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Der Intrigant

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 176

Der Intrigant

USO-Spezialist Kennon jagt einenMörder - in der fernen

Vergangenheit

von H. G. Francis

Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den üb­rigen Menschheitswelten schreibt man das Frühjahr des Jahres 2844.

Lordadmiral Atlan und der geheimnisvolle Chapat sind von Ronald Tekener und Sinclair Marout Kennon, den beiden Mitgliedern des Psycho-Teams der USO, aus der Gewalt Alfo Zharadins, der sie mittels der Illusionsmaschinen in die Vergangen­heit Arkons versetzt hatte, befreit worden.

Atlan, Tekener und Chapat flogen bald darauf nach Quinto-Center, dem USO-Hauptquartier, wo, inmitten technischer Perfektion und absoluter Sicherheitsvorkeh­rungen, der Lordadmiral Chapat dazu bringt, sein Geheimnis zu lüften und dadurch zu erfahren, daß der junge Mann tatsächlich mit dem von ihm und der Varganin Isch­tar vor Jahrtausenden gezeugten Sohn identisch ist.

S. M. Kennon, der ehemalige Krüppel, der seit langem einen makellosen Robotkör­per besitzt, blieb jedoch bei den Illusionsmaschinen Zharadins zurück und benutzt auch eine davon, da er von dem zwanghaften Wunsch erfüllt ist, mittels der Maschi­ne in die Vergangenheit zu reisen.

Kennon, nun plötzlich wieder mit seinem verkrüppelten Körper ausgestattet, findet sich in die Vergangenheit Arkons zur Zeit des Orbanaschol versetzt. Um sich zu be­haupten, jagt er einen Mörder und wird DER INTRIGANT …

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Die Hautpersonen des Romans:Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton - Ein USO-Agent in der Vergangenheit von Arkon.Gentleman Kelly - Kennons Privatroboter.Ceron Mosselcrln - Opfer einer Blutorgie.Eglo Butein - Kennons Geschäftspartner.Bollpta - Ein Händler weiß zuviel.Aprlt Dirgok - Flottenoffizier von Arkon.

Über ihn gab es in Quinto-Center, dem Hauptquartier der USO, eine vertrauliche Akte, zu der im Jahre 2844 nur noch ein Mann Zugang hatte: Lordadmiral Atlan. Das Dokument war mehr als 340 Jahre alt und beschrieb eine Persönlichkeit, die längst nicht mehr zu diesen Daten passen wollte:

»Fachgebiet: Kosmokriminalistik. Spe­zialist I. Klasse, unbeschränkte Vollmach­ten.

Beschreibung der Person: Größe: 1,52 Meter, physisch schwach wie ein zehnjähri­ges Kind. Verwachsen. Vorgewölbte Trom­melbrust, Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen, gelichte­tes, strohgelbes Haar. Abstehende Ohren, zu groß selbst für überentwickelten Schädel.

Nach vorn gewölbte Stirn: Zucken linkes Augenlid.

Spitzes Kinn, abstoßender Gesamtein­druck. Fußgröße im Verhältnis zum Körper anomal mit Nummer 46. Ungeschickter Gang. Füße schleifen nach. Atembeschwer-den bei … Belastungen.

Qualifikation als Spezialist nur deshalb, weil geniales Gehirn mit überragender Kombinationsfähigkeit.

Psychogramm: Tiefgreifende Neurose. Nach Beseitigung durch Wandeldon-Metho­de aufgehoben … Ständige Selbstkritik, Ver­langen nach Anerkennung und Zuneigung. Klares Erkennen der körperlichen Mißstim­migkeiten, daher unüberbrückbare Minder­wertigkeitskomplexe. Form der Äußerung besteht in teils unbegründetem Aufbegehren gegenüber verständnisvollen Menschen, teils in scheuer Zurückhaltung und Selbstdemüti­gung vor uneinsichtigen Elementen … Psy­chobehandlung durch wissenschaftlich ge­

bildete Geistliche. Erfolg gut bis sehr gut … Studium Anthropologie, Sonderfach: GA­

LAKTISCHE ALTVÖLKER. Spezialistenaus­bildung unter Umgehung der üblichen Trai­ningsmethoden auf rein geistiger Ebene. Sonderbemerkung: Zu allen vorhandenen Komplexen kommt noch ein Problem ge­schlechtlicher Natur. Es wird vermutet, daß eine nicht feststellbare Mutation vorliegt. Unbekannte Hormondrüsen wurden inner­halb des Gehirns entdeckt, jedoch nicht aus­reichend identifiziert.«

Der Name des Mannes: Sinclair Marout Kennon. Aber auch Namen sind vergänglich …

1.

Unter den stampfenden Schritten des Ko­losses spritzte der feuchte Dreck zu den Sei­ten weg. Die rötlich funkelnden Linsen die­ses bedrohlich wirkenden Wesens wirkten wie die schimmernden Abstrahlfelder ab­schußbereiter Energiestrahler. Unaufhalt­sam, wie eine einmal in Gang gebrachte La­wine, marschierte der Automat auf den Mann zu, der mit zitternden Gliedern am Rande eines Übungsfeldes für arkonidische Raumfahrer stand. Mit vorquellenden Augen blickte dieser ihm entgegen, ohne sich von der Stelle rühren zu können. Er streckte sei­ne dürren Arme mit den kindlichen Händen nach vorn, als könne er mit diesen schwa­chen Gliedmaßen einen metallenen Riesen abwehren, der zwanzig Männer von seinem Gewicht in einer einzigen Hand hätte halten können.

Als die Maschine sich ihm bis auf fünf Schritte genähert hatte, drehte er sich schwerfällig herum und begann zu laufen.

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Keuchend setzte er seine viel zu großen Fü­ße voreinander, ohne dabei auch nur die Hälfte des Schrittempos erreichen zu kön­nen, das der Roboter vorlegte. Er wandte den Kopf nach hinten, um seinen Verfolger sehen zu können. Dabei stolperte er über sei­ne eigenen Füße und stürzte der Länge nach in eine Pfütze, die so tief war, daß er fast darin verschwand.

Wild nach Atem ringend und triefend vor Nässe kroch er daraus hervor. Der Boden er­zitterte unter dem Gewicht des Roboters. Wimmernd wälzte der Verwachsene sich zur Seite und verfolgte fassungslos, daß der ver­meintliche Verfolger an ihm vorbeieilte, oh­ne ihn zu beachten.

Das schallende Gelächter mehrerer Män­ner ließ ihn herumfahren, während er seine Füße aus dem Wasser zog.

Vor mehreren geparkten Kampfgleitern standen fünf Offiziere. Sie trugen die Uni­formen des Hofes und waren damit klar als Männer identifiziert, die es gewohnt waren, in der unmittelbaren Nähe Orbanaschols III. zu leben. Sie stemmten die Hände auf die Oberschenkel und krümmten sich vor La­chen. Einer von ihnen kam zu dem Verkrüp­pelten und stieß ihn mit dem Fuß an, so daß dieser wieder in die Pfütze fiel. Der Getrete-ne warf hilfesuchend die Beine nach oben und schlug mit den Ärmchen um sich. Den­noch konnte er nicht vermeiden, daß ihm et­was Wasser in die Atemwege geriet. Hu­stend tauchte er aus dem Wasser auf, tastete blind um sich und geriet dabei an das Bein des Offiziers.

»Gnade, Herr, Gnade«, sagte er winselnd. »Tötet mich nicht.«

»Gib ihm noch einen Tritt, Ceron«, brüllte einer der anderen Männer. »Ich habe noch nie so gelacht wie über diesen Zwerg. Wirf ihn ins Wasser. Er soll schwimmen.«

»Gnade, Herr, bitte«, wiederholte der Verwachsene. Er kauerte auf den Knien und streckte dem Arkoniden die Hände entge­gen. Die anderen Offiziere kamen heran und umringten die beiden.

»He, du, wie heißt du?« fragte einer von

H. G. Francis

ihnen. »Ich? Wie ich heiße?« »Ja – du, Krüppel.« »Mein Name ist … Axton, Lebo Axton.« »Du bist ein Gigant, wie? Sag, daß du ein

Gigant bist.« »Ich … bin ein Gigant«, erwiderte der

Gequälte. Die Arkoniden brachen erneut in schal­

lendes Gelächter aus, das erst abbrach, als ein weiterer Offizier zu ihnen kam. Mit stei­nernem Gesicht blickte er auf den Krüppel hinab.

»Laßt ihn in Ruhe«, befahl er mit leiser Stimme, wobei er kaum die Lippen bewegte. »Dieser Mann ist von der Natur genug be­straft worden. Niemand soll sich über We­sen wie ihn lustig machen.«

»Warum nicht? Er ist ein Gigant! Er hat es selbst gesagt.«

»Schweigen Sie, Mosselcrin.« Er bedeute­te Lebo Axton mit einer energischen Hand­bewegung, daß er verschwinden sollte. Der Verwachsene erhob sich mühsam und ging mit schleppenden Schritten davon. Die Ar­koniden sahen ihm nach. Sein strohgelbes Haar war von dem Wasser verschmutzt. Es hing ihm strähnig über die viel zu großen Ohren. Der Knochenbau des Krüppels glich dem eines zehnjährigen Kindes. Die Füße allerdings waren so groß, daß sie zu einem doppelt so langen Mann gepaßt hätten.

Als Axton einen verfallenen Metallschup­pen erreicht hatte, blieb er stehen und blickte zurück. Die Offiziere diskutierten miteinan­der und beachteten ihn nicht mehr.

Träumte er? War dies die Wirklichkeit? Bildete er sich alles nur ein, oder suggerierte ihm eine rätselhafte Maschinerie, daß dies die Realität war? Arkoniden, die keineswegs verweichlicht und degeneriert waren, son­dern auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen – und wahrscheinlich auch geistigen – Ent­wicklung standen?

»Einen guten Hofnarren würdest du abge­ben«, sagte eine ironisch klingende Stimme, die aus dem Halbdunkel kam.

Axton zuckte zusammen. Er beugte sich

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nach vorn, um besser erkennen zu können, was sich in dem Schuppen verbarg. Sein lin­kes Augenlid zuckte. Es war ein deutliches Zeichen seiner Erregung.

»Laß mich in Ruhe«, bat er. Er wollte weitergehen, stolperte aber er­

neut über seine eigenen Füße und stürzte. Hastig raffte er sich wieder auf. Ein dunkel­haariger Mann beugte sich über ihn und mu­sterte sein Gesicht.

»Du hast ein komisches Talent, Junge. He – wie wär's, hm? Ich drehe das schon.«

»Herr«, sagte Lebo Axton mit bebender Stimme. »Verhöhnt mich doch nicht. Ich kann nichts dafür, daß ich so verunstaltet bin.«

»Deine Mutter hat dich in einem Anfall von Raserei gegen die Wand geworfen, wie?«

»Vielleicht, Herr, vielleicht.« Der Mann, der aus dem Dunkel kam, sah herunterge­kommen und dreckig aus. Er war mit Lum­pen bekleidet, und er roch bestialisch nach einem Gift, das der Verkrüppelte nicht kann­te. Seine grünlich verfärbten Augen ließen darauf schließen, daß er sich bereits in ei­nem Stadium befand, in dem sich Körper und Psyche veränderten. »Ich wäre glück­lich, wenn ich einen so edlen und Wohlge­stalten Körper hätte wie Sie.«

Lebo Axton bemerkte, daß einer der Offi­ziere in der Nähe vorbeiging.

Der Zerlumpte zog sich ängstlich in das Dunkel des Schuppens zurück. Der Ver­wachsene nutzte seine Chance. Er schleppte sich weiter. Seine Füße schleiften über den Boden. Die Trommelbrust hob und senkte sich.

Schon nach etwa zwanzig Metern blieb er stehen, ließ den Kopf hängen und schnappte keuchend nach Luft. Vor seinen Augen flim­merte es.

War dies die Wirklichkeit? Diesen Körper gab es überhaupt nicht

mehr. Die Erinnerung überwältigte ihn. Sie ließ

ihn seine Umgebung vergessen. Ihm war, als stürze er in einen Abgrund.

…konnte ich nur hoffen, daß Tek Mittel und Wege fand, sich von mir in glaubwürdi­ger Form zu distanzieren.

Ein Medorobot des Raumschiffs verab­reichte mir eine kreislaufstabilisierende In­jektion. Ich hatte dieses Boot nur einmal in­spiziert. Dann hatte ich es jahrelang nicht mehr betreten, um auf keinen Fall eine Ent­deckung zu riskieren.

Die Korpuskulartriebwerke liefen auto­matisch an. Der Robotpilot war für den Fluchtfall programmiert. Wenn jemals ein USO-Spezialist über die Transmitterverbin­dung ankam, dann war ein sofortiger Not­start unerläßlich notwendig.

Transmitter erzeugten Hyperwellen­schocks, die sehr leicht eingepeilt werden konnten. Ich befand mich in einer trügeri­schen Sicherheit.

Wäre ich auf einem anderen Weg zu die­sem Raumschiff gekommen, hätte ich mich für lange Zeit darin verbergen und den gün­stigsten Augenblick für einen Start abwarten können.

Das war nun nicht mehr möglich. Die Einpeilung der Schockkurve mußte

zur Zeit laufen. Ich schleppte mich in die Zentrale. Dort

legte mir ein Roboter einen Raumanzug an. Notstarts von Lepso waren und blieben ge­fährlich, denn im freien Raum standen die schnellen Überwachungskreuzer des SWD.

Den Sperriegel mußte ich erst einmal durchbrechen.

Das Rumoren der Triebwerke steigerte sich zu einem dumpfen Donner. Die Space-Jet löste sich vom Grund des Ozeans und stieg langsam in die Höhe. Als die ersten Lichtstrahlen das trübe Wasser durchdran­gen, lag ich festgeschnallt im Kontursessel hinter der Zentralkontrolle. Es ging mir all­mählich besser.

Die Jet stieß aus dem Wasser hervor und nahm augenblicklich mit hohen Schubwerten Fahrt auf.

Die Atmosphäre des Planeten Lepso wur­de aufgerissen. Die Jet raste mit der hun­dertfachen Mündungsgeschwindigkeit einer

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altertümlichen Schiffsgranate davon. Wilde Luftturbulenzen entstanden. In ihnen vergin­gen vier anfliegende SWD-Gleiter. Sie wur­den von den ins Vakuum der Flugbahn ein­brechenden Orkanböen erfaßt, mitgerissen und anschließend zu Boden geschmettert.

Ich bemerkte nichts mehr von den Explo­sionen. Mein kleines Schiff flog mit unver­antwortlich hoher Fahrt in den freien Raum hinaus. Lepso wurde zur Halbkugel, an­schließend zur Kugel.

Das Eintauchmanöver in den Linearraum würde den Kalupschen Kompensationskon­verter bis zur Maximalleistung belasten. Es sollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfol­gen, um die Jet möglichst schnell in den si­cheren Schutz der Linearzone zu bringen.

Als die Jet soeben eine Geschwindigkeit von siebentausend Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, eröffneten zwei schnelle Wachkreuzer des SWD das Feuer aus ihren schweren Thermokanonen.

Ich fühlte noch den harten Einschlag und die sengende Hitze, die plötzlich nach mei­nem Raumanzug faßte.

Glut! Sonnenhelle Glut verbrannte mei­nen Körper. Ich tauchte in eine Sonne, in der es nichts gab als unerträgliche, vernich­tende Hitze. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht, denn meine Lippen, meine Zunge, Luftröhre und Lunge verwandelten sich in schwärzliche Asche …

»He, du, Krüppel, wir könnten viel Geld verdienen, du und ich!«

Lebo Axton fuhr zusammen, als sich ihm die Finger des Süchtigen in die Schulter krallten. Der Schmerz durchraste seinen Körper und weckte ihn auf.

Träumte er? War dies die Wirklichkeit? Durchlebte er Wahnideen, wie sie häufig vorkommen sollten, wenn jemand starb?

»He, was ist mit dir? Willst du auch 'nen Stick?«

Der Verwachsene schüttelte die Hand ab. Er fuhr sich mit beiden Händen über das zuckende Gesicht. Ihm wurde übel, als der Arkonide sich über ihn beugte, ihm seinen stinkenden Atem ins Gesicht blies und ihn

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mit fiebrig glänzenden Augen musterte. »He, wer bist du überhaupt? Wer hat dich

aus den Schmutzlöchern von Qurabash her­ausgelassen?«

Seine Sinne klärten sich. Er wich vor dem Stadtstreicher zurück, doch dieser packte ihn an der Gurgel und hielt ihn fest. Eilig durch­suchte er seine Taschen und ließ enttäuscht von ihm ab, als er nichts fand.

»Ich bringe dich um, wenn du das noch einmal machst«, erklärte Lebo Axton. Er legte eine Hand an den Hals und würgte. »Verschwinde jetzt endlich, sonst …«

Der Zerlumpte schleuderte ihn zu Boden. Verächtlich wandte er sich ab und kehrte in den Schuppen zurück. Der Verwachsene er­hob sich und eilte erschöpft zu einem etwas besser erhaltenen Gebäude. Im Schatten ei­nes überstehenden Daches setzte er sich auf den Boden und drückte den gekrümmten Rücken an die kühle Wand. Sein linkes Lid zuckte pausenlos.

Und wieder drohte er, in einen Abgrund zu stürzen, dieses Mal aber fing er sich ab, bevor ihn die Erinnerung erneut übermannte. Seine kleinen Hände glitten tastend über die Beine, die Trommelbrust und den verform­ten Schädel.

Dies war sein Körper. Er wußte es genau. Dies war der Körper, den er vor 338 Jahren hatte verlassen müssen, um in einem Robot­körper überleben zu können.

*

»Vergebt mir, Herr, vergebt mir meinen Hunger«, murmelte er und streckte dem ar­konidischen Offizier die Hand entgegen. Seine Stimme erstickte in einem kläglichen Winseln.

Der Arkonide blieb stehen, griff in die Packtasche, die er auf dem Arm trug, und warf ihm ein kleines Päckchen zu. Der Ver­krüppelte verneigte sich unterwürfig, bis der Spender ihm den Rücken zuwandte. Dann zuckte es in seinen Mundwinkeln, und die Augen blitzten spöttisch auf.

Sinclair Marout Kennon setzte sich wie­

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der in den Schatten, klopfte den Staub aus seinen mittlerweile getrockneten Kleidern und aus seinem Haar, öffnete das Päckchen und verzehrte das darin enthaltene Gebäck. Sein Magen beruhigte sich schnell, als er sich zu füllen begann.

Blinzelnd blickte Kennon-Axton auf das Übungsgelände hinaus, das mit zahlreichen Trainingsgerätschaften versehen war. Auf ihnen quälten sich die arkonidischen Raum­fahrer mit einem Eifer, der für Kennon ver­blüffend war. Er kam aus einer Zeit, in der kein Arkonide mehr tat als unbedingt not­wendig.

Aus einer anderen Zeit? War das wirklich richtig?

Kennon lehnte sich zurück und preßte sei­ne runden Schultern an die Wand des Schuppens. Er spürte Stiche in der Lunge, und die Anstrengung erschöpfte ihn. Dichter Schweiß bedeckte seine Stirn. Er ließ sich nach vorn sinken und atmete schwer.

Es mußte die Wirklichkeit sein. Er beschloß, alle Fragen zur Seite zu

schieben, und sich zunächst um nichts ande­res mehr zu kümmern als um die Probleme dieser Welt – ob sie nun real war oder nicht. Er wollte – und mußte – sie als Realität ak­zeptieren. Ihm blieb nichts anderes übrig, wenn er überleben wollte.

Darum ging es. Ob Traum oder Wirklichkeit – das Ge­

hirn, das in einer fernen Zukunft zurückge­blieben war, starb mit ihm in dieser Welt, wenn sein Körper hier verging. Die Frage, wo sein Ich sich tatsächlich befand, war vor­läufig nicht zu lösen.

Mehrere Space-Jets landeten und starte­ten. Arkonidische Bodenkämpfer regneten, mit Fluggeräten ausgestattet, aus den Raum­ern ab und gingen zum Scheinangriff auf ei­ne Bunkeranlage über.

Sie machten ihre Sache nicht ungeschickt. Kennon-Axton wurde durch ein metalli­

sches Blitzen aufmerksam. Sein Kopf fuhr herum. In einer Entfernung von etwa ein­hundert Metern stand ein Kampfroboter. Seine Linsen waren auf ihn gerichtet. Kalt

lief es dem Verwachsenen über den Rücken. Seine Hände begannen zu zittern. Er erhob sich eilig, wandte dem Automaten den Rücken zu und eilte mit schleifenden Füßen zur nächsten Ecke des Schuppens. Von dort aus blickte er zurück. Der Roboter näherte sich ihm.

Axton fluchte mit halberstickter Stimme. Er rannte schwerfällig auf einen abgestellten Gleiter zu, öffnete die Tür und blickte auf den Steuerautomaten. Es handelte sich um eine Art Taxigleiter, und auf der Uhr be­stand noch ein geringfügiges Guthaben. Ent­schlossen kletterte er in die Maschine. Schnell fand er sich mit der Bedienung zu­recht. Er drückte einige Knöpfe und startete. Dann grinste er haßerfüllt auf den Roboter hinunter, der in diesem Moment hinter dem Schuppen hervorkam.

Er flog nicht weit. Schon nach wenigen hundert Metern entdeckte er eine kleine Fa­brik, in der Gleitkupplungen für Schleusen­schotte von Raumschiffen hergestellt wur­den, wie an der Firmenbezeichnung klar zu erkennen war. Kennon-Axton landete die Maschine und setzte sie unter einigen Bäu­men ab.

Er war hier zwar in einer anderen Welt, die durch mehr als zehntausend Jahre von jener des Solaren Imperiums getrennt war, aber so hilflos, wie er sich gegeben hatte, war er nicht. Dies war die Welt des jungen Atlan, der den Kampf gegen seinen Oheim Orbanaschol III. aufgenommen hatte. Die Arkoniden standen im Großen Methankrieg mit den Maahks, ohne dabei wichtige Erfol­ge erzielen zu können. Arkon III verwandel­te in dieser Zeit sein Gesicht. Der Planet wurde zum sogenannten Kriegsplaneten der Arkoniden. Jahrtausende später einmal wür­de diese Welt zerstört werden. Noch gab es hier Produktionsstätten der verschiedensten Art, zahlreiche Vergnügungszentren umring­ten die Raumhäfen, und die Wohngebiete schmolzen immer mehr zusammen. An ihrer Stelle entstanden militärische Übungsgebie­te und Waffenarsenale.

Kennon fühlte sich keineswegs als

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Fremdkörper. Bei seinen Studien der galak­tischen Altvölker hatte er sich lange und ausgiebig mit dieser Zeit des Großen Imperi­ums beschäftigt. Er beherrschte die arkonidi­sche Sprache, und er wußte so ziemlich alles über die Sitten und Gebräuche, sowie die Mentalität der Arkoniden dieser Epoche.

Sein Problem war, sich unauffällig in die Gesellschaft zu integrieren. Es mußte ihm gelingen, Arkonide zu werden, ohne daß all­zu viele Fragen gestellt wurden. Zunächst einmal benötigte er Geld – gerade so viel, daß er einige Tage überleben konnte. Mehr zu haben, wäre verdächtig gewesen.

Er startete wieder und ließ den Gleiter zur Fabrik hinübertreiben. Unmittelbar vor ei­nem Verwaltungsgebäude setzte er ihn ab. Dann kroch er ächzend aus der Tür und ging hinein. Eine dunkelhaarige Arkonidin kam ihm entgegen. Sie hatte ein hübsches, glattes Gesicht. Sie schien beabsichtigt zu haben, ihn hinauszuweisen, als sie ihm jedoch in die Augen sah, wich sie etwas vor ihm zu­rück. Die verkrüppelte Gestalt erschreckte und ängstigte sie.

»Was wollen Sie?« fragte sie. »Ich will den Inhaber sprechen.« »Warum?« Sie schien zu befürchten, daß

er betteln wollte. »Ich habe etwas zu verkaufen – eine tech­

nische Neuerung, die Ihnen helfen wird, al­len Ärger mit der Konkurrenz zu verges­sen.«

Sie blieb skeptisch, war aber unsicher ge­worden.

»Bitte«, fügte Kennon-Axton mit heiserer Stimme hinzu. Ihre Augen wurden feucht, und sie eilte davon. Schon Sekunden später kehrte sie zurück. Sie ließ die Tür offen, durch die sie gekommen war.

»Gehen Sie hinein.« »Danke«. Er lächelte ihr zu, aber sie

wandte sich ab. Mit schleifenden Schritten betrat er den Arbeitsraum.

Kennon zog die Tür hinter sich zu und blieb vor dem Tisch stehen, hinter dem ein wohlbeleibter Arkonide saß.

»Was wollen Sie?« fragte der Fabrikant.

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»Ich möchte ein Geschäft mit Ihnen ma­chen, Herr.«

»Erzählen Sie«, forderte der Arkonide ihn gelangweilt auf.

Sinclair Marout Kennon lächelte verzerrt. Er beschrieb dem Arkoniden eine Technik, mit der sich der Schleusenmechanismus ganz erheblich verbessern ließ. Dabei gab es verschiedene Möglichkeiten, von denen Jahrtausende später sich nur eine durchge­setzt hatte. Kennon-Axton schilderte eine Methode, die – wie er genau wußte – später in einer Sackgasse endete, aber vorüberge­hend recht erfolgreich war. Er wußte, daß er mit dieser Technik nicht entscheidend in das Zeitgeschehen eingreifen und nichts wirk­lich maßgeblich beeinflussen konnte. Dieser kleine technische Trick war unwichtig, fi­nanziell aber durchaus wertvoll.

Das Interesse des Produzenten stieg schon nach den ersten Worten des Verwachsenen merklich an. Er setzte sich aufrecht hin und bot seinem Besucher schließlich gar etwas zu trinken an.

»Woher haben Sie das?« fragte er, als der Verkrüppelte etwas getrunken hatte.

»Es ist meine eigene Entwicklung«, be­hauptete Kennon. »Wollen Sie sie?«

»Ich überlege es mir. Vorher muß ich noch einige Einzelheiten über das Material wissen, mit dem sich diese Technik verwirk­lichen läßt.«

Kennon schüttelte grinsend den Kopf. Er zupfte sich am rechten Ohrläppchen und hielt danach den Zeigefinger hoch.

»So gutgläubig bin ich nicht mehr. Man hat mich einmal betrogen. Das genügt.«

»Niemand will Sie übervorteilen.« »Dann machen Sie einen Vertrag mit mir,

der mir meine Rechte sichert.« »Aber, natürlich. Das ist doch selbstver­

ständlich. Warten Sie hier.« Der Arkonide erhob sich, knöpfte sich

seine Hose zu, die er geöffnet hatte, weil sie ihm zu stramm gesessen hatte, und eilte schnaufend hinaus. Kennon-Axton ließ sich in seinem Sessel zurücksinken. Er blickte ins Leere. Da er nicht wußte, ob er über

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Spionaugen beobachtet wurde, verhielt er sich ruhig und erlaubte sich nur hin und wie­der ein Lächeln, mit dem er zu erkennen gab, wie zufrieden er mit der Entwicklung der Dinge war.

Der Fabrikant kam nach einiger Zeit mit einem großen, schlanken Arkoniden wieder. Er stellte diesen Mann als seinen juristischen Berater vor.

»Wir haben bereits einen Vertrag vorbe­reitet«, erklärte er. »Lesen Sie ihn sich durch, Axton, und dann unterzeichnen Sie ihn bitte. Sie sehen, wir sind großzügig.«

Kennon nahm das Papier und ging es sorgfältig durch. Es machte ihm Mühe, sich sein Vergnügen nicht anmerken zu lassen. Der Vertrag strotzte vor Fallen und hinter­hältigen Formulierungen. Ihm wurden kei­nerlei Rechte zugestanden. Ihm wurde prak­tisch nur bestätigt, daß er eine neue Kupp­lungstechnik entwickelt hatte, die er zur Er­probung freistellte. Dafür sollte er ein gerin­ges Anfangshonorar haben, das später, wenn die Erprobung abgeschlossen war, mit einem wahrhaft fürstlichen Abschlußhonorar er­gänzt werden sollte. Natürlich war völlig klar, daß die sogenannte Erprobung nie ab­geschlossen werden würde, denn dann war auch die Hauptsumme nicht fällig.

Kennon-Axton lächelte den Fabrikanten strahlend an. Er verneigte sich eifrig und sagte: »Ich wußte doch, daß Sie ein aufrich­tiger Geschäftsmann sind. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen, Ervolt Far.«

Er unterzeichnete den Vertrag. Der Produ­zent und der Berater gratulierten ihm und wünschten ihm eine gute Zusammenarbeit mit ihnen über Jahre hinweg. Kennon dankte ihnen. Es gelang ihm, ein paar Tränen in die Augen zu treiben, so daß sie annehmen mußten, daß die Erregung ihn übermannte. Dann komplimentierten sie ihn hinaus. Der Jurist begleitete ihn zur Kasse wo ihm eine geringe Summe ausgehändigt wurde, mit der er sich einige Tage über Wasser halten konnte.

Als er das Verwaltungsgebäude verließ, kehrte der Berater zu Ervolt Far zurück.

Kennon hörte das Gelächter der beiden Männer durch die sich schließende Tür.

Er setzte sich in den Gleiter, warf einige Münzen in den Automaten und startete. Ein verstohlenes Lächeln glitt über seine Lippen.

Ervolt Far würde vielleicht erst in einigen Jahren merken, wer eigentlich wen übervor­teilt hatte. Natürlich rechnete der Arkonide mit beträchtlichen Gewinnen. Die er auch zweifellos machen würde. Doch das zählte nicht. Irgendwann in der Zukunft würde er die Rechnung bezahlen müssen. Doch dann würde es kein lautes Gelächter geben.

Kennon lenkte den Gleiter bis in die Nähe eines Großraumhafens, der auf der nördli­chen Halbkugel von Arkon III lag. Dann landete er, ließ die Maschine stehen und tauchte mit schlurfenden Schritten zwischen den zahllosen Schuppen, Fabrik- und Ausrü­stungsgebäuden unter. Hier am Rande des Raumhafens gab es noch ein Arkon, das so verkommen und schmutzig war, daß es ei­gentlich gar nicht zu dieser Welt paßte.

2.

Der Besitzer des Hotels lag auf einem Fell auf dem Boden und schlief, als Lebo Axton die Halle betrat. Der schwere Geruch von gebeizten Gewürzzwiebeln wehte ihm aus den hinteren Räumen entgegen. Über dem hochbeinigen Notiztisch baumelte ein affen­ähnliches Wesen mit flammendrotem Pelz. Es hing an einem Bein an einer verblichenen Metallstange und suchte mit den beiden Händen und dem freien Fuß nach Ungezie­fer an seinem Körper. Axton-Kennon beob­achtete, daß es ein kleines, grünes Insekt fand und es auf den Schlafenden schnippte, wo es sich augenblicklich unter dem Kragen des Arkoniden verkroch.

Der Verkrüppelte fand dieses Verhalten so interessant, daß er noch etwas wartete, bis er den Hotelier weckte. Bis dahin hatte das Haustier fünf weitere Quälgeister zu seinem Herrn hinüberbefördert.

Fluchend kam der Arkonide hoch, als Le­bo Axton ihn mit dem Fuß anstieß.

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»Was wollen Sie?« fragte er mürrisch, wobei er sich das strähnige Haar aus dem Gesicht wischte und sich mit der anderen Hand nachhaltig im Nacken, am Kopf und an der Hüfte kratzte.

»Ein Zimmer.« »Können Sie bezahlen?« Axton zog einen Schein aus der Tasche. »Genügt das?« Der Arkonide griff gierig nach dem Geld,

doch der Verwachsene entzog es ihm schnell wieder.

»Erst möchte ich das Zimmer sehen.« Jetzt kratzte sich der Hotelbesitzer mit

beiden Händen. Er zog ein Insekt aus dem Haar hervor, ließ es zu Boden fallen und zerquetschte es unter seiner Sohle.

»Haben Sie diese Teufelsbiester einge­schleppt?« erkundigte er sich und blickte Axton durchdringend an.

»Ich bin keimfrei«, entgegnete dieser. Er wich einen Schritt zurück. »Nun, was ist? Können Sie mir das Zimmer zeigen?«

Der Arkonide gähnte, drehte sich um und ging zu einer Leiter, die senkrecht an der Wand befestigt war und in das erste Stock­werk hinaufführte. Er kletterte daran hoch, ohne sich um den Gast zu kümmern. Lebo Axton bezweifelte, daß er ihm folgen konn­te, machte jedoch einen Versuch. Er war überrascht, wie leicht es war, diese Leiter emporzusteigen.

Der Arkonide öffnete eine Zimmertür, als der Verkrüppelte bei ihm war. Ein fauliger Geruch schlug ihm entgegen.

»Bitte.« »Gehen Sie voran, Chef«, sagte Axton. Der Arkonide betrat den Raum und schrie

erstickt auf. In der dem Eingang gegenüber­liegenden Ecke hing ein orangerotes Gebilde an der Wand. Es sah aus wie ein grob ge­sponnenes Netz, in dem sich ein dickes Na­delkissen verfangen hatte.

»Vorsicht! Zurück«, rief der Hotelier. Er warf sich herum und riß die Tür dabei zu. Er stürzte über Kennon und fiel zusammen mit ihm zu Boden. Im gleichen Moment trom­melte etwas wütend gegen die Innenseite der

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Tür. Der Terraner sah, daß sich die Spitzen von etwa zwanzig Nadeln durch das Isopla­stikmaterial bohrten. Er schlug mit seinen kleinen Fäusten auf den Arkoniden ein, bis dieser sich von ihm herunterwälzte. Stöh­nend vor Schmerzen erhob Kennon sich.

»Was ist das?« fragte er und zeigte auf die Nadeln.

»Das, oh, das ist nichts.« Der Arkonide verbeugte sich linkisch, legte seinem Gast den Arm um die Schultern und wollte ihn zum nächsten Zimmer ziehen. Der Verwach­sene schüttelte den Arm jedoch ab.

»Ich weiß schon Bescheid«, sagte er. »Verdammt, so mies geht es mir auch noch nicht, daß ich in einem Hotel übernachten müßte, in dem sich Rotkorallen eingenistet haben.«

Der Hotelbesitzer griff nach Kennons Arm und krallte seine Hand in seine Jacken­bluse.

»Bleiben Sie, mein Herr, gehen Sie nicht. Es ist ja alles nur ein Irrtum. Ein Scherz, verstehen Sie?«

Axton-Kennon setzte dem Arkoniden die Fingernägel auf den Handrücken und bohrte sie ihm in die Haut.

»Lassen Sie mich los.« Er kehrte zum Aufstieg zurück und klet­

terte die Leiter hinunter. Der Arkonide folg­te ihm.

»Überlegen Sie es sich noch einmal, mein Herr.« Er verstellte ihm den Weg. Bleich blickte er auf den Verkrüppelten hinab. Sei­ne Augen tränten vor Erregung, und die Hände zitterten. »Das können Sie mir nicht antun.«

»Sie wissen, daß ein Hotel, in dem sich eine Rotkoralle niedergelassen hat, abgeris­sen werden muß. Diese Tiere sind nicht zu vertreiben, es sei denn, man zündet das gan­ze Gebäude an. Dieses Haus ist verseucht. Glauben Sie, ich habe Lust, mich von den Nadeln durchbohren und von der Koralle an­schließend aussaugen zu lassen? Gehen Sie mir aus dem Weg.«

Der Hotelier kratzte sich am Hals. Er trat zur Seite und ließ Lebo Axton vorbei.

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»In Ordnung, Feird«, sagte er resignie­rend. »Nimm ihm das Geld ab.«

Hinter einem Vorhang trat ein hünenhaf­ter Mann hervor. Er wischte sich seine gro­ben Hände an den Hosen ab und streckte Axton dann die linke hin.

»Gibs' her.« Der Verwachsene schüttelte den Kopf. »Warum?« »Blöde Frage.« Entschlossen ging der riesenhafte Arkoni­

de auf Axton zu. Dieser griff in die Tasche seiner Jackenbluse und holte ein Elastikband und einen handlangen Nagel hervor. Rasch spannte er das Band zwischen Daumen und Zeigefinger und wirbelte den Nagel auf den Angestellten zu. Das Geschoß überschlug sich zweimal in der Luft und bohrte sich dann mit der Spitze zuerst durch den Fuß des Angreifers in den Boden. Der Arkonide schrie auf. Er sank in die Knie und versuch­te, den Nagel aus dem Fuß zu ziehen, doch er saß zu fest.

»Hilf mir doch, Ried«, brüllte er. Lebo Axton eilte zur Tür. Er blickte sich

nicht mehr um, sondern trat auf die Straße hinaus, froh, dem finsteren Hotel entkom­men zu sein. Obwohl er wußte, daß die bei­den Arkoniden ihm folgen würden, blieb er jedoch schon nach wenigen Schritten wieder stehen. Im Eingang eines anderen Hauses, das geradezu abschreckend schmutzig aus­sah, leuchtete ein 3D-Kugelbildschirm. Ax­ton hatte schon an mehreren Stellen von Ar­kon III derartige Geräte gesehen, die zur Zeit die große Attraktion darzustellen schie­nen.

Ein Name war ihm aufgefallen. Ein Nachrichtensprecher hatte ihn er­

wähnt. Deshalb war Axton stehengeblieben. »… wurde Flottenoffizier Ceron Mossel­

crin völlig ausgeblutet aufgefunden – und zwar auf dem Produktionsband einer vollau­tomatischen Fabrik. Die Leiche brachte die robotische Fertigung zum Stillstand. Bisher hat die Polizei noch keine heiße Spur …«

Lebo Axton hörte verdächtige Geräusche hinter sich. Er blickte sich um, entdeckte

den Hotelier und verbarg sich rasch hinter einem stillgelegten Roboter, der als Rekla­mefigur benutzt wurde. Der Rest der Mittei­lung entging ihm. Er beobachtete seinen Verfolger, der nicht wußte, wohin er sich gewandt hatte, und der sich nun entschloß, in der entgegengesetzten Richtung nach ihm zu suchen.

Kennon kehrte zu dem 3D-Apparat zu­rück. Die Nachrichtensendung war jedoch bereits beendet. Nachdenklich eilte er wei­ter, bis er sicher war, daß er nicht mehr überrascht werden konnte. Er betrat ein Re­staurant, das am Ende einer Einkaufsgasse lag.

Das Lokal war bis auf wenige Plätze be­setzt. Lebo Axton schlich sich verstohlen an einen freien Tisch heran und kletterte dort mühsam auf einen Hocker. Selbst in diesem Haus, in dem sich Raumfahrer von verschie­denen Planeten, Reiche und Arme trafen, fiel er auf. Die Blicke mehrerer Gäste richte­ten sich auf ihn. Der Verkrüppelte tat, als habe er nichts bemerkt.

Ein mageres Mädchen kam zu ihm an den Tisch. Sie hinkte stark. Axton fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er preßte die Lippen zusammen. Seine Hände began­nen zu zittern – bis er sah, daß sie ihn nicht verspotten wollte, sondern tatsächlich ein verkürztes Bein hatte. Sie sprühte ein Reini­gungsmittel auf den Tisch.

»Was willst du?« fragte sie mit niederge­schlagenen Augen.

»Bring mir etwas zu essen. Es darf nicht zu teuer sein.«

Er sprach mit einem leichten Akzent, wie man ihn hier nicht kannte. Sie wurde auf­merksam und musterte ihn.

»Bleib lieber nicht«, sagte sie leise. Er legte etwas Geld auf den Tisch. »Das ist alles, was ich habe.« Sie nahm es und verschwand damit. Da er

die Warnung nicht beachtete, verzichtete sie darauf, sie zu wiederholen. Kennon-Axton stützte sich auf die Ellenbogen und senkte den Kopf. Er überlegte, wo er den Namen Mosselcrin schon gehört hatte.

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Der Mann – ein Offizier der arkonidi­schen Raumflotte – war ermordet worden.

War das die Chance, die er in den Elends­vierteln von Arkon III so fieberhaft gesucht hatte?

In Gedanken ging er noch einmal durch, was er gehört hatte.

Mosselcrin war getötet worden. Sein Mör­der hatte ihn auf die Fertigungsbänder einer automatischen Fabrik gelegt. Nein – das war nicht richtig. Es mußte keineswegs der Mör­der gewesen sein. Das konnte auch ein ande­rer getan haben. Fabrik und Mord durften nicht unbedingt in einen Zusammenhang miteinander gebracht werden.

Der Kosmokriminalist in Kennon-Axton erwachte. Verbrechen aufzuklären, war sei­ne Spezialität. Er konnte, wie kaum ein an­derer, winzige Spuren aufnehmen und aus ihnen das Geschehen rekonstruieren. Über dreihundert Jahre lang hatte er im Dienste der USO Fälle gelöst, die von anderen be­reits als unlösbar eingestuft worden waren.

Er lächelte unmerklich und hob den Kopf. Das Mädchen näherte sich hinkend und stellte einen Teller mit dampfendem Fleisch auf den Tisch. Dazu servierte sie ein klares Getränk.

»Seid vorsichtig«, sagte sie wispernd. »Krüppel sieht man hier nicht gern.«

»Dann sollte der Wirt sich um eine andere Bedienung bemühen«, gab er ungewollt hef­tig zurück. Er wollte noch mehr sagen, aber seine Stimme versagte. Er räusperte sich, und dann merkte er, daß ihre Augen feucht wurden. Ärgerlich über sich selbst griff er nach dem Schnittlöffel, trennte damit ein großes Stück Fleisch ab und schob es sich in den Mund. Das Mädchen eilte davon.

Er verzehrte seine Mahlzeit, wechselte da­nach seinen Platz und setzte sich direkt vor ein 3D-Gerät, das mit gedämpftem Ton lief. Einige Minuten verstrichen, dann kamen er­neut Nachrichten. Ungeduldig wartete Ax­ton, bis endlich wieder der Bericht über den ermordeten Offizier kam. Er erfuhr jedoch nichts Wesentliches mehr – ausgenommen, daß die Polizei für die Aufklärung des

H. G. Francis

Mordfalls eine beachtliche Belohnung aus­gesetzt hatte. Wer Hinweise geben konnte, die dazu beitrugen, den Täter zu überführen, konnte mit einer Summe rechnen, die etwa für den Kauf eines gebrauchten Gleiters aus­reichte. Aber nicht nur das faszinierte Axton an dieser Idee. Viel wichtiger war ihm, daß er bei einer Mitarbeit die Möglichkeit er­hielt, durch eine positive Leistung in der ar­konidischen Gesellschaft aufzufallen. Und genau das war sein Ziel.

»Steh auf.« Er fuhr herum. Vor ihm stand ein vier­

schrötiger Mann in der Uniform eines Raumfahrers. Die Augen des Arkoniden wa­ren glasig. Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß er unter dem Einfluß eines be­wußtseintrübenden Stoffes stand. Der Ver­wachsene sah ein, daß es besser war, den Platz zu räumen. Ein Mann wie dieser konn­te ihn mit einem einzigen Schlag töten.

Während er sich erhob und aus dem Re­staurant eilte, dachte er für einen kurzen Moment an den unüberwindlichen Robot­körper, den er von Atlan bekommen hatte. In ihm war er ein Gigant gewesen, der es mit einem Saurier hätte aufnehmen können, oh­ne dabei eine Niederlage befürchten zu müs­sen. In seinem verkrüppelten Körper aber war er so schwach, daß er von jedem halb­wegs gesunden Kind verprügelt werden konnte.

So ging es nicht weiter. Er mußte etwas haben, womit er seine

körperlichen Mängel ausgleichen konnte. Er brauchte einen Roboter.

Robothasser Kennon wurde übel bei die­sem Gedanken.

Er betrat die Gasse. Ein hundeähnliches Tier rannte ihn um. Er stürzte in den Staub und mußte es sich gefallen lassen, daß das Tier ihn beschnüffelte. Sein Versuch, es mit den Händen wegzudrücken, scheiterte kläg­lich. Er konnte sich erst wieder aufrichten, als eine Arkonidin das lästige Geschöpf zur Seite zog.

»Du kannst froh sein, daß es nicht noch das Bein gehoben hat«, sagte die Serviererin

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13 Der Intrigant

gehässig. Sie stand im Eingang zum Lokal und blickte auf ihn herab. Er raffte sich ge­demütigt auf.

»Ich wollte dich nicht beleidigen«, erklär­te er.

»Pah.« Sie verzog das Gesicht, drehte ihm den Rücken zu und verschwand. Lebo Ax­ton fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Er mußte einen Roboter haben. So un­behaglich dieser Gedanke war, ihm blieb keine andere Wahl. Er sah es ein.

*

Der Mann, der über den Schrottplatz wachte, war nur noch ein Torso.

Sein Körper endete an den Hüften und ruhte auf einem robotischen Trage- und Gehgestell mit dünnen, schwarzen Metall­beinen. Der Arkonide war schlohweiß, und seine Haut war bleich. Er war dick und auf­geschwemmt und erhob sich wie ein fetter Kloß auf dem Automaten, dessen Beine län­ger waren als der Torso.

»Ich kaufe nichts«, sagte er schroff, als Lebo Axton vor ihm stand. »Sehen Sie sich doch an, was hier alles lagert. Und nichts wird man mehr los heutzutage. Man sollte meinen, daß sie Schrott massenhaft benöti­gen. Aber das ist ein Irrtum. Man sollte mei­nen, daß sie Waffen und Raumschiffe in rau­hen Mengen produzieren, weil sie sie im Methankrieg benötigen. Aber auch das stimmt nicht. Wissen Sie, was sie produzie­ren wie am Fließband? Krüppel, sage ich Ih­nen. Sehen Sie sich doch selbst an.«

Axton-Kennon legte den Kopf in den Nacken und blickte zu dem aufgedunsenen Gesicht hinauf. Der Arkonide war etwa zwei Meter groß. Wenn man so dicht vor ihm stand, dann konnte man das Sirren und Heu­len des Gyros hören, mit dessen Hilfe sich das Tragegestell senkrecht hielt.

»Ich will nichts verkaufen«, sagte Axton. »Ich brauche etwas.«

»So?« Der Schrotthändler runzelte die Stirn. Er schien Mühe zu haben, mit dem Gedanken fertig zu werden, daß jemand ihm

auch einmal etwas abnehmen wollte. »Bitte, womit kann ich dienen?«

»Ich brauche einen Roboter.« Der Arkonide lachte, bis ihm die Tränen

in die Augen schossen. Er drehte sich um und schwenkte die Arme.

»Da liegen Zehntausende von Robotern«, erwiderte er. »Es sind die Reste von Schlachten von Hamatk, von Eysto-Vohar, von Ekma und von Gish, der Auseinander­setzung von …«

»Schon gut«, rief Axton. »Schon gut.« »Bäuche, Beine, Gelenke, Köpfe, Laut­

sprecher, Linsen, Arme, Hände, Schultern … was Sie wollen.«

»Ich habe nicht viel Geld.« »Natürlich nicht. Wer hier etwas kaufen

will, der hat kein Geld. Wieviel?« Lebo Axton nannte ihm eine bescheidene

Summe. Sie hätte normalerweise nicht aus­gereicht, auch nur eine Hand oder eine Linse zu bezahlen, aber dem Schrotthändler ge­nügte sie. Er nahm sie entgegen und gab dem Verwachsenen den Weg auf die Schrotthalde frei. Die Trümmer von Kampf­automaten, Raumschiffen und Beibooten, Bodenpanzern, Kanonen, Strahlern und Flugplattformen lagen wirr durcheinander zu Bergen zusammengekarrt, die eine Höhe von mehreren hundert Metern erreichten und eine Fläche von vielen Quadratkilometern einnahmen. Vereinzelt liefen einige Arbeits­roboter in den freigelassenen Schneisen her­um. Axton wies zögernd auf sie.

»Werden sie mich auch nicht belästigen?« fragte er mit stockender Stimme. Er blickte unsicher zu dem Arkoniden auf.

»Unsinn, Kleiner, das können sie gar nicht.«

Lebo Axton wurde das Unbehagen jedoch nicht los, das ihn immer dann befiel, wenn er Robotern gegenüberstand. Zögernd und unsicher ging er in eine Schneise hinein. Je weiter er sich von dem Schrotthändler ent­fernte, desto schutzloser fühlte er sich. Ro­boter hatte er schon immer gehaßt. Diese künstlichen Wesen aus Plastik und Metall waren ihm unheimlich. Er kannte ihre un­

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glaublichen Fähigkeiten wie kaum ein ande­rer, da er selbst Jahrhunderte lang in einem Roboterkörper gelebt hatte. Nie war es ihm gelungen, wirkliches Zutrauen zu der Po­sitronik zu finden, die diese Maschinen steu­erte. Die Furcht, daß es zu Fehlschaltungen und damit zu Fehlreaktionen kommen konn­te, war tief in ihm verwurzelt.

Er wünschte, er hätte eine Strahlwaffe ge­habt. Dann hätte er sich wohler gefühlt. Er konnte jedoch nicht damit rechnen, daß er hier eine finden würde. Derartige Dinge wurden üblicherweise sorgfältig aussortiert, bevor man etwas der Verschrottung übergab.

Seine Hoffnung, bereits in der Nähe des Eingangs Robotteile zu finden, erfüllte sich nicht. Axton überwand seine Furcht vor den Metallschluchten und den darin arbeitenden Robotern. Er ging weiter, bis er eine Robot­hand entdeckte.

Er beruhigte sich augenblicklich. Mit ei­nem wahren Feuereifer stürzte er sich auf die Arbeit. Die Hand hing an einem verbo­genen und durch Hitze verformten Arm. Er löste sie mühevoll ab, reinigte sie und über­prüfte ihre Funktionen. Sie war einwandfrei. Zufrieden legte er sie sich auf die Schulter und ging weiter, bis er einen Oberschenkel fand, der so aussah, als könnte er ihn ge­brauchen. Er verwendete eine Stunde darauf, ihn aus den Trümmern eines Robottorsos herauszulösen, nur um dann festzustellen, daß er nichts taugte. Enttäuscht warf er ihn von sich. Es klirrte laut, als er gegen Metall schlug.

Axton blickte auf und fuhr erschreckt zu­sammen, als er merkte, daß er den Schenkel einem Roboter an den Kopf geschleudert hatte. Die Maschine ruderte sinnlos mit ih­ren vier Armen durch die Luft und drehte sich dabei im Kreis herum. Der Verwachse­ne rannte keuchend davon, bis die Schmer­zen in seinen Lungen so stark wurden, daß er stehenbleiben mußte.

Der Roboter war ihm nicht gefolgt. Axton setzte sich auf ein Metallrohr, das

ehemals zu einem Konverter gehört haben mochte. Als er sich wieder etwas erholt hat-

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te, hob er den Kopf. In einer Höhe von un­gefähr zwölf Metern blitzten zwei Linsen in der Sonne. Er hielt den Atem an. Sollte er soviel Glück haben, gleich einen ganzen Ro­botkopf zu finden?

Er suchte nach einer Möglichkeit, den Schrottberg zu erklettern. Er glaubte, einen günstigen Einstieg gefunden zu haben und zog sich ächzend an einem durchlöcherten und verdrehten Träger hoch. Mit einer Anti­gravplattform oder einem flugfähigen Robo­ter wäre alles viel leichter gewesen. Aber derartige Hilfen standen ihm nicht zur Ver­fügung. Er konnte froh sein, daß er die er­sten Tage auf Arkon III überhaupt so gut überstanden hatte.

In einer Höhe von sieben Metern mußte er eine Pause einlegen. Er ließ sich auf eine Platte sinken und suchte den gegenüberlie­genden Schrottberg nach Roboterresten ab, sah jedoch keine.

Was würde passieren, wenn er abstürzte? Starb er dann wirklich? Oder wurde er

dann nur wieder in die Welt des Jahres 2844 nach Chr. zurückgeschleudert? Vielleicht er­wachte er dann nur mit scheußlichen Kopf­schmerzen und einer bitteren Erinnerung?

Warum verspürte er dann aber Schmerzen in der Lunge, wenn er nur ein paar Schritte gelaufen war?

Er hieb mit der Faust gegen den Stahl und rieb sich danach die Hand. Sie tat weh. Müßte sie nicht empfindungslos sein, wenn dies alles nur ein Traum war?

Bestand eine Energiespirale zwischen die­ser Arkonzeit und jener Zeit, aus der er ge­kommen war oder gekommen zu sein glaub­te?

Mußte sich seine Aktivität hier nicht in der Zukunft auswirken? Was würde bei­spielsweise geschehen, wenn er Atlan töte­te? Mußte dann das Solare Imperium nicht eine völlig andere Entwicklung nehmen? Aber war das überhaupt möglich?

Axton-Kennon zwang sich, diese Gedan­ken weit von sich zu schieben. Er wußte ja nicht einmal, ob er wirklich nur einmal exi­stierte und durch die Zeiten geschleudert

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worden war, oder ob er zweimal war. So sehr er sich auch bemühte, er konnte diese Fragen nicht selbst beantworten. Wenigstens nicht jetzt. Später würde er vielleicht mehr erkennen und mehr darüber aussagen kön­nen.

Kam es denn darauf an, diese Rätsel jetzt zu lösen?

Er hatte die faszinierende Möglichkeit, in die Welt einzutauchen, mit der er sich bei seinem Studium der Altgalaktischen Völker am intensivsten beschäftigt hatte. Bisher hat­te er geglaubt, sie so gut zu kennen, als wäre er in ihr aufgewachsen. Nun sah er, daß sie doch etwas anders war, wenngleich die großen soziologischen und politischen Zu­sammenhänge stimmten. Er kannte die be­deutenden Persönlichkeiten zumindest dem Namen nach, und er wußte, in welcher Wei­se sie das große politische Geschehen beein­flussen würden.

Wie auch immer diese Welt war – real oder nicht – er mußte sich stets so verhalten, daß er die wirklich entscheidenden Ereignis­se der arkonidischen Geschichte nicht verän­derte.

Er lächelte unmerklich. Vermutlich überschätzte er sich. Wer war er denn schon? Ein Krüppel, der

in einem Schrotthaufen hockte und über Weltgeschichte nachdachte.

Axton lachte schrill auf. Er erhob sich und kletterte weiter nach

oben, wobei er sich zwang, über lauter be­langlose Dinge nachzudenken. Aber das wollte ihm nicht so recht gelingen.

Er erinnerte sich daran, wie wild und un­beherrscht er reagiert hatte, als er von sei­nem ersten Zeit-Ausflug in das arkonische Reich zurückgekehrt war. Er hatte getobt und sich geweigert, noch länger in seinem Robotkörper zu leben. Nach über dreihun­dert Jahren seinen eigenen Körper wiederzu­finden, den er längst vergangen glaubte, das war einfach zuviel gewesen.

Er hatte reagiert wie ein Süchtiger, der meinte, nicht mehr ohne das Gift leben zu können. Er hatte in fast hysterischer Haltung

darum gekämpft, in seinen schwachen, ver­krüppelten Körper zurückkehren zu können.

Allmählich wurde er sich dessen bewußt, daß er nicht viel glücklicher war als vorher in seinem Robotkörper. Er hatte vergessen, wie ohnmächtig man in einem Körper ist, der so schwach ist, daß er sich aus eigener Kraft kaum bewegen kann. Mit aller Macht kämpfte er dagegen an, daß die alten, ver­narbten Wunden wieder aufrissen.

Er hatte dieses Leben gewollt – nun muß­te er sehen, wie er damit fertig wurde. Eine wirksame Waffe hatte er mit in die Vergan­genheit genommen. Sie allein zählte. Alles andere war unwichtig. Alle Schwierigkeiten waren nur vorübergehender Natur. Bald würde alles anders aussehen, wenn er die ihm gegebenen Möglichkeiten nur ent­schlossen genug nutzte.

Sein Verstand war das Schwert, mit dem er Arkon erobern konnte, wenn er nur woll­te.

Er blieb vor dem fast vollständig erhalte­nen Robotkopf stehen.

»Nicht das Schwert«, sagte er leise. »Diese Waffe wäre viel zu plump. Florett ist der richtige Ausdruck.«

Er blickte über die Schrotthalden hinweg. In einer Entfernung von etwa fünf Kilome­tern befand sich der nächste Raumhafen. Sieben kugelförmige Raumschiffe standen dort. Das blaßrote Licht der untergehenden Sonne rief eigenartige Reflexe an den Ku­gelhüllen hervor.

3.

»Mosselcrin«, sagte Lebo Axton leise. Das war der Name eines der Offiziere, die

ihn vor einigen Tagen am Rand des Übungs­geländes für Raumfahrer gequält und gede­mütigt hatten. Das war der Name des Man­nes, der ermordet worden war.

»Sein Körper war ohne Blut«, stellte er fest. »Ohne Blut? Warum?«

Er drehte den Robotkopf in seinen Hän­den.

Warum sollte ein Mörder sein Opfer aus­

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bluten lassen? Lagen dafür rituelle Gründe vor? Er wußte, daß es verschiedene Sekten gab, die zum Teil abenteuerliche Vorstellun­gen verfolgten. Sollte Mosselcrin einer Gruppe religiöser Fanatiker angehört haben, die ihn aus bisher noch ungeklärten Gründen hatten leerbluten lassen?

Axton blickte in die Tiefe. Er klemmte sich den Robotkopf unter den Arm und ver­suchte, nach unten zu klettern. Schon Sekun­den darauf glitt er aus, rutschte zwei Meter tief und stürzte schwer auf eine Stahlplatte. Stöhnend blieb er liegen. Vor seinen Augen flimmerte es. Der Robotkopf rollte aus sei­nem Arm und fiel über die Kante der Platte. Er hörte, wie er zwischen den Stahltrüm­mern aufschlug und in die Tiefe polterte. Bei jedem Aufprall zuckte Axton zusammen, als werde er von einem Faustschlag getroffen.

Einige Minuten verstrichen, bis er sich so weit erholt hatte, daß er sich umdrehen konnte. Er klammerte sich an einem Träger fest und schob sich so weit vor, daß er nach unten sehen konnte. Ein Roboter näherte sich dem Kopf und nahm ihn auf.

»Nein«, brüllte Axton-Kennon. »Nein, verdammt.«

Er griff wild um sich, bis er ein loses Stück Stahl fand. Er nahm es auf und schleuderte es gegen den Roboter. Es schlug ihm gegen die Schulter.

Die Maschine ließ die Arme sinken und senkte den Kopf in den Nacken. Die Linsen funkelten.

»Nein«, schrie der Verwachsene. »Das ist mein Kopf.«

Der Roboter ließ die Beute Axtons fallen, drehte sich um und ging davon.

»Mistvieh«, sagte der Terraner stöhnend. »Ich möchte in einer Welt leben, in der es keine Roboter gibt.«

»Nostalgische Erwägungen, Liebling?« fragte eine weibliche Stimme hinter ihm. Sie klang rauchig und verführerisch.

Er fuhr herum und blickte fassungslos auf das Robotfragment, das zwischen zwei ver­brannten Stahlträgern hing. Es bestand aus einem Robotkopf ohne Hülle, Schultern und

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einer offensichtlich noch nicht entleerten Batterie.

»Sei still«, sagte er drohend, »oder ich werfe dich auch in die Tiefe. Dann ist es aus mit dir.«

»Was soll das, Liebster? Du hast keinen Grund, mich zu zerstören. Du lernst mich erst jetzt kennen, kannst also unmöglich Be­sitzansprüche stellen – also auch nicht eifer­süchtig sein. Warum also diese Mordandro­hung?«

Lebo Axton nahm ein armlanges Stahl­stück auf und hob es über den Kopf.

»Sei still, habe ich gesagt. Ich mache Schrott aus dir.«

»Das bin ich bereits.« Er ließ den Arm sinken. Die Positronik

des Roboters schien weitgehend in Ordnung zu sein. Woher sollte er wissen, daß er noch ein zweites Teilstück fand, das einwandfrei funktionierte? Warum sollte er dieses nicht nehmen – so unsympathisch es ihm auch war.

Zögernd streckte er seine Hände aus und nahm die Reste des Roboters an sich. Er setzte sie ab und drehte sie hin und her.

»Eine Schönheit bist du nicht geradt«, stellte er fest.

Er fand, daß er Glück gehabt hatte. Dieses Teil konnte er wirklich gut gebrauchen. Er sah ein, daß er es vorsichtig nach unten brin­gen mußte. Er durfte es auf keinen Fall wer­fen. Damit würde er alles zerstören.

»Kannst du fliegen?« fragte er. Das Fragment schwieg. »Ich habe dich etwas gefragt. Antworte

endlich.« »Du bist nicht konsequent, Schätzchen.

Erst soll ich den Mund halten, dann soll ich reden. Was soll ich eigentlich?«

»Du sollst mich nicht länger Schätzchen nennen.«

»Gut, ich bleibe bei Liebling. Einverstan­den?«

»Ich werde mir überlegen, ob ich dich nicht doch noch zertrümmere, du Mistvieh.«

Lebo Axton entdeckte ein verrostetes Stahlseil, das ganz in der Nähe lag. Er klet­

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terte hinüber und holte es. Dann befestigte er das Fragment daran und ließ es vorsichtig hinunter. Anschließend kehrte er selbst auf den Boden zurück. Er untersuchte den Kopf und stellte fest, daß in seinem Innern außer einigen Steckverbindungen kaum etwas mehr heil war. Er klappte ihn auf und nahm die beschädigten Teile heraus und befestigte die Hüllen danach über dem Fragment.

»Oh, ich kann wieder sehen. Danke, Lieb­ling«, sagte der Kopf. »Du siehst aber nicht sehr schön aus. Oder solltest du die Steck­verbindungen falsch angeschlossen haben? Meine Linsen geben ein völlig verzerrtes Bild deiner männlichen Schönheit wider.«

»Du Mistvieh«, brüllte Axton wütend. Er versetzte dem Kopf einen Tritt, so daß er ei­nige Meter weit durch den Dreck rollte.

»Du wiederholst dich, Liebling«, stellte das Fragment fest, das so liegengeblieben war, daß die Linsen sich auf den Verwachse­nen richteten.

Axton-Kennon setzte sich auf eine zur Hälfte verbrannte Schutzplatte einer Schiffs­positronik und stützte seinen Kopf in die Hände.

»Was soll ich tun?« fragte er. »Ich konnte natürlich nicht erwarten, auf einem Schrott­platz den idealen Roboter zu finden. Du aber bist zweifellos das Mieseste, was ich erwi­schen konnte. Warum hast du eine weibliche Stimme?«

»Warum nicht? Du hast ja auch nicht ge­rade einen Baß. Bevor ich sehen konnte, dachte ich, daß du ein …«

»Ruhe.« »Wie du willst.« Lebo Axton ging mit schleifenden Schrit­

ten zu dem Fragment hinüber. »Du wirst nicht mehr sprechen, bis ich es

dir ausdrücklich befehle!« »Einverstanden, Liebster.« Axton hielt sich die Ohren zu. Der vorhe­

rige Besitzer dieses Roboters mußte ein ganz besonderer Spaßvogel gewesen sein. Wer kam schon auf den Gedanken, eine Maschi­ne derart zu programmieren, daß sie freche Antworten gab und ironische Feststellungen

machte? Dazu war ein Roboter nur dann fä­hig, wenn man sein positronisches Interieur sorgfältig darauf vorbereitet hatte.

Er legte die Hand neben das Fragment. »Wenn ein Roboter kommt und dich weg­

räumen will, dann teilst du ihm mit, daß du mir gehörst. Ist das klar?«

»Klar, Liebling.« Axton überlegte sich, ob er dem Kopf

nicht doch einen Tritt geben sollte. Eine sol­che Reaktion hätte ihm zumindest Genugtu­ung verschafft. Er verzichtete darauf, nahm sich jedoch vor, die Maschine so schnell wie möglich neu zu programmieren.

Er eilte davon. Das linke Bein schmerzte. Er zog es nach. Mit fiebrig glänzenden Au­gen musterte er die Schrottberge, doch mehr als eine Stunde verstrich, bis er endlich auf etwas stieß, was er verwenden konnte – einen Robotfuß mit Fußgelenk. Er nahm ihn auf und schleppte ihn mit sich. Er wollte zu dem Kopffragment zurückkehren, fand dann jedoch kurz hintereinander zwei Arme und ein Hüftgelenk. Nun mußte er zweimal lau­fen, bis er alles dahin transportiert hatte, wo seine ersten Funde lagen. Er stellte erleich­tert fest, daß sich nichts verändert hatte. Mittlerweile war es so dunkel geworden, daß er seine Arbeit unterbrechen mußte.

Er eilte zu dem Schrotthändler und fragte ihn, ob er über Nacht bleiben dürfte. Der Ar­konide hatte nichts dagegen. Er lieh Axton sogar eine Lampe.

Der Verkrüppelte lief zu seinen Schätzen und begann damit, die Arme an den Schul­tern zu befestigen. Das genügte jedoch nicht, da der eigentliche Rumpf mit den Bewe­gungsmechanismen noch fehlte. Er arbeitete, bis ihm die Augen zufielen.

Als die Sonne aufging, setzte er seine Su­che schon wieder fort, ohne sich um den knurrenden Magen zu kümmern. Doch erst gegen Mittag fand er einen ein Meter langen und vierzig Zentimeter dicken Ovalkörper aus Arkon-Stahl. Er hatte eine blaue Grund­farbe und war unbeschädigt. Axton rollte ihn durch die Gassen zwischen den Schrottber­gen und schraubte ihn dann mit den anderen

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Funden zusammen, bis der Roboter sich aus eigener Kraft erheben konnte.

»Du wirst mir jetzt dabei helfen, weitere Teile für dich zu finden«, sagte er. »Ich wer­de dich Kelly nennen. Gentleman Kelly.«

»Ist das ein weiblicher Name?« fragte der Roboter.

»Natürlich nicht. Ich will keinen weibli­chen Roboter. Ich will ein männliches We­sen neben mithaben. Und ich nenne es Gent­leman Kelly.«

»Das ist ein eigenartiger Name für dein Nesthäkchen.«

Lebo Axton verlor die Beherrschung. Er schlug mit einem Metallwerkzeug auf den Roboter ein, bis dieser umkippte.

»Ich reiße dir die Tonmembranen her­aus«, brüllte er. »Kein Wort will ich mehr von dir hören.«

Er öffnete den Kopf des Roboters und lös­te den Lautsprecher heraus. Dann atmete er auf und erhob sich.

»Los. Steh auf, Gentleman Kelly!« Der Roboter gehorchte. Sein Kopf wies

eine deutliche Delle auf. »Ich bin froh, daß du nicht mehr reden

kannst, Kelly. Aber warte, ich werde dir schon das passende Organ besorgen, mein Freund. Und das, was du für Humor hältst, werde ich dir auch austreiben. Los, jetzt, an die Arbeit. Vervollständige dich.«

Der Roboter tat, was Axton von ihm ver­langte. Auf seine Armstümpfe gestützt, eilte er davon.

»Ich warte hier auf dich, Kelly«, schrie der Verwachsene ihm nach.

Die Maschine blieb stehen, wandte sich um und winkte ihm mit einem Arm zu. Das war das Zeichen, daß sie ihn verstanden hat­te. Axton ließ sich auf ein zerbeultes Faß sinken und wischte sich mit dem Unterarm über das verschwitzte Gesicht.

»Verdammtes Mistvieh«, sagte er leise. »Warum mußte ich ausgerechnet dich fin­den?«

*

H. G. Francis

Lebo Axton erwachte, als sich in seiner Nähe etwas regte. Die untrüglichen Instinkte eines USO-Spezialisten, die ihm über Jahr­hunderte hinweg im Kampf gegen die Fein­de der Menschheit geholfen hatten, sprachen auch jetzt noch an.

Er blieb liegen, wo er war, und bewegte den Kopf nur ein wenig, um besser aus sei­nem Versteck herausspähen zu können.

Ungefähr zwanzig Meter von ihm entfernt standen zwei zerlumpte Gestalten. Er konnte sie in der Dämmerung kaum erkennen. Sie waren hager und machten den Eindruck, als ob sie auf etwas lauerten.

Axtons linkes Bein schmerzte. Er streckte es aus und stieß dabei gegen ein Metall­stück. Es fiel herunter und polterte über einen Kanister. Die beiden Männer fuhren herum und rannten auf ihn zu. Wenige Me­ter vor ihm blieben sie stehen.

»Hier muß er irgendwo sein«, sagte einer von ihnen. Er hatte eine heisere, dunkle Stimme und sprach mit einem eigenartigen Akzent.

»Von hier kam das Geräusch«, stimmte der andere zu.

Axton verhielt sich völlig still. Er hoffte, daß die beiden Männer ihn nicht ausmachen konnten, aber er irrte sich. Sie kamen noch näher heran.

»Das ist er«, brüllte der Heisere. Er stürz­te sich auf den Verwachsenen, packte ihn bei den Armen und zerrte ihn aus dem Schrotthaufen heraus. Kennons klägliche Abwehrversuche scheiterten. Er hatte ein­fach nicht die Kraft, sich gegen diese Män­ner zu wehren.

»Gnade«, sagte er winselnd. Ihre Hände fuhren ihm in die Taschen. »Er muß irgendwo Geld haben«, sagte der

Heisere wütend. Er packte Axton bei den Schultern und schüttelte ihn. »Wo hast du es, verdammt?«

»Nicht so, Ak.« Der andere zog ein langes Messer und setzte es dem Gepeinigten an die Kehle. »Schnell – wo ist es?«

Ein Eisenstück wirbelte durch die Luft. Es traf den Mann mit dem Messer am Kopf.

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Betäubt brach er zusammen. Bevor Axton recht erkannte, was geschah, prallte eine faustgroße Eisenkugel gegen den Hals des Heiseren. Dieser schrie schmerzerfüllt auf und sank in die Knie. Er hielt sich den Hals.

Eine große, bizarre Gestalt' eilte über einen Schrottberg hinweg herbei.

»Ist alles in Ordnung?« fragte eine tiefe Baßstimme.

»Danke«, erwiderte Axton-Kennon. »Wer bist du?«

»Gentleman Kelly natürlich, Schätzchen.« »Woher hast du deine Stimme?« »Gefunden.« »So – gefunden.« »Gefällt sie dir nicht, Lieb …« »Ruhe«, brüllte der Verwachsene. »Wer

sind diese beiden Männer?« »Sie gehören zu einer Gruppe von Arko­

niden, die weiter hinten auf dem Schrott­platz lebt.«

»Wir gehen. Das heißt – trage mich.« Axton ließ sich absetzen, als der Roboter

ein kleines Wäldchen erreicht hatte, vor dem eine Sitzbank stand. Er ließ sich darauf nie­der. Mittlerweile war es vollkommen dunkel geworden. Er war sich darüber klar, daß er die Nacht nicht hier verbringen konnte. In ir­gendeinem Hotel mußte er unterkommen. Im schwachen Licht der Sterne, das von den tiefhängenden Wolken noch gedämpft wur­de, konnte er Gentleman Kelly sehen. Der Roboter war nun etwa zwei Meter hoch. Auf dem Ovalkörper saß ein etwa dreißig Zenti­meter langer Spiralenhals, den der Roboter sich selbst beschafft hatte. Er hatte auch den Kopf leicht verändert und selbst gegen eine neue Hülle ausgetauscht, die offenbar besser war als die vorherige. Sie war kugelförmig und hatte in der Mitte ein Organband mit Quarzlinsen, Sprechmembrane, Antennen und Geruchssensoren.

An dem Ovalkörper befanden sich nicht nur zwei, sondern sieben Arme, die mit Werkzeugen verschiedenster Art versehen waren. Unter anderem hatte Kelly sich auch ein spitzes Messer besorgt.

»Wie kommst du dazu, dich derart zu be­

waffnen?« fragte er mit schriller Stimme. »Wen willst du umbringen?«

»Ich verfüge nur über Werkzeuge, wie ich sie dringend benötige«, antwortete der Ro­boter.

»Du lügst«, schrie Axton. »Ein Messer ist kein Werkzeug.«

Er stürzte sich auf den Roboter und riß und zerrte an den Sonderarmen, bis er her­ausfand, daß er sich drehen mußte, wenn er sie ablösen wollte. Nachdem er den Arm mit dem Messer herausgewunden hatte, schlug und hämmerte er wild auf die anderen Zu­satzwerkzeuge ein, erzielte jedoch keinen Erfolg damit, wie es auch nicht anders zu er­warten war. Keuchend hielt er inne. Dann packte er erneut zu und schraubte alle Zu­satzgeräte heraus, bis Gentleman Kelly nur noch über vier Extremitäten verfügte.

»So, das reicht«, sagte Axton, der sich rasch beruhigte. Er blickte zu dem Roboter auf, der alles über sich hatte ergehen lassen, ohne sich zu rühren. »Von jetzt an wird dei­ne Hauptaufgabe sein, mich zu beschützen. Ist das klar?«

»Vollkommen. Ich habe schon damit be­gonnen.«

»Ich habe keinen Tätigkeitsbericht ver­langt«, sagte Axton schroff. Er wandte sich um und eilte am Wald entlang auf die näch­sten Gebäude zu. Er war nicht weit von den Vergnügungszentren am Raumhafen ent­fernt. Hin und wieder blickte er über die Schulter zurück. Der Roboter folgte ihm wie ein Schatten. Axton zwang sich dazu, seinen Haß gegen Automaten wenigstens zeitweilig zu vergessen. Er war auf die Hilfe dieses Monstrums angewiesen, solange er keine Freunde hatte, auf die er sich verlassen konnte.

In den Gassen herrschte reges Treiben. Raumfahrer aus allen Bereichen des arkoni­dischen Einflußgebiets drängten sich vor den Lokalen, den Spielsalons, Kleinstthea­tern und 3D-Häusern. Zwischen ihnen be­wegten sich zahlreiche Roboter, so daß Ax­ton mit Gentleman Kelly überhaupt nicht auffiel.

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Er betrat ein Restaurant, in dem an den Tischen gespielt wurde. Ohne von den Besu­chern des Lokals beachtet zu werden, ging er von Tisch zu Tisch und beobachtete. Die Männer setzten meist hohe Beträge ein. Nach den Wertbegriffen, die Kennon in den letzten Tagen erhalten hatte, ging es bei eini­gen Spielen und Wetten um Monatseinkom­men oder noch mehr.

Er witterte eine Chance, und er konzen­trierte sich vollkommen auf ein Kartenspiel, bei dem es weniger auf Glück als auf Ge­schicklichkeit ankam. Kein Spieler kümmer­te sich um Gentleman Kelly. Man wußte of­fenbar, daß es niemand wagen würde, po­sitronische Hilfen zu benutzen. Tatsächlich trat keiner der anderen Roboter im Raum so nahe an einen der Tische heran, daß er das Spiel hätte beeinflussen können.

Als einige arkonidische Offiziere den Spielsalon verließen, eilte Lebo Axton zu dem freigewordenen Tisch und setzte sich daran nieder. Er nahm die Karten auf, die liegengeblieben waren, und versuchte einige Tricks, die er in seinem Robotkörper mühe­los beherrscht hatte. Seine kleinen, ungeüb­ten Hände behinderten ihn zunächst, doch schon nach wenigen Minuten gelang ihm, was er versuchte. Offenbar kam es entschei­dend darauf an, daß das Hirn wußte, wie die Hände zu lenken waren. Es gab die richtigen Nervenimpulse auch an die kindlich wirken­de Hand des gewachsenen Körpers.

»Platz da«, befahl jemand. Kennon blickte auf. Vor ihm standen vier

Offiziere der arkonidischen Raumflotte. »Natürlich, die Herren«, sagte der Ver­

wachsene. Er setzte ein unterwürfiges Lä­cheln auf, verneigte sich übertrieben häufig und rutschte von seinem Stuhl. Die Raum­fahrer setzten sich.

Axton-Kennon ließ die Karten zwischen seinen beiden Händen hin und her flattern, ohne daß ihm eine entfiel.

»Was treibst du da, Kleiner?« fragte einer der drei. Er hatte ein schmales, hohlwangi­ges Gesicht.

»Ich würde euch gern ein paar Tricks zei-

H. G. Francis

gen«, erklärte Axton. »Ihr werdet euren Spaß haben.«

Der Hohlwangige gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er seinen Platz wieder ein­nehmen durfte. Die anderen erhoben keinen Widerspruch. Sie waren hierhergekommen, um sich zu amüsieren. Sie waren bereit, sich von dem Verkrüppelten unterhalten zu las­sen. Ein Servorobot brachte Getränke für al­le vier.

Lebo Axton führte einige Tricks vor, mit denen er die Arkoniden verblüffte. Danach wettete er mit ihnen, stellte die Behauptung auf, er könne ganz bestimmte Karten heraus­mischen, ohne sie vorher gesehen zu haben, gewann und verlor einige Male und kam mit den Arkoniden ins Gespräch.

»Wer bist du?« fragte der Hohlwangige schließlich. Sein Name war Efla Arat.

»Ich bin Lebo Axton«, antwortete der Terraner.

»Und woher kommst du?« Axton machte eine unbestimmte Handbe­

wegung. »Das ist keine erfreuliche Geschichte. Wir

sind hier, weil wir lachen wollen. Also, las­sen wir das.«

Die Arkoniden akzeptierten, daß er über seine Herkunft nicht reden wollte. Sie blick­ten ihn scheu an, und er schloß aus ihrer Haltung, daß sie glaubten, seine körperli­chen Mängel hätten mit Kämpfen oder Aus­einandersetzungen zu tun, an die er nicht mehr denken wollte.

Axton rief den Roboter und gab alles Geld, das er gewonnen hatte, für weitere Ge­tränke aus. Die Arkoniden dankten ihm für seine großzügige Haltung. Sie luden ihn zu einem Spiel ein, bei dem er alles wieder her­ausholte, was er zuvor verschenkt hatte.

Samkle, einer der anderen Arkoniden, blickte zu einem 3D-Schirm hinüber und verfolgte die Nachrichten, ohne auf das Spiel zu achten, das gerade lief. Er verlor prompt, aber es machte ihm nicht viel aus.

»Den Mörder finden sie nie«, sagte er. Lebo Axton atmete unmerklich auf. Die

Arkoniden machten es ihm unerwartet

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leicht. Es war sein Ziel gewesen, auf den Mordfall Mosselcrin zu kommen. Dieser war alles, was ihn interessierte.

»Was weiß man bis jetzt?« fragte er. wo­bei er so tat, als wolle er im Grunde genom­men gar nichts wissen.

»Mosselcrin wurde angeblich bei einer ekstatischen Sitzung der Soff-Sekte, bei der er Mitglied war, getötet. Der Priester hatte zu einem Fest aufgerufen, bei dem das Blut eines Tieres getrunken werden sollte.«

Samkle verstummte und spielte weiter. Ungeduldig wartete Axton ab. Als der Arko­nide nach einigen Minuten keine Anstalten machte, weiter zu sprechen, bemerkte er: »Sollte man Mosselcrin mit dem Opfertier verwechselt haben?«

Samkle lachte. »Spotte nicht, Kleiner«, sagte er. »Es gibt

zwei Versionen. Die eine besagt tatsächlich, daß eines der Mitglieder in einen Blutrausch geriet und Mosselcrin dabei die Adern öff­nete.«

»Und die andere?« »Die andere behauptet, er habe es in Ek­

stase selbst getan.« »Aber niemand hat eingegriffen.« »Woher weißt du das, Lebo?« »Das ist doch offensichtlich. Sonst würde

man doch von Selbstmord reden – oder? Die anderen Mitglieder der Sekte haben sich schuldig gemacht, weil sie nichts unternom­men haben, Mosselcrin zu retten. Sie haben ihn vielmehr geopfert.«

4.

»So kommen wir nicht weiter, Kelly«, sagte Lebo Axton unzufrieden. »Wir müssen unsere Taktik ändern.«

Der Roboter antwortete nicht. Er hörte nur zu. Er stand neben der Bank, auf der der Verwachsene saß und auf den See hinaus­blickte. Nur wenige hundert Meter von ih­nen entfernt erhoben sich die Mauern einiger Werfthallen.

»Die Schwierigkeit ist, daß ich keine Fra­gen stellen kann. Ich habe keinen Zugang zu

jenen Personen, die mir Auskunft geben können. So bleibt mir kaum mehr als ein Versuch, mit den Priestern der Soff-Sekte zu sprechen. Bringt das etwas?«

»Vermutlich – nein.« »Aha – zu dem gleichen Schluß bin ich

auch gekommen. Es paßt nicht zu einer Sek­te dieser Art, daß sie die Leiche auf diese Weise verschwinden läßt. Damit bleibt eine allzu deutliche Spur zurück. Die Tatsache, daß kein Blut mehr in dem Körper war, sagt schon viel zuviel aus, gefährlich viel für je­manden, der mitverantwortlich ist.«

Er lehnte sich zurück und schlug die Bei-ne übereinander.

»Hm, ich glaube, die Priester können wir vorerst ausschließen. Sie hätten andere Mög­lichkeiten gehabt, den Toten zu beseitigen. In den Elendsvierteln rund um die Raumhä­fen brennt es häufiger. Ein Feuer mehr oder weniger würde kaum auffallen.«

Axton erhob sich und verzehrte eine Frucht, die er sich aus einem Automaten ge­zogen hatte.

»Ich habe eine andere Idee, Gentleman. Komm.« Er eilte dem Roboter voraus, der ihm mit langsamen Schritten folgte. Kennon hatte in der vergangenen Nacht einige Mani­pulationen an der Programmierung der Ma­schine vorgenommen, so daß er nun sicher sein konnte, von ihr stets unterstützt zu wer­den. Er hatte darüber hinaus das Verbot er­lassen, ihn je wieder mit Kosenamen wie Schätzchen oder Liebling anzusprechen. Sein Mißtrauen gegen den Automaten blieb jedoch. Es war allzu tief verwurzelt.

Er brauchte nicht weit zu gehen, dann er­reichte er ein trichterförmiges Haus, das un­gefähr einhundert Meter hoch war. Der Trichter hatte einen größten Durchmesser von etwa dreißig Metern. Axton befahl dem Roboter, auf ihn zu warten. Er betrat das Ge­bäude und schwebte in einem Antigrav­schacht nach oben. Wenig später stand er ei­ner jungen Arkonidin gegenüber. Sie blickte voller Abscheu auf ihn herab.

»Wir verschenken nichts«, sagte sie ab­weisend. »Verschwinden Sie.«

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Er schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Gehen Sie zur Sei­

te.« Er ging auf eine Tür zu, die die Auf­schrift Hauptingenieur trug. Das Mädchen wagte nicht, ihn anzufassen und aufzuhalten. Sie redete nur empört auf ihn ein, ohne daß er sie beachtete. Axton öffnete die Tür und betrat einen luxuriös eingerichteten Arbeits­raum. Hinter einem drei Meter langen Tisch, der mit Kommunikationsgeräten förmlich bedeckt war, saß ein athletisch gebauter Ar­konide, der ihn erstaunt musterte.

»Was wollen Sie hier?« fragte er belu­stigt. »Dies ist keine Künstleragentur. Wir vermitteln keine …«

Lebo Axton nahm einen Energiestrahler von der Wand und warf ihn dem Ingenieur auf den Tisch.

»Das ist Mist«, sagte er, begab sich zu ei­nem Antigravsessel und ließ sich in dem blau schimmernden Energiefeld nieder.

»Gehen Sie freiwillig, oder soll ich Sie hinauswerfen lassen?«

»Weder noch«, entgegnete Axton. »Sie sollen sich anhören, was ich zu sagen habe.«

Er ging zum Arbeitstisch und zerlegte den Strahler mit wenigen Griffen in seine Ein­zelteile. Dann skizzierte er mit knappen Worten, was sich technisch daran verbessern ließ. Der anfängliche Widerstand des Inge­nieurs schmolz dahin. Er gab zu, daß die Vorschläge interessant waren.

»Und wie läßt sich das alles verwirkli­chen?« fragte er und winkte gleichzeitig ei­nigen Mitarbeitern ab, die ins Büro kommen wollten, um den ungebetenen Gast herauszu­holen.

»Ich möchte mit Ihnen zusammenarbei­ten«, antwortete der Verwachsene. »Ich ha­be erfahren, daß dieses Konstruktionsbüro im Auftrag der Raumflotte tätig ist. Wenn wir uns einigen, könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Vorschlägen machen.«

Kennon-Axton hatte keine Bedenken mehr, technische Revolutionen einzuleiten. Er wußte von seinen Studien her, daß in die­ser Zeit einige umwälzende Erfindungen ge­macht worden waren, mit denen vor allem

H. G. Francis

die Waffentechnik der Arkoniden verbessert wurde. Er würde mit seinen Kenntnissen keine technische Revolution einleiten, son­dern einige wenige Dinge vorwegnehmen, die in späteren Jahrtausenden ohnehin noch erheblich verbessert werden würden. Er hü­tete sich, die Waffentechnik des Jahres 2844 n. Chr. in die Zeit des Großen Methankriegs zu bringen. Aber auch so konnte er bereits genügend Erfolge verzeichnen. Er mußte Zutritt zu Offizierskreisen gewinnen, und das konnte ihm nur gelingen, wenn er sein überlegenes Wissen einsetzte.

Der Ingenieur nickte ihm sinnend zu. »Einverstanden«, sagte er. »Mein Name

ist Eglo Butein. Ich habe nur noch eine Fra­ge.«

»Bitte.« »Warum machen Sie nicht Ihr eigenes In­

genieurbüro auf?« Lebo Axton verzog das Gesicht. »Sehen Sie mich doch an. Einem Krüppel

vertraut niemand so leicht. Ich habe versucht, Verbindung mit den

Offizieren zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen. Ich benötige einen Partner.«

»Sie sind ehrlich.« »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.« Eglo Butein wurde zusehends höflicher.

Er rief seine Mitarbeiter herein, stellte ihnen Lebo Axton vor und leitete eine Arbeitskon­ferenz ein, auf der Kennon sein Wissen un­ter Beweis stellte. Der Ingenieur führte ihn anschließend in sein Testlabor und ließ ihn dort einige kleine Arbeiten durchführen. Der Verwachsene erledigte sie schnell und si­cher.

Danach hatte er gewonnen. Eglo Butein nahm ihn als Partner auf. Obwohl sich seine Lage damit schlagartig

gebessert hatte, war Axton-Kennon nicht ganz zufrieden. Er hatte nun eine verhältnis­mäßig sichere Basis gefunden, auf der er aufbauen konnte, aber er war nun nicht mehr so frei und beweglich wie vorher.

Das Ruflicht im Videogerät flackerte. Le­bo Axton schaltete den Apparat ein. Er lä­chelte, als sich das Gesicht Eglo Buteins auf

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dem Bildschirm abzeichnete. »Guten Morgen, Partner«, sagte der Inge­

nieur. »Wie ist das Hotel? Sie sind hoffent­lich damit zufrieden?«

»Es ist alles bestens, Butein«, entgegnete der Verwachsene. »Ihre Empfehlung war großartig. Was gibt es?«

»Wir haben eine Besprechung mit dem Waffenmeister der Fünften Flotte«, erklärte Butein. »Ich hole Sie in zwei Stunden ab.«

»Danke. Bis dann.« Axton schaltete das Gerät ab. Er drehte

sich um, blickte Gentleman Kelly an und rieb sich die Hände.

»Es geht los«, sagte er, eilte zum gedeck­ten Tisch und verzehrte hastig ein Stück ge­bratenes Fleisch. »Vorher sehen wir uns aber noch den Priester der Soff-Sekte an. Einverstanden?«

»Ich habe keine Einwendungen«, erwider­te der Roboter.

»Das wäre ja auch noch schöner! Ich wür­de dir deine Halsspirale in die Länge ziehen, falls du wagen solltest, etwas gegen meine Entschlüsse zusagen.«

Er blinzelte. »He, Kelly, was würdest du tun, wenn ich

dir die Spirale verbiegen würde?« »Ich würde Minderwertigkeitskomplexe

entwickeln.« »Wie bitte? Was würdest du tun? Minder­

wertigkeitskomplexe …? Warum?« »Weil ich dadurch sicherlich an äußerli­

cher Attraktivität verlieren würde.« Axton schwieg verblüfft. Dann schüttelte

er den Kopf, ging einmal um Kelly herum und blickte ihn von oben bis unten an.

»Du brauchst keine Komplexe zu ent­wickeln, Kelly«, sagte er boshaft. »Du bist minderwertig.«

Zufrieden mit sich selbst und dem psy­chologischen Hieb, den er Kelly versetzt hatte, marschierte Axton aus dem Zimmer. Der Roboter folgte ihm wie ein Schatten. Er blieb auch bei dem Besucher aus einer fer­nen Zukunft, als dieser einen Gleiter bestieg.

»Ist mir eine Frage erlaubt, Herr?« »Bitte.« Axton lenkte die Maschine über

einige trichterförmige Häuser hinweg bis hin zum Randgebiet des Raumhafens. Hier stan­den einige Kuppelbauten, die mit farben­prächtigen Symbolen versehen waren. Er landete vor einem dieser Gebäude.

»Warum wollen Sie unbedingt den Mör­der des Offiziers Mosselcrin finden? Sie ha­ben doch genügend Möglichkeiten, Geld zu verdienen.«

Axton verschränkte die Arme vor der ton­nenförmigen Brust.

»Erstens geht dich das überhaupt nichts an. Zweitens hast du mir doch besser gefal­len, als du dir hin und wieder einige Re­spektlosigkeiten erlaubt hast. Drittens werde ich dir dennoch eine Antwort geben. Ich ha­be nicht die Absicht, hier ein faules Leben zu führen, viel Geld zu verdienen und an­sonsten nichts zu tun.«

»Streben nicht alle Menschen danach, einen möglichst hohen Lebensstandard zu erreichen?«

»Nicht alle, Kelly. Ich zum Beispiel nicht. Mir geht es um etwas anderes.«

»Darf ich fragen, um was?« »Natürlich darfst du fragen, aber ich gebe

dir keine Antwort.« Lebo Axton stieg aus dem Gleiter und be­

trat den Kuppelbau. Ein fremdartiger, süßli­cher Geruch schlug ihm entgegen. Er blieb stehen, um sich an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Gentleman Kelly stellte sich seit­lich von ihm auf. Widerwillig mußte Axton zugeben, daß der Roboter sich geschickt verhielt. Wer immer ihm programmiert hat­te, er hatte es gut gemacht. Die Maschine entwickelte so etwas wie ein Raumgefühl. Ein Angreifer würde es schwer haben, an ihr vorbeizukommen.

Als er mehr und besser sehen konnte, schlug er einige rote Vorhänge zur Seite und drang weiter in den Soff-Tempel ein.

»Suchst du etwas, Blutsbruder?« fragte je­mand leise. Aus dem Dunkel einer Nische trat ein feister Arkonide hervor. Seine Au­gen waren albinotisch rot und seine Haare weiß.

»Bist du der Blutpriester?« forschte Ax­

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ton. »Der bin ich.« »Dann habe ich gefunden, was ich su­

che.« Er blickte sich um, ging zu einem hüfthohen Kissen und setzte sich darauf. Ihm gegenüber stand ein Holzaltar, der vom Boden bis zur Decke reichte. In halber Höhe befand sich eine Art Sims, der gerade so groß war, daß ein Mensch darauf liegen konnte. Über ihm waren eine Reihe von Messern und Schwertern angebracht wor­den, die auf ihn herabgesenkt werden konn­ten. Die anderen Wände des Raumes waren mit roten Tüchern verhängt worden.

»Sieh dich um, Kelly«, befahl Axton. »Ich will wissen, ob wir hier allein sind, oder ob wir damit rechnen müssen, von die­sem Blutsbruder hinterrücks abgeschlachtet zu werden, so wie er es mit Mosselcrin ge­macht hat.«

»Beim Blute Soffs«, rief der Priester ent­setzt. »Was sagst du da?«

»Du hast es gehört, Blutsbruder«, sagte Axton kalt.

Der Arkonide eilte auf den Besucher zu und sank vor ihm in die Knie, um mit ihm in gleiche Augenhöhe zu kommen.

»Soff sei mein Zeuge. Ich habe nieman­den ermordet. Mein Blut soll sich auf der Stelle in Blei verwandeln, wenn ich lüge.«

»Mosselcrin gehörte dieser Sekte an. Ich weiß es. Er ist geopfert worden.« Axton be­obachtete den Priester scharf. Er bemerkte, daß er Angst hatte. Die Augen tränten und flackerten. Das war ein Zeichen äußerster Erregung.

Gentleman Kelly kam zurück. Er machte Axton ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Sie waren mit dem Priester allein in der Kuppel.

»Aus dir spricht Todessehnsucht, Bluts­bruder«, sagte der Verwachsene.

»Wie meinst du das?« fragte der Priester. »Du möchtest dein Blut dort oben vergie­

ßen, nicht wahr?« Axton zeigte auf den Al­tar. »Kelly – leg ihn auf die Schlachtbank!«

Der feiste Arkonide schrie auf. Seine Au­gen weiteten sich. Er sprang hoch und wich

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vor Axton zurück. »Das darfst du nicht tun, Blutsbruder!« Der Roboter ergriff ihn bei den Oberar­

men, so daß er nicht fliehen konnte. »Ich will alles sagen. Nur – töte mich

nicht.« Axton befahl Kelly mit einer Geste, den

Priester wieder zu ihm zu bringen. Der Ro­boter gehorchte. Vor Axton sank der Arko­nide auf die Knie.

»Erzähle, Blutsbruder. Aber bleibe bei der Wahrheit, sonst sehe ich mich gezwungen, dein Blut zu Ehren Soffs zu vergießen.« Le­bo Axton beugte sich vor und blickte dem Arkoniden starr in die Augen. »Also?«

»Alle wissen es«, erklärte der Priester. »Mag sein. Ich will es dennoch hören.« »Mosselcrin ist ermordet worden. Aber

nicht wir haben ihn getötet, sondern einer der anderen Offiziere vom Hof.« Nach die­ser Aussage sackte der Priester förmlich in sich zusammen. Er senkte den Kopf, als er­warte er nun das Schwert des Henkers.

»Komm, Schätzchen, rede weiter«, befahl Kelly.

Lebo Axtons Augen weiteten sich. »Was hast du gesagt? Sagtest du: Schätz­

chen?« »Aber nicht zu Ihnen, Herr.« »Du verdammtes Mi … hm, du hast mich

also getäuscht. Na, warte.« Wütend trat er dem Priester gegen die Schulter. Obwohl dieser Stoß so schwach war, daß der Arkoni­de ihn kaum fühlen konnte, stürzte er auf den Rücken. Ängstlich streckte er dem Ver­wachsenen die Hände entgegen.

»Nein, Blutsbruder, tu mir nichts. Ich spreche ja schon.«

»Ich höre.« »Es stimmt. Es war einer der anderen Of­

fiziere.« »Wer?« »Ich kenne seinen Namen nicht, aber ich

weiß, daß es ein Vorgesetzter von Mossel­crin war.«

»Und warum sollte dieser es getan ha­ben?«

»Weil Mosselcrin etwas über ihn heraus­

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gefunden hat.« »Was war das?« »Ich weiß es nicht.« »Von wem hat Mosselcrin es erfahren?« »Von dem Händler Bollpta«, der Priester

verstummte. Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde nichts mehr sagen. Sie bringen auch mich um, wenn sie herausbekommen, daß ich alles verraten habe.«

Lebo Axton rutschte von dem Kissen her­unter.

»Es genügt mir auch so, Blutsbruder.« Er verließ den Tempel. Gentleman Kelly

hielt ihm die Tür des Gleiters auf. Er setzte sich hinter die Steuerelemente und wartete, bis der Roboter neben ihm Platz genommen hatte.

»Du bist eine heimtückische Bestie«, sag­te er drohend. »Ich werde dich kaltstellen.«

»Ich wollte dich nicht kränken.« »Ich erwarte bestes Benehmen, mein

Freund. Und ich befehle dir, daß du bei der Wahrheit bleibst. Ein Roboter, der lügt, ist mir noch niemals begegnet. Du wider­sprichst allen asimovschen Gesetzen.«

»Wer ist Asimov, Herr?« »Verdammt, Asimov ist …« Axton

schluckte. Er blickte den Roboter an und schüttelte den Kopf. »Das kann ich dir nicht erklären. Nach welchen Gesetzen bist du konstruiert? Hat man dir Heimtücke, Lug und Trug miteinprogrammiert? Am liebsten würde ich dich zur Hölle schicken.«

»Ich würde Ihrem Befehl selbstverständ­lich Folge leisten.«

»Wirklich?« »Ich muß gehorsam sein. Sie haben es mir

befohlen.« »Also gut, dann fahr zur Hölle!« »Ja, Herr. Beschreiben Sie mir bitte den

Weg?« Lebo Axton stöhnte. Er hieb seine Finger

auf die Programmtasten des Gleiters und ließ sich dann in die Polster zurücksinken.

»Ich wünschte, ich könnte in einer Welt leben, in der es keine Roboter gibt«, sagte er leise.

*

Der Händler Bollpta besaß ein kleines Ge­schäft, in dem sich kaum drei Menschen zur gleichen Zeit aufhalten konnten. Es befand sich in einem Sub-Silo, der tief in das Innere von Arkon III hineinreichte. Als Gentleman Kelly und Lebo-Axton durch einen weiten Antigravschacht nach unten schwebten, hör­ten sie die Arbeitsmaschinen, die den Plane­ten aushöhlen sollten.

So beengt das Geschäft des Händlers räumlich war, so wertvoll waren die Güter, mit denen er handelte. Bei ihm konnten sel­tene Edelsteine aus allen erforschten Berei­chen der Galaxis erworben werden. Schon als Kennon eintrat, bemerkte er, daß Bollpta ungewöhnlich viele Sicherungen eingebaut hatte. Hier mußte er vorsichtig auftreten. Drohungen waren fehl am Platze.

Der Verhandlungsraum enthielt einige Schaukästen, in denen die kristallenen Kost­barkeiten funkelten, einen Tisch, mehrere Sessel und einige Punktleuchten, mit denen Bollpta wirkungsvolle Effekte erzielen konnte.

Lebo Axton betrat den Raum als erster. Gentleman Kelly wollte ihm folgen, doch vor ihm baute sich ein flimmerndes Schutz­feld auf, das er nicht passieren konnte. Bollpta, ein kleiner, bärtiger Mann mit auf­fallend großen Händen, verneigte sich vor dem Verwachsenen.

»Roboter müssen draußen bleiben. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich hoffe, daß ich etwas für Sie tun kann«, erklärte Axton. Er setzte sich, als Bollpta eine einladende Geste machte. Der Edelsteinhändler nahm ihm gegenüber Platz. Angespannt blickte er ihn an. Seine Augen waren feucht – ein unübersehbares Zeichen seiner Erregung. Ahnte er bereits etwas?

»Wie darf ich das verstehen?« Lebo Axton legte die Hände mit den

Handflächen aneinander und rieb sie. Er tat, als ob er nach Worten suche.

»Sie wissen schon, was ich meine«, sagte

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er schließlich. »Meine Zeit ist begrenzt«, erwiderte dar

Händler. »Wenn Sie einen guten Grund ha­ben, zu mir zu kommen, dann nennen Sie ihn mir.«

»Sie wissen sehr wohl, daß es um den Tod Ihres Freundes Mosselcrin geht, Bollp­ta. Gewisse Leute haben erfahren, daß Sie ihm Informationen gegeben haben, die töd­lich für ihn waren.«

»Ich kenne diesen Herrn nicht. Wie heißt er doch …?«

Lebo Axton wartete ab. Bollpta wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Er erhob sich.

»Also, dann gehen Sie, bitte. Ich habe kei­ne Zeit.«

»Mosselcrin hat jetzt sehr viel Zeit. Ge­nau genommen, spielt die Zeit für ihn über­haupt keine Rolle mehr.«

»Was geht er mich an? Ich habe nichts mit ihm zu tun, und ich kenne ihn nicht.«

Axton blieb ruhig sitzen. »Bollpta, haben Sie mich nicht verstan­

den? Mosselcrin ist getötet worden, weil er etwas wußte, das Sie ebenfalls wissen. Einer seiner Vorgesetzten konnte es sich nicht lei­sten, jemanden mit diesem Wissen leben zu lassen. Soll ich solange in Ihrer Vergangen­heit herumwühlen, bis ich darauf stoße, wel­che Informationen Sie weitergegeben ha­ben?«

»Wer sind Sie?« »Das ist unwichtig. Mir kommt es darauf

an, diese Informationen ebenfalls zu bekom­men.«

»Warum?« Bollpta zupfte an seinen Bart­spitzen. »Wenn Sie sie haben, sind Sie eben­falls in Gefahr, getötet zu werden.«

»Ich bin mir dessen bewußt.« Die beiden Männer blickten sich an.

Bollpta war unsicher. Er hatte Angst. Daran zweifelte Axton nun nicht mehr. Und er hat­te Mosselcrin tatsächlich etwas mitgeteilt, was dem Offizier zum Verhängnis geworden war.

Ein Rufzeichen ertönte. »Bitte, gehen Sie«, sagte Bollpta hastig.

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»Ich werde Ihnen alles sagen. Aber nicht jetzt. Kommen Sie heute abend wieder. Sa­gen wir um sechs Uhr.«

»Einverstanden.« Lebo Axton erhob sich und verließ den

Raum. Er stieß beinahe mit einem unifor­mierten Offizier der arkonidischen Raum­flotte zusammen.

»Ich benötige einen ganz besonders schö­nen Stein«, rief der neue Besucher. »Bollpta, Sie müssen mir helfen, die schönste Frau des Universums zu erobern.«

Der Verwachsene und der Roboter schwebten im Schacht nach oben. Axton wollte am liebsten wieder umkehren, denn er hatte das Gefühl, daß es ein Fehler gewe­sen war, den Händler allein zu lassen.

*

Die Arbeitskonferenz mit dem Waffen­meister fand in einem Trichterbau direkt ne­ben dem Übungsgelände der arkonidischen Raumfahrer statt. Sie verlief in einer nüch­ternen und sachlichen Atmosphäre. Lebo Axton beschrieb die technischen Verbesse­rungen, die er dem Ingenieur Eglo Butein bereits vorgeschlagen hatte. Danach führte Gentleman Kelly eine überarbeitete Strahl­waffe vor.

»Das ist der Durchbruch«, rief der Waf­fenmeister. »Butein, ich glaube, nun werden Sie groß ins Geschäft kommen.«

Sie kehrten in das Büro des Offiziers zu­rück. An den Wänden hingen Hunderte von Handfeuerwaffen verschiedenster Art. Ax­ton nahm die Gelegenheit wahr, einige von ihnen sorgfältig zu untersuchen. Er mußte an Ronald Tekener denken, der angesichts die­ser Waffensammlung sicherlich ins Schwär­men gekommen wäre. Zugleich bedauerte er, daß es ihm nicht möglich sein würde, dem Freund eine dieser Kostbarkeiten mit in die ferne Zukunft zu nehmen.

Der Waffenmeister zog einige weitere Waffenspezialisten der Flotte hinzu. Die Ge­spräche zogen sich über einige Stunden hin. Dann führte der ranghöchste Offizier die

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Gruppe in die subplanetarischen Militäranla­gen, die sich, wie Kennon wußte, im Laufe späterer Jahrhunderte durch den gesamten Planeten ziehen sollten. Aber auch schon jetzt waren sie eindrucksvoll. Arkon III ver­wandelte sich in einen reinen Kriegsplane­ten.

In breiten Gleitstraßen fuhr die Gruppe durch Hallen und Werftanlagen bis hin zu einem Raketen- und Strahlenkanonen-Ab­wehrzentrum. Immer wieder wurden sie durch Sicherheitskontrollen aufgehalten.

Schließlich erreichten sie zwei mächtige Strahlkanonen, deren Abstrahlprojektoren einen Durchmesser von etwa anderthalb Me­tern hatten. Interessiert hörte Axton zu, als der Waffenmeister ihm die Leistungsdaten dieser Superwaffe nannte. Sie waren im Vergleich zu jenen Strahlern des Solaren Imperiums, das erst in etwa zehntausend Jahren entstehen würde, unbedeutend. Of­fensichtlich stand man in der Entwicklung dieser Waffensysteme noch am Anfang. Ax­ton erinnerte sich daran, daß die Geschichte der Arkoniden zu dieser Zeit durch zahlrei­che Unfälle bei der Benutzung von Strahlern gekennzeichnet war.

Tatsächlich kam der Waffenmeister schon bald auf das Problem der Versager und Waf­fenexplosionen zu sprechen.

»Ich kann Abhilfe schaffen«, erklärte Le­bo Axton zuversichtlich. »Das Problem ist bald bewältigt.«

Er ließ sich von einem Ingenieur die Strahlkanonen bis ins letzte Detail erläutern und entdeckte dabei eine Reihe von Fehler­quellen, die beim Einsatz dieser Waffen zwangsläufig zu einer Katastrophe führen mußten.

»Aber wir haben diese Kanonen im Welt­raum ausprobiert«, protestierte einer der Of­fiziere. »Es hat alles einwandfrei funktio­niert.«

»Bei allen eingesetzten Waffen?« »Nun – bei etwa 78 Prozent aller Waf­

fen.« »Das ist zu wenig.« Die Diskussion ging weiter. Axton konnte

sich jedoch mehr und mehr aus ihr zurück­ziehen und sie seinem Partner Eglo Butein überlassen. Er kam mit einigen anderen Of­fizieren ins Gespräch und stellte einige Fra­gen über den Mordfall Mosselcrin. Bevor die Arkoniden sich dessen bewußt wurden, hatte er ihnen einige wichtige Antworten entlockt, die ihm entscheidend weiterhalfen. Wenig später schon schilderte Axton dem Waffenmeister, was getan werden mußte, um die Funktionsfähigkeit der Strahlkano­nen zu erhöhen.

»Ich bezweifle, daß das Problem so ein­fach zu lösen ist«, entgegnete der Offizier.

»So einfach ist das auch gar nicht, wie es sich anhört. Es werden Jahre vergehen, bis jede Strahlwaffe stets zuverlässig funktio­niert.«

»Sie erwähnen auch, daß die Leistung der Waffen gesteigert werden kann.«

»Das ist richtig, aber ich bin dafür, daß die uns gestellten Aufgaben schrittweise ge­löst werden. Alles auf einmal verbessern zu wollen, wäre falsch.«

Axton wollte zu einem längeren Vortrag ausholen, als ein Ruck durch die Gruppe ging. Irgend jemand flüsterte den Namen: Aprit Dirgok. Unmittelbar darauf erschien ein hochgewachsener Arkonide in der Halle.

Das weiße Haar reichte ihm bis auf die Schultern herab, konnte aber einige häßliche Narben nicht verdecken, die Hals und Nacken verunzierten.

Dirgok trug eine Uniform, die mit zahlrei­chen Orden und Ehrenzeichen besetzt war. Er blieb stehen und blickte forschend zu der Gruppe um den Waffenmeister hinüber. Läs­sig erwiderte er den militärischen Gruß der Offiziere. Er blickte kurz zu dem Troß von Adjudanten und Beamten zurück, der ihm folgte, und kam dann zu der Strahlkanone. Der Mund mit den tief herabgezogenen Mundwinkeln bewegte sich kaum, als er dem Waffenmeister befahl, ihm zu erklären, was hier geschah.

Der Offizier stellte Eglo Butein, den Inge­nieur, und Lebo Axton vor und beschrieb die genialen Vorschläge des Verwachsenen. Für

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diesen hatte Dirgok jedoch keinen Blick üb­rig. Er wechselte nur einige Worte mit Bu­tein.

Axton-Kennon dagegen musterte den Of­fizier um so aufmerksamer. Die letzten Fra­gen, die er gestellt hatte, hatten ihm Gewiß­heit verschafft. Dies mußte der Mann sein, der für den Tod von Mosselcrin verantwort­lich war. Er war der direkte Vorgesetzte des Ermordeten gewesen.

Dirgok verabschiedete sich nach einigen Minuten mit einem herablassenden Kopf­nicken. Wiederum beachtete er Axton nicht.

Der Waffenmeister hatte wohl bemerkt, wie verächtlich sich Dirgok gerade dem Mann gegenüber verhalten hatte, der am meisten über die modernen Waffensysteme wußte. Er war ängstlich darauf bedacht, die­sen Fehler seines Vorgesetzten wieder aus­zubügeln, und er merkte gar nicht, daß Ax­ton überhaupt keinen Wert darauf legte.

5.

Eglo Buteins Augen begannen zu tränen, als er die Tür des Gleiters hinter sich zu­schlug. Er startete. Lebo Axton beobachtete, daß seine Hände zitterten.

»Axton«, sagte der Ingenieur mit heiserer Stimme. »Wie konnten Sie den Offizieren nur solche Fragen stellen?«

Kennon blickte sich nach Gentleman Kel­ly um, der auf der hinteren Sitzbank Platz genommen hatte.

»Fragen? Was für Fragen meinen Sie?« »Das wissen Sie ganz genau«, erwiderte

Butein heftig. »Leider – nein.« »Wir wollen Geschäfte machen, verstehen

Sie?« brüllte der Ingenieur wütend. »Der Mordfall Mosselcrin geht uns überhaupt nichts an.«

»Landen Sie da unten.« »Was soll das bedeuten?« »Ich steige aus, Butein.« »Sie wollen sich … von mir trennen?« »So ist es.« »Das können Sie nicht tun, Axton! Be-

H. G. Francis

greifen Sie denn nicht, daß ich es nur gut mit Ihnen meine?«

»Nein.« »Axton, Aprit Dirgok ist ein Mann, der

großen Einfluß am Hof hat. Es heißt, daß er schon fast als Freund Orbanaschols III. an­zusehen ist. Können Sie sich nicht vorstel­len, was das bedeutet?«

»Nein.« »Tun Sie doch nicht so. Mich können Sie

nicht täuschen. Sie haben den Offizieren Fragen gestellt, aus denen diese ihre Schlüs­se gezogen haben. Sie haben mir gesagt, was Sie gemacht haben. Sie verdächtigen Dirgok offensichtlich, am Tode Mosselcrins schul­dig oder mitschuldig zu sein.«

»Meinen Sie?« »Axton, was glauben Sie denn, was Dir­

gok mit Ihnen macht, wenn er das erfährt? Sollte er wirklich für Mosselcrins Tod ver­antwortlich sein, dann macht es ihm über­haupt nichts aus, Sie auch noch verschwin­den zu lassen. Zumal Sie …«

»Zumal er mich ohnehin für einen Fehl­griff der Natur hält. Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?«

»Axton, ich … Das müssen Sie doch ver­stehen.«

»Ich nehme Ihnen eine derartige Bemer­kung nicht übel, Butein. Allerdings werden Sie sich daran gewöhnen müssen, daß ich mich für Mosselcrins Ende interessiere. Tun Sie das nicht, trennen sich unsere Wege.«

»Axton, überlegen Sie doch einmal ver­nünftig! Nehmen wir einmal an, es gelingt Ihnen, Dirgok einen Mord nachzuweisen. Ich halte so etwas für vollkommen unmög­lich, aber nehmen wir doch einmal an, daß Sie Erfolg haben. Was dann? Glauben Sie, Sie könnten zur nächsten Polizeidienststelle gehen und sie davon unterrichten? Glauben Sie, damit würden Sie irgendeine Reaktion erzielen? Sie könnten auch die Presse mobil machen. Alle Berichte über Dirgok würden schon nach spätestens zwei Tagen einge­stellt werden. Axton, wenn man so weit oben ist wie Aprit Dirgok, dann kann man tun und lassen, was man will, ohne dafür be­

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straft zu werden. Für Männer dieser Rang­ordnung gelten andere Gesetze als für uns.«

Er atmete tief durch. Der Gleiter schwebte auf den Trichterbau zu, in dem Eglo Butein sein Büro hatte. Er blickte Axton an.

»Werden Sie von nun an darauf verzich­ten, Mosselcrins Tod aufklären zu wollen?«

Der Verwachsene schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Butein. Werden Sie

denn damit aufhören, mir Vorhaltungen zu machen?«

»Sie sind wahnsinnig, Axton. Sie sind komplett verrückt.«

»Ist mir die Frage erlaubt, Herr, ob das als Angriff auf Sie anzusehen ist?« fragte Gent­leman Kelly übertrieben höflich.

»Nicht doch, Kelly. Er meint es nur gut.« »Ich wünschte, ich wäre Ihnen nicht be­

gegnet, Axton.« »Dann wäre Ihnen ein großartiges Ge­

schäft durch die Lappen gegangen, Butein.«

*

Als Lebo Axton mit Gentleman Kelly vor dem Schacht landete, der zum Geschäft des Händlers Bollpta hinunterführte, parkte ein Ambulanzschweber neben dem Eingang. In höchster Eile begab sich der Terraner nach unten. Er kam nicht bis zum Verhandlungs­raum. Mehrere Arkoniden standen davor und beobachteten, was sich darin tat. Axton war zu klein. Er konnte nicht über sie hin­wegsehen. Widerwillig wandte er sich an den Roboter.

»Was siehst du?« fragte er. »Bollpta liegt am Boden. Ein Mediziner

ist bei ihm, kümmert sich aber nicht mehr um ihn. Er schreibt etwas aus.«

»Er ist tot?« »Bollpta bewegt sich nicht mehr. Seine

Augen stehen offen.« »Ich habe es befürchtet. Komm.« Er kehrte zu seinem Gleiter zurück. »Wo kann man erfahren, wo die Privat­

wohnung des Händlers ist?« »Es gibt ein positronisches Adreßbuch.«

Gentleman Kelly drückte einige Knöpfe auf

einer Tastatur vor Axton. Bruchteile von Se­kunden darauf leuchtete bereits eine Zahl auf einem Bildschirm auf. Sie gab die Kom­bination an, die Axton dem Autopiloten des Gleiters eingeben mußte.

Es dunkelte, als der Terraner sich einem einsam gelegenen Trichterbau weitab vom Raumhafen näherte.

Das nächste Gebäude war etwa fünf Kilo­meter weit entfernt. Mühelos öffnete Axton das einfache Schloß des Haupteingangs. An einer Tafel konnte er ablesen, wo die Woh­nung des Edelsteinhändlers war. Zusammen mit Kelly eilte er eine Treppe hinauf, mußte dann allerdings eine Atempause einlegen, weil ihn diese Anstrengung gar zu sehr er­schöpft hatte.

»Öffne die Tür«, befahl er. »Das ist ungesetzlich.« »Das Gesetz benimmt sich auf diesem

Planeten nicht ganz so, wie es eigentlich sein sollte. Also brauchen wir das auch nicht unbedingt zu tun. Öffne.«

»Ich kann nicht.« »Warum nicht?« »Es ist mir verboten, gegen die Gesetze

zu verstoßen.« »Ein Roboter mit Hemmungen. Das hat

mir gerade noch gefehlt. Hör zu, Kelly, wenn du nicht sofort parierst, bringe ich dich wieder auf den Schrottplatz zurück und de­montiere dich. Danach ist deine Existenz be­endet. Also, entscheide dich.«

»Es könnte zu Kurzschlüssen kommen, wenn Sie mich in eine Konfliktsituation bringen.«

»Ich würde sie voller Vergnügen beob­achten. Los, beeile dich.«

Gentleman Kelly gehorchte. Mit schnel­len Griffen zerstörte er das Sicherheits­schloß der Wohnungstür, so daß Axton ein­treten konnte. Der Roboter blieb an der Tür stehen.

Ein Mann mit der Erfahrung Kennons wußte, wo er zu suchen hatte. Es vergingen nur wenige Minuten, dann lag ein kleines Buch in seinen Händen. In ihm hatte Bollpta alles niedergeschrieben, was ihm wichtig er­

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schien. »Wir verschwinden, Kelly.« Sie eilten die Treppen wieder hinunter

und bestiegen ihren Gleiter. Axton war je­doch kaum gestartet, als er zwei Maschinen bemerkte, die sich dem Gebäude näherten. Er floh in der entgegengesetzten Richtung in hügeliges Gelände, in dem sich zwischen Büschen und Bäumen zahlreiche Antennen erhoben. Als er sicher war, daß sie nicht ver­folgt wurden, lenkte er das Fluggerät nach Westen. Es gelang ihm, unbemerkt in sein Hotel zurückzukehren.

Dort machte er sich sofort daran, das Buch durchzulesen. Die Eintragungen, die Bollpta in den letzten Tagen vorgenommen hatte, befaßten sich mit Mosselcrin und Aprit Dirgok.

Der Händler berichtete, daß er aus ge­schäftlichen Gründen auf dem Planeten AK­KEREK im Envy-System gewesen war. Hier hatte er Verbindung mit militärischen Krei­sen bekommen und dabei einiges über den Günstling Orbanaschols III. erfahren.

Aprit Dirgok war ein Kolonialarkonide, der auf Akkerek geboren worden war. Die ehemalige Kolonie hatte sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre selbständig gemacht und sich von Arkon abgewandt, nachdem Orbanaschol III. an die Macht gekommen war. Der neue Herrscher hatte mit wütenden militärischen Angriffen auf die Unabhängig­keitserklärung reagiert und Akkerek in eine erneute Abhängigkeit von Arkon gebracht. Darauf basierte die Feindschaft der Akkere­ker gegen Orbanaschol III.

Aprit Dirgok war als Offizier der arkoni­dischen Flotte nach Arkon abgestellt wor­den. Von der Untergrundbewegung auf Ak­kerek hatte er den Auftrag erhalten, Orbana­schol III. zu ermorden. Auf dieses Ziel hin hatte er anfangs auch gearbeitet. Er hatte sich den Weg freigemacht, der zu Orbana­schol III. führte und dabei einige hochge­stellte Offiziere durch geschickte Intrigen beseitigt.

Dann aber, als er tatsächlich die Möglich­keit hatte, Orbanaschol III. zu ermorden,

H. G. Francis

hatte er es nicht getan. Er hatte sich auf die Seite des Herrschers geschlagen und war da­mit zum Verräter an seinem Volk geworden – um seines persönlichen Vorteils willen.

Zweifellos mußte er heute befürchten, daß Orbanaschol III. ihn fallenließ, wenn er er­fuhr, wer Dirgok wirklich war. Orbanaschol konnte gar nicht anders handeln, denn er konnte keinen Mann in seiner unmittelbaren Umgebung dulden, der derartige Entschei­dungen getroffen hatte, selbst wenn sie sich zum Vorteil für Orbanaschol ausgewirkt hat­ten. Der Herrscher mußte befürchten, daß Dirgok seine Absichten erneut ändern wür­de, wenn er sich dadurch weitere Verbesse­rungen seiner Zukunftsaussichten erhoffte.

Dieses Wissen hatte der Händler Bollpta von Akkerek mitgebracht. Er hatte Mossel­crin informiert, und dieser hatte seinen Vor­gesetzten offenbar spüren lassen, daß das Fundament seiner Offizierskarriere nicht mehr ganz so fest war, wie er selbst glaubte. Dafür hatte Mosselcrin mit dem Leben be­zahlen müssen.

Lebo Axton zweifelte nun nicht mehr dar­an, daß Bollpta ebenfalls ein Opfer Dirgoks geworden war.

Er mußte schnell und entschlossen han­deln, wenn er Dirgok stürzen wollte. Dies war die große Chance, die er sich erhofft hatte.

Eglo Butein trug einen weiten, wallenden Umhang, als er den Salon im Hotel betrat. Lebo Axton nahm ein bescheidenes Aben­dessen ein. Gentleman Kelly stand im Hin­tergrund und verhielt sich schweigend, weil Kennon es ihm so befohlen hatte.

»Darf ich mich setzen?« fragte der Inge­nieur.

»Bitte. Etwas Wein?« »Danke.« Nervös nahm Butein Platz. Er

rutschte bis zur vorderen Kante seines Ses­sels vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und sagte: »Ich muß mit Ihnen reden, Ax­ton.«

»Das tun Sie doch schon«, erwiderte der Terraner und nippte gelassen an seinem Glas.

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»Axton, Arkon III erlebt wieder einmal schlimme Stunden.«

»Schlimme Stunden? Was meinen Sie da­mit?«

»Nun, es kommt immer wieder vor, daß Orbanaschol III. oder einer seiner Vertreter aus irgendeinem Grunde eine Großfahndung einleitet. Dann wird der ganze Planet umge­krempelt. Überall finden Razzien statt. Spielhöhlen werden geschlossen – und ande­re, noch dunklere Vergnügungsstätten wer­den ausgeräuchert. Die Offiziellen nennen so etwas einen Reinigungsprozeß, die Be­troffenen meinen allerdings, daß in solchen Zeiten das diktatorische Regime Orbana­schols sein wahres Gesicht zeigt.«

»Sie sind unvorsichtig, Butein. Worte wie diese behagen mir nicht. Verzichten Sie dar­auf, jedenfalls in meiner Nähe.«

Der Ingenieur erschrak. Er hob abweh­rend die Hände.

»Ich wollte nichts gegen Orbanaschol III. sagen.«

»Das haben Sie aber getan.« »Wer sind Sie eigentlich, Axton? Woher

kommen Sie?« »Was sollen diese Fragen, Butein? Sie

sind doch nur gekommen, um mich zu war­nen – oder sollte ich mich geirrt haben?«

Der Hauptingenieur lehnte sich in seinem Sessel zurück. Schweiß bedeckte seine Stirn, und seine Augen waren feucht.

»Allerdings.« »Und warum kommen Sie dann nicht zu

dem, was Sie mir eigentlich mitteilen woll­ten?«

»Ich habe das Gefühl, Sie nehmen die Si­tuation nicht ernst.«

»Sie irren sich.« »Axton, man hat die Wohnung des Händ­

lers Bollpta untersucht und dabei festge­stellt, daß kurz vorher dort eingebrochen worden ist. Bollpta ist nebenbei eines natür­lichen Todes gestorben. Der Militärarzt hat eine entsprechende Bescheinigung ausge­stellt.«

»Ist es üblich, daß Zivilisten auf Arkon III von Medizinern der Raumflotte untersucht

oder behandelt werden?« »Nein, absolut nicht. Der Arzt war zufäl­

lig in der Nähe.« »Er ist nicht zufällig auch ein Freund von

Aprit Dirgok?« »Darüber bin ich nicht informiert.« Der

Ingenieur war leicht zusammengezuckt, als der Name Dirgoks fiel. Lebo Axton war da­von überzeugt, daß er log. Er kannte diesen Offizier, und wahrscheinlich bestand auch eine Verbindung zwischen diesem und dem Mediziner. Axton war von Anfang an der Ansicht gewesen, daß Bollpta keines natürli­chen Todes gestorben war.

»Wie dem auch sei, Axton, und was auch immer passiert sein mag. Es steht fest, daß Sie in höchster Gefahr sind. Und damit bin auch ich es. Und das gefällt mir nicht.«

»Warum sollte ich gefährdet sein?« »Weil Sie es waren, der in der Wohnung

des Händlers gewesen ist.« »Das ist eine kühne Behauptung, Partner.

Möchten Sie wirklich keinen Wein?« »Nur einen kleinen Schluck, bitte.« Lebo Axton gab Kelly einen befehlenden

Wink. Der Roboter brachte noch ein Glas für den Ingenieur herbei und schenkte ein, während der Verwachsene sein Gegenüber sorgfältig beobachtete. Eglo Butein fürchtete sich.

»Was empfehlen Sie mir, Butein?« »Lassen Sie die Finger von dieser Ge­

schichte. Kümmern Sie sich nicht länger um den Tod Mosselcrins. Glauben Sie nur nicht, daß Sie gegen Dirgok etwas ausrichten kön­nen. Er verfügt über einen umfangreichen Stab von Männern, die alles für ihn tun.«

»Also gut, Partner, ich werde Ihren Rat nach einer gewissen Zeit befolgen. Vorher möchte ich Sie aber noch um einen Freund­schaftsdienst bitten.«

»Ich werde Ihnen helfen, wenn ich kann.« Axton schnippte mit den Fingern. Gentle­

man Kelly kam zu ihm und reichte ihm einen verschlossenen Briefumschlag.

»Ich habe hier einige Mitteilungen an Dir­gok. Ich benötige jemanden, auf den ich mich unbedingt verlassen kann, jemanden,

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der Dirgok diesen Brief persönlich über­gibt.«

Eglo Butein wurde bleich. Er stand auf und eilte zur Tür.

»Warum halte ich mich überhaupt noch mit Ihnen auf?« sagte er erregt. »Sie begrei­fen ja nicht. Glauben Sie wirklich, ich würde so etwas tun?«

»Warum nicht? Für Sie besteht keine Ge­fahr.«

»Ich bin anderer Ansicht. Was steht in dem Brief?«

»Nicht viel. Es sind nur einige Auszüge aus einem Tagebuch enthalten. Sie informie­ren Dirgok über gewisse Vorkommnisse auf Akkerek.«

»Warum bringen Sie den Brief nicht selbst zu Dirgok?«

»Er würde sich vielleicht zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen.«

Lebo Axton lächelte undurchsichtig. Eglo Butein zögerte kurz, dann verließ er

den Salon ohne ein weiteres Wort. Axton hatte auch nicht damit gerechnet, daß er bleiben würde. Er wußte, daß Dirgok infor­miert werden würde – und zwar genauso, wie er es geplant hatte. Butein würde ihm ei­ne Nachricht zukommen lassen, und diese würde die gewünschte Wirkung haben.

*

Kurz vor Mitternacht kehrte Gentleman Kelly von einem Spezialauftrag zurück, den Lebo Axton ihm erteilt hatte.

Er brachte einige Metallteile mit. »Besseres Material konnte ich nicht fin­

den«, erklärte er. Der Verwachsene kletterte auf einen

Hocker. »Komm her«, befahl er. Der Roboter

schritt auf ihn zu und drehte ihm dann den Rücken zu. Axton nahm die Teile, drehte und wendete sie in den Händen, verrieb dann etwas Klebstoff auf dem Rücken des Ovalkörpers und preßte das Eisen dagegen. Als er es nach einigen Sekunden los ließ, saß es unverrückbar fest daran. Gentleman

H. G. Francis

Kelly hatte nun zwei Fußstützen in Höhe der Beinansatzgelenke und zwei Griffe auf den Schultern. Lebo Axton stieg hinauf. Er konnte bequem darauf stehen und sich an den Griffen festhalten, so daß er über den Kopf des Roboters hinwegsehen konnte.

»Ausgezeichnet, Kelly. Ich bin zufrieden mit dir.«

»Danke.« »Bei passender Gelegenheit werde ich dir

eine Extraportion Schmieröl verschaffen. Du quietscht erbärmlich.«

»Das habe ich nicht bemerkt.« Lebo Axton antwortete nicht. Er gab dem

Roboter mit einer Handbewegung zu verste­hen, daß er sich hinknien sollte. Er kletterte auf den Rücken des Automaten, klopfte ihm mit den Knöcheln auf die Schulter und sag­te: »Ab, Kelly. Du hast lange genug gefau­lenzt.«

Die Maschine marschierte aus dem Salon, sank mit Axton im Antigravschacht nach un­ten und verließ das Hotel, ohne daß irgend jemand sie gesehen hätte. Danach lief Gent­leman Kelly schneller. Mit weiten Sätzen jagte er durch die Nacht.

Nach etwa einer Stunde erreichten sie einen Raumhafen, auf dem dreißig Kugel­raumer standen, von denen der größte einen Durchmesser von ungefähr zweihundert Me­tern hatte. Sie gehörten alle zur arkonidi­schen Flotte, stammten aber nicht von Ar­kon, sondern von anderen Welten des Impe­riums. Der Raumhafen wurde von Sicher­heitszonen eingeschlossen, die mit Überwa­chungs- und Abwehrgeräten ausgestattet wa­ren. Diese stellten für einen so erfahrenen Mann wie Kennon-Axton jedoch kein un­überwindbares Hindernis dar. Er benötigte etwa eine halbe Stunde, dann hatten er und Kelly diesen Gürtel überwunden und befan­den sich auf dem unbewachten Landefeld, das nur teilweise von Scheinwerfern erhellt wurde, die in den offenen Schleusen der Raumschiffe angebracht waren.

Gentleman Kelly trug Axton zu einem kleineren Kugelraumer hinüber, dessen Bo­denschleuse offen stand. Zwei Raumfahrer

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bewachten das Schiff. Sie gingen zwischen den Landebeinen auf und ab.

Sie erschraken, als der Roboter mit dem Verwachsenen auf dem Rücken plötzlich vor ihnen erschien, ohne daß sie vorher et­was gehört hatten. Sie griffen zu ihren Waf­fen.

»Machen Sie keinen Unsinn«, rief Lebo Axton mit gedämpfter Stimme. »Wenn ich Sie hätte umbringen wollen, dann hätte ich das längst tun können. Ich muß den Kom­mandanten sprechen. Sorgen Sie dafür, daß ich ohne Aufsehen ins Schiff komme.«

Die beiden Männer blickten Axton unsi­cher an.

»Unmöglich«, sagte einer von ihnen. »Glauben Sie nicht auch, daß ich längst

im Schiff wäre, wenn ich Sie beseitigt hätte? Daß ich es nicht getan habe, sollte Ihnen be­weisen, daß ich in friedlicher Absicht kom­me. Los, überlegen Sie nicht lange, sondern seien Sie mir behilflich.«

Der Mann der vorher gesprochen hatte, richtete seine Strahlwaffe auf Axton.

»Einverstanden«, entgegnete er. »Sie ge­hen vor mir her. Versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Ich schieße sofort, wenn ich merke, daß Sie doppeltes Spiel treiben.«

»Dann kann uns nichts passieren, Herr. Bevor er etwas merkt, vergeht ohnehin eine halbe Ewigkeit.«

Der Arkonide blickte den Roboter ver­blüfft und verärgert zugleich an. Er hob sei­ne Waffe und zielte auf den Kopf der Ma­schine.

»Was ist das?« fragte er. »Ein Roboter, der beleidigend sein kann?«

»Keineswegs«, erwiderte Lebo Axton be­sänftigend. »Dieses Ding ist in den Vergnü­gungszentren als Witzbold aufgetreten.«

»Wenn Sie mich Dings nennen, sprechen Sie mir eine eigene Persönlichkeit ab.«

»Sehen Sie«, sagte Axton verzweifelt. »Dieses Ding hat einen verteufelten Hang, über alles und jedes zu diskutieren. Gehen Sie, Mann, sonst stehen wir morgen früh noch hier herum und hören uns an, was die­ses verschrottungswürdige Etwas an unseren

Formulierungen auszusetzen hat.« Der Posten warf Gentleman Kelly einen

unbehaglichen Blick zu und betrat die Schleuse. Das Innenschott öffnete sich. Kel­ly trug Lebo Axton ins Schiff. Ihr Begleiter blieb ständig einige Meter von ihnen ent­fernt, so daß er sie stets mit der Waffe über­wachen konnte. Er führte sie in einen qua­dratischen Raum, in dem mehrere Antigrav­schalen um einen Tisch herum schwebten. Er ging zu einem Kommunikationsgerät und schaltete es ein, ohne Axton aus den Augen zu lassen. Er flüsterte etwas ins Mikrophon, deutete dann auf die Schalen und sagte: »Nehmen Sie doch Platz.«

»Danke«, entgegnete Axton. »Ich bleibe lieber, wo ich bin.«

»Wie Sie wollen.« Einige Minuten verstrichen, in denen kei­

ner etwas sagte. Dann trat ein untersetzter Mann ein, der nur mit Hemd, Hose und Stie­feln bekleidet war. Ehrenzeichen an seiner Schulter wiesen ihn als Kommandanten aus. Er musterte das seltsame Paar, das ins Schiff gekommen war, und setzte sich dann in eine Schale.

»Bringen Sie uns etwas zu trinken«, be­fahl er dem Posten. Dann wandte er sich an Axton. »Was wollen Sie?«

Der Verwachsene stieg nun endlich vom Rücken des Roboters herunter und ließ sich ebenfalls in eine Antigravschale sinken.

»Ich habe wichtige Informationen für Sie«, erklärte er. »Die Art und Zeit meines Besuches mögen Ihnen verdeutlichen, daß ich Ihnen diese Mitteilungen nicht gefahrlos machen kann.«

Der Posten kehrte zurück und setzte zwei Gläser und eine Karaffe mit einer gelblichen Flüssigkeit vor ihnen ab. Er schenkte die Gläser voll und entfernte sich danach. So­wohl der Kommandant, als auch Axton schwiegen, bis sie wieder allein waren.

Der Verwachsene nannte seinen Namen. »Ich habe gute Verbindungen zum Hof

und zu wichtigen Offizieren«, fuhr er dann fort. »Nun ist in den letzten Tagen einiges geschehen, was Sie wissen sollten.«

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»Warum?« »Weil Sie Akkereker sind.« »Das bin ich allerdings. Ich verstehe den­

noch nicht.« »Wissen Sie, daß vor einigen Tagen der

Offizier Mosselcrin ermordet worden ist?« »Ich weiß, daß er tot ist«, erwiderte der

Kommandant vorsichtig. »Er ist umgebracht worden, weil er etwas

über einen Offizier herausgefunden hat, der im Unabhängigkeitskampf von Akkerek ge­gen – hm – Orbanaschol III. eine gewisse Bedeutung gehabt hat.«

Das Gesicht des Kommandanten straffte sich. Lebo Axton sah, daß der Akkereker plötzlich hellwach war und ihm konzentriert zuhörte.

»Der Akkereker Aprit Dirgok ist nach Ar­kon III geschickt worden, weil er den Auf­trag hatte, Orbanaschol zu töten. Er hat sich jedoch nicht an seinen Befehl gehalten, son­dern sich auf die Seite Orbanaschols ge­schlagen. Er ist zum Verräter an Akkerek geworden.«

»Werden Sie etwas deutlicher.« Er hatte den Köder aufgenommen, den er ihm hinge­worfen hatte.

Lebo Axton beobachtete das Gesicht des Kommandanten. Winzige Anzeichen verrie­ten ihm bereits, daß dieser Dirgok und sei­nen Fall kannte.

»Mosselcrin, der Ermordete, ein auf Ar­kon I geborener Arkonide, hat die Zusam­menhänge erkannt. Er wollte Dirgok aufflie­gen lassen und mußte aus diesem Grund sterben. Aprit Dirgok weiß jedoch, daß er damit das eigentliche Problem nicht gelöst hat. Er will zurückschlagen und die Gefahr, die ihn bedroht, an der Wurzel beseitigen.«

»Wollen Sie damit sagen, daß er Akkerek angreifen will?«

Lebo Axton schüttelte den Kopf. »Das wäre zu plump und eines Mannes

wie Dirgok nicht würdig. Nein, er plant kei­ne offene militärische Aktion. Er wird eine Säuberungswelle einleiten, der alle zum Op­fer fallen werden, die ihm früher Befehle er­teilt haben und ihm noch heute gefährlich

H. G. Francis

werden können.« »Wenn das wahr ist, dann würde das be­

deuten, daß die letzten großen Männer, die sich noch gegen Orbanaschol III. stemmen, sterben werden. Dann wird Akkerek endgül­tig versklavt werden. Der letzte Rest von Unabhängigkeit wird dahin sein.«

Der Kommandant erhob sich. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.« »Überlegen Sie genau, was Dirgok sonst

tun könnte. Er ist unversehens in eine Krise geraten, die ihn den Kopf kosten kann. Er muß sich wehren, wenn er seine Position in unmittelbarer Nähe Orbanaschols behaupten will. Unternimmt er nichts, dann …«

Der Akkereker setzte sich wieder. »Was können wir tun? Was schlagen Sie

vor?« »Sie müssen Dirgok zuvorkommen. Sie

müssen handeln, bevor er die Säuberungs­welle einleiten kann.«

»Ich werde zu Orbanaschol gehen und ihm alles sagen.«

Lebo Axton lächelte. »Meinen Sie wirklich, daß Sie bis zu ihm

vordringen können? Und glauben Sie tat­sächlich, daß er Sie anhören wird? Können Sie sich vorstellen, daß er als Wahrheit ak­zeptiert, was Sie ihm erzählen? Er wird Aprit Dirgok hinzurufen, und dann geht für Sie das Licht aus. Nein, Kommandant, so et­was könnte ich auch tun. Damit erzielen Sie keinen Erfolg.«

»Was schlagen Sie vor?« »Die Wahrheit über Dirgok muß von Ak­

kerek direkt kommen, und sie muß auf höch­ster Ebene überbracht werden. Verstehen Sie? Sozusagen als Ergebenheitsadresse der nun endlich einsichtigen Akkereker, die es vor sich und ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren können, daß sie einen gedunge­nen Politmörder in unmittelbarer Nähe des Herrschers wissen, den sie alle achten und bewundern.«

»In der Note an Orbanaschol III. sollte zum Ausdruck kommen, wie sehr man den damaligen Beschluß bedauert, und wie er­leichtert man auf Akkerek ist, daß Dirgok

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noch nicht zur Tat geschritten ist. Man kann sogar ausdrücken, daß Dirgok vermutlich schon selbst zu der Erkenntnis gekommen ist, wie verwerflich ein Anschlag auf Orba­naschol wäre. Danach beteuert man, daß Ak­kerek nun und für alle Zukunft treuer An­hänger Orbanaschols sein wird.«

Der Kommandant blickte Lebo Axton an. »Sie möchte ich nicht zum Feind haben«,

sagte er. »Mir scheint, Sie sind ein äußerst gefährlicher Mann. Ich danke Ihnen, daß Sie mit uns zusammenarbeiten und uns die Ge­legenheit geben, Aprit Dirgok auffliegen zu lassen.«

»Ich habe mich gefreut, Sie kennenzuler­nen«, erwiderte Axton. Er kletterte auf den Rücken des Roboters, blickte über die Schulter hinweg auf den Akkereker hinunter und fügte hinzu: »Ich hoffe, daß es mir ge­lungen ist, Dirgoks geplantes Verbrechen an Akkerek zu verhindern. Und nun sollten Sie mir dabei behilflich sein, Ihr Schiff und den Raumhafen ungesehen zu verlassen.«

6.

Gentleman Kelly eilte wiederum mit Ax­ton auf dem Rücken durch die Nacht zu dem Hotel zurück, in dem der Verwachsene un­tergekommen war. Als er sich ihm bis auf dreihundert Meter genähert hatte, befahl Kennon ihm, stehenzubleiben.

»Es ist alles ruhig«, bemerkte der Robo­ter.

»Es riecht nach Verrat«, erwiderte Axton. »Aber so etwas kannst du nicht feststellen. Dazu bis du zu primitiv.«

»Mein vorheriger Besitzer bezeichnete mich stets als Hochleistungsmaschine.«

»Ich will nichts von ihm wissen«, antwor­tete Axton mit schriller Stimme.

»Sie haben keinen Grund, eifersüchtig auf ihn zu sein. Ich …«

»Still, du Bestie!« Lebo Axton trommelte dem Roboter mit beiden Fäusten auf dem Kopf herum. »Ich will nichts mehr hören. Du redest nur, wenn du gefragt wirst.«

Der Verwachsene dirigierte den Automa­

ten tiefer ins Dunkle. Hier verharrte er fast eine halbe Stunde und beobachtete die Um­gebung. Irgend etwas störte ihh, aber er konnte nicht sagen, was es war. Er hatte nicht übertrieben, als er behauptet hatte, es rieche nach Verrat. Er spürte die Gefahr fast körperlich.

Und dann machten die Männer Dirgoks einen Fehler. Bisher hatten sie sich mit ih­rem Gleiter unter dem überhängenden Trich­ter des Hotels verborgen. Jetzt kamen sie daraus hervor. Die Maschine landete vor dem Eingang, zwei Männer stiegen aus und eilten davon.

»Weg hier«, rief Axton. »Schnell.« Gentleman Kelly reagierte mit gewohnter

Zuverlässigkeit. Er drehte sich um und rann­te in entgegengesetzter Richtung davon. Der pure Zufall wollte es, daß er dabei durch den Lichtkegel lief, den ein landender Gleiter vor einem Haus warf. Beim Hotel heulte ei­ne Sirene auf. Axton fluchte.

»In Deckung bleiben, Kelly. Schneller. Wir müssen die engen Gassen des Vergnü­gungszentrums erreichen.«

Der Roboter raste mit meterweiten Sätzen davon. Axton blickte zurück. Er zählte zwölf Gleiter, die aus der Gegend des Hotels ka­men und ihnen folgten. Dabei schienen die Häscher Dirgoks jedoch nicht genau zu wis­sen, wo sie sich befanden. Die Maschinen schwärmten fächerartig aus. Axton klam­merte sich an Kelly. Er mußte zugeben, daß der Roboter sich geschickt verhielt. Längst hatte er die Verfolger ausgemacht, und er lief so, daß er möglichst lange im Sichtschatten der Trichtergebäude blieb. Schließlich aber rückten zwei Gleiter so na­he heran, daß Kelly seine Flucht unterbrach und sich in einen Hauseingang drückte.

Lebo Axton blickte nach oben. Gegen den helleren Himmel, der von Sternen übersät war, konnte er sehen, daß beide Maschinen mit jeweils vier Männern besetzt waren.

»Sie haben uns noch nicht entdeckt«, sag­te er leise.

Als die Gleiter hinter dem nächsten Ge­bäude verschwanden, tippte er dem Roboter

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auf den Kopf. »Los, weiter.« Gentleman Kelly beugte sich leicht nach

vorn und rannte los. Nun trennten sie nur noch wenige hundert Meter von den Ver­gnügungsvierteln, die sich überall auf Arkon III um die Raumhäfen herum gebildet hat­ten. Die Kette der Verfolger schien dünner und dünner zu werden, so daß Axton bereits glaubte, daß sie es geschafft hatten. Da lan­deten die Gleiter, und jeweils drei Männer stiegen aus. Sie schwärmten aus und bilde­ten einen Sperriegel, den niemand ungese­hen durchbrechen konnte.

Lebo Axton fluchte. »Wir versuchen es in der anderen Rich­

tung.« Kelly gehorchte. Er rannte um den Sockel

des Gebäudes herum, blieb dann jedoch ab­rupt stehen. Auch hier standen überall Raumfahrer. Trotz der Dunkelheit konnte Axton erkennen, daß sie bewaffnet waren. Er zweifelte nicht daran, daß Dirgok sie ge­schickt hatte.

»Uns bleibt keine andere Wahl, Kelly, wir müssen uns in einer Wohnung verstecken – oder wir müssen versuchen, einen Gleiter zu bekommen.«

Der Roboter öffnete die Tür, ohne das Schloß dabei zu beschädigen. Er eilte auf einen Antigravschacht zu und wollte in den nach oben gepolten Abschnitt steigen, doch Axton befahl ihm, den abwärts gepolten zu nehmen. Wenig später betraten sie eine Gleitergarage. Doch Axtons Hoffnung, mit einer der Maschinen fliehen zu können, er­füllte sich nicht. Der Ausflugschacht war derart abgesichert, daß er ihn nicht aufbre­chen konnte, ohne dabei Alarm auszulösen.

Zusammen mit dem Roboter suchte er die Maschinen nach Waffen ab, fand jedoch nichts.

»Wir versuchen es drüben«, entschied er. Kelly rannte los. Er eilte an einer Kette von Verkaufsautomaten vorbei, in denen alle Güter des täglichen Bedarfs auslagen. Einige Apparate waren zusätzlich mit humanoiden Verkaufsrobotern versehen, die sofort damit

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begannen, die Waren anzupreisen, als Axton sich ihnen näherte.

»Seid still«, sagte der Verwachsene zi­schend. »Verdammt, seid still. Ihr verratet aller Welt, daß wir kommen.«

Die Verkaufsmaschinen kümmerten sich herzlich wenig um diese Worte. Sie machten weiter, ohne auf die offensichtliche Ableh­nung auf ihre Angebote zu reagieren.

Kelly benötigte drei Minuten für den Tun­nel. Dann hatten sie einen weiteren Trichter­bau erreicht. Axton atmete unwillkürlich auf. Hinter ihm verklang das Geplapper der Verkaufsautomaten. Er blickte sich in der Gleitergarage um, in der zwanzig Flugma­schinen standen. Als er damit begann, sie nach Waffen zu durchsuchen, pfiff etwas hautnah an seiner Stirn vorbei. Er fuhr her­um, wobei er sich so heftig bewegte, daß er fast den Halt verloren hätte und vom Rücken des Roboters heruntergefallen wäre.

Zwanzig Schritte von ihm entfernt stand ein arkonidischer Raumfahrer, der eine Pi­stole in der Hand hielt. Damit hatte er ein Projektil auf ihn abgeschossen.

»Nicht bewegen«, brüllte der Mann. Er hob die Waffe und drückte ab. Buchstäblich in letzter Sekunde bückte Lebo Axton sich, so daß der Stahlpfeil ihm nur durch die Haa­re fuhr, ohne ihn zu verletzen.

»Sind Sie verrückt geworden?« fragte er zornig.

Der Raumfahrer rannte auf sie zu, wobei er abermals schoß. Dieses Mal verfehlte er Axton nicht. Das Geschoß durchschlug sei­nen Oberarm, ohne allerdings den Knochen zu verletzen.

Der Verwachsene hob seinen rechten Arm. Zwischen Daumen und Zeigefinder spannte er einen Gummi, und dann wirbelte ein fingerlanger Nagel aus Arkonstahl auf den Angreifer zu. Er bohrte sich mit seiner nadelfeinen Spitze mitten in die Stirn des Arkoniden und drang bis zur Hälfte ein.

Der Raumfahrer blieb stehen. Die Pistole entfiel seiner Hand. Mit geweiteten Augen blickte er Lebo Axton an. Seine Lippen zuckten. Dann sank er auf die Knie und

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kippte nach vorn. »Paß auf, Kelly«, schrie Axton. Der Roboter schnellte sich auf den Arko­

niden zu und versetzte ihm einen Tritt gegen die Schulter. Damit verhinderte er, daß der Getroffene aufs Gesicht fiel und sich selbst den Nagel tiefer in den Schädel trieb.

»Entferne den Nagel«, befahl Axton. Der Roboter gehorchte. Er säuberte das

Geschoß an der Kleidung des Arkoniden und reichte es dem Verwachsenen, der es gelassen in die Tasche steckte.

»Er wird's überleben«, sagte er. »Gib mir die Pistole.«

Er nahm die Waffe entgegen und unter­suchte sie. Dann fluchte er ungehalten. Das Magazin war leer. Weder im Lauf, noch im Nachladeschacht befand sich ein Pfeil. Kelly durchwühlte die Taschen des Verletzten, fand jedoch auch dort keine Munition. Ax­ton warf die Waffe weg. Unter diesen Um­ständen stellte sie nur unnützen Ballast dar.

Nun wandte sich Axton dem Ausflugs­schacht dieser Garage zu und stellte erleich­tert fest, daß er leicht geöffnet werden konn­te. Er suchte sich einen Gleiter aus, befahl Kelly, das Steuer zu übernehmen und starte­te. Langsam schwebte die Maschine durch den Schacht nach oben und trieb dann von dem Trichterbau weg. Axton sah einige an­dere Gleiter, die in der Nähe auf dem Boden standen. Mehrere Arkoniden liefen auf sie zu. Einer von ihnen feuerte einen Warn­schuß ab. Der sonnenhelle Energiestrahl strich dicht vor der Frontscheibe vorbei. Ax­ton schloß geblendet die Augen. Kelly un­terbrach die Flucht jedoch nicht, sondern be­schleunigte mit Höchstwerten. Er schaffte es, die Maschine schnell genug so zu lenken, daß sich ein Gebäude zwischen ihr und den Verfolgern befand. Auf diese Weise verhin­derte er einen weiteren Beschuß.

Damit war es jedoch noch nicht geschafft. Mit Höchstgeschwindigkeit raste der

Gleiter auf ein Vergnügungsviertel zu. Zwi­schen ihm und seinem Ziel befand sich kei­ner der Häscher Dirgoks.

Lebo Axton griff über die Schulter des

Roboters hinweg und schaltete das 3D-Gerät ein, als er merkte, daß das Chronometer eine volle Stunde anzeigte. Wie erhofft, lief eine Nachrichtensendung, in der über wichtige Ereignisse im Bereich des Imperiums be­richtet wurde. Abschließend erfolgte ein Aufruf an die Bevölkerung, dem Ordnungs­dienst bei der Fahndung zu helfen.

»… als des Mordes an dem Händler Bollpta überführt, gilt Lebo Axton.« Es schloß sich eine detaillierte Beschreibung des Gesuchten an. »Die Erscheinung Axtons ist so auffällig, daß er leicht zu identifizieren sein dürfte. Die Bevölkerung wird gebeten, nicht auf eigene Faust Jagd auf Axton zu machen, da dieser als gefährlich gilt. Er ist bewaffnet und hat keine Hemmungen, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.«

»Das stimmt alles nicht«, stellte Gentle­man Kelly fest.

»Natürlich nicht«, erwiderte der Ver­wachsene. »Dirgok braucht jedoch einen gu­ten Grund, mich sofort zu erschießen, wenn er mich findet.«

Der Gleiter erreichte die ersten Gassen des Vergnügungsviertels. Lebo Axton blick­te durch das hintere Fenster zurück. Die Verfolger näherten sich schnell.

»Dort hinüber«, befahl der Terraner und deutete auf ein halbrundes Tor, das aus flammend rotem Licht zu bestehen schien. Zahlreiche Männer und Frauen drängten sich hinein.

»Die Spannungsbahn. Wir werden versu­chen, in ihr zu verschwinden.«

Der Gleiter landete und rutschte noch ei­nige Meter kreischend über den Boden. Die Verfolger jagten heran. Axton sah, daß sich die Männer Dirgoks aus den Seitenfenstern beugten. Sie wagten jedoch nicht, auf ihn zu schießen, da sie sich nun mitten in der Men­ge befanden.

Gentleman Kelly hastete mit Axton durch das Tor.

Lebo Axton warf einen Geldschein in den Kassenautomaten und erhielt dafür mehr Eintrittskarten, als er benötigte. Doch das störte ihn nicht.

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Kelly eilte mit ihm zur Öffnung der Röh­re, die in steilem Winkel in die Tiefe führte. Er sprang hinein und beugte sich leicht vor, als der Sturz begann. Auf einem prallfeld­ähnlichen Energiekissen fielen sie ins Dun­kel. Sekundenlang geschah überhaupt nichts, in dieser Zeit krampfte sich Axton jedoch unwillkürlich alles zusammen. Er weitete seine Augen, obwohl ihm der Wind um den Kopf pfiff, weil er nach dem geringsten Lichtschimmer suchte, der sich ihm bieten könnte. Über sich hörte er die Schreie der Verfolger, und dann blitzte es auf. Einer der Jäger schoß mit seinem Energiestrahler in die Rohre hinein. Es wurde sonnenhell, so daß Axton sich stöhnend einen Arm vor das Gesicht preßte. Schlagartig stiegen die Tem­peraturen an, doch reichte die Hitzewelle nicht weit genug. Der Sturz verlief zu schnell, so daß Axton nun bereits außer Reichweite war.

»Das wird Dirgok mir bezahlen«, schrie er.

Sie passierten ein Dunkelfeld, das wie ein Vorhang vor der Röhre gelegen hatte, so daß sie plötzlich und übergangslos in eine hell erleuchtete Hohlkugel gerieten, die von wal­lenden Farbfeldern erfüllt war. In ihnen be­wegten sich nahezu unbekleidete Mädchen im Rhythmus einer Musik, die direkt im Kopf Axtons aufzuklingen schien. Sie rutschten auf eine waagerecht verlaufende Bandstraße. Gentleman Kelly konnte sich aufrichten. Vor ihnen befanden sich etwa zwanzig Männer und Frauen, die vergnügt lachend betrachteten, was die Hohlkugel bot. Der Roboter rannte mit seiner Last an ihnen vorbei und schnellte sich in die näch­ste, abwärts führende Röhre. Axton ver­mochte nicht zu schätzen, wie tief sie sich nun bereits unter der Oberfläche des Plane­ten befanden. Es mußten mehrere hundert Meter sein.

Nun glitten sie nicht durch die Dunkel­heit, sondern durch eine Röhre, die einen Durchmesser von etwa zwei Metern hatte, und deren Wände substanzlos zu sein schie­nen. Axton war, als schwebe er durch Wol-

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kenfelder, die ihre Farbe ständig wechselten. Doch er interessierte sich nur wenig für sei­ne Umgebung. Ständig blickte er zurück, weil er fürchtete, daß die Verfolger aufholen könnten.

Auch diese Röhre endete abrupt. Plötzlich befanden sie sich in einer Dschungelland­schaft, und ein grausig aussehendes Raubtier von den Dimensionen eines terranischen Elefanten stürzte sich auf sie. Der Verwach­sene schrie unwillkürlich auf. Dann jedoch begriff er, daß er nur auf eine optische Täu­schung hereingefallen war.

»Nach rechts, Kelly«, befahl er. Der Roboter verließ die Gleitstraße und

rannte in die Dschungellandschaft hinein, wobei er geschickt genug war, keine oder nur geringe Spuren zu hinterlassen. Er setzte seine Füße immer nur dort auf, wo der Bo­den hart und fest zu sein schien. Mehrere Male wurden sie von dreidimensional wir­kenden Projektionen angegriffen und er­schreckt. Axton hörte die Schreie der ande­ren Besucher, die wie sie auch von der Hauptrichtung abgewichen waren. In ihnen mischte sich Angst und Vergnügen.

Dann prallte Kelly fast mit einem Arkoni­den zusammen, der unvermutet hinter einem Baum hervortrat. Der Mann hatte glasige Augen und stand offensichtlich unter dem Einfluß eines starken Betäubungsmittels. Er wich nicht aus, sondern blieb einfach stehen. Im letzten Moment konnte der Roboter sich abfangen. Lebo Axton aber wurde fast über die Schultern nach vorn geschleudert.

In diesem Augenblick fiel ein Schuß. Ein nadelfeiner Energiestrahl zuckte auf

den Roboter zu und durchbohrte den Schä­del des Arkoniden. Lebo Axton ließ sich so­fort fallen. Er stürzte ins Gras und wälzte sich blitzschnell hinter einen Baum. »Kommen Sie heraus, Lebo Axton«, rief der Schütze, der sich hinter einem mit Pflanzen nahezu vollkommen bedeckten Felsen ver­steckt hielt. »Wenn Sie sich nicht stellen, werden wir Ihren Partner Butein an Ihrer Stelle töten. Er ist in unserer Hand.«

Kennon robbte sich durch eine Bodenrin­

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ne weiter. Er kümmerte sich nicht um eine Riesenschlange, die sich geifernd auf ihn stürzte. Er wußte, daß sie nur eine Projekti­on war. Tatsächlich verschwand sie im Nichts, als ihre blitzenden Zähne nur noch Zentimeter von ihm entfernt waren.

Dann bemerkte er, daß sich ein tigerähnli­ches Wesen auf jemanden warf, der sich seitlich von ihm hinter einigen flachen Stei­nen befand. Entweder hatte er es mit zwei Gegnern zu tun, oder der heimtückische Schütze hatte seine Position gewechselt. Er kroch etwa zwei Meter zur Seite. Dort fand er einen Stein. Er nahm ihn auf und warf ihn in einem Bogen genau dorthin, wo er den Arkoniden vermutete. Ein unterdrückter Ausruf bestätigte ihm, daß er sich nicht ge­irrt hatte. Der Schütze eilte geduckt weiter.

»He, du«, brüllte Axton. Der Arkonide fuhr herum. Seine Waffe

zuckte hoch. Doch schon wirbelte ein Nagel aus Arkonstahl auf ihn zu und fuhr ihm in die Brust. Der Getroffene brach stöhnend zusammen. Er wälzte sich auf dem Boden und preßte die Hände auf die Wunde.

Gentleman Kelly sprang über mehrere Meter hinweg zu ihm hin, bückte sich und nahm die Energiestrahlwaffe auf, die ihm entfallen war. Er warf sie Axton zu, der sie geschickt auffing.

Der Verwachsene zielte auf den Arkoni­den, kniete sich vor ihm nieder und sagte: »Nun, wie stehts mit der Wahrheit? Was habt ihr mit Butein getan?«

»Ich habe solche Schmerzen.« »Wer versucht, jemanden zu ermorden,

muß damit rechnen, daß sein Opfer nicht da­mit einverstanden ist. Was ist mit meinem Partner?«

»Er ist verhaftet worden. Dirgok gibt ihn nur frei, wenn Sie sich stellen oder wenn wir Sie getötet haben.«

»Sage Dirgok, daß er ein zu gefährliches Spiel gespielt hat. Dort, wo er hergekommen ist, hat man sich Gedanken über ihn gemacht und ist zu einem bemerkenswerten Schluß gekommen. An deiner Stelle würde ich es ihm unbedingt sagen. Es ist vielleicht nicht

unwichtig für ihn, und ich hoffe, daß er sei­ne unsinnige Jagd auf mich aufgibt, wenn er es erfährt.«

»Ich verstehe nicht.« »Das ist auch gar nicht notwendig.« Lebo Axton stieg wieder auf den Rücken

des Roboters. Kelly eilte mit seiner Last da­von und sprang in die nächste Röhre.

»Wohin wollen Sie, Herr?« fragte er. »In die Wohnung des Händlers Bollpta.« »Dort wird man Sie schnell finden.« »Ganz im Gegenteil, Kelly«, entgegenete

Axton. »Das wird man nicht. Übrigens fände ich es recht angenehm, wenn du mir das Denken überlassen würdest. Du verstehst nämlich herzlich wenig davon.«

Die Röhre endete vor der Tür zu einem Holzhaus, das Axton von seinem Stil her an alte englische Landhäuser erinnerte. Ein un­angenehm kalter Wind kam aus dem Dunkel zur Rechten. Er veranlaßte den Verwachse­nen, Gentleman Kelly auf die Schulter zu tippen.

»Los doch. Ins Haus.« Der Roboter eilte auf die Tür zu und öff­

nete. Bevor sie eintraten, blickte Axton sich noch einmal um. Dies war der einzige Weg, der möglich erschien. Verfolger waren nicht zu erkennen, aber auch die Öffnung der Röhre, durch die sie gekommen waren, war nicht zu sehen.

Knarrend fiel die Tür hinter ihnen zu. Lebo Axton zog den Kopf ein, um nicht

gegen die niedrige Decke eines Zimmers zu stoßen, das mit seltsamen Möbeln eingerich­tet war. Alles schien leicht verzerrt und ver­schoben zu sein. Es gab keine rechten Win­kel und keine parallelen Linien, keine Kreise – überhaupt nichts, was richtig zu sein schi­en. Die Möbelstücke waren alt und aus Holz gefertigt. Brauntöne überwogen. Axton fühl­te sich in eine längst versunkene Welt ver­setzt. Zwei Türen zweigten auf der linken und der rechten Seite ab. Im Hintergrund führte eine mit einem Geländer versehene Tür nach oben.

Axton hörte jemanden verhalten kichern. Kurz darauf schrie eine Frau auf, doch der

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Schrei wurde sofort erstickt, als ob ihr je­mand eine Hand auf den Mund gepreßt ha­be.

»Hier stimmt doch etwas nicht, Kelly«, sagte der Verwachsene leise. »Gehört das nun noch zu den Scherzen der Spannungs­bahn, oder hat Aprit Dirgok auch hier seine Hand im Spiel?«

Er deutete auf eine der Türen. Kelly öff­nete sie. Dahinter lag eine Kammer, die mit wertlosem Gerumpel bis unter die Decke ge­füllt war. Hinter der anderen Tür befand sich ebenfalls abgestelltes, verstaubtes Mobiliar.

»Wir gehen die Treppe hoch.« Der Roboter mußte sich weit nach vorn

neigen, weil die Decke so niedrig war. »Laß mich herunter«, befahl er. Kelly eilte voraus, während Axton langsa­

mer folgte. Für ihn war es anstrengend, die Treppe mit eigener Kraft hinaufzusteigen.

Irgendwo im Haus wimmerte jemand wie in höchster Angst. Die Stufen unter den Fü­ßen des Roboters knarrten so stark, daß Ax­ton zeitweilig befürchtete, sie könnten zu­sammenbrechen. Er blieb noch weiter zu­rück, um in einem solchen Fall nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden.

Er fühlte sich nicht wohl in diesem Haus. Allzu langsam kamen sie voran. Dadurch wurden die Chancen Dirgoks immer besser. Er hatte Zeit, seine Leute um das Vergnü­gungsviertel zusammenzuziehen und ihn in die Enge zu treiben. Wenn er ihn hier erwi­schte, dann war es nicht besonders schwie­rig, ihn umzubringen. Die Illusionsmaschine war zwar mit extremen Sicherheitsvorkeh­rungen versehen, sie bot aber auch zahllose Möglichkeiten, jemanden verschwinden zu lassen.

Das Haus kam Axton plötzlich wie eine Falle vor, die Dirgok ihm gestellt hatte. Mehr noch als zuvor lauschte er auf die Ge­räusche, die ihn umgaben. Er war nicht al­lein. Irgendwo in seiner Nähe befand sich ei­ne Frau. War sie in Gefahr? Wurde sie von jemandem bedrängt, oder existierte sie nur als Tonbandstimme, die dazu diente, den Besuchern einen kalten Schauer über den

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Rücken zu jagen? Mehr noch als zuvor wurde Axton sich

dessen bewußt, wie gefährlich seine Ent­scheidung gewesen war, in diesem Vergnü­gungspalast unterzutauchen. Er wußte nie, ob das, was auf ihn zukam, eine echte Ge­fahr darstellte oder nun zum Programm ge­hörte. Gelang es seinen Gegnern, in die Maske der Programmfiguren zu schlüpfen, dann hatte er überhaupt keine Chance.

Die Treppe endete an einem Gang, von dem zahlreiche Türen abzweigten. An den Wänden hingen die Bilder von ausgezehrten, bleichen Arkoniden. Als Axton die Darstel­lungen betrachtete, fiel ihm auf, daß sie alle etwas miteinander gemein hatten. Die abge­bildeten Personen fürchteten sich vor irgend etwas.

Kelly hatte das Ende des Ganges bereits erreicht. Er drehte sich zu Axton um und hob den Arm.

»Hier geht es weiter«, sagte er. In diesem Moment öffnete sich zwei Meter von Axton entfernt eine Tür. Knarrend bewegte sie sich in ihren Angeln. Er blieb stehen und griff zur Waffe. Der Schatten eines Mannes fiel auf die Tür. Eine Hand glitt auf sie zu. Sie umklammerte einen spitzen Gegenstand. Axton hob den erbeuteten Energiestrahler.

Ein Monteur in verschmutzter Arbeits­kleidung trat grinsend aus der Tür. Er hielt einen Schraubenzieher in der Hand.

»Die verdammte Tür dort öffnet sich im­mer von selbst, wenn jemand auf die Bretter dort tritt. Ich muß das Schloß in Ordnung bringen.« Er blickte Axton an und wollte die Tür wieder schließen, doch der Verwachse­ne trat schnell auf ihn zu und zielte auf sei­nen Kopf.

»Machen Sie Platz. Los doch.« Der Monteur ging rückwärts in den Raum

hinein. Gentleman Kelly hastete herbei. Er blieb in der offenen Tür stehen.

Lebo Axton kam in einen modern einge­richteten Raum. Unter einem Videogerät leuchteten Farbsymbole auf. In der Ecke lag ein gefesselter Mann auf dem Boden. Er war nur noch mit Unterwäsche bekleidet.

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»Das dachte ich mir doch«, sagte Axton. »Kelly, durchsuche ihn nach Waffen.«

Während der Roboter diesem Befehl nachkam, ging Axton zu dem Kommunikati­onsgerät und tippte eine fünfstellige Zahl in die Tastatur. Ein grünes Ruf licht leuchtete in Abständen von wenigen Sekunden auf.

Fast eine Minute verstrich, bis das mürri­sche und verschlafene Gesicht des Waffen­meisters auf dem Bildschirm erschien. Er zuckte unmerklich zusammen, als er Lebo Axton erkannte.

»Sie?« fragte er verwundert. »Zu dieser Tageszeit?«

»Ganz recht«, entgegnete der Verwachse­ne. »Ich habe eine kleine Bitte an Sie, Waf­fenmeister.«

»Hat das nicht bis morgen Zeit?« »Durchaus nicht. Wir können es uns nicht

leisten, Zeit zu verschenken.« »Sie machen mich neugierig.« »Sie sollten wissen, daß mein Partner Bu­

tein verhaftet worden ist.« »Verhaftet? Warum?« »Weil er mein Partner ist. Das ist der ein­

zige Grund. Dirgok glaubt, daß er mich da­mit erpreßen kann. Er will mich haben und hofft, daß ich mich stellen werde, damit Bu­tein entlassen wird.«

»Warum sagen Sie das nicht Dirgok selbst? Ich kann nichts für Sie oder Butein tun. Wenn Sie etwas angestellt haben, dann ist das Ihre Sache.«

»Durchaus nicht, Waffenmeister. Ihr Pro­blem ist bekannt. Ihre Waffensysteme funk­tionieren nicht zuverlässig genug. Es gibt zuviele Ausfälle und sogar Explosionen. Sie wissen genau, daß ich Ihre Probleme lösen kann.«

»Das ist richtig.« »Nun, dann will ich Sie nicht darüber im

unklaren lassen, daß unsere Zusammenarbeit beendet ist, wenn Butein nicht freigelassen wird.«

»Axton, das können Sie nicht tun!« »Warum nicht? Was zwingt mich dazu,

Ihre Waffensysteme zu verbessern?« »Es gibt so etwas wie eine nationale Ver­

pflichtung.« »Pah. Große Worte, die nichts bei mir

zählen. Entscheiden Sie sich, was Ihnen mehr wert ist. Ich will Butein, und ich lasse nicht mit mir handeln.«

»Wollen Sie mich erpressen?« »Nicht doch, Waffenmeister. Ich will nur

verhindern, daß Dirgok einen dummen Feh­ler macht, der sich zum Nachteil für die ar­konidische Flotte im Kampf gegen die Me­thanatmer auswirken muß, und unter dem zwangsläufig auch Orbanaschol III. leiden wird. Es wird Ihnen doch nicht schwerfallen, Dirgok zu erläutern, wie falsch er sich ver­hält. Notfalls können Sie sich ja auch direkt an Orbanaschol wenden.«

Lebo Axton schaltete das Gerät aus und ließ den Waffenmeister mit seinen Proble­men allein. Er war fest davon überzeugt, daß der Ingenieur nun nicht länger in Haft blei­ben würde. Das konnte sich selbst ein Dir­gok unter den gegebenen Umständen nicht mehr leisten.

Damit war der erste Hieb, der wirklich empfindlich traf, gelungen. Aber er war nur der Anfang. Der Hauptschlag, der Dirgok vernichtete, sollte noch kommen.

Als Axton sich umwandte, sah er, daß Gentleman Kelly gute Arbeit geleistet hatte. Der Monteur war frei, und Dirgoks Mann war gefesselt.

»Wir verschwinden jetzt«, sagte der Ver­wachsene. Er winkte dem Angestellten des Vergnügungspalastes kurz zu und wollte den Raum dann verlassen. In der Tür drehte er sich jedoch noch einmal um. »Da fällt mir etwas ein. Vielleicht können Sie mir hel­fen.«

»Wenn ich es kann, will ich es gern tun.« »Sie haben wohl begriffen, daß dieser

Mann mich ermorden wollte. Draußen war­ten noch mehr gedungene Mörder auf mich. Können Sie mir einen Ausgang aus der Ma­schine zeigen, der nicht allgemein bekannt ist? Vielleicht kann ich durch ihn entkom­men.«

»Selbstverständlich. Kommen Sie.« Er schritt eilfertig an Axton vorbei, wobei

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er ihm einen scheuen Blick zuwarf. Die Na­men, die im Videogespräch gefallen waren, hatten ihm verraten, daß der Verwachsene kein bedeutungsloser Mann war.

Er öffnete die gegenüberliegende Tür und führte Axton und den Roboter über einen verstaubten Flur zu einer weiteren Tür, hin­ter der ein betonierter Gang lag, der nach et­wa fünfzig Metern an einer Stahltür endete.

»Er ist für Katastrophenfälle vorgesehen«, erklärte der Monteur. »Da hinten kommen Sie in einer Garage heraus.«

Axton gab dem Roboter einen Wink. Kel­ly raste los. Er erreichte die Stahltür und konnte sie mühelos öffnen.

»Alles in Ordnung«, teilte er mit. »Danke«, sagte Axton. »Gehen Sie jetzt

lieber.« Er wartete, bis der Mann die Tür ver­

schlossen und verriegelt hatte, dann rief er den Roboter herbei, stieg auf dessen Rücken und ließ sich tragen.

In der Garage hielt sich niemand auf. Ax­ton konnte einen Gleiter aufbrechen und mit ihm starten.

Der Morgen brach an. In der Ferne starte­ten drei Raumschiffe. Über den Vergnü­gungsvierteln hatte sich ein milchiger Dunst gebildet, in dem hin und wieder das rote, grüne oder blaue Licht einer Reklameschrift aufleuchtete. Es sollte die Illusion der Fröh­lichkeit und Ausgelassenheit signalisieren.

Gentleman Kelly blieb stehen, als die Tür ins Schloß gefallen war.

»Sie machen einen Fehler, Herr«, sagte er.

Lebo Axton, der zu einem Sessel gehen wollte, fuhr wild herum.

»Du bist still«, rief er zornig. »Ich habe dich zwar Gentleman getauft, aber du scheinst keine Ahnung davon zu haben, was das überhaupt bedeutet.«

»Ihre Vermutung ist richtig.« »Vermutung! Ich weiß es mit absoluter

Sicherheit.« »Dann haben Sie falsch formuliert.« »Es steht dir nicht an, mich zu kritisie­

ren.«

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»Ich habe nicht kritisiert, ich habe korri­giert.«

Axton-Kennon lief rot an. Er griff nach seinem Strahler und richtete ihn auf den Ro­boter.

»Ein Wort noch, und ich vergesse alle Vorteile, die mit dir verbunden sind.« Er schnaufte durch die Nase. »Soweit kommt es noch, daß ein Roboter Streitgespräche führen darf. Es ist ein Wunder, daß die menschliche Kultur noch nicht unter dem Terror der Roboter zusammengebrochen ist. In zehntausend Jahren hätte unendlich viel passieren können.«

»Solange gibt er noch keine Roboter.« »Eine derartige Bemerkung mußte ja

kommen«, sagte Axton verächtlich. Er schob den Strahler in den Gürtel zurück und wechselte das Thema. »Was für einen Feh­ler?«

»Es ist ein Fehler, sich in der Wohnung des Händlers Bollpta zu verstecken. Hier wird man Sie sehr bald finden.«

»Ich komme immer mehr zu der Ansicht, daß du ein Narr bist. Du solltest darauf ver­zichten, mir Ratschläge zu geben. Wo kann man sich denn überhaupt besser verbergen als gerade dort, wo die Polizei ihre Ermitt­lungen abgeschlossen hat? Sie wird überall suchen, nur nicht hier in der Wohnung des Händlers. Aber wenn man ein paar Kurz­schlüsse im Gehirn hat, kann man das natür­lich nicht begreifen.«

Axton setzte sich, schlug die Beine über­einander und blickte nachdenklich zum Fen­ster hinaus. Er konnte bis zu dem Übungsge­lände für Raumfahrer hinübersehen. Einzel­heiten waren bei der großen Entfernung al­lerdings nicht zu erkennen. Arbeitskolonnen waren damit beschäftigt, die Reste der natür­lich gewachsenen Landschaft zu beseitigen, um die Fläche für die militärische Nutzung vorzubereiten.

Axton war fest davon überzeugt, daß er sich richtig entschieden hatte, als er in die von den Untersuchungsbehörden versiegelte Wohnung eingedrungen war. Es war ihm ge­lungen, das Siegel wieder so herzustellen,

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daß eine Verletzung nicht erkennbar war. Hier wollte er abwarten. Irgendwann in den nächsten Tagen mußte

ein Kurier von Akkerek kommen. Er würde Informationen über die Vergangenheit Aprit Dirgoks mit sich führen. Axton wußte, daß der Offizier es sich nicht leisten konnte, den Kurier bis zu seinen Vorgesetzten, bis in die Ministerien oder vielleicht gar bis zum Hof Orbanaschols III. vordringen zu lassen. Dir­gok mußte etwas unternehmen. Er mußte den Kurier abfangen. Seine Aktivität aber würde zugleich auch der unwiderlegbare Be­weis dafür sein, daß die Informationen stimmten, die der Kurier überbrachte, denn gegen Lügen und Verleumdungen brauchte Dirgok sich nicht allzu energisch wehren. Sie wären auch nur schwer zu beweisen ge­wesen. Die Vergangenheit Dirgoks ließ sich aber aufrollen, sobald einige seiner persönli­chen Daten besser bekannt wurden.

Lebo Axton hockte wie die Spinne im Netz und wartete. Das 3D-Gerät lief den ganzen Tag, denn Axton war sich dessen si­cher, daß die Ankunft eines Kuriers von Ak­kerek gemeldet werden würde. In den Nach­richten wurden täglich ähnliche Besuche be­kanntgegeben.

Axton verfügte jedoch noch über ein zweites Gerät, das er aus dem Gleiter ausge­baut hatte, mit dem er geflohen war. Er schloß es an das Stromnetz an und schaltete einen Sender ein, der pausenlos nur über Schiffsbewegungen auf Arkon III berichtete. Sämtliche Starts und Landungen von Raum­schiffen wurden gemeldet. Dazu wurden Schiffsdaten und Herkunft gemeldet, sofern keine Nachrichtensperre vom Geheimdienst verhängt worden war.

Damit aber war im Falle eines Schiffes von Akkerek nicht zu rechnen.

Axton wußte, daß er das Intrigenspiel ge­gen Dirgok so gut eingefädelt hatte, daß die­sem kaum noch ein Ausweg blieb. Aber noch war nicht alles getan, was getan wer­den mußte.

Gegen Mittag klopfte es zaghaft gegen die Tür.

Kelly öffnete, und der Hauptingenieur Eglo Butein trat ein. Er war nervös und sah verängstigt aus. Während der Roboter die Tür wieder so verschloß, daß das außen an­gebrachte Siegel wieder so aussah, als sei es in Ordnung, ging der Ingenieur auf Axton zu. Er setzte sich neben ihm in einen Sessel und trocknete sich mit einem Taschentuch die Tränen der Erregung ab.

»Sie müssen verrückt sein«, sagte er. »Ich verstehe Sie nicht. Wie können Sie sich hier verstecken?«

Lebo Axton erklärte es ihm. »Wenn Sie sicher sind, daß Ihnen nie­

mand gefolgt ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen«, sagte er abschließend.

»Mir ist niemand nachgeflogen. Ich habe einen riesigen Umweg gemacht und bin mehrmals in andere Taxigleiter umgestie­gen.«

»Dann ist es gut.« »Was haben Sie vor?« »Ich muß in die Wohnung Dirgoks.« Butein ließ sich nach hinten sinken. Er

schüttelte den Kopf. »Ich begreife nichts mehr. Haben Sie die

Absicht, Selbstmord zu begehen?« »Keineswegs, Partner. Mir kommt es dar­

auf an. Dirgok unsicher zu machen. Ich will ihn bis an den Rand der Panik treiben, weil er dann genauso reagieren wird, wie ich es geplant habe.«

»Warum ziehen Sie mich mit hinein? Wa­rum haben Sie mir vor einigen Tagen gesagt, daß ich unbedingt hierherkommen soll?«

Axton deutete auf das Videogerät. »Ich benötige jemanden, der sich die stän­

digen Durchsagen anhört. Kelly muß mich begleiten. Sie werden also hier bleiben und diesen Freundschaftsdienst für mich erledi­gen.«

»Was ist, wenn man mich hier erwischt?« »Machen Sie sich keine Sorgen, Butein,

in einigen Tagen ist alles überstanden. Au­ßerdem – der Waffenmeister ist auf uns bei­de angewiesen. Er wird alles tun, was er für uns tun kann.«

Eglo Butein schüttelte den Kopf. Er sagte

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nichts mehr, aber Lebo Axton sah ihm an, daß er nach wie vor äußerst skeptisch war.

*

Nach Einbruch der Dunkelheit verließen Kelly und Axton das Trichtergebäude, in dem der ermordete Händler Bollpta seine Wohnung hatte. Ein Gleiter-Taxi, das sie mit einem Funkbefehl herbeigerufen hatten, wartete vor dem Hausgang des Gebäudes, das von sieben anderen Mietern mitbewohnt wurde. Glücklicherweise schienen davon je­doch mehrere nicht auf Arkon III zu sein, denn nur selten einmal hatte Axton Ge­räusche wahrgenommen, die ihm sagten, daß sie nicht allein im Haus waren.

Sie erreichten einen Gebäudekomplex von sieben Trichterbauten, die kreisförmig um ein ausrangiertes Kugelraumschiff errichtet worden waren. Das Schiff stellte eine Art Denkmal dar. Zahlreiche Gleiter bewegten sich zwischen den Trichtern hin und her. Ein ständiger Strom von Besuchern floß auch zwischen dieser' und anderen Ansiedlungen hin und her, so daß es riskant erschien, sich der Wohnung Dirgoks zu nähern.

Lebo Axton befahl dem Roboter, sich zu bücken, so daß er von außen her nicht zu se­hen war. Er selbst lenkte die Maschine nun bis fast an die Dachterrasse des Trichters heran, in der Dirgok wohnte. Niemand hielt sich hier oben auf.

»Übernimm das Steuer«, befahl der Ver­wachsene, während er den Gleiter an eine Bank herandirigierte. Er sprang hinaus, und Kelly flog davon.

Axton wartete einige Minuten ab, die er regungslos hinter der Bank verbrachte. Dann war er sicher, daß niemand etwas bemerkt hatte. Er löste sich aus seinem Versteck und bewegte sich lautlos über die Terrasse hin­weg. Dabei kam ihm zugute, daß er so klein war, denn die meisten Büsche und Stauden waren so hoch, daß sie ihm über den Kopf hinwegreichten.

Axton eilte zu einem Abgang, öffnete die Tür und lauschte nach unten. Alles war still.

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Vorsichtig schlich er eine Treppe hinunter und geriet in einen luxuriös eingerichteten Vorraum, der durch das von außen durch die Fenster hereinfallende Licht nur mäßig er­hellt wurde. Wiederum blieb er stehen und horchte. Dann glaubte er, sicher sein zu kön­nen, daß sich niemand in der Wohnung auf­hielt. Er zog eine Tür auf und kam in einen weiträumigen Wohnsalon. Er legte seine Hand auf eine Kontaktplatte. Das Licht ging an. Über einem Sessel lagen einige Uni­formteile, die jemand achtlos darüber ge­worfen hatte.

Axton lief zu einem Kommunikations­schrank, der unter einem Fenster stand, und schaltete das 3D-Gerät ein. Draußen war al­les ruhig, aber das würde sich bald ändern. Axton wußte, daß er an irgendeiner Stelle einen Alarm ausgelöst hatte. In einigen Mi­nuten würde jemand hier eintreffen, um nachzusehen, wer eingedrungen war.

Axton schritt langsam an einer Wand ent­lang, die mit holzähnlichem Material vertä­felt worden war. An ihr waren einige Bilder befestigt worden. Daneben hingen Schnitze­reien und rituelle Gerätschaften, die Dirgok vermutlich von Exkursionen zu exotischen Planeten mitgebracht hatte. Dann aber stieß Axton auf eine kaum wahrnehmbare Un­ebenheit. Er ließ seine Hand darüber gleiten und drückte sie danach fest dagegen, ohne eine Reaktion zu erzielen.

Er nahm den Strahler, richtete ihn gegen die Wand und feuerte ihn ab. Der nadelfeine Energiestrahl setzte die Verkleidung in Flammen. Eine Platte platzte krachend her­aus und stürzte um. Dahinter lag die Panzer­tür eines Safes verborgen.

Der Verwachsene versuchte gar nicht erst, sie zu öffnen. Er feuerte mit seinem Strahler auf sie, bis sich ihr Mittelteil in flüssige Glut verwandelte, und die Hitze so groß wurde, daß er zurückweichen mußte. Damit wurde zugleich aber auch alles zerstört, was sich in dem Sicherheitsfach befunden hatte.

Axton fuhr herum und hastete die Treppe zur Dachterrasse hinauf. Er vernahm, daß sich jemand an der Haupteingangstür zu

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schaffen machte. Im Dachgarten hielt sich niemand auf. Ein

Gleiter raste heran. Gentleman Kelly stieß die Seitentür auf. Lebo Axton schleuderte seine Waffe von sich, stieg in die Maschine und lehnte sich in die Polster zurück. Der Roboter beschleunigte. Axton blickte zu­rück, konnte aber keine Einzelheiten mehr auf der Terrasse erkennen.

Als sie kurz darauf in der Wohnung des Händlers eintrafen, saß Eglo Butein vor dem Fernsehapparat, so wie es ihm aufgetragen worden war.

»Gut, daß Sie kommen«, sagte er. »Ein Kurierschiff von Akkerek ist soeben ange­kündigt worden. Es wird auf dem AYA-Ha­fen landen.«

»Wieviel Zeit haben wir noch?« »Eine Stunde etwa.« »Das sollte genügen.« »Wozu? Um zum AYA-Hafen zu kom­

men? Dafür benötigen Sie nur ein paar Mi­nuten.«

Axton schüttelte den Kopf. Er lächelte un­merklich.

»Nein, ich – dachte an Sie, Partner.« Butein wich vor ihm zurück. Seine ganze

Haltung drückte Abwehr und Ablehnung aus.

»Was wollen Sie von mir?« »Ich benötige eine Eppter-Automatik mit

wenigstens zehn Schuß.« »Was wollen Sie mit einem solchen Ge­

wehr?« »Das sollte Sie nicht interessieren.« »Es interessiert mich aber.« »Warum?« »Weil ich nicht gewillt bin, die Waffe für

einen Mord zu liefern.« »Sie können beruhigt sein, Butein. Ich ha­

be nicht vor, jemanden zu töten. Ich möchte vielmehr verhindern, daß jemand umge­bracht wird.«

»Ich verstehe dennoch nicht, weshalb Sie dieses Spezialgewehr benötigen. Sie wissen, daß die Ladung der Geschosse eine extreme Hitze nach dem Aufschlag entwickelt?«

»Die ist es ja gerade, die ich nutzen will.«

Das Lächeln auf dem Gesicht des Verwach­senen vertiefte sich. »Nun fürchten Sie, bit­te, nicht, daß ich vorhabe, eine Brandstif­tung zu begehen. Auch dafür würde ich ein derartiges Gewehr nicht benötigen. Also – beschaffen Sie eines?«

Butein streckte die Hand aus. »Das kostet etwas.« »Sie sind ein netter Mensch, Partner. Si­

cherlich strecken Sie mir die Summe vor.« Eglo Butein kaute auf seinen Lippen. Ax­

ton sah ihm an, daß er sich am liebsten von ihm getrennt hätte. Dazu aber mochte der In­genieur sich nicht durchringen. Das große Geschäft lockte noch immer.

»Also gut«, sagte der Ingenieur. »Ich wer­de es tun.«

»Beeilen Sie sich«, erwiderte Axton. »Sie wissen ja selbst, daß wir kaum noch Zeit ha­ben.«

»Hetzen Sie mich nicht auch noch!« »Regen Sie sich nicht auf, Partner. Es ist

der letzte Dienst, den ich in dieser Sache von Ihnen erwarte. Danach können Sie aus­schließlich Ihrer Ingenieursarbeit nachge­hen.«

»Mehr werde ich für Sie auch nicht mehr tun.«

Eglo Butein kehrte schon nach etwa zwanzig Minuten mit einem Gewehr zurück, das sich äußerlich kaum von jenen Waffen unterschied, die auf der Erde bis zur Ent­wicklung der Energiestrahlwaffen in Ge­brauch sein würden. Lebo Axton nahm es und blickte durch das Zielfernrohr. Er nickte zufrieden.

»Es liegt ausgezeichnet in der Hand«, sagte er lobend. »Danke.«

»Kann ich jetzt gehen?« Axton überlegte kurz. »Sie können mir nun kaum noch helfen«,

erklärte er. »Die Entscheidung läßt nicht mehr lange auf sich warten. Wenn es Ihnen Spaß macht, verfolgen Sie das Geschehen um den Kurier Akkerek. Sie können natür­lich auch hautnah dabei sein. Wollen Sie?«

Butein hob abwehrend die Hände. »Sie können sich Ihre ironischen Worte

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sparen, Axton. Ich werde nicht bei Ihnen bleiben. Wann sehen wir uns wieder?«

»Ich melde mich bei Ihnen.« »Mir fällt auf, daß Sie Ihre Energiestrahl­

waffe nicht mehr haben. Wo ist sie?« »Ich benötige sie nicht mehr. Deshalb ha­

be ich sie in der Wohnung meines Gegners zurückgelassen.«

»Warum?« fragte Butein überrascht. »Er könnte herausfinden, daß Sie es waren, der in seine Wohnung eingebrochen ist.«

»Das«, antwortete Axton lächelnd, »ist genau das, was er wissen soll.«

»Sie wollen ihn unsicher machen? Er soll glauben, daß Sie etwas Wichtiges entdeckt haben?«

»So ungefähr, Partner.« Eglo Butein merkte, daß Axton nicht ge­

willt war, ihm eine klare Auskunft zu geben. Er verabschiedete sich und ging.

8.

Das trichterförmige Gebäude war nur et­wa fünfhundert Meter von dem einstöckigen Kontrollgebäude des AYA-Raumhafens ent­fernt, der in einem völlig flachen, bäum- und strauchlosen Land lag. Lebo Axton hatte es geschafft, das Haus durch die subplanetare Garage zu betreten und in einem Antigrav­schacht bis auf die Dachterrasse zu kom­men. Die Dachanlage wurde als Restaurant genutzt. Raumoffiziere der höheren Ränge nahmen hier ein leichtes Abendessen ein oder fanden sich zur Unterhaltung zusam­men.

Auch hier hatte Lebo Axton Glück. Er er­reichte den Eingang und schlüpfte dort so­fort unter einige Büsche, ohne daß ihn je­mand sah. Er kroch in guter Deckung bis an den Rand der Terrasse und folgte danach der Rundung des Trichters, bis er eine freie Sicht auf den Vorplatz des Raumhafens hat­te. Er blickte auf sein Chronometer.

Wenn Butein die Wahrheit gesagt hatte, dann blieben noch etwa zwanzig Minuten Arkonzeit bis zur Landung. Vor dem Kon­trollgebäude parkten ungefähr zwanzig Ta-

H. G. Francis

xigleiter. Fünf Minuten verstrichen, ohne daß etwas

geschah. Axton blieb gelassen. Er zweifelte nicht

daran, daß es ihm gelungen war, Aprit Dir­gok nervös zu machen. Der Offizier konnte es sich nicht leisten, nichts zu tun. Er mußte etwas unternehmen, wenn er diese Intrige unbeschadet überleben wollte. Sein Nachteil war, daß er seinen Gegner zwar kannte, aber nicht packen konnte. Wäre Axton eine Per­son gewesen, die ebenfalls in Offizierskrei­sen oder am Hof Orbanaschols III. verkehr­te, dann hätte Dirgok ebenfalls gegen ihn in­trigieren und ihm ein Bein stellen können, ohne dabei zu so plumpen Mitteln wie einer polizeilichen Fahndung greifen zu müssen. Mit subtileren Schachzügen hätte er kontern können, ohne dabei sein Gesicht zu verlie­ren. Jetzt aber war er zu einem Spiel um Al­les oder Nichts gezwungen worden. Und das konnte ihm gar nicht behagen. Damit hatte Axton-Kennon ihn in die Ecke gedrängt.

Fünf Minuten später landeten zwei Gleiter auf dem Parkplatz. Aus jedem von ihnen stiegen vier Uniformierte aus. Sie setzten sich in die freien Taximaschinen und flogen mit ihnen davon. Kurz darauf kamen drei Gleiter, und wiederum stiegen je vier Män­ner aus. Danach war der Parkplatz leer.

Lebo Axton spitzte die Lippen und pfiff lautlos vor sich hin. Damit hatte er gerech­net. Sein Plan ging auf. Er hatte gewußt, daß Dirgok handeln würde.

Einige Minuten vergingen, dann flog eine einzelne Maschine ein, landete, und ein Uni­formierter stieg aus. Er ging um den Gleiter herum, öffnete die Haube über dem Anti­grav und schloß sie sofort wieder. Axton be­obachtete ihn durch das Zielfernrohr der Au­tomatik. Er konnte nicht erkennen, was der Mann tat, aber er wußte es auch so.

Sekunden darauf landete das kugelförmi­ge Raumschiff. Axton schwenkte das Ge­wehr herum. Mit Hilfe des Zielfernrohrs konnte er selbst in der Dunkelheit deutlich die Beschriftung neben der Hauptschleuse des Schiffes lesen. Es war der Kurierraumer

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von Akkerek. Hin und wieder horchte Axton auf die Ge­

spräche der Männer, die nur wenige Schritte von ihm entfernt waren. Keiner von ihnen ahnte, daß er hier in den Büschen lag.

Ein einzelner Mann verließ das Raum­schiff und ging zum Kontrollgebäude hin­über. Er trat schon wenig später auf den Parkplatz hinaus und ging auf den einzelnen Gleiter zu, der dort parkte.

Lebo Axton legte die Automatik an und zielte sorgfältig. Dann zog er den Auslöser dreimal durch. Leise fauchend schossen die Projektile aus dem Lauf. Sie schlugen am Rande der Gleitertür an und bildeten unter der Verschalung drei Hitzeherde, unter de­nen die Metallplastik schmolz.

Als der Kurier von Akkerek Sekunden darauf versuchte, die Tür zu öffnen, hatte sich das Material miteinander verschweißt. Er rüttelte am Griff. Ohne Erfolg. Etwas rat­los blickte er sich um.

Ein Gleiter jagte heran, verzögerte stark und landete neben ihm. Durch das Zielfern­rohr beobachtete Axton Gentleman Kelly, der die Seitentür seines Gleiters einladend öffnete. Der Kurier zögerte. Er klemmte sich seine Tasche unter den Arm und sah sich er­neut suchend um.

Der Roboter stieg aus der Maschine, ging zu dem Gleiter, dessen Türen Axton ver­schweißt hatte, schlug das Seitenfenster ein und drückte einige Tasten. Sie startete und entfernte sich schnell. Doch schon nach et­wa zweihundert Metern schoß ein blauer Blitz seitlich aus dem Heck, das Taxi stürzte wie ein Stein ab und bohrte sich mit dem Bug in den Boden. Dabei wurde es vollkom­men zertrümmert. Jeder Insasse wäre auf der Stelle getötet worden.

Der Krach hallte bis zum Restaurant. Lebo Axton hörte, daß die Gespräche ver­

stummten und zahlreiche Männer an den Rand der Terrasse liefen, von wo aus sie ei­ne gute Sicht auf die Absturzstelle hatten.

Der Kurier stieg nun in den Gleiter Kel­lys. Der Roboter startete und jagte mit der Maschine davon. Er flog in südlicher Rich­

tung. Dort befand sich der Trichterbau, in dem der Militärbeobachter von Akkerek sei­ne Wohnung hatte.

Die Offiziere diskutierten erregt miteinan­der. Daß ein Gleiter abstürzte, war eine Sen­sation. Normalerweise waren diese Maschi­nen mit soviel Sicherheitseinrichtungen ver­sehen, daß selbst bei einem Totalausfall des Antigravs keine Katastrophe eintreten konn­te.

Axton verlor keine Zeit. Er ließ das Ge­wehr liegen, kroch eilig durch die Büsche und erreichte wiederum ungesehen den Ein­gang. Als er sich davon überzeugt hatte, daß dieser von niemandem beobachtet wurde, schlüpfte er hinaus und sprang in den ab­wärts gepolten Liftschacht. Voller Ungeduld schwebte er nach unten. Er fand, daß er viel zu langsam transportiert wurde. Jeden Mo­ment konnten über ihm Offiziere oder Be­dienungspersonal erscheinen und ihn ent­decken. Auch aus den tiefer gelegenen Räu­men konnte jemand in den Schacht kom­men.

Er hatte Glück. Auch in der Garage hielt ihn niemand auf. Er stieg in den Gleiter, den er dort zurückgelassen hatte, und startete. Er flog zunächst nach Norden, schlug dann je­doch einen weiten Bogen ein und richtete den Bug der Maschine ebenfalls nach Sü­den. Er fragte sich, was Aprit Dirgok jetzt tat. Längst mußte der Offizier wissen, daß der von ihm geplante Anschlag gescheitert war. Natürlich konnte er den Kurier nun nicht unbeachtet lassen. Er mußte mehr noch als vorher versuchen, ihn aufzuhalten, bevor er seine Informationen abgeben konnte.

*

Lebo Axton landete in der Garage eines Hauses, das nur knapp zweihundert Meter von dem Trichterbau entfernt war, in dem der akkerekische Militärbeobachter sein Bü­ro hatte. Im Antigravschacht schwebte er nach oben. Dabei konnte er absolut sicher sein, daß ihn niemand beobachtete, denn dieses Gebäude war ein Jugendgarten und

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wurde nur am Tage benutzt. Für einen Spe­zialisten wie Kennon, war es eine Kleinig­keit gewesen, die robotischen Sicherungen zu überwinden, ohne einen Alarm auszulö­sen.

Er betrat einen Konstruktionsraum, in dem die Schüler eigene Experimente durch­führen und technische Ideen realisieren konnten. Von dem großen Seitenfenster aus konnte er zum Nachbarhaus hinübersehen.

Irgend etwas war nicht in Ordnung. Das war ihm bereits klargeworden, als er

den Gleiter Kellys nicht in der Garage vor­gefunden hatte. Es gab nur eine Möglichkeit. Der Kurier von Akkerek hatte darauf bestan­den, zum Büro geflogen zu werden. Der Ro­boter hatte sich seinem Befeni nicht ver­schließen können. Nur vier Fenster waren drüben erleuchtet. Axton bedauerte, daß er das Spezialgerät liegengelassen hatte. Jetzt hätte er das Zielfernrohr gut gebrauchen können, um damit die Vorgänge drüben zu beobachten. Aus dieser Entfernung konnte er mit bloßem Auge kaum etwas erkennen.

Er verließ den Konstruktionsraum wieder und schwebte im Schacht nach unten. Dann verließ er den Trichter wieder durch die Ga­rage, ließ seinen Gleiter jedoch dort stehen.

Das Licht der zahllosen Sterne erhellte die Nacht etwa so stark, wie es der Mond auf der Erde tat. Büsche und verkrüppelte Bäu­me boten ihm ausreichend Deckung, als er zum anderen Gebäude hinübereilte. Er er­wartete, daß Dirgok angreifen würde. Irgend etwas mußte geschehen.

Er atmete mühsam, als er sein Ziel er­reicht hatte, und mußte sich auf einen umge­stürzten Baum setzen, um sich wieder zu er­holen. Seine Lungen schmerzten, und die Muskeln seiner Beine zuckten vor Schwä­che. Derartigen Anstrengungen war er kaum gewachsen. Jeder Verfolger hätte ihn nun mühelos überwinden können. Aber Axton hatte Glück. Niemand näherte sich ihm.

Als er wieder ruhiger atmen konnte, betrat er das Haus, fuhr jedoch sofort zurück und versteckte sich draußen, als ein Arkonide im Antigravschacht nach unten kam. Er glaub-

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te, daß der andere ihn entdeckt hatte, aber al­les blieb ruhig. So konnte er wenig später wiederum eintreten. Dieses Mal war der Liftschacht frei. Er schwebte darin nach oben und betätigte den Melder an der Tür des akkerekischen Büros.

Der militärische Beobachter blickte ihn stirnrunzelnd an, als er die Tür öffnete.

»Wollen Sie mich nicht eintreten lassen?« »Sie sind …« »Ich bin der Mann, der Ihre Regierung ge­

warnt hat. Das sollte doch wohl genügen.« Der Beobachter trat zur Seite und ließ Ax­

ton ein. »Sie werden von der Polizei gesucht.« »Nicht von der Polizei. Von Dirgok. Und

warum wohl?« Axton ging in das Büro, in dem ein hage­

rer Arkonide in einem Sessel saß. Er erkann­te sofort den Kurier wieder, den er bisher nur durch das Zielfernrohr gesehen hatte. Der Akkereker trug das Haar kurz und hatte es über dem linken Ohr zu einem dünnen Zopf geflochten.

»Ich sehe, daß mein Roboter Sie unbe­schadet hierher gebracht hat«, sagte der Ver­wachsene und setzte sich unaufgefordert. »Sind Sie sich aber auch darüber klar, daß Sie hier keineswegs sicher sind.«

Der Beobachter nahm hinter seinem Ar­beitstisch Platz.

»Wollen Sie damit sagen, daß Dirgok es wagen wird, ein Attentat in diesem Gebäude auf uns zu verüben?«

»Ich halte das für möglich.« Der Kurier schüttelte den Kopf. »Mit meinem Tod hätte er doch nichts ge­

wonnen. Er hätte nur einen Aufschub er­reicht, aber nicht mehr.«

»Sie irren sich. Er hätte Zeit, mich zu ja­gen. Er ist mir dicht auf den Fersen. Ich weiß, daß ich mich nicht mehr lange halten kann. Einige Tage würden ihm genügen, Ge­genaktionen einzuleiten und dafür zu sorgen, daß Akkerek keinen zweiten Kurier senden kann. Deshalb kommt es entscheidend dar­auf an, daß Sie Ihr Ziel erreichen. Sie müs­sen Ihre Informationen an die Hauptkom­

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mandanten von Arkon III überbringen. Da­nach ist Dirgok erledigt, und Sie brauchen nichts mehr für Akkerek zu befürchten.«

»Was schlagen Sie also vor?« fragte der Beobachter.

»Sie müssen dieses Haus sofort verlas­sen«, erklärte Axton. »Je schneller Sie sich dazu entschließen, desto besser.«

Der Beobachter schüttelte den Kopf. »Hier sind wir sicher. Es kann einfach

nichts passieren.« »Seien Sie vernünftig. Sie gehen kein Ri­

siko ein, wenn Sie diese Nacht woanders verbringen, irgendwo an einem Ort, der Dir­gok unbekannt ist.«

»Kein Risiko?« fragte der Kurier. »Warum sollten wir Ihnen vertrauen?«

»Habe ich Ihnen nicht bereits bewiesen, daß ich auf Ihrer Seite bin? Mein Roboter hat Sie davor bewahrt, in einem präparierten Gleiter zu verunglücken.«

»Wer sagt mir, daß Sie es nicht waren, der den Gleiter …?«

Der Kurier stockte. Eine dumpfe Explosi­on erschütterte das Gebäude. Unmittelbar darauf heulte eine Alarmsirene auf.

»Feuer«, rief der Beobachter. »Jemand hat Feuer gelegt.«

Er rannte zur Tür, bevor Axton ihn auf­halten konnte. An ihm vorbei konnte der Verwachsene sehen, daß die Flammen aus dem Antigravschacht schlugen. Der Militär­beobachter ließ die Tür wieder zufallen. Verstort blickte er Axton an.

»Der Weg nach unten ist versperrt.« »Wir gehen nach oben auf die Dachterras­

se«, rief der Kurier. »Halt«, sagte Axton energisch. »Das wer­

den Sie nicht tun. Dort oben werden mit Si­cherheit in wenigen Minuten Gleiter von Dirgoks Leuten erscheinen. Wenn Sie in ei­ne dieser Maschinen einsteigen, sind Sie so gut wie tot.«

»Was können wir tun?« fragte der Beob­achter. »Irgend etwas müssen wir doch un­ternehmen.«

»Achtung!« brüllte der Verwachsene. Er ließ sich zu Boden fallen. Im nächsten Mo­

ment klirrten die Scheiben. Der Bug eines Gleiters bohrte sich durch das Fenster.

»Wenn die Herrschaften einsteigen wol­len …?« sagte Gentleman Kelly höflich. Er öffnete die Seitentüren der Maschine.

»Schnell«, rief Axton. Er sprang auf und nahm die Kuriertasche an sich. Kelly zog ihn in den Gleiter. Die beiden Arkoniden vom Planeten Akkerek folgten Augenblick­lich. Sie krochen auf die hintere Sitzbank.

Axton arbeitete blitzschnell. Er öffnete die Tasche, nahm die Dokumente heraus, die darin lagen, schob sie sich unter sein Hemd und wechselte sie gegen unbeschriftete Blät­ter aus. Dann schloß er die Tasche wieder und reichte sie nach hinten. Dieser Aus­tausch erfolgte so schnell, daß weder der Be­obachter, noch der Kurier etwas davon be­merkten. Als Lebo Axton wieder nach vorn blickte, löste sich der Gleiter aus dem Fen­ster und schwebte nach draußen.

»Steil nach unten«, befahl der Verwachse­ne. Kelly gehorchte. Der Gleiter schien ab­zustürzen. Unmittelbar über dem Boden fing der Roboter ihn jedoch wieder ab. »Wir stei­gen aus. Die Maschine kann allein weiter­fliegen.«

Er wartete die Zustimmung der anderen gar nicht erst ab, sondern ließ sich aus der offenen Tür fallen. Kelly tippte ein neues Ziel in die Tastatur, und die Akkereker be­griffen, daß man ihnen keine Wahl ließ. Die Maschine stieg bis in eine Höhe von etwa zehn Metern auf und raste in nördlicher Richtung davon.

Kelly bückte sich. Axton kletterte auf sei­nen Rücken, wandte sich zu dem Kurier und dem Beobachter um und schrie: »Zu dem Gebäude dort drüben. Dort vermutet uns niemand. Aber schnell, verdammt noch mal.«

Er hieb Kelly die flache Hand auf den Schädel. Der Roboter rannte los. die beiden Akkereker eilten hinterher.

An diesen Sekunden näherten sich von al­len Seiten automatische Löschgleiter und zahlreiche Flugmaschinen, die mit Neugieri­gen besetzt waren. Die Flammen schlugen

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aus den Fenstern des Gebäudes. Offenbar kamen die automatischen Selbstschutzein­richtungen nicht mit, oder sie waren vor dem Brandanschlag von dem Attentäter so be­schädigt worden, daß sie sich nicht einschal­ten konnten.

Auf dem Roboter mit seiner Last und die beiden Akkereker achtete niemand. Unange­fochten erreichten sie den Jugendgarten.

Lebo Axton wachte auf, weil es so ruhig war.

Zunächst wußte er nicht, wo er war. Dann erkannte er die Laboreinrichtungen und be­griff.

»Kelly!« Die Tür öffnete sich. Der Roboter trat ein.

Axton atmete unwillkürlich auf. Er blickte durch das Fenster hinaus. Das Gebäude ne­benan war vollkommen ausgebrannt. Im hel­len Tageslicht waren die Zerstörungen deut­lich zu erkennen.

»Wo sind sie?« »Sie sind bereits aufgebrochen.« Axton war hellwach. »Sie sind weg?« schrie er und sprang von

dem Tisch, auf dem er geschlafen hatte. »Du hast es zugelassen, daß sie ohne mich star­ten?«

Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Er griff nach einigen Laborgläsern und schleuderte sie nach dem Roboter, der ihnen jedoch spielerisch leicht auswich.

»Wie konntest du das zulassen, du Mißge­burt?«

»Sie haben mir den Befehl erteilt, Sie schlafen zu lassen, Herr. Sie brauchten die Ruhe dringend, denn Sie hatten einen Grad der Erschöpfung erreicht, der …«

»Still, ich will nichts mehr hören.« Axton näherte sich dem Roboter keuchend. »Und bleib stehen!«

Er warf Kelly ein großes Prüfungsglas an den Kopf. Der Roboter bewegte sich nicht, so daß der Verwachsene sein Ziel dieses Mal nicht verfehlte. Axton atmete auf.

»Du bist der minderwertigste Roboter, der mir je begegnet ist«, sagte er. »Ich begreife nicht, daß ich auf dich hereinfallen konnte.

H. G. Francis

Schnell, wir müssen hinterher.«

*

Eine Gruppe hoher Offiziere verließ das Hauptgebäude des größten Raumhafens von Arkon III. Sie durchschritten eine Gasse, die zwischen zwei Hundertschaften angetretener Soldaten freigelassen worden war. Am Ende dieses Weges lag ein breiter, roter Teppich, über den hinweg die Offiziere in die Schleu­se eines Kugelraumschiffs kommen konn­ten. Eine Militärkapelle spielte ein Stück, in dem Orbanaschol III. verherrlicht wurde.

Die Offiziere kamen jedoch nicht bis zu dem roten Teppich, denn ein Gleiter senkte sich überraschend herab und landete auf dem Teppich. Die Maschine war von unge­lenker Hand mit den Symbolen der akkere­kischen Imperiumswelt versehen worden. Zwei Männer stiegen aus.

Die Gruppe der Offiziere war schockiert stehengeblieben. Eine derartige Verletzung militärischen Zeremoniells war bisher noch nicht vorgekommen.

Die beiden Akkereker näherten sich der Gruppe schnell. Zehn Meter vor ihr blieben sie jedoch stehen. Einer von ihnen trat noch einen weiteren Schritt vor. Er trug das Haar kurz und hatte es über einem Ohr zu einem kurzen Zopf geflochten.

»Ich habe wichtige Informationen meiner Regierung zu überbringen«, erklärte er mit lauter Stimme.

*

Lebo Axton fluchte ununterbrochen, als er zusammen mit Gentleman Kelly in einem Gleiter auf den größten Raumhafen Arkons zuflog.

»Wenn wir zu spät kommen, demontiere ich dich, Kelly«, sagte er mehrmals. »Das ist wahrhaftig keine leere Drohung.«

Der Roboter antwortete nicht. Er be­schleunigte die Maschine bis zu den Höchst­werten. Bald näherten sie sich dem Raumha­fen.

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Erst über dem Hauptgebäude verzögerte Kelly den Gleiter, wobei er ebenfalls bis an die Grenze der Belastbarkeit ging.

»Da unten ist er«, rief Axton. Er stieß die Tür auf und sprang auf das Dach des Kon­trollgebäudes hinaus, stürzte und rollte eini­ge Meter weiter. Er erhob sich wieder, als sei nichts geschehen. Deutlich konnte er Aprit Dirgok sehen. Der Offizier stützte sei­ne Hand auf den Kolben seines Energie­strahlers.

Axton hörte, daß der Kurier etwas sagte, verstand ihn jedoch nicht. In diesem Mo­ment hob Dirgok seine Waffe und schoß. Der Energiestrahl fuhr fauchend an dem Ku­rier vorbei und tötete den Militärbeobachter.

»Nein«, schrie Lebo Axton. Er spannte das Elastikband zwischen zwei

Fingern. Er zog mit ganzer Kraft. Ein Stahl­nagel wirbelte mit ungeheurer Wucht durch die Luft.

Der Kurier wandte sich zur Flucht. Er kam jedoch nur zwei Schritte weit, dann bohrte sich ein sonnenheller Energiestrahl durch seinen Körper. Seine Kleider und sei­ne Tasche gingen in Flammen auf. Er stürzte zu Boden.

Mehrere Offiziere warfen sich auf Dirgok, der seine Waffe fallen ließ und seine Hand schreiend gegen die Schulter preßte.

»Verdammt«, sagte Axton. »Es ist zu spät.«

Mehrere Offiziere blickten zu ihm hinauf. Er ließ seine primitive Waffe fallen und hob beide Hände.

»Tötet ihn!« schrie Dirgok. »So tötet ihn doch endlich.«

Doch niemand schoß. Lebo Axton blieb stehen, wo er war. Der

Gleiter mit Gentleman Kelly am Steuer schwebte in einigen Schritten Entfernung von ihm über dem Dach. Er hätte durch die offene Tür auf seinen Sitz springen können. Er tat es nicht.

Mehrere Raumfahrer kamen durch einen Aufgang aufs Dach hinauf. Sie richteten ihre Waffen auf den Verwachsenen, schossen je­doch nicht, da er deutlich zeigte, daß er sich

ergeben wollte. Sie führten ihn ab. Zwei Tage später öffnete sich die Tür zu

der Zelle zum erstenmal. »Herauskommen«, befahl ein bewaffneter

Arkonide. Lebo Axton glitt von der einfachen Liege

herunter, auf der er die beiden Tage ver­bracht hatte, und ging vor dem Mann her bis in einen großen Raum, in dem etwa zwanzig Offiziere versammelt waren. Unter ihnen be­fand sich auch Dirgok. Haßerfüllt blickte der Offizier ihn an. Lebo Axton stellte fest, daß er nicht bewaffnet war. Diese Tatsache nahm er als gutes Zeichen. Auf den Befehl eines der Offiziere setzte er sich auf einen Hocker, der an einer kahlen Wand stand.

Ein weißhaariger Mann mit auffallend breiten Schultern und dicken Tränensäcken saß hinter einem Tisch. Er stützte seine El­lenbogen auf die Tischplatte und blickte Ax­ton durchdringend an.

»Wir erwarten eine Erklärung«, sagte er. »Es ist eigentlich schon aller berichtet

worden«, entgegnete der Verwachsene ru­hig. »Sie müßten mittlerweile die Zusam­menhänge kennen. Aprit Dirgok ist ein Ver­räter, der den Auftrag hatte, Orbanaschol III. zu ermorden. Seine Befehle hat er von Ak­kerek bekommen. Doch dann hat er sich ge­gen seine Auftraggeber gewandt. Die politi­schen Verhältnisse haben sich geändert. Der Kurier von Akkerek kam in der Absicht, Dirgok zu entlarven. Das konnte dieser na­türlich nicht zulassen. Er verlor die Nerven, als er sich am Ende seiner Karriere sah. Was weiter geschah, wissen Sie.«

»Das ist eine ziemlich abenteuerliche Be­hauptung«, erwiderte der Offizier. »Wir ha­ben die Reste dessen untersucht, was in der Kuriertasche gewesen ist. Sie enthielt nichts als leere Blätter.«

»Ich weiß«, sagte Axton. »Was der Kurier überbringen wollte, befindet sich unter mei­ner Kleidung. Gestatten Sie mir, es heraus­zuholen, ohne daß ich befürchten muß, gleich über den Haufen geschossen zu wer­den?«

»Bitte.«

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Lebo Axton erhob sich, öffnete sein Hemd und nahm die Dokumente darunter hervor, die Aprit Dirgok eindeutig überführten. Er legte sie vor dem Offizier auf den Tisch.

»Wenn Sie das gelesen haben, dann wer­den Sie auch wissen, warum Mosselcrin von Dirgok ermordet wurde. Mosselcrin verfügte nämlich über eben diese Informationen.«

Der Vernehmungsoffizier las die Doku­mente durch. Lebo Axton beobachtete Dir­gok. Der Mann, der das große Spiel verloren hatte, blickte haßerfüllt auf ihn herab. Axton lächelte spöttisch. Dirgok hatte keine Chan­ce mehr. Er war verloren. Er mußte für die Morde bezahlen, die er begangen hatte.

Vielleicht war er mittlerweile wirklich ein absolut zuverlässiger Anhänger Orbana­schols III. geworden. Wenn es so war, dann war dieser Sieg um so wichtiger. Die ganze Intrige hatte im Grunde genommen mit Dir­gok gar nichts zu tun. Sie hatte nur den einen Zweck, den jungen Atlan zu unterstüt­zen, und ihm – Axton – zu Einfluß zu ver­helfen.

Der Vernehmungsoffizier hob den Kopf. Ohne sich umzudrehen, befahl er: »Führen Sie Dirgok ab.«

Er reichte die Dokumente einem anderen Offizier zur Einsicht. Dann wandte er sich Lebo Axton zu.

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»Und nun zu Ihnen. Sie sind frei. Wir danken Ihnen für die Dienste, die Sie uns er­wiesen haben.«

»Mir blieb nichts anderes übrig«, erwider­te Axton bescheiden. »Ich habe in Notwehr gehandelt, ohne viel zu leisten. Die Hauptar­beit hat der Militärbeobachter von Akkerek erledigt.«

Der Vernehmungsoffizier verzog keine Miene.

»Sie können in Ihr Hotel zurückkehren, Lebo Axton, aber halten Sie sich bereit. In einigen Tagen möchte ich mehr von Ihnen wissen. Sie werden mir sagen müssen, wer Sie wirklich sind und woher Sie kommen.« Axton-Kennon verneigte sich leicht.

»Es wird mir ein Vergnügen sein«, be­hauptete er, während sich ihm der Magen verkrampfte. Noch wußte er nicht, wie er die Fragen beantworten sollte.

Einer der Offiziere führte ihn hinaus. Er sagte etwas, aber Axton hörte nichts. Er war mit dem Problem beschäftigt, das auf ihn zu­kam und seine Existenz bedrohte.

ENDE

E N D E