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Vortrag von Tobias Kühne in der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. am 22. März 2011
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Der Kapp-Putsch 1920 in Schöneberg
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Der Kapp-Putsch 1920 in Schöneberg
Vortrag am 22. März 2011 in der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. von Tobias Kühne
1. Einleitung
Wer in Schöneberg einen Einkaufsbummel unternimmt, wird am Kaiser-Wilhelm-Platz
womöglich auf eine unauffällige Gedenktafel stoßen, auf der den Schöneberger Opfern des
sogenannten Kapp-Putsches gedacht wird, die im Jahr 1920 bei der Verteidigung der ersten
Demokratie auf deutschem Boden ums Leben kamen. Warum sollten wir uns fast genau
einundneunzig Jahre später mit diesem Ereignis beschäftigen?
Im historischen Gedächtnis Deutschlands und Berlins hat unser heutiges Thema kaum
Spuren hinterlassen. In den offiziösen dreibändigen „Deutschen Erinnerungsorten“ etwa
finden sich aus der Zeit der Weimarer Republik Artikel zur Dolchstoßlegende, Rosa
Luxemburg oder Walter Rathenau, nicht jedoch zum Kapp-Putsch. In einem neueren
Forschungsüberblick zur Weimarer Republik von Dieter Gessner taucht der
konterrevolutionäre Umsturzversuch als Problemkomplex nicht einmal auf. Wie kann dieser
Umstand erklärt werden?
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Geschichte der Weimarer Republik, sieht man
vielleicht von der Modernität in Kunst und Kultur der „Goldenen Zwanziger“ ab, mit dem
Stigma des „Scheiterns“ behaftet. Das demokratische Experiment dieser Zeit wird entweder
aus dem Blickwinkel einer halben und damit gescheiterten Revolution von 1918/19
betrachtet, die der Demokratie von vornherein eine institutionelle und mentale Basis
beraubt habe, oder auf den unaufhaltbar scheinenden Aufstieg der NSDAP und den
parallelen Niedergang der demokratischen Kultur und Institutionen seit 1930 reduziert, der
seinen nahezu zwangsläufigen Abschluss in der Machtübertragung an Hitler am 30. Januar
1933 fand.
Nun entspricht diese „Verfallsgeschichte“ durchaus den realhistorischen Gegebenheiten, die
der Historiker notwendigerweise in das deutsche „Zeitalter der Extreme“ einordnen muss.
Darüber hinaus aber war das Scheitern der Republik nicht unabwendbar, schon gar nicht für
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zeitgenössische Demokraten. „Die Nationalisten der einen Seite machen Dummheiten“,
schrieb etwa Julius Leber, im Oktober 1921, „und ihre Gesinnungsgenossen auf der anderen
Seite freuen sich darüber. Die Hoffnung auf den einstigen Sieg des Rechts ist unser einziger
Trost, die Klugheit aber, das wirkungsvolle Kampfmittel der Schwachen seit je, unsere einzige
Waffe.“ Besser könnte man heute die Ambivalenz jener Jahre kaum beschreiben.
Und Lebers Hoffnung auf den „Sieg des Rechts“ wird sich auch aus den Erfahrungen des
März 1920 gespeist haben, als der antidemokratische Kapp-Putsch durch eine politische
Massenbewegung zu Fall gebracht wurde. Wenn wir heute den Opfern des Kapp-Putsch in
Schöneberg gedenken, so rufen wir auch in Erinnerung, dass die Demokratie gestern wie
heute verteidigt werden kann und verteidigt werden muss.
2. Vorgeschichte
Die Umstände und Folgen der Revolution von 1918/19 werden von Historikern und
politischen Kommentatoren weiterhin kontrovers diskutiert. Gestatten Sie mir trotzdem
einige kurze Anmerkungen zur Vorgeschichte unseres Themas, die keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erheben und durchaus auf Widerspruch stoßen sollen.
Spätestens im August 1918 war die Niederlage des Deutschen Reiches im Weltkrieg
unabwendbar geworden. Eiligst entledigte sich die Oberste Heeresleitung um Hindenburg
und Ludendorff der politischen und militärischen Verantwortung für die Katastrophe, die
letztlich auf Wilhelm II. und noch mehr die aktuelle und zukünftige zivile Leitung abgewälzt
wurde. Die ebenso zählebige wie absurde „Dolchstoßlegende“ nahm hier ihren
verhängnisvollen Anfang. In den folgenden Wochen und Monaten überschlugen sich die
Ereignisse. Um nur die wichtigsten zu nennen: Matrosenaufstand und Abdankung des
Kaisers, Ausrufung der Republik, Niederschlagung des Januaraufstands und Ermordung Rosa
Luxemburgs und Karl Liebknechts, schließlich die Konsolidierung der Republik mit der Wahl
zur Nationalversammlung im Januar 1919 und der Verabschiedung der Weimarer Verfassung
im Sommer desselben Jahres.
Die Revolution von 1918/19 war gewiss eine halbe und steckengeblieben allemal. In
Verwaltung und Militär fand keine tiefgreifende Demokratisierung statt, es blieb eine innere
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Distanz, ja Feindschaft gegenüber der Republik in beiden so wichtigen Institutionen erhalten.
Die Weimarer Verfassung war mit Mängeln behaftet, von denen die Prärogative des
Reichspräsidenten und die prekäre Stellung der Parteien nur die offensichtlichsten waren. Im
Bereich der Wirtschaft gab es zwar schon im November 1918 einen Interessenausgleich
zwischen Arbeit und Kapital, dieser sollte sich jedoch als so provisorisch und labil erweisen,
dass die Machtverhältnisse unter anderen politischen Gegebenheiten wieder zuungunsten
der Gewerkschaften verschoben werden konnten. Trug also die halbierte Revolution, die ja
nicht zuletzt durch die Mehrheitssozialdemokratie abgebremst und eingehegt worden war,
schon den Keim des Scheiterns in die Republik hinein, wie nicht wenige progressive
Historiker, Publizisten und Politiker meinen? Gestatten Sie mir einige kritische Einwände:
Das Beispiel Preußen unter dem „roten Zar“ Otto Braun zeigt sehr deutlich, dass auch eine
zielstrebige und energische Demokratisierung der Bürokratie schnell auf parteipolitische und
verwaltungsinterne Widerstände stieß, dieser Prozess in einem hochkomplexen Staatswesen
tatsächlich einen langen Atem erforderte. Weit fahrlässiger war sicher die politische
Entscheidung, die Reichswehr weitgehend sich selbst bzw. der Führung reaktionärster
Offiziere zu überlassen und Freikorpsverbände zur Sicherung der Republik einzusetzen. Aber
hätte es in der innen- und außenpolitischen Konstellation 1918/19 andere, realistische
Alternativen gegeben, ein politisch zuverlässiges Volksheer oder Arbeitermilizen vielleicht?
Ich wage es zu bezweifeln. Hinsichtlich der Weimarer Verfassung dürfte es eher Konsens
geben: Sie war nicht perfekt aber vielleicht die modernste und demokratischste ihrer Zeit –
man denke nur an das Verhältnis- und Frauenwahlrecht. Eine Verfassung will auch mit Leben
gefüllt werden, hier lag wohl der Knackpunkt in späteren Zeiten. Hinsichtlich der
Wirtschaftsverfassung sei nur kurz gesagt, dass sie für die Arbeiterschaft doch substanzielle
Verbesserungen brachte und tiefgreifende Veränderungen die Versorgungs- und
Ernährungslage womöglich direkt in den Abgrund geführt hätte, ein linker Pragmatiker wie
Otto Braun jedenfalls befürchtete dies. Und bei alledem, die kurzzeitige politische Stärke der
Arbeiterbewegung während des politischen Transformationsprozesses war doch in vieler
Hinsicht eine Schimäre, dem allgemeinen Chaos geschuldet. Radikale Forderungen hätten
während der Revolution Bürgerkrieg bedeutet und taten dies auch. Dürfen
verantwortungsbewusste demokratische Politiker mit dieser Option Politik machen? Ich
denke nicht. Kurzum: Um die Jahreswende 1919/20 sehen wir eine auf lauter Kompromissen
gebaute Republik, die auf dem Minimalkonsens aller Demokraten ruhte und niemanden ganz
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zufriedenstellte. Aber dies ist vielleicht das Wesen der Demokratie. Jedenfalls, und dies ist
deutlich in Erinnerung zu rufen, der Kapp-Putsch richtete sich nicht gegen „rote Umstürzler“
oder eine krypto-kommunistische Regierung, sondern gegen die Demokratie an sich, was
auch immer man von ihrer konkreten Ausgestaltung halten mag.
3. Die Ereignisse im März
Da uns an dieser Stelle in erster Linie die Ereignisse in Schöneberg interessieren, möchte ich
den Kapp-Putsch als Gesamtkomplex hier nur holzschnittartig darstellen.
Der militärische und politische Zusammenbruch von 1918 hatte die sogenannten
„vaterländischen Kreise“, also jene Hypernationalisten und Gegner eines
Verständigungsfriedens, die nicht unwesentlich Verantwortung für die totale Niederlage
trugen, zunächst fast völlig paralysiert. Mit der innenpolitischen Beruhigung seit Sommer
1919, der Vertrag von Versailles war unterschrieben und die Weimarer Verfassung
verabschiedet, begann sich auch die äußerste Rechte zu konsolidieren. Das politische
Programm dieser vor allem in der von Ludendorff protegierten Nationalen Vereinigung
organisierten Antidemokraten lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Widerstand gegen
alle innen- wie außenpolitischen Kompromisse, die sich die unterschiedlichen
demokratischen oder auch nur verfassungskonformen Akteure untereinander abgerungen
hatten. Die Rufmordkampagne und der Mordanschlag auf Matthias Erzberger im Januar
1920 waren ein deutliches Zeichen, dass sich etwas zusammenbraute. Den Auslöser zum
Staatsstreich, der innerhalb der Deutschen Vaterlandspartei im Übrigen auch schon während
des Weltkriegs erörtert worden war, bildete schließlich die Reduzierung der militärischen
Verbände im Zuge des Versailler Vertrags. Über dieser Frage schließlich eskalierte der
Konflikt zwischen der Regierung auf der einen, führenden Militärs und rechten
Verschwörern auf der anderen Seite. Nach der Auflösung einiger bewaffneter Einheiten,
unter anderem der berüchtigten Marinebrigade Erhardt, forderte Reichswehrgeneral von
Lüttwitz die Rücknahme der Truppenauflösungen, Neuwahlen und den Rücktritt der
Regierung. Reichspräsident Ebert (SPD) lehnte entschieden ab. Am Morgen des 13. März
schließlich rückten die Marinebrigade Erhardt und weitere Verbände unter dem Kommando
Lüttwitz‘ in Berlin ein. Über die Gesinnung der Beteiligten wurde niemand im Unklaren
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gelassen: Helme und Fahrzeuge waren mit Hakenkreuzen verziert, im Kampflied der Brigade
hieß es „Die Brigade Erhardt/Schlägt alles kurz und klein/Wehe Dir, wehe Dir/Du
Arbeiterschwein.“
Da die Mehrheit der Reichswehrgeneralität, vor allem der Chef des Truppenamtes General
Hans von Seeck, den Einsatz von Soldaten gegen die Putschisten ablehnte, wichen
Reichspräsident, Reichskanzler Gustav Bauer von der SPD und die meisten Minister zunächst
nach Dresden, später nach Stuttgart aus. Kurz darauf wurde der recht unbedeutende
ostpreußische Generallandschaftsdirektor und DNVP’ler Wolfgang Kapp als Reichskanzler
proklamiert, Lüttwitz als Oberbefehlshaber der Reichswehr. Obwohl Kapp und Lüttwitz in
erheblichen Teilen der Reichswehr, des konservativen Ostelbien und den rechten Parteien
teils Rückhalt, teils abwartende Sympathie besaßen, war der Zusammenbruch des
Staatsstreichs doch schon am 14. März absehbar.
Schon am Vormittag des 13. März hatte die Führung der SPD zum Generalstreik aufgerufen,
die Freien Gewerkschaften schlossen sich am Nachmittag an. Die KPD, welche zunächst
keinen Finger für die „Regierung der Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs“ rühren
wollte, schloss sich unter dem Druck der Basis am Tag darauf an. Aufgrund des durch den
Generalstreik hervorgerufenen Stillstand des Wirtschaftslebens und der Transportlogistik
sowie einer Verweigerungshaltung weiter Teile der Beamtenschaft, die in Folge der
Revolution übrigens noch das Streikrecht besaßen, fiel der schlecht organisierte Coup
regelrecht in sich zusammen. Vermittlungsversuche einiger bürgerlicher Politiker – worüber
sollte und konnte zwischen der legitimen und einer illegitimen Regierung eigentlich
verhandelt werden? – scheiterten an der Standhaftigkeit der Regierung Bauer. Auf Druck
der militärischen Führung, die in diesen Tagen ein erstaunliches Maß an Wendigkeit an den
Tag legte, wurden am 17. März zunächst Kapp und kurz darauf Lüttwitz zum Rücktritt
genötigt, beide gingen ins bequeme Exil. Die meuternden Truppen zogen sich schließlich
zurück, richteten aber wie die Marinebrigade Erhardt noch einige Blutbäder an. Insgesamt
kostete der Putsch gegen die Republik wohl einigen hundert Menschen das Leben, vielleicht
auch zweitausend oder mehr.
An dieser Stelle ein kurzer Einschub: Nicht selten wird der ebenso erfolgreiche wie
notwendige Generalstreik von 1920 als Argument für die Legalisierung des politischen
Streiks in der Bundesrepublik angeführt, jüngst etwa von Frank Bsirske. Diese historische
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Argumentation erscheint mir äußerst fragwürdig: 1920 wurden durch den Arbeitsausstand
keine politischen Ziele innerhalb des Rahmens der Verfassung durchgesetzt, sondern
vielmehr die legitime Verfassungsordnung und ihre Wertprinzipien an sich verteidigt. Diesen
Unterschied gilt es herauszustellen, wie auch immer man das Instrument des politischen
Streiks beurteilt.
4. Die Unruhen in Schöneberg
Eine derart geraffte Darstellung der Ereignisse kann die ebenso dramatischen wie
menschlich tragischen Märztage nur oberflächlich erfassen. Blicken wir also darauf, was sich
in Schöneberg abspielte.
Schöneberg, damals noch eine selbstständige Stadt vor den Toren Berlins mit rund 175.000
Einwohnern, war abgesehen von der „Roten Insel“ eine eher bürgerlich geprägte Kommune.
Bei der Kommunalwahl vom Februar 1919 wurde die SPD zwar stärkste Partei, in der
Stadtverordnetenversammlung saß aber trotz dessen eine klare bürgerliche liberal-
konservative Mehrheit. Dieses Milieu zeigte sich auch wenig irritiert, als am 13. März
bewaffnete Offiziersverbände, Sicherheitspolizei und rechtsgerichtete Einwohnerwehren die
Rathäuser in Schöneberg sowie Friedenau besetzten, unterstütze diese sogar. Doch wie in
Berlin wurde auch in Schöneberg der Aufruf zum Generalstreik weitgehend befolgt,
allerdings nur sehr eingeschränkt durch die städtischen Beamten. Es bildeten sich
Menschenansammlungen, Gerüchte machten die Runde, die Nervosität auf beiden Seiten
stieg. Am 15. März schließlich eskalierte die Situation. In Friedenau wurde eine
Menschenmenge vom Militär auseinandergetrieben, acht Menschen starben. Auch vor dem
Kaiser-Wilhelm-Platz kam es zu Zusammenstößen mit Toten und Verletzten, eine Beruhigung
der Lage gelang auch dem linksliberalen Bürgermeister Dominicus nicht mehr.
Einen Tag nachdem der Putsch in sich zusammengebrochen war zog sich das Militär
schließlich auch aus Schöneberg zurück, fast so, als ob nichts geschehen wäre. Am Kaiser-
Wilhelm-Platz aber kam es beim Abzug erneut zu Tumulten, mindestens sieben Menschen,
darunter sechs Zivilisten, starben. Diese Opferbilanz hielt bürgerliche Repräsentanten und
Medien jedoch nicht davon ab, Falschmeldungen über Misshandlungen an Soldaten in die
Welt zu setzten und das Massaker als Reaktion auf spartakistischen Aufruhr darzustellen.
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Einem der Hauptverantwortlichen aus der Brigade Erhardt kamen die Schüsse auf Zivilisten
später vor wie ein „Gottesgericht“. Bürgermeister Dominicus, dem in Schöneberg ja mit
einer Straßenbenennung gedacht wird, zeigte sich später von der „vorbildlichen Moral der
Truppe“ einer in Schöneberg verbliebenen Abteilung der Brigade Erhardt begeistert, brauche
doch „die Bürgerschaft bei […] dem Kampf gegen das Eigentum den Schutz durch eine
bewaffnete Organisation“. Fast möchte man meinen, dass im März 1920 ein
kommunistischer Aufstand stattgefunden habe.
5. Die Folgen
Wenige Tage nach dem Scheitern des Putsches waren für Kurt Tucholsky die notwendigen
Konsequenzen klar: „wenn einer heute noch meint, eine Kaste – die Militärs – dürfe […] als
Staat im Staate das eigne Volk schädigen, so soll ihm diese Meinung unbenommen sein. Aber
die Republik hat die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, diese Männer aus ihren Ämtern und
Betrieben herauszusetzen“. Der hellsichtige Publizist sollte enttäuscht werden. Die Folgen
des Kapp-Putsch werfen ein Schlaglicht auf die politische Kultur in der Weimarer Republik.
Die Verantwortlichen für den Staatsstreich und die Toten wurden kaum zur Verantwortung
gezogen, eine Säuberung des Militärs und des Beamtenapparats unterblieb fast vollständig.
Der zurückgetretene republiktreue General Reinhardt wurde als Chef der Heeresleitung
sogar durch Hans von Seeckt ersetzt, jenen General, der sich am vehementesten gegen den
militärischen Schutz der Republik ausgesprochen hatte. Die am Putsch beteiligten
Reichswehr- und Freikorpsverbände hingegen setzten ihr mörderisches Treiben schon im
April desselben Jahres im Ruhrgebiet und in Sachsen fort – dieses Mal „für“ die Republik und
gegen Aufruhr von links, den sie mit ihrem Wüten selbst hervorgebracht hatten. Aus der
„vorbildlichen“ Marinebrigade Erhardt gingen übrigens so illustre Gestalten hervor wie der
Erzberger-Mörder Heinrich Schulz und der „Vater der SS“, Julius Schreck. Schon im Mai 1920
schrieb Tucholsky resigniert unter dem Titel Zum nächsten Putsch!: „Da knattert dein Wagen
und stöhnt und biegt/in die letzte Kurve hinein/Und wenn die Karre dann unten liegt/wills
keiner gewesen sein.“
Während das politische und gesellschaftliche Leben auch in Schöneberg scheinbar wieder
seinen normalen Lauf nahm – wie sich zeigen sollte in den Abgrund –, organisierte die lokale
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Sozialdemokratie eine öffentliche Trauerfeier für jene drei Opfer, die keine Angehörigen
hatten und später auf dem Friedhof in Eythstrasse bestattet wurden. Heute hingegen sind
die Schöneberger Kapp-Putsch-Opfer weitgehend vergessen. Ein Antrag auf die
Anerkennung der Grabstätte als Ehrengrabstätte wurde 1984 vom zuständigen Senator
Horst Vetter (FDP) mit der folgenden Begründung abgelehnt: „Im Falle der genannten
Gräber kann man nicht feststellen, daß das Andenken der Betroffenen in der Öffentlichkeit
fortlebt. […] Die bloße Tatsache, daß ein Verstorbener im Zusammenhang mit einem
historischen Ereignis umgekommen ist, reicht allein für die Anerkennung einer
Ehrengrabstätte nicht aus.“
Frau Gisela Wenzel und der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. gebührt der Verdienst, die
Ereignisse von 1920 in den achtziger Jahren in einem jüngst wieder aufgelegten Buch zur
„Roten Insel“ für die Nachwelt festgehalten zu haben, aus dessen Fundus ich mich reichlich
und gerne bedient habe. Um die Grabstätten in der Eythstraße als Gedenkort in würdiger
Weise zu erhalten und zu pflegen, gründete sich im Jahr 2010 der „Verein zur Pflege der
Grabstätte der Schöneberger Kapp-Putsch-Opfer e.V.“, für dessen Unterstützung ich an
dieser Stelle werben möchte.
Zum Schluss: Können wir aus den hier geschilderten Ereignissen etwas lernen? Wie jedem
Geschichtsstudenten frühzeitig vermittelt wird, hält uns die Vergangenheit natürlich keine
Handlungsanweisung für die Gegenwart bereit. Was wir uns jedoch vergegenwärtigen
können ist, dass sich die Demokratie nicht von selbst verteidigt, und dass demokratisches
Engagement eines jeden Einzelnen nicht auf Institutionen oder „die da oben“ abgewälzt
werden kann. Auch heute scheint es eine Renaissance antidemokratischen Denkens oder
doch zumindest einen weit verbreiteten Demokratieverdruss zu geben. Das Gedenken an
Menschen, die vor einundneunzig Jahren ihren Einsatz für die Republik mit ihrem Leben
bezahlten, mag uns auch an unsere eigene Verantwortung erinnern.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.