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DER MALMEDY-PROZESS Ein Bericht auf Grund dokumentarischer Unterlagen und eigenen Erlebens von DIETRICH ZIEMSSEN Vorwort Daten zur Prozeßgeschichte Liste der Verurteilten MALMEDY / SCHWÄBISCH HALL / DACHAU / LANDSBERG

Der Malmedy-Prozess · Pz.-Gruppe Peiper von der 1. SS-Pz.-Div. „LAH“ als vorder- ster Kampfgruppe. 17. 12. 44 „Crossroads incident“ — Zwischenfall an einer Straßenkreu-

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DER MALMEDY-PROZESS

Ein Bericht auf Grund dokumentarischer Unterlagen

und eigenen Erlebens

von

DIETRICH ZIEMSSEN

Vorwort

Daten zur Prozeßgeschichte

Liste der Verurteilten

MALMEDY / SCHWÄBISCH HALL / DACHAU / LANDSBERG

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Auch aus- zugsweise Verwendung in Presse und Rundfunk nur nach Vereinbarung mit dem Autor.

Druck : Josef Deschler, München. Printed in Germany.

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V O R W O R T

Auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland werden gleichzeitig mit

mehreren Hundert Verurteilten aus anderen umstrittenen Prozessen

alliierter Gerichte die im Malmedy-Prozeß im Juli 1946 verurteilten Sol-

daten der 6. Panzer-Armee wegen angeblicher Erschießung kriegsgefange-

ner amerikanischer Soldaten und belgischer Zivilpersonen in Landsberg in

Strafhaft gehalten.

Dies geschieht zu Unrecht, denn es ist in keinem einzigen Punkte die

Schuld eines Angeklagten zweifelsfrei erwiesen.

Jeder Schuldspruch und jedes Einzelurteil im Malmedy-Prozeß ist ein

Fehlurteil, weil es kein Beweismittel der Anklage gibt, das nicht abge-

wiesen oder angezweifelt werden muß.

Die Verfahrensfehler sind so schwerwiegend, daß das gesamte Verfahren

nichtig ist.

Diese Feststellungen werden hier vorangestellt, um zu zeigen, daß ein

Tatbestand vorliegt, zu dem jeder Deutsche und auch jeder Amerikaner,

jeder Jurist, jeder Soldat und jeder Politiker für sich selbst und vor

andern Stellung zu nehmen hat, sofern er nicht mitschuldig sein will an

der Fortdauer vielfacher Ungerechtigkeit und Rechtswidrigkeit.

Deutsche und Amerikaner haben seit der Stunde des Urteils die Auf-

hebung des noch immer fortbestehenden Unrechts gefordert. W. M. Eve-

rett, Rechtsanwalt in Atlanta, USA, war der Erste; mit ihm und nach

ihm taten es viele andere.

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Aber die grundlegenden Bestimmungen für die sog. Kriegsverbrecher-

prozesse schließen ausdrücklich jede Möglichkeit aus, die einmal gefällten

Urteile anfechten zu können oder sie wegen stichhaltiger neuer Beweise

im Wiederaufnahmeverfahren umstoßen zu können. Der noch immer le-

bendige Haß aus der Atmosphäre von 1945/46, eine nachhaltig wirkende,

mehrfach wiederholte Pressekampagne in den USA gegen die Angeklagten,

Prestigegründe und nicht zuletzt Mangel an Mut zur Wahrheit haben

außerdem eine rechtmäßige Entscheidung in diesem Prozeß bis heute ver-

hindert.

Die bisherigen Strafherabsetzungen sind keine Lösung, weil sie das Un-

recht nicht beseitigen. Dieses Unrecht steht vor uns, wir kommen nicht

daran vorbei, wenn wir eine echte und dauerhafte Verständigung der

Völker anstreben.

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Herbst 1946 :

„Nicht nur aus dem Schicksal der 74 Angeklagten rechtfertigt sich dieses Revisionsgesuch, sondern in erster Linie aus der historischen Bedeutung des Malmedy-Prozesses und seiner Wichtigkeit in grundsätzlichen Rechtsfragen. Die Geschichte des Völkerrechts läßt leider erkennen, daß viele Ungerechtigkeiten begangen und viele untaugliche Prä- zedenzfälle geschaffen worden sind. Dieses Gerichtsverfahren hier wird in Zukunft teilweise der Kritik ausgesetzt sein, weil seine Entscheidung zwangsläufig als Präzedenzfall für den Soldatenberuf aller Länder der Welt dienen wird.“

Colonel W. M. Everett, Chefverteidiger im Malmedy-Prozeß in seinem Revisionsantrag.

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D A T E N Z U R P R O Z E S S G E S C H I C H T E :

16. 12. 44 Antreten der 6. Pz.-Armee zur Ardennen-Offensive mit der Pz.-Gruppe Peiper von der 1. SS-Pz.-Div. „LAH“ als vorder- ster Kampfgruppe.

17. 12. 44 „Crossroads incident“ — Zwischenfall an einer Straßenkreu-

zung südlich Malmedy, später als „Malmedy-Massacre“ be- zeichnet.

Sommer 45 bis April 46

Voruntersuchung gegen insgesamt ca. 1100 Angehörige der 1. SS-Pz.-Div.

11. 4. 46 Aushändigung der für Alle gleichlautenden Anklageschrift an

74 Untersuchungsgefangene. 9. 5. 46 Aufhebung des Kriegsgefangenen-Status für 74 Angeklagte

und Überführung in den Status von Zivil-Internierten. 16. 5. 46 bis 16. 7. 46

Hauptverhandlung vor dem General Military Government Court im Konzentrationslager Dachau.

15. 7. 46 1 Angeklagter als französischer Staatsangehöriger herausge-

nommen, Verfahren von französischer Justiz später einge- stellt, da Anklage-Beweise nicht anerkannt.

16. 7. 46 Urteilsverkündung gegen 73 Angeklagte :

43 Todesurteile 22 Urteile auf lebenslängliche Haft 8 Urteile auf 10, 15 und 20 jährige Haft.

20. 3. 48 General Clay als Gerichtsherr bestätigt : setzt herab : hebt auf :

Todesurteile 12 27 4 lebenslängliche Haft 2 12 8 10—20 jährige Haft 5 2 1

10. 4. 48 Freilassung der 13 Verurteilten, deren Urteile aufgehoben

sind. 18. 5. 48 General Clay befiehlt die Vollstreckung der 12 bestätigten

Todesurteile für den 20. 5. 19. 5. 48 Staatssekretär für die Armee Royall befiehlt Exekutions-Stop.

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Sept. 48 Richter Simpson empfiehlt die Abänderung der 12 Todes-

urteile. April 49 General Clay bestätigt erneut 6 Todesurteile und ändert 6 ab

in lebenslängliche Haft. 31. 1. 51 General Handy ändert die letzten 6 Todesurteile ab. August 51 Der Modification Board veranlaßt 31 Strafherabsetzungen. Darnach bestehen am 1. 4. 52 13 Urteile auf lebenslängliche Haft

6 Urteile auf 25 Jahre 12 Urteile auf 20 Jahre 1 Urteil auf 18 Jahre 7 Urteile auf 15 Jahre 2 Urteile auf 12 Jahre 1 Urteil auf 10 Jahre Haft. 17 Verurteilte sind nach Verbüßung der Haftstrafe unter Ab-

zug von „good time“ (½ Strafzeit) entlassen. 13 Verurteilte, darunter 4 zum Tode Verurteilte, sind im

April 1948 freigelassen worden. 1 Verurteilter ist im August 1948 im Alter von 22 Jahren

in Landsberg gestorben.

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D I E V E R U R T E I L T E N :

(aufgeführt nach Strafmaß)

Lfd. Nr.

Name Dienstgrad Alter im Dez. 44

Urteile s. Anm. S. 12

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.

Bersin Valentin Bode Friedel Diefenthal Josef Huber Hubert Peiper Joachim Zwigart Paul Briesemeister Kurt Christ Friedrich Kühn Werner Ochmann Paul Preuß Georg Rumpf Erich Sievers Franz Dietrich Sepp Goldschmidt Ernst Hammerer Max Schäfer Willy Siegmund Oswald Sickel Kurt (Dr.) von Chamier Willy Flebs Georg Hennecke Hans Rau Theodor Rehagel Heinz Schwambach Rudolf Sprenger Gustav Hofmann Joachim Jäckel Siegfried Kies Friedel Siptrott Hans Tonk August Prieß Hermann Klingelhöfer Oskar

Feldw. Uffz. Major Feldw. Oberst Uffz. Uffz. Oblt. Lt. Feldw. Hptm. Oblt. Oblt. General-Oberst Uffz. Obgefr. Feldw. Uffz. Oberstabsarzt Uffz. Gefr. Lt. Obgefr. Lt. Uffz.Gefr. Gefr. Gefr. Gefr. Obfeldw. Obfeldw. Generallt. Hptm.

23 22 29 26 29 22 22 24 24 30 24 23 29 52 24 19 23 22 37 29 22 22 26 23 24 18 18 18 18 25 33 44 27

L (Tod) L (Tod) L (Tod) L (Tod) L (Tod) L (Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) L (L — Tod) 25 (L — L) 25 (L — Tod) 25 (L — Tod) 25 (L — Tod) 25 (L — Tod) 25 (L — Tod) 20 (L — L) 20 (L — Tod) 20 (L — Tod) 20 (L — Tod) 20 (25 — Tod) 20 (L — Tod) 20 (L — Tod) 20 (20 — Tod) 20 (20 — Tod) 20 (20 — Tod) 20 (20 — Tod) 20 (20 — Tod) 18 (20 — 20) 15 (20 — Tod)

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Lfd. Nr.

Name Dienstgrad Alter im Dez. 44

Urteile s. Anm. S. 12

34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.

Neve Gustav Rodenburg Axel Weiß Günther Rieder Max Stickel Heinz Wasenberger Johann Knittel Gustav Münkemer Erich Braun Willy Coblenz Manfred Hendel Heinz Hofmann Heinz Junker Benoni Mikolaschek Arnold Pletz Hans Tomczak Edmund Tomhardt Heinz Trettin Hans Werner Erich Clotten Roman Friedrichs Heinz Gruhle Hans Hillig Hans Krämer Fritz Wichmann Otto Fischer Arndt Eckmann Fritz Maute Erich Motzheim Anton Sternebeck Werner Gebauer Fritz Goedicke Heinz Hecht Arnim Rau Fritz Ritzer Rolf Richter Wolfgang Stock Herbert

Gefr. Obgefr. Gefr. Gefr. Gefr. Gefr. Major Lt. Gefr. Oblt. Obfeldw. Obgefr. Oblt. Gefr. Uffz. Obgefr. Oblt. Gefr. Obgefr. Feldw. Gefr. Hptm. Uffz. Generalmjr. Uffz. Lt. Gefr. Uffz. Uffz. Oblt. Schütze Gefr. Obgefr. Gefr. Gefr. Schütze Gefr.

19 19 19 20 19 18 30 24 18 24 30 20 24 19 19 22 22 18 19 24 18 25 23 44 23 21 19 22 21 24 16 17 20 17 20 18 18

15 (20 — Tod) 15 (25 — Tod) 15 (25 — Tod) 15 (15 — Tod) 15 (15 — Tod) 15 (15 — L) 12 (15 — L) 12 (20 — Tod) 10 (15 — L) 10 (15 — L) 10 (15 — Tod) 10 (15 — L) 10 (15 — Tod) 10 (15 — L) 10 (15 — L) 10 (20 — L) 10 (15 — Tod) 10 (15 — L) 10 (15 — L) 10 (10 — 10) 10 (10 — L) 10 (10 — 20) 10 (10 — 10) 10 (10 — 10) 10 (10 — 10) — (7 — 15)

(frei — Tod) (frei — Tod) (frei — Tod) (frei — Tod) (frei — L) (frei — L) (frei — L) (frei — L) (frei — L) (frei — L) (frei — L)

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Lfd. Nr.

Name Dienstgrad Alter im Dez. 44

Urteile s. Anmerk.

71. 72.

Szyperski Erwin Reiser Rolf

Gefr. Lt.

19 24

(frei — L) (frei — 10)

Während der Hauptverhandlung 1946 herausgenommen, da französischer Staatsangehöriger; Verfahren vor französischem Militärgericht eingestellt : 73. Boltz Marcel Im August 1948 im Alter von 22 Jahren in Landsberg gestorben : 74. Kotzur Georg (15 — L)

Anmerkung :

Die Urteile sind aufgeführt nach dem ab 1. 9. 1951 gültigen Strafmaß. In Klammern das zuvor gültige und das ursprüngliche Urteil von 1946. (L = lebenslänglich; 20 = 20 Jahre Haftstrafe).

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M A L M E D Y

Im Oktober und November 1944 wurden aufgefrischte Divisionen der Waffen-SS unter dem Kommando des Generaloberst der Waffen-SS Sepp Dietrich im Rahmen der 6. Panzer-Armee westlich Köln-Bonn versam- melt, um am 16. Dezember zusammen mit Truppen des Heeres und der Luftwaffe zur Ardennen-Offensive anzutreten. Anfang Dezember 1944 erfolgte die mündliche Einweisung der Ober- befehlshaber (von Rundstedt, Model, Sepp Dietrich, von Manteuffel), der Kommandierenden Generäle und der Divisionskommandeure für die ge- plante Offensive durch den Obersten Befehlshaber Adolf Hitler. Hierbei wurde die kriegsentscheidende Bedeutung der Offensive hervorgehoben und betont, daß ihr Erfolg von der Schnelligkeit der Durchführung ab- hinge. Der 6. Panzer-Armee wurden in diesen Tagen Divisionen des Heeres und der Luftwaffe unterstellt. Der am 11. Dezember 1944 ergangene Operationsbefehl des I. SS-Panzer- korps verlangt von den unterstellten Heeres-Divisionen den Durchbruch durch die amerikanischen Stellungen und von der 1. SS-Panzer-Division LAH und der 12. SS-Panzer-Division „HJ“ den unmittelbar anschließen- den raschen Durchstoß zur Maas bei Lüttich, und zwar ohne Rücksicht auf Gefährdung der eigenen Flanken und auf den Anschluß der nachfolgen- den Truppen. Dieser Befehl enthält die Anordnung, daß Gefangene von den vorn eingesetzten Panzertruppen durch nachfolgende Infanterie-Ein- heiten zu übernehmen und nach rückwärts abzutransportieren seien. Ein am Vortage der Offensive (15. Dezember) an alle unterstellten Trup- pen der Waffen-SS, des Heeres und der Luftwaffe ergangener Tagesbefehl des Armee-Oberbefehlshabers Sepp Dietrich fordert angesichts der kriegs- entscheidenden Bedeutung der Offensive höchsten Einsatz vom letzten Mann. Dieser Befehl enthält keinerlei kampftechnische Anweisungen oder

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Anordnungen über die Behandlung von Kriegsgefangenen und Zivilper- sonen. Bei der 1. SS-Panzer-Division LAH führt Oberst Peiper die vorn ein- gesetzte gepanzerte Kampfgruppe mit dem Auftrag, von Stadtkyll aus über Stavelot südlich Malmedy so rasch wie möglich zur Maas durchzu- stoßen. Angriffsbeginn für die Infanterie-Divisionen des Heeres 16. 12. 05.00 Uhr. Antreten der gepanzerten Gruppe Peiper 16. 12. 10.00 Uhr zur Mitwirkung beim noch nicht vollendeten Durchbruch durch die ameri- kanischen Stellungen bei Büllingen. Hier wird ein Feldflugplatz mit startbereiten Flugzeugen genommen; der nach heftigem Kampf aus Bül- lingen geworfene Feind wird am 17. 12. nach Westen verfolgt. In Engels- dorf wird ein amerikanischer Stab vom deutschen Vorstoß überrascht und flieht. Am 18. 12. früh wird Stavelot gegen amerikanische Panzer-Abwehr im Panzer-Sturmangriff genommen und unverzüglich bis La Gleize—Stou- mont vorgestoßen. Hier muß angehalten werden, weil der Betriebsstoff- Nachschub über die schlechten und inzwischen verstopften Straßen nicht folgen kann. Ebenso konnte das über Amel nachfolgende SS-Panzer-Gre- nadier-Regiment 2 den Anschluß an die gepanzerte Gruppe nicht halten und traf erst am 19. 12. vor Stavelot ein. Inzwischen hatten amerikanische Reserven, von Norden herangeführt, Stavelot wieder in Besitz genommen, so daß die Verbindung zur gepan- zerten Gruppe abgeschnitten und eine Betriebsstoff- und Munitions-Zufuhr nicht mehr möglich war. Am 20. und 21. 12. wurde die Gruppe Peiper auch von Norden, Westen und schließlich von Süden umfaßt und nun laufend von amerikanischen Panzerkräften angegriffen. Am 22. 12. war die gepanzerte Gruppe Peiper im Raume La Gleize—Stoumont eingeschlossen. Die Versuche, den Ein- schließungsring von außen her zu öffnen, scheiterten. Der Abwehrkampf der eingeschlossenen Gruppe Peiper wurde im Laufe des 22. und 23. 12. immer härter und schwieriger, da nun auch die Muni- tion ausging und die Panzer ohne Betriebsstoff völlig unbeweglich fest- standen, während die konzentrischen amerikanischen Angriffe mit über- legenen Panzerkräften und starker Artillerie an Heftigkeit ständig zu- nahmen. So sah sich Oberst Peiper gezwungen, die wertlos gewordenen Panzer- fahrzeuge zu sprengen und in der Nacht vom 23. zum 24. 12. den Aus- bruch aus dem amerikanischen Einschließungsring zu wagen.

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Über den Ambleve-Fluß gelang der Ausbruch nach Süden und Oberst Peiper konnte mit seinen Männern das in Gegend Wanne eingesetzte SS-Panzer-Grenadier-Regiment 1 erreichen. Eigene Verwundete und ge- fangene Amerikaner wurden vor dem Ausbruch im Ort La Gleize dem amerikanischen Captain Chrisenger in schriftlicher Verhandlung über- geben und der deutsche Arzt Dr. W. Dittmann zur ärztlichen Versorgung der übergebenen verwundeten Deutschen und Amerikaner befohlen. Zwei Tage zuvor waren bei der Aufgabe des Ortes Stoumont deutsche und amerikanische Verwundete unter einem deutschen und 2 amerikani- schen Sanitätsdienstgraden zurückgelassen worden. Die eigenen Verluste waren in dem konzentrisch geleiteten Artilleriefeuer und unter den energischen Panzerangriffen der Amerikaner in den Kämp- fen um Stoumont und La Gleize sehr hoch. Über die letzte Phase des Kampfes, wo nur noch Keller Deckung boten, berichtete der amerika- nische Oberstleutnant McGown 1946 als Zeuge in der Hauptverhandlung. Als Stabsoffizier in der 30. amerikanischen I. D. geriet er bei La Gleize in deutsche Gefangenschaft. Er sollte als einziger, weil besonders wert- voller Gefangener beim Ausbruch mitgeführt werden, konnte jedoch in der Nacht vom 23./24. 12. 1944 entkommen. Sofort nach Rückkehr zu seinem Regiment hat er in einem schriftlichen Bericht über seine Erleb- nisse als Gefangener die korrekte Behandlung der Gefangenen und die saubere Haltung der SS-Truppe hervorgehoben. Außer den etwa 140 Gefangenen, die in La Gleize übergeben wurden, hatte die Pz.-Gruppe Peiper vom 16.—18. 12. etwa 400 Gefangene an die Sammelstellen der Division überwiesen. Die Namen einer größeren Zahl von verwundeten Gefangenen hat der damals behandelnde Arzt festge- halten. Die Liste wurde später durch Dr. Leer bei Judge Advocate Office vorgelegt. Am 19. Dezember war die Offensive bei der 6. Pz.-Armee gescheitert, der Ring um die Pz.-Gruppe Peiper konnte von Osten her nicht mehr aufge- brochen werden. Am 20. Dezember hörte der I c beim Stab der 6. Pz.-Armee vom amerika- nischen Sender Calais diese Meldung : „Bei Malmedy wurden amerikanische Kriegsgefangene durch deutsche Sol- daten erschossen.“ Sepp Dietrich wollte wissen, ob das wahr sei. Eine sofortige Umfrage bei allen unterstellten Truppen, ob über einen solchen Vorgang etwas bekannt sei, brachte verneinende Antworten. In der Hauptverhandlung 1946 wurde ein Bericht der 1. amerikanischen

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Armee vom Februar 1945 vorgelegt. Darnach waren an der Straßen- kreuzung SO Malmedy 71 Leichen amerikanischer Soldaten auf begrenz- tem Raum aufgefunden worden. Das medizinische Gutachten enthält im einzelnen die Schuß- und Splitterverletzungen der Toten, außerdem den Inhalt der Taschen, weiteres persönliches Eigentum, Wertsachen usw. und stellt fest, daß die Toten nicht beraubt worden seien. Die einzelnen Be- funde wurden jeweils durch eine fotografische Aufnahme unterstützt. Die Meldung des Senders Calais und die Nachforschungen der 1. US- Armee waren veranlaßt durch einige amerikanische Soldaten, die am 17. Dezember 1944 von der Straßenkreuzung entkommen waren. Ihre Aussagen vor Gericht, der Bericht der 1. US-Armee, die Fotos vom Be- fund an der Straßenkreuzung und die Aussagen von Verurteilten und Zeugen aus der Pz.-Gruppe Peiper sind die Grundlagen für die folgende Darstellung des Vorganges an der Straßenkreuzung : Im Kampf um Büllingen war Peiper aufgehalten worden und drängte nun am 17. 12. vorwärts, um den geglückten Durchbruch auszunützen. Er selbst fuhr mit dem Kommandeur des SPW-Bataillons, Diefenthal, in der Spitzengruppe. Um die Mittagszeit wurde eine von Norden kommende amerikanische Lastwagenkolonne gesichtet und sofort, schon auf größere Entfernung mit den Panzerwaffen beschossen. Die völlig überraschten Amerikaner — eine kampfungewohnte Beobachtungsbatterie — wurden kopflos. Fahrer sprangen in voller Fahrt ab, die Fahrzeuge fuhren in- einander, stürzten oder liefen sich an Bäumen oder im Straßengraben fest, einzelne brannten. Die amerikanischen Soldaten suchten teilweise Deckung und schossen nach den Panzern, andere rannten nach dem nahen Waldrand, ein Teil ergab sich bei Annäherung der deutschen Panzer und wurden von den Panzerführern in Richtung Osten gewiesen. Die Panzer-Spitzengruppe fuhr weiter, ohne sich um den Verbleib der überrumpelten Amerikaner zu kümmern. (Sie hatte frontalen Wider- stand zu brechen und Gefährdung der Flanken in Kauf zu nehmen.) Mit einem Abstand von 5—10 Minuten folgte die Vorhut der Panzer- gruppe, geführt vom Kommandeur der I. Pz.-Abt., Poetschke. Aus den gefechtsbereit fahrenden Panzern wurden die amerikanischen Soldaten bei der Straßenkreuzung auf weite Entfernung erneut als Feindtruppe an- gesprochen und beschossen. Der amerikanische Leutnant Lary hat nach seiner eigenen Aussage beim ersten Zusammenstoß mit der Panzer-Spitzengruppe seine Männer aufge- fordert, sich zu verteidigen und sich zunächst nicht zu ergeben. Offenbar schlossen sich nach dem Weitermarsch der Pz.-Spitze die am Kampfplatz

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verbliebenen Amerikaner zusammen und wurden dann erneut beschossen. Der nähergekommenen Panzer-Vorhut haben sie sich ergeben. Darnach fiel, nach Darstellung amerikanischer Zeugen, von deutscher Seite ein Pistolenschuß. Die Amerikaner warfen sich zu Boden. Ein zweiter Pisto- lenschuß fiel. Ein Teil der Amerikaner sprang auf und versuchte zu fliehen. Auf sie schoß ein Maschinengewehr. Alle warfen sich zu Boden. „Jemand sagte : ,Los geht’s!‘ Das gab eine fast einmütige Reaktion. Wer überhaupt konnte, sprang auf und wir machten einen Ausbruch“ berichtet Lary. Daraufhin eröffnete ein weiteres Maschinengewehr das Feuer auf die Amerikaner. 4 von ihnen traten im Prozeß als Zeugen auf; ihnen ist es damals mit anderen gelungen, sich totzustellen und später zu ent- kommen. Die Fotografien vom Februar 1945 zeigen 71 tote Amerikaner in aus- einanderliegenden kleinen Trupps. Die Kolonne soll etwa 200 Mann um- faßt haben. In höchstens 12 Minuten hat sich der „crossroads incident“ abgespielt. Allein die Schnelligkeit des Verlaufs bei beiderseits höchster Spannung erklärt die Schwierigkeit, diesen Verlauf klar zu rekonstruieren und dar- überhinaus eine etwaige Schuldfrage zu klären. Für die Amerikaner war es unmöglich, zu einem einheitlichen Verhalten zu kommen : Widerstand leisten? sich ergeben? eine Waffe ergreifen? fliehen? schießen oder Deckung suchen? Für die Deutschen kam es darauf an, den Weg frei zu machen, ohne Zeit zu verlieren : Erkannter Feind wird beschossen; wo noch ein Feindsoldat schießt, haben sich nicht alle ergeben; wer aber mit erhobenen Händen dasteht, hat sich ergeben und auf den ist nicht zu schießen! Ob die Darstellung mit dem Pistolenschuß zutreffend ist, das ist nicht sicher geklärt. Wer von den 71 Amerikanern beim gefechtsmäßigen Zusammenprall ge- fallen ist, wer von ihnen sich eindeutig ergeben hatte, wer durch schuld- haft kriegsrechtswidriges Schießen getötet wurde, wer beim Wegrennen durch das MG-Feuer gefallen ist, das ist nicht mehr zu klären. Noch Stunden später wurde der verurteilte Briesemeister an derselben Straßenkreuzung von Amerikanern beschossen. Es liegt nun nicht nur an der Kampfsituation und an der daraus resul- tierenden Unzuverlässigkeit der Aussagen von beiden Seiten, wenn die Frage nach Schuld und Schicksal um die Malmedy-Straßenkreuzung nicht beantwortet ist — es liegt auch an der schuldhaft falschen Art der Unter- suchungsführung :

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S C H W Ä B I S C H H A L L

General Clay hat am 4. 3. 1949 festgestellt, es seien bei der Untersuchung in einzelnen Fällen Versprechungen, Bedrohungen, Scheinverhöre, phy- sische Gewalt, Tricks und Listen angewandt worden. Diese Praktiken hätten manchmal das geeignete Maß überschritten. Die Eignung der mit der Untersuchung beauftragten Personen wurde leider auch erst 1949 durch eine Senats-Kommission in Zweifel gezogen. 1945/46 hatten sie Vollmachten, die über den Rahmen amerikanischer und internationaler Gesetze und Abmachungen hinausgingen. Anfang 1945 wurden die während der Kämpfe in den Ardennen gefan- genen Angehörigen der 1. SS-Pz.-Div. in Kriegsgefangenen-Lagern in Frankreich zum Vorfall an der Straßenkreuzung bei Malmedy verhört. Dabei kamen Bedrohungen und Mißhandlungen vor. Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurden in den Kgf.- Lagern in Deutschland und Österreich Angehörige derjenigen Einheiten der 1. SS-Pz.-Div. herausgesucht und zusammengezogen, die seinerzeit die Straßenkreuzung bei Malmedy passiert hatten. Die Protokolle von den Verhören vom Sommer 1945 wurden in der Hauptverhandlung nicht vor- gelegt. Der Fragenkreis erstreckte sich auch auf eine etwaige Befehls- gebung zur Erschießung von Gefangenen. Obwohl man sich schon bei diesen Verhören nicht statthafter Methoden bediente, befriedigten die Ergebnisse nicht. Im Herbst 1945 wurde nun eine besondere War Crimes Commission gebildet, die auf Grund spezieller Anweisungen des Major Fanton ca. 1100 Angehörige der 1. SS-Pz.-Div. von November 1945 bis April 1946 einer systematischen Untersuchung unterzogen hat. Die psychischen Voraussetzungen für diese Untersuchungsführung auf der Seite der Untersuchenden sowohl als auf der Seite der Verhörten er- hellen besonders deutlich aus der nachfolgenden eidesstattlichen Erklä-

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rung von Peiper (von Dr. E. Leer, München, 1948 bei Judge Advocate Office vorgelegt) : „Betrifft : Die mir diktierten ‚Geständnisse‘, welche im Verlauf des Mal- medy-Prozesses von der Staatsanwaltschaft eingeführt und von mir im Zeugenstuhl widerrufen wurden.

A. Erste, den Malmedy-case betreffende Vernehmung. Ort : Freising : 3rd Army Interrogation-Center. Zeit : August 1945. Vernehmender : Mr. Paul; war im Mauthausen-case Ankläger unter dem Namen Lieutenant Guth.

Folgende Gesichtspunkte wurden mir klargemacht : 1. Die über mich eingeholten Erkundigungen hätten ein überraschend

günstiges Bild ergeben. Als Adjutant Himmlers sei ich der einzige gewesen, welcher seine persönliche Integrität bewahrt habe. Mein Ruf als Panzeroffizier und fairer Soldat sei unbestritten. Der G-2 Report des amerikanischen Major McGown werfe ein be- sonders vorteilhaftes Licht auf mein Verhalten während der Ar- dennen-Offensive.

2. Das amerikanische Volk habe sich über den sogenannten „Malmedy- cross-roads“-Vorfall ungeheuer aufgeregt und verlange kategorisch nach einem Opfer. Da die Presse zufällig nur meinen Namen erhalten konnte, hätte sie mich bereits seit Jahr und Tag als den Mörder von Malmedy bekannt- gemacht. — Ich sei der bestgehaßte Mann Amerikas und überdies der „GI-enemy number 1“. Mein Kopf sei so oder so verwirkt, da ich a) Adjutant bei Himmler gewesen sei, b) die „Großmacht Presse“ mich bereits im voraus verurteilt habe, c) ich als eventueller Untergrundführer eine „potential threat“ dar-

stellen würde. Ich sollte zeigen, daß ich auch die Kunst des Verlierens verstünde und zugeben, daß auf meinen Befehl die amerikanischen Kriegsgefangenen an der Malmedy cross-roads erschossen worden seien.

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Ich erklärte mich zur Übernahme der vollen Verantwortung bereit; aller- dings unter der Maßgabe, daß niemand meiner Untergebenen angeklagt oder verurteilt werden dürfe. Bevor eine derartige Aussage jedoch fixiert werden konnte, erschien eine eigens für die Untersuchung des Malmedy-case eingesetzte Kommission, geführt von Captain Fanton.

B. Zweite Phase der Voruntersuchung. Ort : Oberursel; Army-Group Interrogation Center. Zeit : September/Oktober 1945. Zustand : Verschärfte Einzelhaft. Dauer 7 Wochen.

1. Vernehmungen fanden nicht statt. Lediglich eine Unterhaltung mit einem CIC-Offizier. Thema : Das Benehmen amerikanischer Kriegsgefangener im allge- meinen. Das Verhalten des Major McGown im besonderen. Da der Gesprächspartner hinsichtlich der Person McGowns in be- merkenswerter Weise von der Wahrheit abwich, waren meine Ant- worten bewußt irreführend und im ironisierenden Ton gehalten.

2. Der Leiter der Voruntersuchung und spätere Oberstaatsanwalt Lt. Colonel Burton F. Ellis holte mich zu einer Fahrt nach Benzheim a. d. Bergstraße ab. Wurde hier ergebnislos mit den amerikanischen Überlebenden des „Malmedy-cross-roads“-Vorfalls konfrontiert.

3. Die Behandlung in Oberursel war äußerst deprimierend. Hinsicht- lich Verpflegung, Spaziergang und Rauchwaren erhielt ich als „GI-enemy number one“ überall Sonderbenachteiligungen. Für 24 Stunden wurde ich in eine sogenannte Wärme-Zelle eingesperrt und diese auf etwa 80 Grad C erhitzt. Die Verrichtung der mensch- lichen Notdurft wurde mir verweigert und mir mitgeteilt, daß ich nunmehr verheizt würde. — Da die Dauer der Prozedur und die zunehmende Hitze mich an der Ernsthaftigkeit der Absicht nicht zweifeln ließ, blieb mir als einziger Ausweg die Zerstörung von Hei- zung und Fenster übrig, wollte ich der Tortur ohne nachhaltige Schädigung meiner Gesundheit entgehen.

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C. Dritte Phase der Untersuchung. Ort : Zuffenhausen; Camp for suspected war criminals. Zeit : Oktober/November 1945. Zustand : Einzelhaft als „isolated prisoner“, Dauer : 5 Wochen. 1. Vernehmung fand statt durch 1st Lieutenant Perl. Folgende Ge-

sichtspunkte wurden mir klar gemacht : (siehe dazu von mir wört- lich festgelegten Auszug im Malmedy-record) a) Ich sei der bestgehaßte Mann Amerikas und die Öffentlichkeit

verlange meinen Kopf. b) Mein besonderes Pech bestünde in der Tatsache, daß sich unter

den Opfern der Straßenkreuzung der Sohn eines Senators und der Sohn eines einflußreichen Industriellen befunden habe. Die ergrimmten Väter hätten die Geschichte an die große Glocke ge- hängt und die Presse mobil gemacht, weshalb aus einem mili- tärischen „incident“ ein politischer Zwischenfall geworden sei, den man nicht mehr ignorieren könnte.

c) Die amerikanische Presse habe mich bereits „a priori“ gehängt. d) Wenngleich ich auch ein außergewöhnlicher und von meinen Sol-

daten „vergötterter“ Soldat gewesen sei, dürfe ich doch die heu- tigen Realitäten nicht vergessen. Meine Zeit sei vorüber und würde nie wiederkommen. Allein schon der politische Selbst- erhaltungstrieb zwänge die Sieger, gefährliche Elemente wie mich zu eliminieren. Die Tatsache, daß wir den Krieg verloren hätten, sei unser Hauptverbrechen und die persönliche Schuld- frage dem gegenüber nur von sekundärer Bedeutung. — Er könne mir sein Wort darauf geben, daß ich nie mehr das Tages- licht erblicken würde. Um darüber hinaus eine Handhabe für die fakultative Ausschal- tung der gesamten SS zu erlangen, würde diese in Kürze in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt werden. Gegen die Waffen-SS als solche habe man zwar gemäß der Haa- ger Landkriegsordnung im Augenblick noch keine rechtlichen Mittel, doch würden die Malmedy-Vorkommnisse zweifelsohne ausreichend dazu beitragen.

e) Mir selbst empfahl er, das Gesicht zu wahren und mich mit Würde in das Unvermeidliche zu fügen eingedenk des hohen Ethos und der moralischen Verpflichtung, welche ein preußi-

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scher Offizier seinen Untergebenen gegenüber hätte. Auf Grund der Verehrung, welche ich seitens aller bisher vernommenen Soldaten genösse, und auch auf Grund des günstigen Allgemein- bildes, glaube die Untersuchungsbehörde mit meiner Bereit- schaft zur vollen Übernahme der Verantwortung rechnen zu können. In dem Glauben, meinen Kameraden auf diese Weise noch einen letzten Dienst erweisen zu können, bestätigte ich dieses, aller- dings verbunden mit der Forderung nach einem deutschen und amerikanischen Notar, in deren Gegenwart mir bescheinigt wer- den sollte, daß alle Soldaten meiner Division als Gegenleistung straffrei entlassen würden. — Dieses Zugeständnis wurde abge- lehnt, 1st Lt. Perl erklärte sogar :

f) „Wenn Sie jetzt in Ihrer Zelle Selbstmord begehen, unter Hin- terlassung einer Erklärung, der zufolge Sie die Erschießungs- befehle gegeben haben und der Hauptverantwortliche sind, werde ich dies vor Gericht bestreiten und aussagen, daß Sie mit den Erschießungen nichts zu tun hatten. So billig kommt uns ‚des Führers treue Leibstandarte‘ nicht davon.“

2. Die Behandlung war schlecht und erniedrigend. 5 Wochen wurde ich in einem nahezu völlig dunklen Keller eingesperrt gehalten. An 2 Tagen erhielt ich nichts zu essen und während dreier Wochen konnte ich mich weder waschen noch rasieren. Die sanitären Ver- hältnisse spotteten jeder Beschreibung. Ich wurde beraubt und be- schimpft.

3. Meine Reaktion. Die auffällige Übereinstimmung in der Termino- logie des Herrn 1st Lieutenant Perl und des Mr. Paul — alias Lieutenant Guth — ließen mich einen großangelegten Rachefeld- zug der Siegermächte ahnen. Die in diesem Zusammenhang bemer- kenswerte Offenheit und unverblümte Ausdrucksweise des Mr. Perl ließ darüber hinaus triumphierende Sicherheit erkennen. Ange- sichts dieser Haltung und der sich in meiner Behandlung äußern- den flagranten Mißachtung internationaler Verträge, rechnete ich mit keinem öffentlichen Gerichtsverfahren mehr, sondern richtete mich darauf ein — um mit Lt. Perl zu sprechen — auf die kalte Weise erledigt zu werden. Diese Beurteilung der Lage war für meine späteren Aussagen von wesentlicher Bedeutung!

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D. Vierte Phase der Voruntersuchung. Ort : Zuchthaus Schwäbisch-Hall. Zeit : Dezember/März 1945/46. 1. In Anbetracht der Hauptrolle, welche die amerikanische Regie mir

zuzudenken für richtig befand, sowie zum besseren Verständnis für den Außenstehenden muß ich an dieser Stelle zugleich für meine Kameraden die Grundzüge und Voraussetzungen der damaligen Situation darlegen. Als im Frühjahr 1945 die Wellen der siegreichen Alliierten über dem untergehenden Dritten Reich zusammenschlugen, wurde der seit Jahr und Tag an der Front stehende und nur seinen Gefechtsabschnitt übersehende Soldat völlig überrascht. Wenn er auch an keinen Sieg mehr geglaubt hatte, war ihm doch die Tatsache der bedingungs- losen Kapitulation unfaßbar und lahmte Körper und Verstand. Nichtbegreifen, Niedergeschlagenheit, sowie Schmerz und Scham, nicht zuletzt aber auch ein abgrundtiefer Lebensüberdruß waren die Merkmale der inneren Verfassung, mit welcher die Soldaten der 1. SS-Panzer-Division sich in die Einzelzellen des Zuchthauses Schwäbisch-Hall einsperren lassen mußten. Der gleichsam über Nacht vollzogene Auflösungsprozeß der Truppe, welche bislang die Familie ersetzt hatte, und der Übergang vom geehrten Vaterlandsverteidiger zum streng isolierten Unter- suchungshäftling war so kraß und die Erschütterung so tief, daß von einer Widerstandskraft, welche die 9-monatige Untersuchungs- haft hätte rechtfertigen und einleuchtend hätte machen können, nicht mehr die Rede war. — Siehe hierzu das „opening statement“ der Staatsanwaltschaft im Malmedy-trial : „Despite the youth of these suspects, it took months of continuous interrogation in which all the legitimate tricks, ruses and stratagems known to investigators were employed, — among other artifices used were stoolpigeons, witnesses who were not bonafide and cere- monies.“ (Auszug a. d. Record). Die augenscheinliche Rechtslosigkeit der Verhältnisse, die allen Bestimmungen der Genfer Konvention hohnsprechende Behandlung und nicht zuletzt die Atmosphäre eines mittelalterlichen Inquisi- tionsgerichts, welche die Untersuchungsbehörde über den gesamten Tagesablauf des Gefangenen zu verbreiten verstand, fügten dem

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bereits vorhandenen Zustand noch überdrüssigen Ekel und stumpfe Ergebenheit hinzu. Betrachtet man die Männer in ihrer Gesamtheit, so ergibt sich das Bild von jungen, unerfahrenen Menschen, welche Erziehungspro- dukte der kriegsbedingten Umweltverhältnisse waren und ahnungs- los und unbeholfen jeder Vernehmungstaktik gegenüberstanden — und — was noch entscheidender ist — welche durch das Bewußtsein der bis zum letzten der Heimat gegenüber erfüllten Pflicht, die Sorglosigkeit des guten Gewissens besaßen. Die wesentlichste Stütze, welche nach der totalen Niederlage einzig und allein übrig geblieben war, konnte unter den obwaltenden Umständen nur der Glaube an die Unzerstörbarkeit einer im Kampf geschmiedeten Frontkameradschaft sein! „Wenn wir weiterkommen wollten, mußten wir zuerst die Kame- radschaft niederbrechen“ — sagt Captain Shumacker als Vertreter der Anklage bei der Eröffnung des Malmedy-Prozesses aus. Die Untersuchungsoffiziere wurden dieser ihrer Absicht durch das bekannte Ausspielen von Vorgesetzten gegen Untergebene, sowie Anwendung von Tricks, Scheingerichten, Mißhandlungen, Drohun- gen, falschen Zeugen und Versprechungen in vollendeter Weise ge- recht. Dem Gefangenen aber war hiermit endgültig der Glaube und letzter Rückhalt zerstört. Er mußte die Hoffnungslosigkeit seiner Lage erkennen, hielt bei diesen Spielregeln eine Fortsetzung des Kampfes für Freiheit und Recht für völlig sinnlos und ließ sich müde und gleichgültig das raffiniert gesponnene Netz über den Kopf werfen. Die gedankliche Schlußfolgerung mußte für jeden heißen : a) die persönliche Schuld oder Unschuld wird hier nicht erforscht

und ist im Hinblick auf die Zukunft unwesentlich. Man kann uns schon allein deshalb nicht mehr herauslassen, weil wir zu- viel von amerikanischen Untersuchungsmethoden gesehen und erlebt haben.

b) Es erscheint ausgeschlossen, daß unser Fall vor ein ordent- liches Gericht kommt. Die Erledigung ist auf „kalte Weise“ im Schnellverfahren und unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu er- warten.

c) Es ist daher völlig gleichgültig, ob man sich eine Aussage dik- tieren läßt; zumindest entgeht man dadurch einem Teil des un- erträglichen Drucks.

Jochen Peiper im Befehlspanzer. Ardennenoffensive Dezember 1944.

Die Angeklagten im Malmedy-Prozeß treten zur Gerichtsverhandlung an. — Dachau Mai 1946.

Joseph Diefenthal nimmt das Todesurteil entgegen. Neben ihm der Chef-Verteidiger W. M. Everett.

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern im Dachauer Gerichtssaal.

Der Vorsitzende, Generalmajor Dalbey und der Jurist des Gerichtshofes, Oberst Rosenfeld.

Die Anklagevertreter, zuvor Untersuchungsführende in Schwäbisch Hall. Von rechts nach links: Ellis, Shumaker, Thon, Perl, Ellowitz, Byrne, Kirschbaum.

W. M. Everett, Rechtsanwalt in Atlanta, USA, hat als Chef-Verteidiger im Malmedy-Prozeß für die Geltung alt-amerikanischer Rechts-Grund- sätze gekämpft. Trotz heftiger Anfeindungen hat er nicht davon abgelassen, sich unter persön- lichen Opfern für die Aufhebung der Todes- urteile einzusetzen. Das gesamte Verfahren be- zeichnet er als nichtig.

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d) Sollte es überraschenderweise doch noch zu einem öffentlichen Prozeß kommen, muß das gesamte aufgezwungene Lügengebäude wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Die bisherigen Aussagen bedeuten keine Meineide, da sie erpreßt wurden.

Der aus dem Zusammenbruch des Vaterlandes und dem Verlust aller bisherigen Werte resultierende seelische Nihilismus sowie die bewußte Pflege und Förderung dieses Zustandes in der Folterkam- mer und psychotherapeutischen Klimaanlage Schwäbisch-Hall, sind daher die tieferen Ursachen für das Zustandekommen der durch ihre Uniformität ohnehin schon ins Auge fallenden sogenannten „frei- willigen Geständnisse“. Ohne eingehendes Studium der psychologischen Zusammenhänge kann der Außenstehende die Hintergründe des Malmedy-Case nicht verstehen und die rein formaljuristische Revision muß stets ein die Tatsachen nicht erschöpfendes Stückwerk bleiben.“ Soweit Peiper.

Aus den bei den Akten befindlichen beeideten Aussagen von weiteren Betroffenen, von am Prozeß unbeteiligten Deutschen und von Amerika- nern ergibt sich das folgende Bild der Untersuchungsführung : Mit der Einlieferung in das Zuchthaus Schwäbisch-Hall begann für alle Untersuchungsgefangenen die systematische Zermürbung : Unter Schlägen wurden sie in die Einzelzellen getrieben, die gesamte persönliche Habe wurde ihnen abgenommen, ohne Angabe eines Grundes waren sie vollständig abgesperrt von der Außenwelt in Einzelhaft ohne den vorgeschriebenen Spaziergang, ohne Postverbindung, ohne Priester- besuch, ohne Anwalt. Beschimpfungen, Anspucken und Mißhandlungen durch das Untersuchungs- und Wachpersonal zeigte ihnen deutlich, daß sie in absoluter Rechtlosigkeit und Hilflosigkeit der Willkür der dort tätigen amerikanischen Offiziere und Beamten ausgeliefert waren :

Lt. Col. Burton F. Ellis, dem Leiter der War Crimes Commission, und seinen Mitarbeitern : Capt. Raphael Shumacker Mr. Morris Ellowitz 1st Lt. Robert E. Byrne Mr. Harry Thon 1st Lt. William R. Perl Mr. Kirschbaum

Diese Beamten haben in der Zeit von Dezember 1945 bis April 1946 gegen die Untersuchungsgefangenen folgende „Praktiken“ angewandt :

Zur Förderung der Zermürbung : Dunkelhaft und laufende Störung der Nachtruhe;

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zur Vorbereitung der Verhöre : Schläge mit der Faust und mit Metall- stangen, Fußtritte gegen Schienbeine und Geschlechtsteile, Quä- lereien, Schläge und Umherstoßen unter blutverkrusteten, stin- kenden Kapuzen, stundenlanges Wartenlassen in „Achtung“-Stel- lung oder mit erhobenen Armen unter den Kapuzen;

während der Verhöre : Brutalste Mißhandlungen mit schweren Ver- letzungen, häufig Schläge und Tritte bis zur Bewußtlosigkeit;

als wirksamere Verhör-Methoden : Scheinverhandlungen als Schnell- gericht mit Todesurteil bei Kruzifix und Kerzen mit falschen Zeu- gen, falschen Eiden, gefälschten schriftlichen Aussagen unter Miß- brauch von amerikanischen Offiziersuniformen;

als stärkstes Mittel : Scheinhinrichtung mit Anziehen des Stricks bis zum Eintritt der Bewußtlosigkeit nach Aufforderung zum Äußern eines letzten Wunsches.

Daneben : Versprechungen (Strafmilderung, Freilassung, Aufhören der Mißhandlungen) im Falle der Niederschrift des gewünschten Ge- ständnisses, Drohungen mit Repressalien gegen Mütter, Schwe- stern, Frauen und Kinder, Beschimpfungen und Verhöhnung auch der Familienangehörigen und anderes mehr.

Diese sog. „Praktiken“ sind mehr oder weniger heftig und häufig gegen- über allen späteren Angeklagten und gegenüber einer großen Anzahl sonstiger Untersuchungsgefangener angewandt worden.

„Ich hatte noch niemals in meinem Leben ein Gerichtsgebäude oder Gefängnis von innen gesehen und es stürzten so viele Beschuldigun- gen, Beschimpfungen und Drohungen auf mich ein, daß ich durch diese seelische Belastung geistig total zerrüttet war und ein völlig willenloses Werkzeug in den Händen der Vernehmer wurde. Wenn ich ‚ja‘ sagte, wurde es mir in ‚nein‘ verdreht und ich mußte es nie- derschreiben. Sagte ich ‚nein‘, wurde es umgekehrt gemacht. Oberlt. Perl diktierte meine Aussage und ich mußte, ob ich wollte oder nicht, das schreiben, was Perl für richtig befand, trotzdem ich wußte, daß es falsch war. Auf diese Art und Weise kam meine Aussage von Schwäbisch-Hall zu- stande. Sie ist völlig unwahr und es sind nicht meine, sondern die Gedanken des Vernehmungsoffiziers“,

sagt der am 16. 7. 46 zum Tode durch den Strang verurteilte und am 20. 3. 1948 zu lebenslänglichem Gefängnis „begnadigte“ Max Hammerer (zur Zeit der Ardennen-Offensive 20 Jahre alt).

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Die Methodik der Untersuchung war (ständig unterstützt durch „Prak- tiken“) folgende : Ein Mann schildert in einer Niederschrift wahrheitsgemäß den Verlauf einer Kampfhandlung, bei der amerikanische Soldaten gefallen sind. Kameraden dieses Mannes, die an derselben Kampfhandlung teilgenom- men haben, wird vorgehalten, sie wüßten, daß hier Amerikaner „umgelegt“ worden seien, ihr Kamerad X. habe ja schon zugegeben, dabei beteiligt gewesen zu sein. Auf dieser Grundlage werden die Betreffenden so lange „bearbeitet“, bis einer dazu gebracht wird, zu unterschreiben, er habe damals auf einen amerikanischen Soldaten geschossen, der die Waffe bereits abgelegt hatte. Durch gegenseitiges Ausspielen der Verhörten gelingt es dann schließlich unter Anwendung verschiedener „Praktiken“ einzelnen Männern schrift- liche Geständnisse abzupressen, wonach sie Gefangene erschossen hätten. Diese Geständnisse werden dann dazu benutzt, von den Männern die Aus- sage zu erpressen, ihre Offiziere hätten Befehle zur Erschießung von Ge- fangenen erteilt. Damit hatte die WCC Ellis die Unterlagen für das Verhör der Offiziere, die nun belastet waren als Verantwortliche für die vorgeblich befohlenen und angeblich begangenen Taten der Männer. Nach Anwendung neuer „Praktiken“ werden dann auch Geständnisse von Offizieren bezüglich rechtswidriger Befehlsgebung erpreßt : Den Männern wird Straffreiheit in Aussicht gestellt, falls sie die Offiziere belasten; den Offizieren wird vorgehalten, ihre Offiziersehre fordere die Übernahme der Verantwortung für die Taten der Männer, die dann viel- leicht freikämen, während sie, die Offiziere, sowieso verloren seien. Die Folgen dieser systematischen Anwendung physischen und psychischen Drucks waren : Völlige Gleichgültigkeit oder Verzweiflung, die bis zum Selbstmord führte; geistige Verwirrung und krankhafte Angstzustände, völlige Hilflosigkeit und stärkstes Mißtrauen gegen jedermann; jedenfalls bei den meisten Betroffenen ein abnormaler Geisteszustand, der zu hem- mungsloser Bereitschaft führte, alles niederzuschreiben und zu beeiden, was diktiert wurde. Es wurde hier nicht mehr untersucht, wer Schuld oder Verantwortung zu tragen hatte an einem erwiesenen Tatbestand, sondern es kam darauf an, Geständnisse zu erbringen ohne jede Rücksicht auf die Wahrheit oder Unwahrheit des Inhalts.

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Diese Behauptung wird am sichersten bewiesen durch die „statements“ (schriftliche Geständnisse) von Schwäbisch Hall selbst : in allzu ähnlichen Sätzen werden darin schießtechnisch wie psychologisch undenkbare Hand- lungen geschildert. Der Rückschluß auf einheitliche Beeinflussung und auf abnormale seelische Verfassung der Schreibenden ist zwingend. Immerhin lagen beim Abschluß der Untersuchung zu Anfang Mai 1946 71 beeidete, schriftliche Geständnisse über ca. 20 Einzelfälle von Gefan- genen- und Zivilisten-Erschießungen vor mit rund 900 Opfern an erschos- senen amerikanischen Kriegsgefangenen und belgischen Zivilpersonen. Die Anklage konnte somit von der ursprünglich behaupteten Erschießung von 71 amerikanischen Soldaten beim Zwischenfall an der Straßenkreu- zung erheblich ausgedehnt werden und die angeblich erwiesene Häufig- keit von Verstößen gegen die Land-Kriegsordnung veranlaßte dazu, auch gegen die höheren Kommandostellen Anklage zu erheben wegen An- weisung zu völkerrechtswidriger Kampfführung. Mitangeklagt wurden daher die Generäle Dietrich, Prieß, Krämer. „In order to preclude the possibility of legal complications . . .“ (um rechtliche Verwicklungen auszuschließen) wurden durch Befehl vom 26. 4. 1946 die 74 Angeklagten aus dem Status von Kriegsgefangenen am 9. 5. 1946 in den Status von Zivilinternierten überführt (für die es keinen Rechtsschutz durch die Genfer Konvention von 1929 gibt). In dem Be- fehl wird diese Maßnahme als desirable to be carried out at once be- zeichnet (sofortige Durchführung erwünscht). Das war eine Sicherung für die War Crimes Commission. Eine weitere be- stand darin, daß die Anklagevertretung sich nicht so zusammensetzte, wie sie in dem am 10. Mai 1946 herausgegebenen Befehl zur Konstituie- rung des Gerichtshofes bestimmt war, sondern bei der Eröffnung der Hauptverhandlung am 16. Mai stand die War Crimes Commission Ellis von Schwäbisch Hall als Anklagevertretung im Gerichtssaal mit ihrem Führer Ellis als Chefankläger und Shumaker, Perl, Byrne, Ellowitz, Thon und Kirschbaum als Assistenten. Als Zeugen standen der Anklagevertretung 4 von der Straßenkreuzung entkommene amerikanische Soldaten zur Verfügung, einige belgische Zivil- personen sowie eine Anzahl von Angehörigen der 1. SS-Pz.-Div., die in Schwäbisch Hall zu Aussagen bestimmt worden waren, in denen sie Mit- gefangene belasteten. Trotz bevorzugter Behandlung bzw. Bedrohung mit Meineidverfahren im Falle des Widerrufs ihrer in Schwäbisch Hall ge- machten Aussagen waren sie für die Anklage recht unsichere Zeugen.

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So kam es für die Anklagevertretung entscheidend darauf an, beim Ge- richt die Anerkennung der Beweiskraft der statements von Schwäbisch Hall zu erwirken und diese Anerkennung gegen voraussichtliche Anfech- tungen aufrecht zu erhalten. Besonders schwach begründet war von vornherein die Anklage wegen der Befehlsgebung zu völkerrechtswidriger Kampfführung. Noch Anfang Mai wurden krampfhafte Versuche unternommen, für diesen Teil der Anklage Zeugen zu gewinnen. Es ist besonders zu beachten, daß alle statements von Angeklagten stammen, das heißt also, daß für viele angebliche verbrecherische Hand- lungen außer dem gewaltsam erpreßten schriftlichen Geständnis des betr. Angeklagten bzw. außer gewaltsam erpreßten Anschuldigungen von Mit- angeklagten keine anderen Beweismittel vorlagen. Die für die Hauptverhandlung vorliegenden statements datieren fast alle von März oder April 1946. Es waren jeweils die letzten von 2, 3, 4 oder mehr Niederschriften des einzelnen Angeklagten, die im Laufe der Untersuchung erstellt worden waren. Durch wiederholte Änderung im Aus- druck und Inhalt der statements war es gelungen, immer eindeutiger das Bild hemmungsloser Charaktere aufzuzeigen und rückhaltlose Geständ- nisse verbrecherischer Taten vorzulegen. Wem die Angeklagten von früher her bekannt waren, wer sie im Kampf erlebt hatte, dem mußten diese Aussagen unbegreiflich erscheinen. Un- möglich zu glauben, daß solche Aussagen von diesen Männern ohne äußer- sten Druck abgegeben waren! Undenkbar, daß diese Formulierungen in den Köpfen dieser Männer entstanden waren! Streichungen, Korrekturen und auffallende Verschiedenheiten im Schrift- bild lassen auf heftige Auseinandersetzungen bei der Abfassung des Tex- tes schließen, wo nicht völlige Apathie beim Niederschreiben angenom- men werden muß.

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D A C H A U

Mitte April wurden 300 Untersuchungsgefangene von Schwäbisch Hall an den Gerichtsort Konzentrationslager Dachau überführt. 74 von ihnen kamen als Angeklagte in den sog. „Bunker“. Es waren die 71 Angehörigen der 1. SS-Pz.-Div., denen in Schwäbisch Hall ein Geständnis abgepreßt worden war, dazu die 3 Generäle. Die übrigen Gefangenen wurden im Kriegsverbrecher-Lager als Zeugen zur Verfügung gehalten. Mit wenigen Ausnahmen haben diese Männer trotz Versprechungen, Drohungen, Mißhandlungen und Verängstigung vor Gericht wahrheitsgemäß ausgesagt. Während die WCC bzw. Anklagevertretung zu Beginn der Hauptverhand- lung das Ergebnis einer insgesamt 10 Monate langen Vorbereitung vor- zulegen hatte, hat eine Vorbereitung der Verteidigung nicht stattge- funden. Lt. Col. W. M. Everett hat freiwillig die Führung der Verteidigung über- nommen. Erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung konnte er mit der Arbeit beginnen. Die deutschen Verteidiger : Dr. Hertkorn, Dr. Leer, Dr. Leiling, Dr. Pfister, Dr. Rau und Dr. Wieland wurden erst unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung in Dachau zugelassen. Für die Verteidigung brauchbares Material lag nicht vor. Die Angeklagten glaubten auf Grund der Erlebnisse in Schwäbisch Hall nicht an eine ernst zu nehmende Verteidigung und waren daher anfangs gegen amerikanische und deutsche Verteidiger äußerst mißtrauisch. Zeugen zu ihrer Entlastung hatten die Angeklagten früher schon be- nannt und angefordert, ohne daß darauf eingegangen worden war. Die vielen Zeugen, die sich freiwillig für die Verteidigung gemeldet hatten, waren, wenn überhaupt, nur durch die WCC Ellis vernommen und nicht,

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wie beantragt, der Verteidigung zugeführt worden. Sie waren daher der Verteidigung bei Beginn der Hauptverhandlung noch gar nicht bekannt. So sah sich die Verteidigung jetzt vor der Aufgabe, sich mit dem Per- sonenkreis der Angeklagten und ihren früheren dienstlichen Beziehungen vertraut zu machen, den Verlauf der Kampfhandlungen und die sehr verschieden zu bewertenden Anschuldigungen zu studieren; zugleich wa- ren Zeugen beizubringen, deren Aufenthaltsort erst ermittelt werden mußte. Oberst Everett wurde vom Anklage-Chef der Einblick in das Anklage- material verweigert. Er blieb angewiesen auf das Wenige, was er von den Angeklagten in der kurzen Zeit erfahren konnte. Sie berichteten ihm über die Untersuchungsmethoden von Schwäbisch Hall. Eine von ihm veran- laßte Nachprüfung dieser Angaben kam nicht zu ordentlicher Durchfüh- rung. Anträge auf Verlängerung der Vorbereitungszeit blieben unberück- sichtigt. Das Gericht stand unter dem Vorsitz von Brigadegeneral J. T. Dalbey. Beisitzer waren 7 Offiziere im Oberstenrang, unter ihnen als juristisches Mitglied Col. A. H. Rosenfeld; er hat das Prozeßverfahren geistig ge- führt. Die Hauptverhandlung begann am 16. Mai 1946. Die Anklagebehörde eröffnete die Beweisaufnahme mit der Feststellung : „Praktisch ist es eine Unmöglichkeit, dem Gerichtshof den Beweis dieser Unzahl von Morden in einer chronologischen Abfolge und in einer verständlichen Form zu lie- fern . . .“ Demgemäß begann die Anklagebehörde, die „statements“ von Schwäbisch Hall zu verlesen. Diesem Vorhaben trat die Verteidigung entschieden entgegen und gab, da ihr Antrag, die eidlichen Aussagen von Schwäbisch Hall nicht als Beweismittel zuzulassen, abgelehnt wurde, ihren Einspruch bei jedem einzelnen statement zu Protokoll. Das Beweisprinzip erhellt am besten folgende Feststellung der Anklage- vertretung :

„Der Gerichtshof kann sich damit begnügen, daß Beweise stichhaltigen Wertes erbracht worden sind, die ihn davon überzeugen, daß die be- haupteten Verbrechen begangen worden sind. Wir brauchen deshalb die Opfer nicht namhaft zu machen; wir haben keine Veranlassung, ihre Leichen vorzuweisen. Denn ein solcher Beweis ist . . . nahezu un- möglich zu erbringen und einem Gerichtshof zugänglich zu machen.“

Ein Antrag der Verteidigung, das Verfahren für bestimmte Tatbestand- kategorien abzutrennen, wurde mit dem Hinweis auf die Dienstvorschrift

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für Gerichtsoffiziere abgelehnt. Es war dort im § 205 bindend festgelegt, daß die Gerichtshöfe im Interesse der militärischen Sicherheit „schnell, wirksam und ohne Behinderung durch Formalitäten“ arbeiten müßten. Der dreimalige Antrag des Chefverteidigers auf Zurückziehung der Haller statements wurde durch das Gericht in allen Fällen verworfen. Die Ver- teidigung machte dabei geltend, daß die Ermittlungsverfahren von Schwä- bisch Hall sich nicht an die gegenüber Kriegsgefangenen geltenden Ge- setze gehalten hätten, daß die Geständnisse und Belastungen durch psy- chischen Druck und physische Gewaltanwendung erzwungen worden seien und daß diesen Beweismitteln kein Beweiswert zugemessen werden könnte, da diese in der Hauptverhandlung weder durch mündliche Aus- sagen noch durch Indizien gestützt worden seien. Es ergab sich bei zahlreichen Zeugenvernehmungen, daß die von der Anklagebehörde vorgeführten Belastungszeugen ihre früheren Aussagen als unter Druck erpreßt widerriefen und daß die als Zeugen in eigener Sache vernommenen Angeklagten Gelegenheit fanden, die widerrecht- lichen Vernehmungsmethoden von Schwäbisch Hall dem Gericht zur Kennt- nis zu bringen. In welcher Weise die Verteidigung behindert wurde, beweisen die von Oberst Everett später in seiner Berufungsklage aufgeführten Beispiele, denen u. a. zu entnehmen ist, daß Oberst Everett den 1st Lt. Perl dabei überraschte, wie er während der Hauptverhandlung die für die Vertei- digung bestimmten Papiere der Angeklagten aus deren Zellen entwen- dete. Zeugenbeeinflussung durch die Anklagevertretung waren an der Tagesordnung, insbesondere Beeinflussung durch Drohung, wie die Ver- teidigung in bestimmten Fällen dem Gericht demonstrieren konnte. Oberst Everett führt dazu wörtlich aus : „Wenn jedoch Einzelheiten über versetzte Schläge usw. verlangt wurden, erhob die Anklagevertretung Einspruch und das juristische Mitglied des Gerichts hielt diesen Einspruch immer aufrecht und verhinderte damit, daß diese üblen und rücksichtslosen Taktiken der Anklagevertretung weiter hier im offenen Gericht belichtet werden konnten.“ Es muß hinzugefügt werden, daß für das Verfahren keine bindenden Verfahrensregeln festgelegt waren, sondern diese erst im Laufe des Pro- zesses herausgearbeitet wurden. Dabei gelang es der Zusammenarbeit des juristischen Mitglieds, Col. Rosenfeld, mit der Anklagevertretung, den Beweiswert der Haller statements zu verteidigen. Selbst das unvollendete statement des Arvid Freimuth, der in Schwäbisch

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Hall während der Abfassung dieses Protokolls, ohne es unterschrieben zu haben, Selbstmord begangen hatte, weil er keine weiteren Lügen von sich geben konnte, wie er vor seinem Selbstmord in den Gefängnishof hin- untergeschrien hatte, wurde durch die Einwilligung des „legal member“ als beweiskräftig anerkannt. Der Anklage-Chef befragte sogar den damali- gen Vernehmer, Oberleutnant Perl, unter Eid darüber, was dieser tote deutsche Jüngling in seiner Erklärung mitgeteilt haben würde, wenn er am Leben geblieben wäre. Die Verteidigung war gegen Ende des Beweisverfahrens zu der Auffassung gelangt, daß ein Auftreten der Angeklagten als Zeugen in eigener Sache undienlich sei. Die Verteidigung ging dabei von dem Gedanken aus, daß es der Anklagevertretung nicht gelungen sei, ihre Behauptungen durch stichhaltige Beweise zu stützen, so daß keine Veranlassung für die Ange- klagten bestünde, sich als Zeuge in eigener Sache zu verteidigen. Darüber hinaus befürchtete die Verteidigung angesichts der Belastungen in den statements Interessenkollisionen. Sie riet daher den Angeklagten davon ab, den Zeugenstuhl einzunehmen und stellte die neuerliche Aufrollung des Gesamtverfahrens für das i. E. sichere, Revisionsverfahren in Aussicht. Deshalb haben nur 10 der 74 Angeklagten den Zeugenstuhl betreten. In einer kurzen von der Verteidigung beantragten Verhandlungspause konnte diese von den angeblichen Tatorten in Belgien Beweise beschaffen, die viele Anklagepunkte als frei erfunden und zahlreiche Beweisstücke der Anklage als Fälschungen nachwiesen. So hatte ein Angeklagter in seinem Schwäbisch Haller Geständnis beschworen, in der Ortschaft Büllin- gen ohne Grund eine belgische Frau in einem Hause hinterrücks erschos- sen zu haben. Ein Offizier der Verteidigung brachte vom Tatort eine eides- stattliche Erklärung des örtlichen Bürgermeisters und Standesbeamten sowie des Ehemannes dieser Frau, in der festgestellt wird, daß die Frau beim Heraustreten aus dem Hause von einer amerikanischen Granate zer- rissen worden sei. Andere Angeklagten hatten in ihren statements zugegeben, im Kessel von La Gleize an der Kirchhofsinnenmauer drei Gruppen amerikanischer Gefangener von je 20—30 Mann erschossen zu haben. Der nach Belgien entsandte Offizier der Verteidigung stellte fest, daß eine Kirchhofsinnenmauer niemals bestand. Der Priester dieser Kirche übergab der Verteidigung eine beschworene Erklärung, in der er aussagt, daß er die ganze Zeit der Dauer der Kampfhandlungen und zur Zeit der angeblichen Verbrechen in der Kirche anwesend gewesen sei, daß an der äußeren Stützmauer — der einzigen, die die Anlage

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umgab — keine Geschoßeinschläge festzustellen seien, daß keine der geschilderten Greueltaten in der Umgebung seiner Kirche jemals ge- schehen seien. Der einzige tote Amerikaner, der in der Ortschaft gefunden wurde, sei der verbrannte Leichnam eines Amerikaners in einem abge- schossenen Panzer gewesen. Am Nachmittag, an dem die Tat begangen sein sollte, sei der Priester mehrfach um seine Kirche herumgegangen und habe keinen toten Amerikaner gesehen. Eine moralische Stärkung der Position der Angeklagten trat im Laufe des Prozesses ein, als der amerikanische Generalstabsoffizier Lt. Col. McGown freiwillig mit dem Flugzeug aus den Staaten kam, um als Entlastungs- zeuge für Peiper über die Vorgänge im Kessel La Gleize auszusagen. McGown war in La Gleize Gefangener Peipers gewesen, bis die Kampf- gruppe unter Zurücklassung aller Gefangenen und aller Verwundeten aus dem Kessel ausbrach. Während dieser Zeit hatte McGown als rang- höchster Offizier die Interessen seiner Mitgefangenen wahrgenommen und dabei Gelegenheit gehabt, alle Gefangenen nach ihrer Behandlung zu be- fragen. Als Zeuge vor Gericht sagte McGown über die korrekte Behand- lung aus, die ihm und seinen 140 Mitgefangenen im Kessel von La Gleize zuteil geworden war. Er wurde auf diese Aussage hin von der Anklage- behörde der Zusammenarbeit mit dem Feinde bezichtigt. Der Höhepunkt des Prozesses wurde erreicht, als das Beweisgebäude der Anklage zusammenzubrechen drohte. Die wenigen als Zeugen in eigener Sache aufgetretenen Angeklagten hatten ihre Geständnisse und Aussagen widerrufen. Die klare Gegenbeweisführung stellte die Beweiskraft der „statements“ erneut in Frage. Die Anklage sah sich in die Abwehr ge- drängt. Sie gedachte aus diesem Grunde am folgenden Tage mit Zeugen aufzuwarten, die dem Gericht im Sinne der Anklage bezeugen sollten, daß im Schwäbisch Hall keine Mißhandlungen vorgekommen seien. Am Abend vor der Aussage, es war der 30. 6. 1946, suchte der Chef-An- kläger Lt. Col. Ellis persönlich die Zeugenbaracke auf, um sich nochmals zu vergewissern, daß die beiden Zeugen in dem gewünschten Sinne aus- sagen würden. Dennoch nahm die Zeugenvernehmung am folgenden Tage einen ganz anderen Verlauf. Beide vorgeführte Zeugen bestätigten im Kreuzverhör der Verteidigung, daß auch ihre Tätigkeit als Belastungs- zeugen von den Untersuchungsbeamten mit Gewalt erzwungen wor- den war. Von Lt. Perl und H. Thon seien sie geschlagen worden. Daraufhin sah sich die Anklage veranlaßt, einen der ehemaligen Verneh- mer, den selbst schwer belasteten Oberleutnant Perl in den Zeugenstuhl zu bringen. Als Zeuge unter Eid sagte Perl aus, daß in Schwäbisch Hall

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keine Mißhandlungen vorgekommen seien. Lediglich durch „geschicktes Manövrieren“ sei es gelungen, die „Wahrheit“ an das Licht zu bringen. Diese eidliche Aussage schien dem Gericht auszureichen, um den statements aus Schwäbisch Hall endgültig Beweiskraft zuzuerkennen. In seinem Schluß-Plädoyer versuchte der Chef-Verteidiger W. M. Everett noch, das Gericht für das Recht zu gewinnen. Das Plädoyer der Anklage überging alle Gegenbeweise der Verteidigung und wiederholte inhaltlich die Anklage-Erhebung. Am 16. Juli 1946 verkündete das Gericht im Malmedy-Prozeß nach einer Beratungsdauer von 2 Stunden 20 Minuten, das sind knapp 2 Minuten für jeden Angeklagten, das Urteil. Da ein Angeklagter französischer Staatsbürgerschaft während des Ver- fahrens an Frankreich ausgeliefert werden mußte, wo er von einem fran- zösischen Kriegsgericht freigesprochen wurde, hatte das Gericht über 73 Angeklagte zu urteilen. Es fand alle 73 Angeklagten schuldig im Sinne der Anklage und verurteilte : 43 Angeklagte zum Tod durch den Strang, 22 Angeklagte zu lebenslänglichem Gefängnis, 2 Angeklagte zu 20 Jahren Gefängnis, 1 Angeklagten zu 15 Jahren Gefängnis, und 5 Angeklagte zu 10 Jahren Gefängnis. Dieses Urteil wurde weder mündlich noch schriftlich begründet.

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L A N D S B E R G

Am 17. und 18. Juli 1946 wurden die 73 im Malmedy-Prozeß verurteilten Soldaten in die Strafanstalt Landsberg am Lech überführt. 43 von ihnen hatten die rote Jacke der zum Tode Verurteilten anzuziehen. Der Verlauf der Hauptverhandlung mit dem Urteil, das sich über alle Beweise und Argumente der Verteidigung hinweggesetzt hatte, verstärkte die Auffassung, daß es in diesem Falle kein Recht mehr geben würde. Der Chef-Verteidiger W. M. Everett gab trotzdem die Hoffnung nicht auf, daß ein echtes amerikanisches Rechtsempfinden sich durchsetzen würde. Eine Berufungsinstanz gab es nicht und gibt es für Kriegsverbrecher- prozesse heute noch nicht, weil die grundlegenden Bestimmungen fest- legen, daß es in Kriegsverbrecherprozessen nur ein einmaliges und end- gültiges Verfahren gibt. Das Urteil im Malmedy-Fall war nun vom Gerichtsherrn, dem amerikani- schen Gouverneur in Deutschland, noch nicht bestätigt. Col. Everett legte daher noch im Herbst 1946 ein Revisionsgesuch vor, in dem er die Ver- fahrensmängel herausstellt und den Schuldnachweis in den Einzelfällen bestreitet. Everett bestreitet die Zuständigkeit des Gerichts; er beanstandet die mangelhafte Substantiierung der Anklage; er verwahrt sich gegen die Aberkennung des Status von Kriegsgefangenen gegen die Verurteilten; er bestreitet den Beweiswert der „statements“ von Schwäbisch-Hall und kennzeichnet die Untersuchungsführung als rechtswidrig; er weist Fälschungen im Beweismaterial der Anklage nach; er verwahrt sich gegen die Mißachtung der Zeugenaussage des amerikani- schen Lt. Col. McGown;

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er behandelt das Problem der militärischen Verantwortlichkeit im Zu- sammenhang mit der Möglichkeit von Interessenskollisionen unter den meist durch Schwäbisch-Hall verängstigten Angeklagten und der daraus resultierenden unklaren Beweisführung; er weist zahlreiche Fälle von Zwangsanwendung gegen Angeklagte und Zeugen nach; er belegt zahlreiche Fälle von Verfahrensverstößen durch das Gericht und weist nach, daß das Verfahren unfair war durch die sehr wirksame Benachteiligung der Verteidigung von seiten des juristischen Mitglieds des Gerichtshofes im Zusammenwirken mit der Anklagevertretung. Everett kann diese seine Feststellungen durch Zitate aus dem Protokoll der Hauptverhandlung belegen : Das bedeutet, daß diese schwerwiegen- den Mängel des Verfahrens tatsächlich im öffentlichen Verfahren er- kannt, aber letztlich übergangen wurden. Ebenso vermag Everett den Schuldnachweis in den 73 Einzelfällen mit Zitaten aus dem Protokoll zu bestreiten bzw. zu widerlegen. Er fordert die Aufhebung der Urteile als logische Folgerung aus der Beweislage und aus der Erkenntnis der Verfahrensmängel. W. M. Everett kehrte anfangs 1947 in die USA zurück und vertrat dort weiterhin in klarer Konsequenz seine Rechtsauffassung gegenüber einer unamerikanischen Gewalt-Justiz. In Deutschland führte Dr. Leer, München, die Arbeit der Verteidigung fort. Mit mehreren eingehenden Gesuchen hat er neues Beweismaterial vorgelegt, das aus den geschilderten Gründen während der Hauptver- handlung noch nicht hatte vorgelegt werden können. Dr. Leer hat in objektiver und übersichtlicher Arbeit eingehend all die ungewöhnlichen Fehler, die kaum glaubhaften Irrtümer und die unverantwortlichen Un- terlassungen des Verfahrens, der Urteile, der sämtlichen späteren Über- prüfungen, sowie der späteren Entscheidungen des Oberbefehlshabers be- wiesen und in vielen Eingaben unter Darstellung einzelner Fälle die zu- ständigen Stellen beschworen, doch endlich die erwiesenen Umstände nicht mehr weiterhin einfach zu übergehen, weil sich auf diese Weise jedes offensichtliche Fehlurteil aufrechterhalten ließe! Gleichwohl wur- den sämtliche Hinweise auf erwiesene Fehler, Irrtümer und Unterlassun- gen auch weiterhin einfach totgeschwiegen, so daß auch die letzte Ent- scheidung von General Handy (August 1951) von offensichtlich falschen Voraussetzungen ausgeht. Schon der zu Anfang 1948 von Dr. Leer vorgelegte 1. Band mit neuem Beweismaterial widerlegt die Anklage in zahlreichen Einzelpunkten und

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gibt ein absolut eindeutiges Bild von der rechtswidrigen Untersuchungs- führung. Insbesondere wird hier erneut der Nachweis erbracht, daß die statements von Schwäbisch-Hall keinerlei Beweiswert haben können. Dieser 1. Band lag am 1. Februar 1948 bei Review Board of Judge Advocate Office vor, also bei der Behörde, welche das Dachauer Urteil für die Entscheidung durch den Gerichtsherrn, General Clay, zu begut- achten hatte. Es waren durch Review Board schon mehrere Gutachten erstellt worden, die aber wieder verworfen worden waren. Das endgültige Gutachten trägt das Datum vom 2. Februar 1948 und wurde zur Grundlage der Entscheidung durch General Clay vom 20. März 1948, rechtswirksam mit dem 10. April. Die am 1. Februar vorgelegten Beweismittel des Verteidigers Dr. Leer fanden dabei keine Berücksichtigung, ebensowenig wie seine folgenden Eingaben mit weiteren Beweismitteln jemals die Beachtung oder auch nur eine Stellungnahme der verantwortlichen Behörden und Persönlich- keiten in deren späteren Entscheidungen gefunden haben : sie sind bis heute totgeschwiegen. Trotz Nicht-Beachtung der neuen Beweismittel weicht das Gutachten von Review Board vom 2. 2. 48 schon sehr erheblich vom Urteil des Dachauer Gerichtshofes ab : Die psychologisch und verfahrensmäßig schwierige Lage der Angeklag- ten und der Verteidigung wird anerkannt; die Gesetzwidrigkeit der Methoden der Voruntersuchung und die Schwäche des Beweiswertes der schriftlichen statements werden aner- kannt. In mehreren Fällen wird anerkannt, daß von der Anklage Beweismittel vorgelegt wurden, die als falsch und ungeheuerlich zu erkennen seien und der Absicht entspringen, jede mögliche Quelle für Beweise ohne Rück- sicht auf ihre Wahrheit auszugraben und auch zu verwenden. Die Fehlerhaftigkeit mehrerer Entscheidungen des Gerichts wird eben- falls anerkannt. General Clays Entscheidung vom 20. 8. 48 bringt folgende Änderung ge- genüber dem ursprünglichen Urteil :

ursprünglich : 2 20-jährige Haftstrafen 43 Todesurteile 1 15-jährige Haftstrafe 22 lebenslängl. Haftstrafen 5 10-jährige Haftstrafen

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am 20. 3. 48 : 9 20-jährige Haftstrafen 12 Todesurteile 15 15-jährige Haftstrafen 15 lebenslängl. Haftstrafen 6 10-jährige Haftstrafen 2 25-jährige Haftstrafen 1 7-jährige Haftstrafe Für 13 Verurteilte wird das ursprüngliche Urteil völlig aufgehoben und

4 ursprünglich zum Tode Verurteilte, 8 ursprünglich zu lebenslänglich und 1 ursprünglich zu 10 Jahren Verurteilter

am 10. 4. 1948 freigelassen. Diese Entscheidung darf wohl als ernste Kritik am ursprünglichen Urteil angesehen werden. Dabei hat General Clay aber noch solche Urteile be- stätigt, die das Gutachten vom 2. Februar als nicht gerechtfertigt be- zeichnet. Es gibt in dieser Entscheidung den Fall, daß derselbe behauptete Tat- bestand für den einen Verurteilten zur Freilassung und für den andern zur Bestätigung des Schuldspruchs führte. Grundsätzlich als auch in einigen bestimmten Fällen hatte das Gutachten von Review Board den mangelnden Beweiswert der statements anerkannt — trotzdem basieren die Urteilsbestätigungen auf eben solchen erpreßten statements : Alle nicht direkt und umfassend widerlegten statement-Aussagen aus der Voruntersuchung sind als Grundlage einer für den Betroffenen denkbar ungünstigen Auswertung in Betracht gezogen. Sie sind bis heute die Grundlage für den seit 20. 3. 1948 nicht mehr angetasteten Schuldspruch. (Inzwischen erfolgte Strafherabsetzungen sind reine Gnadenakte.) Der Schuldspruch ist res iudicata; unangetastet und unverändert ist er geblieben, trotz der direkten und wesentlichen Gegenbeweise, die Dr. Leer ihm entgegenstellt. Anstatt die Zweifel aufzuklären, hat die Entscheidung vom 20. 3. 1948 die Zweifel verschärft. 12 Todesurteile waren bestätigt worden : Als letzten möglichen Schritt erhob W. M. Everett im Namen der Ver- urteilten beim Obersten Bundesgericht der USA Berufungsklage wegen gesetzwidriger Gefangenhaltung der Verurteilten und beantragte die An- wendung der habeas corpus-Akte (Freilassung zwecks unvoreingenomme- ner Prüfung des wahren Sachverhalts). Begründet wird die Berufungsklage durch die zahlreichen schwerwie- genden Rechtswidrigkeiten und Verfahrensfehler, die dem Prozeß anhaf-

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ten und nach allgemein anerkannten Grundsätzen das gesamte Verfahren nichtig machen. Die Berufungsklage kennzeichnet das Verfahren als unvereinbar mit amerikanischen Rechtsbegriffen und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Untersuchungsbeamten und das Gericht. Das Oberste Bundesgericht hat sich für nicht zuständig erklärt. Somit blieb die US-Armee allein zuständig und voll verantwortlich. Für den 20. Mai 1948 befahl General Clay die Vollstreckung der 12 von ihm bestätigten Todesurteile. Am 19. Mai erging telegraphischer Befehl von Staatssekretär für die US- Armee Royall, wonach die Vollstreckung auszusetzen sei bis zum Abschluß einer durch ihn beabsichtigten Überprüfung aller noch nicht vollstreckten Todesurteile der Dachauer Gerichtshöfe. Der 20. Mai ging in Dachau still vorüber. Ende Juli traf in München eine dreiköpfige Kommission unter Vorsitz von Richter Simpson ein mit dem Auftrag von Staatssekretär Royall, bis 15. 9. 1948 die 139 von Dachauer Gerichtshöfen ausgesprochenen, von General Clay bestätigten aber noch nicht vollstreckten Todesurteile zu überprüfen. Die Kommission hat auf Grund des Studiums der Akten und nach Anhörung hoher deutscher Geistlicher und einiger Anwälte die Ab- änderung von 29 der 139 Todesurteile empfohlen. Unter diesen 29 waren auch die 12 bestätigten Todesurteile aus dem Malmedy-Prozeß. In diese Auseinandersetzungen hatten seit Frühjahr 1948 deutsche Bi- schöfe eingegriffen. Aus der inneren Verpflichtung zum Eintreten für Recht und Gerechtigkeit und in dem Bemühen um die Schaffung geord- neter Rechtsverhältnisse haben sie gegen die bewiesenermaßen gesetz- widrigen Untersuchungs-Methoden protestiert und haben gewarnt vor der Gefahr von Justizmorden auf Grund von Urteilen, die sich auf äußerst zweifelhafte Beweismittel stützen. Sie hatten u. a. die von Dr. Leer, München, vorgelegten Beweismittel bezgl. der Untersuchung im Malmedy- Prozeß kennengelernt, während es noch heute bezweifelt werden muß, ob diese Beweismittel jemals General Clay oder General Handy vorgelegen haben. Landesbischof D. Wurm forderte Untersuchung und Berücksichtigung der „abscheulichen Untersuchungsmethoden, die jeder Beschreibung spotten“. Er forderte geordnete Bearbeitung des nach der Hauptverhandlung er- brachten Beweismaterials und verlangte schließlich nachdrücklich die Schaffung einer Berufungs-Instanz für Kriegsverbrecherprozesse. Bischof Dr. Neuhäusler hat mehrfach zugunsten der Verurteilten interve-

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niert, weil nach seiner Kenntnis des gesamten Beweismaterials das Dachauer Urteil vom 16. 7. 1946 sowie die Entscheidung vom 20. 3. 1948 jeglicher Rechtsgrundlage entbehren. Kardinal Frings hat gewarnt vor der Gefährdung aller Bemühungen um die Herstellung geordneter Rechtsverhältnisse in Deutschland durch die Dachauer Urteile. Er stellte fest, daß durch sie die Bestrebungen zur Völ- kerversöhnung um Jahre zurückgeworfen wurden. Nach Abgabe des Gutachtens der Kommission Simpson Mitte September 1948 ging die weitere Bearbeitung und Entscheidung zurück in die Zu- ständigkeit des Militärgouverneurs in Deutschland, General Clay. Er hat am 12. 10. 1948 den sofortigen Beginn der Vollstreckung der 110 (139 ab- züglich 29 zur Abänderung empfohlene) Todesurteile in Gruppen zu je 10 pro Woche in Landsberg befohlen. Um den 20. Oktober 1948 erging eine Anordnung von ihm, wonach die Hinrichtung der 12 zum Tode Verurteilten aus dem Malmedy-Prozeß und von 33 zum Tode Verurteilten aus anderen Prozessen bis zum Abschluß einer durch ihn angeordneten Überprüfung auszusetzen sei. Unbeirrt durch die sofort einsetzenden Proteste und Warnungen ließ Ge- neral Clay die Exekutionen ausführen und ebenso unbeirrt wurden für die von der Exekution zurückgestellten Fälle die alten Akten neu geprüft. Um die Jahreswende erfolgten dann auch die Hinrichtungen in 6 von den 29 Fällen, die seitens der Kommission Simpson zur Abänderung empfohlen waren. Die 12 Fälle aus dem Malmedy-Prozeß kamen im Januar 1949 zur Neu- Überprüfung der Akten. In den USA rang W. M. Everett um weiteren Aufschub und um die Ver- hinderung der Vollstreckung der Malmedy-Todesurteile. Angesehene Per- sönlichkeiten in Washington und anderen Orten in den Vereinigten Staaten stellten sich Everett zur Seite, um im Senat auf die Gefährdung des Ansehens der USA durch die Fortführung der Vollstreckung zweifel- hafter Todesurteile hinzuweisen. Senator W. Langer erwirkte im Januar 1949 einen Senatsbeschluß, wonach die amerikanische Militärgerichtsbarkeit in Deutschland überprüft werden sollte. Der Beschluß war auf Grund der Feststellungen in Everetts Beru- fungsklage, auf Grund des Berichts der Simpson-Kommission und auf Grund des Beweismaterials von Dr. Leer über die Voruntersuchung im Malmedy-Fall gefaßt worden. Am 4. 3. 1949 sah sich General Clay zu einer Äußerung über die „Prakti- ken“ veranlaßt, die bei der Untersuchung zum Malmedy-Fall angewandt

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worden seien und manchmal ‚das Maß der Geeignetheit überschritten‘ hätten. Am 16. 3. 1949 gab Staatssekretär Royall bekannt, er habe General Clay angewiesen, kein Todesurteil im Malmedy-Prozeß vollstrecken zu lassen, ehe er, Staatssekretär Royall Gelegenheit gehabt haben werde, die Fälle seinerseits persönlich zu überprüfen. Er bat General Clay um beschleu- nigte Vorlage des Ergebnisses seiner Prüfung. In der Zeit vom 17. 3. bis 8. 4. 1949 hat General Clay das Ergebnis seiner persönlichen Überprüfung veröffentlicht : Von den 12 im März 1948 von ihm selbst bestätigten Todesurteile hat er 6 erneut bestätigt und 6 in lebenslängliche Haftstrafe abgeändert. Als Unterlagen für seine Überprüfung lagen ihm der Bericht der Simpson- Kommission vom September 1948 und der Bericht der ihm unterstellten Revisionsbehörde über die Unregelmäßigkeiten in der Voruntersuchung vor neben den eingehenden Gutachten über die zwölf Einzelfälle von Colonel Harbaugh (Judge Advocate, EUCOM). Die Gutachten von Colonel Harbaugh stellen Beweismittel der Anklage und der Verteidigung, Gründe für und gegen eine Abänderung der Urteile gegenüber und geben äußerlich das Bild einer sehr gerechten Abwägung; aber die statements von Schwäbisch Hall sind nach wie vor als Beweis- mittel anerkannt. Es wird wohl in mehreren Fällen eingeräumt, daß Ge- ständnisse mit Gewalt erpreßt wurden, aber die Tatsache, daß bewußt falsche Geständnisse und Anschuldigungen erpreßt worden sind, wird übergangen. Nur dort, wo einem statement von Schwäbisch Hall quanti- tativ überlegenes Gegenbeweismaterial gegenübersteht, wird die Möglich- keit offengelassen, daß der Inhalt des statements falsch sein könnte. So stellen diese Gutachten ein rein quantitatives Abwägen der vorliegen- den Schriftstücke dar und mehr können sie auch nicht sein ohne Kenntnis der Menschen, um die es sich dabei handelt, und ohne Kenntnis der wah- ren Vorgänge, die bis heute noch ungeklärt sind. Die zwischen 17. 3. und 8. 4. 1949 der Presse ausgehändigten abschließen- den Berichte von General Clay mit Entscheidung und Begründung sind die ersten Begründungen, die in diesem Prozeß für eine Entscheidung überhaupt gegeben wurden. Es ist kühn, wie hier mit den Beweismitteln verfahren wird! Z. B. : Der Verurteilte Bersin bekam Zähne ausgeschlagen und trägt Zahn-Prothese; der Untersuchungsbeamte Ellowitz hat unter Eid ausgesagt, gegen Bersin sei keine ungewöhnliche Behandlung angewandt worden. Folgerung : we- nig ernste Begründung für Bersins Beschwerde über Gewaltanwendung.

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Insonderheit gegen Diefenthal und Peiper sind sehr fragwürdige Belastun- gen für die Clay’sche Entscheidung maßgeblich. „Es scheint“, „es ist ein- leuchtend“, „ich zweifle nicht“, „mir ist unfraglich“ heißt es dort und man vermißt die Feststellung „hierdurch ist bewiesen“, weil gegen diese beiden Verurteilten noch nicht einmal mehr eine direkte, subjektive Schuld be- hauptet wird, geschweige denn ein Schuldbeweis möglich ist. General Clay hat mit seinen gutachtlichen Entscheidungen die Bearbei- tung des Malmedy-Prozesses für seine Person abgeschlossen. Staatssekretär für die Armee Royall gab im März bekannt, daß er die ge- samten Akten des Malmedy-Prozesses einem Unterausschuß des Senats zur Verfügung gestellt habe, um diesem Ausschuß eine Überprüfung und maß- gebliche Stellungnahme zu ermöglichen. Ende April wurde Staatssekretär Royall selbst vor dem Ausschuß gehört. Auf die Frage eines Senators, was er von den Berichten über Schwäbisch Hall halte und was in der Sache geschehen solle, erwiderte Royall, er könne im Augenblick zu keinem Schluß kommen : auf der einen Seite billige er persönlich Folterungen nicht. Auf der anderen Seite meinte er, könne es manche Leute im Lande geben, die in ein Wutgeheul ausbrechen würden, wenn die Verurteilungen umgestoßen würden. „Ich bin damit einverstanden, daß der Kongreß die Verantwortung dafür übernimmt, mir zu empfehlen, welche Entscheidungen ich bezüglich der sechs schwe- benden Todesurteile treffen soll.“ Der Senatsausschuß hatte jedoch lediglich die Vorwürfe gegen die Unter- suchungsbeamten von Schwäbisch Hall : Major Fanton, Lt. Col. Ellis und deren Mitarbeiter Shumacker, Byrne, Perl, Thon, Ellowitz und Kirsch- baum zu prüfen, und nicht über die Todesurteile zu befinden. Nach Debatten über die Zuständigkeit wurde Senator Baldwin mit der Führung des Ausschusses beauftragt. Senator McCarthy erklärte am 20. Mai seinen Austritt aus dem Ausschuß und erklärte, dieser Ausschuß ziele nur darauf ab, die in die Malmedy-Affäre verwickelten Offiziere und Beamten reinzuwaschen. Am 26. Juli stellte McCarthy in einer wei- teren Rede vor dem Senat fest, Senator Baldwin sei befangen, da der Urheber der Schwäbisch Haller Methoden, Fanton, Anwaltspartner von Baldwin sei. Auch der schwer belastete Shumacker sei mit einem Mitglied der Kommission, dem Senator Kefauver, assoziiert. Trotz ihrer Befangen- heit habe die Kommission es abgelehnt, zurückzutreten. Mehrere Monate lang hat die Baldwin-Kommission in den USA und in Deutschland Vernehmungen über die Vorgänge in Schwäbisch Hall durch- geführt. Das Protokoll umfaßt 1600 Druckseiten; es hinterläßt keinen

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Zweifel mehr an der Berechtigung der Vorwürfe gegen die Prozeßfüh- rung : die von Dr. Leer vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen über Schwäbisch Hall werden hier inhaltlich bestätigt, wenn auch die beschul- digten Beamten ihre Praktiken zu bagatellisieren versuchten. Am 14. Oktober 1949 wurde der vom Protokoll unabhängige summarische Schlußbericht der Baldwin-Kommission vor dem US-Senat verlesen. Er fälscht das Bild durch Wortklaubereien und sprachliche Finten und ver- meidet klare Antworten auf die der Kommission gestellten Fragen. Hier einige Sätze aus dem Bericht : „Dr. E. Knorr, ein privater Zahnarzt, hatte in einer eidesstattlichen Er- klärung bekundet, daß er 15—20 Malmedy-Gefangene wegen Mundver- letzungen behandelt habe, bei denen es sich um ausgeschlagene Zähne und um einen Unterkieferbruch handelte. Seine Assistentin bemühte sich, die eidesstattliche Erklärung Dr. Knorr’s zu bestätigen. Aber die speziellen ärztlichen Berichte seien einige Jahre nach der Behandlung vernichtet worden.“ „Der Unterausschuß ist der Meinung, daß es wenige oder gar keine Be- weise gibt, die den Schluß nahe legen, daß körperliche Mißhandlungen vorgekommen sind.“ „Wenn die Erklärungen von Dietrich Schnell der Wahrheit entsprechen, dürften sie die Vermutung sehr nahe legen, daß alle in den verschiedenen Beschwerden aufgestellten Beschuldigungen zutreffen.“ „Der Unteraus- schuß ist überzeugt, daß Schnell wegen seiner Nazi-Bindungen ein äußerst befangener Zeuge war.“ „Die amerikanischen Beamten Bailey, Tiel und Sloane wiesen in ihren Zeugenaussagen darauf hin, daß sie Vorkommnisse beobachtet haben, die offenbar die Behauptungen der verurteilten Angeklagten bestätigten. Auf der anderen Seite aber sagten Lt. Col. E. J. Carpenter und sein Dol- metscher Paul G. Guth als Zeugen aus : das Ergebnis ihrer Vorunter- suchung (1946) bezüglich der dem Hauptverfahren vorausgegangenen kör- perlichen Mißhandlungen unterstützt in keiner Weise jene Behauptungen.“ „Der Unterausschuß gibt zu, daß es in vereinzelten Ausnahmefällen Gele- genheiten gegeben haben mag, bei denen einzelne Personen geohrfeigt, herumgestoßen oder möglicherweise auch geschlagen wurden. Der Unter- ausschuß ist überzeugt, daß — wo dies der Fall war — es die unverant- wortliche Handlung einer Einzelperson war.“ „Es ist kein ausreichender Beweis dafür vorhanden, daß körperliche Miß- handlungen der angegebenen Art irgendwelche Personen so beeindruckt hätten, daß dies den Ausgang der Untersuchung beeinflußt haben könnte.“

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„Vor dem Senatsausschuß sagten auch Angehörige des Untersuchungs- stabes für Kriegsverbrechen als Zeugen aus, die zwar zugestandenermaßen unmittelbar interessierte Zeugen sind, deren Aussagen aber eindringlich und überzeugend abgefaßt waren.“ „Einer der Punkte, über den der Senatsausschuß überaus bestürzt war, ist die Zusammensetzung des Personals, das sowohl in der Voruntersuchung als auch bei der Rechtsprechung Verwendung fand.“ Über die Verdrehung der eigenen protokollierten Feststellungen hinaus erneuert der Bericht die allenfalls noch 1946 begreifliche Hetze gegen die Verurteilten, erneuert die Anklagebehauptungen in einem von der ameri- kanischen Review-Behörde längst als unwahr erkannten Umfange, umgeht eine präzise Erfüllung des Auftrages der Kommission und bemüht sich, all die Personen schlecht zu machen, die gegen das Unrecht von Schwäbisch Hall aufgetreten sind. Diesen Personen, Deutschen und Amerikanern, wird vorgeworfen, mit den Sowjets zu sympathisieren und die Sache des Frie- dens sowie die Interessen der USA zu schädigen. Damit glaubte die Baldwin-Kommission die Herren Fanton, Ellis, Perl usw. am sichersten vor weiteren Belästigungen zu schützen. Die Debatte über Verfahrensfehler im Malmedy-Prozeß war amtlicherseits abge- schlossen. Dr. R. Aschenauer, München, hat sich in Erkenntnis der Rechtslage seit Anfang 1949 an der Verteidigungsarbeit im Malmedy-Fall beteiligt. Er hat erkannt, daß die für die Greuel von Schwäbisch Hall verantwortlichen Personen alles daransetzen, den Prozeßverlauf und die Beweislage im Dunkeln zu halten. Mit beachtlichem Erfolg, insbesondere in den USA und gegenüber den hohen verantwortlichen amerikanischen Amtsträgern, halten sie an der Version des „Malmedy-Massakers“ fest, an den „hartge- sottenen Veteranen einer fanatisierten Truppe“, die „kaltblütig wehrlose Gefangene morden und Zivilpersonen erschlagen“. Das eigene schlechte Gewissen veranlaßt diese Menschen, auch heute noch indirekt ihre Opfer von Schwäbisch Hall unter Terror zu halten, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Dr. Aschenauer hat in seiner Schrift „Um Recht und Wahrheit im Mal- medy-Fall“, Februar 1950, den Baldwin-Bericht in seinen verdrehten Fest- stellungen und abwegigen Schlußfolgerungen widerlegt. Indessen haben nun einmal die Mißachtung von Recht und Gesetz in der Untersuchungsführung und die Abdeckung von Rechtswidrigkeiten durch das juristische Mitglied des Gerichts in eine Sackgasse geführt, aus der nur eine entschlossene Umkehr einen Ausweg hätte bahnen können.

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Die Scheu vor solcher Umkehr war zu stark : anstatt den klar bestimmten, kleinen Kreis von beschuldigten Personen zu eliminieren, hat die US- Armee in den ausschließlich auf diesen kleinen Kreis bezogenen Vor- würfen eine Gefährdung ihres Prestiges gesehen. Dabei ist es gerade den Verteidigern im Malmedy-Prozeß absolut klar, daß nur die echte, alt- amerikanische Auffassung von Recht und Fairneß den Verurteilten zu ihrem Recht verhelfen kann. Viele amerikanische Soldaten und Juristen stehen mit ihrer Auffassung auf der Seite jener Offiziere, die sich von jeher für die Wahrheit im Malmedy-Fall eingesetzt haben. Ihnen ist es unfaßlich, daß sich immer wieder und immer noch das Lügengebäude von Männern behaupten kann, denen altüberkommene, amerikanische Rechtsauffassung noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sein kann, weil ihr Einwanderungsdatum noch zu frisch ist. Gewiß : der Malmedy-Fall ist überprüft worden und er ist oft überprüft worden. Aber bis heute gab es keine Überprüfung, die losgelöst von den Dachauer Akten unvoreingenommen die Menschen und ihr tatsächliches Verhalten geprüft hätte. Und außerdem blieb das Beweismaterial der Ver- teidigung unberücksichtigt! Gewiß : man hat auch die Menschen betrachtet und man hat mehrfach ihre korrekte Haltung, ihre klaren Angaben, ihren guten Gesamt-Eindruck her- vorgehoben. Aber die Akten von Schwäbisch Hall behalten ihre Wirk- samkeit! Gewiß : General Handy hat es gewagt, am 31. 1. 1951 die letzten Todes- urteile aus dem Malmedy-Prozeß in lebenslängliche Haftstrafen abzuän- dern. Er ist deswegen in der US-Presse heftig angegriffen worden. General Handy hat dann im Juli 1951 alle übrigen Einzelfälle durch den Modification Board überprüfen lassen. 20 Minuten hatte jeder Verurteilte Zeit, seinen Fall vorzutragen oder durch den Anwalt vortragen zu lassen. Aber es ging nicht um eine Prüfung der Schuldfrage — lt. Potsdamer Abkommen hat sie unangetastet zu bleiben —, geprüft wurde die Möglich- keit, im Gnadenwege Strafherabsetzungen verfügen zu können. In 31 Fällen ist das geschehen, jedoch in einem für den Einzelnen wenig bedeutsamen Maß. Schließlich wurden zu Weihnachten 1951 noch sechs Mann aus dem Malmedy-Fall entlassen, deren Zeit im Januar 1952 abgelaufen ist. (In Landsberg findet die amerikanische Strafvollzugsordnung Anwendung, die es erlaubt, Strafgefangene bei guter Führung nach Ablauf von ¾ der eigentlichen Strafzeit zu entlassen.)

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Gewiß : die Strafzeiten werden kürzer, die Zahl der Strafgefangenen aus den Kriegsverbrecherprozessen wird kleiner. Aber darum geht es nicht. Es geht nicht um die Frage, ob 73 gefangen gehalten werden oder 41. Es geht nicht um die Frage, ob einer lebens- länglich oder 25 Jahre gefangen gehalten wird. Es geht um die Tatsache, daß deutsche Soldaten als Kriegsgefangene durch körperlichen und seelischen Zwang zu unwahren Geständnissen gepreßt wurden. Daß sie, des rechtlich schützenden Status von Kriegsgefangenen entkleidet, in einem Monstreprozeß unter Verhinderung einer geordneten Verteidigung von einem nicht zuständigen Gericht verurteilt wurden, ohne jemals schriftlich oder mündlich eine Begründung dieses Urteils zu er- fahren. Es geht um die Tatsache, daß die während und nach der Hauptverhandlung ordnungsgemäß und wiederholt vorgelegten Beweismittel, dazu ständige, nicht zu übersehende Hinweise der Verteidigung auf längst geklärte Um- stände, auf gröbste Fehler und Irrtümer, sowie auf das Verschweigen erwiesener Tatsachen nicht berücksichtigt wurden —, daß ohne Rücksicht auf die Erkenntnis der Mängel des Verfahrens und der Unwahrheit der Anklage der Schuldspruch in allen Einzelfällen unangetastet geblieben ist. Es geht um die Tatsache, daß ehemalige deutsche Soldaten gegen Recht und Gesetz eingekerkert wurden, ohne daß ihnen eine wahre Schuld be- wiesen wurde, und noch gefangen gehalten werden 3 Jahre nach der Vor- lage des Beweises ihrer Schuldlosigkeit. Es geht um die Tatsache, daß diese Menschen sich aufgerieben haben in sieben Jahre andauerndem Hin- und Hergerissenwerden zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Apathie und Verzweiflung; daß mit ihnen Mütter und Frauen gequält werden; daß alte Eltern und Kinder Not leiden, weil 1946 nicht das Recht gesucht, sondern Rache geübt wurde. Gewiß, es sind nicht Viele angesichts der millionenfachen Not um uns her. Es sind noch keine 100 Männer, diese „Malmedymen“, deren innere Kraft kaum mehr ausreicht zum Durchhalten; es sind noch keine 50 Familien, deren Notlage verschärft ist durch ein Urteil, das nichtig ist nach inter- nationalem Rechtsbrauch. Aber daß jene Rechtsbrüche hier im Westen geschehen sind, — daß hier im Bereich der Charta der Menschenrechte bestimmten Menschen alles und jedes Recht abgesprochen wird, — daß erkanntes Unrecht Tag für Tag und Jahr um Jahr erneuert wird, — daß es so leicht wäre, dieses Unrecht zu beheben und daß es trotzdem fortbestehen soll, — daß eine mutige Bereinigung so ganz im Sinne der guten Worte liegen würde, die unsere

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Leitsterne sein sollen — das verpflichtet nach unserer Meinung jedermann, für eine Bereinigung einzutreten. Der Hochkommissar McCloy hat am 17. Dezember 1951 in Stuttgart er- klärt :

„Dies ist nicht die Zeit, zynisch oder skeptisch zu sein. Es ist die Zeit für positive Entschlüsse und Taten. Wenn Sie an den hohen Gedanken- gängen und Idealen Ihrer großen Dichter und Denker festhalten, dann ist die Zukunft der Bundesrepublik und schließlich eines wiederver- einten Deutschlands innerhalb einer großen, wohlhabenden und fried- lichen europäischen Gemeinschaft gesichert.“

Ja, wir sind trotz allen Schicksalsschlägen noch fähig zu positiven Ent- schlüssen und würden gerne offenen Auges und aufrichtigen Herzens ein- schlagen in freimütig entgegengestreckte Hände, weil wir nur zu gut die tödliche Gefahr kennen, die freiheitlicher Lebensauffassung droht, und weil wir nur zu gut wissen, daß die Verständigung und Zusammenarbeit der westlichen Völker die Voraussetzung für ihr Weiterleben bedeutet. Aber erkanntes Unrecht darf nicht weiterbestehen, wenn die Verständi- gung echt sein und zu fruchtbarer Zusammenarbeit führen soll. Die Luft muß frei sein von Haß und frei von Zweifeln. Das ist sie noch nicht und deshalb funktioniert auch noch keine Zusammenarbeit so, wie es auf beiden Seiten des Atlantik gewünscht wird. Wir sollen unsere Skepsis aufgeben. Ja, das wollen wir und wir freuen uns auf eine Zeit, in der wir uns bei der Arbeit leiten lassen können von dem uns angeborenen Optimismus. Wie stark dieser Optimismus ist, be- weist die Tatsache, daß wir 1946 daran geglaubt haben, daß das Urteil im Malmedy-Prozeß eines Tages doch noch revidiert würde. Unsere Skepsis ist trotz allem so schwach geblieben, daß wir immer gehofft haben und noch darauf hoffen, daß wahres amerikanisches Rechtsempfinden stärker sein wird als der unamerikanische Haß, der die Malmedy-Männer nach Schwäbisch Hall, nach Dachau und nach Landsberg geführt hat. Gerne wollen wir von unserer Skepsis ablassen, wenn in dieser Malmedy-Sache nun endlich nach 6 Jahren entschlossen gehandelt und der Weg für das Recht freigemacht wird. Wir wissen, daß wir nicht warten sollen, bis alles von oben befohlen wird. Eine klare Stellungnahme zu der Frage :

„Wie lange noch Malmedy-Männer in Landsberg?“

erleichtert die Entscheidung an den Stellen, die verantwortlich sind für den bisherigen Verlauf und für die Folgen in der Zukunft.

Für diese elektronische Auflage wurden die folgenden Korrekturen vorgenommen : (Seite, Zeile) 19, 9 : Maudhausen — Mauthausen 23, 29 : strategem — stratagems 23, 31 : uses — used 28, 30 : Shoemaker — Shumaker