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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de/ abrufbar.
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Impressum:
Copyright © 2018 GRIN VerlagISBN: 9783668719927
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Inhaltsverzeichnis
VORWORT .................................................................................................................................................... 8
ZUM THEMA ERINNERUNGEN VON ZEITGENOSSEN: ............................................................................................ 8
ZAR NIKOLAUS II. (1894-1917) ................................................................................................................. 12
NIKOLAUS II. ALS SELBSTHERRSCHER ............................................................................................................... 12
Aus der Sicht seiner Zeitgenossen ................................................................................................................ 15
Aus der Sicht von Sokolow ........................................................................................................................... 16
Aus der Sicht der Historikers ....................................................................................................................... 17
Nikolaus der Blutige? ................................................................................................................................... 18 Der „Blutsonntag“ ...................................................................................................................................................... 18 Pogrome, Antisemitismus .......................................................................................................................................... 19 Verbannungen nach Sibirien, Verfolgung von Sozialisten .......................................................................................... 24 Statistik ...................................................................................................................................................................... 25
Nikolaus - als der eigentliche Feind im Ersten Weltkrieg ............................................................................ 27 Aus der Sicht der Mittelmächte ................................................................................................................................. 27 Aus der Sicht der Alliierten ........................................................................................................................................ 29
ZARIN ALEXANDRA ........................................................................................................................................... 29
Aus der Sicht von Sokolow ........................................................................................................................... 31
Die Zarin und ihre Kommunikation.............................................................................................................. 33
Aus der Sicht des Historikers ....................................................................................................................... 34
Aus kirchlich orthodoxer Sicht ..................................................................................................................... 35
DIE KINDER DER ZARENFAMILIE ....................................................................................................................... 40
Die Zarin und die Großfürstinnen als Rot-Kreuz-Krankenschwestern ........................................................ 49
IM VISIER DER ATTENTÄTER ............................................................................................................................. 52
Das Attentat auf Zar Alexander II. ............................................................................................................... 52 Der „Zar-Befreier“ Alexander II. ................................................................................................................................. 52 Zar Alexander II. im Fadenkreuz der Terroristen ....................................................................................................... 53 Die Terrorzelle „Volksfreiheitswillen“ ........................................................................................................................ 54 Der letzte Tag von Zar Alexander II. bricht an ............................................................................................................ 55 Das siebte Attentat auf Zar Alexander II. ................................................................................................................... 55 Das achte Attentat auf Zar Alexander II. .................................................................................................................... 57 Die Attentäter und ihre Motive ................................................................................................................................. 58 Der Zar erliegt seinen Verletzungen .......................................................................................................................... 59 Der Zar als Märtyrer ................................................................................................................................................... 61 Das Ende der Terrorzelle ............................................................................................................................................ 62 Lenins Bruder ............................................................................................................................................................. 63 Die Bedeutung des Attentats ..................................................................................................................................... 64 Der Krieg gegen den Terror ........................................................................................................................................ 64 Sicherheitsmaßnahmen ............................................................................................................................................. 68
Das Attentat auf Nikolaus in Japan .............................................................................................................. 68
Die Ermordung von Großfürst Sergei .......................................................................................................... 71
17.000 Terroropfer durch Attentate ............................................................................................................. 76
Die Zarenfamilie im goldenen Gefängnis ..................................................................................................... 79
Die Isolierung der Zarenfamilie ................................................................................................................... 79
DIE POLITISCHE KRISE 1905/06 ......................................................................................................................... 80
Die Niederlage gegen Japan ........................................................................................................................ 80
Der Petersburger Blutsonntag ..................................................................................................................... 80
Arbeiterunruhen ........................................................................................................................................... 80
3
Meutereien .................................................................................................................................................... 82
Die Bauernaufstände .................................................................................................................................... 82
Eine Welle des Verbrechens ......................................................................................................................... 83
Auf dem Wege zur Verfassung ...................................................................................................................... 84
Die Gründe des Scheiterns 1905 .................................................................................................................. 86
Lenins Schlußfolgerungen ............................................................................................................................ 87
DIE KONSTITUTIONELLE MONARCHIE ............................................................................................................... 87 Die Doppeldeutigkeit der Verfassungsreform von 1905/06 ...................................................................................... 88 Die Duma und der Reichsrat ...................................................................................................................................... 89 Die Exekutive ............................................................................................................................................................. 90 300 Jahre Romanow-Dynastie ................................................................................................................................... 92 Das silberne Zeitalter ................................................................................................................................................. 94
„KOLOß AUF TÖNERNDEN FÜßEN“ ..................................................................................................................... 95
DER ERSTE WELTKRIEG .................................................................................................................................... 98
Rußland bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges ............................................................................................. 98
Das russische Heer 1914 ............................................................................................................................ 100
Warum ließ Rußland Serbien nicht einfach im Stich? ................................................................................ 101
Der Zar und der russische Nationalismus .................................................................................................. 102
Der Zar und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges .................................................................................... 103 Die Spirale der Eskalation ........................................................................................................................................ 103 23. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 106
24. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 106
25. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 107
26. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 107
27. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 108
28. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 108
29. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 109
30. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 110
31. Juli 1914 ............................................................................................................................................................. 112
1.August 1914 .......................................................................................................................................................... 113
2.August 1914 .......................................................................................................................................................... 114
Bewertung ............................................................................................................................................................... 115 War Kaiser Wilhelm am Ersten Weltkrieg schuld? ................................................................................................... 117
Der Druck auf den Zaren ........................................................................................................................... 120
Der Zar nach Kriegsausbruch .................................................................................................................... 120
Der Zar und die Duma ............................................................................................................................... 122
Die Schlacht bei Tannenberg ..................................................................................................................... 122
Die „Winterschlacht“ in den Masuren ....................................................................................................... 124
Die militärische Leistung Rußlands ........................................................................................................... 124
Die militärische Elite versagt ..................................................................................................................... 125
Der Armee fehlen fähige Truppenoffiziere und Unteroffiziere ................................................................... 127
Der Durchbruch von Gorlice-Tarnów ........................................................................................................ 128
Die Chance eines Separatfriedens .............................................................................................................. 130
Der Zar übernimmt das Oberkommando über die Streitkräfte ................................................................... 132
Die Brussilow-Offensive ............................................................................................................................. 136
Die Ablehnung von Friedensfühlern .......................................................................................................... 138
Die Armee verwandelt sich in einen revolutionären Mob .......................................................................... 138
Die Legitimationskrise des zarischen Staates............................................................................................. 140
Der Zusammenbruch der russischen Großmacht ....................................................................................... 142
Rußland zwischen Staatenkrieg und Bürgerkrieg....................................................................................... 145
Das Versagen des Kriegsstaates ................................................................................................................ 145
Die Mängel des zaristischen Regimes ........................................................................................................ 147
4
Die Duma plant Revolution „von oben“ .................................................................................................... 150
Die Deutschen und der Sturz des Zaren ..................................................................................................... 154
Fazit: Die Kettenreaktion ........................................................................................................................... 156
RASPUTIN ........................................................................................................................................................ 157
Rasputin und die Zarenfamilie ................................................................................................................... 157
Rasputin – der „heilige Teufel“ ................................................................................................................. 160
Rasputin und die aristokratische Gesellschaft ........................................................................................... 162
Rasputin als „deutscher Spion“? ............................................................................................................... 165
Rasputin als Sündenbock ............................................................................................................................ 166
Der Einfluß Rasputins auf die Zarenfamilie ............................................................................................... 167
Rasputin aus Historiker-Sicht..................................................................................................................... 172
Gerüchte über Rasputin und die Zarenfamilie ........................................................................................... 173
War Rasputin deutscher Spion? ................................................................................................................. 176
Die Pläne einer„Palastrevolte“ ................................................................................................................. 178
Rasputins Ermordung ................................................................................................................................. 183 Der Rasputin-Mord .................................................................................................................................................. 183
Die Quellen ......................................................................................................................................................... 183 Der Plan ............................................................................................................................................................... 185 Die Mörder .......................................................................................................................................................... 186 Die Vorbereitung ................................................................................................................................................. 188 Die Tat ................................................................................................................................................................. 199
Die Untersuchungen ................................................................................................................................................ 208 Die Morduntersuchung am 17./30. Dezember 1916 .......................................................................................... 208 Die Wasserleiche ................................................................................................................................................. 213 Die Obduktion von Rasputins Leiche................................................................................................................... 214 Der Autopsiebericht von Kosorotow ................................................................................................................... 216 Gerichtsmediziner über die Ermordung Rasputins ............................................................................................. 218
Vergiftung ...................................................................................................................................................... 218 Schüsse ........................................................................................................................................................... 220
Feiger Meuchelmord ........................................................................................................................................... 221 Hatte ein britischer Geheimagent Rasputin ermordet? ........................................................................................... 221 Die Reaktionen auf den Rasputin-Mord................................................................................................................... 225
Die Reaktionen der Umgebung auf die Ermordung ............................................................................................ 225 Die Reaktion der Öffentlichkeit auf Rasputins Tod ............................................................................................. 238 Keine Bestrafungen ............................................................................................................................................. 242
Abschiedsbrief Rasputins an den Zaren ................................................................................................................... 243 Die Beisetzung von Rasputin .................................................................................................................................... 244 Die Exhumierung der Leiche Rasputins .................................................................................................................... 245 Rasputin – „Teufel“ oder „Heiliger“? ....................................................................................................................... 250 Die politischen Folgen von Rasputins Ermordung.................................................................................................... 254 Das Schicksal von Rasputins Mördern ..................................................................................................................... 255 Ausstellung „Rasputin: Legenden und Realität“ im Jussupow-Palast ...................................................................... 257
Die Apathie des Zaren ................................................................................................................................ 257
DAS ENDE DER MONARCHIE UND DIE FEBRUARREVOLUTION ................................................. 260
DAS ENDE DER MONARCHIE IN RUßLAND ....................................................................................................... 260
Die Abwärtsspirale des Zarismus ............................................................................................................... 260
Die Bündelung von Erosionsprozessen ...................................................................................................... 264
Die Vorgeschichte der Februarrevolution ................................................................................................. 266 Militärische Gründe ................................................................................................................................................. 267 Die Westmächte lassen den Zaren fallen ................................................................................................................. 268 Forderungen nach Brot und Arbeit .......................................................................................................................... 268
Die Februarrevolution in Petrograd .......................................................................................................... 270 Die Situation in Petrograd im Februar 1917 ............................................................................................................ 270
5
Polizei- und Geheimdienstberichte .......................................................................................................................... 271 10.02./23.02.1917 ................................................................................................................................................... 276 13.02./26.02.1917 ................................................................................................................................................... 278 18.02./3.03.1917 ..................................................................................................................................................... 278 19.02./4.03.1917 – Lebensmittel sollen rationiert werden ..................................................................................... 279 21.02./6.03.1917 ..................................................................................................................................................... 280 23.02./8.03.1917 ..................................................................................................................................................... 280 24.02./9.03.1917 ..................................................................................................................................................... 283 25.02./10.03.1917 ................................................................................................................................................... 285 26.02./11.03.1917 – Rußlands zweiter Blutsonntag ................................................................................................ 291 27.02./12.03.1917 – Die Meuterei der Garnison ..................................................................................................... 296 28.02./13.03. 1917 ................................................................................................................................................... 309 1./14.03.1917 – Zusammenbruch des zaristischen Regimes ................................................................................... 319 2./15.03.1917 – Die „Provisorische Regierung“ ....................................................................................................... 324
Der Übertritt der Garnison war entscheidend ........................................................................................... 325
Die Duma und ihre Rolle bei der Abdankung des Zaren ............................................................................ 326 Die Rechtsparteien................................................................................................................................................... 327 Die Oktrobisten ........................................................................................................................................................ 328 Die Progressisten ..................................................................................................................................................... 329 Die Kadetten ............................................................................................................................................................ 329 Die Trudowiki ........................................................................................................................................................... 330 Die Sozialrevolutionäre ............................................................................................................................................ 330 Die Sozialdemokraten (Menschewiki) ...................................................................................................................... 331 Der Progressive Block .............................................................................................................................................. 332 Die Duma und die Februarrevolution ...................................................................................................................... 335
Linke Revolutionäre und deutsche Agenten Hand in Hand ........................................................................ 336
Die Ursachen .............................................................................................................................................. 337
Der Zusammenbruch der Wirtschaft .......................................................................................................... 337
Die Revolution in Moskau .......................................................................................................................... 339
Der „Generalstreik“, der Streik der Generale ........................................................................................... 343
DIE ABDANKUNG DES KAISERS ....................................................................................................................... 344
Die letzten Tage als Zar ............................................................................................................................. 344 General Iwanow opfert die Monarchie dem Staat .................................................................................................. 344 Die Reaktion des Zaren ............................................................................................................................................ 346 Letzte Chance? ......................................................................................................................................................... 347 21.02./6.03.1917 ..................................................................................................................................................... 347 23.02./8.03.1917 ..................................................................................................................................................... 347 25.02./10.03.1917 ................................................................................................................................................... 348 26.02./11.03.1917 ................................................................................................................................................... 348 27.02./12.03.1917 ................................................................................................................................................... 349 28.02./13.03.1917 ................................................................................................................................................... 351 01.03./14.03.1917 – Die Abdankung des Zaren ....................................................................................................... 352
2./15.03.1917: Der Thronverzicht .............................................................................................................. 378
2./15.03.1917: Großfürst Nikolai wird Höchstkommandierender .............................................................. 383
3./16.03.1917: Zar Michail II. – Zar für einen Tag .................................................................................... 387
4./17.03.1917: Die Februarrevolution geht zu Ende .................................................................................. 394
Die Entmachtung der Duma ....................................................................................................................... 394
Die Verschwörung zum Staatsstreich ......................................................................................................... 395
Churchills Urteil ........................................................................................................................................ 396
Die Reaktion des Auslandes ....................................................................................................................... 397 Großbritannien ........................................................................................................................................................ 398 Frankreich ................................................................................................................................................................ 398 USA .......................................................................................................................................................................... 399 Motive ...................................................................................................................................................................... 400
6
Und die Deutschen? ................................................................................................................................................. 400 Aus dem Tagebuch des Botschafters Paléologue .................................................................................................... 401
Die Reaktion der Minister und der Romanows........................................................................................... 417
Die Reaktion der Soldaten .......................................................................................................................... 417
Die Reaktion der einfachen Russen ............................................................................................................ 418
Die Reaktion der russischen Öffentlichkeit ................................................................................................ 418
Die Reaktionen des Adels ........................................................................................................................... 421
Wer ist schuld am Sturz des Zaren? ........................................................................................................... 423
Der angebliche Hochverrat der Zarin wird untersucht .............................................................................. 424
DIE ZARENFAMILIE NACH DER FEBRUARREVOLUTION ............................................................. 425
DAS KÜNFTIGE SCHICKSAL DER ZARENFAMILIE .............................................................................................. 425
Was sollte mit der Zarenfamilie geschehen? .............................................................................................. 425
Die Reaktion der Zarin Alexandra ............................................................................................................. 426
Zar Nikolaus nach der Abdankung ............................................................................................................. 432
Der letzte Tagesbefehl des Zaren ............................................................................................................... 437
Die Tragödie des letzten Zaren .................................................................................................................. 438
Großfürst Nikolai ergreift offen für die Revolution Partei ......................................................................... 439
Die Vereidigung auf die Republik .............................................................................................................. 439
Die Ungültigkeit des Thronverzichts .......................................................................................................... 440
DIE ZARENFAMILIE ZWISCHEN FEBRUAR- U. OKTOBERREVOLUTION .............................................................. 440
Die Zarenfamilie in Zarskoje Selo .............................................................................................................. 442
Die Verhaftung der Zarenfamilie ............................................................................................................... 444 Böse Gerüchte ......................................................................................................................................................... 446 Die Gründe für die Gefangennahme ........................................................................................................................ 446 Für die Zarenfamilie bricht die Welt zusammen ...................................................................................................... 448
Die vollständige Isolierung der Zarenfamilie............................................................................................. 448 Die Anweisungen Kerenskis ..................................................................................................................................... 448 Der „goldene Käfig“ von Zarskoje Selo .................................................................................................................... 450 Kerenskis Besuche bei der Zarenfamilie .................................................................................................................. 450 Die englische Hoffnung ............................................................................................................................................ 454 Zar und Zarin vertrauen der Wyrubowa ihre Kinder an ........................................................................................... 455 Die Reaktion des Zarewitsch .................................................................................................................................... 455 Beschränkungen und Demütigungen ....................................................................................................................... 456
VON DER FEBRUAR- ZUR OKTOBERREVOLUTION ........................................................................ 465
DIE FEBRUARREVOLUTION .............................................................................................................................. 465
Erste Phase: Ausbruch der Revolution. ...................................................................................................... 466 Der Ablauf der Februarrevolution in Petrograd ....................................................................................................... 466 Der Armeebefehl Nr. 1 ............................................................................................................................................. 466 Die Doppelherrschaft ............................................................................................................................................... 467 Politische Reformen ................................................................................................................................................. 471
Warum kam es zu keiner sozialistischen Machtübernahme? ...................................................................... 471
Zweite Phase: Stabilisierungsversuche. ..................................................................................................... 472
Dritte Phase: Destabilisierung der Doppelherrschaft................................................................................ 474
Die Kerenski-Offensive (1.-19.07.1917) ..................................................................................................... 475
Der Juliaufstand ......................................................................................................................................... 476
Von der Wucht des sozialen Aufbegehrens überrascht ............................................................................... 477
Die Februarrevolution und Rußland heute ................................................................................................ 478
DIE ETHNISCHE FRAGE (VOLKSGRUPPENPROBLEMATIK) ................................................................................ 480
DIE ROLLE DEUTSCHLANDS BEI DER REVOLUTION IN RUßLAND ..................................................................... 484
Der Plan einer Revolutionierung Rußlands ............................................................................................... 484
7
Parvus ........................................................................................................................................................ 485
Geheimdiplomat Heinrich Bockelmann ...................................................................................................... 488
Lenins Rückkehr mit Hilfe der Deutschen .................................................................................................. 490
Lenin – ein Agent Deutschlands? ............................................................................................................... 496
Deutschland finanziert die Oktoberrevolution ........................................................................................... 498
Der Feind des Feindes ist ein idealer Verbündeter .................................................................................... 499
Deutsche Monarchisten machen kommunistische Revolution .................................................................... 501
Grundlegende Änderung des Kräfteverhältnisses ...................................................................................... 502
DER MIßGLÜCKTE STAATSSTREICHVERSUCH DER BOLSCHEWIKI VOM JULI 1917 ............................................ 503
DIE „KORNILOW-AFFÄRE“ .............................................................................................................................. 504
EINE ANDERE ART VON „DOPPELHERRSCHAFT“ .............................................................................................. 507
DIE OKTOBERREVOLUTION ............................................................................................................................. 508
Die brutalisierte Nation und die „Kultur des Verrats“ .............................................................................. 509
Der Einsturz des Systems ........................................................................................................................... 512 Die Ausrottung der Überbleibsel des Zarismus ........................................................................................................ 512 Der Zerfall des Russischen Imperiums ..................................................................................................................... 514 Der„Monarchismus“ ................................................................................................................................................ 516
Die antimonarchistische Propaganda und ihre Folgen ....................................................................................... 516 Die Renaissance des „Monarchismus“ ................................................................................................................ 519 Der „Bauern-Zar“ ................................................................................................................................................ 520
DIE ZARENFAMILIE NACH DER OKTOBERREVOLUTION ............................................................ 522
VERBANNUNG NACH SIBIRIEN ......................................................................................................................... 522
Nicht alle blieben treu ................................................................................................................................ 522
Kerenski und die Verbannung der Zarenfamilie ........................................................................................ 524
TOBOLSK ......................................................................................................................................................... 531
Das Gouverneurshaus ................................................................................................................................ 532
Der Tagesablauf ......................................................................................................................................... 544
Das Einsiedlerleben ................................................................................................................................... 545
Kobylinski wird entmachtet ........................................................................................................................ 546
Die Geldfrage ............................................................................................................................................. 548
Die Epauletten ............................................................................................................................................ 549
Der Zar und die Zarin ................................................................................................................................ 549
Die Verschlechterung der Lage .................................................................................................................. 550
Die Krankheit von Alexej ........................................................................................................................... 551
Die letzten Getreuen ................................................................................................................................... 552
DIE ROMANOWS 1917 ............................................................................................................................. 564
LITERATUR .............................................................................................................................................. 570
8
Vorwort
Vor genau 100 Jahren ereignete sich eine Zäsur der Weltgeschichte: Der Zar mußte abdanken,
wenige Monate später ergriffen die Kommunisten die Macht und wandelten das Zarenreich in
eine Sowjetunion um, die wiederum die Weltrevolution propagierte und einen
sowjetrussischen Imperialismus praktizierte. Der Internationalismus linker Revolutionäre
wich einer neuen Form des Panslawismus.
Hundert Jahre nach dem Untergang der Romanow-Dynastie ist es an der Zeit einmal alle
wichtigen Fakten zum Thema in einem Buche zu vereinen. Gerade in den letzten Jahrzehnten
hat man durch das Wiederauffinden der sterblichen Überreste der Zarenfamilie und ihre
anthropologischen und genetischen Untersuchungen viele neue Erkenntnisse gewonnen.
Hinzu kommt die Öffnung der Archive nach dem Untergang der Sowjetunion. Das Rückgrat
dieses Buches bilden die zahlreichen Augenzeugenberichte.
Zum Thema Erinnerungen von Zeitgenossen:
Psychologen haben herausgefunden, daß es erstaunlich leicht gelingt, Menschen falsche
Erinnerungen einzupflanzen – sogar an Straftaten, die sie nie begangen haben. Experimente
zeigen: Erinnern ist ein sozialer Prozeß. Fast jedes Gespräch über die Vergangenheit
verändert das Gedächtnis. Gerade die Fähigkeit zur inneren Anteilnahme, zur Empathie, ist
es, die uns anfällig für Suggestionen macht. Manchmal genügt die bloße Aufforderung, sich
etwas vorzustellen („Weißt Du noch, wie wir damals…?“) – und im Gehirn des
Angesprochenen bildet sich schon wie von selbst die entsprechende Erinnerung aus. So
entstehen gemeinsame Geschichten und Anekdoten, die nicht unbedingt stimmen müssen.
Erinnern ist ein sozialer Vorgang. Was der eine nicht mehr weiß, fällt dem anderen noch
ein; der Dritte korrigiert es. Ein Beobachter kann sich so lebhaft an die Stelle eines
Handelnden versetzen, als würde er persönlich den Bleistift spitzen. Kein Wunder also, daß er
bald nicht mehr weiß, was wirklich erlebt und was nur aufgeschnappt war. Der ständige
Austausch bringt das Erinnerte im Umlauf. Die Geschichten, ob wahr oder nicht, können sich
ausbreiten wie Viren. Die Fiktion, so scheint es, wird durch Wiederholung wahr. Dabei
kommt es vor allem an, wie eine Geschichte erzählt wird.
Das Gedächtnis ist nicht für perfekte Abbilder des Vergangenen gemacht. Es ist gut darin,
Erfahrungen zu speichern. Wer sich merken kann, wo es gute Jagdgründe gibt oder wie
man Getreide anbaut, hat viele Vorteile. Die exakte Erinnerung an irgendeinem Tag vor
vielen Jahren ist dagegen im Leben zu wenig nütze. Das Gedächtnis muß nicht genau sein,
sondern flexibel. Das Gedächtnis ist ein Werkzeug des Lernens und der Alltagsbewältigung,
kein vollgestopftes Museum. Eben deshalb verändern Erinnerungen sich auch mit der
Zeit: Nach jedem Abruf werden sie neu gespeichert. Der neue Inhalt tritt an die Stelle des
alten. Oft geraten dabei – meist unbemerkt – nachträglich auch neue Informationen hinzu. Das
ist die Macht der menschlichen Einbildung. Alles, was ich tun will oder getan haben
könnte, vermag ich im Geiste lebhaft durchzuspielen. Oft kommt es mir dann vor, als hätte
ich es tatsächlich getan. Falsche Erinnerungen sind ein unvermeidliches Produkt unserer
Vorstellungsgabe.
9
So haben einige Zeitgenossen ihr späteres Gedächtnis von anderen Aussagen oder
historischen Einstellungen beeinflussen lassen.
Die Zeitzeugen haben alle ihren persönlichen Ausschnitt, konnten über das berichten, was sie
selbst erlebt haben. Aber sie deuteten das Jahre später, paßten das in den Rahmen ihrer
Bewertungskriterien ein. Als Untersuchungsrichter Sokolow sie befragte, hatten die Befragten
bereits verloren, ihr Traum von einem liberalen und demokratischen Rußland war total
gescheitert, sie befanden sich jetzt im Herrschaftsgebiet der Weißen oder im Exil, wo sie auf
eine gnädige Aufnahme hofften. Sie versuchten ihr Handeln zu erklären und die
Verantwortung an ihrem Scheitern anderen Personen zuzuschieben.
Einige der Zeitzeugen waren ganz nahe an den Geschehnissen dran, gehörten zur persönlichen
Umgebung der Zarenfamilie oder zum Wachpersonal.
Oft habe ich mehrere Aussagen nebeneinander zitiert, ohne wie ein Richter alles zu
kommentieren. Der Historiker ist weder Richter, Ankläger oder Verteidiger der damals
handelnden Personen. Er ist vielmehr der Kriminalist und Detektiv, der versucht
anhand ermittelter Fakten oder aufgrund einer Indizienbeweisführung die Geschehnisse zu
rekonstruieren. Anstelle der Zeugenvernehmungen kommt beim Historiker die
Quellenauswertung. Daher werden in beiden Bänden viele Augenzeugenberichte ausführlich
wiedergegeben und ausgewertet. Die Fakten sind eigentlich bekannt, wenn auch sehr
verstreut.
Selbstverständlich habe ich die gängige Forschungsmeinung über die wichtigsten Ereignisse
wiedergegeben. Man sollte nicht die Geschehnisse mit der Zarenfamilie isoliert sehen, als
eine Art Anekdotenschätzchen, sondern eingebettet in die historischen Ereignisse und in
Wechselwirkung mit diesen. Es handelte sich schließlich um ein Politikum erster Ordnung!
Die Zarenfamilie besaß einen engen familiären Zusammenhalt, war sehr fromm und sie waren
persönlich gute Menschen. Was die Regierungsfähigkeit des letzten Zaren betrifft, ist starke
Kritik angebracht. Moralisch kritisiert werden muß insbesondere die politische
Mitverantwortung bei den Judenpogromen. Dennoch hatte er persönlich keine Verbrechen
angeordnet oder befohlen. Nach dem Sturz der Monarchie kollabierte das gesamte System,
auch die Duma, das Militär, Wirtschaft und Gesellschaft, Adel, Kirche und Bürgertum. Es
kam zu einem Bürgerkrieg, separatistischen Aufständen und zum demütigenden Frieden von
Brest-Litowsk. Große und wichtige Teile des Imperiums gingen verloren und konnten später
nur zum Teil wieder zurückgewonnen werden. Niemals sollte Rußland die territoriale Größe
des Zarenreiches von vor dem Ersten Weltkrieg wieder erreichen. Nach der Absetzung der
Dynastie sind während des Nachkrieges mehr Russen getötet worden als während des Ersten
Weltkrieges. Es kam zu Bürgerkriegen, erneuten Pogromen, zur Einrichtung des Gulag, zu
Folter und Hinrichtungen in unvorstellbarem Ausmaße, zu Hungersnöten und zu einer Welle
von Kannibalismus.
Erstaunlich ist, daß sich es hier nicht um eine rein russische Geschichte handelt. Im
Zarenreich war jeder fünfte General ein Deutscher und jeder dritte Titularadelige (Grafen,
Barone etc.). Das Baltikum hatte eine deutsche Oberschicht, die während des Ersten
Weltkrieges teilweise auf reichsdeutsche Seite wechselte und den Gedanken eines deutsch
beherrschten Baltikums ins Gespräch brachte.
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Auch in der Weißen Armee waren viele Generäle deutscher Herkunft.
Die Zarenfamilie war fast rein deutscher Abstammung, weswegen sie während des Ersten
Weltkrieges auch so angefeindet wurde. Man konnte sich nicht vorstellen, daß trotz ihrer
nahen Verwandtschaft, die während des Krieges an der Spitze der Feindesseite stand, sich die
Zarenfamilie bewußt als russisch empfand und sogar verhinderte, daß die Zarenkinder richtig
Deutsch erlernten. Das sollte ihnen aber nichts nutzen.
Daß Lenin von seinem isolierten Schweizer Exil nach Rußland zurückkehren und die
Oktoberrevolution überhaupt erst durchführen konnte, verdankte er der tatkräftigen
Unterstützung der deutschen Verantwortlichen. Der exilrussische sozialistische Revolutionär
Alexander Helphand („Parvus“) überzeugte den deutschen Botschafter Graf Brockdorff-
Rantzau von der Notwendigkeit einer Revolutionierung Rußlands. Unter der Federführung
des Auswärtigen Amtes und mit tatkräftiger Unterstützung der deutschen Heeresleitung
(General Ludendorff) gelang die Operation. Kaiser Wilhelm selbst spielte da keine
entscheidende Rolle.
Es ist auch eine Folge der Absetzung des letzten Zaren, daß konservative Monarchisten ins
Exil gingen, u.a. nach München, und dort Exilorganisationen gründeten, die mit ihrem
verschwörungstheoretischen Antisemitismus einen starken Einfluß auf die deutschen
Nationalsozialisten hatten (z.B. Scheubner-Richter, Alfred Rosenberg).
Es ist eine Ironie der Weltgeschichte, daß die Ausbreitung des Sowjetkommunismus letztlich
von den Nazis und Prä-Nazis erst ermöglicht wurde. General Ludendorff,
Präsidentschaftskandidat der NSDAP von 1925, ermöglichte entscheidend die
Revolutionierung Rußlands 1917/18. Und Hitler ermöglichte durch den Hitler-Stalin-Pakt von
1939, der bis 1941 gültig blieb, daß Stalin erst Ostpolen und das Baltikum schlucken und
dann schließlich bis vor die Tore von Helmstedt vordringen konnte. Es ist ebenfalls eine
Ironie der Geschichte, daß 1920 Trotzkis Vormarsch in den Westen an der Weichsel von
General Pilsudski gestoppt wurde, eben derselbe Pilsudski, der 1887 zusammen mit Lenins
Bruder verurteilt worden war, weil beide an einem Attentatsversuch auf den Zaren beteiligt
waren.
Der Autor dieses zweiteiligen Werkes war an der Identifizierung der letzten beiden
Zarenkinder 2007/2008 beteiligt. Das wird aber einem zweiten Band vorbehalten.
Band 2 behandelt das Schicksal der Zarenfamilie nach der Abschaffung der Monarchie, deren
Ermordung und die wissenschaftlichen Forschungen im Zusammenhang der erst viel später
wiedereintdeckten sterblichen Überreste.
Das Buch heißt der Romanow-Code aufgrund der genetischen Untersuchungen, die bei der
Identifizierung der Gebeine eine entscheidende Rolle spielten. Auch sie wurden zum
Politikum. Warum, wieso und weshalb und welche Auswirkungen das hatte, wird ebenfalls
ausführlich dargestellt.
Beide Bände umfassen zusammen weit über 1.000 Seiten. Sie verstehen sich als Handbuch,
das alle wichtigen Fakten zu diesem Thema enthält, und diese Fakten, die bis dahin
11
weitverstreut waren, werden hier in einen logischen Zusammenhang gebracht und ordentlich
aufbereitet.
Insbesondere möchte ich mich bei Prof. Parson bedanken, aber auch bei Dr. Coble, deren
genetische Forschungen 2007/2008 wesentlich dazu beitrugen, das Schicksal der letzten
beiden Zarenkinder zu klären.
Noch eines: Die Namen werden eigentlich auf Kyrillisch geschrieben. Bei der Transkription
in die lateinische Schrift gibt es keine einheitlichen Regeln. Nicht immer konnte eine
einheitliche Schriftweise durchgehalten werden.
Der Aufbau des Werkes ist streng chronologisch. Aus Zeit-, Platz- und Kostengründen mußte
auf einen Fußnoten- und Anmerkungsapparat verzichtet werden.
12
Zar Nikolaus II. (1894-1917)
Nikolaus II. als Selbstherrscher
Nikolaus II. war nicht der bedeutendste, aber wohl einer der tragischsten Herrscher aus der
Romanow-Dynastie. Er besaß Schwächen und war weder in der Lage, den Niedergang der
absoluten Monarchie in Rußland aufzuhalten, noch Rußland an die moderne Welt
heranzuführen. Nikolaus II. verharrte auf der Tradition und verschloß sich als Kaiser dem
Zwang zur Erneuerung des Landes. Für einen Romanow gehörte es sich, die „göttliche
Autorität“ des absoluten Monarchen zu betonen, sich auf das „historische Band zwischen dem
Zaren und sein Volk“ zu verlassen sowie mit Stärke und Entschlossenheit zu regieren.
Familientradition und Druck von den traditionellen Verbündeten der Krone zwangen ihn,
nicht nur zu regieren, sondern zu herrschen. Unter der äußerlichen Fügsamkeit besaß
Nikolaus II. ein starkes Gefühl für seine Pflicht, die Prinzipien der Autokratie
(Selbstherrschaft) zu wahren. Ständig bedrängte ihn seine Frau Alexandra, er solle
energischer sein und seinen autokratischen Willen durchsetzen. Letztlich war der Zar eher
bereit auf den Thron zu verzichten, als Kompromisse einzugehen und die Autokratie in eine
konstitutionelle Monarchie zu verwandeln.
Von seinen Lebzeiten an wurde der Zar durch Freund und Feind mit menschlich wie politisch
abwertenden Charakteristiken versehen. Kaum ein Mensch hat ihm seine Schwächen
verziehen. Während seiner ganzen Regierungszeit machte Nikolaus II. den Eindruck, als
könne er nicht die Aufgabe bewältigen, dieses Riesenreich zu regieren, das in einer sich
verschärfenden revolutionären Krise steckte.
Sein Amt sah der Zar als von Gott gegeben, sich selbst als Repräsentanten Gottes, und in
seinen Familienkreisen sah man ihn als ein Geschöpf, das irgendwo zwischen den Menschen
und Gott stand. In dieser Atmosphäre mußten politische Entscheidungen oft als moralische
bzw. als Gewissensentscheidungen verstanden werden.
Nikolaus II. war ein fleißiger und gewissenhafter Monarch, der hart arbeitete. Dabei achtete er
als „oberster Sekretär des Reichs“ mit dem Gemüt eines Miniaturenmalers auf die kleinsten
Details der Verwaltung und war dabei völlig unfähig, sie in allgemeinere
Herrschaftsprinzipien zusammenzufassen. Er widmete seine ganzen Energien den
Routinedetails seines Amtes, ohne je innezuhalten, um die größeren politischen Themen zu
bedenken. So eifersüchtig hütete der Zar seine eigenen kleinen Exekutivrechte, daß er sich
sogar weigerte, einen Privatsekretär einzustellen, und statt dessen vorzog, seine
Korrespondenz selbst zu erledigen.
Der Zar betrachtete Politik in einer platonischen bzw. neuplatonischen Art: Sie war für ihn
nicht das Ergebnis eines komplizierten Geflechts von Interessenkonflikten oder Ausdruck
einer Staatsräson, sondern eine Frage der Wahrheit oder Lüge. Diese Art, Politik zu
moralisieren, entsprach Nikolaus’ Gefühlslage und verstärkte später seine verhängnisvolle
Neigung, Politik als eine Frage des Gehorsams aufzupassen und folglich abweichende
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Meinungen als sündhafte Verfehlung zu betrachten. Diese Einstellung, verstärkt durch eine
das Mystische betonende Religiösität, illustriert sein Zitat: „Meinen Sie nun, daß ich das
Vertrauen meines Volkes wiedergewinnen muß, oder meinen Sie nicht vielmehr, daß mein
Volk mein Vertrauen zurückgewinnen muß?“
Nikolaus II. herrschte wie ein mittelalterlicher Grundherr über Rußland und sah in seinen
Ministern eher Diener seines privaten Haushalts als Staatsbeamte. Von ihnen erwartete er
unbedingte Hingabe und schätzte bei seinen Ministern Loyalität weit höher als Kompetenz.
Anhaltende allgemeine Debatten über Politik waren äußerst selten. Der Zar nutzte die
Rivalitäten und Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen Ministerien aus, um sie nicht zu
mächtig werden zu lassen. So fehlte der Regierung in den letzten Jahren des Zarenreiches jede
wirksame Führung oder Koordination. Nikolaus II. war in eigener Person das Machtvakuum
im Zentrum des Herrschaftssystems – zwar entschlossen, vom Thron aus zu herrschen, jedoch
weitgehend unfähig, Macht auszuüben. Das war „Autokratie ohne einen Autokraten“. Statt
Macht zu delegieren, schwelgte er in einem Traum von absoluter Macht. Nicht eine
„Willensschwäche“ war das Verderben des letzten Zaren, sondern im Gegenteil, der
willentliche Entschluß, vom Thron aus zu herrschen, trotz der Tatsache, daß ihm dazu
eindeutig die nötigen Qualitäten fehlten.
Nikolaus II. versuchte ständig, etwas darzustellen, was er gar nicht war. Als ein von Natur aus
eher freundlicher und entscheidungsschwacher Mann fehlten ihm die
Charaktereigenschaften, die ein starker und bedenkenloser absoluter Herrscher brauchte.
Zudem mißtraute er gerade vielen seiner besseren Ratgeber, weil er fürchtete, etwas von
seiner absoluten Macht zu verlieren.
Nikolaus II. sah seine Hauptaufgabe zeitlebens darin, die ihm „von Gott gegebene“
autokratische Macht zu bewahren und ungeschmälert an seinen Nachfolger weiterzugeben. In
dieser Auffassung von der Zarin bestärkt, glaubte er sich nicht befugt, den Forderungen
gesellschaftlicher Eliten nach Mitsprache und Einbeziehung in die politische Verantwortung
nachzugeben. Für die Notwendigkeit zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
und die Reformwünsche breiter Kreise zeigte der Zar kein Verständnis. Nikolaus II. sah sich
auf der einen Seite als „Vater“ seiner Untertanen und gedachte sie durch eine Reihe von
Gnadenakten zu befrieden, glaubte aber gleichzeitig, daß strenge Ermahnung „seine Kinder“
auf den rechten Pfad zurückführen würde. Seine Politik zeichnete sich deshalb durch eine
Doppelgleisigkeit von gleichzeitiger Repression und Konzession aus, die in ihrer Wirkung
auf Öffentlichkeit und revolutionäre Bewegung verheerend war.
Nikolaus II. selbst verstand sich als „Bauernzar“, der den europäischen Lebensstil
verachtete, Borschtsch und Kascha aß, Bauernhemden und Pluderhosen trug und immer
glücklich war, auf Reisen seinen Untertanen auf dem Lande die Hände zu schütteln. Dem
einfachen, bäuerlichen russischen Volk fühlte sich der Zar in der orthodoxen Religion auf
gleichsam mystische Weise verbunden, ohne klare Vorstellungen von den sozialen und
wirtschaftlichen Problemen gerade der Bauern zu haben. Außer Besuchern im Palast oder
gelegentlichen Begegnungen mit Dienern bekam Nikolaus II. sein Volk überhaupt selten zu
Gesicht, von offiziellen Anlässen einmal abgesehen. Die Offiziersmessen der
Garderegimenter waren fast die einzige Umgebung außerhalb der Familie, wo er sich zu
Hause fühlte.
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Zar Nikolaus hatte in immer größeren Gegensatz zu seiner Frau Alexandra ein resignatives
Verhältnis zur Macht. Die große Verantwortung war ihm eine Bürde, und ungeachtet seiner
Intelligenz, seiner Sprachbegabung, seiner Großzügigkeit und Sensibilität war er nicht für die
Führungsrolle eines derartigen Reiches geschaffen. Nikolaus versuchte stets, seine Aufgabe
gewissenhaft zu erfüllen, aber glaubte selbst nach Jahren erfolgreicher Staatsführung nie an
seine Unfehlbarkeit wie etwa Nikolaus I. oder Peter der Große. Mit zunehmenden Jahren
verstärkte sich seine Nachgiebigkeit, zumal er Konflikte haßte, Entscheidungen noch lieber
aus dem Weg ging als früher oder sie aufschob, und sich am liebsten vor der Politik zu
verschließen suchte, um sich ausschließlich auf die Vorbereitungen der militärischen
Handlungen zu konzentrieren.
Hinzu kam ein fatalistischer Zug (er wurde ab Tag Hiobs geboren), der sich in den letzten
Jahren mit jedem Schicksalsschlag immer stärker vertieft hatte:
Der unerwartete Überfall der Japaner auf seinen Flottenstützpunkt – Auslöser des
Russisch-Japanischen Krieges von 1904/05-,
die dieser Niederlage folgende innere Erschütterung des Landes durch die Revolution
1905,
die Erkenntnis, daß sein einziger Sohn und Thronfolger die Bluterkrankheit hat,
und schließlich die Kriegserklärung Deutschlands 1914.
Der vom Ersten Weltkrieg erhoffte neue Impuls für die zaristische Regierung und die
Konsolidierung der noch unvollkommenen Sozialstruktur blieben aus. Statt dessen zeigte der
Krieg die Schwächen eines autokratischen Regimes, das bereits während der Revolution
von 1905/06 ins Wanken geraten war und durch seine inkonsequente Politik, die einmal
unzureichende Zugeständnisse machte und ein andermal Härte demonstrierte, seinen letzten
Vertrauenskredit verspielt hatte.
Nikolaus II. schlug keine Brücke zwischen der Macht und den vorwärtsstrebenden Elementen
der Bürgergesellschaft, sondern klammerte sich an seine monarchisch-populistische Utopie
vom „Väterchen Zar, dem Heerführer seines treuen Bauernvolkes“. Er übernahm 1915
selber den Oberbefehl über die Armee, was in Anbetracht der nationalen Niederlage einem
Selbstmord der Autokratie gleichkam.
Nachdem im Februar 1917 die Arbeiter 5 Tage lang auf die Straße gegangen und einige
tausend Männer der Petrograder Garnison in der gleichen Zeit einem Aufruf zur Meuterei
gefolgt waren, kam es zum Sturz des Zarenregimes. Dies zeigt nicht nur die Schwäche des
Zarentums und den Auflösungszustand einer Armee, an die sich der Generalstab für die
Niederschlagung der Volksunruhen nicht zu wenden wagte, sondern auch, wie wenig die
zutiefst entzweiten Oppositionskräfte politisch darauf vorbereitet waren, angefangen beim
liberalen Flügel der Konstitutionellen Demokraten bis hin zu den Sozialisten.
15
Aus der Sicht seiner Zeitgenossen
Verehrung einer Vaterfigur und seiner sympathischen, natürlichen Kinder (denen es allerdings
von der Zarin verboten war, mit Menschen außerhalb des Hofes zu sprechen); Sympathie für
das schlichte Wesen und die menschliche Wärme des Zaren gegenüber denen, mit denen er zu
tun hatte, so beschrieben von den Hoflehrern Gilliard und Gibbes und der Tochter des
Leibarztes Botkin; das ruhige, kollegiale Verhalten, wenn Zar Nikolaus II. in einfacher
Soldatenuniform im Hauptquartier des Generalstabes mit Offizieren und Soldaten sprach, wie
Oberst Dubenzew sich erinnert; die Gelassenheit und Würde, mit der dann später der Ex-Zar
als Gefangener und mit seiner Familie in Tobolsk und Jekaterinburg die Verhöhnungen von
seiten der Rotgardisten ertrug, wie dieselben Bewacher später mit zunehmender Bewunderung
für ihn aussagten: All das und die Verehrung russischer Patrioten änderten wenig an der Kluft
zwischen dem Zaren und seinem Volk, die aus einem Vakuum an Information und
Kommunikation entstanden und durch eine Summe von Fehlentwicklungen unüberbrückbar
geworden war.
Der Sohn des früheren Ministerpräsidenten und Reformers Stolypin, Arkadij Petrowitsch
Stolypin, faßt die verhängnisvolle Konstellation zusammen:
„Er war von schwacher Willenskraft in Entscheidungen, und dadurch war er leicht zu
beeinflussen – von jeder Seite her. Ich kritisiere ihn sehr ungern – aber es herrschte der
Eindruck, daß derjenige, der zuletzt in seinem Arbeitszimmer war, seine Meinung wieder
geändert hatte. Trotzdem hat er immerhin als einziger meinen Vater bei dessen unpopulären
Reformen unterstützt, und ohne seine Unterstützung hätte er nichts tun können.
Um 1916, Anfang 1917, war das Land in chaotischem Zustand. Nikolaus II. ließ sich zur
Abdankung zwingen, weil er meinte, damit mehr Blutvergießen zu vermeiden. Die Einheit der
Bevölkerung war jedoch durch die Bruchlinien in der Regierung gespalten und zerrissen.
Schließlich war er gebrochen, gebrochen durch das Regieren im Laufe der vielen Jahre
dadurch, daß er nicht die nötige Unterstützung erhielt, daß die liberale Intelligenz, die
Kadetten, der Großteil der Duma, wo die am meisten gebildeten Personen waren, nicht mit
der Regierung zusammenarbeiten wollten. Es war ein Bruch unter den Beamten da. Sie waren
kompetente Fachleute, doch einige gehörten der liberalen Intelligenz an, die nicht mit der
Regierung zusammenarbeiten wollte. Der Zar kam nur manchmal nach Petrograd, und mit
allem begann sich viel zu sehr die Zarin zu beschäftigen, die sicher eine integre Frau war,
aber absolut nichts von den Dingen verstand und Ratschläge gab. Es begann ein Reigen von
Umbesetzungen an der Regierungsspitze und vor allem im Innenministerium, und jedesmal,
wenn man dem Herrscher sagte, das alles würde zu einem schlechten Ende führen, schenkte
er dem keinen Glauben.
Es hätte vieles vermieden werden können, doch trafen hier viele schwere Fehler zusammen.
Ein Gutteil der Schuld liegt an der unseligen Kaiserin, auch wenn sie als Märtyrerin geendet
hat. Die Ratschläge Rasputins und ihr Einfluß haben ja auch Protopopow zum Innenminister
gemacht – er war zwar Mitglied der Duma, aber er war überhaupt nicht für diesen Posten
geeignet. Zum Beispiel hätte man niemals zu diesem Zeitpunkt während des Krieges in der
Hauptstadt Petrograd den Großteil der Garnisonen mit unzuverlässigen Reservisten füllen
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dürfen, die dann vollständig unter den Einfluß der feindlichen Propaganda geraten sind, dank
diesem Innenminister. All das hätte man vermeiden können.
Aber all das schien wie zum Trotz unvermeidlich zu geschehen, wie um den Boden für die
Februarrevolution vorzubereiten, die dann auch geschah.“
Aus der Sicht von Sokolow
Der Untersuchungsrichter Sokolow, der die Ermordung der Zarenfamilie untersuchte, kam
nach der Befragung vieler Zeitzeugen zu folgender Einschätzung über den Zaren:
Der Zar war durch und durch Russe, sanft, gütig und herzlich. Wenn er auch keinen sehr
beweglichen Geist hatte, so war er doch für alles Gute empfänglich. Bis zu seiner letzten
Stunde blieb er so; nichts konnte ihn ändern, selbst die Revolution nicht.
Die Erziehung, die er genossen hatte, war durch seinen Stand bedingt. Als erste Regel hatte
man ihm eingeprägt, ein stets gleichmäßiges Benehmen zu zeigen, verschlossen zu sein und
nie eine Gefühlsregung laut werden zu lassen. Seine Umgebung kannte ihn so als einen
ruhigen Mann, der sich nie zu einer Aufwallung hinreißen ließ. Er las viel, hauptsächlich
sozilogische und geschichtliche Werke. In seinen Gewohnheiten und Ansprüchen war er
einfach und bescheiden.
Der Zar sprach – allen feindlichen Gerüchten zum Trotz – nie geistigen Getränken zu, von
einer Vorliebe für Alkohol konnte nicht die Rede sein.
Mit äußerster Einfachheit erzogen, gab er sich in seinen Mußestunden der Lektüre hin oder
beschäftigte sich mit Handfertigkeiten. Auch ein großer Naturfreund war er und ging gern zur
Jagd. Er war sehr religiös und liebte das Volk wirklich und von ganzem Herzen. So oft sich
ihm Gelegenheit bot, ging er zu seinen Soldaten und plauderte mit ihnen mit der äußersten
Einfachheit. Auch seine Kinder führte er in ihre Gesellschaft.
Rußland war für ihn alles. Deshalb fürchtete er nach der Revolution nichts mehr, als ins
Ausland geschleppt zu werden.
Güte, Sanftmut und Sensibilität waren seine hervorragendsten Eigenschaften. Das war der
Eindruck, den alle von ihm hatten. Nur Kerenski und Fürst Lwow hatten andere Ansichten
über ihn geäußert.
Kerenski hielt ihn für mißtrauisch und hochmütig. Doch billigte er ihm einen gewissen
Instinkt in der Beurteilung des Lebens und der Menschen zu. Fürst Lwow hielt ihn für einen
Menschen, der mit Heuchelei belastet war und nur Heuchler um sich haben wollte.
Beide aber sprachen ebenfalls von dem Zauber, den er auf jeden ausübte, Kerenski von dem
„Zauber“ seines Blickes, Lwow von dem „Zauber“ seines Benehmens.
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Aus der Sicht der Historikers
Prof. Jena:
Nikolaus war „gegenüber politischen Problemen aufgeschlossen, gut informiert und
verständnisvoll“. – „Das kam bei der ihm angeborenen Schüchternheit, ja Ängstlichkeit
selten genug zum Ausdruck. Das Hauptproblem des Kaisers war wohl, daß er ebenso
autokratisch herrschen wollte wie sein Vater, und dennoch wollte er von seinen Untertanen
geliebt werden.“ – „Nikolaus verstand nicht, warum sich das Volk empörte.“
„Nikolaus mied in der ihm eigenen Mischung aus dynastischem Hochmut und verklemmter
Schüchternheit jeden Streit, konnte niemandem direkt die Meinung sagen, setzte jedoch seinen
Willen beharrlich durch, wenn auch unter Verwendung von Mitteln, die das
Vertrauensverhältnis selbst zu nahestehenden Persönlichkeiten zerstörten.“
„In seinem nahezu mystischen Glauben an die Unantastbarkeit des Zaren, an die Kraft der
unbesiegbaren russischen Armee und an die Bindung des Volkes an den Thron durch die
Orthodoxie, erinnerte Nikolaus mitunter an Alexander I., besaß allerdings weder das Format
noch die Durchsetzungsfähigkeit des Vorfahren. Nikolaus II. symbolisierte genau zum
richtigen Zeitpunkt den erstarrenden Zustand der russischen Autokratie: Er verharrte auf der
Tradition und verschloß sich als Imperator dem Zwang zur Erneuerung des Landes. Das
Kindheitserlebnis der Ermordung Alexanders II. verbot jedes Zugeständnis an demokratische
Meinungsfreiheiten oder Reformen der Gesellschaft. Männer wie Sergei Witte waren zwar
notwendig, um die Größe Rußlands zu mehren, aber ihr ungebundener Geist störte den
Kaiser, sie waren unangenehm und bei sich bietender Gelegenheit möglichst schnell
auszutauschen.“ (S. 478f.)
„Nikolaus II. war ein Mensch, der […] eigentlich nur negative Wertungen erfahren hat. Daß
Nikolaus ein zurückhaltender und nachdenklicher Mann gewesen ist, daß er sein Vaterland
liebte, daß er ein tiefes Gefühl für die Würde des Monarchen empfand und mit ganzer
Persönlichkeit die Tradition der Dynastie verkörperte, daß er eine tiefe und zärtliche Liebe zu
seinen Kindern besaß – alles das verblaßte vor der politischen Verurteilung. Er mag
Schwächen besessen haben und weder in der Lage gewesen sein, den Niedergang der
absoluten Monarchie in Rußland aufzuhalten, noch Rußland an die moderne Welt
heranzuführen. Das alles aber rechtfertigt weder den Mord an ihn und seinen Kindern noch
ein durch den Oktobersieg der Bolschewiki präjudiziertes Verdammungsurteil.“ (S. 500).
Nikolaus sagte von sich: „Ich bin aufs Regieren nicht vorbereitet! Ich verstehe nichts von
Staatsgeschäften. Ich weiß nicht einmal, wie man mit Ministern redet. Ich wollte nie Zar
werden!“ (S. 476).
Prof. Orlando Figes, University of London, "Die Tragödie eines Volkes":
"Nikolaus war auf seine Rolle als Zar vollkommen unvorbereitet, er erwartete nicht, Zar zu
werden. Sein Vater verstarb relativ jung. Nikolaus wurde in diese Situation hineingestoßen
und brach Berichten nach in Tränen aus: ‚Ich bin nicht bereit, Zar zu sein, ich weiß nicht
einmal, wie man mit Ministern redet.'"
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"Nikolaus war möglicherweise ein guter Mensch. Ohne Zweifel war er ein guter
Familienvater. Aber er war keinesfalls ein guter Zar. Ihm fehlte es an Führungsfertigkeit,
Strategien und politische Entschlüsse von Bestand zu entwickeln und durchzusetzen."
Prof. Dr. Matthias Stadelmann, Osteuropahistoriker, Uni Erlangen-Nürnberg, "Die
Romanows":
"Zar Nikolaus II. hatte die alleinige Entscheidungskompetenz. Das ist spätestens seit dem 19.
Jahrhundert in keiner anderen europäischen Monarchie mehr der Fall. Der Einzige, dem er
sich zu verantworten hat, ist Gott mit dem er sich im Einklang sieht."
"Zar Nikolaus II. versteht die Dimension dessen nicht, was sich im Februar 1917 in
Petrograd abspielt. Vielleicht kann man ihm das gar nicht zum Vorwurf machen, denn die
Dimension ist tatsächlich eine andere als bei bisherigen Demonstrationen und Artikulationen
von Unzufriedenheit. Es sind Menschen, die um ihrer puren Existenz willen auf die Straße
gehen, die nichts mehr zu essen bekommen, für sich, für ihre Kinder, für die Familien und die
kaum eine andere Wahl haben in ihrer Verzweiflung."
Prinz Michael von Kent, Großneffe des Zarenbruders Großfürst Michail Alexandrowitsch von
Rußland:
"Zar Nikolaus II. war nicht besonders charakterstark. Hinzu kam diese Haltung: ‚Ich bin von
Gott auserwählt, mein Volk zu führen.' Er war der Lage nicht gewachsen und blieb dennoch
stur. Der falsche Mann am falschen Ort zur falschen Zeit."
Nikolaus der Blutige?
Schon der Beginn der Regierung von Nikolaus II. stand unter keinem guten Stern: Bei den
Krönungsfeierlichkeiten in Moskau brach aus unerklärtem Anlaß unter den Hunderttausenden
von Gläubigen, die zu diesem goldstrotzenden Kolossal-Schauspiel in die alte Hauptstadt
gepilgert waren, eine Panik aus. Mehr als 2.900 Menschen wurden niedergetrampelt oder zu
Tode gedrückt.
Der „Blutsonntag“
Die bemerkenswerte Bewegung des „Polizeisozialismus“ wurde von einigen Vertretern des
Regimes gefördert, die zum einen die Klagen der Bevölkerung für berechtigt hielten und zum
anderen den Revolutionären den Wind aus den Segeln nehmen wollten.
Ein Marsch der „Polizeisozialisten“ unter Führung des geheimnisvollen Priesters Georgi A.
Gapon löste die Revolution im Jahr 1905 aus. Am 22. Januar 1905 streikten in St. Petersburg
120.000 Arbeiter, und Gapon machte sich ihre Anliegen zu eigen. Die Streikenden baten den
Zaren in einer Petition um „Gerechtigkeit und Schutz“ und erklärten, sie seien „verelendet“,
„unterdrückt“ und unerträglichen Belastungen ausgesetzt und würden „verächtlich behandelt“.
Gapon setzte sich an die Spitze eines unbewaffneten Bittgangs zum Winterpalast, wo die
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Petition dem Zaren ausgehändigt werden sollte. Unter den Teilnehmern des Marsches waren
auch viele streikende Arbeiter. Der Bittgang verlief vollkommen friedlich, bis die Truppen,
die verhindern sollten, daß die Demonstranten den Palast erreichten, das Feuer auf die Menge
eröffneten. Es gab etwa 200 Tote und 800 Verwundete. Gerüchte nannten weit höhere
Zahlen. Der „Blutsonntag“ ereignete sich, weil die hochnervösen Soldaten ihre Nerven
verloren und auf die Menge feuerten.
Der Zar selbst hatte nur geringes Interesse an den Protesten gezeigt und St. Petersburg für das
Wochenende verlassen. Der Tag ging als „Blutsonntag“ in die russische Geschichte ein. Dies
war der Anfang vom Ende der zaristischen Autokratie. Das Ansehen des Zaren konnte
nach dem „Blutsonntag“ nicht mehr vollkommen wiederhergestellt werden. Viele Menschen,
die bis dahin zu Nikolaus II. aufgesehen hatten, sahen in ihm jetzt den Verantwortlichen für
die kaltblütige Ermordung unschuldiger Untertanen.
Die Geschehnisse lösten revolutionäre Unruhen aus, die das ganze Jahr über andauerten. Im
Jahre 1905 kam es täglich zu Streiks, Kundgebungen und Plünderungen der Häuser von
Grundbesitzern. Die Sozialrevolutionäre ermordeten den Onkel des Zaren, den Großfürsten
Sergej, der als Befürworter der Repression besonders unbeliebt war. Der Druck auf die
Regierung wurde immer größer. Dabei wurde sowohl von den Liberalen als auch von den
Revolutionären Druck ausgeübt.
Doch obwohl sich schon im Jahr 1905 zahlreiche Kräfte gegen die Autokratie des Zaren
wandten, gab es einen wesentlichen Unterschied zur Situation im Jahre 1917: Im Jahr 1905
stand ein Großteil der Armee unerschütterlich auf Seiten des Staates. Im Jahr 1917 hingegen
herrschte in einer Armee, die deutliche Auflösungserscheinungen zeigte, offener Aufruhr.
Pogrome, Antisemitismus
Die Juden waren in ihren bürgerlichen Rechten gegenüber anderen ethnischen und
konfessionellen Minderheiten benachteiligt. Sie waren mit Einschränkungen hinsichtlich der
Ortswahl in bestimmten Gebieten (zum Schutz der weniger geschäftstüchtigen russischen
Einheimischen) und der Berufswahl belegt.
Entgegen einer in der Historiographie weitverbreiteten Meinung waren die russischen
Pogrome gegen die Juden keineswegs das Ergebnis geheimer reaktionärer Kräfte, die sich
darin versuchten, den revolutionären Elan des Mobs auf einen wehrlosen Sündenbock zu
lenken. Zar Alexander III. (1881—1894) war zwar voller Vorurteile gegenüber den Juden und
äußerte u.a., es sei die Strafe Gottes, wenn es den Juden schlechtgehe, denn sie hätten ja
Christus gekreuzigt. Er schrieb auf den Bericht über ein Pogrom, daß er sich im Innersten
seines Herzens immer freue, wenn man die Juden schlage. Sein wichtiger Nachsatz wird aber
oft übergangen: „Aber dies darf aus Gründen der Staatsräson nicht passieren.“ Schlimmer war
Alexanders Weigerung, öffentlich zu erklären, daß auch die Juden unter dem Schutz des
Staates standen. Polizei und Armee hatten große Schwierigkeiten, die sporadisch immer
wiederaufbrechenden Gewalttätigkeiten zu unterbinden. Erst 1884 kamen mit dem letzten
blutig unterdrückten Pogrom in Balta die antijüdischen Ausschreitungen für ein Jahrzehnt
an ein Ende.
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In der Regel waren die Pogrome von den Städten ausgegangen. Die Juden galten als Ferment
sozialer Veränderungen und sollten deshalb möglichst von der als zarentreu und konservativ
geltenden Bauernschaft ferngehalten werden. Daher verbot Zar Alexander III. mit den
sogenannten provisorischen Mairegeln vom 3. Mai 1882 den Juden, sich erneut in ländlichen
Regionen niederzulassen.
In der Regierungszeit des letzten Zaren erreichte der staatliche und volkstümliche
Antisemitismus als eine Reaktion auf die revolutionäre Bewegung, in der jüdische
Jugendliche eine zunehmende Rolle spielten, ungeahnte Ausmaße.
Neben dem Liberalismus und dem revolutionären Sozialismus traten in diesen Jahren auch
starke nationalistische, fremdenfeindliche und antisemitische Strömungen zutage. Es kam zu
Judenpogromen, die zahlreiche Juden zur Auswanderung nach Westeuropa und
Nordamerika veranlaßten.
An vorderster Front der Judenverfolgung stand der nationalistische „Bund des Russischen
Volkes“, dessen Anhänger als „Schwarze Hundertschaften“ bezeichnet wurden. Die
Organisation war im Oktober 1905 mit Billigung des Zaren als eine Bewegung zur
Mobilisierung der Massen gegründet worden, um das Volk gegen die Revolutionäre und
radikalen Reformer zu mobilisieren. Der „Bund des Russischen Volks“ war nichts anderes als
eine großrussisch-nationalistische Bewegung. Ihr erklärtes Ziel war das „eine und unteilbare
Großrußland“.
Der Bund war eine frühe russische Form der faschistischen Bewegung. Antiliberal,
antisozialistisch und vor allem antisemitisch, sprach man im Bund von der volkstümlichen
Autokratie, von der man behauptete, sie habe existiert, bevor in Rußland Juden und
Intellektuelle die Macht übernommen hätten.
Führende Mitglieder der Kirche, des Hofs und der Regierung einschließlich des
Innenministers Maklakow unterstützten den „Bund des Russischen Volks“.
Der Zar war Schirmherr des „Bundes“ (und die Regierung finanzierte ihn heimlich), weil
er hoffte, der Bund könne eines Tages eine volkstümliche monarchistische Partei werden, die
in der Lage wäre, den Sozialisten Anhänger wegzunehmen. Das Manifest des Bundes war
Ausdruck eines plebejischen Mißtrauens gegen alle politische Parteien, die Intelligenzija und
die Bürokratie, von denen es behauptete, sie seien ein Hindernis für die „unmittelbare
Gemeinschaft des Zaren mit seinem Volk“. Das war Musik in den Ohren von Zar Nikolaus!
Eine volkstümliche Autokratie war genau das, was ihm vorschwebte.
Nikolaus persönlich trug das Abzeichen des Bundes und wünschte dessen Führern „vollen
Erfolg“ bei ihren Bemühungen, die „loyalen Russen“ hinter der Autokratie zu vereinigen. Auf
Anweisung des Zaren finanzierte das Innenministerium die Zeitungen des Bundes und lieferte
ihm heimlich Waffen.
Der Bund selbst war jedoch entsetzt über das, was er als Schwäche des Zaren, als klägliches
Versagen bei der Unterdrückung der Linken ansah. Man beschloß, die Sache für ihn zu
erledigen, indem man paramilitärische Gruppen bildete und den Revolutionären auf der
Straße entgegentrat. Die „Schwarzhunderter“, wie sie bei den Demokraten hießen,
marschierten mit patriotischen Fahnen, Ikonen, Kreuzen und Zarenporträts sowie mit Messern
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und Schlagringen in der Tasche. Gegen Ende 1906 hatte der Bund 1.000 Untergruppen mit
einer Gesamtmitgliederzahl von rund 300.000.
Die Revolution auf der Straße bekämpfen – das war ihre Art, sich zu rächen, ein Mittel, die
Uhr zurückzustellen und die soziale und rassische Hierarchie wiederherzustellen. Häufig von
der Polizei ermutigt, marschierten die Schwarzhunderter durch die Straßen und prügelten auf
jeden ein, den sie demokratischer Sympathien verdächtigten. Manchmal zwangen sie ihre
Opfer dazu, vor einem Zarenporträt niederzuknien, oder sie zerrten sie in Kirchen und ließen
sie die kaiserliche Flagge küssen.
Die antisemitischen Pamphlete des Bundes, insbesondere „Die Protokolle der Weisen von
Zion“, wurden in Klöstern gedruckt, kirchliche Amtsträger bekannten sich zum Bund, Popen
forderten im Gottesdienst, seine Ziele zu unterstützen.
Die „Protokolle der Weisen von Zion“ sind eine Fälschung, die vorgibt, das Protokoll einer
Besprechung zwölf namentlich nicht genannter Führer des jüdischen Volkes zu sein, die eine
Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft entwickelten. Der Verschwörungstheorie
zufolge, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in rechtsextremen russischen Kreisen aufkam,
seien liberale Ideen und viele moderne soziale und politische Entwicklungen ausnahmslos das
Werk eines großen jüdischen Plans.
Pariser Mitarbeiter der russischen Geheimpolizei Ochrana hatten die "Protokolle der
Weisen von Zion" fabriziert – und zwar ein späterer Bolschewist: Matwei
Wassiljewitsch Golowinski (* 6. März 1865 in Iwaschewka; † 1920 in Petrograd) war ein
russisch-französischer Autor und Journalist. Nach seinem Abschluß wurde Golowinski für die
Ochrana tätig, für die er regierungsfreundliche Pressemeldungen arrangierte. In Frankreich
schrieb er Presseartikel im Auftrag von Pjotr Ratschkowski (1853-1910), damals Chef des
russischen Auslandsgeheimdienstes in Paris. Im Rahmen dieser Tätigkeit soll er auch der
Autor der berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“ gewesen sein, um „Beweise“ für
eine kapitalistische und antizaristische Verschwörung gegen Nikolaus II. zu liefern. Er
wechselte später die Seite und war von 1917 bis zu seinem Tod für die Bolschewisten tätig.
Bereits Konrad Heiden (1901-1966) identifizierte Golowinski und Ratschkowski 1944 als
Autor bzw. Auftraggeber der sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“, was jedoch
nicht abschließend geklärt ist. Die Annahme beruht wesentlich auf die Veröffentlichung der
Erinnerungen des Grafen Alexandre du Chayla (1885-1947) 1921, Zeugenaussagen anläßlich
des Berner Prozesses von 1934/1935 und der Expertise du Chaylas vor dem Gericht in Bern.
Er konnte Auskunft geben über eine allfällige Abfassung der „Protokolle der Weisen von
Zion“ im Auftrag der zaristischen politischen Polizei Ochrana, mit dem Zweck, liberale
Politiker zu isolieren und antisemitische Gefühle zur Zeit der berüchtigten russischen
Pogrome zu schüren. Zudem war auch die behauptete Komplizenschaft zwischen Juden und
Freimaurern ein Thema, und Berner Freimaurer wurden als Zeugen dazu angehört. Das
Gerichtsurteil kam zu dem Ergebnis, daß es sich bei dieser Schrift um ein übles Machwerk,
ein Plagiat und eine Fälschung handelt.
Seit einer Veröffentlichung des russischen Literaturhistorikers Michail Lepechin aus dem Jahr
1998 wird auch Golowinski als Verfasser der Protokolle genannt: Er habe zur Zeit der
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Dreyfus-Affäre den Text im Auftrag seines Chefs in französischer Sprache verfaßt, um damit
Zar Nikolaus II. gegen den Liberalismus aufzubringen.
Nach dem deutschen Historiker Michael Hagemeister (*1951) gehen diese Versionen auf
zwei Quellen zurück: Zum einen auf die polnische Fürstin Catherine Radziwill (1858–1941),
die 1921 von ihrem New Yorker Exil aus verbreitete, Golowinski habe ihr 1904/1905 in Paris
das französische Original der Protokolle gezeigt, das er in Ratschkowskis Auftrag angefertigt
habe. Auf sie stützte sich zum anderen der französische Graf Alexandre du Chayla in seinen
ebenfalls 1921 erschienenen Erinnerungen an einen der ersten Herausgeber der Protokolle,
Sergei Nilus (1862–1929), mit dem er nach seiner Bekehrung zum orthodoxen Christentum in
engem Kontakt gestanden hatte.
Diese „Protokolle der Weisen von Zion“ waren und sind eine der einflußreichsten
antisemitischen Schriften. Sie wurden in ungefähr 60 Sprachen (unter anderem Deutsch,
Englisch, Arabisch, Japanisch) übersetzt. So inspirierten sie auch Adolf Hitler und hatten
erheblichen Einfluß auf den Nationalsozialismus. Sie beeinflußten aber auch Antisemiten und
Extremisten in anderen Ländern, etwa Henry Ford oder auch die japanische Aum-Sekte, in
neuerer Zeit auch Organisationen wie die Hamas.
Zar Nikolaus II. hat die „Protokolle“ gekannt und zunächst hochgeschätzt. „Welche
Gedankentiefe“, schrieb er an den Rand. Und: „An ihrer Echtheit kann kein Zweifel sein.“
Dann jedoch ergaben Ermittlungen zweier Offiziere eines Gendarmenkorps, daß es sich um
eine Fälschung handele. Der Zar schwenkte um. Bei der antisemitischen Propaganda sollten
die „Protokolle“ nun nicht länger Verwendung finden, denn, so der Zar: „Eine reine Sache
darf man nicht mit schmutzigen Methoden verteidigen.“
Wie groß das Aufsehen war, das die „Protokolle“ bei ihrem Erscheinen erregten, ist unklar:
Einerseits wurden sie in Moskau von den Kanzeln verlesen, andererseits lassen sich keine
Reaktionen nachweisen, weder in der übrigen antisemitischen Publizistik noch etwa in
Pogromen. In den folgenden Jahren interessierten sich nur wenige Menschen für den Text, der
zunehmend als Verschwörungstheorie durchschaut wurde.
Das änderte sich mit der russischen Oktoberrevolution 1917 und dem anschließenden
Bürgerkrieg, als die konterrevolutionären „Weißen“ die „Protokolle“ zum Verständnis des
ihnen sonst unbegreiflichen Geschehens heranzogen. Es wurde das Gerücht verbreitet, die
Zarin Alexandra Fjodorowna habe vor ihrer Ermordung die „Protokolle der Weisen von Zion“
bei sich gehabt.
Die Schwarzhunderter waren „Präfaschisten“. Sie verstanden sich als „wahre Russen“, und
jeder auch noch so zaghafte Ansatz zur Liberalisierung des Zarenreiches wurde von ihnen als
„jüdische Verschwörung“ niedergemacht. Ihre paramilitärische Terrorgruppe drangsalierte
und tötete Juden.
Bis Ende 1904 ereigneten sich 45 Pogrome, zwischen Oktober 1905 und September 1906
waren es 674 Gewaltexzesse mit zusammen mehr als 3.000 Toten. Das schlimmste Pogrom
fand in Odessa statt, bei dem 800 Juden ermordet, 5.000 verwundet und über 100.000
obdachlos wurden. Es wurde aufgedeckt, daß die Polizei die Menge nicht nur organisiert,
bewaffnet und mit Wodka versorgt, sondern auch geholfen hatte, die Juden aus ihren
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Verstecken zu zerren, und an den Morden beteiligt war. Beim Pogrom von Bialystok
(Nordpolen) unterstützten Armee und Polizei die Gewalttäter. Das Polizeipräsidium in St.
Petersburg produzierte sogar antisemitische Hetzschriften, in denen man beschuldigte, die
Juden wollten Rußland vernichten, und das Volk dazu aufrief, „sie in Stücke zu reißen und zu
töten“. Als Graf Witte die strafrechtliche Verfolgung des verantwortlichen Polizeichefs
verlangte, griff der Zar ein, um ihn zu schützen.
In der Absicht, von revolutionärer Agitation abzulenken, ermutigten die örtlichen und
zentralen Behörden diese antijüdischen Gewalttaten nach der russischen Niederlage im Krieg
gegen Japan und nach der Revolution von 1905. Das zaristische Regime, das gegen die Juden
hetzte, war stets sorgsam darauf bedacht, daß die Gewalt nicht auf das Privateigentum
übergriff. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde Judenfeindschaft im russischen Zarenreich mit
größerer Vehemenz und Aggressivität praktiziert als in jedem anderen Land. Die Pogrome
und restriktiven Erlasse sowie der administrative Druck führten zu einer jüdischen
Massenauswanderung. Zwischen 1881 und 1914 verließen etwa 2 Millionen Juden Rußland,
viele unter ihnen emigrierten in die USA.
Anders, als es die alte und festverankerte Legende will, ist keiner dieser Pogrome je von der
russischen Regierung angezettelt worden. Zwar stellten die Behörden nur langsam die
Ordnung wieder her, und nur wenige der Anstifter wurden je vor Gericht gebracht, aber das
war nicht Teil der Verschwörung, sondern spiegelte nur die Ineffizienz der Behörden und
generell ihre Judenfeindlichkeit wider.
Zar Nikolaus II. hatte die Pogrome nicht angeordnet und ist auch im Vorfeld nicht
darüber informiert worden. Der präfaschistische „Bund des Russischen Volkes“ warf
ihm sogar klägliches Versagen bei der Unterdrückung der Linken vor.
Es ist aber offensichtlich, daß der Zar und der Hof die antiliberalen, antisozialistischen und
vor allem antisemitischen Ansichten teilten. Mehr und mehr tendierte Nikolaus II. dazu, die
antijüdischen Pogrome in seiner Regierungszeit als einen Akt von Patriotismus und Loyalität
des „guten und einfachen russischen Volkes“ zu sehen.
Nikolaus II. war mit den Antisemiten der Meinung, daß die Revolution größtenteils das
Werk von Juden sei, und betrachtete die Pogrome naiv als die berechtigte Rache seiner
„loyalen Untertanen“.
Nicht viele Juden waren Bolschewiki, aber zahlreiche führende Bolschewiki waren
jüdischer Abstammung. Allerdings hatten sie mit ihrer jüdischen Herkunft und Identität
weitgehend gebrochen. Ihr Messias war jetzt Karl Marx! Repräsentativ für das Judentum
waren sie auf keinen Fall! Es ist natürlich einleuchtend, daß selbst diejenigen, die mit ihrer
Herkunft gebrochen hatten, das Zarentum nicht nur aufgrund der Pogrome nicht gerade
liebten!
Schließlich wurde der Antisemitismus eine der Hauptwaffen, deren sich der Hof und seine
Anhänger bedienten, um das „loyale Volk“ im Kampf gegen die Revolution und die
aufkommende liberale Ordnung hinter sich zu scharen.
Die Regierung ließ in der Presse, die – bis 1905/06 – strengen Zensurbestimmungen
unterworfen war, hemmungslose antisemitische Propaganda verbreiten.
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Stolypin setzte zunächst die rechtliche Gleichstellung der Juden durch. Er bemühte sich auch
um die Eindämmung von Pogromen. Wenn nach Terrorakten der Ausnahmezustand in ihren
Besiedlungszentren galt, setzte er sich für dessen Aufhebung ein. Darüber geriet er in
Meinungsverschiedenheit mit dem Zaren, der gegenüber den Juden eine unnachgiebige
Haltung an den Tag legte. Besonders nach Unruhen oder Attentaten, die in dieser Zeit
alltäglich waren, war Zar Nikolaus II. immer wieder geneigt, bereits zugestandene
Erleichterungen wieder zurückzunehmen (in Stolypins Augen ein taktischer Fehler, da dies
seiner Meinung nach noch schärfere Reaktionen aus dem Untergrund provozierte). Einmal
verließ der Minister resigniert das Kabinett des Zaren mit den Worten: „Majestät, Majestät,
Sie vergewaltigen mein Gewissen!“
Die unnachgiebige Einstellung des Zaren gegenüber den Juden stand nicht nur mit deren
Rolle in den revolutionären Aktivitäten in Zusammenhang (dies bestätigte sich übrigens im
Oktoberputsch von 1917 und der Zusammensetzung der ersten bolschewistischen Regierung
sowie des Mordkommandos der Zarenfamilie). Die mangelnde Toleranz des Zaren
gegenüber dem Judentum entsprang einer tieferen Grundlage, dem religiösen
Selbstverständnis des Zaren.
Nach 1914 mußten Juden verstärkt als Sündenböcke für die Nöte der Nation herhalten.
Nach der Oktoberrevolution 1917 stellte die Propaganda der „Weißen“ das bolschewistische
Regime als jüdische Verschwörung dar und verbreitete den Mythos, daß alle seine wichtigsten
Anführer – mit Ausnahme Lenins (der übrigens „Vierteljude“ war) – Juden seien. Ihnen
wurden der Zarenmord, die Verfolgung der orthodoxen Kirche und der Rote Terror
angelastet. Bei mehr als 2.000 Pogromen gegen Juden in der Ukraine und der polnischen
Ukraine während des russischen Bürgerkrieges zwischen den „Roten“ und „Weißen“
einerseits sowie ukrainischen Nationalisten und Russen andererseits wurden 1917-21 etwa
30.000 Juden ermordet und Hunderttausende verwundet, von denen weitere 120.000 starben.
Mit anderen Worten: In den Bürgerkriegen nach der Abschaffung der Monarchie sind etwa
fünfzigmal so viele Juden ermordet worden als unter Zar Nikolaus II.!
Verbannungen nach Sibirien, Verfolgung von Sozialisten
Im Rahmen eines neuen Strafgesetzbuches wurden 1845 verschiedene Grade der
Zwangsverschickung festgelegt:
Verbannung zu befristeter oder unbefristeter Sträflingsarbeit,
zur Ansiedlung an bestimmten Orten mit Verlust aller bürgerlichen Rechte,
zeitweilige Verbannung mit geringfügigen Einschränkungen der Freiheit.
Die „Politischen“ machten nur einen kleinen Teil der Verbannten aus, im Jahr 1898 gerade
einmal 1%.
Unter dem Zaren wurden die politischen Gefangenen vor ein ordentliches Gericht gestellt.
Die Verteidigung konnte sich ebensosehr – wenn nicht noch mehr – zur Geltung bringen wie
die Anklage. Sie konnte sich auf eine öffentliche Meinung im Inland berufen und vor allem
auf die internationale Öffentlichkeit. Die Untersuchungsgefangenen und Verurteilten
unterstanden immerhin einer Gefängnisordnung, und die für Verbannung oder sogar
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Deportation geltenden Vorschriften waren vergleichsweise milde. Die Deportierten konnten
ihre Familie mitnehmen, lesen und schreiben, was ihnen beliebte, jagen, fischen, Freizeit mit
ihren Schicksalsgefährten verbringen.
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts steigt die Zahl der politischen Verbannten, bedingt
durch Attentaten von Revolutionären und Anarchisten und die aufgeheizte gesellschaftliche
Lage, vor allem nach der Ermordung des Zaren Alexander II. 1881. Auch nach den Streiks
und Unruhen zwischen 1905 und 1907 ließ Zar Nikolaus II. Tausende politische Gegner nach
Sibirien verfrachten.
Viele dieser Abgeschobenen mußten allerdings weder im Gefängnis sitzen noch Zwangsarbeit
leisten. Weit entfernt von der Heimat arbeiteten manche sogar in ihren erlernten Berufen als
Buchhalter, Ärzte, Apotheker, Juristen. Oder sie versuchten, sich als Bauern oder Handwerker
durchzuschlagen. Ein verhältnismäßig angenehmes Leben konnten diejenigen Verbannten
genießen, die über Geld verfügten wie z.B. Lenin, der verbannt wurde, weil er die illegale
Zeitung „Sache der Arbeiter“ verbreitet hatte. 1897 wurde er für 3 Jahre nach Südsibirien
verbannt. In einem Brief berichtet er: „Ich lebe hier nicht schlecht, widme mich eifrig der
Jagd.“ Außerdem verwende er „neben der Jagd und dem Baden einen großen Teil der Zeit für
Spaziergänge“ Seine Ehefrau und Mitstreiterin Nadeschda Krupskaja, die er in der
Verbannung heiratete, schreibt in ihren Erinnerungen: „Sonntags hielt er [Lenin] juristische
Beratungsstunden bei sich ab. Bauern und Bäuerinnen kamen und brachten ihre Anliegen
vor. Faktisch bestand überhaupt keine Aufsicht.“ Sie und Lenin „mieteten für 4 Rubel ein
halbes Haus mit Gemüsegarten und Hof. Hier führten wir einen regelrechten
Familienhaushalt.“ Für einen Tag notiert sie: „Nach dem Mittagessen schrieben wir beide
etwa zwei Stunden lang die ‚Entwicklung des Kapitalismus in Rußland‘ ins Reine.“ So ging
der Kampf für den Sturz der zaristischen Herrschaft auch in der Verbannung weiter.
Im Jahre 1901 befanden sich 4.113 Russen aufgrund politischer Vergehen in der Verbannung,
aber nur 180 von ihnen waren zur Zwangsarbeit verurteilt. Und diese waren meist
Schwerkriminelle.
Die Verbannung zur Zarenzeit ist auf jeden Fall nicht mit dem Gulag der stalinistischen
Sowjetunion gleichzusetzen.
Statistik
Der kleine, pflichterfüllte, charmante, undurchschaubare und verzagte Kaiser war weder
Henker noch besonders blutrünstig.
Für die 90 Jahre von 1825 bis 1917 wird die Zahl der von den zaristischen Gerichten
(einschließlich Standgerichte) in Angelegenheiten „mit einem Bezug zur politischen Ordnung“
verkündeten Todesurteile mit 6.321 angegeben, wobei das Jahr 1906 mit seinen Verfahren
gegen die Revolutionäre von 1905 mit 1.310 Todesurteilen an der Spitze liegt. Die Zahl der
von 1825 bis 1917 wegen politischer Aktivitäten zum Tode verurteilten Personen belief sich
auf 6.360. Davon wurden 3.932 hingerichtet: 191 in der Zeit von 1825 bis 1905 und 3.741 in
den Jahren 1906 bis 1910.