leib-wächter?«

»Nein. Andere Sachen. Und nichts Gutes.Halt dich fern von ihm und provoziere ihnnicht.«

Ich lockerte meine Konzentration, derSchmerz wurde durch die Anstrengung nochschlimmer. Außerdem erfuhr ich nichts Neu-es. Es stimmte, daß Gur und Drakkan kurznach dem Raub starben, aber sie alle wußtennatürlich nicht, was tatsächlich Sache war.

Und ich halte mich bestimmt nicht fürbesser als die anderen. Ich möchte nur nichtzuviel mit ihnen zu tun haben, sondern lie-ber als Außenstehender beobachten. Denntrotz eines gemeinsamen alten Erbes bin ichsehr fremd. Andererseits hatte mich geradedas von Gombar fortgetrieben …

Auch nach der langen Zeit ist es für michimmer noch sehr verwirrend, was ich wirk-lich fühlte und dachte. Allerdings wußte ichgenau, was ich wollte: Ich hatte mich so sehrnach den Sternen gesehnt …

Daran wollte ich jetzt nicht denken, ichbrauchte unbedingt Nahrung. Das war dereinzige Glücksfall gewesen, seitdem ich zueinem Süchtigen geworden war: Auf derBASIS gab es für jeden Bedürftigen etwas,ohne daß viele Fragen gestellt worden wä-ren. Sie hatten alle viel zuviel Kummer mitder sich wie eine Seuche ausbreitendenSucht; sie war ein riesiges Hospital.

Glücklicherweise unterschied sich derKreuzer in der Nahrungsvielfalt nicht vonder BASIS. Ich erstand einen großen Tellereines süßen, klebrigen Breis, der sich ausbestimmten, von mir angegebenen Kompo-nenten zusammensetzte und nahezu densel-ben Nährwert bildete wie das Essen aufGombar.

Ich war so gierig und ausgehungert, daßich mich, noch bevor ich mir ein ruhigesPlätzchen gesucht hatte, über den Brei her-machte. Ich fuhr meine Röhrenzunge aus,die empfindlichen Geschmacksorgane anden beiden Enden der gespaltenen Spitze ta-steten vorsichtig über den Brei. Verzücktschloß ich die Augen und begann zu saugen.

»Na, schmeckt's denn wenigstens?« er-klang plötzlich eine Stimme, und ich fuhrunwillkürlich zusammen und riß die Augenauf.

Eine junge menschliche Frau; und zwar

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eine von der aufdringlichen Sorte, deren un-ersättliche Neugier oft den Untergang der ih-nen Nahestehenden bedeuteten. Nun warwohl ich das Opfer ihrer Langeweile.

Ich fuhr hastig die Saugröhre ein und ant-wortete höflich: »Ja, danke. Ich hoffe, ichhabe dich nicht gestört.«

»Keineswegs«, meinte die Menschenfraumunter und deutete auf ihren Teller, auf demeine Menge unappetitlicher Sachen lagen.»Hab' mir nur gerade was geholt. Wollenwir zusammen essen?«

Ihre Freundlichkeit erweckte sofort meinMißtrauen. Süchtige waren von Natur ausFeinde: Nur weil wir vielleicht Hoffnung aufRettung hatten, sollte das auf einmal vorbeisein?

»Ich möchte ruhen«, erwiderte ich.Ich ließ meine ohnehin für die meisten

recht angenehme, zirpende Stimme noch be-ruhigender schwingen. Anfangs hatte ichzwar ziemliche Probleme mit den hartenLauten der Hauptsprache der Galaktiker ge-habt, doch inzwischen hatte ich mich darangewöhnt.

»Du bist der einzige deiner Art hier, unddas interessiert mich einfach«, fuhr die Fraufort. »Bevor ich mich selbst in diese Lagegebracht habe, habe ich Soziologie und Bio-logie studiert und war gerade dabei, meinenDoktor zu machen. Eine humanoide Lebens-form wie dich habe ich noch niemals zuvorgesehen.«

»Der Planet Gombar, von dem ich stam-me, ist völlig unbedeutend und uninteres-sant. Wir verlassen ihn kaum und pflegenkeinen Kontakt zu anderen«, sagte ich.

»Wo liegt dieses … Gombar?«»Ich sagte schon, daß das nicht von Be-

deutung ist«, wehrte ich ab.Allmählich ging mir diese Frau auf die

Nerven. Leider konnte ich Josch nirgendsentdecken.

»Abgesehen davon habe ich eine Mengewidersprüchliche Dinge über dich gehört.Der Name Schiller paßt zu dir«, fuhr sie un-bekümmert fort. Anscheinend brauchte mannicht viel geistige Voraussetzungen zu die-

sem Studium, oder sie hatte völlig vernagel-te Lehrer. Als Soziologin hätte sie längst be-merken müssen, wie unangenehm mir dieseUnterhaltung war, selbst wenn ich sehrfremd auf sie wirken mochte. »Diese ständigwechselnden Hauttönungen, die wie Wellenund Schlieren über deinen Körper laufen…«

»Das kommt daher, daß ich nicht nurLungen-, sondern gewissermaßen auchHautatmer bin«, unterbrach ich sie.»Intensiver als andere Humanoide, meineich, denn auch deine Haut ist atmungsaktiv,aber ziemlich ledrig, abgestumpft und un-empfindlich. Meine Haut ist ein voll ausge-bildetes Sinnesorgan wie Augen und Ohren,und sie ersetzt meinen fehlenden Geruchs-sinn.« Ich deutete auf die beiden, durch zweiFalten und von feinen Wimperhärchen ge-schützten Luftlöcher an der Stelle, an der beider jungen Frau die Nase saß. »Die Verhält-nisse auf Gombar verursachen eine ständigeReaktion und Anpassung an die Umwelt.«

Ich erklärte ihr nicht, daß mein ganzesVolk den Namen Schiller trägt, nicht ich al-lein. Mein eigentlicher Name ist für jedenNicht-Schiller unaussprechlich, und es gibtfür einen Schiller nichts Schlimmeres, alsmit falschem oder gar falsch ausgesproche-nem Namen angesprochen zu werden. Daherhabe ich gewissermaßen den Namen Schillerangenommen.

»Faszinierend«, sagte die Menschenfrau.Das wunderte mich nicht. Ich wußte

längst, daß mein Äußeres aufgrund der Cha-mäleoneigenschaften meiner Haut das ästhe-tische Empfinden der meisten Fremdvölkerpositiv anregte. Natürlich starren sie michmanchmal auch recht unverhohlen an. Ichgehe niemals darauf ein, denn es geht nie-manden etwas an, wer oder was ich bin.

Die Eigenschaft der Humanoiden, sich an-hand Komplimenten geschmeichelt fühlenzu können, besitze ich ebenfalls nicht. Daherbedeutet mir die Bewunderung dieser Fraunichts, und ich ging nicht darauf ein. Aller-dings hatte ich von dieser Unterhaltung end-gültig genug. Ich richtete meine Augen auf

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sie und sah sie an.»Ich glaube, ich gehe jetzt lieber«, sagte

sie und lächelte verwirrt.Natürlich willst du das, dachte ich.Ich könnte sie wie eine Verrückte herum-

springen und gombarianische Regengesängeaufführen lassen. Aber das war genau derGrund, weswegen ich Gombar verlassen hat-te.

Manchmal überwältigt mich die Gabenoch heute, und ich verspüre den furchtba-ren Zwang, auf die anderen einzuwirkenoder gar in sie hineinzuspringen. Aber dazuhabe ich kein Recht. Jedes Lebewesen hatdas Anrecht auf Freiheit. Ich wende die Ga-be nur an, um mich zu verteidigen, und auchdann nur in Notfällen.

Daß ich die Frau jetzt ansah, war nur einleichter Ansatz, mehr nicht, und es dientenur dazu, mich unauffällig entfernen zu kön-nen. Auch Josch hatte ich anfangs einmalangesehen, als er zu überlegen schien, obich eßbar wäre. Und weil ich seine Freund-schaft brauchte.

Ich wollte nicht zu sehr auffallen. Nie-mand durfte dahinterkommen, über welcheKräfte ich verfügte. Daher war ich anfangsauch ängstlich gewesen, als sie mich auf dieBASIS brachten, schließlich hielten sichdort die Unsterblichen auf, die ihre neugieri-gen Nasen in alles hineinsteckten, was sienicht das geringste anging. Aber ich hatteGlück; ich fiel in dem Durcheinander undder Masse überhaupt nicht weiter auf, undvon den behandelnden Ärzten interessiertesich keiner besonders für Aussehen und Her-kunft ihrer Patienten.

Ich machte mich mit dem Rest meines Es-sens auf die Suche nach einer ruhigen Ecke,um anschließend ein wenig schlafen zu kön-nen. Hoffentlich wurden die Schmerzendann leichter. Ich wußte, daß irgendwanndie Grenze des Erträglichen überschrittenwar, und dann hatte ich mich nicht mehr inder Gewalt.

Ich würde mich wie die Schiller vonGombar verhalten, und das wollte ich nie-mals! Ich dachte ganz anders als sie, ich

führte schon lange kein Schiller-Lebenmehr. Wegen meiner Ansichten hatte ichGombar den Rücken gekehrt, und nur des-halb war ich überhaupt in diese jämmerlicheSituation geraten. Die Neugier hatte mich zueinem Basar der Hamamesch getrieben, unddann konnte ich mich dem furchtbaren Ein-fluß der Imprint-Waren nicht mehr entzie-hen.

Ich, ein Schiller, war zu einem Süchtigengeworden und wurde von dieser Sucht be-herrscht – etwas, das ich nie für möglich ge-halten hätte!

*

Ich erwachte, als ich Joschs Hand aufmeiner Schulter fühlte. Für einen Momentstockte die Harmonie des Atems, es war wieein dunkles Loch, dann Wärme.

»Alles in Ordnung, Schiller?« fragte meinFreund. »Du warst sehr lange weggetreten.«

Ich richtete mich langsam auf. Ich befandmich auf der Medostation, anscheinend warich in Starre gefallen. Also ging es mirschlechter als ich angenommen hatte.

Schon ein paarmal hatte sich mir der Ge-danke aufgedrängt, Selbstmord zu begehen.Was für ein Leben war das nur, was ich daführte? Fern der Heimat, die ich nie mehrbetreten konnte, abhängig von etwas, dessenUrsache ich nicht kannte und das mich zuse-hends körperlich und geistig zerstörte …

»Wie lange noch?« flüsterte ich.»Wir haben es bald geschafft«, antwortete

der Riese. »Wir fliegen Torresch an. Unddie Nachrichten stimmen: Eine Menge Out-laws haben ihre Waren bereits erhalten. Wirhaben es geschafft, Kleiner, also reiß dichjetzt zusammen! Das überstehst du noch!«

Er half mir aufzustehen, sorgfältig daraufbedacht, mir nicht alle Knochen zu brechen.Ich fühlte mich elend, und der Wunsch, ein-fach zu fliehen, war sehr groß.

»Wir sollten uns gleich in die Nähe desHangars begeben, damit wir so schnell wiemöglich die Waren erhalten«, fuhr Joschfort. »Du siehst erbärmlich schlecht aus,

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Schiller.«»Seit wann kannst du das denn beurtei-

len?« zirpte ich.»Ich kenne dich schon 'ne Weile«, entgeg-

nete er. »Abgesehen davon brauchst du nurmal in den Spiegel zu schauen.«

Ich gehorchte und erschrak über michselbst. Josch hatte recht; jeder, der mich innormalem Zustand kannte, wußte sofort, daßmit mir etwas nicht stimmte: Statt der far-benfrohen Schiller liefen nur noch dunkel-graue, braune und dunkelgrüne Muster übermeine Haut. Das Irisieren meiner Augen warfast gänzlich erloschen.

»Ich – ich glaube, ich werde bald ster-ben«, stammelte ich. Zum erstenmal in mei-nem Leben war ich wirklich völlig veräng-stigt.

»Unsinn«, brummte Josch. »Ein bißchenRuhe …«

»Du hast doch keine Ahnung!« fuhr ichihn an. »So sehen uralte Schiller aus, kurzbevor sie in die Sonne gehen!«

Ich griff in eine Tasche meiner Kombina-tion und zog mein Tagebuch hervor. Ichmußte mich beeilen, um alle Ereignisse seitmeinem letzten Eintrag nachzuholen. DerTod konnte schnell und plötzlich kommen.Wenn ich wieder in die Starre fiel, war esvorbei …

»Hat das eigentlich irgendeinen Sinn, sichalles aufzuschreiben?« wollte der Menschwissen.

»Das geht dich nichts an«, schmetterte ichihn ab.

Es ging ihn wirklich nichts an, daß dasTagebuch mein einziger Freund war, dermich über die Einsamkeit hinwegtröstenkonnte. Mich selbst meine Erinnerungen be-richten zu hören und zu sehen war fast so,als würde ich mich mit einem anderen Schil-ler unterhalten. Und sollte ich sterben, hin-terließ ich wenigstens mein Tagebuch undwar nicht völlig ausgelöscht.

»Du isolierst dich selbst«, sagte Joschplötzlich, als hätte er meine Gedanken gele-sen.

Es beunruhigte mich, daß er solche Ge-

danken hatte. Vielleicht mußte ich ihn dochnoch einmal ansehen, um mich zu schützen.Um die anderen hier brauchte ich mir keineSorgen zu machen; sie würden mich ebensoschnell vergessen wie sie Interesse für michgezeigt hatten, sobald sie ihre Imprint-Wa-ren erst hätten.

Aber Josch würde sich an mich erinnern,und eine unbedachte Bemerkung von ihmkönnte das Interesse von Leuten erwecken,mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Ichwollte weiterhin völlig still und unbeachtetdie Sterne kennenlernen, um herauszufin-den, ob die Gabe vielleicht doch zu etwasnutze war.

Erst dann konnte ich nach Gombar zu-rückkehren.

Aber wahrscheinlich würde mir dort kei-ner glauben, denn auf Abenteuerfahrt bege-ben sich Schiller nie. Sie reisen mit kleinenRaumschiffen nur in ihrem eigenen Systemherum und interessieren sich nicht für ande-re Völker. Sie würden mich vielleicht sogarals bedrohlich einstufen …

Ich schweife wieder ab, hörte ich plötzlicheine Stimme in mir. Ich starrte auf meinAufzeichnungsgerät. Nein, das war keineTäuschung gewesen. Ich hatte das selbst ge-sagt, in diesem Moment. Ich hatte angefan-gen, mich zu teilen!

Ich sah auf, ob Josch in unmittelbarer Nä-he wäre, aber er ging einige Schritte vor mirden Gang entlang. Mir war nicht einmal auf-gefallen, daß ich ihm zu Fuß zum Hangarfolgte.

So weit ist es schon gekommen. Du ver-lierst die Kontrolle über dich selbst, Schil-ler.

»Josch …«Mir war kaum bewußt, daß ich schwach

nach meinem menschlichen Beschützer ge-rufen hatte. Aber Josch war mit einem Satzbei mir.

»Was hast du, Fliege?« fragte er bestürzt.Immer, wenn er besonders um mich be-

sorgt war, nannte er mich Fliege, weil ichnur halb so groß war wie er und genausoleicht wie eine Fliege zertreten werden

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konnte.»Bin so schwach …«»Hast du Schmerzen?«»Nein. Jetzt nicht mehr. Fühle mich so …

unwirklich …«Es war ein schreckliches Gefühl, das ich

Josch nicht beschreiben konnte. Ich wußtenur, daß ich so schnell wie möglich meinenImprint brauchte, sonst fiel ich wieder in dieStarre – für immer.

»Reiß dich zusammen, Schiller!« sagteJosch und hob mich behutsam auf seine Ar-me. »Es dauert nur noch ein paar Stunden,höchstens zwei Tage, so lange wirst du nochaushalten! So schlimm kann es doch nichtsein!«

»Ich kann's nicht ändern«, zirpte ich. »Ichverstehe es ja selbst kaum …«

Innerlich lachte ich ironisch über meineeigene Torheit, mich vor wenigen Stundennoch über die unerträglichen Kopfschmer-zen beklagt zu haben. Dieser Zustand warweitaus schlimmer, mein ganz persönlichesGrauen, das mich unbarmherzig in seinenKlauen hielt.

Das Schlimmste daran war, daß ich mirüber meinen Zustand so genau bewußt war;irgendwie beobachtete ein Teil von mir michselbst wie von außerhalb, völlig unbeteiligtund unberührt. Ich hatte die Gabe nicht mehrunter Kontrolle, aber das spielte jetzt keineRolle. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäreich nicht mehr in der Lage gewesen, meinenEinfluß auf Josch auszuüben.

Irgendwann erreichten wir den Hangar, indem ein Wartebereich für uns eingerichtetworden war.

Um mich wach zu halten, erzählte Joschmir, was sich dort draußen in Hirdobaan tat.Es interessierte mich kaum, aber ich ließmein Aufzeichnungsgerät mitlaufen, damitich später diese Stunden nachvollziehenkonnte.

Mit einer Lücke im Gedächtnis herumzu-laufen war ein zu erschreckender Gedankefür mich, vor allem, was so einen wichtigenMoment betraf. Ich hatte den nahenden Todniemals so unmittelbar und selbstverständ-

lich auch nicht leibhaftig erlebt.

2.

Situationsbericht CIMARRON Stand: 26.August 1220 NGZ 9.00 Uhr Bordzeit

Fast elftausend Schiffe der Galaktiker wa-ren an den acht Containerwelten der Galaxisversammelt: 798 Schiffe an der Welt Rixxoim Ammach-Oktanten, wo die ORMIGOmit Esker Harror und Harold Nyman als ver-schollen galt.

An der Containerwelt Briator im Perm-Oktanten trafen sich 654 Galaktiker-Schiffe.Briator war vom galaktischen Zentrum 91Lichtjahre entfernt und eine Dschungelweltmit geringer Schwerkraft, etwa lunagroß undmit Sauerstoffatmosphäre, als einziger Pla-net beschienen von einer gelben Sonne vomSoltyp.

Bodson war ein etwa erdgroßer Trümmer-brocken in einem aus unzähligen kleinerenTrümmern bestehenden Asteroidengürtel,beherrscht von einem roten Zwergstern. Erlag im Vankanton-Oktanten, 102 Lichtjahrevom galaktischen Zentrum entfernt undTreffpunkt von nur 156 mit Süchtigen be-mannten Schiffen.

510 Schiffe befanden sich bei der venus-ähnlichen Containerwelt Linderie im Omge-noch-Oktanten ein, dem dritten von insge-samt neun Planeten um einen Blauen Riesenvom Typ Wega, 103 Lichtjahre vom galakti-schen Zentrum entfernt.

Immerhin 2089 Galaktiker-Schifie ver-sammelten sich über Zuff im Mereosch-Ok-tanten, 99 Lichtjahre vom Zentrum entfernt,einer erdgroßen, als einziger von einer gel-ben Sonne beschienenen, aber leblosen Sau-erstoffwelt.

Die meisten Schiffe, insgesamt 2923, gin-gen bei Jarjo im Buragar-Oktanten, 90Lichtjahre vom Zentrum entfernt, in Warte-position.

Über der Containerwelt Mezzan im Jon-doron-Oktanten, 96 Lichtjahre vom Zentrumentfernt, war unlängst die TANKSET mitHomer G. Adams und seinen Leuten verlo-

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rengegangen; hier fanden sich dennoch 1711Schiffe mit hoffnungsvollen Süchtigen ein.

Die achte Containerwelt war Torresch imGrencheck-Oktanten, 112 Lichtjahre vomZentrum entfernt, und derzeit die am mei-sten beachtete, wenngleich auch mit 1930Schiffen nicht die am meisten frequentierteWelt. Nach den letzten Meldungen warenauch der Medokreuzer PARACELSUS undein BASIS-Kreuzer mit den auf der BASISbehandelten Imprint-Süchtigen auf demWeg nach Torresch.

Hier bei Torresch hatten sich, wie beiRixxo und Mezzan, Tragödien ereignet, diejedoch von sehr viel weittragenderer Bedeu-tung waren – zum einen, weil sie sich prak-tisch vor den Augen der Galaktiker zutru-gen, und zum anderen, weil sie viel rätsel-voller und erschreckender waren: StomalZystaan und ihre Akonen, die als erste hiereingetroffen waren, waren spurlos ver-schwunden; zurück blieben Geisterschiffeohne eine Spur von Leben oder Hinweise,ob ein Kampf oder ähnliches stattgefundenhatte.

Alles sah ganz so aus, als wären die Ako-nen völlig von etwas Geheimnisvollemüberrascht worden, nichts wies auf Auf-bruchvorbereitungen hin, es gab keinerleiAufzeichnungen über merkwürdige Vorgän-ge. Als einziger Hinweis wurden überallseltsame, unscheinbare Würfel gefunden, diekeinesfalls von der Milchstraße stammenkonnten. Das war aber auch alles; die Wür-fel selbst gaben keinerlei Strahlung, Infor-mationen oder sonst etwas von sich, sie lie-ßen sich nicht öffnen und brachten die Ga-laktiker der Lösung des Rätsels keinenSchritt näher.

Und damit war das Mysterium noch nichtbeendet: Bei der Suchaktion verschwandenweitere Menschen …

3.Schiller

An Bord des Kreuzers brach fast eine Pa-nik aus, als wir Torresch erreichten. Die zur

Schau gestellte Geduld war völlig dahin.Die Imprint-Outlaws drängten sich zum

Ausgang, alle schrien durcheinander undkämpften darum, wer als erster drankäme.Das Aufsichtspersonal hatte alle Hände vollzu tun, eine blutige Auseinandersetzung zuvermeiden, einige besonders aggressiveAufrührer mußten sogar betäubt werden. Dieanderen ließen sich mühsam in Schach hal-ten, aber unter der Oberfläche der gleichgül-tig dreinblickenden Süchtigen brodelte esgewaltig.

Josch verhielt sich dank meines Einflus-ses mustergültig; seine natürliche Aggressi-vität war auf ein Minimum herabgesunken.Erstaunlich, bei einem solchen, reichlich ur-tümlichen, beinahe barbarisch anmutendenWesen. Wahrscheinlich sorgte er sich wirk-lich um mich. Er hatte mir zwischenzeitlichnoch einmal etwas zu essen besorgt, dieFeuchtigkeit meiner Haut kontrolliert undmir ein Duftfläschchen unter die Nase gehal-ten. Leider brachte auch das meine Hautnicht mehr zum Leuchten, die Schiller schie-nen ein für allemal erloschen zu sein.

Ich stand nicht mehr auf, sondern verhieltmich möglichst ruhig, um keine Energie zuverbrauchen. Sonst konnte es passieren, daßich schlagartig in die Starre fiel.

Mir war inzwischen alles schon ziemlichgleichgültig. Ich antwortete, wenn über-haupt, nur teilnahmslos auf Joschs Fragenund dessen verzweifelte Bemühungen, michzu unterhalten.

»Halt durch, Kumpel!« sagte er leise.»Keine Angst«, zirpte ich schwach. »Ich

gönne niemandem das, was mir zusteht. Ichlebe ja nur noch, um endlich meinen Imprintzu erhalten.«

»Ich kann's auch kaum mehr erwarten«,stöhnte mein Freund. »Weißt du, jetzt, wodie Erlösung so nahe vor mir liegt, fühle ichmich so schwach und elend wie eine Maus.Wenn sie uns noch einen Tag hinhalten,möchte ich nicht mehr leben. Ich hoffe nur,daß sie uns die Wahrheit erzählt haben undwirklich für jeden genügend Waren da sind.Sonst werde ich einen von denen umbrin-

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gen, das schwöre ich dir.«Er mußte wirklich am Ende sein; so ver-

zagt und plötzlich mißtrauisch hatte er sichnoch nie angehört. Sonst hatte er immer ver-sucht, meine Zweifel zu zerstreuen, doch dieKraft dazu hatte er wohl nicht mehr.

»So viele sind bereits zu Mördern gewor-den, für nichts und wieder nichts«, bremsteich ihn. »Viele haben sich umgebracht, ob-wohl wir jetzt unser Ziel endlich erreicht ha-ben.« Es wäre an mir gewesen, nun meinenFreund zu beruhigen, doch das kam mirnicht in den Sinn. Ich konnte nicht anders,ich setzte einen drauf: »Josch, wenn tatsäch-lich jeder Süchtige seinen Imprint bekommt,waren ohnehin alle Opfer umsonst. Wir hät-ten von Anfang an nur zu warten brauchen…«

Ich unterbrach mich, als eine Meldungüber den Bordfunk kam, daß der Kreuzer indiesem Moment den Basar über Torreschanfliegen würde und die Waren bereitge-stellt wären. Der Tausch würde in wenigenMinuten vonstatten gehen; wir brauchtennicht zu drängeln, jeder würde an die Reihekommen.

Kurz darauf kamen zwei Menschen miteiner Schwebetrage auf mich zu, hobenmich vorsichtig auf und legten mich auf dieTrage.

»Was habt ihr vor?« brauste Josch auf.»Nur die Ruhe«, sagte einer der Männer

kalt. »Du kommst schon an die Reihe. Aberzuerst sind die schwerkranken Süchtigendran, wie dieser hier. Wir wollen doch nicht,daß er vorzeitig den Löffel abgibt, nachdemer es bis hierher geschafft hat, oder?«

Ich konnte kaum glauben, was da gesch-ah. Ich hatte mich schon damit abgefunden,ganz am Ende dranzukommen, wenn mirniemand mehr mein Recht streitig machenwürde, und nun brachten sie mich ganz nachvorn zur Ausgabe!

Josch ließ es sich allerdings nicht neh-men, mit mir zu kommen, was bei den ande-ren Wartenden Proteste auslöste. Aber derRiese brauchte nur einmal drohend mit dergeballten Faust vor ihnen herumzufuchteln,

daß sie murrend zurückwichen. Keiner stell-te sich uns in den Weg, und ich glaube, diebeiden Männer, die neben meiner Trage her-gingen, waren über Joschs Begleitung garnicht einmal unglücklich.

Ich bekam es kaum noch mit, als wir dieAusgabe schließlich erreichten; mein Ver-stand löste sich zusehends auf, und ichkonnte auch nicht mehr klar sehen. Ich be-gann mich zusehends von meinem Körperzu lösen, ohne daß ich es verhindern konnte.

Dann jedoch sah ich, wie die Schottensich öffneten, und hob den Kopf – zuschnell, denn mir wurde schwindlig, allesverschwamm vor meinen Augen. Ich spürte,wie mir etwas in die Hände gedrückt wurde.

»Was«, hörte ich Joschs Stimme nebenmir, »das ist alles? Dafür haben wir alleStrapazen auf uns genommen?«

»Josch«, stammelte ich, »Josch, was ist?«Da hörte ich, wie Josch leise sang. Er

sang!In diesem Moment fiel mir auf, daß mein

Gehör wieder funktionierte, auch mein Blickklärte sich. Ich bemerkte, wie um mich her-um das Stimmengeschwirr abebbte.

Eine seltsame Stille begann sich auszu-breiten, beginnend bei der Ausgabe, die sichnach hinten zu fort- und fortsetzte, nur vondem leise summenden Gesang unterbrochen.

Verblüfft starrte ich meinen Würfel an.Es war alles ganz anders …

*

Ich kann nicht beschreiben, wie ich michfühlte. Es war genauso unbeschreiblich wiedas Trauma des nahenden Todes – nur ge-genteilig. Das absolute Glücksgefühl, wennes so etwas gibt.

Ich kann nicht einmal mehr sagen, wannund wie die Wirkung einsetzte. Ich weißnur, daß plötzlich alles von mir abfiel – dieErinnerung an den Schmerz, die Schwäche,die Gedanken an den Tod. Der Nebel vormeinen Augen und in meinem Verstandlichtete sich, auch mein Gehör funktioniertewieder perfekt.

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»He, Schiller!« erklang Joschs Stimmevor mir. Er lachte mich mit breitem, vonmächtigen weißen Zähnen beherrschtenMund an. »Du siehst wieder ganz wie der al-te aus!«

»Das war sozusagen in letzter Sekunde«,stimmte ich zu.

Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wis-sen, daß die Schiller wieder in voller Far-benpracht über meine Haut glitten. Ich fühl-te mich so frisch, erholt und kräftig wie seitlangem nicht mehr – seit ich den ersten Im-print erhalten hatte.

»Ich hoffe, du entschuldigst mich«, fuhrJosch fort, »aber ich möchte jetzt gern alleinsein. Ich fühle mich großartig!«

Ich nickte. »Ja, mir geht es ebenso. Ichbrauche jetzt auch Zeit für mich allein undmeinen Imprint.«

Ich stand auf und ging durch den Hangarzurück. Meine Füße waren nicht mehr blei-ern, sondern glitten leicht, fast schwebendüber den Boden.

Ich fragte jemanden von der Besatzung,wohin ich mich zurückziehen könnte, und erbeschrieb mir den Weg. Sie hätten für jedenvon uns Unterkünfte hergerichtet, teilte ermir mit, damit wir uns in Ruhe erholenkönnten.

»Wunderbar«, sagte ich.»Habe ich dich schon einmal gesehen?«

rief er mir plötzlich nach.Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm

um. »Nein, wir sind uns nie begegnet«, er-widerte ich und sah ihn an.

Er lächelte ins Leere hinein und murmelteetwas wie »Was wollte ich eigentlich hier,immer vergesse ich alles« vor sich hin, wäh-rend er eilig weiterging.

Ich machte mich ebenso schnell auf denWeg; erstens wollte ich niemandem mehrbegegnen, zum zweiten konnte ich es nichterwarten, endlich allein zu sein. Ein wenigbedrückte mich der Gedanke, daß ich, ummeine Gabe geheimzuhalten und nicht an-wenden zu müssen, sie genau aus diesemGrund dennoch anwenden mußte. Es war einwenig pervers, zugegeben, aber meine einzi-

ge Chance, unauffällig zu bleiben.Und dieses kurze Sehen war eigentlich

keine richtige Anwendung, nur ein flüchti-ger Augenblick. Ich schadete damit nieman-dem und beeinflußte oder veränderte seinLeben auch nicht.

Ich erreichte die für Süchtige reserviertenUnterkünfte. Von der Besatzung begegnetemir niemand, nur Süchtige liefen mir überden Weg. Alle hatten denselben glückseli-gen, leeren Ausdruck auf den Gesichtern, al-le drückten ihren Würfel fest an sich. Daß eskeine Zusammenstöße gab, grenzte an einWunder, aber irgendwie schafften sie es,sich rechtzeitig aus dem Weg zu gehen.

Ich war natürlich keine Ausnahme; sicherging ich genauso weggetreten durch dieGänge und bemerkte nur manchmal, wieseltsam sich die anderen benahmen, was ichdann auch auf mich bezog.

Schließlich fand ich eine für mich geeig-nete Unterkunft, die leerstand. Da ich kei-nerlei Verlangen hatte, noch einmal ein Be-satzungsmitglied anzusehen, wartete ich dieZuteilung gar nicht erst ab, sondern trugmich ein und beanspruchte die Kabine damitfür mich. Sie war klein und einfach einge-richtet, aber ich verlangte ohnehin nachnichts weiter als einem gemütlichen Bett, indem ich mich endlich ausgiebig mit demWürfel beschäftigen konnte.

Jener Teil von mir, der sich vor wenigenStunden verselbständigt hatte, verlangte, daßich weiterhin meine Aufzeichnungen führte,obwohl ich dazu nicht die geringste Lustverspürte. Doch ich gehorchte mir selbst.

Danach gab ich mich ganz dem Glückhin, nicht nur völlig geheilt zu sein, sondernmich besser denn je zu fühlen. Der Imprintverstärkte meine Sinne zu absolut klarerSchärfe, in einer Weise, wie ich noch nie ge-hört oder gesehen hatte. Am stärksten warmein Hautsinn davon betroffen, ich schiller-te so stark, daß ich nahezu kein Licht in derKabine brauchte.

*

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Nach einer Weile fühlte ich mich so aus-geruht, daß ich es nicht mehr in meiner Un-terkunft aushielt. Zuerst schwelgte ich in ei-ner ausgiebigen Dusche, denn von den Reiz-überflutungen kribbelte meine Haut, als obsie elektrisiert wäre, und die Kombinationkam mit dem Ausgleich nicht mehr nach.Das Wasser beruhigte meine Haut und kräf-tigte sie zugleich, so daß ich meine Kombi-nation anlegte und die Kabine verließ.

Ich wußte nicht, wieviel Zeit vergangenwar, aber ich war dennoch verwundert, wieausgestorben die Gänge waren. Ich konntemich daran erinnern, wie belebt es gewesenwar, als ich hier angekommen war.

Sollten sie alle in ihren Kabinen sein undvor sich hin dösen, angefüllt mit Imprint?

Anscheinend war ich wirklich der einzige,den der Imprint mit Energie erfüllte, dennwährend der ganzen Zeit, in der ich herum-lief, begegnete ich niemandem.

Wie schade, dachte ich. Ich hätte gernmeine Erfahrungen und Eindrücke mit denanderen getauscht.

Daß ich zum erstenmal ein solches Ver-langen hatte, fiel mir kaum auf.

Alles war anders, seitdem ich den zweitenImprint erhalten hatte. Dieser Imprint war sovöllig anders als der erste, daß ich michkaum mehr über mich selbst wunderte.

Der neue Imprint hatte mich ganz ver-wirrt, die Gedanken überschlugen sich, undich mußte mir unbedingt Luft machen.

Also eilte ich weiter durch die Gänge undwar froh, als ich endlich ein paar Stimmenhörte, die ein gutes Stück entfernt waren.

Ich ging langsam, um mich besser aufmeinen Hörsinn konzentrieren zu können.

»… und wenn ich dir sage, da standen wirgerade zusammen und redeten, da ver-schwand er plötzlich!« vernahm ich eineStimme, die heiser vor Schrecken klang.

»Du bist betrunken oder verrückt!« er-klang eine zweite, halblaut lachende Stim-me. »Mach mir nichts vor, so etwas gibt esdoch nicht!«

»Aber wenn ich es dir doch sage! Genauhier, an dieser Stelle, passierte es! Ich rede

noch und frage, he, wollen wir nicht einentrinken gehen, und dann – er verschwindet!Einfach so! Nicht einmal etwas zugerufenhat er mir!«

»Unglaublich! Hör zu, wenn dir nichtsbesseres einfällt, dann bleib lieber freiwilligin deiner Kabine, bevor du eingesperrtwirst!«

»Es ist aber wahr!« Die Stimme schluchz-te jetzt fast.

Ich hatte das Ende des Gangs inzwischenerreicht und schaute vorsichtig um die Ecke,wo sich die beiden Süchtigen befinden muß-ten.

Ich stockte: Das war doch der Arkonide,der mich auf dem Flug hierher angepöbelthatte, der da zusammen mit einem grünhäu-tigen Terra-Abkömmling stand!

Der Arkonide entdeckte mich, bevor ichmich zurückziehen konnte.

»He, du!« rief er. »Du bist doch der Kum-pel von Josch! Komm her! Hast du auchschon bemerkt, daß Leute verschwinden?«

Die Not schafft die merkwürdigsten Ver-bündeten, dachte ich unwillkürlich.

Ich hatte keine Ahnung, ob tatsächlich ei-ne Notsituation vorlag; für den Arkonidenschien das der Fall zu sein.

»Mir ist nur aufgefallen, daß ich nieman-dem begegne – außer euch beiden; sindwohl alle in den Kabinen«, antwortete ich.»Ich bin auf der Suche nach Josch. Weißtdu, wo ich seine zugeteilte Kabine findenkann?«

»Sie ist nicht weit von hier«, sagte der Ar-konide und deutete auf den nächsten Seiten-gang. »Die dritte Kabine rechts. Aber duwirst ihn nicht finden. Du wirst niemandenmehr finden!«

Der Grünhäutige lachte. »Mann, du bist jatotal irre!«

Ich schwieg und drückte mich an den bei-den vorbei, um so schnell wie möglich zuJosch zu gelangen. Ich hatte keine Lust,mich weiter mit diesen Verrückten zu unter-halten.

Als ich nach ein paar Sekunden den Sei-tengang erreicht hatte, drehte ich mich um

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und schaute um die Ecke, weil ich ihre Stim-men nicht mehr hören konnte.

Sie waren weg. Verschwunden, wie sichder Arkonide ausgedrückt hätte.

Ein wenig verwundert, aber nicht wirklichbeunruhigt, ging ich zu Joschs Kabine. DasSchott öffnete sich automatisch, ich ginghinein.

Es war tatsächlich niemand darin, aberdas mußte gar nichts bedeuten. Vielleichtging Josch gerade einen anderen Gang ent-lang, auf der Suche nach mir. Oder er schlugsich in einer Messe den Bauch voll, wie esoft seine Art war.

Dennoch suchte ich jeden Winkel der Un-terkunft ab. Er hatte erst vor kurzem die Du-sche benutzt, soviel stand fest, und seinenoch nassen Fußspuren führten zur Toilettehinein, aber nicht wieder heraus.

Und trotzdem befand er sich nicht dort,obwohl ich wirklich genau nachschaute. Nursein Würfel lag da.

Wie merkwürdig.Um meine Gedanken zu sammeln, setzte

ich mich auf Joschs Bett und zeichnete dieEreignisse in meinem Tagebuch auf. Ich ließdas Gerät die ganze Zeit arbeiten, um mei-nen Gedanken ungestört freien Lauf zu las-sen.

Mein Würfel fühlte sich angenehm warman, und ich schmiegte ihn unwillkürlich anmich. Joschs Würfel hingegen war kalt, fastabweisend. Er übte keinerlei Reiz auf michaus, war leer.

Das verstand ich einfach nicht. Weshalbwar Josch ohne seinen Würfel gegangen?Wohin konnte er überhaupt gegangen sein,da seine ganzen Sachen noch hier lagen?

Die meisten Galaktiker wagten es nicht,ohne eine Menge beengender und undurch-sichtiger Kleidungsstücke in die Öffentlich-keit zu gehen, und wären, so nackt wie ichbeziehungsweise nur von durchsichtigerKleidung bedeckt, vermutlich vor Scham imBoden versunken. Josch bildete da keineAusnahme.

Allmählich wurde ich doch unruhig, undich ging meine ganzen Aufzeichnungen er-

neut durch.Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.Auf einem Schiff regt sich doch immer et-

was, man ist ständig von irgendwelchen Ge-räuschen umgeben. Man spürt zumindest dieNähe der anderen.

Ich aber spüre auf einmal gar nichts mehr,und obwohl ich sämtliche Sinne auf höchsteKonzentration gestellt habe, kann ich wederetwas hören noch riechen.

Und sehen kann ich nur Joschs Habselig-keiten, nicht aber ihn selbst. Er ist spurlosverschwunden, wie der Arkonide gesagt hat.

Auch der Arkonide ist spurlos verschwun-den, ohne daß ich sein Gehen bemerkt hätte.

Täuschen mich meine Sinne? Nein, das istnicht möglich. Ich funktioniere perfekt, bes-ser denn je.

Im Gegenteil, ich fühle mich auf einmalseltsam beschwingt, als ob ich jeden Mo-ment abheben würde. Dieses Gefühl über-steigt sogar das Glücksgefühl des ersten Mo-ments, als ich den Imprint wieder spürte.

Ich glaube, ich werde immer leichter. Ichkann mich bestimmt nicht mehr lange aufdem Bett halten … Wie merkwürdig, eskribbelt alles.

Das Tagebuch fällt zu Boden, aber ichkann es nicht mehr aufheben. Von ferne se-he ich mein Gesicht, das genau meine Wortewiedergibt.

Der Würfel wird mir nun auch zu schwer;ich lasse ihn einfach fallen, denn ich braucheihn gar nicht mehr. Ich will keine Last mehrtragen.

Jetzt schwebe ich tatsächlich, alles wirdso unwirklich, löst sich auf …

4.Trauer und Suche

»Es kann einfach nicht sein«, stieß PerryRhodan durch zusammengebissene Zähnehervor, »es sind zu viele Verluste: Homer istverschollen, Atlan und Ronald Tekener sindwahrscheinlich tot, und so wie es aussieht,haben wir nun auch noch – Bully verloren,zusammen mit Tausenden von Süchtigen,

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deren Zahl sich von Minute zu Minute er-höht.«

Bei der Nennung des Namens seines älte-sten Freundes stockte dem unsterblichenTerraner kurz der Atem. Sein Gesicht warsehr bleich, ansonsten aber völlig verstei-nert. Er hatte seine Gefühle tief in sich ver-graben, als ob er sich weigerte, sich vollendsmit der Wahrheit über Reginald Bulls Todvertraut zu machen.

Er befand sich in einer Kabine auf der CI-MARRON, zu der die GRIBBON vor kurzerZeit erst zurückgekehrt war – kurz bevorsämtliche sechs Besatzungsmitglieder ein-schließlich Reginald Bulls sich sprichwört-lich in Luft aufgelöst hatten.

Gucky lag auf dem Bett; er litt immernoch unter der Tatsache, das Verschwindenseines besten Freundes mit eigenen Augenmiterlebt zu haben. Perry Rhodan hatte ihnselbst hierhergebracht und darum gebeten,nicht gestört zu werden.

Die ganze Zeit über, während der kleineMausbiber gegen den Schock ankämpfte,saß er bei ihm und hielt seine zarten Hände.Lange Zeit sprach er kein Wort, bis Guckyallmählich zu zittern aufhörte und zu sichkam.

»Perry, er war doch gar nicht süchtig«,piepste er schließlich. »Warum hat er denWürfel überhaupt an sich genommen?«

»Offensichtlich konnte auch er dieserpsionischen Strahlung nicht entkommen,Kleiner«, antwortete Rhodan. »Er ist ja nichtder erste und einzige Unsterbliche, den eserwischt hat. Auch wir sind nicht immun ge-gen den Imprint.«

»Es ist meine Schuld«, schluchzte der Iltauf. »Ich hätte es gleich bemerken sollen,nachdem er zurückgekehrt war. Bereits dawar er doch schon so komisch, richtig abwe-send, ganz anders als sonst! Aber ich habeeinfach nicht darauf geachtet!«

»He, Kleiner, hör auf damit«, widersprachPerry Rhodan sanft und strich über Guckystränenfeuchtes Wangenfell. »Du kannstüberhaupt nichts dafür, red dir das bloß nichtein. Es wäre vermutlich ohnehin schon zu

spät gewesen.«Gucky wischte über seine großen, sanften

dunklen Augen und setzte sich auf.»Er kann einfach nicht tot sein, Perry!«

sagte er heftig. »Wir dürfen die Hoffnungnicht aufgeben, daß er doch irgendwo lebt,möglicherweise in einer anderen Dimensionoder Zeitebene oder was auch immer!«

Rhodan nickte. »Ich glaube auch nichtdaran, Gucky. Solange ich Bullys Leichenicht mit eigenen Augen gesehen und identi-fiziert habe, werde ich seinen Tod nicht ak-zeptieren. Aber selbst wenn er sich noch inunserer Zeitebene befinden sollte – wo sol-len wir ihn suchen?«

»Ich weiß es nicht«, gestand der Ilt. »Ichweiß nur, daß er damals, als ich verschollenwar und für tot gegolten hatte, an derGroßen Leere zurückbleiben und mich su-chen wollte. Und ich werde nun dasselbe fürihn tun!«

»Selbstverständlich«, sagte Rhodan leise.»Ich weiß, daß du das tun mußt.« Er standauf und hielt dem Mausbiber die Hand hin.»Wenn du dich wieder in der Lage dazufühlst, sollten wir in die Kommandozentralespringen und Pläne schmieden.«

»Ich bin bereit«, behauptete Gucky.Für eine Sekunde sträubte noch einmal

ein Schauer sein Fell, und seine Augenflackerten kurz. Dann aber ergriff er festPerry Rhodans Hand, und sie entmateriali-sierten.

*

In der Zentrale herrschte eine gedrückteStimmung. Auf vielen Schiffen sah es be-stimmt nicht anders aus; Unglauben, Bestür-zung lag auf vielen Gesichtern.

Alaska Saedelaere, Mila und Nadja Van-demar sowie Myles Kantor waren ebenfallsin der Zentrale, Sie hatten geduldig auf Per-ry Rhodans und Guckys Rückkehr gewartet.

Der ehemalige Maskenträger musterte denIlt eindringlich. »Alles in Ordnung?« fragteer leise.

Gucky nickte. »Ich habe den Schock

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überwunden, Alaska. Jetzt werden wir unsüberlegen, was wir tun können.«

»Sowohl Gucky als auch ich glaubennicht, daß Reginald und die anderen Besat-zungsmitglieder der GRIBBON tatsächlichtot sind«, begann Perry Rhodan. »Die Auflö-sung kann ich nicht als endgültigen Tod ak-zeptieren, solange ich keinen Beweis dafürerhalten habe. Für die Aufstellung solcherTheorien bist allerdings du verantwortlich,Myles.«

»Ich arbeite bereits daran«, behauptete derWissenschaftler und blies die unvermeidli-che Haarsträhne aus der Stirn.

»Meine Aufgabe ist es hingegen, eineSpur zu finden und aufzunehmen«, fuhrRhodan fort. »Wo aber sollen wir anfangen?Diese ganze Aktion, vom ersten Aufbau derBasare in der Milchstraße bis hin zu den der-zeitigen Geschehnissen hier in Hirdobaan,hat den unbekannten Initiator sehr viel Auf-wand, Zeit und Material gekostet.«

»Den oder die Initiatoren«, korrigierteMila. »Ich glaube nicht, daß da ein einzelnerdahintersteckt.«

»Bisher weisen alle Hinweise auf einengroßen Unbekannten namens Gomasch End-redde«, gab Kantor zu bedenken.

»Über den wir nichts außer dem Namenwissen«, untermauerte Mila ihre Überzeu-gung. »Der Name ist eine Legende, nichtsweiter. Er kann alles und nichts bedeuten.«

»Die vorherrschende Frage lautet jetztdoch nicht, mit wie vielen Gegnern wir unsauseinandersetzen müssen«, warf Nadja ein.Sie schien sich über Milas pedantische Artzu ärgern. »Damit können wir uns befassen,wenn es konkrete Ansatzpunkte für eineAuseinandersetzung gibt. Im Augenblickwissen wir doch nicht einmal, um was eshier geht – und was mit unseren Freundengeschehen ist!«

»Zumindest steht eines fest: Die Hama-mesch haben ursächlich nichts damit zutun«, sagte Alaska ruhig.

Rhodan nickte. »Die Hamamesch erschei-nen mehr und mehr als Hilfskräfte, die überden Sinn ihres Tuns nicht im geringsten Be-

scheid wissen. Dafür spricht vor allem dieTatsache, daß sie von Anfang an bis heutekeine Ahnung zu haben schienen, welcheWirkung ihre Waren auf uns Galaktiker aus-üben. Sie selbst sind immun gegenüber dempsionischen Reiz und nicht einmal in der La-ge, diese Strahlung zu messen. Sie schlugenihre Basare in der Milchstraße auf, um Han-del zu treiben, mehr wissen sie nicht. Sieschieben die Verantwortung auf die soge-nannten Maschtaren.« Perry Rhodan hob dieSchultern, bevor er weitersprach.

»Ferner besitzen die Hamamesch zwar je-de Menge hochentwickelte Technik, kon-struieren diese allerdings weder, noch sindsie in der Lage, Reparaturen beispielsweisean ihren Raumschiffantrieben selbst vorzu-nehmen. Sämtliche, sagen wir mal kompli-ziertere Technik ist versiegelt und wird denHamamesch per Containerwelt zur Verfü-gung gestellt. Wir wissen nicht, von wem.Ebensowenig wissen wir, was sich im galak-tischen Zentrum befindet. Der Gedanke liegtnatürlich nahe, daß sich dort alle Antwortenfinden, aber so leicht sollten wir es uns nichtmachen. Wir haben keine Ahnung, ob deroder die Initiatoren sich tatsächlich dort ver-bergen. Es wäre sinnlos, dort eine Suche an-zufangen, da wir nicht wissen, wo und nachwem – abgesehen davon, daß wir dazu nichthineinkönnen.«

»Wir müssen die Suche hier beginnen, ei-ne andere Wahl haben wir nicht. Außerdemsind unsere Freunde hier verschwunden«,meinte Alaska.

»Wir können Torresch noch einmal unter-suchen«, stimmte Rhodan zu. »Allerdings istdas mit einem gewissen Risiko verbunden,nachdem wir hier von etwa 2000 Fermyyd-Regenbogenschiffen umgeben sind.«

»Dieses Risiko sollten wir eingehen«, for-derte Myles. »Nachdem die Trichterbautenaktiv geworden und die Waren an die Fer-myyd ausgeliefert wurden, hat sich vielleichtetwas verändert, das für uns von Interessewäre.«

Saedelaere warf ein: »Was ist mit Roen-derveen?«

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Roenderveen. Der Name stand plötzlichbedeutungsschwer im Raum – obwohl fastnichts über ihn bekannt war.

Hinter Roenderveen verbarg sich ein omi-nöser Planet, dessen Koordinaten Gucky undAlaska Saedelaere während einer geheimenMission auf einem Fermyyd-Re-genbogenschiff in Erfahrung gebracht hat-ten. Der Ferm-Kommandant Zi-Guu-Yegg,von Gucky telepathisch belauscht, hatte dar-über nachgedacht, daß die Raumschiffe derFremden Hirdobaan noch große Problemebereiten würden.

Im Zusammenhang damit schien er ge-reizt auf eine Funknachricht zu warten, dieihn bei der Bewältigung dieser Probleme un-terstützen sollte: technische Anweisungenvom Planeten Roenderveen. Da nach Mei-nung des Ferm-Kommandanten nichts ge-schah, nahm er von sich aus Kontakt zu Ro-enderveen auf – erstaunlicherweise Richt-funkkontakt, wobei es Alaska gelang, denFunkcomputer anzuzapfen und die exaktenKoordinaten in Erfahrung zu bringen.

Was genau es mit diesem Planeten aufsich hatte, hatten die Freunde nicht in Erfah-rung bringen können.

»Ich glaube, daß wir da auf etwas sehrWichtiges gestoßen sind«, fügte der ehema-lige Maskenträger hinzu. »Der Ferm-Kommandant erhoffte sich schließlich vondort Hinweise, wie wir behandelt werdensollten – was auch immer darunter zu verste-hen ist!«

»Ich werde keinesfalls hier herumsitzenund abwarten«, bekräftigte Gucky. »Alaskaund ich sind ein sehr gut eingespieltes Team,außerdem haben wir uns bei den Fermyydschon einmal eingeschlichen. Und sei mirnicht böse, Myles, aber ich glaube nicht, daßauf Torresch etwas zu holen ist.«

Perry Rhodan dachte einige Zeit nach undnickte schließlich. »Machen wir es so: Du,Myles, suchst dir ein Team zusammen, dasauf Torresch jeden Stein umdreht, und ihrbeide fliegt los nach Roenderveen. Suchteuch Freiwillige und nehmt einen BASIS-Kreuzer. Laßt euch aber nicht zu lange Zeit,

wir wissen nicht, wie schnell sich die Lagehier ändern kann. Mit den 2000 Regenbo-genschiffen um uns herum kann es reichlichungemütlich werden. Wir werden hier Stel-lung beziehen und abwarten, zu welchen Er-gebnissen die Teams kommen. Einverstan-den?«

Alle nickten.Wenigstens, dachte Rhodan bei sich, we-

nigstens haben wir damit eine Aufgabe, dieuns ablenkt.

Die Zahl der Verluste der humanoidenImprint-süchtigen Galaktiker, die nunmehrschon jede Minute auf dieselbe mysteriöseWeise wie Reginald Bull und sein Team vonder GRIBBON verschwanden, hatte – alleanderen Containerplaneten im Schnitt mitge-rechnet, an denen bestimmt dasselbe gesch-ah – inzwischen eine schwindelnde Höhe er-reicht: eine Tragödie unbeschreiblichenAusmaßes.

*

»Sie hatten das erste Mal nichts dagegen,weshalb sollte sich das jetzt geändert ha-ben?« meinte Myles Kantor munter, wäh-rend er sich mit seinem Team auf den Wegzur Oberfläche von Torresch machte.

Perry Rhodan besaß zuviel Erfahrung, umauf solche logisch anmutenden Schlußfolge-rungen zu vertrauen. Für alle Fälle versetzteer die ATLANTIS, die CIMARRON und dieBASIS-Kreuzer in Alarmbereitschaft.

Gucky und Alaska hatten sich bereits ver-abschiedet und waren Richtung Roender-veen abgeflogen; mit ihnen reiste auchRhodans Hoffnung, daß sie mit Antworten –und vor allem gesund und so greifbar wiejetzt – zurückkehrten. Noch mehr Freundezu verlieren – dieser Gedanke war unerträg-lich.

Kantors Zuversicht sollte sich bewahrhei-ten: Als die Space-Jet direkten Kurs auf diePlanetenoberfläche nahm, ereignete sich garnichts. Die Fermyyd zeigten keinerlei Reak-tion, wie schon beim ersten Mal; es kamnicht einmal zum Funkkontakt.

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Es gab wohl auch nichts zu bewachenoder zu verteidigen, wie sich im Lauf derUntersuchung herausstellte. Sowohl dieTrichterbauten als auch die Südpolstationzeigten sich völlig unzugänglich. Terminals,die man hätte beeinflussen können, warennicht vorhanden.

In letzter Verzweiflung gingen die Galak-tiker daran, die versiegelten Maschinen undTransmitter aufzubrechen.

Dies wäre beinahe zur tödlichen Falle ge-worden, nur dank des Schutzes der SE-RUNS kam es nicht dazu.

Denn sobald ein Siegel aufgebrochenwurde, setzte nur wenige Sekunden späterein Selbstzerstörungsprozeß ein, der durchnichts aufgehalten werden konnte. Mit her-kömmlicher Hamamesch-Technik hatte dasnichts zu tun.

So viel Mühe sich die Wissenschaftlerauch geben mochten, und so viel Zeit siesich auch ließen, zeichnete sich mehr undmehr ab, daß es auf Torresch tatsächlich kei-ne Antworten geben würde.

Aber welche technologisch derart versier-te Macht, an der sich die Galaktiker die Zäh-ne ausbissen und die Köpfe einrannten,steckte dahinter?

5.Großalarm

Etwa ein halber Tag seit dem Verschwin-den und spurlosen Abwesenheit ReginaldBulls waren vergangen, als auf der CIMAR-RON etwas schier Unglaubliches geschah:

Der totgeglaubte Bull erschien urplötzlichwieder in seiner Kabine!

Der Syntron reagierte sofort und meldetediese mysteriöse Rückkehr Perry Rhodan.

Mit dem Terraner zusammen trafen kurzdarauf auch die Zwillingsschwestern ein, umsich mit eigenen Augen zu überzeugen.

Reginald Bull regte sich nicht, aber er at-mete ruhig und gleichmäßig. Er lag mit offe-nen Augen auf seinem Bett und reagierte aufkeine äußeren Reize, Perry Rhodan versuch-te mehrmals, ihn anzusprechen und eine Re-

aktion aus ihm herauszulocken, doch nichtsgeschah.

Der rothaarige Terraner antwortete weder,noch zeigte er auf sonst eine Weise, daß erbegriff, was um ihn herum vorging. Er warvöllig apathisch und abwesend, als wärezwar sein Körper unversehrt zurückgekehrt,nicht aber sein Geist.

Trotz dieses seltsamen Umstands hattesich die niedergedrückte Stimmung völliggewandelt – Reginald Bull war nicht tot, unddamit bestand auch für alle anderen ver-schwundenen Imprint-Süchtigen noch dieHoffnung, daß auch sie irgendwo lebten undvielleicht demnächst zurückkehrten.

Auch Indra Priatar Jonos, Fink Petticul,Belavere Siems, Dino Gonkers und FherllCheckert waren in ihren jeweiligen Kabinenaufgetaucht – der Ort, an dem sie sich zu-letzt befunden hatten. Zur selben Zeit wieBully übrigens. Wie auch Reginald Bull wa-ren sie völlig abwesend und reagierten aufkeinerlei Reize.

Myles Kantor kehrte eilig von Torreschzurück und stürzte sich zusammen mit Wis-senschaftlern und Medizinern in die Arbeit.

*

So intensiv die Teams sich auch um dieZurückgekehrten bemühten, konnten siedoch keine Erfolge erzielen.

Perry Rhodan schloß sich inzwischen mitden anderen Schiffen über Torresch kurz,aber das Phänomen schien sich nur auf dieSpäher von der GRIBBON auszuwirken –außer diesen sechs tauchten keine weiterenverschwundenen Süchtigen wieder auf.

Sämtliche Untersuchungen führten zudemselben frustrierenden Ergebnis – näm-lich keinem.

Anfänglich hatte es eine hitzige Debattedarüber gegeben, die sich in tiefer Trancebefindlichen Galaktiker auf die Medostationzu verlegen. Myles Kantor hatte sich heftigdagegen ausgesprochen; er wollte alles sobelassen, wie es seit dem Verschwinden ge-wesen war, um keine Spuren zu verwischen

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oder etwas Wichtiges zu übersehen. Da allesechs Personen bei guter Gesundheit warenund keinerlei plötzlich auftretende Kompli-kationen anzunehmen waren, konnte er sichschließlich durchsetzen.

»Sollte es Probleme geben, haben wir sieumgehend auf die Krankenstation verfrach-tet, und hier an Ort und Stelle können wirzunächst mit den Medorobots sehr gut Hilfeleisten. Ich will einfach nicht das Risiko ein-gehen, daß uns ein wichtiger Hinweis verlo-rengeht. Es muß doch einen Grund geben,warum sich alle sechs Personen auf einmalin ihre Kabinen zurückgezogen haben.«

»Inzwischen sind schon über eine MillionSüchtige verschwunden, und die hat es über-all erwischt«, warf ein Wissenschaftler ein.

»Aber Bull und die anderen sind keineSüchtigen gewesen, und sie haben sich auchvöllig anders verhalten«, widersprach Kan-tor. »Sie verbargen die Würfel vor uns undwaren kaum in der Lage, uns Bericht zu er-statten.«

»Wir sollten nicht ständig darüber debat-tieren, wohin wir unsere Freunde bringen«,mischte sich Mila gereizt ein. »Solange wirüberhaupt etwas herausfinden, spielt es dochgar keine Rolle, wo wir die Tests vorneh-men! Ich sehe auch kein Problem darin,wenn sich mehrere Teams auf alle sechs Pa-tienten verteilen, so können wir uns gegen-seitig nicht behindern oder beeinflussen.«

Nun konnten die Untersuchungen endlichbeginnen, die von anfänglicher Euphorierasch in Niedergeschlagenheit umschlugen.

Perry Rhodan blieb in der Kommando-zentrale der CIMARRON in ständiger Be-reitschaft; er hielt sich aus den Untersuchun-gen heraus, bezähmte jedoch nur mühsamseine Ungeduld. Er wußte nicht, was schlim-mer war: die Unsicherheit über Bulls mögli-chen Tod, nachdem er sich aufgelöst hatte,oder ihn nun lebend auf seinem Bett liegenzu sehen, völlig ohne Anteilnahme.

Abgesehen davon, daß er keine medizini-schen Geräte benötigte, die ihn am Leben er-hielten, unterschied sich sein Zustand nichtvon einem Koma.

Was war mit Bull geschehen? Wo hatte ersich nach seinem Verschwinden befunden?Weshalb kehrte er plötzlich wieder zurück?

*

Schließlich kam Myles Kantor in die Zen-trale und ließ sich in zorniger Frustration ineinen Sessel fallen.

»Ich kann meinen Bericht auf ein einzigesWort zusammenfassen«, sagte er. »Nichts.«

»Das ist mir doch etwas zuwenig«, meinteRhodan sarkastisch. »Berichte mir wenig-stens, was ihr getan habt.«

»Einige Wissenschaftler vertreten die An-sicht, daß unsere sechs Patienten für kurzeZeit im Hyperraum gewesen sind«, begannKantor.

»Wie soll das möglich sein, ohne techni-sche Geräte?« konterte Rhodan fast ärger-lich. »Bully hat doch keinen Transmitteroder etwas Ähnliches bei sich getragen!«

»Doch, er trug etwas bei sich«, sagte Kan-tor sanft. »Den Imprint-Würfel. Der Würfelist zwar zurückgeblieben, aber er ist völligentladen. Er hat irgendwas mit Bull ange-stellt; vielleicht ist er mit einer Art Trans-mitterfunktion ausgestattet.«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Kann ichmir nicht vorstellen.«

»Wie auch immer.« Myles hob die Händeund drehte die Handflächen nach außen.»Der Würfel hat etwas bewirkt, das BullysKörper entstofflichte und an einen anderenOrt versetzte – als eine Möglichkeit fällt unshier der Hyperraum ein. Mila und Nadja ha-ben sich besondere Mühe gegeben, abernichts Ungewöhnliches entdecken können.Die Mediziner scheiterten ebenso. Alle Kör-perfunktionen sind in Ordnung, wenngleichverlangsamt, aber das ist bei einem komatö-sen Zustand ganz normal. Es gibt keinenUnterschied zwischen Bull und den anderen,der Zellaktivator übt keinen Einfluß daraufaus. Aber die Werte der Organe sind ausge-zeichnet, so daß sie keinerlei technische Un-terstützung benötigen. Die Muskelreflexesind deutlich verlangsamt, die Schmerzemp-

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findlichkeit stark herabgesetzt, aber die Syn-apsenverbindungen arbeiten einwandfrei.«

Myles machte eine Pause, um RhodanZeit zum Nachdenken zu lassen.

»Und das Gehirn?« fragte der Terranerschließlich langsam.

Kantor hob die Schultern. »Das Gehirnsitzt dort, wo es hingehört – im Kopf. Esgibt dem Körper die richtigen Befehle, amLeben zu bleiben. Es gibt keinerlei Grundzur Beunruhigung, die Gehirntätigkeit istvollkommen normal.«

»Normal?«»Normal, tja. Vom physischen Zustand

aus gesehen. Probleme bereitet uns nur dasBewußtsein.«

Der Wissenschaftler machte erneut eineKunstpause.

Auf Rhodans Stirn bildete sich eine tiefeFurche, aber er sagte nichts.

Myles fuhr fort: »Man könnte es etwa sosagen: Unsere Patienten liegen im Tief-schlaf, wie kurz nach einer REM-Phase. Sieträumen nicht, die denken nicht, noch neh-men sie etwas aus ihrer Umgebung wahr.Wir können sie nicht aufwecken oder aufsonst eine Weise mit ihnen in Kontakt tre-ten. Wir haben es mit allen möglichen tech-nischen Tricks versucht, aber sie sind ein-fach weggetreten. Verglichen mit einemSchiff laufen nur noch die Lebenserhal-tungssysteme, alles andere ist abgeschaltet.«

»Der Schlaf ist der kleine Bruder des To-des«, murmelte Rhodan.

»Hm. Es ist eine Art Tod, ja. An derarti-gen Rätseln scheitern wir auch noch imfünften Jahrtausend.«

»Besteht … besteht die Wahrscheinlich-keit, daß sie … nie wieder aus diesem koma-tösen Zustand erwachen?«

»Ja. Leider, Perry. Es ist nicht nur so, daßsie sich uns nicht mitteilen können, sie be-kommen es überhaupt nicht mit, daß wir mitihnen reden.«

Myles Kantor stand auf. »Ich muß zu denanderen zurück. Ich melde mich wieder.«Hastig verließ er die Zentrale, um Rhodanallein zu lassen.

Der unsterbliche Terrarier starrte einigeZeit auf die kleinen Holos, die verschiedeneAusschnitte des Schiffes innerhalb und au-ßerhalb im Raum zeigten.

Großer Gott, Bully, dachte er. Wo auchimmer dein Geist weilen mag, er muß unbe-dingt zurückkehren.

Er hob den Kopf und starrte zur Decke,als könnte er dort irgendwo den Punkt ent-decken, an dem sich Reginald Bulls Be-wußtsein befand, um es einzufangen und zusich herunterzuziehen.

»Perry!« erscholl plötzlich Myles Kantorshektische Stimme aus dem Bordfunk in sei-ne Gedanken hinein, und er schreckte hoch,aber nur für eine Sekunde. Dann hatte ersich sofort auf die veränderte Situation ein-gestellt.

»Probleme?« fragte er knapp.Das Holo zeigte Kantors aufgelöstes, von

heillos verwirrten Haaren umkränztes Ge-sicht.

»Allerdings!« stieß er mit durch die Auf-regung verursachter unnatürlich hoher Stim-me hervor. »Sie sind wieder weg!«

*

Vor den Augen der Wissenschaftler warBull auf einmal wieder verschwunden – ge-nau nach Ablauf von 13.01 Stunden, wie derSyntron errechnet hatte. Auch die übrigenGRIBBON-Besatzungsmitglieder ver-schwanden spurlos.

Nach dem ersten Schrecken erholten sichdie Galaktiker jedoch schnell; die Chancen,daß Bull und sein Team ein zweites Mal auf-tauchten, standen gut.

Um so drängender aber stellte sich dieFrage:

Wer steckte dahinter?Eine Vermutung hatte Myles Kantor

schon indirekt geäußert, als er Perry gegen-über das Abzapfen von Energie oder ähnli-chem der verschwundenen Personen imHyperraum erwähnt hatte.

Diese Äußerung bildete den Ausgangs-punkt für eine Fülle von Spekulationen, die

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wild die Runde machten; die Galaktiker ver-suchten sich gegenseitig darin zu übertref-fen.

Der erste sprach von interstellaren Seelen-dieben, der nächste von fünfdimensionalenSklavenmeistern, und so ging es weiter vonübergeschnappten Kerkermeistern bis hin zuSuperintelligenzen.

Der Fantasie waren keine Grenzen ge-setzt, alle Möglichkeiten wurden ausgiebigerörtert, diskutiert und anschließend verwor-fen.

Perry Rhodan hörte diesen Berichten ge-duldig zu, auch er konnte sich für keine Ideeerwärmen. Seiner Ansicht nach hatte diesesganze Geschehen einen banalen Hinter-grund, der nur deswegen so mysteriös er-schien, weil die Galaktiker auf eine ihnenvöllig unbekannte Technik gestoßen waren.

Dies fing bei den ersten Imprint-Warenan, ging weiter zu den Würfeln bis hin zuden Trichterbauten und Transmittern derContainerwelten wie Torresch. Diese Trans-mitter arbeiteten auf einer Frequenz, die vonden Galaktikern bisher nie benutzt wordenwar, weil ihre Technik auf ganz anderenFrequenzen arbeitete. Beim derzeitigen tech-nischen Stand hätte für die Galaktiker eineNutzung dieser Frequenz überhaupt keinenSinn.

Diese fremde Technik zu ergründen, be-saß daher oberste Priorität. Damit konntenvermutlich nicht nur Bull und seine Gefähr-ten aus diesem seltsamen Zustand erlöst,sondern auch die Initiatoren gefunden wer-den.

Da es auf Torresch offensichtlich keineMöglichkeit gab, hinter dieses Geheimnis zukommen, lagen im Augenblick alle Hoff-nungen auf Gucky und Alaska Saedelaere.

6.Fermyyd-Zentrum: Roenderveen

»Wir haben die Koordinaten im Omge-noch-Oktanten erreicht«, meldete der Kom-mandant des BASIS-Kreuzers. »Dort befin-det sich eine blaue Riesensonne mit 24 Pla-

neten. Ist euch die genaue Position von Ro-enderveen bekannt?«

Sowohl Alaska als auch Gucky mußtenverneinen.

»Wir werden auch so sicher Hinweise fin-den«, tröstete der Kommandant.

Das System schien ein wichtiger Handels-knotenpunkt zu sein, denn es wimmelte nurso von Hamamesch-Raumern und den ofthalb schrottreifen Frachtern der ebenfallshandelstüchtigen Nischdrich, zwischen de-nen die skurrilen kleinen Schiffe der Sour-vants hin und her flitzten. Es fanden sichebenso Schiffe der insektoiden Stuuhr, dieden Hamamesch wohl neu aufgebrachte loh-nenswerte Handelsziele verkaufen wollten,sowie die zusammengepreßten Werkzeugenähnlichen Flitzer der Stelzmakalies, die vorallem mit den Reparaturen der Nischdrich-Frachter gute Geschäfte machten. Zuletztfanden sich natürlich auch die unvermeidli-chen schwarzen Stäbe der Patruskee, die viaBordfunk, egal ob erwünscht oder uner-wünscht, über die Allmacht der SilbernenGottheit im Zentrum des Universums pre-digten, welche die Geschicke aller Lebewe-sen lenkte und alle die Glücklichen, die end-lich in sich horchten und die Botschaft ver-standen, zu sich holte.

In diesem bunten Durcheinander fielendie Galaktiker mit ihrem Kreuzer überhauptnicht auf; sie konnten sich ungehindert undunbeachtet durch das System bewegen undjeden Planeten in aller Ruhe überprüfen.

Einzige Behinderung stellte das unaufhör-liche Geschwätz der Patruskee dar, das sichungebeten in jede Funkfrequenz hineindrän-gelte, sobald sie geöffnet wurde. Anfangslöste es eine Menge Heiterkeit aus, doch mitder Zeit fing es an, gewaltig auf die Nervenzu gehen.

Es blieb nichts anderes übrig, als das Ge-quake einfach zu ignorieren; die Predigervon Hirdobaan schienen ohnehin keine Ant-wort zu erwarten. Sie überließen es jedemselbst, zum »wahren Glauben« zu finden,und gaben dabei nur Hilfestellung.

Schließlich erreichte der Kreuzer den in-

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nersten Planeten – und der war von 400 Re-genbogenschiffen der Fermyyd abgeriegelt.

»Volltreffer«, murmelte Alaska.»Sieht ganz danach aus«, stimmte der

marsianische Kommandant und Erste PilotSandor Fejk zu. »Die Koordinaten des Sy-stems stimmen, und dieser Planet hat einenSonderstatus. Sollte einer genauen Untersu-chung wert sein.«

»Aber wir sollten keinesfalls näher range-hen«, warnte Gucky. »Wir dürfen die Fer-myyd nicht auf uns aufmerksam machen.Auch wenn sie sich bei Torresch nicht umuns gekümmert haben, wird das hier nichtder Fall sein. Umsonst riegeln sie nicht mitso vielen Schiffen einen einzigen Planetenab.«

»Hast du schon etwas herausfinden kön-nen?« wollte Alaska wissen.

Der Ilt schüttelte den Kopf. »Ich espere,wenn wir dort sind. Jetzt sind wir zu weitweg, und ich will mich nicht unnötig veraus-gaben.«

»Dann stellt sich nur noch die Frage, wiewir da hinunterkommen«, meinte Hagen Fe-jk, Sandor Fejks Bruder, ein Hanse-Spe-zialist. »Damit das von vornherein klar ist:Ich gehe mit.«

»Ich komme ebenfalls mit«, bekräftigtedie Technikerin Felia Horn, eine hochge-wachsene, durchtrainierte Freizeit-Athletin.

»Und der Dritte im Bunde bin ich«, mein-te Ralf Barjom, ein ausgezeichneter Pilot,der von seiner übergewichtigen Statur herjedoch eher weniger für derartige Komman-dounternehmen geeignet war. Aber er bilde-te mit Felia Horn ein unzertrennliches Ge-spann und war daher überall dort, wo auchsie anzutreffen war.

Gucky, der das schnell mitbekommen hat-te, zeigte grinsend seinen Nagezahn.

»Das habt ihr euch wohl schon vor Antrittder Reise überlegt und euch deswegen dieganze Zeit hier in der Zentrale herumgetrie-ben«, lästerte er. »Mir soll's recht sein, je-denfalls haben wir damit unser Team bei-sammen. Zu viele sollten nicht ihr Unwesendort unten treiben, sonst fallen wir zu

schnell auf. Zu fünft haben wir eine guteChance, einiges herauszufinden.«

Alaska stimmte zu. »Holt eure SERUNSund soviel technische Ausrüstung wie mög-lich, achtet aber darauf, daß die Bewegungs-freiheit nicht eingeschränkt ist. Wir werdenuns zunächst mit einer Space-Jet von demKreuzer absetzen. Irgendeinen Weg wird esschon geben, uns hindurchzuschmuggeln.Sandor, du hältst mit dem Rest der Mann-schaft die Stellung. Funkt uns auf keinenFall an, was auch geschehen mag – selbstwenn ihr verschwinden müßt. Wir meldenuns, sobald es möglich ist.«

»In Ordnung«, nickte Sandor Fejk undfügte hinzu: »Paßt auf euch auf!«

*

Kurze Zeit später entfernte die kleine Jetsich rasch von dem BASIS-Kreuzer undmischte sich unter das Wirrwarr der vielenverschiedenen Schiffe, die hier herumkreuz-ten.

Ralf Barjom, der die Jet flog, fing alleFunksprüche ab, auch die oberflächlich völ-lig belanglos erscheinenden, und ließ sie vonder Syntronik auf wichtige Informationendurchfiltern.

In dem Aufgebot der Fermyyd-Schiffezeigte sich keine Ortungslücke, und es wardavon auszugehen, daß sie auch ein so klei-nes Schiff ohne Grund nicht einfach hin-durchlassen würden.

»Ich bin ja mal gespannt, was es da untenso Wichtiges gibt, das ein derartiges Aufge-bot verlangt«, meinte Felia Horn und deuteteauf das Holo, das die Phalanx der Regenbo-genschiffe zeigte.

»Nicht das, was wir uns wünschen«, mur-melte Gucky.

Unwillkürlich sträubte sich sein Nacken-fell, und er fuhr zusammen, als er eine sanfteHand darüberstreichen spürte.

»Gräme dich nicht, es wird bestimmt alleswieder gut«, sagte die Technikerin aufmun-ternd. »Ich habe die Hoffnung auch nie auf-gegeben«, fügte sie augenzwinkernd und in

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Ralf Barjoms Richtung nickend hinzu.»Das habe ich genau gehört!« blaffte er,

seine grünen Augen funkelten. »Früher warich zwei Meter groß…«

»… und heute bist du zwei Meter breit,nur durch meine Schuld, ja, ja«, setzte Feliaden Satz grinsend fort.

Derartige Kabbeleien waren bei dem un-gleichen Paar an der Tagesordnung und un-terstrichen nur ihr gutes Verhältnis.

Diese kurze Szene machte Gucky dasHerz noch schwerer, sie erinnerte ihn allzu-sehr an die liebgewohnten Frotzeleien mitReginald Bull. Aber er riß sich zusammen;wie eine schlappe Mohrrübe herumzuhängenhalf niemandem, am wenigsten ihm selbstund schon gar nicht seinem besten Freund.

Als er aufsah, begegnete er Alaskas ruhi-gen, dunklen Augen, in denen zumeist einseltsames Glimmen lag, das selbst er nieganz ergründen konnte. Der ehemalige Mas-kenträger lächelte leicht und deutete auf dasHolo.

An die Arbeit, sollte das heißen.Einige Zeit kurvte die Jet zwischen den

anderen Schiffen herum, ohne sich dem ab-geriegelten Planeten zu nähern. Jetzt mußtendie Galaktiker einfach Geduld zeigen, denndas oberste Gebot hieß: nur nicht auffallen.

Im Funkverkehr tat sich auch eine Weilenichts, bis Ralf Barjoms Gesicht sich plötz-lich aufhellte. Leise vor sich hin schmun-zelnd nahm er eine Kurskorrektur vor unddeutete schließlich auf den holografischenAusschnitt des Weltraums vor der Jet.

»Hier wird sich gleich ein Chaotenkreuzerder Stelzmakalies auf den Weg gen Roen-derveen machen. Ein Reparaturtrupp mit un-gewöhnlichem Werkzeug ist vonnöten – zu-mindest behaupten das unsere Freunde, dieFermyyd. Um was genau es sich bei dem de-fekten Teil handelt, haben sie leider nichtgesagt. Doch das braucht uns momentannicht zu interessieren, wichtig ist nur, daßwir endlich eine Passage gefunden haben!«

»Wie stellst du dir das vor?« wollte Ha-gen Fejk wissen.

»Ganz einfach: Diese Raumschiffe sehen

so skurril aus, da fällt es doch gar nicht auf,wenn man sich anhängt …«

»Aber die Stelzmakalies …«, warf FeliaHorn ein.

»… werden das ebenfalls nicht merken«,unterbrach Ralf Barjom seine Lebensgefähr-tin vergnügt. »Sie überwachen weder denRaum, noch kümmefn sie sich sonderlichum den Funkkontakt; die Fermyyd haben siemehrmals angefunkt, bis sie sich endlich an-gesprochen fühlten und reagierten.«

»Da bin ich ja gespannt«, war Guckysehrliche Meinung dazu. Er beobachtete dieweiteren Vorgänge ebenso aufmerksam undschweigend wie Alaska Saedelaere.

Ralf Barjom war die Ruhe selbst, wäh-rend er die Jet geschickt zwischen demStelzmakalies-Verband hindurchmanövrierteund sich dem anvisierten Kreuzer näherte.

Wie er es vorausgesagt hatte, schertensich die Stelzmakalies einen Dreck um das,was um sie herum geschah.

Sie waren seltsame Wesen von amorpherGestalt, mit einem an sich kleinen Grund-körper, der sich jedoch mit der entsprechen-den Ausrüstung – Werkzeugen, Haken, Sch-lingen und Ösen – zu erstaunlicher Größeund Funktionstüchtigkeit entwickeln konnte.

Auf den ersten Blick wirkte ein Stelzma-kalie durch die vielen an sich haftenden ver-schiedenen Werkzeuge und Hilfsmittel solächerlich wie ein verkehrt zusammenge-setzter Roboter. Das störte die amorphenWesen jedoch nicht im geringsten; sie wuß-ten genau, daß sie durch diese ungewöhnli-chen Fähigkeiten als Reparaturtruppe überallin Hirdobaan heiß begehrt waren.

Die Kultur und der Heimatplanet derStelzmakalies waren den Galaktikern weit-gehend unbekannt; sie erzählten nie etwasüber sich und erwachten erst dann zu richti-gem Leben, wenn sie etwas zusammensetz-ten oder reparierten. Ansonsten zeigten siesich weder gesellig noch an etwas außer anMaschinen und Geräten interessiert. Es warnicht einmal bekannt, ob sie im Ernstfallüberhaupt in der Lage waren, sich und ihreSchiffe zu verteidigen.

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Das war für die Späher in der Space-Jetein Glück. Ralf Barjom vertraute auf die we-nigen Informationen, die er über die Stelz-makalies besaß, und ansonsten auf seinGlück.

»Nicht umsonst«, behauptete er, »werdendie Makalies gerade jetzt benötigt. Das istgenau unsere Chance.«

Und tatsächlich klappte es auch: DieSpace-Jet tastete sich immer näher an daseher als Vehikel zu bezeichnende Raum-schiff der Stelzmakalies heran und»versteckte« sich dann zwischen zwei wiestachlige Wehrtürme aufragenden Aufbau-ten in der Heckregion, paßte sich der Ge-schwindigkeit an und flog praktisch imHuckepack-Verfahren mit.

»Das gibt's doch nicht«, flüsterte Guckyfassungslos, als Reparaturschiff und Jetdurch eine Lücke in der Tabuzone RichtungRoenderveen hindurchgeschleust wurden.

Der Ilt suchte nach den Gedanken der sichin der Nähe befindlichen Fermyyd.

Die Gedanken der gewaltigen, aufgerich-tet bis zu drei Meter messenden Pantherwe-sen waren sehr fremd, aber Gucky besaßdurch jahrtausendelange Erfahrung genugÜbung, um sich schnell hineinzufinden. Kei-ner der Fermyyd, den er telepathisch erfaßte,dachte an die Galaktiker oder hatte bemerkt,daß sich ein ungebetener Gast mit dem Re-paraturtrupp einschlich.

»Ich kann dir sagen, woran das liegt«,sagte Alaska Saedelaere plötzlich in GuckysKonzentration hinein.

»Kannst du jetzt auch Gedanken lesen?«brummte der Mausbiber.

»Aus deiner Miene läßt sich leicht heraus-lesen, was du denkst«, meinte der ehemaligeMaskenträger lächelnd. »Ich kenne dichschließlich lange genug. Aber um auf dieFermyyd zurückzukommen: Sie erwartenkeine Spione, deshalb sind sie auch nicht be-sonders wachsam. In Hirdobaan hat es seitdem Friedensschluß vor 1200 Jahren keinenrichtigen Krieg mehr gegeben. Die jeweili-gen Handelsfürsten der Oktanten tragen ihreFehden auf wirtschaftlicher Basis aus. An

Aggressoren denkt hier keiner mehr, nichteinmal von außerhalb dieser Galaxis. Daszeigt sich überall, wo wir bisher auch hinge-kommen sind. Wir werden zwar nicht direktherzlich begrüßt, aber es hat auch niemandirgendwelche Vorbehalte gegen unseren …Besuch. Wenn ich mir vorstelle, daß ein sol-ches Aufgebot mit über 11.000 Schiffenplötzlich über Terra erscheinen würde – mirjedenfalls würde dabei ziemlich mulmig zu-mute!«

»Aber wenn sie so naiv sind, wie sie unsglauben machen, verstehe ich dieses Aufge-bot hier nicht! Weshalb riegeln sie diesenPlaneten derart ab?« wollte Felia Horn wis-sen.

»Um die Neugier der Handelsfürsten imZaum zu halten«, antwortete Alaska. »Wieim galaktischen Zentrum auch muß es hieretwas geben, das für Außenstehende nichtzugänglich sein soll. Diese undurchdringli-che Sperrzone bringt die Hamamesch offen-sichtlich gar nicht erst auf den Gedanken,sich hier mal umzusehen. Diese Massenan-sammlung der allseits gefürchteten Fermyydgenügt, so daß eine ständige Alarmbereit-schaft nicht erforderlich ist.«

»Deshalb müssen wir erst recht allergröß-te Vorsicht walten lassen«, mahnte Gucky.»Wir gehen davon aus, daß diese Sperrzonesozusagen immer besteht, aber das mußnicht sein – vielleicht liegt der Grund derAbriegelung doch in unserer Anwesenheit!«

»He, wir sind Profis«, ließ sich Ralf Bar-jom von seinem Kommandopult vernehmen.

Hagen Fejk grinste Gucky an. »Oder hastdu etwas anderes erwartet?«

Dem Ilt gelang ein Lächeln. »Dann be-weist mal euer Können«, forderte er die dreiauf.

*

Auf den ersten Blick bot Roenderveen ausdem Orbit gesehen nichts Aufregendes. DerPlanet selbst war trocken und öde, gewalti-ge, bis zu fünfzehntausend Meter hohe Ge-birgszüge teilten ihn in vier fast gleich große

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Abschnitte.In der dünnen Sauerstoffatmosphäre hat-

ten sich niedere Pflanzen und kleine Insek-ten entwickeln können; mehr Leben war aufdiesem ansonsten unfruchtbaren und weitge-hend wasserlosen Erdboden nicht möglich.

Kleine Fabriken und zwei, drei größereWerften verteilten sich weitflächig über dasLand, zwischen denen jede Menge Beiboote,höchstens so groß wie die Space-Jet, hin-und herflogen.

»Das ist alles?« sagte Felia Horn ent-täuscht. »Das lohnt doch der Mühe nicht …«

»Wegen dieser paar Fabriken riegeln sieden Planeten bestimmt nicht mit 400 Schif-fen ab«, unterbrach sie Hagen. »Wir habennoch nicht alles überflogen. Also übe dichgefälligst in Geduld!«

In diesem Moment deutete Ralf Barjomaufgeregt vor sich: »Dort!«

Sie näherten sich inzwischen der Südpol-region, und dort tauchte tatsächlich etwasauf, das sofort das Interesse aller weckte.

Auf dem Holo zeigte sich ein riesiger,nicht so sehr hoher, aber in der Grundflächeweit ausladender Pyramidenbau, der im Zen-trum eines gewaltigen, stern- und kreuzför-mig miteinander verbundenen Gebäudekom-plexes mit Fabriken, Werften und so weiter-lag, der sich über eine Fläche von ziemlichgenau 71.000 Quadratkilometern erstreckte.Diesen beeindruckenden Komplex steuerteder Reparaturfrachter an.

Ralf Barjom wartete ab, bis der Stelzma-kalies-Frachter auf Sinkflug ging und scher-te dann kurz vor dem Ende des Gebirges,das sie gerade überflogen, aus.

»Falls sie überhaupt ihre Ortung beachten,werden sie gar nicht wissen, was sie orten,so schnell sind wir verschwunden«, behaup-tete er, während er in einer tiefen Schluchtzwischen zwei hohen Bergmassiven nachdem geeigneten Landeplatz suchte. »Aberich wage es trotzdem nicht, näher heranzu-gehen.«

»Mit den SERUNS werden wir schnelldort sein«, meinte Alaska, während er dieAusrüstung seines Anzugs überprüfte. »Wir

bewegen uns im Schutz der Deflektorschir-me. Jeder von euch hat die Aufgabe, sovielwie möglich über diesen Planeten in Erfah-rung zu bringen. Gucky und ich werden einTeam bilden, ihr drei das andere Team. Wirwerden gemeinsam zuerst den zentralen Py-ramidenbau anfliegen und uns dann vertei-len. Da ihre Ortungs- und Überwachungssy-steme bekanntermaßen nicht besonders gutsind, haben wir eine gute Chance, unent-deckt zu bleiben. Trotzdem unterlassen wirjeden Funkkontakt, außer bei Gefahr.«

Er musterte Hagen Fejk nachdenklich, deram meisten Ausrüstung von allen mit-schleppte. Um was genau es sich handelte,war nicht ersichtlich, da er alles in handli-chen kleinen Behältern verstaut hatte.

»Das brauchst du alles?« fragte Alaska.»Klar. Man muß auf alles gefaßt sein.

Wichtiges Hanse-Gesetz.«»So verfressen siehst du gar nicht aus«,

bemerkte Gucky.»Ist nur eine Notausrüstung, ganz ehr-

lich«, rechtfertigte sich der Hanse-Spezialist.»Na schön«, meinte Alaska achsel-

zuckend. »Du mußt damit zurechtkommen.«»Wann sollen wir uns wieder treffen?«

wollte Hagen Fejk ablenkend wissen.»Das entscheiden wir, bevor wir uns tren-

nen. Noch wissen wir ja nicht, was uns dorterwartet.«

*

Aus den Gedanken der Fermyyd konnteGucky schnell erkennen, daß es sich bei Ro-enderveen in erster Linie um ein technischesForschungs- und Trainingszentrum handelte.

Die zukünftigen Ferm-Kommandantengingen hier durch eine harte Schule, diewirklich nur die Besten überstehen konnten.

Schon die Vorauswahl stellte höchste An-sprüche: Bereits während des Heranwach-sens in den Generationenschiffen, den soge-nannten fliegenden Höhlen der Fermyyd,mußten die als rangnieder geltenden Spröß-linge ihre Eigenschaften und Fähigkeitenunter Beweis stellen.

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Nach einer sehr kurzen, spielerischenZeit, in der die ganz kleinen Fermyyd zu-nächst nur ihre Geschicklichkeit und Kör-perbeherrschung erlernen mußten, wurdensie, sobald sie fest auf ihren vier Beinen ste-hen konnten und das Kinderfell verloren hat-ten, in die Gemeinschaft eingegliedert. Dasbedeutete ständige Auseinandersetzungenund Rangkämpfe bis zu dem Tag, da dieEntscheidung über die zukünftige Aufgabefiel.

Die Begabtesten unter ihnen durftenschließlich nach Roenderveen, um hier zuFerm-Kommandanten ausgebildet zu wer-den.

Nachgiebigkeit war ein Fremdwort für diemächtigen, eleganten schwarzen Pantherwe-sen. Nach oben konnte nur, wer sich durch-zusetzen vermochte. So hielt sich die Zahlder Fermyyd konstant bei nur wenigen Mil-lionen, die durch ihre Langlebigkeit nur we-nige Nachkommen aufzogen.

Woher sie exakt kamen, wußten sie an-geblich selbst nicht. Sie waren Nomaden desWeltraums, die in Hirdobaan schon vor lan-ger Zeit so etwas wie eine Heimat gefundenhatten. Eine nüchterne Geschichtsschreibunggab es bei ihnen nicht, nur ausgeschmückteund von Generation zu Generation weiterge-gebene, mit der Zeit veränderte Legenden.

Eine Legende hatte sich in ihrer Grund-struktur erhalten, nämlich die Veränderungdes rein von Instinkten geleiteten Tieres zumIntelligenzwesen, das in der Lage war, dieihm übergebenen Regenbogenschiffe zu flie-gen. Die Erleuchtung war ihnen von der Sil-bernen Gottheit zuteil geworden, die ausdem Zentrum des Universums zu ihnen her-abgestiegen war, um den Fermyyd die hoheBestimmung zu geben.

Es war erstaunlich, welche Parallele sichhier zum Glauben der Patruskee ziehen ließ,die ja ebenfalls von der Silbernen Gottheitim Zentrum des Universums berichteten.Und bei den Patruskee wie bei den Fermyydwaren die Hinweise auf diese »Allmacht«sehr vage.

Sehr deutlich wurde dabei auch, daß die

hochentwickelte Technik von den Fermyydkaum selbst erfunden worden sein konnte.Ihre vierfingrigen, befellten Hände warenbei weitem nicht geschickt genug, um kom-plizierte Geräte zusammensetzen zu können;von ihrem typischen, aggressiven Verhaltenher hätten sie auch nie die Geduld und denentsprechenden Erfindergeist für jahrzehnte-lange, vergebliche Versuche aufbringenkönnen.

Den letzten Beweis lieferte Roenderveen.Hier gab es zwar Fabriken und Werften,aber was selbst produziert wurde, erreichtehöchstens den Status eines unterlichtschnel-len Gleiters. Die Überlichttriebwerke wur-den ebenso wie alle anderen versiegeltenGeräte auf Containerplaneten gewartet undnotfalls ersetzt.

Die Ausbildung der Kommandanten spiel-te auf diesem Planeten also die entscheiden-de Rolle; die Kandidaten mußten dazu jedeneinzelnen Abschnitt des platzmäßig sehrgroßzügig angelegten Komplexes erfolg-reich bewältigen.

Da die Fermyyd, wenn sie sich auf diehinteren zwei Beine aufrichteten, bis zu dreiMeter maßen, brauchten sie sehr viel Bewe-gungsfreiheit und Raum um sich herum. Siewaren nicht nur in ihrem Aussehen, sondernauch in ihrem Wesen den einzelgängeri-schen Großkatzen, die es einst auf Terra ge-geben hatte, sehr ähnlich.

Im Pyramidenbau befanden sich das größ-te Trainingszentrum, die Wohnbereiche unddie größte Werft von Roenderveen.

Die Gefährten konzentrierten sich nachkurzer Erkundung und Beratung zunächstausschließlich auf das Zentrum. Die beidenTeams trennten sich bald, um sich später amverabredeten Ort wiederzutreffen und Erfah-rungen auszutauschen.

Gucky und Alaska entschlossen sich, dieWerft näher in Augenschein zu nehmen,während die anderen sich im Trainingszen-trum umsehen wollten, um einen Hinweisauf die eigentlichen Drahtzieher zu finden.

Zi-Guu-Yegg hatte auf Anweisungen vonhier gewartet, also mußte es hier irgendwo

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jemanden geben, der verantwortlich für dasHandeln der Fermyyd war. Die Galaktikerhofften natürlich darauf, jemanden ausFleisch und Blut vorzufinden, und nicht et-wa wieder eine Box, wie sie anscheinend aufjedem Regenbogenschiff installiert war.

Diese Box, ein dunkelgrün lackierter Me-tallblock in der Größe von 1,3 auf 1,4 auf1,45 Metern Größe, befand sich auf einemniedrigen Sockel in der Mitte aller Regenbo-genschiffe. Dieser absolut glatte, stets kaltund daher funktionslos wirkende Metall-block war mit den Schiffssystemen verbun-den und erteilte seine Befehle über diese.

Woher die Befehle kamen, war unbe-kannt; die Fermyyd akzeptierten die Befehlevorbehaltlos. Die Box war schon immer dagewesen und bildete das Zentrum des Han-delns der Pantherwesen; ein Leben ohne siewar undenkbar.

Gucky und Alaska gingen davon aus, daßdie Box zumindest einen integrierten lei-stungsfähigen Hypersender und – empfängerbesitzen mußte, denn von irgendwoher muß-ten die Befehle schließlich übermittelt wer-den. Eine Möglichkeit war Roenderveen.

Ich weiß nicht, was ich hier erwartet ha-be, aber das ist doch recht wenig, dachteAlaska Saedelaere. Es wirkt alles so durch-sichtig, ganz ohne Geheimnisse. Anderer-seits muß sich hier so etwas wie eine Steuer-zentrale befinden, sonst hätte Zi-Guu-Yeggnicht so dringend die Befehle von hier gefor-dert. Hoffentlich finden wir in der Werft et-was, das die Abschottung dieses Planetenrechtfertigt.

Sie flogen im Schutz der Deflektorschildedurch die große, gläserne Verbindungsröhrezwischen Pyramide und Werft. SämtlicheBauten und Verbindungsröhren boten wegenihrer Größe einen imposanten Anblick, wa-ren aber völlig pragmatisch und ohne ästhe-tische Gesichtspunkte errichtet worden. DieVerbindungsröhren waren insofern hilfreich,da man in ihnen am schnellsten von einemZentrum zum anderen gelangen konnte, oh-ne in Atemnot zu geraten oder im Staub zuversinken.

Unter ihnen bewegten sich die meistenFermyyd ohne technische Hilfsmittel durchdas immerhin viele Kilometer lange, ver-zweigte Röhrensystem. Sie hatten solcheUnterstützung in der Regel anscheinendnicht nötig, denn sie konnten mit ihren vieroder sogar sechs Beinen, wenn sie die Hand-lungsarme noch zu Hilfe nahmen, eine be-achtliche Geschwindigkeit erreichen unddiese über Stunden hindurch beibehalten.

Diese Wesen stecken so voller Energie,daß sie sich wohl ständig irgendwie abrea-gieren und austoben müssen.

Alaska mußte dabei unwillkürlich anGucky denken, mit seinen kurzen Beinchenund seiner rundlichen Figur, die nicht mehrals einen Watschelgang gestattete.

Einen Moment paßte er nicht auf und sau-ste steil in die Höhe, als er einen heftigenRempler erhielt.

Es ist nicht gerade fein, in den Gedankenseiner Freunde herumzuspionieren, dachteer. Du solltest nicht beleidigt sein, schließ-lich bist du den Fermyyd haushoch überle-gen. Ich fand nur den Vergleich so komisch…

»Ich spioniere nicht!« hörte er ein wis-perndes Piepsen, kaum lauter als eine Maus,nahe an seinem Ohr. »Du denkst so laut!«

Ach so, dachte Alaska. Ich denke zu laut.Er verschluckte das Lachen, das aus ihmherauswollte.

Zufällig sah er dabei nach unten und be-merkte einen Fermyyd mit einem schillern-den Emblem auf seiner olivgrünen Uniform,der plötzlich stehenblieb und ruckartig denrunden Katzenschädel hob.

Er besaß mächtige Hauer, die bis zu denSchnurrhaaren hinaufreichten. Ein voll aus-gewachsener, in der Blüte seiner Jahre ste-hender, männlicher Fermyyd. Die hörnerar-tigen Fühler auf der Stirn zitterten, als erwitterte.

Er kann mich nicht bemerken, dachteAlaska. Ich habe keinen Ton von mir gege-ben. Oder hat er Gucky gehört? Das kanndoch nicht sein.

Er tastete in die Luft und erwischte Gucky

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am Arm. Komm schon, Kleiner. Verschwen-den wir keine Zeit. Er wollte keinesfalls dasMißtrauen des Fermyyd nähren.

Schnell flogen sie weiter; als Alaska ein-mal zurückschaute, war der Fermyyd ver-schwunden, vermutlich in einer Seitenröhre.

*

Sie erreichten die Werft ohne Zwischen-fälle.

Alaska wandte sich zunächst an eine For-schungseinrichtung, in der verschiedeneComputersysteme auf ihre Funktionstüchtig-keit getestet wurden.

In diesem Labor waren fast nur weiblicheFermyyd anwesend. Sie waren kleiner undschlanker als die Fermyyd-Männer, diehornartigen Fühler allerdings waren längerund ständig in Bewegung.

Es war bewundernswert, wie sehr die Fer-myyd in solchen Fällen ihre einzelgängeri-sche Art überwinden konnten. Der Sicher-heitsabstand zwischen den einzelnen Indivi-duen betrug bei längerem Zusammenseindennoch gut vier Meter.

Es schien kein Problem zu sein, sich inden Verbindungsröhren zu begegnen unddicht aneinander vorbeizulaufen; für kurzeZeit konnten hier sogar Berührungen Zu-standekommen. Als der Fermyyd in derRöhre stehengeblieben war und zu Alaskahinaufgewittert hatte, war dem ehemaligenMaskenträger jedoch aufgefallen, wie dieanderen Fermyyd ihm sofort auswichen undeinen großen Bogen um ihn machten.

Bewegung verdrängte die Aggression,Stillstand ließ sie hervorbrechen. Anschei-nend fiel es den Fermyyd-Frauen leichter,die Nähe anderer zu ertragen, sie zeigtensich auch weniger aggressiv.

Alaska und Gucky versteckten sich in ei-nem sich derzeit außer Betrieb befindlichenLuftkanal.

»Hoffen wir, daß ihre Arbeit sie ganz inAnspruch nimmt«, flüsterte Alaska.

»Sie befinden sich in der Welt der Wis-senschaft«, murmelte Gucky. »Sie würden

uns wahrscheinlich nicht einmal bemerken,wenn wir direkt neben ihnen stünden.«

»Ich weiß nicht … hast du vorhin in derRöhre den Fermyyd bemerkt?«

»Ja. Er hat mich irgendwie direkt angese-hen, wie eine Katze die Maus … brrr. Wiein diesem Fermyyd-Schiff … die Biesternehmen uns wahr.«

»Was hat er gedacht?«»Fast gar nichts. Er ließ sich von seinen

Instinkten leiten, oder er hatte sich sehr gutunter Kontrolle. Ich konnte Mißtrauen er-kennen, mehr aber auch nicht.«

Alaska stieß Gucky leicht an und deuteteauf die Fermyyd. Eine der Wissenschaftle-rinnen unterschritt plötzlich den Sicherheits-abstand zu einer anderen, sie zog dabeileicht den Kopf ein, und ihre Augen schlos-sen sich halb.

»Die Tests sind alle erfolgreich abge-schlossen«, berichtete sie der ranghöherenLeiterin des Teams. »Wir können mit derProduktion beginnen, Ta-Ruun-Varr.«

Die Leiterin hob den Kopf, fletschte dieüberaus beeindruckenden schneeweißenReißzähne und stieß ein heiseres Fauchenaus.

»Damit beginnt eine neue Ära«, verkün-dete sie laut. »Wir werden alle Regenbogen-schiffe damit bestücken, dadurch sind wirflexibler und schneller als vorher!«

Alle Anwesenden stießen ein begeistertesFauchen aus, das wohl dem menschlichenHändeklatschen nahekam.

»Wir haben bewiesen, daß sich auf Roen-derveen Verstand, Wissen und Kultur verei-nen!« fügte Ta-Ruun-Varr stolz hinzu.»Beendet die Tests, dann werden wir mit derneuen Reihe beginnen.«

»So hat die Menschheit wahrscheinlichempfunden, als die Elektrizität erfundenwurde«, murmelte Alaska.

»Sie sind sehr stolz auf das, was sie hierauf Roenderveen errichtet haben«, wisperteGucky. »Jeder von ihnen denkt alle paar Au-genblicke daran, das ist mir schon auf demFlug hierher aufgefallen. Hier befindet sichdas Zentrum ihres gesamten Wissens, ihrer

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Entwicklungen und vor allem ihres sozialenZusammenlebens. Auf uns mag das eher wieein Kindergarten wirken.«

»Mit unseren Verhältnissen verglichen, istes ja auch so«, meinte der ehemalige Mas-kenträger. »Aber immerhin zeigen die Fer-myyd so etwas wie Ehrgeiz, sogar in techni-scher Hinsicht. Sie mögen zwar von ihrenEigenschaften her nicht in der Lage sein, je-mals solche Systeme wie Syntrons oderÜberlichttriebwerke zu erfinden, aber im-merhin bauen sie selbst etwas zusammen!Ich denke, daß kein anderes Hirdobaan-Volküberhaupt diesen Ehrgeiz besitzt. Die Stelz-makalies wollen nur an vorhandenen Gerä-ten herumspielen, sie besitzen die Fähigkei-ten, fast alles wieder instandsetzen zu kön-nen. Aber selbst entwickeln? Nein! Die Ha-mamesch sind reine Händler, nur auf Ge-schäfte aus. Und die anderen Völker habenihre Fähigkeiten entsprechend darauf ausge-richtet. Ich finde es bewundernswert, daß dieFermyyd überhaupt solche Interessen besit-zen. Von ihrem Körperbau und ihrer aggres-siven Art her würde man sie eher als reinkriegerische Rasse einstufen. Ihre Händesind kaum dazu geeignet, sensible Geräte zubedienen. Deshalb treten sie auch als Ord-nungshüter auf, weil sie dazu am besten ge-eignet sind. Ihre Kampfkraft ist unübertrof-fen. Doch das hier«, er deutete auf das La-bor, »setzt eine Sensibilität voraus, die ichihnen niemals zugetraut hätte.«

»Nur bringt uns das Bully keinen Schrittnäher«, sagte Gucky leise und sehr traurig.

Alaska strich behutsam über seinenHandrücken. »He, Kleiner, wirf nicht gleichdie Flinte ins Korn«, versuchte er zu trösten.»Wir haben hier gerade einen Quadratkilo-meter von etwa 71.000 besichtigt. Es wirdhier noch eine Menge Dinge geben, die unsein paar Fragen beantworten. Die anderenwerden ebenfalls einiges in Erfahrung brin-gen.«

»Ich weiß, daß ich zu ungeduldig bin.Aber ich habe mir einfach mehr erwartet. –Warte!« Gucky legte auf einmal den Zeige-finger an die Lippen und deutete auf Ta-

Ruun-Varr. »Es kommt jemand mit einerwichtigen Nachricht zu ihr! Paß auf!«

Alaska sah, wie ein Fermyyd eilig in denTestraum kam.

»Du wirst gebraucht!« sagte er zu derChefwissenschaftlerin. »Wir sind jetzt so-weit, zu den entscheidenden Vorrichtungenvorzustoßen!«

»Habt ihr schon etwas in Erfahrung brin-gen können?« wollte Ta-Ruun-Varr wissen.

»Nein. Wir wollen nichts beschädigen,deshalb solltest du dich der weiteren Unter-suchung annehmen.«

Alaska sah Gucky an. »Die sollen etwasuntersuchen? Was?«

Der Ilt esperte, schüttelte dann jedoch denKopf. »Das geht mir zu wirr zu. Die Gedan-ken überschlagen sich. Aber wir sollten unsauf alle Fälle ansehen, was die Fermyyd der-art in Aufregung versetzt.«

Im Schutz ihrer Deflektorschilde folgtensie Ta-Ruun-Varr in gebührendem Abstand.

Sie wurden – von den Fermyyd unfreiwil-lig – über mehrere Verbindungsröhren zu ei-ner ins Freie geöffneten gewaltigen Hangar-halle geführt, die sich auf mehrere Docksverteilte.

Sowohl Alaska als auch Gucky stockteunwillkürlich der Atem, als sie sahen, aufwelche Docks Ta-Ruun-Varr zusteuerte undwas sich darin befand.

Es waren zwei Schiffe, deren Bauart es inganz Hirdobaan nicht gab.

Den Freunden aber war die Bauart dieserSchiffe nur allzu vertraut, ebenso wie sie dieNamen auf den Außenhüllen erkannten.

NEETA. BERKIA.Diese Schiffe, das war beiden anhand der

Aufzeichnungen bekannt, hatte Stomal Zy-staan mit sich geführt. Daß sie nun hier stan-den, lieferte den endgültigen Beweis, daß sieder Akonin nach dem Anflug auf Torreschabgenommen worden waren.

7.CIMARRON

Exakt 13.01 Stunden des Wartens vergin-

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gen.Es wurde durch die Tatsache verschlim-

mert, daß kein anderer, im Lauf der Zeit ver-schwundener Imprint-Süchtiger wieder zu-rückkehrte.

Was war bei den sechs von der GRIB-BON anders? Befanden sie sich möglicher-weise auch an einem anderen Ort?

Endlich war die Zeit vorüber.Auf die Sekunde genau tauchten alle wie-

der auf.Ihr Zustand hatte sich nicht verändert,

höchstens die Arm- und Beinlage war einwenig anders. Die Wissenschaftler bemüh-ten sich weiterhin intensiv um sie, wenn-gleich ohne Erfolg. Es verstrichen erneut13.01 Stunden, nach denen die Mitgliederdes GRIBBON-Teams wieder verschwan-den; alle gleichzeitig.

Einer der Wissenschaftler sprach von ei-nem Oszillationseffekt und bezeichnete Re-ginald Bull und seine Leidensgefährten alsPhasenspringer, und bei diesen Begriffenblieb es von da an.

Da auch weiterhin, zumindest nicht wäh-rend der Anwesenheit auf der CIMARRON,unmittelbare Lebensgefahr für die Phasen-springer bestanden hatte, reagierte niemandmehr aufgeregt, als sie das dritte Mal ver-schwanden.

Wie bei der ersten Untersuchung hatteman die oszillierenden Personen nicht ent-fernt, um möglicherweise doch Spuren zufinden, die bisher vielleicht übersehen wor-den waren.

Myles Kantor hatte ausdrücklich verbo-ten, etwas an den Phasenspringern zu verän-dern, solange nicht klar war, was mit ihnengeschah.

»Ich kapier's einfach nicht, Perry«, ge-stand Myles Kantor, während er sich er-schöpft in einen Sessel in Perry RhodansUnterkunft fallen ließ. »Sie sind da, dannsind sie wieder weg. Jede Wette, daß sienach genau 13.01 Stunden wieder auftau-chen. Und weiterhin – nichts. Wir habennoch keinen Weg gefunden, an sie heranzu-kommen. Sie sind leere Hüllen – nein, das

stimmt nicht ganz«, verbesserte er sichselbst sofort. »Ihre Gehirne arbeiten, abernicht so, wie sie sollten. Außer den Lebens-funktionen können wir nichts anmessen.«

Rhodan stützte das Kinn in die rechteHand und rieb mit dem Zeigefinger über diekleine, fast unsichtbare Narbe an seinem Na-senrücken.

»Diese ganze Sache ist äußerst merkwür-dig«, meinte er langsam. »Das Team von derGRIBBON ist bereits zweimal zurückge-kehrt, während sich von all den anderen Ga-laktikern, die sich aufgelöst haben, noch kei-ne Spur zeigt. Von inzwischen MillionenPersonen nicht ein einziger.«

»Ich glaube nicht, daß sie tot sind.«»Es ist trotzdem bedrückend«, fuhr Rho-

dan fort. »Wie können wir ihnen helfen,wenn wir nicht wissen, wo sie sind? Viel-leicht sind sie an einem ganz anderen Ort.Möglicherweise befinden sich nur unseresechs Phasenspringer während ihrer Abwe-senheit im Hyperraum. Es muß irgendwoeinen Unterschied geben!«

»Den gibt es«, behauptete Myles.»Zumindest auf den ersten Blick fällt mirsofort ein deutlicher Unterschied ein: UnserePhasenspringer bekamen nur den Hirdo-baan-Imprint.«

»Das ist eine ziemlich dünne Begründung,findest du nicht?« Rhodans graue Augenrichteten sich für einen Moment fast durch-bohrend auf den Wissenschaftler, bevor siewieder irgendwo in die Ferne abschweiften;wie immer, wenn er intensiv nachdachte.

Kantor hob die Schultern. »Dünn … zu-mindest ist es ein Anfang. Ich weiß nicht, obes etwas zu bedeuten hat. Aber wir habennichts sonst.«

»Mich beunruhigt dieses Verschwindenund Wiederkehren nach genauem Zeitsche-ma«, brummte der unsterbliche Terraner.»Noch dazu, da sich nichts zu verändernscheint. Wie lange mag das so weitergehen?Wie lange werden wir vergeblich versuchen,Kontakt zu ihnen aufzunehmen?«

»Ich habe keine Ahnung, Perry. Es gibt soviele Möglichkeiten. Es kann ewig so wei-

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tergehen, zumindest bei Bully, da er einenZellaktivator trägt. Es kann aber auch jetztbereits vorbei sein, daß sie diesmal für im-mer verschwunden sind. Oder sie kehren dasnächste Mal für immer zurück. Wir müsseneinfach einen Weg finden, sie aus der Tran-ce zu holen!«

»Vielleicht solltest du sie doch auf dieKrankenstation verlegen«, schlug PerryRhodan vor.

»Nein, auf gar keinen Fall«, lehnte derWissenschaftler strikt ab. »Solange ich nichtgenau weiß, was es mit diesem Effekt genauauf sich hat, werde ich nichts an ihnen ver-ändern, weder ihre Haltung noch ihren Auf-enthaltsort. Das ist mir viel zu riskant.«

»Aber weshalb?«»Weil es vielleicht nur einen bestimmten

Weg von hier aus gibt, der von dem Würfeleingestellt wurde. So wie beispielsweise einSchiffssyntron die Koordinaten von seinemAusgangspunkt aus berechnet. Nur eine win-zige Abweichung, und du kannst im Nie-mandsland herauskommen und dich heillosverirren. Stell dir mal vor, wenn die Phasen-springer irgendwohin geschleudert werden,von dem es kein Zurück mehr gibt, nur weilder Ausgangspunkt verändert wurde und da-mit die Koordinaten nicht mehr stimmen!Solange wir nicht wissen, womit wir es hierzu tun haben, werde ich keinesfalls in diesesPhänomen aktiv eingreifen! Die Bewegungdes Raumschiffs spielt ja keine Rolle.«

»So gesehen, hast du recht. Und wenndiese Phasen sich weiter wiederholen, habenwir später auch noch die Möglichkeit dazu.Bis jetzt sind sie ja erst zweimal zurückge-kommen, es ist alles viel zu neu und uner-wartet für uns«, nickte Rhodan. »Aber dieseWarterei macht mich rasend.«

»Mich erst«, seufzte Myles. »Und micherst.«

*

Kurz bevor die Zeitspanne abgelaufenwar, fand Myles Kantor sich wieder in Regi-nald Bulls Kabine ein. Die Wissenschaftler

hatten sich ein paar Stunden entspannt, ge-schlafen, etwas gegessen und sich in Ruheauf die neue Phase vorbereitet.

Es half nichts, sich ständig den Kopf überdieses Phänomen zu zerbrechen. Die Gefahr,sich in einer Sackgasse zu verrennen unddas womöglich Naheliegende zu übersehen,war viel zu groß.

Die Wissenschaftler begannen sofort nachder erneuten Rückkehr mit der Arbeit, denüblichen Tests, den Reaktionsversuchen.

Nach neun Stunden erhielt Myles Kantorplötzlich einen überraschenden Ruf: »Kommsofort in die Kabine der Jonos.«

Er fand ein völlig aufgelöstes Team in derKabine vor. Ein kurzer Blick auf die Ho-loaufzeichnungen zeigte ihm, was die Aufre-gung ausgelöst hatte:

Bei Indra Priatar Jonos zeigte sich einedeutliche Gehirntätigkeit!

Indra Priatar Jonos stammte von TabelingII, 2340 Lichtjahre von Terra entfernt. DieKolonisten lebten dort bereits in der 18. Ge-neration und waren dadurch sehr gut an dieungewöhnlichen Verhältnisse angepaßt. Derkleinste Wetterumschwung bedeutete gewal-tige Veränderungen, und dementsprechendhypersensibel reagierten die Menschen vonTabeling II auf ihre Umwelt.

Auch Indra mußte sich jederzeit schnellden Verhältnissen anpassen können, wassich beim Normalzustand außerhalb von Ta-beling II oftmals als sehr lästig herausstellte:Ständig gab es irgendeine Veränderung, aufdie sie geradezu allergisch reagierte, wassich meistens durch Frieren, Schwitzen oderspröde, graue Verfärbung der Augenliderausdrückte.

Möglicherweise war diese Hypersensibili-tät genau der Grund, weshalb Indra PriatarJonos als erste eine Gehirntätigkeit aufwies,ein langsames Erwachen aus dem komatö-sen Zustand. Sie gewöhnte sich also allmäh-lich an den veränderten Zustand und stelltesich darauf ein. Ab der neunten Stunde hat-ten sich diesmal erste Beweise gezeigt, daßdas Gehirn seine normale Tätigkeit allmäh-lich wieder aufnahm.

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Die restlichen vier Stunden vergingen inUngewissem, bangem Warten, ob man nochmit ihr Kontakt aufnehmen könnte, bevordie Frist abgelaufen war.

Leider kam es nicht soweit. Bevor IndraJonos aus der Trance erwachen konnte, ver-schwand sie zum vierten Mal.

Die Enttäuschung war groß, aber MylesKantor zeigte sich sehr zuversichtlich.

»Wenn es tatsächlich an ihrer ungewöhn-lichen Reaktions- und Anpassungsfähigkeitliegt, dann haben wir eine gute Chance, daßsich die Zeit zwischen der Rückkehr und derAufnahme der normalen Gehirntätigkeitnach jedem neuen Phasensprung zusehendsverkürzt«, verkündete er.

Er sollte recht behalten.Die Wissenschaftler konzentrierten sich

nun natürlich in erster Linie auf die Koloni-stin von Tabeling II; und es zeigte sich, daßdie Anpassung tatsächlich schneller voran-ging. Bereits in der vierten Phase zeigte sichder Beginn der Gehirntätigkeit schon nachsiebeneinhalb Stunden, und die Chancen,daß es in der fünften Phase nur noch sechsStunden sein würden, standen sehr gut.

Myles Kantor spekulierte, daß die verblei-benden sieben Stunden ausreichen würden,Indra Priatar Jonos das Bewußtsein wieder-erlangen zu lassen – möglicherweise war siedann sogar ansprechbar und konnte berich-ten, was ihr und ihren Gefährten stets aufsNeue widerfuhr.

Natürlich hielten sich die Wissenschaftlermit diesen Spekulationen zurück; sie warenzu oft genarrt worden, und alle Hoffnungenhingen an einem sehr dünnen Faden.

Aber wenigstens war es endlich ein An-fang, der erste Ansatz, das Rätsel zu lösen!

8.SIAMESE GIRL

Florence Bordemoore, die Kommandantindes Hospitalschiffs SIAMESE GIRL, dasebenfalls über Torresch schwebte, ging lang-sam in ihrer Kabine auf und ab und faßte fürihre persönlichen Aufzeichnungen die Ereig-

nisse der letzten Tage zusammen.An Bord befanden sich 4500 Süchtige –

und ebenso viele Würfel, die die Koniman-dantin jedoch nicht verteilt hatte.

Sie hatte sich bisher noch nicht dazu ent-schließen können, solange sie nicht die Ge-wißheit hatte, daß den Süchtigen nicht derTod bevorstand. Alle, die bisher einen Im-print-Würfel erhalten hatten, waren spurlosverschwunden. Florence Bordemoore hattejedoch keinen Sinn darin gesehen, die Süch-tigen monatelang zu versorgen, um sie danndoch dem Tod preiszugeben, und daher dieAusgabe der Würfel zunächst verboten.

Inzwischen untersuchten die immunenBlues-Wissenschaftler unter Ayolü Metüldie Würfel eingehend in einem streng abge-riegelten Labor.

Weder Florence Bordemoore noch ein an-derer Humanoider oder Nicht-Blues wagtesich in die Nähe der Imprint-Würfel, seit dasVerschwinden von Reginald Bull und denanderen von der GRIBBON bekannt gewor-den war.

Es war ein großer Schock für alle Nicht-Süchtigen gewesen, nicht gegen den zweitenImprint gefeit zu sein. Um so schneller muß-ten die Untersuchungen der gefährlichenWürfel vorangetrieben werden, damit amEnde nicht alle Galaktiker dieser furchtbarenSucht zum Opfer fielen und verschwanden –bis auf die immunen Blues.

Florence Bordemoore sah sich dadurch inihrer Meinung, mit der Verteilung der Im-print-Würf el zu warten, bestätigt.

Ayolü Metül und sein Team fanden tat-sächlich einiges heraus, wenngleich prinzi-piell nichts Neues. Aber das Ergebnis wardennoch beeindruckend: Auch die Würfelwiesen eine deutliche Imprint-Zacke auf,zwar auf einem geringfügig verschobenenpsionischen Band, aber deutlich vorhandenund vor allem – bei jedem Würfel – genau56,6 mal so stark wie die seinerzeit auf Titanangemessene Zacke jener in der Milchstraßeverteilten Waren!

Der Blues-Wissenschaftler vermutete, daßdurch die Vervielfachung des Imprint-Fak-

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tors der ungeheure psionische Reiz begrün-det lag, der zum Verschwinden führte.

Das half jedoch noch nicht den 4500Süchtigen, die verzweifelt auf eine Erlösungwarteten.

Florence Bordemoore rieb nervös ihreFinger aneinander, während sie mit der Auf-zeichnung fortfuhr. Noch jetzt überkam siedas Zittern, wenn sie an ihre weitere Hinhal-tetaktik dachte.

Die Süchtigen stellten ein ungeheuresLeidenspotential dar. Sie waren bereits sogeschwächt, daß sie nicht einmal mehr eineMeuterei versuchen konnten, um endlich andie ihnen versprochenen Imprint-Waren zukommen.

Die Kommandantin mußte sich selbst fra-gen, ob sie das moralische Recht hatte, dieseMenschen derart zu quälen und ihnen dieErlösung vorzuenthalten.

»Es spielt doch bald keine Rolle mehr«,hatte einer der Mediziner bitter gesagt undauf das Überwachungsholo einer Stationverwiesen. »Sie sterben ohnehin in wenigenTagen. Mangelnder Lebenswille führt beivielen zum Ausfall mehrerer Organe. Abervielleicht könnte man ihnen das Sterben er-leichtern und ihnen noch ein paar glücklicheMomente bescheren.«

Natürlich hatte er mit diesen Worten rechtgehabt, und die Verantwortung war fast un-erträglich schwer geworden.

Nein, so konnte es nicht weitergehen!Die Süchtigen hatten ein Anrecht auf die

Würfel. Lieber, wollte sie die Verantwor-tung für das Verschwinden und den Tod der4500 Leidenden übernehmen als für das lan-ge qualvolle Sterben, dem sie jetzt bereitszusehen mußte.

In dem Moment, da Florence Bordemooresich entschlossen hatte, mit der Verteilungzu beginnen, war die Nachricht von der CI-MARRON eingetroffen, daß Reginald Bullund die anderen fünf Besatzungsmitgliederder GRIBBON lebendig zurückgekehrt sei-en. Damit bestand schlagartig die Hoffnung,daß auch all die anderen Verschwundenennoch am Leben waren und womöglich zu-

rückkehren konnten.Die Kommandantin nahm sofort Kontakt

mit der CIMARRON auf, auf der sich PerryRhodan derzeit aufhielt, und teilte ihm mit,daß sie mit der Ausgabe der Würfel begin-nen würde. Der Terraner stimmte nach kurz-er Überlegung zu.

Gleichzeitig setzte Florence Bordemooresich mit Nuka Kullino von dem MedoschiffPARACELSUS in Verbindung, um ihm diebisherigen Ergebnisse und auch ihr Vorha-ben mitzuteilen.

»Ich hoffe, daß das unter Laborbedingun-gen geschieht!« rief Kullino.

»Deshalb rufe ich dich ja an«, versetztedie Kommandantin. »Möglicherweise findetAyolü Metül dabei etwas heraus, das wirendlich verwenden können. Ihr könnt euchmit uns kurzschließen; zwei Labors arbeitenbesser als eines.«

Bald darauf konnten die Würfel an die4500 Süchtigen verteilt werden. Der Groß-teil konnte die Würfel selbst in Empfangnehmen; die Wirkung setzte innerhalb weni-ger Minuten ein.

Die Süchtigen verteilten sich bald aufdem Schiff, auf der Suche nach ruhigen Plät-zen, um ihr Glück allein zu genießen. Diegroße Anspannung der letzten Monate löstesich in diesen kurzen Augenblicken in abso-lutes Wohlgefallen auf.

100 Süchtige allerdings konnten ihreWürfel nicht mehr selbst entgegennehmen,sie waren dem Tod bereits näher als dem Le-ben. 52 von ihnen konnten medizinisch ge-rettet werden, für 48 aber kam jede Hilfe zuspät. Ihre Körper waren bereits zu schwach.

Obwohl mehrere Mediziner bestätigten,daß ein paar Tage früher den 48 Sterbendenauch keine Hilfe mehr gebracht hätten,machte sich Florence Bordemoore schwereVorwürfe, so lange gezögert zu haben. Sieverbarg diese Selbstvorwürfe jedoch vorPerry Rhodan, als sie ihn anrief, um Berichtzu erstatten.

*

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Rhodan hatte schon auf den Anruf gewar-tet. Florence Bordemoore berichtete knappvon dem teilweisen Erfolg der Ausgabe derWürfel; die 48 Sterbenden erwähnte sie nuram Rande.

»Für sie gab es schon seit langer Zeit kei-ne Hoffnung mehr. Wir werden die verblei-benden Würfel für weitere Untersuchungennutzen können.«

»Haben Ayolü Metül und Nuka Kullinoihre Untersuchungen fortsetzen können?«

»Ja. Aber leider können wir uns weiterhinnur auf Vermutungen stützen. Die bereitsvorher durch Untersuchungen entdeckte spe-zielle Bündelgruppe im Zuckerman-Spek-trum, die bei den meisten humanoiden Völ-kern weitgehend identisch ausgebildet ist,verändert sich mit dem Empfang des Wür-fels. Sobald der Süchtige den Würfel entge-gennimmt und die Wechselwirkung eintritt,steigt diese Kurve gewaltig an. Innerhalbweniger Stunden können wir Werte um dasTausendfache erwarten, den genauen Be-richt hierüber werde ich bald erhalten.«

»Gehen die Wissenschaftler von der An-nahme aus, daß dadurch das Verschwindender Leute ausgelöst wird?« wollte Rhodanwissen.

»Diese Vermutung liegt sehr nahe, aberwir wollen vorsichtig sein«, antwortete dieKommandantin. »Es spricht einiges dafür,aber wir haben einfach keine Beweise.«

»Was ist mit den Nicht-Humanoiden?«stellte der Terraner die nächste Frage.»Bisher ist kein süchtiger Nicht-Humanoideunter unserer Beobachtung verschwunden.Gibt es eine Erklärung dafür?«

Florence Bordemoore nickte. »Allerdings.Auch auf der SIAMESE GIRL befinden sicheinige süchtige Nicht-Humanoide, deshalbkonnten wir einen Vergleichstest starten. Beiden in der Milchstraße beheimateten Bluesgibt es diese spezielle Bündelgruppe ja wiebekannt nicht, deshalb sind Ayolü Metülund seine Freunde glücklicherweise absolutimmun – wie auch alle Hirdobaan-Völker.Deshalb haben die Hamamesch den dringen-den Wunsch nach Imprint-Waren nie verste-

hen können.Aber alle anderen Nicht-Humanoiden der

Milchstraße besitzen ebenfalls diese Bündel-gruppe, nur fällt die Kurve hier wesentlichflacher aus. Die Kurve steigt auch bei ihnenum ein Vielfaches an, jedoch sehr viel lang-samer. Es sieht ganz danach aus, als wärendie Imprint-Würfel genau auf das SpektrumHumanoider abgestimmt.«

»Welche weiteren Spekulationen ergebensich daraus für die Nicht-Humanoiden?« er-kundigte sich Rhodan knapp.

Es gefiel ihm nicht, daß es keine neuen,umwälzenden Entdeckungen gab, sondernnur die teilweise Bestätigung der bisherigenVermutungen. Und wer sollte ausgerechnetan Humanoiden, die es in Hirdobaan nichtgab, interessiert sein?

»Nuka Kullino und Ayolü Metül sind sichhier einer Meinung, doch es ist, wie gesagt,wirklich nicht mehr als eine Spekulation«,antwortete Florence Bordemoore. »Wenndas Ansteigen dieser Kurve tatsächlich dieUrsache für den Oszillationseffekt ist, wer-den auch die Nicht-Humanoiden in absehba-rer Zeit verschwinden.«

Sie machte eine kurze Pause und fügtedann hinzu: »Allerdings spielt es keine Rol-le, ob die Kurve, oder etwas anderes, oderbeides zusammen dafür verantwortlich sind:Wir können absolut nichts dagegen unter-nehmen. Und denk daran: An Bord der Ako-nenflotte gab es Nicht-Humanoide – undvon denen gibt's dort keine mehr …«

9.Fermyyd-Zentrum: Roenderveen

»Wir können nicht mehr allzulange hier-bleiben«, flüsterte Felia Horn den beidenMännern zu. »Die Zeit ist bald abgelaufen.«

»Wir haben aber noch nicht genug gese-hen«, widersprach Hagen Fejk. »Erst dasTrainingszentrum …«

»Sch-scht!« machte Ralf Barjom. Hastigdrückten sie sich in eine Ecke und aktivier-ten die Deflektorschirme.

Mehrere Fermyyd kamen dicht an ihnen

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vorbei, auf dem Weg zum Training. Sie un-terhielten sich fauchend, waren jedoch sorg-fältig darauf bedacht, einander nicht zu nahezu kommen.

Das Gebiet innerhalb der Pyramide, dasdie drei Freunde durchforsteten, bestandhauptsächlich aus körperlichen Ertüchti-gungszentren und aus Wohnbereichen.

Die Wohnbereiche waren ähnlich wie diefliegenden Höhlen aufgebaut, die von einemHauptgang aus betreten wurden und sichdann in eine Vielzahl verwirrender, organi-scher Tunnelsysteme mit verschiedenen»Nestern« verzweigten. Diese Wohnberei-che unterschieden sich hier auf Roenderveenkraß von allen anderen, rein funktional auf-gebauten und völlig schmucklosen Berei-chen.

Sonst gab es allerdings nichts von Bedeu-tung zu entdecken. Sosehr die Galaktikerauch suchten, sie konnten keine Schaltzen-trale oder ein Hauptcomputersystem ent-decken, von dem aus alle Befehle ausgege-ben wurden. Dieser Bereich mußte sich an-derswo befinden.

Die Fermyyd selbst lieferten keinen Hin-weis darauf. Sie redeten nicht viel; die mei-sten waren in der Ausbildung.

Ihre Ausbilder zeigten sich nur selten.Wenn sie doch einmal zu einer Besprechungzusammenriefen, gaben sie nur allgemeineInformationen und Phrasen von sich, woraufdie Fermyyd stolz sein konnten und was sienoch alles erreichen würden.

»Das gibt es doch einfach nicht«, mur-melte Hagen Fejk. »Irgendwo muß doch dieZentrale sein, die das alles hier steuert. Wirhaben ja noch nicht einmal die Zentrale fürdie Lebenserhaltungssysteme gefunden. Die-ser Planet ist ein einziger Reinfall.«

»Alaska hat aber berichtet, daß die Ferm-Kommandanten über Torresch auf Einsatz-befehle von Roenderveen warteten. Es mußhier Verantwortliche geben«, widersprachFelia Horn hartnäckig.

»Oder auch wieder nur eine Box, und dasglaube ich immer mehr«, meinte Ralf Bar-jom. »Wir sollten zu den anderen zurückge-

hen.« Er musterte das verkniffene Gesichtseiner Lebensgefährtin und grinste. »Nunkannst du Gucky und Alaska nicht imponie-ren, und das ärgert dich.«

»Das stimmt nicht«, murmelte sie.»Doch stimmt das«, sagte er. »Tröste

dich. Wir werden schon noch eine Ent-deckung machen. Wenn sie der Ansicht ge-wesen wären, daß wir nicht dafür geeignetwären, hätten sie uns gar nicht erst mitge-nommen. Wir brauchen uns deshalb nichtbesonders zu beweisen.«

»Ich kann Felia verstehen«, warf Hagenein. »Wir haben uns so viel von diesem Pla-neten versprochen, und es ist alles eine ein-zige Pleite. Seit wir in Hirdobaan sind, gibtes immer nur Fragen – und nun verschwin-den auch noch unsere Leute …«

Er unterbrach sich, als der Kopf eines inetwa sechs Meter Entfernung vorbeilaufen-den Fermyyd plötzlich herumfuhr.

»Hat das auch einer gehört?« rief er laut.Er deutete auf das Versteck der Galaktikerund winkte zwei weitere Fermyyd herbei.»Ich spüre schon die ganze Zeit, daß hier et-was nicht stimmt!«

Zusammen mit den beiden anderen kamder Fermyyd genau auf sie zu.

»Uh-oh«, entfuhr es Felia Horn.»Wir sind ja Profis«, äffte Hagen Fejk

Ralf Barjoms Stimme nach.»Schreit doch lauter«, krächzte der Pilot.Sie hatten sich die ganze Zeit über still

verhalten und sich nur sehr leise unterhalten.Sie standen in einer dunklen Nische, die vonaußen schlecht einsehbar war, um sich zuberaten.

Sie hatten sich sicher gefühlt, da die Fer-myyd viel zu beschäftigt gewirkt hatten.Dennoch waren einige der Pantherwesenwachsamer als andere, und die kamen jetztsehr schnell auf sie zu.

Aus der Nische konnten sie auf normalemWege nicht mehr heraus, also blieb nur derRückzug nach oben. Sie schwebten bis andie Decke und beobachteten die Fermyyd,die sich mißtrauisch umsahen und mit ihrenFühlerorganen witterten. Dabei fletschten

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sie die Zähne und stießen ein unangenehmhechelndes Geräusch aus.

Felia Horn erschrak fast zu Tode, als einFermyyd unerwartet aus dem Stand und oh-ne sichtliche Anstrengung fauchend hoch-sprang und mit den Handlungsarmen schein-bar blind in die Luft griff.

Der Pikosyn des SERUNS reagierte au-genblicklich und aktivierte den Schutz-schirm. Der Fermyyd prallte gegen das un-sichtbare Feld und fiel mit verblüfftemKnurren auf den Boden zurück.

Felia Horn wartete nicht ab, was die bei-den anderen machen würden, sie schoß ausder Nische und flog zum verabredeten Treff-punkt in der Nähe des Haupteingangs derPyramide.

*

In einem kaum beleuchteten Seitengangführte ein Schott zu einer Art Abstellkam-mer, in der sich verschiedene, ziemlich ver-staubte Kisten befanden. Dieser Platz schienrecht sicher zu sein für ein geheimes Treffennicht eingeladener Besucher.

Felia Horn sah erleichtert, daß sie als letz-te eintraf, die anderen waren schon da undschienen auf sie zu warten. Nachdem sie denDeflektorschirm desaktiviert und sich nebenihren Freunden niedergelassen hatte, mußtesie sich natürlich einiges von Ralf Barjomanhören.

Sie erwiderte nichts, denn sie wußte, daßer nur seiner Sorge Luft machte; außerdempochte immer noch ihr Herz, und das hättesie keinesfalls zugegeben.

»Habt ihr die Fermyyd mißtrauisch ge-macht?« fragte Alaska ernst.

»Ich glaube, nicht direkt«, antwortete dieTechnikerin schnell. »Die Fermyyd besitzenbekanntlich einen feinen Instinkt. Wenn wirzu lange an einem Ort bleiben, können sieuns sehr wohl wittern. Einer hätte mich bei-nahe erwischt, aber ich glaube nicht, daß erder Sache weiter nachgeht.«

»Den Fermyyd ist bekannt, daß wir unsunsichtbar machen können«, warf Gucky

ein.»Schon möglich, aber wenn nur einer so

etwas behauptet, werden die anderen kaumauf ihn hören oder gleich an uns denken«,meinte Hagen Fejk. »Seltsame Vorfälle gibtes immer mal, für die sich keine Erklärun-gen finden lassen. Wenn es keine weiterensolcher Vorfälle gibt, verläuft das bestimmtim Sande.«

Alaska Saedelaere dachte an die Begeg-nung mit dem großen Fermyyd in der Ver-bindungsröhre und schwieg.

Hagen Fejk berichtete dann von dem we-nigen, was sein Team herausgefunden hatte.

»Dann kann sich die Zentrale nur in derForschungsstation befinden«, folgerte Alas-ka.

»Ihr habt die Zentrale also auch nicht ge-funden?« Felia Horns Gesicht hellte sichauf.

»Du scheinst dich darüber zu freuen«,sagte Gucky verdutzt.

»Nein, es ist nur … ich meine … ach, istja egal. Vielleicht sollten wir doch zusam-men nach der Zentrale suchen.«

»Dazu werden wir keine Zeit mehr ha-ben«, lehnte Alaska ab. »Wir haben nämlichetwas gefunden, das uns umgehend zumHandeln zwingt. Und danach werden wiruns schnellstens aus dem Staub machenmüssen.«

»Was ist es?« fragten die drei neugierig.»Das sollten wir euch besser zeigen.

Kommt, wir müssen zur Werft.«Als Gucky und Alaska ihren drei Teamge-

fährten bald darauf die beiden akonischenKreuzer präsentierten, verschlug es ihnen füreinen Moment die Sprache.

Die NEETA und die BERKIA befandensich bereits in halb demontiertem Zustand.Hunderte von Fermyyd waren damit be-schäftigt, durch die dicht gepackten techni-schen Anlagen der Schiffe zu klettern undalles abzubauen, was nicht niet- und nagel-fest war.

Es war keine Überraschung, auch dieStelzmakalies hier zu sehen; die Hauptauf-gabe der Demontage lag bei ihnen. Deshalb

Der Imprint-Faktor 37

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waren sie nach Roenderveen gerufen wor-den!

»Da geht Ta-Ruun-Varr«, flüsterte Guckyund stieß Alaska leicht an. »Sie will sich mitjemandem treffen. Wir sollten ihr folgen!«

»Seht euch hier um«, forderte der ehema-lige Maskenträger Felia Horn, Hagen Fejkund Ralf Barjom auf. »Wir sind so bald wiemöglich zurück.«

*

Die Ferm-Wissenschaftlerin ging übereinen Seitengang neben den Docks in einegrößere Zentrale, in der sich bereits mehrereäußere Teile der beiden Schiffe zur Untersu-chung befanden. In die Zentrale integriertgab es einen Besprechungsraum, in dem be-reits jemand auf Ta-Ruun-Varr wartete.

Alaska hielt unwillkürlich den Atem an,als er den großen Fermyyd von der unange-nehmen Begegnung in der Verbindungsröh-re erkannte.

Gucky, da ist der mißtrauische Fermyydwieder! Wir sollten ihm besser nicht folgen,er spürt bestimmt unsere Anwesenheit; esmuß genügen, daß du telepathisch mithörst!

»Schließ das Schott«, verlangte der rang-hohe Fermyyd. »Ich möchte nicht, daß je-mand mithört.«

»Mißtrauisch wie immer, Ko-Yoob-Zedd«, bemerkte die Wissenschaftle-rin. Dann schloß sie das Schott.

Alaska spürte Guckys kleine Hand, undsie bezogen Warteposition dicht unter derhohen Decke der Zentrale. Alaska beobach-tete aufmerksam die herumhuschenden Pan-therwesen, während Gucky telepathisch dasGespräch belauschte und es wörtlich weiter-gab.

»Ich fühle mich seit einiger Zeit beobach-tet«, begründete der ranghohe Fermyyd Ko-Yoob-Zedd sein Mißtrauen. »Ich weiß nicht,woran es liegt.«

»An den Schiffen dort draußen«, antwor-tete Ta-Ruun-Varr. »Es ist nur eine Frageder Zeit, bis diese Galaktiker die Suche auf-nehmen werden. Und bei dem, was sie bis-

her alles in Erfahrung gebracht haben, halteich es für sehr wahrscheinlich, daß sie auchden Weg hierher finden werden.«

»Auch darüber werden wir uns unterhal-ten«, erklang eine dritte Stimme.

Das Schott hatte sich kurzzeitig geöffnet,um einen weiteren ranghohen Fermyyd hin-durchzulassen, dessen Ankunft Alaska beob-achtet hatte. Er schien bereits in hohem Al-ter zu stehen, denn er bewegte sich langsam,bei weitem nicht mehr so geschmeidig wiedie meisten Fermyyd; sein Kinnfell und dieSchnurrhaare waren schneeweiß.

Sowohl Ta-Ruun-Varr als auch Ko-Yoob-Zedd nahmen kurzzeitig eine unter-würfige Haltung ein und begrüßten den An-kömmling als großmächtigen Si-Xaal-Dagg.

»Wie weit schreiten die Arbeiten voran?«wollte der alte Fermyyd ohne weitere Um-schweife von der Wissenschaftlerin wissen.

»Wir werden in wenigen Tagen soweitsein, die Schalt- und Antriebssysteme zu-mindest so in den Griff zu bekommen, daßwir sie desaktivieren können«, antworteteTa-Ruun-Varr. »Diese beiden Schiffe habenuns viel Zeit gekostet, bei den anderenSchiffen wird das bedeutend schneller ge-hen. Ich nehme an, daß sich die meistenSchiffe der Galaktiker in der Bauweise nichtsonderlich unterscheiden.«

»Sobald auch die letzten Besatzungsmit-glieder von Gomasch Endredde zu sich ge-holt wurden, können wir die leeren Schiffeübernehmen und ihre Bestandteile perTransmitter über die Containerwelten ab-strahlen«, legte Ko-Yoob-Zedd die geplanteVorgehensweise dar.

»Zu gegebener Zeit werden mir die Koor-dinaten der Empfangsstation übermittelt, dieich dann an euch weiterleite.« Si-Xaal-Daggschien soweit zufrieden zu sein. »Die De-montagearbeiten sollten aber schneller vor-angehen!«

»Das geht leider nicht, da sich die Galak-tiker über alle acht Oktänten verteilt haben«,verteidigte sich die Wissenschaftlerin.

»Das ist überaus verwunderlich«, meinteder alte Fermyyd.

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»Großmächtiger Si-Xaal-Dagg, es sindüber 11.000 Schiffe und Millionen von Indi-viduen«, erlaubte sich Ko-Yoob-Zedd einenEinwand vorzubringen. »Über einer einzi-gen Containerwelt, wie es bisher immer ge-schehen war, könnte man niemals eine sogroße Anzahl versammeln, und wir hättenauch die Ausgabe der Würfel nicht soschnell abwickeln können. Es mag das ersteMal sein, daß wir mit einer so großen Massekonfrontiert sind, aber wir kommen damitnoch zurecht. Wir haben genügend Einhei-ten zur Verfügung, die Schiffe zügig zu de-montieren und abzusenden.«

»Gibt es ein Problem wegen der Zeit?«fragte Ta-Ruun-Varr.

»Die Ferm-Einheiten haben den Befehlerhalten, sich abwartend zu verhalten«, warfKo-Yoob-Zedd ein. »Die Galaktiker fühlensich sicher, und derzeit unternehmen sienichts, außer ein paar bedeutungslosen Er-kundungsflügen. Es dürften inzwischen an-nähernd zwei Drittel von Gomasch Endred-de geholt worden sein. Entkommen könnensie uns keinesfalls.«

Der alte Fermyyd ließ seine Stirnfühlerspielen. »Nein, derzeit gibt es keine Zeitpro-bleme. Aber es darf keine Verzögerungenoder Zwischenfälle geben, verstanden? Daswäre alles. Sobald ich neue Befehle erhaltenhabe, werde ich euch in Kenntnis setzen.«

Er drehte sich um und verließ den Bespre-chungsraum.

Die beiden anderen Fermyyd blieben zu-rück.

»Was hältst du davon?« wollte die Wis-senschaftlerin von dem Strategen wissen.

»Ich denke, daß hier sehr viel mehr Auf-wand betrieben wird als es je vorgekommenist«, antwortete Ko-Yoob-Zedd. »Der Groß-mächtige wirkte nervös, als befürchtete er,daß im letzten Moment noch alles schiefge-hen könnte.«

»Was ist an den Galaktikern anders als anden anderen?«

»Sie sprechen sehr gut auf die Würfel an,und sie sind einfach anders. Außerdem ha-ben wir noch nie so viele auf einmal hierher-

bringen können. Aus diesem Grund müssenwir besonders vorsichtig sein, aber bisherhört leider keiner auf mich.«

»Deine Übervorsicht ist bekannt.«»Mag sein, aber diesmal … stimmt wirk-

lich etwas nicht. Nenne es ein Gefühl, eineAhnung, ich weiß es nicht. Si-Xaal-Dagg hatmeiner Ansicht nach recht, daß wir uns beei-len sollten.«

»Kein Problem.« Ta-Ruun-Varr strich ih-re Schnurrhaare glatt. »Wie ich bereits sag-te: Wir könnten bald mit der Versendung be-ginnen, sobald wir alle Systeme desaktivierthaben.«

10.Fermyyd-Zentrum: Roenderveen

»So sieht's aus«, schloß Gucky seinen,Bericht.

Die Galaktiker hatten sich wieder in derKammer getroffen und Guckys Erzählungengelauscht.

»Die Fermyyd wissen also selbst nicht,wohin die Fuhre gehen soll. Sie scheinensich auch nicht dafür zu interessieren, weiles für sie Routine ist.«

»Das klingt schrecklich«, sagte FeliaHorn. »Wir sind nicht als erste in die Fallegelaufen.«

Alaska Saedelaere nickte. »Dafür sprichtbeispielsweise die Tatsache, daß wir in je-dem Oktanten Spuren von Xeno-Technikgefunden haben. Diesmal waren eben wirdran. Die Basare in der Milchstraße dientennur als Lockmittel. Die Hamamesch habenkeine Ahnung, sie dienen als Aushänge-schild und Verteiler. Die Fermyyd füngierenals Vermittler, sie beschaffen hier vor Ortdie Waren und warten, bis alle in die Fallegelockten Betroffenen verschwunden sind,um dann deren Technik irgendwohin zuschaffen, wo sie offensichtlich erwartetwird.«

»Dafür all diese Toten?« sagte Ralf Bar-jom leise.

»Es sieht so aus«, sagte der ehemaligeMaskenträger ruhig. »Es genügt den ge-

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heimnisvollen Drahtziehern offensichtlichnicht, im Austausch gegen die Imprint-Wa-ren fremde High-Tech zu erhalten, sie wol-len alles.«

»Sehr bedauerlich ist die Tatsache, daßauch die Fermyyd nicht wissen, wer dahin-tersteckt und wo derjenige zu finden ist«,murmelte Hagen Fejk.

»Zumindest wird jetzt klar, weswegensich hier in Hirdobaan uns gegenüber keinermißtrauisch oder gar feindselig verhaltenhat«, bemerkte Ralf Barjom. »Was hier vorsich geht, ist fast ein ganz normaler Tages-ablauf, in dem jeder seine Aufgabe pflicht-gemäß erfüllt.«

»Mich wundert es, daß der Name Goma-sch Endredde erneut gefallen ist«, sagte Fe-lia Horn. »Deinen Worten zufolge, Gucky,klingt es ganz so, als ob die Fermyyd in ihmso etwas wie einen Totengott sehen.«

»Möglicherweise ein Pendant zur Silber-nen Gottheit«, stimmte Gucky zu.

»Oder auch ein- und derselbe«, mutmaßteAlaska. »Möglicherweise auch derjenige,den wir suchen müssen. Aber das ist im Au-genblick nicht so wichtig, Freunde. Wirmüssen jetzt unbedingt die weitere Demon-tage der Schiffe verhindern. Niemandemdarf unsere Technik, unsere Aufzeichnungenin die Hände fallen!«

*

Einige Zeit herrschte Schweigen, jederschien darüber nachzudenken, wie die Fer-myyd an der weiteren Übernahme der Schif-fe gehindert werden konnten.

»Jemand eine Idee?« fragte Guckyschließlich, dem die Stille auf die Ner venging.

»Sprengen«, schlug Ralf Barjom vor.»Klasse«, keifte Gucky. »Am besten

gleich den ganzen Planeten, damit's keineÜberlebenden gibt. Die anderen in diesemSystem, die dabei zusehen, werden bestimmteine vernünftige Erklärung dafür finden. Anuns wird bestimmt auch keiner mehr eineFrage stellen wollen, weil wir mit in die Luft

geflogen sind.«»Eine andere Wahl haben wir doch wohl

nicht«, verteidigte sich der Pilot. »Wer fragt,braucht sich über die Antwort nicht zu wun-dern.«

»Sprengen ist naheliegend«, stimmte Fe-lia Horn ihrem Lebensgefährten zu. »Odersollen wir hingehen und höflich bitten, erstalles Wichtige ausbauen zu dürfen, bevor sieweitermachen?«

»Vor allem möchte ich mal wissen, wiewir das alles im Eiltempo und ohne aufzu-fallen schaffen wollen!« fuhr Ralf Barjomermutigt fort. »Wir können doch die Spreng-sätze an solchen Stellen anbringen, die nurMaschinenteile beschädigen, so meinte ichdas! Hältst du mich etwa für 'nen Massen-mörder?«

»Natürlich nicht«, brummte Gucky. »Tutmir leid, Ralf. Ich bin nicht besonders gutdrauf.«

»Mir gefällt der Gedanke auch nicht«,sagte Alaska nachdenklich. »Aber ich mußRalf recht geben, wir müssen so schnell wiemöglich handeln. Wir müssen die Selbstzer-störungsanlagen der Schiffe auslösen.«

»Aber …«»Gucky, es geht nicht anders! Wir können

es nicht zulassen, daß sie unsere Antriebs-und vor allem Waffensysteme in die Händebekommen! Was wir ihnen bisher angedrehthaben, mag zwar galaktische Technik sein,aber recht viel können sie damit nicht anfan-gen – zumindest keine Schiffe nachbauen.«

»Jetzt hängt euch doch nicht auf«, misch-te sich Hagen Fejk ein. »Die beiden Docksbefinden sich im Freien, ein ganzes Stückabseits der Pyramide. Die haben von selbstschon Sicherheitsvorkehrungen getroffen,falls ein Unglück geschehen sollte. Wennwir rechtzeitig genug eine Warnung loslas-sen, können die Fermyyd die Werft evakuie-ren und ihre Schutzschirme aufbauen.«

»Gibt es denn keine Schaltung, daß sichnur die Einrichtungen zerstören, aber nichtgleich das ganze Schiff in die Luft fliegt?«wollte nun Felia Horn wissen.

»Nein.« Alaska stand auf. »Wir lassen uns

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Page 41: Der Imprint-Faktor

auf nichts ein. Gucky und ich werden dieSysteme zur Selbstzerstörung aktivieren,während ihr drei allerlei Unfug anrichtet, umdie Fermyyd abzulenken. Gestaltet es aberbitte so, daß es so aussieht, als wären dieFermyyd oder Stelzmakalies selbst dafürverantwortlich. Noch Fragen?«

Niemand antwortete, und damit war derPlan angenommen.

*

So etwas habe ich schon lange nicht mehrgemacht, dachte Hagen Fejk. Während ermit Gucky in die BERKIA unterwegs war,hatten sich Felia Horn, Ralf Barjom undAlaska Saedelaere auf die NEETA konzen-triert.

Der Hanse-Spezialist hatte nacheinanderdie kleinen Behälter durchwühlt, über diesich Alaska vor kurzem lustig gemacht hat-te. Er hatte den anderen verschwiegen, daßer stets eine Menge nützlicher Dinge mitsich führte, unter anderem auch harmlosekleine Sprengsätze, die im geeigneten Mo-ment Verwirrung stiften sollten.

So ein Moment war jetzt gekommen. Ihmwurde fast wehmütig dabei zumute, und daswar einer seiner Fehler. Wenn er sentimentalwurde, vernachlässigte er die Wachsamkeit– so auch jetzt.

Als er um eine Ecke bog, zu Fuß, anstattzu fliegen, stieß er mit einem Fermyyd zu-sammen. Er war so erschrocken, daß er so-fort den Antigrav aktivierte und steil in dieHöhe schoß. Der Fermyyd stieß ein über-raschtes Knurren aus, richtete sich auf dieHinterpfoten auf und starrte mit wild lodern-den Katzenaugen um sich.

Hagen, der das Gefühl hatte, dem Blickdieser Augen ausweichen zu müssen, ob-wohl er doch unsichtbar war, bremste in sei-ner Aufregung viel zu spät ab und prallte mitvoller Wucht an die Decke.

Der SERUN fing den Stoß problemlos ab,aber die Verkleidung, die bereits von einemStelzmakalie schon halb demontiert wordenwar und an einer Stelle herabhing, gab mit

einem kreischenden Aufschrei nach und pol-terte auf den Fermyyd herab.

»Rakch!« fauchte das Pantherwesen. »Ichkriege dich, Rakch!«

Hagen vermutete, daß ein Rakch so etwasÄhnliches wie eine Ratte war, aber er wolltelieber nicht nachfragen.

Er konnte gerade noch dem sausendenHieb der mörderischen Pranken ausweichen,als der Fermyyd hochsprang. Das Panther-wesen klammerte sich mit den befelltenHänden an den Überresten der Verkleidungfest, während die Hinterbeine und derSchwanz wild durch die Luft schlugen.

Der Fermyyd war so groß, daß er Hagenden Fluchtweg fast völlig versperrte. Natür-lich hätte er mit dem Schutzschild des SE-RUNS das Pantherwesen beiseite stoßenkönnen, aber er wollte keinen neuerlichenmerkwürdigen Vorfall riskieren.

Je mehr solcher Vorfälle gemeldet wur-den, desto schneller würden die Fermyyd al-les in Alarmbereitschaft versetzen.

Der Fermyyd sollte besser glauben, daß ernur eine Ratte jagte.

So kam der Hanse-Spezialist sich aller-dings auch vor, gefangen wie eine Ratte inder Falle. Er überlegte fieberhaft, wie erdem tollwütig um sich schlagenden Wesenentkommen konnte und dachte in höchsterNot an Gucky, der sich in solchen Fällenleicht durch Teleportation verdrücken konn-te.

Dann verschwand plötzlich die Umge-bung vor seinen Augen, um einer anderenPlatz zu machen, und er hörte Guckys piep-sende, mit schrillem Vorwurf durchsetzteStimme: »Ich denke, du bist ein Spezialist?«

*

Alaska Saedelaere hatte sich nicht langeaufgehalten und sich sofort auf den Weg zurZentrale gemacht. Dort waren die Technikereifrig dabei, alle Schaltungen zu untersu-chen. Alaska näherte sich der Konsole, alsihm plötzlich der Weg versperrt wurde.

Alaska bremste den Flug ab und zog sich

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blitzschnell bis unter die Decke zurück.Er schon wieder, dachte er fast wütend.Ko-Yoob-Zedd hatte die Zentrale betreten

und stellte sich genau vor die Hauptkonsole.So ein Mist! fluchte Alaska innerlich.»Wie geht es voran?« erkundigte sich Ko-

Yoob-Zedd bei den Fermyyd.»Wir sind in der Zeit«, lautete die unwilli-

ge Antwort eines Technikers.»Besondere Vorkommnisse?«»Bisher nicht. Allerdings wird es jetzt kri-

tisch, da wir beginnen, die Schiffssystemeauseinanderzunehmen.«

Der ehemalige Maskenträger starrte dengroßen Fermyyd intensiv an, als wollte erihn hypnotisieren.

Geh weg! Geh weg! Geh weg!Ko-Yoob-Zedd reagierte nicht im gering-

sten. Er kratzte mit seinen scharfen Krallenüber die Konsole und sah sich ausgiebig inder Zentrale um.

»Ein guter Fang«, konstatierte er.»In der Tat«, stimmte der Techniker zu.

Er trat zur Seite und unterschritt dabei un-willkürlich den absolut minimalen Sicher-heitsabstand zwischen ihm und Ko-Yoob-Zedd, Beide Fermyyd wichen unange-nehm berührt voreinander zurück; der Rang-höhere stieß ein kurzes Grollen aus, wäh-rend der Rangniedere sofort eine Demutsge-ste zeigte.

»Ich muß hier arbeiten, wenn du er-laubst«, erklärte der Techniker gleichzeitigund deutete auf die Konsole neben demFunk.

Sehr gut, dachte Alaska. Das paßt be-stens. Nur weiter so.

»In Ordnung«, sagte Ko-Yoob-Zedd, unddie Atmosphäre entspannte sich sofort wie-der.

Um den Techniker in seiner Arbeit nichtzu behindern, ging er weiter, auf das Schottzu. Als er dabei fast unter Alaska vorbei-kam, der nicht wagte, sich zu rühren, stutzteer und blieb stehen.

Das kann einfach nicht sein, dachte Sa-edelaere. Der muß einen besonderen Drahtzu mir haben, das ist nicht nahe genug …

normalerweise …Der große Fermyyd suchte intensiv mit

seinen scharfen, gelben Augen die Decke ab,die geschlitzten Pupillen weiteten und zogensich abwechselnd zusammen. Alaska kam esso vor, als würde er in Streifen geschnittenund von allen Seiten beleuchtet. Er sah, wiedas Pantherwesen sich schon halb zumSprung duckte, sich dann jedoch wieder ent-spannte und rasch umsah.

Offensichtlich konnte er sich mit seinemStatus einen Sprung aufs Geratewohl nichtleisten. Langsam ging er weiter, aber sowohlseine Schnurrhaare wie auch seine Stirnfüh-ler waren starr und zitterten vor Anspan-nung.

In diesem Augenblick wurde die BERKIA von einer Reihe kleinerer Explosionenerschüttert, die bis in die Zentrale der NEE-TA zu hören waren.

Hagen Fejk, dachte Alaska sofort.Ko-Yoob-Zedd fuhr herum. »Was war

das?«»Schadensmeldung!« erscholl Ta-Ru-

un-Varrs fauchende Stimme aus den Laut-sprechern der Werft, und die Antwort kamprompt:

»Bei der Demontage der inneren Teile ha-ben die Stelzmakalies einige Schaltungenbeschädigt, Ta-Ruun-Varr! Es brennt anmehreren Stellen!«

»Dann seid gefälligst vorsichtiger!« laute-te der lapidare Befehl.

Der Ferm-Stratege wandte den Kopf zurDecke.

»Hier stimmt etwas ganz und gar nicht«,zischte er leise.

»Was meinst du damit, Ko-Yoob-Zedd?«fragte der Techniker, der sich weiterhin mitdem Funk beschäftigte.

In diesem Moment öffnete sich dasSchott, und ein Fermyyd stürzte herein.

»In der Nähe der Maschinendecks gibt esProbleme!« rief er. »Die Schotten spielenvöllig verrückt, ein Stelzmakalie ist beimDurchgang beinahe zerquetscht worden, undan mehreren Stellen sind Schwelbrände aus-gebrochen!«

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Sehr gut, Freunde, dachte Alaska.»Ich wußte es!« brüllte der große Fer-

myyd. »Sofort alles in Alarmbereitschaft!Durchsucht die Schiffe nach Saboteuren!«

»Saboteure? Aber woher …«, begann ei-ner der Techniker.

Ko-Yoob-Zedd interessierte sich nicht fürdie Meinung Rangniederer. Er jagte einenFermyyd aus dem Schiff, um Alarm zu ge-ben.

Gleich darauf wurde die Alarmmeldungmit einem unangenehm brummenden Tonüber die Lautsprecher ausgegeben.

Jetzt oder nie! Alaska flog zur Hauptkon-sole. Er wollte nicht das Risiko eingehen,von einer Nebenzentrale aus zu arbeiten, diemöglicherweise schon vom Syntronverbundabgeschaltet worden war. Die Demontagear-beiten gingen immer schneller voran, und erhatte keine Zeit mehr, sich kundig zu ma-chen.

»Ich glaube, ich habe den Datenspeichergefunden«, meldete ein Fermyyd von eineranderen Konsole.

Ko-Yoob-Zedd, der ursprünglich zurHauptkonsole gehen wollte, wandte sichglücklicherweise dem Techniker zu.

»Versuche, wenigstens eine Aufzeich-nung abzurufen!« befahl er.

Alaska tippte unterdessen fieberhaft ver-schiedene Kodes ein; die Selbstzerstörungs-aktivierung verlief aus Sicherheitsgründenan und für sich auf allen Schiffen nach dem-selben Prinzip. Hoffentlich hatte Stomal Zy-staan nichts daran verändert.

»Falsche Identifizierung. Zugriff verwei-gert«, meldete der Syntron laut.

Alaska erstarrte.»Diese Technik unterscheidet sich sehr

von der unseren«, entschuldigte sich derTechniker, der glaubte, diese Meldung ver-ursacht zu haben. »Ich versuche es noch ein-mal.«

Alaska atmete aus und fuhr fort, den rich-tigen Kode herauszufinden. Hoffentlich hatGucky mehr Erfolg als ich.

»Ko-Yoob-Zedd, hier geht etwas Merk-würdiges vor sich«, sagte der Techniker ne-

ben ihm plötzlich.Der Stratege war mit einem großen Satz

sofort bei ihm, sein Peitschenschwanz ent-rollte sich und zischte hektisch durch dieLuft.

Alaska wich dem Schlag gerade noch aus;er fluchte innerlich. Wenn jetzt kein Wundergeschieht, bin ich …

Er wurde erhört. Die Lautsprecher derBERKIA brüllten los, eine kalte Stimmeverkündete, daß die Selbstzerstörung akti-viert wurde und innerhalb von zehn Minutenerfolgen würde.

Gleichzeitig öffneten sich alle Funkkanä-le, und die lautstark übermittelte Panik dersich auf dem Schiff befindlichen Technikerübertrug sich rasch auf die übrigen. In Scha-ren flüchteten Fermyyd und Stelzmakaliesaus der BERKIA.

Der Stratege fauchte Befehle, aber kaumeiner hörte mehr auf ihn, auch auf der NEE-TA begann die Massenflucht.

Alaska tippte in rasender Eile weitere Ko-des ein, bis er endlich den Zugang zur Si-cherung gefunden hatte. Von da aus war esnicht mehr schwierig, die Automatik zu akti-vieren.

»Achtung, Selbstzerstörung aktiviert«, er-scholl es nun auch von der NEETA.»Detonation erfolgt in zehn Minuten. Ach-tung …«

»Was hast du getan?« brüllte Ko-Yoob-Zedd den völlig unschuldigen Techni-ker an, was deutlich über den Funk übertra-gen wurde und die Panik nur verschlimmer-te.

»Ich weiß es nicht!« schrie der arme Fer-myyd zurück. Verzweifelt versuchte er, dievorherigen Schaltungen rückgängig zu ma-chen. »Irgendeine Sicherheitsvorkehrung!Wir haben keine Zeit mehr, sie zu findenund abzuschalten!«

»Sofort alle raus aus den Schiffen!« don-nerte der Stratege deutlich vernehmbar übersämtliche Lautsprecher, noch über das Ge-schrei hinweg. »Gebt Notalarm! Räumt so-fort die Gebäude und sucht die unterirdi-schen Schutzbunker auf! Sämtliche Schleu-

Der Imprint-Faktor 43

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sen werden sofort geschlossen und dieSchutzschilde auf höchste Leistung hochge-fahren!«

Die schaffen das schon, dachte Alaska,während er machte, daß er davonkam.

Sobald er sich einige Kilometer von derWerft entfernt hatte, desaktivierte er den De-flektorschirm, denn er vermutete, daß dieSpace-Jet bereits unterwegs war, um ihnaufzunehmen. Er brachte den Gedanken garnicht mehr zu Ende, als Gucky plötzlich beiihm auftauchte und mit ihm in die Jet tele-portierte.

Alaska sah sich um und entdeckte erleich-tert, daß alle vollzählig versammelt waren.»Alles in Ordnung?« fragte er.

»Na klar«, antwortete Felia Horn, und Ha-gen Fejk nickte mit seinem unermüdlichenGrinsen.

»Ja, jetzt grinst er wieder«, piepsteGucky, »vorhin ist es ihm ganz schön ver-gangen!«

»Hm.« Alaska musterte den Hanse-Spezialisten nachdenklich. »Wir beide müs-sen uns nachher unterhalten … über gewisseExplosionen.«

Bevor Hagen Fejk etwas sagen konnte,wandte der ehemalige Maskenträger sichdem Piloten zu: »Wie sieht's da unten aus?«

»Es herrscht ein ziemliches Durcheinan-der, Alaska. Wenn die beiden Schiffe in dieLuft fliegen, wird dort unten einiges zuBruch gehen. Aber soweit ich das mitbe-komme, haben die unten genug Zeit, sich inSicherheit zu bringen, und die Schilde wer-den bestimmt einiges aushalten. Abgesehenvon einer Menge Sachschaden wird alsokaum etwas passieren. Im Funk gibt's eben-falls nur Chaos, die unten rufen um Hilfe,die oben sind unschlüssig, was sie tun sol-len, einige sind schon halb im Landeanflug.Anscheinend ist ihnen so etwas noch niepassiert. Der Sperriegel ist jedenfalls aufge-lockert und wird uns eine passende Lückebieten. Wenn ich die Ortung ein bißchen stö-re, sind wir durch, bevor es jemand merkt.Die sind jetzt viel zu sehr mit sich beschäf-tigt. Und dann – Kurs auf Torresch, rich-

tig?«»Richtig«, sagten Alaska und Gucky fast

gleichzeitig.Die Space-Jet beschleunigte und flog wie

ein Pfeil in den Himmel hinauf.

11.

2. September 1220 NGZ Diesmal klapptes ganz bestimmt, dachte Myles Kantor,während er nervös auf die nächste Rückkehrvon Indra Priatar Jonos wartete.

Inzwischen waren sämtliche Humanoiden,die einen Würfel erhalten hatten, ver-schwunden.

Perry Rhodan hatte die Hoffnung, die ver-schwundenen Personen lebendig wiederzu-finden, noch nicht aufgegeben.

Diese Hoffnung wurde auf eine zusätzli-che Probe gestellt, als die Bordsyntroniken,die teilweise von Rhodans Erkundungskom-mandos auf Überwachungsmodus geschaltetworden waren, das Verschwinden der erstenNicht-Humanoiden meldeten. Damit trafAyolü Metüls und Nuka Kullinos Vorhersa-ge mit absoluter Präzision ein.

Es war nicht schwer, nun vorauszusehen,daß in absehbarer Zeit an den Containerwel-ten acht galaktische Geisterflotten zurück-bleiben würden – abzüglich 620 Springer-schiffen, deren nichtsüchtige Kommandan-ten nach dem spurlosen Verschwinden ihrerPassagiere die Flucht ergriffen.

»Es ist soweit«, sprach einer der Wissen-schaftler in Myles Kantors Gedanken hinein.

Gleich darauf stieß er ein ungläubiges,heiseres Keuchen hervor.

Myles Kantor mußte sich mit aller Kraftzusammenreißen, um keinen Verzweiflungs-schrei auszustoßen.

In der Kabine erschien die Leiche von In-dra Priatar Jonos. Ihr gesamter Oberkörperwar verkohlt.

Sie war offenbar aus nächster Nähe miteiner Thermostrahlwaffe erschossen worden.

Damit waren alle bisherigen Theorienhinfällig. Die oszillierenden Personen wech-selten nicht in den Hyperraum und verbrach-

44 Susan Schwartz

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ten dort 13.01 Stunden in entstofflichterForm, sondern sie kamen ebenso körperlichwie jetzt an einem absolut stofflichen Ort an.

An einem überaus gefährlichen Ort, wiesich nunmehr zeigte. Möglicherweise hatteIndra Priatar Jonos dort das Bewußtseinwiedererlangt, was nicht erwünscht war, unddafür mit dem Leben bezahlen müssen.

Reginald Bull und die übrigen vier Pha-senspringer kehrten zur selben Zeit unver-sehrt zurück, doch das war nur ein schwa-cher Trost. Die Chancen, bald Antworten zuerhalten, waren nach Indras gewaltsamemTod auf ein absolutes Minimum herabgesun-ken.

Jetzt galt es, wenigstens Reginald Bullund die anderen vier Überlebenden zu schüt-zen. Sie wurden mit SERUNS ausgestattet,deren Pikosyns automatisch bei Gefahr dieSchutzschilde errichten und jeden Angriffabwehren konnten.

Doch wieder einmal war dies eine trügeri-sche Hoffnung. Als die Körper nach demAblauf von 13.01 Stunden verschwanden,blieben die SERUNS leer zurück. Das Oszil-lationsphänomen beschränkte sich damitrein auf die Körper und das, was sie beim er-sten Verschwinden bei sich trugen.

Das war mehr als ein harter Rückschlag.Nicht einmal die Hyperfunknachricht, daß

sich der BASIS-Kreuzer von der Roender-veen-Mission unversehrt auf dem Rückflugbefand und bald mit Nachrichten eintreffenwürde, konnte in diesem Moment die Er-schütterung an Bord der CIMARRON undder ATLANTIS mildern.

12.Fermyyd-Zentrum: Schingo

Der Planet Schingo befand sich nach wievor im Alarmzustand. Immer noch herrschteUnklarheit darüber, wie es Fremden gelun-gen sein konnte, so weit in dieses Zentrumvorzudringen – und zu entkommen, wenn-gleich mit leeren Händen.

Denn dieser Überfall hatte den Eindring-lingen kein Glück gebracht, da die beidenGefangenen zu diesem Zeitpunkt bereits vonGomasch Endredde zu sich geholt wordenwaren. Ein Glück für die Fermyyd, für dieeine geglückte Befreiung der Gefangenennach Ansicht des Maschtaren Grirro einenGesichtsverlust bedeutet hätte.

Und dann geschah das völlig Unerwarte-te: Vor den Augen der Wächter tauchteplötzlich der Fremde namens Atlan wiederin seiner Zelle auf, und zwar genau an derStelle, von der er verschwunden war!

Doch etwas war mit ihm geschehen, denner war bewußtlos, und er lag in verkrampfterHaltung da, seine Atmung war sehr flach,und er schwitzte heftig. Unter seinen ge-schlossenen Augen trat Flüssigkeit hervor.

Die Wächter hatten dies kaum gemeldet,als eine zweite Meldung von der Zelle desFremden Tekener kam: Auch er war zurück-gekehrt, zur selben Zeit, ebenso wie Atlanbewußtlos, allerdings lag er ganz ruhig, wiein tiefem Schlaf. Auf Schingo wurde erneutGroßalarm ausgelöst und der Maschtar Grir-ro angerufen. Weshalb hatte der Maschtarden Fermyyd niemals gesagt, daß nicht jederFremde, der von Gomasch Endredde geholtwurde, für immer verschwunden war, son-dern auch welche zurückkehren konnten?

E N D E

Man nennt es den Oszillationseffekt, und die Betroffenen werden als »Phasenspringer« de-finiert. Zu ihnen zählen auch Atlan und Ronald Tekener, die bekanntlich auf dem Gefängnis-planeten Schingo festsitzen. Da Perry Rhodan nun weiß, daß seine alten Freunde auf Schingonicht umgebracht wurden, sondern bald wieder in ihren Zellen erscheinen, startet er eineneue Aktion.

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Diese beschreibt Arndt Ellmer im PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche, der unterfolgendem Titel erscheint:

PHASENSPRINGER

46 Susan Schwartz

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Computer: Die Fermyyd II

Im letzten PR-Computer hatten wir zum Schluß vonden »Luxus-Ausführungen« der Fermyyd-Regenbogenschiffe gesprochen. Für die Fehden istes eine besondere Auszeichnung, an Bord einer»Fliegenden Höhle« leben zu dürfen. Diese Raum-schiffe dienen ferner der Aufzucht der Nachkommen-schaft sowie als Residenzschiffe der Ferm-Kommandeure. Im verwirrenden Tunnelsystem dieserSchiffe wären Menschen oder auch andere Galaktikerohne syntronische Ortungs- und Orientierungshilfenglatt verloren. Ein Orientieren in diesem Labyrinth istihnen kaum möglich, denn der innere Aufbau ge-horcht keinem logischen oder zweckmäßigen Sche-ma. Er ist außerdem von Schiff zu Schiff verschieden.Da es keine Treppen, Antigravschächte oder etwasÄhnliches gibt, hat ein Fermyyd, der z.B. von untennach oben will, keine andere Wahl, als in den mit biszu 50 Prozent Gefalle aufwärts führenden Gängen zuFuß nach oben zu hasten. Bei der Beweglichkeit undWendigkeit der Katzenartigen stellt das allerdings kei-nen großen Nachteil dar.

Alle technischen Anlagen und Systeme, die Geräte,Schaltstationen, Triebwerke, Waffensysteme oderKommandoräume sind als Höhlenräume in die quasi-natürliche Umgebung integriert. Nichts in einer»Fliegenden Höhle« sieht äußerlich nach Metall aus.Selbst die Schaltpulte wirken eher wie Baumstümpfemit herausragenden, beweglichen Ästen und blattlo-sen Zweigen. Meßgeräte und Anzeigen arbeiten nichtmit klaren Ziffern oder Lettern entsprechendenLeuchtsignalen, sondern mit schimmerndem Licht.Das läßt auf eine hohe Nachtsehfähigkeit der Fer-myyd schließen. Diese Anzeigen wirken auf Men-schen verschwommen und ungenau. Die Fermyyd ge-hen damit jedoch mit der gleichen Sicherheit um, wiedie galaktischen Raumfahrer mit ihren High-Tech-Geräten.

Die Regenbogenschiffe sind allesamt in einer ArtModulbauweise aufgebaut. Sie lassen sich daherleicht in die Einzelmodule zerlegen. Da sie ferner denProdukten der noch weitgehend unbekannten Siegel-technik zuzuordnen sind, können die Fermyyd- Me-chaniker auf keinem ihrer Schiffe größere Reparatu-ren selbst vornehmen. Wenn ein Defekt offensichtlichist und die Reparatur die Möglichkeiten der Besatzungübersteigt, wird ein Containerplanet angeflogen. Dortwird das beschädigte Modul komplett ausgebaut, undein neues wird eingesetzt. Das defekte Teil ver-schwindet per Transmitter. Auf den »Zweck-Schiffen«paßt das neue Modul auf Anhieb in das Gesamtsy-stem. Auf den »Luxus-Ausführungen« ist hingegen ei-ne optische Anpassung erforderlich, die mehrere Mo-nate beanspruchen kann.

Die Fermyyd selbst verstehen sich als ausführendeOrgane einer höheren, ihnen selbst unbekanntenMacht. Repräsentiert wird diese Macht an Bord allerRegenbogenschiffe (gleich welchen Typs) durch einesogenannte Box. Dabei handelt es sich meist um einedunkelgrün lackierten Metallblock von 1,3 mal 1,4 mal1,45 Metern Größe. Die Box steht auf einem niedrigen

Sockel in der Mitte der Schiffszentrale. Sie ist mit denComputern und den technischen Systemen des Schif-fes verbunden und steuert diese. Wenn die Box Be-fehle erteilt, so geschieht dies stets auf dem Umwegüber den Schiffscomputer. Sie selbst kann sich wederin Sprache noch in Bildern, Schrift oder Holos mittei-len. Der Schluß liegt nah, daß die Box unter anderemauch einen leistungsfähigen Hypersender und – emp-fänger enthält. Diese Systeme braucht sie, um von ei-ner übergeordneten Stelle Befehle annehmen zu kön-nen, und um von dem Fermyyd-Schiff aus Meldungenund Anfragen dorthin abzusetzen.

Die absolute Anerkennung der Box ist in allenschiffsgeborenen Fermyyd tief verankert. Sie betrach-ten diese Institution als einen Teil ihres Lebens. Nie-mand würde diese in Frage stellen oder dagegen auf-begehren. An diesem Zustand und der Gläubigkeit zurBox hat sich nie etwas geändert, und es wird sichwohl nie etwas ändern. Informationen darüber, woherdie Boxen stammen oder wer hinter ihnen steht, gibtes nicht. Danach wird auch nicht gefragt. Eine Folgedieser Verhältnisse ist, daß die Fermyyd keine Ge-schichtsschreibung kennen. Sie überliefern ihre Ge-schichten mündlich von Generation zu Generation,wobei es natürlich zu Ausschmückungen und Verfäl-schungen kommt.

Eine solche Überlieferung besagt: Als das Lebender Fermyyd sich noch in der geistigen Dunkelheit derTiere abspielte, als sie weder Regenbogenschiffenoch eine Bestimmung zu etwas Höherem besaßen,stieg eine silberne Gottheit aus dem Zentrum des Uni-versums herab und gab ihnen die Regenbogenschiffe.Damit war das mächtige und stolze Volk der Fermyyderst richtig geboren.

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