14
DER MYTHOS EINES VÖLKERMORDES eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschen Rolle in Geschichte und Gegenwart der „Armenischen Frage“ Cem Özgönül (Mit einem Vorwort von Dr. Udo Witzens) Önel Verlag Leseprobe armenianquestion.org

Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Der Mythos eines VölkermordesEines kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschen Rolle in Geschichte und GegenwartCem Özgönül, mit einem Vorwort von Udo WitzensLeseprobe2. Auflage 2006

Citation preview

Page 1: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

DER MYTHOS EINES VÖLKERMORDES

– eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie derdeutschen Rolle in Geschichte und Gegenwart der

„Armenischen Frage“

Cem Özgönül

(Mit einem Vorwort von Dr. Udo Witzens)

Önel Verlag

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 2: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Der Mythos eines Völkermordes -eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschenRolle in Geschichte und Gegenwart der „Armenischen Frage“

ISBN-Nr.: 3-933348-93-5Best.-Nr.: Ö89352. Auflage 2006

Herausgeber: Cem ÖzgönülAlle Rechte vorbehalten© Copyright Cem Özgönül

Der Inhalt dieses Buches gibt ausschließlich die Ansichten und Meinungen des Autors undHerausgebers wieder.

Gesamtherstellung: Önel Druck & Verlag – Köln

Vertrieb:Önel-VerlagTelefon: 0221/ 5879084Telefax: 0221/ 5879004

2

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 3: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Inhaltsverzeichnis

- VORWORT DR. UDO WITZENS......................................................9

I. VORWORT DES AUTORS UND EINLEITUNG .........................24I.1. DIE ARGUMENTATIVE FUNKTION DES VORWURFS DER LEUGNUNG..............55I.2. EIN LEBEN ALS „ANWALT DES ARMENISCHEN VOLKES“ – BIOGRAPHISCHE

ANMERKUNGEN ZU JOHANNES LEPSIUS........................................................61

II. DIE GRUNDLAGEN DER GENOZIDTHESE.............................89II.1. DIE BRITISCHEN QUELLEN..................................................................90II.2. US-AMERIKANISCHE QUELLEN............................................................94II.3. DIE ANDONIAN-DOKUMENTE............................................................102II.4. HINTERGRÜNDE DER „WIEDERAUFERSTEHUNG“ VON „DEUTSCHLAND UND

ARMENIEN 1914-1918“.........................................................................106

III. HINTERGRÜNDE DER LEPSIUS-MANIPULATIONEN......115III.1. DER MYTHOS DER LOYALITÄT UND DES „WIDERSTANDES“.................121III.2. DER MYTHOS VON DEN „1,5 MILLIONEN TOTEN“.............................156

III.2.1. Die Zahl der osmanischen Armenier zum Zeitpunkt desKriegsausbruchs............................................................................157III.2.2. Die Zahl der am Leben befindlichen Armenier im letztenKriegsjahr......................................................................................176

III.2.2.1. Brief des Vorstandes der Deutsch-ArmenischenGesellschaft vom 6. Januar 1918 an den Reichskanzler............177

III.3. DER MYTHOS DES SINGULARISIERTEN LEIDS......................................213III.4. DAS VERMEINTLICHE MOTIV: DER MYTHOS DES RASSISTISCH BEDINGTEN

VÖLKERMORDES.....................................................................................222III.4.1 Das Grundsatzprogramm der Jungtürken von 1908 –„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“..........................................225

IV. DIE GESICHTER DES JANUS – ODER WENN GESCHICHTEIHREN LAUF NIMMT: VOM „HEGELSCHEN WELTGEIST“UND SICH SELBST ERFÜLLENDEN PROPHEZEIUNGEN......254

IV.1. DER PROLOG: ARTIKEL 16 DES ABKOMMENS VON SAN STEFANO UND

ARTIKEL 61 DER SCHLUSSAKTE DES BERLINER KONGRESSES VON 1878.........258

6

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 4: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

IV.2. DEUTSCHE ORIENTPOLITIK IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN

WIEDERERLANGTEM OSMANISCHEN SOUVERÄNITÄTSBEWUSSTSEIN UND

ARMENISCHEN UNABHÄNGIGKEITSBESTREBUNGEN.........................................265IV. 2.1. Die logische Folge: Das Wiederaufflammen der„armenischen Frage“ als Hebel für die endgültige Zerschlagungdes Osmanischen Reiches .............................................................266IV.2.2. Wechselwirkung zwischen russischem Druck und Auftriebfür die armenischen Maximalisten.................................................270

IV.3. ZWISCHEN RUSSISCHEM DRANG NACH SÜDEN UND DEM BRITISCHEN DRANG

NACH OSTEN: WILHELMINISCHES DEUTSCHLAND UND OSMANISCHES REICH ALS

NATÜRLICHE VERBÜNDETE.......................................................................274IV.4. DIE BAGDADBAHN.........................................................................280

IV.4.1. Die Diagonale der deutschen „drei-B-Achse“ (Berlin-Bosporus-Bagdad) als Keil für die horizontale britische „zwei-K-Achse“ (Kairo-Kalkutta)...............................................................280

IV.5. DEUTSCHLANDS ETHNISCHE PARZELLISIERUNGSPOLITIK GEGENÜBER

RUSSLAND IM ALLGEMEINEN SOWIE IM KAUKASUS IM BESONDEREN ...............281IV.5.1. Das kaukasische Manganerz: Der Traum von einerweltweiten Monopolstellung der deutschen Stahlindustrie...........282Exkurs: Die Wegner-Photographien.............................................285

V. DIE BEHANDLUNG DER "ARMENISCHEN FRAGE" IMSPANNUNGSFELD ZWISCHEN AKTUELLER POLITIK UNDGESCHICHTSWISSENSCHAFT.....................................................294

VI. ZWISCHENFAZIT.......................................................................306VI.1. WIE VERLÄSSLICH SIND DIE DEUTSCHEN DOKUMENTE?........................307VI.2. DER MYTHOS EINES VÖLKERMORDES – RUFMORD GEGENÜBER DER WÜRDE

EINER NATION........................................................................................311

ANHANG UND VERZEICHNISSE..................................................313- VERZEICHNIS DER VERWENDETEN ARCHIVE..............................................313- LITERATURVERZEICHNIS.........................................................................315- VERZEICHNIS ZEITSCHRIFTEN, AUFSÄTZE UND INTERNETQUELLEN................318- NAMENSVERZEICHNIS...........................................................................319

7

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 5: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Exkurs: Die Wegner-Photographien

Es gibt – und dies mag den interessierten und mit der Materieeinigermaßen vertrauten Leser nun überraschen - nicht einmal pho-tographische Abbildungen der behaupteten Ereignisse. Ob im Internetoder in der gedruckten Presse; allenthalben trifft man auf diePhotographien des Armin T. Wegner, der, so die Legende, vorgeblich alsSanitätsoffizier unter Feldmarschall von der Goltz Gelegenheit gehabt

285

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 6: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

habe, in den betreffenden Regionen das Grauen photographisch zudokumentieren. Diese Bilder kursieren seit nunmehr neunzig Jahrenüberall auf der Welt und dürfen auf keiner „Genozidgedenkveran-staltung“ fehlen. Indes ist ihre Authentizität mehr als fraglich. Nachdem Krieg aus der Türkei zurückgekehrt, nahm der frühere deutscheKonsul in Aleppo, Walter Rössler, am 24. März 1919 an einem vonArmin T. Wegner gehaltenen Vortrag über die „armenische Frage“ imBerliner Urania-Theater teil, in dessen Rahmen Wegner auch eine Dia-Präsentation mit den besagten Photographien vorführte. Aus RösslersProtokoll für das Auswärtige Amt sei hier folgende Passage aus-zugsweise zitiert:

„[…]Ehe der Vortragende zur Vorführung der Lichtbilder überging,die den größten Teil des Abends einnahmen, erklärte er, dassihm seine eigenen Photographien größtenteils verdorbenseien und das er dafür solche von früheren Massakreszeigen werde.[…]“380

Laut Rössler erklärt Wegner also selber, dass jene bis in unsere Tageweltweit als Photodokumentation eines Genozids kursierenden Pho-tographien weder seine eigenen, noch in jenem Zeitraum entstandenseien, dem sie bis heute zugeordnet werden, sondern solche von „frü-heren Massakres“. Seine eigenen – so er denn tatsächlich welche gehabthaben sollte – seien ihm also „verdorben“. Eine Idee davon, woher siestammen, erhält man dann im weiteren Wortlaut des Rössler-Berichtes:

„[…]Das Publikum, unter dem eine ganze Zahl Türken undArmenier waren, bemächtigte sich bei der Vorführung der zumTeil recht grausigen Bilder eine steigende Erregung, die wohl auchdadurch genährt wurde, dass es einigen scharfen Urteilen überdie Türken nicht fehlte. So führte der Vortragende ein Sprichwortan, dass, wenn ich recht verstanden habe, etwa lautete: ‚DerTürke kann vielleicht klug werden, aber er kann nie ein Menschwerden’. Als der Vortragende von der Folterung derArmenier durch die Türken sprach, dabei aber ein Lichtbildzeigte, auf dem die Bastonade durch Perser dargestelltwurde, machte sich die Erregung in stürmischen Protest

380 Mf. 7197 und 7198

286

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 7: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Luft, die zu Prügeleien zwischen Armeniern und Türkenführten.[…]“381

Sind die berühmten Wegner-Photographien in Wirklichkeit unbekannterHerkunft und einer gänzlich anderen Zeit und Lokalität entstammend?Vieles spricht dafür. Übrigens hat Wegner dieses Eingeständnis wohlweniger in einem Anflug von Ehrlichkeit vorgenommen sondernvielmehr deswegen, da er sich – vielleicht für ihn überraschend – miteiner „ganzen Reihe von Türken“ im Publikum konfrontiert sah und esvorzog, die Flucht nach vorne anzutreten, da er wohl erkannte, dass erGefahr lief, während des Vortrages von den anwesenden Türken ertapptzu werden. Denn zwei Jahre später, als er im Rahmen des Prozessesgegen den Talât-Pascha-Mörder Shogomon Tehlerian als Zeuge geladenwurde, war er nicht mehr so ehrlich. In den Prozessakten ist über den„Zeugen Wegner“, sowie seine im Jahre 1919 noch als „verdorben“deklarierten Photographien folgender Wortlaut nachlesbar:

„[…] Der Zeuge war während des Krieges zunächst Mitglied einerdeutschen Sanitätsmission, und zwar im Jahre 1915 an denDardanellen und Konstantinopel. Von hier hat er seinen Urlaubbenutzt, um sich im Juli und August 1915 nach Kleinasienzu begeben und sich von den gerüchteweise gehörtenMassaker zu überzeugen. Später gehörte er dem Stab des Feld-marschalls von der Goltz an und kam durch ganz Kleinasien überKonstantinopel, Aleppo, Bagdad, und zurück: Bagdad-Der es Zor(Tigris- und Euphratlinie).(…) Er erbot sich bei derVerhandlung, den Geschworenen eine große Anzahl meisteigener photographischer Aufnahmen vorzulegen, die dasentsetzliche Elend der Deportationen und die Spuren derMassaker veranschaulichten.[…]“382

Nun mag man dem entgegenhalten, dass sich hier zweiwidersprechende Aussagen im Zeitraum von zwei Jahren die Waagehalten, man also nicht ohne weiteres darauf schließen könne, welcheder Wegner-Aussagen nun der Wahrheit entsprächen. Martin Tamcke,Autor einer wirklich lesenswerten Arbeit, die größtenteils auf demNachlass Wegners basiert, hat aus dessen Privatkorrespondenz im

381 ebd.382 Armin T. Wegner, Der Prozeß Talaat Pascha – Stenographischer Bericht, S. 132,Berlin 1921

287

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 8: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Vorfeld des Vortrages in der Urania sehr interessantes zutage gefördert:

„[...] In der Vorbereitung der Großveranstaltung kam es zu einerhektischen Aktivität des zum Kronzeugen Erkorenen. Wegnerscheute auch vor fragwürdigsten Ergänzungen seinesBildmateriales nicht zurück. (...) Zunächst nutzte er seinemomentane Stellung, um den Anfragen einen wissenschaftlichenCharakter zu geben. Als Mitarbeiter des deutschen Orient-Institutes und als Herausgeber der Zeitschrift DER NEUE ORIENTsei er derzeit mit der Sammlung von wissenschaftlichem Materialüber den Orient beschäftigt. Es handele sich dabei um dasSchicksal des armenischen Volkes im Kriege. Dann folgte diejeweils variierende Passage, in der Wegner begründete, warum ersich nun in diesem Zusammenhang an den jeweiligen Adressatengewandt habe. 'Soweit ich mich erinnere, wurde mir seinerzeit vonden Herren Ihres Gefolges in Bagdad erzählt, Eure Hoheit hättenunterwegs auf der Reise am Euphrat auch photographischeAufnahmen von den Flüchtlingslagern der Armenier gemacht' Nunfolgte in allen Briefen der Hinweis, dass er, Wegner, zwar auchviele Aufnahmen von diesen Ereignissen gemacht habe, dass aber'infolge der Hitze fast alle verdorben' seien. Es ginge ihm nundarum, Photographien des Herzogs entweder abzuphoto-graphieren oder davon Kopien anfertigen zu lassen. Bei denAufnahmen, die in Frage kämen, handele es sich um alles, wasdie 'Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste' beträfe,'Ansichten ihrer Zeltlager, Flüchtlingszüge, Hungernde und Toteam Wege. Die Überlassung der Bilder" geschähe 'im Interesse' der'wissenschaftlichen Arbeit' [...]“383

Noch dubioser wird die Frage nach der Person Wegners und den Hin-tergründen der ihm zugeschriebenen Photographien allerdings, wennman sich der Legende vom Sanitätsoffizier auf Urlaub widmet. Auchohne weiterreichende Kenntnisse hinsichtlich der Hintergründe, müssteder gesunde Menschenverstand hier eigentlich ein Fragezeichen setzen.Jemand, der an den Dardanellen – in einer der spektakulärsten undblutigsten Schlachten des gesamten Ersten Weltkrieges und sei es nurals „Sanitätsoffizier“ – Dienst an der Front geleistet hat, hat in seinem

383 Martin Tamcke, Armin T. Wegner und die Armenier, S. 186 ff., Hamburg 1996

288

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 9: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Fronturlaub nichts anderes zu tun, als Gerüchte über vermeintlicheMassaker in Tausenden von Kilometer Entfernung im Osten Anatoliens,in Mesopotamien und Syrien überprüfen zu wollen? Alleine der Gedankedaran ist, mit Verlaub, doch sehr abwegig und legt den Schluss nahe,dass hier eine gezielte Legendenbildung beabsichtigt wurde, derenZielgruppe primär ein deutsches, resp. europäisches, mit denVerhältnissen Anatoliens zu jener Zeit nicht aus eigener Anschauungvertrautes Publikum war. Aber nun gut, die Geschichte passt durchausins Bild, das man von Menschen wie Wegner oder Lepsius heutzutageauf Seiten der Vertreter der Völkermordthese pflegt: Der Mythos vonhumanitär motivierten Menschen, die aus eigenem Antrieb gegenvermeintliches Unrecht aufbegehrten. Beleuchtet man diesen Mythoskritisch, tritt mitunter Erstaunliches zu Tage. Auf den Namen Armin T.Wegner stößt man nämlich auch an anderer Stelle. Nicht nur, dass erVorstandsmitglied der Deutsch-Armenischen Gesellschaft war, ergehörte zudem einer Organisation an, die in unmittelbarem undkausalen Zusammenhang mit der Entwicklung der Ereignisse sowieihrer Hintergründe steht: Nämlich der „Nachrichtenstelle für denOrient“, einer von zwei quasi nachrichtendienstlich tätigenOrganisationen, die neben der eigentlichen Spionageabwehr desGeneralstabes, der Abteilung III B, aktiv war.

Es ist auf jeden Fall kaum anzunehmen, dass Wegner tatsächlich alsPrivatperson in jener Region unterwegs war, sowie man durchausZweifel daran hegen darf, dass die „Wegner-Photographien“ – woher undaus welcher Zeit sie letztlich auch stammen – tatsächlich aus privaterMotivation entstanden und publik gemacht wurden.

Einiges spricht dafür, dass der Vortrag in der Urania Teil einer pro-armenischen Propagandakampagne war, die zumindest mittelbar vonTeilen des Außenministeriums ausging. Laut zitiertem Rössler-Berichtwurde der Vortrag von der „Deutsch-Armenischen Gesellschaft“veranstaltet, zu deren Vorstand Wegner zählte. Zeitlich fiel er in jeneWochen, die der Lepsiusschen Aktenedition unmittelbar vorangingen.Den Akten ist ebenfalls zu entnehmen, dass sein Vortrag auf einentsprechendes mediales Interesse stieß. Das Auswärtige Amt hatunmittelbar im Anschluss an den Rössler-Bericht zwei Zeitungsartikelüber diesen Vortrag archiviert.384 Nur kurze Zeit zuvor hatte Wegnereinen Aufsehen erregenden offenen Brief an den damaligen US-

384 Mf. 7198

289

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 10: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

Präsidenten Woodrow Wilson verfasst und diesen aufgefordert, imRahmen des berühmten 14-Punkte-Planes die armenischen Ansprücheauf Eigenstaatlichkeit in Ostanatolien besonders zu berücksichtigen. Esist durchaus denkbar, dass das Außenministerium mit eineröffentlichen Kampagne mittels der DAG den Boden für die öffentlicheAkzeptanz der armenischen Forderungen im Vorfeld derFriedensverhandlungen unterstützen und vorbereiten wollte. Im vonRössler angefertigten Protokoll für das Auswärtige Amt findet sich zwarkein Hinweis darauf, sehr wohl aber im von Tamcke analysiertenWegner-Nachlass:

„[...]Im Eingangsteil begründete Wegner, warum er zu demLichtbildervortrag über das Unglück des armenischen Volkes, dasohne Beispiel in der Geschichte des Krieges, ja vielleicht ohneBeispiel sogar in der Geschichte der Menschheit überhaupt” sei,eingeladen habe, trotz der für Deutschland schwierigen Stunde, zuder man noch nicht wisse, „ob das grosse Befreiungswerk desVökerbundes gelingen” werde. Der frühe Anlaß für denZeitpunkt des Vortrages wurde von ihm abschließenderörtert: die Friedensverhandlungen in Paris. 'Mit fieberhafterSpannung' würden sie von den Armeniern verfolgt. Die'Unabhängigkeit Armeniens' sei 'durch ihre Nationaldelegierten inParis proklamiert worden'. 'Sehnsüchtig' warteten 'sie auf dieVereinigung Russisch-Armeniens mit den armenischenGebieten in der Türkei, auf die endliche Einigung... zueinem gemeinsamen Staat, der von jeder türkischenHerrschaft befreit seinen Ausgang zum Meere hat.' Europaaber mahnte er an seine 'Pflicht', daran mitzuwirken, dennseit dem Berliner Vertrag vom 1878 hätten 'eigensüchtigeZiele die Einlösung dieses Gelöbnisses verhindert', diesgälte auch von Deutschland.[...]“385

Das Rössler in seinem Protokoll diesen Teil des Wegner-Vortrages nichterwähnt, ist in so weit interessant, als dass er in anderen Fragenausdrücklich auf Abweichungen in Wegners Vortrag zu der offiziellenHaltung seines Ministeriums Bezug nimmt. Als Wegner bspw. währendseines Vortrages erwähnt, dass deutsche Offiziere nicht nur passiv,sondern auch als maßgebliche Initiatoren der Umsiedlungsmaßnahmen

385 Martin Tamcke, Armin T. Wegner und die Armenier, S. 191 ff., Hamburg 1996

290

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 11: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

fungiert haben sollen, belässt es Rössler in seinem Protokoll nicht nurbei einer deutlich kritischen Erwähnung dieser Aussage, er versäumtes auch nicht festzuhalten, dass er Wegner wegen dieser Äußerung imAnschluss an den Vortrag in einem persönlichen Gespräch gerügthabe.386 Die von Wegner formulierte politische Zielsetzung seinerAktivitäten – Förderung des öffentlichen Meinungsbildes zugunsteneiner großarmenischen, sich vom Kaukasus bis ans Mittelmeererstreckenden Eigenstaatlichkeit – scheint also durchaus auf Billigungund Zustimmung in verantwortlichen Kreisen gestoßen zu sein.

Eine Kampagne also, die ihren Abschluss und zugleich ihrenHöhepunkt dann in der Aktenedition „Deutschland und Armenien 1914-1918...“ fand und mit welcher ein grundlegender Paradigmenwandel inder deutschen Orientpolitik vorbereitet werden sollte? Jedenfalls istnicht von der Hand zu weisen, dass Wegner noch während des Kriegesund nach seiner Rückkehr nach Deutschland zum Schriftleiter des„Neuen Orient“ - dem Propagandamedium der besagten „Nachrichten-stelle“ - befördert worden ist.387

Und eben jener Armin T. Wegner, der im Frühjahr 1919 Vorträge überdie vermeintliche Vernichtungspolitik der Jungtürken hielt oderzugunsten der Armenier offene Briefe an den US-Präsidenten aufsetzte,hatte nur etwas mehr als ein Jahr zuvor Vorträge darüber gehalten, indenen er die Rechtmäßigkeit der jungtürkischen Umsiedlungs-maßnahme wegen der Kollaboration der Armenier mit den Russenverteidigte388, Artikel im „Neuen Orient“ publiziert, in denen die„neuerlichen Untaten der Russen und Armenier (gegenüber dermuslimischen Bevölkerung)“ beklagt wurden, welche denArmeniern zudem „auch die moralische Qualifikation zur Leitungeines Staatswesens“389 absprächen sowie über den nach dem Kriegzum „Völkermörder“ stilisierten und dämonisierten Talât Pascha„stimmungsvoll ausgemalte“ Berichte über dessen fürsorglicheBesuche in armenischen Lagern verfasst390.

Mehr noch: der gleiche Armin T. Wegner, der nun nach dem Krieg

386 Mf. 7198387 Uwe Feigel, "Das evengelische Deutschland und Armenien", S. 228, Göttingen 1989388 ebd.389 ebd.390 ebd.

291

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 12: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

spektakuläre Zeugnisse über einen faktischen Völkermord an denArmeniern ablegte, während seines Auftrittes in der Urania den Türkenwegen des vermeintlich erlebten gar die Qualität des Menschseinsabsprach,391 dieser Armin T. Wegner hat – angefangen noch währendseiner Dienstzeit in der VI. Osmanischen Armee bis zum Kriegsende – inzahllosen schriftlichen Eingaben bei seinen Vorgesetzten hartnäckig umUnterstützung für ein Anliegen ersucht, dass nun so gar nicht in dasnach dem Krieg von den Ereignissen und den Türken skizzierte Bildpasst: Wegner empfand es als außerordentlichen Makel, vomOsmanischen Kriegsministerium nicht mit dem Eisernen Halbmond –vergleichbar dem deutschen Eisernen Kreuz – ausgezeichnet worden zusein, zumal es ihm eine „liebe Erinnerung an eine lange und schwere Zeitgewesen“392 wäre. Der geneigte Leser möge selber beurteilen, ob einMensch, der vorgibt, Zeuge eines der schlimmsten Verbrechen „in derGeschichte des Krieges,“ geworden zu sein, welches gar „vielleicht ohneBeispiel in der Geschichte der Menschheit überhaupt“393 sei, gesteigertenWert auf eine militärische Auszeichnung ausgerechnet von einer jenerInstitutionen – dem Osmanischen Kriegsministerium – gelegt hätte, dieer später in der Hauptsache eben dieser Verbrechen bezichtigte.Vorausgesetzt man gesteht Wegner zu, nicht hochgradig schizophrengewesen zu sein – man möge mir diese Aussage nachsehen, allerdingswirkt sie angesichts der vorerwähnten Fakten mitnichten so polemisch,wie sie isoliert klingen mag – stellt sich zwingend die Frage nach einerhintergründigen politischen Ratio und Staatsräson (zumindest in Teilendes Apparates), die zu einer solchen 180°-Wendung zu führen vermochthätte.

Berücksichtigt man das internationale politische Klima jener Monate,macht dieser vermeintliche Sinneswandel Wegners vom „Saulus zumPaulus“ durchaus Sinn: Zum einen war im Frühjahr 1919 davonauszugehen, dass die Siegermächte das Osmanische Reich auf denbevorstehenden Verhandlungen von Sevres und Versailles faktischendgültig zerschlagen würden. Spätestens seit der Aufdeckung desSykes-Picot-Abkommens in Folge der russischen Revolution musstesowohl den Mittelmächten als auch den Osmanen klar sein, dass eine

391 Mf. 7198 (Laut Rössler-Protokoll soll Wegner gesagt haben, dass „der Türke“vielleicht „klug“, nie „aber ein Mensch werden“ könne.) 392 Martin Tamcke, Armin T. Wegner und die Armenier, S. 154, Hamburg 1996393 ebd., S. 191

292

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 13: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

militärische Niederlage das historische Ende des Osmanischen Reichesals souveränem Staatswesen bedeutete. Eine Erkenntnis, die mit dembesagten 14-Punkte-Plan nach dem Krieg zementiert wurde. Völligaußerhalb des Denkbaren lag zu jener Zeit die Vorstellung, dass sich inAnatolien unter Mustafa Kemal (Atatürk) eine nationaleWiderstandsbewegung formieren würde, die das Land von derBesatzung befreien und in Lausanne eine Revision des Diktatfriedensvon Sevres erzwingen und zugleich zur Gründung eines souveränentürkischen Nationalstaats führen sollte.

Zum anderen rechnete im Deutschland des Frühjahrs 1919 niemanddamit, dass Berlin selber wenige Monate später in Versailles derartharte Bedingungen oktroyiert bekäme, dass eine eigenständige deutscheImperialpolitik im Orient auf absehbare Zeit unmöglich werden sollte.Zu jenem Zeitpunkt, zu dem ein Wegner seinen Vortrag hielt, einLepsius die Aktenedition vorbereitete, musste davon ausgegangenwerden, dass Deutschland – wenn auch nicht mehr als Monarchie, sodoch fortan als Republik – nach einer schmerzlichen militärischenNiederlage mittelfristig wieder eigene Interessen im imperialenKonkurrenzkampf würde verfolgen können. Das wilhelminischeDeutschland hatte in seiner Orientpolitik jahrzehntelang auf dieOsmanen gesetzt, ganz gleich, ob in dieser Zeit in Istanbul nun SultanAbdulhamid II. oder die Jungtürken regierten. Das bedeutete aber auch,dass Deutschland gerade bei den Armeniern traditionell einen schwerenStand hatte, begründete die Solidarität mit der Hohen Pforte doch eoipso ein grundsätzlich negatives Verhältnis zu den Armeniern imRahmen einer stetig eskalierenden Gewaltspirale zwischen diesen undden Muslimen.

Kurzum war die Konstellation im Frühjahr 1919 also wie folgt: Manmusste davon ausgehen, dass es eine osmanische Türkei alsVerbündete der Deutschen künftig nicht mehr geben wird, und sichfolglich nach neuen potenziellen Partnern umsehen. In Anbetracht derTatsache, dass die arabischen Völkerschaften des Osmanischen Reichesunter den Siegermächten Großbritannien und Frankreich bereits„verplant“ waren, hielt sich die Auswahl von potenziellen Kandidaten inGrenzen. Deshalb galt es in dieser Phase um die Gunst der Armenier zubuhlen, ihnen bei ihren Bestrebungen nach einem autonomenArmenien möglichst effektvoll zur Seite zu stehen und ihre Position beiden bevorstehenden Friedensverhandlungen nach Möglichkeit zu

293

Leseprobe

armenianquestion.org

Page 14: Der Mythos Eines Völkermordes - Cem Özgönül

stärken. Teil dieser Strategie war natürlich auch, sich – wie etwa durchdie Lepsiussche Aktenedition – die „Hände in Unschuld zu waschen“.

Das eigentlich erstaunliche an diesen Erkenntnissen ist nicht etwa,dass sie neu wären. Ganz im Gegenteil, Feigels Arbeit ist aus dem Jahre1989 und jene von Bihl, in der der Name Wegner unter denmaßgeblichen Persönlichkeiten der „Nachrichtenstelle für den Orient“auftaucht, gar von 1975, und Tamckes Werk ist mittlerweile immerhinauch schon fast ein Jahrzehnt alt. Wir schreiben nunmehr das Jahr2005 und noch immer wimmelt es – gerade in diesem Jahr – im Internetoder in den Printmedien von verklärenden Darstellungen der PersonWegners, als einem der Humanität verpflichteten Einzelkämpfer, derjenes brisante Photomaterial, das bislang seiner Urheberschaftzugeschrieben wurde, angeblich in seinem Gürtel versteckt nachDeutschland geschmuggelt habe. Wegner war wohl nichts anderes alsein Nachrichtendienstler und professioneller Propagandist, der einzigund allein gewissenhaft seine Aufträge erfüllte. Ob sich diese Aufträgenun auf antiarmenische oder antitürkische Propaganda bezogen, dürfteihm relativ gleich gewesen sein. Wer weiß, womöglich war dasPhotomaterial, das er am 26. Januar 1918 auf Einladung der Deutsch-Türkischen Gesellschaft in Breslau vorführte und mit dem er die„armenischen Gräuel“ gegenüber den Muslimen illustrieren sollte394, dasselbe, das 14 Monate später seinem Lichtbildvortrag in der BerlinerUrania zugrundelag, als er „türkische Gräuel“ gegen die Armenierabzubilden hatte.

Leseprobe

armenianquestion.org