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Der Spiegel 19-2015

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Der Spiegel 19-2015

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  • Es kommt vor, dass SPIEGEL-Geschichten politische Tagesablufe und Pla-nungen durcheinanderbringen aber so spektakulr wie am Donnerstagvergangener Woche sind die Folgen selten. In die laufende Sitzung des NSA- Untersuchungsausschusses platzte die Meldung von SPIEGEL ONLINE, der BNDhabe die NSA bei ihrer Spionagettigkeit untersttzt. Die Abgeordneten reichtenzunchst Handys mit der Geschichte herum, kurz darauf brachen sie die Sitzungab, geladene Zeugen wie der ehemalige BND-Prsident Ernst Uhrlau wurdennach Hause geschickt. Die Titelgeschichte beschreibt, wie sich jetzt die Non -chalance rcht, mit der Kanzleramt und zahlreiche Bundesminister seit demSommer 2013 wider besseres Wissen versucht haben, die NSA-Enthllungenwahlweise fr irrelevant oder fr beendet zu erklren. Der BND, das fand einSPIEGEL-Team heraus, wollte auf dem Hhepunkt der Snowden-Affre mitBriten und Amerikanern sogar noch ein neues, hoch geheimes Anzapfprojekt(Monkeyshoulder) starten. Es sollte die letzten blinden Flecken der Dienstebeseitigen ein Daten-Ringtausch, von dem amerikanische und deutsche Behr -den seit 2013 behaupten, es habe ihn nie gegeben. Seite 20

    Nepals Hauptstadt Kathmanduzhlt zu den Sehnsuchtszielenwestlicher Touristen, und selbstnach dem Erdbeben vom vergange-nen Samstag glaubte SPIEGEL-Kor-respondent Bernhard Zand, einenTeil ihrer besonderen Spiritualittwahrnehmen zu knnen. Die Men-schen trgen ihr Unglck mit er-staunlicher Gelassenheit, berichteter. Umso schwerer wiegen die Kla-

    gen, die er von vielen Erdbebenopfern, aber auch von rzten und Mitarbeiternrtlicher Hilfsorganisationen hrte: Die Regierung, seit Jahrzehnten vor derErdbeben gefahr gewarnt, sei von der Katastrophe weitgehend unvorbereitet ge-troffen worden. Als Zand ein Krankenhaus besuchte, bedankte sich ein Arzt frdie Hilfeleistungen aus dem Ausland. Seinen Dank verband er mit einem Appell:Schickt uns mobile Rntgengerte, aber schickt uns blo kein Geld, sagte er.Geld, das bei der Regierung lande, schmelze dahin wie ein Stck dnner Scho-kolade auf der Zunge. Seite 96

    ber die deutsche Islamistenszenehat SPIEGEL-Redakteurin zlemGezer in den vergangenen Jahren im-mer wieder berichtet, zuletzt im No-vember 2014, als sie recherchierte, wasjunge Menschen aus Deutschland inden Krieg nach Syrien zieht. Rund 700Kmpfer gingen bisher, inzwischen istjeder dritte nach Deutschland zurck-gekehrt. In ihrer aktuellen Geschichtegeht Gezer der Frage nach, wer sich eigentlich um diese Rckkehrer kmmert.Gezer traf Gefngnisseelsorger und Extremismusexperten und sie begleiteteden Islamisten Bernhard Falk, der alles dafr tut, dass die Rckkehrer ihrenKampf gegen den Westen nicht aufgeben. Anders als der deutsche Staat, derglaube, dass es reicht, die Islamisten einfach nur wegzusperren, habe Falk begrif-fen, dass viele erst im Gefngnis radikalisiert werden, sagt Gezer. Wer die Rck-kehrer fr sich gewinnen wolle, msse sich mit ihnen beschftigen. Seite 60

    7DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Betr.: Titel, Nepal, IS-Kmpfer

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

    Hausmitteilung

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

    Gezer (M.) in der JVA Frankfurt

    Zand in Kathmandu

  • 8 Titelbild: Montage DER SPIEGEL, Fotos Ostkreuz, Maurice Weiss / photothek.net, Thomas Trutschel / Reuters, Stefanie Loos / Ullstein bild, Haddenhorst

    Diese Porsches,diese PichsVolkswagen Die Enkel des Kfer-Konstrukteurs FerdinandPorsche bekmpfen sich und bringen den WeltkonzernVW in Tur bulenzen. FerdinandPich ist vom Vorsitz des Auf -sichts rats zurckgetreten, aberdie Aus einandersetzung mitdem Porsche-Clan wird weiter-gehen. Es gibt Wunden, dienicht verheilen. Einblicke in einFamiliendrama. Seite 72

    Kunst und Krieg Ausstellungen In Venedig be-ginnt die Biennale. Gezeigtwird dort, in Zeiten von Kriegund Gewalt, Kunst aus 53 Natio-nen. Ein Maler aus dem Irakportrtiert Gekpfte, die Ukrai-ne stellt unter dem MottoHoffnung eine Gruppe jungerKnstler der Generation Mai-dan aus. Der Oligarch WiktorPintschuk, Mzen des Pavillons,sagt im Interview: Kunst ff-net das Denken. Seite 128

    Aufstand der DiskriminiertenUSA Ferguson, New York und jetzt Baltimore: Immer wiedermiss handeln oder tten Polizisten Schwarze, die Wut entldt sich in Straenschlachten. Doch es geht den Demonstranten ummehr als rassistische Polizeigewalt. Eine ganze Generation von Schwarzen vegetiert am Rand der Gesellschaft, ausgeschlossenvon Bildung, Arbeit und Wohlstand. Seite 92

    Versetzte BergeNepal Zum Nachhall groer Naturkatastrophen gehrt dieKritik an den Rettungs- und Aufrumarbeiten danach.berfordert wirkten die Regierung in Kathmandu und ihreApparate in dieser Woche. In die Trauer ber TausendeTote mischte sich kollektive Wut ber eine Obrigkeit, diedas Land seit Langem miserabel regiert. Seite 96

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    Malerin Irina Nachowa

  • In diesem Heft

    9DER SPIEGEL 19 / 2015Farbige Seitenzahlen markieren die Themen von der Titelseite.

    Titel

    20 Bundesregierung Die BND-Affre setzt Kanzlerin Angela Merkel unter Druck

    Deutschland

    14 Leitartikel Die Deutsche Bank braucht eine neue Fhrung

    16 Boni fr Chefrzte sollen begrenzt werden / EU-Whrungskommissar brskiertMerkel / Hitlers Durchhalteparolen / Kolumne: Der schwarze Kanal

    32 Bundesprsident Will Joachim Gauck einezweite Amtszeit?

    34 Koalition Wie SPD-Chef Sigmar Gabrielund CSU-Chef Horst Seehofer die GroeKoalition blockieren

    35 Bayerns Finanzminister MarkusSder kritisiert die Tatenlosigkeit der Bundesregierung

    36 Auenpolitik 50 Jahre nach der Aufnahmediplomatischer Beziehungen wachsen die Zweifel an Deutschlands Israel-Politik

    40 Entwicklungspolitik Die fragwrdigen Geschftsanbahnungen des CSU-MinistersGerd Mller in Afrika

    42 Gedenken CDU-Politikerin Erika Steinbacherklrt, warum der 8. Mai fr sie nicht allein ein Tag der Befreiung ist

    44 Bildung Der Medizinertest eine unlsbareAufgabe

    46 Asyl Die Bundesregierung schiebt Flchtlinge ins Elend nach Bulgarien ab

    49 Medizin Knstliche Hftgelenke sollen Patienten vergiftet haben

    50 Reiche Mutter gegen Tochter der Streit um das Erbe des UnternehmersPeter Dussmann

    54 Strafjustiz ber das betrgerische Verhalteneines Heidelberger Rechtsanwalts

    56 Ernhrung Ein Restaurantbesuch mit Minister Christian Schmidt

    Gesellschaft

    58 Sechserpack: Eine Hand wscht die andere / Steigt Hamburg jetzt total ab?

    59 Eine Meldung und ihre Geschichte Ein Ehepaar aus Bayern macht sich nach Griechenland auf, um Kriegs-schulden zu zahlen

    60 Justiz Deutsche Dschihadisten kehrenaus dem Krieg zurck in eine Heimat,die nichts mit ihnen anfangen kann

    68 Homestory Der Rcktritt der Jedi-Radler

    Wirtschaft

    70 Bundeswehr suchte fr Spezialeinheitenschon seit Jahren G36-Ersatz / Medikamente im Fisch / Flchtlinge sollenfrher arbeiten knnen

    72 Volkswagen Protokoll einer Familienfehde78 Digitalwirtschaft Rocket Internet irritiert

    die Anleger80 Rohstoffe Illegale Rodung zerstrt einen

    der letzten Urwlder Europas83 Freihandel Gefhrdet TTIP die Freiheit

    der Parlamente?

    Medien

    85 Christopher Lauer ber Googles150-Millionen-Euro-Angebot an die Verlage /Gefhrdete Enthllungen

    86 Karrieren SPIEGEL-Gesprch mit JohannesB. Kerner ber das Scheitern

    Ausland

    90 Syrische Rebellen bringen Assad in Bedrngnis / Die Taliban vor der Einnahme von Kunduz

    92 USA Die Benachteiligung der Schwarzenvon Baltimore

    96 Erdbeben In der Trauer wchst die Wut der Nepalesen auf ein kaputtes System

    98 Kenia Die Regierung reagiert hilflos auf islamistische Anschlge

    100 Griechenland Akademiker, Dilettanten undIdealisten an der Macht

    104 Essay Wie aus GrobritannienKleinbritannien wurde

    106 Global Village Warum die Liebe fr Singles in Tel Aviv besonders schwerzu finden ist

    Sport

    107 Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger ber die Karrierechancen von Mick Schumacher / Studie ber Doping

    108 Fuball Pep Guardiola will das schnste,schnellste, erfolgreichste Spiel berfordert er sich und sein Team?

    Wissenschaft

    114 Begnstigt eine verwahrloste Umgebungkriminelles Verhalten? / Die besten Mikrobenbiotope auf der Haut / ber -setzungssoftware produziert skurrilste Stilblten

    116 Computer Von jauchzend bis betrbt Rechner lernen, Gefhle zu erkennen

    120 Tiere Klimawandel und Futtermangelknnten dem Kuckuck zum Verhngniswerden

    122 Medizin Forscher testen eine Pille gegenAlkoholsucht

    124 Feinmechanik Wie die Hersteller von Luxusuhren ihre Kundschaft zu teuren Reparaturen zwingen

    Kultur

    126 Gescheiterte Auktion: Dnitz-Telegrammin New York / US-Autorin Rachel Kushner ber ihre Absage einer P.E.N.-Gala, bei der Charlie Hebdo geehrt wird / Kolumne: Mein Leben als Frau

    128 Ausstellungen Die Biennale in Venedigzeigt Kunst zur Weltkrise

    132 Interview mit dem ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk ber sein Venedig-Projekt Hope

    134 Theater Ungarns rechtskonservativer Nationaltheater-Chef Attila Vidnynszkyscheitert beim Dialog mit seinen Kritikern

    136 Literatur Schriftsteller Martin Walser im SPIEGEL-Gesprch ber den 8. Mai und die Fehler seiner Auschwitz-Moralkeulen-Rede von 1998

    141 Filmkritik Der Babadook Horror aus weiblicher Hand

    10 Briefe

    140 Bestseller

    142 Impressum

    143 Nachrufe

    144 Personalien

    146 Hohlspiegel/Rckspiegel

    Wegweiser frInformanten:

    www.spiegel.de/

    investigativ

    Martin Walser

    Mit uerungen ber denHolocaust hatte er sich 1998angreifbar gemacht, nunkmpft der Schriftsteller umRehabilitation. Im SPIEGEL-Gesprch sagt er: Ich knntedie Paulskirchenrede so nichtmehr halten. Seite 136

    Rana el Kaliouby

    Sie ist Informatikerin,stammt aus gypten und willeine neue ra des emotio-nalen Rechnens erffnen.Ihre Firma bringt Computernbei, aus der Mimik einesMenschen dessen Gefhle ab-zulesen. Seite 116

    Johannes B. Kerner

    Einst galt er als Allzweckwaf-fe des ZDF, dann geriet seinWechsel zum PrivatsenderSat.1 zum Fiasko. Im SPIEGEL-Gesprch blickt der Modera-tor zurck auf sein Scheitern und spricht ber den Ehr-geiz, der ihn antrieb. Seite 86

  • Briefe

    Unvergessliche ErinnerungNr. 18/2015 Der Tag des Jahrhunderts 8. Mai 1945:

    Wie die Deutschen das Kriegsende erlebten

    Nach dem Bombenangriff Gomorrha aufHamburg berlebten wir Mutter, Oma,Bruder den Krieg in einem Schuppen amOrtsrand von Tornesch. Oft nahm michmeine Mutter zum Einkaufen mit, mangrte sich mit Heil Hitler. Ich war gutfnf Jahre alt, als ich verwundert bemerk-te, dass man sich nach dem 8. Mai 1945 mit Guten Morgen oder Guten Tag be-grte.Dieter Wosikowski, Tornesch (Schl.-Holst.)

    Endlich wieder eine glnzende Titelge-schichte in der besseren Tradition IhresHauses. Dr. Peter-M. Schroeder, Brck (Brandenb.)

    Dass die Sieger brutalste Rache nehmen diese groe Angst davor war es wohl, wa-rum sich die Deutschen so vehement gegendie Kriegsniederlage gestemmt haben undnoch bis vor die eigene Haustr gekmpfthaben. Tony Hck, Much (NRW)

    Seltsam, dass es heute in den Medien keineAugenzeugenberichte gibt, die die Trauer,Angst oder gar das Entsetzen ber denEinmarsch der Alliierten zum Ausdruckbringen. Konnte doch wohl jeder ahnen,dass es unverzglich zu Kriegsverbrecher-prozessen mit Todesurteilen nach frem-dem Recht, zu Entnazifizierungsverfahren,zu Reparationsleistungen, zu Haus- undWohnungsbeschlagnahmungen und per-snlicher Bereicherung durch alliierte Sol-daten kommen wrde. Karl Spickernagel, Berlin

    Nach jahrelangen Fliegeralarmen kam am17. April 1945 mit einem minutenlangenDauerton Panzeralarm. Laufamholz imOsten von Nrnberg wurde als einer derersten Stadtteile von den Amerikanern be-setzt. Meine Geschwister und ich wagtenuns aus Nachbars Bunker auf die Strae,als auch schon ein Panzer auf uns zurollte.Wir waren natrlich in Todesangst, denndaraus stieg ein schwarzer GI. Doch stattuns mit dem Messer den Bauch aufzu-schlitzen, wie es uns die Nazi-Propagandaerklrt hatte, zog er Kaugummis hervorund schenkte sie uns. Bei der Schlacht umNrnberg, dieser sinnlosen Verteidigung,gab es noch zahlreiche Tote, und vieleHuser, die die Fliegerangriffe berstanden

    hatten, wurden zerstrt. An einem strah-lenden Frhlingstag 1945, die Kirsch- undApfelbume standen in voller Blte eineunvergessliche Erinnerung , war diesergrausame Krieg endlich vorbei. Wenn auchdie Not an Lebensmitteln und der Hungergerade bei uns Heranwachsenden growar, es war endlich Frieden. Waldemar Maile, Feucht (Bayern)

    Bezogen auf die historischen Wahrheitenim Jahr 1945 hat so mancher Kommunal-politiker und Lokaljournalist Nachhol -bedarf. So ignorierten in diesem Jahr Br-germeister und Stadtrat von Zeitz, einemNachbarort von Trglitz in Sachsen-An-halt, die Befreiung der Stadt vor 70 Jahrendurch die US-Armee. Schriftliche Hinweisewurden trotzig von Parteien, Politikernund Journalisten in Zeitz ignoriert. Dafrpflegt man weiterhin den Mythos von densowjetischen Befreiern. Der linke Anti-amerikanismus der DDR ist hier nochdeutlich sprbar und befrdert zudemrechtsextremes Denken und Handeln, wiedas Beispiel Trglitz zeigt.Heiko Schilling, Halle

    Zur Kapitulation habe ich vor circa 30 Jah-ren in Karlshorst im Militrmuseum einenFilm gesehen. Am meisten hat mich er-schttert, dass die deutsche Delegation im Nebengelass sa und Sekt trank, dendie Sowjets servieren lieen in dieserSchicksalsstunde! Das war mehr als ent-larvend. Natrlich wurden sie heimlich ge-filmt.Bernd Hoffmann, Kornwestheim (Bad.-Wrtt.)

    Dahlkamp erinnert uns nicht an unsereWertvorstellungen, die uns zum Handelnverpflichten, er erwartet nicht unserenVerzicht auf berflssigen Luxus, sondernzieht sich auf einen in seiner Konsequenzerschreckend menschenverachtenden Zy-nismus zurck: Er erklrt die ertrunkenenFlchtlinge zu unseren Toten. Sollte mirein Hauch von Ironie entgangen sein?Nein, er meint es tatschlich sehr ernst,und die Redaktion macht daraus ihrenLeitartikel: Da stockt mir doch der Atem!Klaus Feuchtinger, Darmstadt

    Es werden nicht die Toten sein, die unsmit Ruhm ehren, es wird jeder Lebendesein, der dieses verdammte Meer heil ber-quert. Zurzeit betreue ich zwei Flchtlinge,die noch minderjhrig, ohne Familie, be-sagtes Meer berquert haben. Beide sindhoch motiviert fr Schule, Ausbildung undArbeit. Sie sind eine Bereicherung fr un-sere Gesellschaft und Menschen voller Tat-kraft, Lebensmut und positiver Werte. Undda muss ich Dahlkamp widersprechen. Siesorgen nicht fr wirtschaftliche Zersetzung.Diese jungen Menschen werden mit ihrenSteuern dazu beitragen, dass unsere Rent-ner noch halbwegs wohlhabend leben kn-nen und unsere Wirtschaft wegen fehlen-der Arbeitskrfte nicht marodiert.Hermann Heidger, Mnstermaifeld (Rhld.-Pf.)

    Man kann dem nur zustimmen. Eine wirk-liche Lsung ist leider nicht in Sicht. BeiIhrem Vergleich mit unserer Insel ist einAspekt allerdings nicht erwhnt worden.Unsere Insel hat uns keiner geschenkt, jedeErrungenschaft musste hart, zum Teil berJahrhunderte, erarbeitet werden. Diese Er-kenntnis zeigt den einzigen Weg, der lang-fristig zu Vernderungen fhren kann. Da-bei kann und muss Europa helfen.Rdiger Schulz, Alveslohe (Schl.-Holst.)

    Ein Kontinent wurde ber Jahrhundertevon Europern ausgebeutet Sklaven,Tierfelle, Elfenbein und Rohstoffe expor-tiert und danach durch willkrlich gezo-gene Landesgrenzen zerlegt, ohne Rck-sicht auf gewachsene Strukturen. Es habendann vor nicht langer Zeit unter anderemdie USA und England Libyens Infrastruk-tur zerbombt, sodass dieses Land nichtmehr in der Lage ist, den Strom der Flcht-linge zu kanalisieren. Daher ist es eine mo-ralische Verpflichtung eines Europa imWohlstand, diese Flchtlingskatastropheunbrokratisch und sofort zu beenden.Dr. Joachim Wunderlich, Berlin

    10 DER SPIEGEL 19 / 2015

    Heute wird gern (wieder) vergessen: Es gab kein gutes Deutschland,das zwlf Jahre lang von den bsen Nazis beherrscht wurde und zu dem man 1945 einfach zurckkehren konnte.Imke Roebken, Brssel

    Da stockt mir doch der Atem!Nr. 17/2015 Leitartikel von Jrgen Dahlkamp:

    Die toten Flchtlinge und unser schlechtes Gewissen

    Eine so schonungslose Analyse habe ichnoch nirgendwo gelesen. Damit uns unserWohlstand erhalten bleibt, nehmen wirauch den Tod anderer Menschen in Kauf.Und das Schlimmste: Diese Erkenntnisraubt uns nicht einmal den Nachtschlaf.Uwe Tnnermann, Lemgo (NRW)

    In all der ffentlichen Hilflosigkeit, denpolitischen Sprechblasen, dem Gestammelder Gutmenschen und der Ratlosigkeit desMan sollte, Jetzt muss man endlichist dieser Leitartikel eine klare Analyse die einzige, soweit ich sehe. Dass sie bitterist, macht sie wertvoll und zum Gegen-stand heftiger Debatten im Freundeskreis.Prof. Dr. Peter Stoltzenberg, Berlin

  • Briefe

    Wer deckt auf, wer klagt an?Nr. 17/2015 Die seltsame Kumpanei zwischen Beamten

    und Waffenhersteller Heckler & Koch

    Der grte Skandal beim G36 ist, dass hiernicht, wie in der Autoindustrie blich,nach Bekanntwerden eine Rckrufaktionerfolgte und die den Fehler verursachen-den Kunststoffteile sofort durch hitze- undformbestndige Teile ausgetauscht wurden.Was fehlt, ist sofortiges lsungsorientiertesingenieursmiges Handeln und nicht dasjuristische und beamtenrechtliche Herum-geschwafel zur Ursachenfindung bei paral-leler Inkaufnahme von Lebensgefhrdungder Soldaten. Man kann Soldaten nur ra-ten, den Staat zu verklagen, um eine sol-che Rckrufaktion des G36 zu erwirken.Jrgen Stange, Eutin (Schl.-Holst.)

    Die eigentlich interessante Frage ist doch,wer profitiert in Politik und Bundeswehrdavon, dass die Rstungshersteller immerwieder auf Kosten des Steuerzahlers unge-schoren davonkommen. Schwer vorstell -bar, dass es nur an Behrdenbrsigkeit oder Inkompetenz liegt.Dr. Rudolf Winkel, Bingen (Rhld.-Pf.)

    Pfuscher, Vertuscher und Ignoranten ha-ben den mglichen Tod unserer im Einsatzbefindlichen Soldaten billigend in Kauf genommen. Wer ermittelt, wer deckt auf,wer klagt an? Vermutlich eine weitere Affre, die im Sande verlaufen und zurPolitikverdrossenheit beitragen wird.Jrgen-Siegfried Knig, Bad Bevensen (Nieders.)

    Das G36 ist derzeit wohl das beste Sturm-gewehr der Nato. Bei einer Waffe verhltes sich wie bei einem Auto, wo der Treib-stoff zum Motor passen muss. Das G36 er-fllt die technischen Lieferbedingungenseit seiner Einfhrung bei der Bundeswehr.Jedoch wurden seitdem substanzielle n-derungen an der Laborierung der Munitionvorgenommen, die zu hheren Tempera-turen im Rohr fhren knnen.Prof. Dr. Rolf Gminder, ffentlich bestellter Sachverstndigerfr Schuss- und Maschinenwaffen, Heilbronn

    native zu sowohl konservativ-neoliberalerSystemstabilisierung als auch zu dogmati-scher pseudorevolutionrer K-Gruppen-Orientierung umzusetzen versucht.Dr. Peter Krug, Mainz

    An Leggewies Beispiel lsst sich lernen,dass man auch lter werden kann, ohnegleich reaktionr zu werden. Sein frischerVerstand hat mich schon beim Studiumbefruchtet und auch danach begleitet. Nunsehe ich, was gradlinige Reflexion fr denaufrechten Gang ber lange Zeit bedeutet. Jo Konrad, Groerlach-Morbach (Bad.-Wrtt.)

    Dieses Gesprch lsst mich zweifeln, obLeggewie wie auch zahllose Studenten sei-ner Generation inzwischen begriffen ha-ben, welcher politischen Heuchelei sie auf-gesessen sind, als sie als Jugendliche aufder Flucht vor der Teilhabe an der Kol -lektivschuld auf die kommunistischen Ab-lassprediger hereingefallen sind.Dr. Kurt Lubasch, Berlin

    12 DER SPIEGEL 19 / 2015

    Nur natrliche NeugierNr. 17/2015 Kind wei, Mutter schwarz was

    deutsche Brger vllig fertigmacht

    Mein Vater ist ein waschechter Andalusier,und so sehe auch ich aus. Als Kind wurdeich oft gefragt, woher ich komme und wa-rum ich so gut Deutsch spreche. Aber an-ders als Frau Neufeld habe ich das nie alsfremdenfeindlich empfunden, sondern alsInteresse an meiner Person. Wenn manNeugier als fremdenfeindlich empfindet,hat man natrlich ein groes Problem.Siegfried del Moral, Neuss

    Die meisten haben keine Ahnung von denmendelschen Gesetzen, und ihre Fragensind natrliche Neugier; hflich vorge-bracht ist das okay. Die Amerikaner fragenja auch jeden: Where are you from? Woist das eigentliche Problem von Frau Neu-feld, ihr eigenes unbewltigtes Erstaunen? Sigrid Deussen, Bad Homburg

    Der skizzierte Ausblick auf den blondenAfro hat mich herzlich zum Lachen ge-bracht. Danke. Humor ist doch der besteWeg gegen allgegenwrtige Vorurteile.Markus Abts, Kelsterbach (Hessen)

    Die Redaktion behlt sich vor, Leserbriefe ge-

    krzt und auch elektronisch zu verffent lichen:

    [email protected]

    zu Heft 18/2015, Seite 134: Therapie im Darkroom:

    Anders als wir ber die Auffhrung Common Ground am Berliner Maxim GorkiTheater berichtet haben, liegt der Vater der Darstellerin Jasmina Musi hchstwahr-scheinlich in einem der Massengrber von Prijedor, whrend sich der Vater der Dar-stellerin Mateja Meded bis heute versteckt. Wir bedauern die Verwechslung.

    Korrektur

    Frischer VerstandNr. 17/2015 SPIEGEL-Gesprch mit Claus Leggewie

    Claus Leggewie war kein Weichei, auchnicht in der akademischen Selbstverwal-tung am Gttinger Politikseminar. Dorthaben wir in den Siebzigern eine Alter -

  • Die Deutsche Bank war einmal ein Symbol fr die Wirt-schaftskraft des Landes. Gefhrt wurde sie von Per-snlichkeiten wie Hermann Josef Abs oder AlfredHerrhausen, die in Deutschland und darber hinaus hohesAnsehen genossen.

    Heute ist die Bank ein Schatten ihrer selbst. In der Ligaglobaler Finanzkonzerne hat sie den Anschluss zu den vorde-ren Rngen verloren. An ihrer Spitze stehen Anshu Jain undJrgen Fitschen, zwei Mnner, die sich mhen, die Bank auseiner Krise zu fhren, die sie selbst zu verantworten haben.Damit sind sie berfordert.

    Jetzt versprechen die beiden Vorstandschefs zum wieder-holten Mal einen Neuanfang. Wieder legen sie eine Strategievor, mit der sie den Niedergang der Deutschen Bank aufhaltenwollen. Ein wirklicher Neuan-fang muss aber an der Spitze an-setzen, mit einer anderen Fh-rung.

    Der Abstieg der DeutschenBank begann mit dem Einstiegins angelschsisch geprgte In-vestmentbanking. Damit solltesie noch bedeutender werden,sie wollte auf Augenhhe mitamerikanischen Instituten wieGoldman Sachs kommen.

    Pltzlich stand fr die Deut-sche Bank nicht mehr das klas-sische Kreditgeschft im Zen-trum, sondern der schnelle Deal.Pltzlich hatten die smartenJungs aus den Handelsrumendas Sagen, fr die es nur zweiMantras gibt: profit, profit, pro-fit und den Bonus, der fr sieherausspringt.

    Vor allem in den wilden Jah-ren vor der Weltfinanzkrise imJahr 2008 haben die Investmentbanker ihre Macht miss-braucht. Sie haben betrogen, manipuliert und sich dabei dieeigenen Taschen gefllt. Ihr Anfhrer war, so sagt er es selbst,Anshu Jain.

    Die Deutsche Bank leidet bis heute unter dem Sittenverfalldurch die bernahme der Investmentbanker. Sie muss nochimmer Milliardenstrafen fr die frheren Verfehlungen be-zahlen. Und sie msste lngst eingesehen haben, dass sie ineiner strategischen Sackgasse steckt, weil sie sich abhngiggemacht hat von jenen Hndlern, die fr einen Groteil derGewinne verantwortlich waren und nun fr Strafen in as-tronomischer Hhe.

    Als Anshu Jain die Fhrung der Bank bernahm, argumen-tierte der Aufsichtsratschef Paul Achleitner, niemand sei mitdem Investmentbanking so vertraut wie Jain, und deshalbknne dort auch kein anderer so konsequent aufrumen wie er.

    Diese These klang abwegig und ist lngst widerlegt. Wiesonst kann es sein, dass Aufsichtsbehrden mehrmals undberaus scharf moniert haben, dass die Deutsche Bank dieAufklrung der Skandale behindert?

    Anshu Jain fehlt die moralische Autoritt, die Bank zu ei-nen und zu fhren. Jrgen Fitschen sollte das Bindeglied zwi-schen angelschsischen Investmentbankern und deutschenTraditionalisten sein, aber er kann den Graben nicht ber-brcken; als Korrektiv ist er zu schwach. Auerdem ist erdesavouiert, da er in Mnchen gemeinsam mit seinen Vor-gngern Josef Ackermann und Rolf Breuer wegen versuchtenProzessbetrugs vor Gericht steht.

    Als Aufsichtsratschef begeht Paul Achleitner daher einenFehler, wenn er die Zukunft dieser fr die deutsche Wirtschaft

    noch immer so wichtigen Bankweiterhin in den Hnden desDuos Jain/Fitschen belsst. Wasdie beiden als neue Strategieverkaufen, ist der Versuch, sichan der Macht zu halten.

    Deutschland braucht eine star-ke, vernderte Deutsche Bank.Die Unternehmen, die das Landzum Exportweltmeister machen,sind auf ein Institut angewiesen,das ebenso international ausge-richtet ist wie sie selbst.

    Was Deutschland jedochnicht braucht, ist eine DeutscheBank mit einem riesigen Han-delsgeschft, das mit Hedge-fonds und anderen Finanzkon-zernen schnelle Geschftemacht, bei denen Risiko und Er-trag in keinem angemessenenVerhltnis stehen.

    Einige Einschnitte im Invest-mentbanking sind geplant, aber

    sie fallen zu bescheiden aus und sind womglich kurzlebig.Denn mit dem geplanten Verkauf der Postbank verschiebtsich das Machtzentrum im Konzern weiter zu den Invest-mentbankern, von Frankfurt am Main nach London und New York.

    Jain, Fitschen und Achleitner erklren die Probleme derDeutschen Bank vor allem damit, dass sich Ermittler, Regu-lierer und Medien gegen sie verschworen htten. Die Lar-moyanz ist absurd. Strengere Regeln sind notwendig, und na-trlich gelten sie fr smtliche Finanzinstitute. Die Hhe derGeldbuen gerade eben weitere 2,5 Milliarden Dollar frdie Libor-Manipulation hat das Management der DeutschenBank durch sein Verhalten provoziert.

    Jain, Fitschen und Achleitner sind dabei, die Chance aufErneuerung verstreichen zu lassen. Die Deutsche Bank hateine andere Fhrung verdient. Und Deutschland eine bessereBank. Martin Hesse

    14 DER SPIEGEL 19 / 2015

    Die falsche Deutsche BankDer fhrende Finanzkonzern des Landes braucht eine neue Fhrung.

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    Bankchefs Fitschen, Jain

    Leitartikel

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

  • Whrungsunion

    Affront gegenMerkelEU-WhrungskommissarPierre Moscovici kommt we-gen einer Beschlussvorlageder franzsischen Sozialistenunter Druck. In dem Papierfr ihren Kongress AnfangJuni fordert die Partei vonFrankreichs StaatsprsidentFranois Hollande, Schulden,die ber der Schwelle von 60Prozent des Bruttoinlandspro-dukts liegen, zu vergemein-schaften. Zudem heit es da-rin, die Regeln des Stabilitts-pakts mssten geschmeidi-ger gestaltet, ein Teil der Zu-kunftsinvestitionen bei derBerechnung des Defizits aus-genommen werden. Mosco-

    vici zhlt zu den Erstunter-zeichnern des Antrags, dersich in weiten Teilen wie eineKampfansage an die Europa-politik von Kanzlerin Merkelliest. Eine Konfrontationmit der europischen Rech-ten, vor allem der deutschenCDU/CSU drngt sich auf,heit es darin ausdrcklich.In der EU-Kommission istMoscovici als Whrungskom-missar eigentlich fr die Ein-haltung der Regeln des Stabi-littspakts zustndig. Entspre-chend heftig fllt die Kritikan seinem parteipolitischenEngagement aus. Es ist einungeheurer Vorgang, dass einMitglied der EU-Kommissiondermaen in der Parteipolitikmitmischt, sagt HerbertReul, Chef der Abgeordnetenvon CDU und CSU im Euro-paparlament. Das Papierder Sozialisten ffnet demSchuldenmachen Tr und Tor und ausgerechnet derEU-Whrungskommissarmacht mit. mp

    16 DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Ein Impressum mit dem Verzeichnis der Namenskrzel aller Redakteure finden Sie unter www.spiegel.de/kuerzel

    Gesundheit

    Strengere Regeln fr Chefarzt-Boni

    Bundesgesundheitsminister Hermann Gr-he (CDU) will die Regeln zur Begrenzungvon Chefarztboni verschrfen. Dadurchmchte er verhindern, dass Bonuszahlun-gen einen Anreiz bieten, den Klinikertragdurch zustzliche Operationen zu steigern.So sollen alle Zielvereinbarungen ausge-schlossen werden, welche die Unabhngig-keit der medizinischen Entscheidungen be-einflussen, heit es im Entwurf zum neu-en Klinikreformgesetz. Schon im Februar2013 hatte die Groe Koalition festgeschrie-

    ben, dass Krankenhuser ihren Medizinernkeine Prmien mehr fr eine bestimmteAnzahl an Eingriffen versprechen sollen.Allerdings war die Regel nach Erkenntnis-sen der rzteschaft oft umgangen worden:Viele Kliniken stellten die Operations -bonuszahlungen fr Fhrungskrfte ein-fach auf andere Messgren um. Es kannnicht hingenommen werden, dass geltendeVorschriften durch fragwrdige Zielverein-barungen in Chefarztvertrgen unterlaufenwerden, sagt Grhe. cos

    Parlament

    Steuermittel nichtzweckentfremden

    Der Verfassungs-

    rechtler Hans

    Herbert von Ar-

    nim, 75, ber die

    PR-Arbeit der

    Bundestagsfrak-

    tionen und seine

    Klage vor dem Bundesverfas-

    sungsgericht

    SPIEGEL: Der Rechnungshofhat in einem vertraulichenBericht in 67 Fllen die f-fentlichkeitsarbeit der Bun-destagsfraktionen kritisiert(SPIEGEL 18/2015). Warumdrfen Fraktionen ihre Partei-en nicht mit Broschren oderWerbeanzeigen untersttzen?Arnim: Solche Ausgaben ver-stoen gegen das Abgeord -

    neten- und das Parteien -gesetz. Die Fraktionen dr-fen Steuermittel nicht fr Par teiaufgaben zweckent-fremden.SPIEGEL: BundestagsprsidentNorbert Lammert (CDU)prft zurzeit die beanstande-ten Manahmen aus den Jah-ren 1999 bis 2006. WelcheStrafen drohen den Parteien?Arnim: Die Bundestagsverwal-tung kann innerhalb vonzehn Jahren Sanktionszahlun-gen verhngen, in Hhe desDreifachen der verbotenenZuwendung. StrafrechtlicheKonsequenzen, etwa wegenUntreue, drften wegen dergeltenden fnfjhrigen Ver-jhrungsfrist nicht mehr mg-lich sein. Ich wundere michallerdings, warum die Pr-fung so viele Jahre gedauerthat.

    SPIEGEL: Sie vertreten derzeiteine Klage der kologisch-Demokratischen Partei (DP)vor dem Bundesverfassungs-gericht. Darin kritisieren Sieauch die PR-Manahmen derFraktionen.Arnim: Ja. Ich halte, gesttztauf Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts, die hohen Be-willigungen fr die ffent-lichkeitsarbeit der Fraktionenfr verfassungswidrig. Da dieBrger nicht zwischen Frak -tion und Partei unterschei-den, wird unter anderem dasRecht auf Chancengleichheitvon kleineren Parteien wieder DP verletzt. Auch dieMittel fr parteinahe Stif -tungen und Abgeordneten -mitarbeiter sind oftmals eineverdeckte Form der Parteien-finanzierung.

    Interview: Sven Becker, Sven Rbel

    Moscovici

  • SPD

    Getretener Quark

    Am Dienstag berichtete die Bild-Zeitung, dass SPD-Chef Sigmar

    Gabriel sich entschlossen habe, 2017 als Kanzlerkandidat anzutre-

    ten. Am selben Tag verschickte seine Sprecherin im Willy-Brandt-

    Haus die folgende Mail (bei der im Text erwhnten Andrea 21 han-

    delt es sich um die Spekulation, dass Arbeitsministerin Andrea

    Nahles 2021 Kanzlerkandidatin werden knnte). gor

    17DER SPIEGEL 19 / 2015

    Deutschland

    In der evangelischen Kirche gibtes eine groe Diskussion berdie Bibel, oder besser gesagt da-rber, was im 21. Jahrhundertnoch zur Heiligen Schrift geh-ren soll. Der Theologe NotgerSlenczka hat vorgeschlagen,endlich das Alte Testament aus-zumustern. Schon jetzt sei es so,dass die Texte des Alten Testa-ments im Vergleich mit denen

    des Neuen in der Frmmigkeitspraxis einen minderenRang htten, schreibt er. Warum also nicht konsequentalles von der Genesis bis zum Buch Maleachi dekano -nisieren und damit aus dem Bestand entfernen, der frChristen heilig ist? In Zukunft wrden sich diese Teile bei den Apokryphen wiederfinden, wo all die Schriftenstehen, die seit je als zweifelhaft gelten.

    Fr jeden friedliebenden Menschen ist das Alte Testa-ment eine Zumutung. Man findet stndig unkritische Darstellungen von Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit, Kin-desmisshandlung, Frauendiskriminierung und sogar derTodesstrafe. Auch was die Auseinandersetzung mit Andersglubigen angeht, entspricht die Bibel in ihremvorapostolischen Teil nicht modernen Toleranzanspr-chen. Samaria wird wst werden; denn es ist seinemGott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen undihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangerenaufgeschlitzt werden, heit es bei Hosea 14,1. Pastorenin Amerika fordern seit Lngerem, dass die Bibel nur un-ter Aufsicht gelesen werden sollte.

    Die evangelische Kirche hat sich schon immer mit demGott des Alten Testaments schwergetan. Sie setzt auf Verstndnis und Ermunterung anstatt auf Strafe und Ver-dammnis, was sich bereits mit der Geschichte vom Sn-denfall nur mhsam in Einklang bringen lsst. Wir sindkeine Kirche der Angst, sagte mir krzlich eine Pastorinauf die Frage, ob sie noch an Himmel und Hlle glaube.Ich fand das wahnsinnig sympathisch, ich bin auch gegenAngst. Das Problem ist nur, dass nicht mehr viel brigbleibt, sobald man anfngt, Texte, die vor der Geburt derGrnen entstanden, auf anstige Stellen zu durchforsten.

    Wenn man die Dinge zu Ende denkt, ist auch Luthereine hoch zweifelhafte Figur. Der Mann war nicht nur einschlimmer Antisemit, sondern auch ein furchtbarer Frau-enfeind. Selbst Jesus ist nicht das Friedenslamm, fr dasviele ihn halten. Doch diese meine Feinde, die nichtwollten, dass ich ihr Knig werde, bringt her und machtsie vor mir nieder, heit es im Lukasevangelium. KeineAhnung, wie Jesus das Margot Kmann erklren will,wenn er dereinst die Gelegenheit dazu hat.

    Was die Attraktivitt bei den eigenen Leuten angeht,ist das Programm der steten Selbstliberalisierung leidernicht ganz so erfolgreich. Acht Millionen Protestanten ha-ben ihrer Kirche seit 1970 den Rcken gekehrt, das sindfast doppelt so viele Kirchenaustritte wie bei den Katholi-ken, die bis heute noch nicht einmal das Fegefeuer aus ihrem Katechismus verbannt haben. Am besten suchensich die Reformatoren auch ein neues Kirchenvolk, dasalte ist einfach zu rckschrittlich.

    An dieser Stelle schreiben Jan Fleischhauer und Jakob Augstein im Wechsel.

    Jan Fleischhauer Der schwarze Kanal

    Bringt meine Feinde

    JVA Bruchsal

    Krankenrevier berlastetMitarbeiter der Justizvoll-zugsanstalt Bruchsal beklagenunzumutbare Arbeitsbedin-gungen. Vier Sanittsbediens-tete reichten zwischen EndeJanuar und Mitte Februar so-genannte berlastungsanzei-gen ein, die die Anstalt andas Stuttgarter Justizministe-rium weiterleitete. Darin be-mngeln sie eine unzurei-chende Personalausstattung,unzureichende Rumlichkei-ten und eine hohe Zahl vonGefangenen, an die Drogen-

    ersatzstoffe wie Methadonausgegeben werden mssten.Laut Anstaltsleitung gab eszwar keine Fehlausgaben vonMedikamenten; dennoch er-innerte die Medizinalreferen-tin des Ministeriums die An-staltsleitung per Mail daran,dass die Medikamentenaus-gabe regelkonform und si-cher erfolgen msse etwadurch das Richten von Medi-kamenten zu zweit. AnfangApril war in Bruchsal ein In-sasse tot aufgefunden wor-den. Er hatte Methadon imBlut, obwohl er nicht an ei-nem Ersatzprogramm teilge-nommen hatte. fri

    JVA Bruchsal

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  • Zeitgeschichte

    Hitlers HirngespinsteRusslands Regierung hat berzwei Millionen Blatt deut-scher Beute-Akten aus demZweiten Weltkrieg freigege-ben, darunter unbekannteHitler-uerungen. So sin-nierte der Diktator in einerLagebesprechung am 13. Ok-tober 1943 ber die FrageWie kann der Krieg siegreichbeendet werden?. AntwortHitlers: indem man nie ver-zagt, sondern jede Schwcheausspht und sofort wiederausnutzt und niemals auchnur im geringsten an Kapitu-lation denkt. Expertenwie Johannes Hrter vom In-stitut fr Zeitgeschichte se-hen in der Mitschrift einenBeleg dafr, dass Hitler schon1943 ohne strategisches Kon-zept vorging und nur nochauf Durchhalteparolen unddas Prinzip Hoffnung setzte.

    So behauptete er ber seinensowjetischen Gegenspieler Jo-sef Stalin, dieser scheinenicht mehr gesund zu sein.Zudem knnten die USA auf-grund von Sticheleien mitden Briten die Lust an derweiteren Fortfhrung desKrieges verlieren. Die Beu-te-Akten stammen berwie-gend aus Bestnden derWehrmacht, aber auch vonSS und Polizei und liegen imArchiv des russischen Vertei-digungsministeriums. DasDeutsche Historische Institutin Moskau hat jetzt die ersten200000 Blatt ins Netz gestellt.Besonders interessante Ein -blicke erhoffen sich Wissen-schaftler von Papieren derHeeresgruppe Mitte, in derAngehrige des Widerstandsvom 20. Juli 1944 dienten. Esist umstritten, ob Offizierewie Henning von Tresckowan Kriegsverbrechen mitge-wirkt haben, bevor sie gegenHitler opponierten. klw

    18 DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Hauptstadtflughafen

    BER-Finanzierung nur noch auf Kredit

    Der Berliner Flughafengesellschaft drohenwegen des Airports BER neue Finanzrisi-ken. Nach dem Gesellschafter Brandenburgwill nun offenbar auch Berlin seinen Anteilan der bereits beschlossenen Kapitalerh-hung in Hhe von 1,1 Milliarden Euro nurnoch als Darlehen zur Verfgung stellen.Brandenburgs Finanzminister ChristianGrke (Linke) hatte bereits Mitte April er-klrt, das Land werde den BER nicht mehrwie bisher aus der Landeskasse bezuschus-sen, sondern nur noch Kredit gewhren.Auf der Sitzung des Aufsichtsratsfinanz -ausschusses am Mittwoch signalisierte dieVertreterin des Landes Berlin, dem Bran-

    denburger Vorsto folgen zu wollen. Ledig-lich der Bund berlegt noch, ob er seinenAnteil von rund 286 Millionen Euro derFlughafengesellschaft direkt zuschiet. Denweitaus greren Rest von rund 814 Millio-nen Euro msste die Gesellschaft plus Zin-sen nach Fertigstellung des BER dann andie beiden Lnder zurckzahlen. Dabei istnoch gar nicht sicher, ob die Kapitalzufuhrvon 1,1 Milliarden Euro ausreicht. Bundes-wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)beantragte Ende April bei der Europi-schen Kommission vorsorglich schon maleine Genehmigung fr die doppelte Sum-me. was

    Abschrift von Hitler-uerungen, 1943

    Union

    Rckzug einesPredigersDie CDU/CSU-Bundestags-fraktion muss einen Expertenfr die Kommission nachbe-nennen, die ber die Zukunftder Stasi-Unterlagen-Behrdebert. Der von der Fraktionzuvor entsandte Religions -pdagoge Rainer Wagner leg-te das Amt nieder. Vor weni-gen Tagen hatte er bereits denBundesvorsitz der Union derOpferverbnde Kommunisti-scher Gewaltherrschaft aufge-geben. Wagner gab dafr ge-sundheitliche Grnde an. Ausden Kreisen der SED-Opfer-verbnde heit es, Wagner seizum Rckzug gedrngt wor-den, weil er als ordinierterPrdikant der Stadtmission inNeustadt an der Weinstraeobskure Predigten und An-sprachen gehalten habe. Da-rin hatte der in Sachsen-An-halt geborene Wagner Ange-hrige anderer Religionen ver-unglimpft: In Moscheen inDeutschland werde islami-scher Gtzendienst betrie-ben, inzwischen auch vonNationalitts-Deutschen. stb

  • 19DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Kommentar

    Im Billig-Billig-ModusDie Kindergrten brauchen Geld es kann nicht nur vom Staat kommen.

    Der mndige Verbraucher wei, dass eine Jeans nicht nur fnfEuro kosten darf. Ist sie so billig, dann hat die Sache einenHaken: Die Ware ist minderwertig, oder die Arbeiterin inBangladesch musste sie unter unwrdigen Umstnden gegengeringen Lohn zusammennhen. Deshalb sind viele Konsu-menten bereit, fr ihre Hose mehr zu bezahlen.Bei der Betreuung von Kleinkindern, einer staatlich bezu-schussten Dienstleistung, ist dieses Bewusstsein noch nicht an-gekommen. Der Kita-Markt befindet sich knapp zwei Jahrenach Einfhrung des Rechtsanspruchsfr unter Dreijhrige noch immer imBillig-Billig-Modus. Zwar verdienen Er-zieherinnen 96 Prozent des Perso-nals sind weiblich ein Vielfaches vonNherinnen in Fernost. Doch leidetder Beruf unter schlechten Arbeitsbe-dingungen, nach wie vor zu geringerBezahlung und fehlendem Ansehen.

    Ab kommender Woche knnten inDeutschland flchendeckend Erziehe-rinnen und Erzieher streiken. Sie for-dern, in hhere Tarifgruppen einge-stuft zu werden. Die Verhandlungenzwischen den kommunalen Arbeitge-bern und den Gewerkschaften sind gescheitert, derzeit laufendie Urabstimmungen.

    Fr Eltern sind die Streiks lstig. Viele Kitas in Deutschlanddrften tagelang geschlossen, Tausende Berufsttige mit ihrenKindern zu Hause bleiben nur wenige Wochen nachdem be-reits die Grippewelle zu Engpssen fhrte. Dabei ist die Miserezum Teil selbst verantwortet. Denn whrend sie beim Konsumaus dem Vollen schpfen, wollen Mtter und Vter fr das Wi-ckeln, Spielen oder Trsten ihrer Kinder nicht viel ausgeben.Sie gerieren sich, vermittelt durch den Staat, als Preisdrcker.

    Deutschland hinkt bei den Bildungsausgaben hinterher. We-niger bekannt ist, dass vor allem die privaten Haushalte knau-sern. Whrend es etwa in asiatischen Lndern blich ist, indie Bildungskarriere der Kinder zu investieren, sehen deut-sche Eltern dafr vor allem den Staat in der Pflicht. Selbst mo-derate Studiengebhren von 500 Euro pro Semester warenhierzulande politisch nicht durchsetzbar.

    Auch bei den Kleinsten geht der Trend zur Bezahlfreiheit.Immer mehr Kommunen und Bundeslnder bieten zur Freude

    der Eltern zumindest das letzte Kita-Jahr gratis an. In Hamburg sind sogarab Geburt fnf Stunden pro Tag inklu-sive Mittagessen gebhrenfrei.

    Inzwischen zeigt sich der Preis desraschen Ausbaus: Es fehlt an der Quali-tt. Nur drei Prozent der Krippen be-treuen die Kinder gut, ermittelten For-scher, vielerorts sind die Gruppen zugro, ist das Personal schlecht ausgebil-det. Die Kitas mssen nehmen, wen siebekommen was wiederum nicht im-mer die besten Interessenten in den Be-ruf zieht. Es wre zu wnschen, dassder Staat nach dem Kita-Ausbau eine

    Qualittsoffensive finanziert, indem er etwa die Ausbildungder Erzieherinnen aufwertet.

    Doch ganz ohne Elternbeitrge kommt das System wohlnicht aus. Gebhrenmodelle, die Familien je nach Einkommenbeteiligten, waren vielerorts gebte Praxis. Dem Versprechen,dass die Kitas nun zugleich billiger und besser werden, solltenEltern misstrauen.

    Und sich whrend der erzwungenen freien Tage die Fragestellen: Darf es auch bei der Kinderbetreuung ein wenig teu-rer sein? Jan Friedmann

    Kita-Kinder

    Terrorismus

    Lnder bestehen aufZustndigkeitenDie von der Bundespolizeials Reaktion auf die Anschl-ge von Paris geplante Anti -terroreinheit stt bei denLndern auf wenig Begeiste-rung. Die neue Truppe sollvor allem eine spezielle Aus-rstung erhalten, um gegenden Beschuss mit schwerenWaffen wie dem Sturmge-wehr Kalaschnikow geschtztzu sein, was bislang bei kei-ner deutschen Polizeieinheitder Fall ist. Die Innenminis-ter der Lnder, die im Ernst-fall fr die Bekmpfung vonTerrorlagen zustndig sind,fhlen sich offenbar bergan-gen und reagieren skeptisch:Wenn der Bund glaubt, es

    gebe Nachholbedarf bei Anti-terroreinheiten, dann werdenwir ihn sicher nicht daran hin-dern, sagt der rheinland-pflzische Innenminister Ro-ger Lewentz (SPD), derzeitVorsitzender der Innenminis-terkonferenz. Aber Polizei -arbeit sei Lndersache, unddabei bleibe es auch. Eineneue Verteilung von Kompe-tenzen zwischen Lndernund Bund werde es auf kei-nen Fall geben. aul

    FDP

    Gut verpackt

    Die Bremer FDP gab ein biss-chen zu sehr mit ihrer partei-losen Spitzenkandidatin zurBrgerschaftswahl am 10. Maian: Lencke Steiner,29, berate Bundes-kanzlerin AngelaMerkel und Bundes-prsident JoachimGauck zur Corpo -rate Governancefr Familienunter-nehmer, hie es aufder Partei-Home -page. In Wirklich-keit hat die Ge-schftsfhrerin ei-ner Verpackungs -firma lediglich andrei Berliner Tref-fen 2013 und 2014

    teilgenommen: Als Bundes-vorsitzende der Jungen Un-ternehmer war sie einer vonvier Gsten bei einem Gedan-kenaustausch mit JoachimGauck ber DemografischenWandel und Generationenge-

    rechtigkeit, und alsFirmenchefin durftesie an zwei Konfe-renzen Frauen inFhrungspositio-nen mit AngelaMerkel teilnehmen,neben hundert an-deren Gsten. AufSPIEGEL-Nachfragerumte die FDP ein,die Formulierungsei vielleicht tat-schlich missver-stndlich. Inzwi-schen wurde sie ent-schrft. stg

    Bundespolizisten

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  • 20 DER SPIEGEL 19 / 2015

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  • ern, vor allem aber soll sie ihn kontrollie-ren. In dieser Aufgabe hat das Amt derKanzlerin nicht nur geschludert, es hat ver-sagt. Der Skandal um die Sphattackender NSA, um die offensichtliche Zusam-menarbeit von BND und NSA, er ist damitauch ein Skandal der Kanzlerin.

    Eine Onlinemeldung des SPIEGEL hatteden jngsten Geheimdienstskandal amDonnerstag vergangener Woche angefacht.Demnach hat die NSA offenbar massiv ver-sucht, ber BND-Anlagen deutsche und eu-ropische Ziele auszuspionieren. Trotz derHinweise vor Jahren hat das Kanzleramtso gut wie nichts dagegen unternommen.

    Das Ausma dieser Affre wurde in dervergangenen Woche Stck fr Stck sicht-barer. Die NSA hat ber den BND offen-bar nicht nur Unternehmen ins Visier ge-nommen, sondern auch Politiker und In-stitutionen in Europa. Darauf deuten Such-kriterien hin, mit denen die Amerikanerihre deutschen Partner versorgten. Inzwi-schen prft die Bundesanwaltschaft, obein Anfangsverdacht fr eine in unsereZustndigkeit fallende Straftat vorliegt.Der Generalbundesanwalt ist unter ande-rem fr die Strafverfolgung von Spionageund Landesverrat zustndig.

    Wie Recherchen des SPIEGEL jetzt be-legen, war die Hilfsbereitschaft des BNDnoch grer als bislang gedacht. In einerstreng geheimen Operation Monkey -shoulder plante der BND auch mit dembritischen Geheimdienst GCHQ eine engeKooperation, die NSA war ebenfalls in-volviert. Von dieser fragwrdigen Zusam-menarbeit sollte selbst das Kanzleramt zuBeginn nichts wissen.

    Hinzu kam in den vergangenen Tagenein weiterer, schwerwiegender Verdacht:Hrten die USA im Berliner Regierungs-viertel gezielt Mitarbeiter des Kanzleramtsab? Spionierten sie Journalisten aus?

    Es ist ein Skandal, der sich wie einSturm zusammenbraut und zu einer veri-tablen Staatsaffre werden knnte. Doch

    Titel

    Ein Tag im Sommer, es war der 14. Juli 2013. Die Bundeskanzlerinsa auf einem roten Sessel, ihr ge-genber zwei Moderatoren der ARD. ImHintergrund floss die Spree, der Himmelwar bedeckt, es war das traditionelle Som-merinterview frs Fernsehen. Deutschlanddiskutierte ber das zgellose Treiben desamerikanischen Geheimdienstes NSA, Ed-ward Snowdens erste Enthllungen lagengerade einen Monat zurck. Die Kanzlerinhatte ihren Innenminister nach Washing-ton geschickt, sie demonstrierte Tatkraftund war gut gelaunt.

    Ob sie denn wisse, welche Daten genauaus Deutschland abgegriffen worden seien,wollten die Moderatoren wissen, das Stich-wort Wirtschaftsspionage macht ja auchdie Runde. Angela Merkel sa ruhig aufihrem roten Sessel. Also da, setzte siean, wurde dem Bundesinnenminister sehrdeutlich gesagt: Es gibt keine Industriespio-nage gegen deutsche Unternehmen.

    Nur wenige Hundert Meter vom rotenSessel entfernt aber war der Kenntnisstandein anderer. Im Kanzleramt von AngelaMerkel wusste man lngst, dass diese Aus-kunft der Amerikaner so nicht stimmte.

    Sptestens seit 2010 hatten die Mitar -beiter der Kanzlerin Hinweise darauf, dass die NSA versucht hatte, europischeFirmen auszuspionieren, darunter auchEADS, ein Luftfahrt- und Rstungsunter-nehmen mit deutscher Beteiligung. Manwusste zudem, dass die Amerikaner frihre Spitzelei den Bundesnachrichten-dienst (BND) einspannen wollten. Es wreverwunderlich, wenn von diesen Vorgn-gen nicht auch Merkel lngst wusste, alssie bei der ARD auf dem roten Sessel sa.Wusste sie es tatschlich nicht, dann wredies sogar noch schlimmer.

    Die Kanzlerin fhrt offiziell die Aufsichtber den Auslandsgeheimdienst, den BND.Eine ganze Abteilung in Merkels Hauskmmert sich darum, sie soll die Auftrgefr den BND formulieren, sie soll ihn steu-

    21DER SPIEGEL 19 / 2015

    BND-Zentrale in Berlin, Partner Merkel, Obama

    Es gibt keine Industriespionage gegen deutsche Unternehmen

    Der unheimlicheDienstBundesregierung Die jngste Spionage-Affre strzt den BND in eine seiner grten Krisen und trifft damit auch dasZentrum der Macht: Angela Merkel und ihr Kanzleramt.

  • diejenige, die am Ende die Verantwortungtrgt, schickte bislang nur ihren Regie-rungssprecher vor.

    Ein unausgesprochener Deal mit denUSA wird damit zum Problem fr AngelaMerkel und ihre Regierung. Um die Bun-desrepublik vor Terroranschlgen zu scht-zen, sollten amerikanische Geheimdienstevon deutschem Boden aus Millionen Datenabschpfen knnen, mithilfe des BND undohne echte politische Kontrolle.

    Nun muss sich die Kanzlerin die Fragestellen lassen, wie dieses Verhalten zu ih-rem Amtseid passt: Was geschieht, umdeutschem Recht Geltung zu verschaffen?Werden deutsche Interessen verraten,wenn amerikanische Geheimdienste unge-straft die deutsche Industrie aussphenoder dies zumindest versuchen? Was istfaul in einem Staat, dessen eigener Ge-heimdienst dabei entweder wegschautoder gar mithilft? Nicht zu reden von demSchaden, den die jngste Affre beiDeutschlands Nachbarn anrichtet: Ist eingutes Verhltnis zu den Amerikanern wich-tiger als das Vertrauen der europischenPartner?

    Wer verstehen will, wie sich in ei-nem System voller Rechte undRegeln eine Behrde entwickelnkann, die irgendwann ihre ganz eigenenGesetze schreibt, sollte sich den 23. Okto-ber 2001 ins Gedchtnis rufen.

    Damals nahm Otto Schily als Bundes -innenminister in einem Konferenzraum inWashington Platz. Neben ihm sa JohnAshcroft, der damalige Justizminister derVereinigten Staaten von Amerika. Es gingum die Anschlge von New York, sie lagensechs Wochen zurck. Ashcroft sagte, dassdrei der Todespiloten und drei ihrer Kom-plizen in Hamburg gewohnt hatten. Es wareine schlichte Feststellung, zugleich wares eine schallende Ohrfeige. Otto Schilywirkte wie ein gemaregelter Pennler.Eine amerikanische Untersuchungskom-mission schrieb spter Deutschland eineMitschuld zu, die Anschlge nicht verhin-dert zu haben.

    Bundeskanzler Gerhard Schrder gabeine klare Linie vor. Er versprach denAmerikanern uneingeschrnkte Solidari-tt. Fr die deutschen Sicherheitsbehr-den war es wie ein Startschuss in ein neuesZeitalter: Die Autoritt sa nun nicht mehrnur in Berlin. Sie sa auch in Washington.

    Damit vernderte sich das Verhltniszwischen der Bundesregierung und ihremGeheimdienst. Die Behrde in Pullach ent-wickelte ein neues Eigenleben, ihre Auf-seher in Berlin lieen sie gewhren.

    Er habe sich nach dem 11. September2001 intensiv um ein gutes Verhltnis zumBND bemht, sagt der damalige NSA-Chef Michael Hayden. Ich wollte nichtwie ein Besatzer auftreten, sondern die

    Zusammenarbeit ausbauen. Beim BNDtraf er damals mit August Hanning auf ei-nen Prsidenten, der diese Kooperationfrderte, wo er nur konnte.

    Hunderte US-Agenten tummelten sichfortan in Deutschland und observiertenTerrorverdchtige von Hamburg bis Wies-baden, nur die wenigsten davon waren derBundesregierung namentlich gemeldet,wie es die Vorschrift gewesen wre. Alsbeste Auenstelle von CIA und NSA be-zeichnet ein ehemaliger Mitarbeiter imKanzleramt den deutschen Nachrichten-dienst. Deutschland wurde zum Aufkl-rungsziel Nummer eins in Europa, sagtder ehemalige NSA-Mitarbeiter ThomasDrake.

    Allerdings profitierten die Deutschenauch von dem mchtigen berwachungs-apparat: Die sogenannte Sauerland-Grup-pe flog dank eines Hinweises aus den USAauf, einen greren islamistischen Terror-anschlag hat es bis heute auf deutschemBoden nicht gegeben.

    Das war womglich einer der Grnde,weshalb der BND oder andere Dienste dieAmerikaner gewhren lieen, selbst wennsie etwas von den Spitzeleien bemerkten.hnlich leger sahen es die Aufseher imKanzleramt, von denen einige ihre Kar-riere in den Diensten begonnen hatten: Eswar eine eingeschworene Clique der Ge-heimen, die da agierte, offen fr die Be-

    lange der Amerikaner, verschlossen frKritik von auen. So ist es bis heute.

    Wir waren in den Augen der Amerika-ner wie ein US-Flugzeugtrger mitten aufdem Kontinent, sagt ein hochrangiger Re-gierungsbeamter in Berlin.

    Mehr Distanz, mehr Kontrolle, mehrAutonomie selbst wenn sie es gewollthtten, wre es den Deutschen kaum nochmglich gewesen, sich von den USA zuemanzipieren. Viel spter als die NSA hat-te der BND verstanden, dass sich Technikund Aufklrungsziele radikal ndern muss-ten. Um mit der digitalen RevolutionSchritt zu halten, waren die Deutschen aufdie Amerikaner angewiesen. In einem in-ternen Papier des Kanzleramts heit es:Die NSA biete die Mglichkeit, wiederAnschluss an die Entwicklung in der Kom-munikationstechnik zu gewinnen undlangfristig zu halten.

    Diese Abhngigkeit verhindert, dass diedeutsche Regierung die Probleme der Zu-sammenarbeit offen und ehrlich diskutiert.Sie wrde die Gunst der Amerikaner ris-kieren, auf die sie angewiesen zu seinglaubt. Die Grundlage fr eine neue, be-sonders enge Kooperation wurde im April2002 gelegt, mit einem Memorandum ofAgreement, einem sechsseitigen Papiermit mehr als 70 Seiten Anhang. Es regeltedie Details der neuen Abhrallianz, und essollte verhindern, dass in der Bundesrepu-

    22 DER SPIEGEL 19 / 2015

    Geheimdienstdokument

    Einzigartige Zugnge

  • Titel

    blik Deutsche oder Amerikaner abgehrtwrden. Daten aus Europa sollten nur dannVerwendung finden, wenn es um eine kon-krete Terrorbedrohung ging. Die Partnersicherten zu, sich gegenseitig in die Ertei-lung und Erfassung der Auftrge blicken zulassen. Im Laufe der Jahre geriet diese Ver-einbarung aber offenbar in Vergessenheit.

    Einer der leistungsstrksten Horchpostender Amerikaner in Europa war die Anten-nenanlage von Bad Aibling, welche die USAgebaut und 2004 offiziell dem BND ber-tragen haben. Heimlich verlegte Leitungenfhren unter Feldern und Wiesen hindurchzur Mangfall-Kaserne, wo der BND die groangelegte berwachung der Satellitenkom-munikation seither heimlich steuert.

    Die Amerikaner richteten sich auf demKasernengelnde in Sichtweite der Kugelnein. Sie bauten einen groen, fensterlosen,schwarzen Klotz, der per Glasfaserkabelan das NSA-Datennetz angeschlossen ist.Auf dem Kasernengelnde ist auch dieVerbindungsstelle zwischen NSA undBND zu Hause, die sogenannte Suslag.

    Mithilfe der Amerikaner fngt der BNDin Bad Aibling seit nun ber zehn Jahrengroflchig Signale aus Krisenregionen ab:Telefongesprche, E-Mails, SMS-Nachrich-ten. Grundlage dafr sind nicht zuletztSuchbegriffe der Amerikaner, die soge-nannten Selektoren. Tglich werden neuevon amerikanischen Servern abgerufen,

    bis 2015 summierte sich ihre Gesamtzahlauf 4,6 Millionen. Die Techniker des BNDspeisen sie fr die NSA-Kollegen in dasSystem ein und leiten die Ergebnisse wie-der an sie weiter. Es ist ein eingespieltesMiteinander.

    Ein breiter Fluss von Daten rauscht sojeden Monat durch die Spionageschleusein Bad Aibling. Dieser Strom wird von denDeutschen nach BND-Angaben gefiltert,denn deutsche und amerikanische Zielesollen gem dem Memorandum ausge-nommen sein. Daten von Anschlssen mitder deutschen Vorwahl 0049 oder Internet-adressen mit der Endung .de sollen nichtin die Hnde der Amerikaner fallen. Es seidenn, es handelt sich um Schwerverbrecherwie Terroristen oder Waffenschieber.

    In 2010, dem Jahr, in welchem das Kanz-leramt nachweislich vom ungewhnli-chen Recherchedrang der Amerikanererfuhr, war Ernst Uhrlau bereits seit fnfJahren Prsident des Bundesnachrichten-dienstes. Er hatte, zumindest fr die ffent-lichkeit, in den ersten Jahren seiner Amts-zeit die Praxis der bedingungslosen Soli-daritt korrigiert. Es waren die Jahre, alsAmerika seine hssliche Fratze zeigte: Bil-der von nackten Gefangenen aus dem Fol-tergefngnis Abu Ghraib tauchten auf, dieWelt lernte, was Waterboarding ist und wiedie CIA willkrlich Menschen entfhrte.

    Uhrlau installierte im BND Juristen, diejede Operation, besonders mit ameri -kanischer Beteiligung, auf rechtliche Be-denken prfen sollten. Und er reduziertedie Zahl der gemeinsamen Operationendrastisch.

    Die gemeinsame berwachung von BNDund NSA lief trotz dieser Distanzierungweiter. Auf die starke Schulter des groenBruders wollte der BND auch unter seinemPrsidenten Uhrlau nicht verzichten. DieAmerikaner wiederum verstanden, diesesZutrauen fr ihre Zwecke zu nutzen.

    Das Ausma der US-Spionage amHorchposten in Bad Aibling wurde im Au-gust 2013 deutlich: Der BND hatte nachden Snowden-Enthllungen Beamte be-auftragt, die Suchbegriffe der Amerikanergenauer unter die Lupe zu nehmen. EinSachbearbeiter setzte sich an einen Rech-ner und durchforstete die Selektorendateider NSA mit Krzeln, wie sie in den E-Mail-Adressen von Diplomaten, Botschaf-tern und Mitarbeitern von Bundesbehr-den vorkommen: Er versuchte es mit di-plo und mit bundesamt.

    Allein die Suche nach diesen Bezgenist vielsagend, zeigt sie doch, dass nun,nach den Enthllungen, der BND seinemUS-Partner durchaus zutraute, sich beralle Konventionen und Vereinbarungenhinwegzusetzen und Deutsche ins Visierzu nehmen. Der BND-Mann suchte in derDatenbank auch nach dem Bestandteilgov, das viele europische Regierungenin ihren E-Mails verwenden. Auf Anhieblandete er einen Volltreffer: Es fanden sichrund 12000 solcher Merkmale in der akti-ven Suchdatei, darunter etliche E-Mail-Adressen, die zu hochrangigen franzsi-schen Diplomaten fhrten. Wie sich he-rausstellte, barg die Liste mit den TreffernSprengstoff: Sie verstie eindeutig gegendie Vereinbarungen von 2002, gegen dasMemorandum of Agreement. Auch E-Mail-Accounts von EU-Institutionen undMitarbeitern weiterer europischer Regie-rungen sollen in den US-Suchbegriffenaufgetaucht sein. Die Suche aber blieb zunchst offenbar ohne Konsequenzen.Wenn es stimmt, dass BND-PrsidentSchindler erst am 12. Mrz dieses Jahresvom Ergebnis der Nachforschungen erfuhr,dann muss die Abteilung in Bad Aiblingihre Treffer ber eine lange Zeit fr sichbehalten haben.

    Darauf deutet ein Schriftverkehr hin,der so knapp wie brisant war: Am 14. Au-gust 2013 teilte der BND-Sachbearbeiterseinen ungeheuerlichen Fund dem Verant-wortlichen des BND in Bad Aibling mitdem Krzel R. U. mit. Was soll ich damitmachen?, schrieb der Beamte. Die Ant-wort war: Lschen.

    Dass die USA die Kooperation mit denwillfhrigen BND-Freunden auch frLauschangriffe auf den europischen Rs-

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    Abhranlage in Bad Aibling

  • 20. Februar 1989

    SPIEGEL-Titel

    ber die

    Zusammen-

    arbeit der

    Geheimdienste

    16. Januar 2006 1. Juli 2013

    8. Juli

    2013

    1989

    Lauschoperationenin der BundesrepublikDie SPIEGEL-Titelgeschichte beschreibt, welch enormenAufwand die NSA in West-deutschland und Westberlin betreibt, um von hier aus vorallem Osteuropa auszuspionieren. Davon profitiert auch der BND.

    2001

    Die Anschlgevom 11. September Die Terrorzelle um Mohammed Atta agierte monatelang in Hamburg. Eine Blamage fr die deutschen Nachrichten-dienste, die sich als blind gegenber der islamistischen Bedrohung erweisen.

    und die FolgenEinen Tag spter verspricht Bundeskanzler Gerhard Schrder den Amerikanern die uneingeschrnkte Solidaritt Deutschlands.

    2002

    GrundsatzentscheidungDer Geheimdienst-koordinator der rot-grnen Bundesregierung, Frank-Walter Steinmeier, billigt eine Zusammenarbeit zwischen BND und NSA zur berwachung der Telekommunikation.

    2003

    Deckname CurveballBevor der Irakkrieg losgeht, liefert der BND der Bush-Regierung den Hauptzeugen fr die Behauptung, Saddam Hussein produziere Massen-vernichtungswaffen. Dass sich der Zeuge als Lgner erweist, sorgt fr Verstimmungen.

    Der Freund mit den groen Ohren Kooperationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA

    Titel

    tungskonzern EADS und dessen TochterEurocopter nutzte, war bereits seit 2005 in-tern bekannt. Im Januar 2006 kabelte dieAuenstelle Bad Aibling erstmals eine Infodarber an die Zentrale in Pullach. Darinnannte der Mitarbeiter die BegriffeEADS und Eurocopter, er hngte eineExcel-Tabelle mit unzhligen Sachbegriffenan. Ist es glaubhaft, dass der damalige BND-Prsident von dem damit dokumentiertendramatischen Verdacht nichts erfuhr, dieNSA betreibe klammheimlich die Ausfor-schung von Unternehmen, also womglichWirtschaftsspionage? Zumal in einem In-dustriezweig, in dem der Wettbewerb mitUS-Firmen besonders intensiv ist? Oderverschwand die Mail in einer Schublade derAbteilung Technische Aufklrung?

    Erst vier Jahre spter erreichte die bri-sante Info nach derzeitigem Stand dasBundeskanzleramt. Empfnger: der frden BND zustndige Spitzenbeamte derAbteilung 6 Guido Mller, heute Vizepr-sident des BND. Der Titel: Sachstand Zu-sammenarbeit Abteilung TA mit NSA.Darin hie es klar und unmissverstndlich:Dass die NSA weiterhin gem US-Inte-ressen deutsche Ziele aufklrt, kann aller-dings nicht verhindert werden. Die US-Spezialisten der Joint Sigint Activity (JSA)in Bad Aibling wrden dieses Ziel zwarnicht verfolgen, heit es. NSA hat jedochin 2005 Erfassungskriterien zu den FirmenEADS, Eurocopter und verschiedenenfranzsischen Behrden in JSA einge-stellt. Der BND habe dies entdeckt undim Anschluss unterbunden.

    Hintergrund des berraschenden Brie-fings war ein Besuch der US-Leitung vonBad Aibling beim Geheimdienstkoordina-tor Gnter Hei, der gerade ein paar Mo-

    nate im Amt war. In den folgenden Mona-ten tauchte der Hinweis immer wieder auf,etwa zur Vorbereitung von Hei auf einTreffen mit dem damaligen NSA-ChefKeith Alexander. Sieben Vermerke ent-halten die Warnung, zuletzt am 2. Dezem-ber 2011.

    Auf die Idee, den verrterischen Selek-toren auf den Grund zu gehen, kam offen-bar niemand. Dabei htte es einen weiterenAnlass gegeben, sich das Treiben der Ame-rikaner in Deutschland sehr genau anzu-schauen.

    Trifft ein Bericht der Bild am Sonntagzu, dann hat das Kanzleramt durch einenweiteren Vorgang schon seit Jahren Hin-weise darauf, dass die US-Nachrichten-dienste Gesprche von deutschen Regie-rungsmitarbeitern abhren. 2011 soll derBerliner CIA-Chef Merkels Leute darberunterrichtet haben, dass ein leitender Mit-arbeiter des Kanzleramts angeblich Me-dien gute Storys zuspiele. Dem Blatt zufolge habe der CIA-Vertreter einenGruppenleiter der Abteilung 6 als mut-malichen Maulwurf benannt. Der Be-amte wurde wenig spter von seinen Auf-gaben entbunden und sollte in ein anderesMinisterium versetzt werden. Nach einerKlage vor dem Berliner Verwaltungsge-richt durfte er in der Geheimdiensteabtei-lung im Kanzleramt bleiben, wurde abermit Archivaufgaben betraut und von sen-siblen Sitzungen ausgeschlossen. Die Per-sonalangelegenheit fhrte der damaligeKanzleramtschef Ronald Pofalla, zustndigwar sein Abteilungsleiter Gnter Hei.

    Der Bericht lsst mehrere Szenarien zu,die damals auch im Kanzleramt durchge-spielt worden sein mssen: Fngt die NSAim Berliner Regierungsviertel flchende-

    ckend Gesprche auf und ist auf diese Wei-se auf den Kanzleramtsmitarbeiter gesto-en? Hren die Amerikaner gezielt dieKonversation von Mitarbeitern des Kanz-leramts ab? Oder berwachen die US-Dienste gezielt deutsche Journalisten? Je-des dieser drei Szenarien bedeutete einenSkandal mit weitreichenden Folgen fr dastransatlantische Verhltnis.

    Rckblickend, im Licht der Affre umdas berwachte Handy der Bundeskanz-lerin, erscheint vieles plausibel aber imKanzleramt htten bereits 2011 alle Warn-lampen angehen mssen. Bislang schweigtdas Kanzleramt zu den Vorwrfen. EineFragenliste des SPIEGEL lieen MerkelsLeute bis zum Redaktionsschluss unbeant-wortet. Aber sptestens vor dem Untersu-chungsausschuss, der den neuerlichen Vor-wrfen nachgeht, wird sich das Kanzler-amt erklren mssen.

    Das gilt im gleichen Mae fr die merk-wrdigen Vorgnge in Bad Aibling. Spureneiner wohl rund 40000 verdchtige Selek-toren umfassenden Negativdatei findensich auch in den Unterlagen von EdwardSnowden.

    Es handelt sich um ein Dokument mitder Bezeichnung Einschrnkungen frdie JSA (JSA restrictions), und esstammt aus den Bestnden des britischenAbhrdienstes GCHQ. Darin heit es, diegemeinsam von Amerikanern und Deut-schen betriebene berwachungseinheitJoint Sigint Activity verfge ber einzig-artige Zugnge, unterliege aber einigenBeschrnkungen, was die Abhrziele an-gehe.

    Demnach drften erstens keine Deut-schen und auch keine Staatsbrger der sogenannten Five Eyes Ziel der berwa-

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  • 22. Juli 2013

    16. Juni 2014

    4. November 201328. Oktober 2013

    Die Agenten von BagdadZwei whrend des Kriegs im Irak ein-gesetzte BND-Agenten haben mglicher-weise militrische Informationen an die USA bermittelt.

    2013

    Der PaktDokumente des flchtigen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden legen die weltweiten Abhr- und berwachungsmethoden des US-Dienstes offen. Der SPIEGEL belegt anhand geheimer Unter-lagen die enge Verflechtung deutscher Dienste mit der NSA.

    2004

    Operation EikonalAn einem Glasfasernetzknotenin Frankfurt am Main werden erst Telefon-, spter auch Internetdaten herausgefiltert und an die BND-Zentrale weitergeleitet. Die NSA, mit der der BND kooperiert, inte-ressiert sich auch fr Suchbegriffe wie EADS und Eurocopter.

    2015

    Dienstleister fr die NSAIm April wird bekannt, dass die NSA seit 2002 sogenannte Selektoren (Handynummern, IP-Adressen, E-Mail-Konten) an den BND schickt. Der durch-sucht seine Datenbanken und reicht die Ergebnisse an die NSA weiter.

    2006

    Sauerland-GruppeDie NSA informiert den BND ber einen verdchtigen Mail-Verkehr zwischen Pakistan und Deutschland. Im September 2007 verhaftet die deutsche Polizei drei Mitglieder der sogenannten Islamischen Dschihad-Union wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags.

    chung sein. Zu den Five Eyes zhlen dieGeheimdienste der Lnder USA, Kanada,Australien, Neuseeland und Grobritan-nien. Zweitens drften von dort aus keineeuropischen Wirtschaftsziele ins Visiergenommen werden. Nicht akzeptiertwrden von der JSA zudem heikle na-tionale Selektoren wie die Internetadress-sendungen fr Deutschland, sterreichund die Five-Eyes-Staaten.

    Danach folgt eine Liste mit Unterneh-men, die nicht berwacht werden sollten,weil es sich um deutsche Firmen oder Ein-richtungen handelt. Die folgende Zusam-menstellung ist berraschend. Zum einenwaren europische Wirtschaftsziele jaangeblich ohnehin komplett ausgenom-men, zum anderen ist die Liste mit gerade31 Eintrgen berraschend kurz. Sie wirktzudem einigermaen erratisch.

    So finden sich darauf die UnternehmenEADS und Eurocopter, die spter auch inden sieben Vermerken des Bundeskanz-leramts auftauchten. Die berwachungdes Luftfahrtkonzerns EADS, der heutigenAirbus-Gruppe, ist in weiteren Unterlagenaus dem Snowden-Bestand sogar mit ei-nem Namen verbunden, zusammen miteiner Telefonnummer aus Saudi-Arabien.

    Der genannte Mitarbeiter von EADS istin einem sensiblen Bereich ttig: Er km-mert sich um die Rstungsexportgenehmi-gungen unter anderem der Verteidigungs-sparte. Viele dieser Auftrge sind strenggeheim und werden nur im Bundessicher-heitsrat errtert, einem geheim tagendenAusschuss des Bundeskabinetts, der keinerparlamentarischen Kontrolle unterliegt.Der Mann wird in der Liste als Treffergefhrt und als potenziell interessan-tes neues berwachungsziel.

    Airbus-Chef Tom Enders, ein ausgespro-chener Freund der USA, sei irritiert unduerst verrgert ber das tagelangeSchweigen der Bundesregierung, sagt einhochrangiger Airbus-Manager. Er fordereBerlin auf, Stellung zum Vorwurf der In-dustriespionage zu beziehen. Sein Unter-nehmen hat mittlerweile Strafanzeigen ge-gen unbekannt erstattet, wegen Industrie-spionage.

    Airbus, oder frher EADS, ist fr aus-lndische Spione wohl tatschlich das span-nendste Unternehmen in Deutschland. Alsgrtes Rstungsunternehmen Europasstellt es Produkte her, gegen die amerika-nische Firmen direkt konkurrieren. Dazuzhlen das Kampfflugzeug Eurofighter,Spionagesatelliten und die Raketen fr dasAtomprogramm des franzsischen Militrs.

    Vor einigen Jahren ging der Konzern mitdem Betankungsflugzeug A330 MRTT inKonkurrenz zu Boeing um einen 35-Milli-arden-Auftrag der U.S. Air Force.

    Neben dem Rstungsbereich streitenBoeing und Airbus aber auch um dieMarktfhrerschaft bei zivilen Passagier-maschinen. Ein Wettstreit, bei dem es so-wohl in Europa als auch in den USA umsgroe Prestige geht.

    Auf der Liste aus den Snowden-Unterla-gen werden noch weitere Unternehmen ge-nannt: Siemens, Boehringer-Ingelheim, dieDeutsche Bank und Debitel, auch der BND-Ausrster Rohde&Schwarz, Mercedes-Benz, MTU oder ND SatCom aus Immen -staad am Bodensee. Ebenfalls namentlichverzeichnet sind der Wertpapiergeschfts-abwickler Clearstream, eine in Luxemburg

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    BND-Chef Schindler: Hilfe fr den groen Bruder

  • angesiedelte Tochterfirma der deutschenBrse, sowie der Logistikriese DHL.

    Gemeinsam ist den Unternehmen, dassihre genannten Firmen-Domains nicht auf.de enden, sondern auf .com, .orgoder .net. Somit wren sie fr automa-tisierte Filter nicht gleich als deutsche Fir-men identifizierbar gewesen was erkl-ren knnte, warum sie explizit auf der Lis-te genannt wurden.

    Handelt es sich um Selektoren, die vonden Amerikanern beim BND eingespeistund dort abgelehnt wurden? Oder wurdendie Firmen schon jahrelang berwacht underst nachtrglich diskret aus der Ziellisteentfernt? Standen die Unternehmen auf je-ner Liste der vom BND entdeckten 2000Selektoren, die eindeutig deutschen und eu-ropischen Interessen zuwiderliefen? DerBundesnachrichtendienst uert sich dazunicht, ebenso wenig das Bundeskanzleramt.

    Dass auslndische Geheimdienste auchWirtschaftsspionage betreiben, htte Mer-kel auch ohne Kenntnis der aktuellen Ent-hllungen wissen mssen, als sie die Fra-gen der ARD-Moderatoren beantwortethat. Bei den meisten Diensten, etwa beiden Franzosen, aber auch bei den Ameri-kanern, ist die Wirtschaftsspionage sogarschriftlich im Aufgabenprofil festgehalten.

    Gerhard Schindler, der Chef desBND, soll erst am 12. Mrz vomAusma der unerlaubten Spionage -operationen erfahren haben. Er meldete

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    Minister de Maizire

    es daraufhin sofort ins Kanzleramt. EineWoche spter reiste Peter Altmaier, deramtierende Kanzleramtsminister, mit gro-em Gefolge nach Pullach in die BND-Zentrale. Es war klar, dass der Dienst einProblem hatte und nicht nur er.

    Schindler ist ein Mann, der Problemegern anpackt. Manchmal fehlt es ihm dabeian Feingefhl. Nach Amtsantritt vor dreiJahren forderte er den BND auf, gut kal-kulierte Risiken hufiger einzugehen, undgarnierte seine These mit dem Spruch: Norisk, no fun. Er machte sich damit nichtnur Freunde. Um aber ein besseres Klimamit den Amerikanern wiederherzustellen,nach den Jahren der leisen Distanz unterErnst Uhrlau dafr war Schindler derrichtige Mann.

    2011 plante er seinen Antrittsbesuch inWashington. Zuvor aber forderte er jedenFachbereich seiner Behrde auf, ihm dreiVorschlge fr gemeinsame Operationenmit den Amerikanern zu machen.

    Daraus entwickelte sich tatschlich wie-der eine intensive Zusammenarbeit: DieDeutschen halfen dort aus, wo die NSAnicht oder nur eingeschrnkt operierenkonnte, etwa in Krisenregionen. In man-chen Fllen kooperierten BND und NSAauch mit einem dritten Land, die Deut-schen traten dann als Vermittler auf. Wirsind immer dann ins Spiel gekommen,wenn die Amerikaner allein nicht weiter-kamen, sagt ein Mitarbeiter eines deut-schen Nachrichtendienstes.

    Am 30. April 2013 schickte Schindlereine Delegation in die NSA-Zentrale inFort Meade. Fr die BND-Leute ging esdarum, ihre laufenden berwachungspro-gramme in China, Iran, Pakistan, Syrien,im Jemen und in Nordkorea zu prsentie-ren. Aber auch die NSA hatte ein Anlie-gen. Die Deutschen sollten neue Bereicheder Kooperation vorschlagen, mit denenLcken in der globalen berwachung ge-schlossen werden sollten.

    Mit hnlichen Motiven hatte sich zuvorschon Grobritannien fr eine enge Zu-sammenarbeit mit den Deutschen interes-siert. Im Jahr 2012 unterbreitete der briti-sche Nachrichtendienst GCHQ, der frtechnische Aufklrung zustndig ist, sei-nen deutschen Kollegen das Angebot, amInternetknotenpunkt der Telekom inFrankfurt am Main zusammenzuarbeiten.

    Die Briten boten ein ausgefeiltes Erfas-sungs- und Verarbeitungssystem an, mitdem der BND endlich seine Kapazitts-probleme in den Griff bekommen wrde.Im Gegenzug verlangten sie die bermitt-lung von Rohdaten aus deutschen Transit-datenleitungen, die etwa aus Russlandoder China stammten. Fr den Fall einesDeals wollten die Briten auch Daten ausihrer Auslandserfassung bermitteln, andie die Deutschen von Rechts wegen sonstnicht gelangen wrden.

    Ein lukrativer Ringtausch also sollte eswerden, bei dem jede Seite ihren blindenFleck verlieren wrde. BND-Chef Gerhard

    ParlamentarischesKontrollgremium

    wird von der Bundes-regierung ber Ttig-keiten der Geheim-dienste unterrichtet

    G-10-Kommission

    entscheidet ber dieZulssigkeit von Eingriffen ins Fernmeldegeheimnis

    und kontrolliert den Umgang mit den Daten

    Vertrauens-gremium

    kontrolliertdie Ausgaben

    des BND

    Kontrollorgane des BND

    Aufsicht

    Bundeskanzlerin

    Kanzleramt

    Bundesnachrichten-dienst (BND)

    Prsident

    Gerhard

    Schindler

    seit 2012

    Kanzleramtschef

    Peter Altmaier

    seit 2013

    Beauftragter frdie Nachrichtendienste

    Klaus-Dieter Fritsche

    seit 2014

    Fachaufsicht BND

    Gnter Hei

    seit 2010

    Angela Merkel

    seit 2005

    Kontrolle

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    Schindler zeigte sich hoch interessiert. Erlie sogar ein technisches Aufrstprojektmit dem Codename Packeis stoppen, inder Hoffnung, mit der Hilfe der Briten wer-de der BND viel schneller an sein Zielkommen. Stattdessen stand nun die ge-meinsame Operation Monkeyshoulderauf der Agenda.

    Innerhalb des Dienstes gab es zwar er-hebliche Bedenken gegen diese Koopera-tion, sie waren rechtlicher Art, aber auchpolitischer. Sollte die Sache publik werden,drohe ein verheerendes Medienecho. Dochdie Verantwortlichen im BND nahmen da-raufhin nicht etwa Abstand von dem Pro-jekt, sie trieben es sogar voran. Allerdingszunchst mit der Auflage, offiziell nieman-den zu informieren: nicht das Bundesamtfr Sicherheit in der Informationstechnikund auch nicht das Kanzleramt, die politi-sche Aufsicht. Der BND hatte den Reizdes autarken Lebens entdeckt, die absoluteGeheimhaltung war sein Schutzschild.

    Noch bevor die Operation richtig losge-gangen war, gewann sie an Gre: DieAmerikaner hatten davon Wind bekom-men und boten an mitzumachen. DerBND zeigte sich willig, den langjhrigenPartner mit an Bord zu nehmen. So erklrtsich womglich auch der OperationsnameMonkeyshoulder: Es handelt sich um einen Blend aus drei verschiedenen Malt-Whisky-Sorten.

    In mehreren Workshops wurden BND-Mitarbeiter ab Mitte 2012 an der britischenTechnik geschult. Die Deutschen fuhrendafr eigens nach Scarborough und Bude,wo das GCHQ den Dokumenten EdwardSnowdens zufolge das Unterseekabel Tat-14 anzapft. Umgekehrt kamen die bri-tischen Geheimdienstmitarbeiter nachDeutschland, um ihr Wissen mit den technisch unbedarfteren Partnern zu teilen.

    Einer dieser Workshops fand im August2013 statt, als alle Welt bereits zwei Mo-nate lang die Enthllungen EdwardSnowdens diskutierte und die Bundesre-gierung behauptet hatte, sie wisse nichtsvon Sphprogrammen der Amerikanerwie Prism oder Tempora, nichts vongeheimen Projekten. Erst in jenem Auguststoppte BND-Chef Schindler Monkey -shoulder. Die Brisanz dieser Operationwurde ihm offenbar erst dann klar.

    Keine Kontrollinstanz hat damals offen-bar von dieser Operation erfahren. Dabeigelten die deutschen Geheimdienste alsbesonders gut berwacht, das zumindestbehaupten die Chefs des Bundesnachrich-tendiensts, des Bundesamtes fr Verfas-sungsschutz und des Militrischen Ab-schirmdienstes gern und oft.

    Tatschlich wachen gleich drei parla-mentarische Gremien ber die Ttigkeitder rund 10500 Spione im Staatsdienst.Wie schwierig das ist, erleben die vier Mit-

    29DER SPIEGEL 19 / 2015

  • Titel

    glieder der sogenannten G-10-Kommission(siehe Grafik) einmal im Monat, wenn siesich mit hochrangigen Geheimdienstlernin einem abhrsicheren Raum des BerlinerReichstags einschlieen. Dort bekommensie stapelweise Abhrantrge vorgelegt,ber die sie binnen Stunden in quasi rich-terlicher Sitzung entscheiden mssen.Mehr als ein Schnellgericht kann das niesein.

    Dazu kommt, dass insbesondere dieAuslandsberwachung des BND gesetzlichnicht geregelt ist. Was der BND traditionellso interpretiert, dass er jenseits deutscherGrenzen machen kann, was er will. Im-merhin diesen Missstand hat die Bundes-regierung erkannt sie will vor der Som-merpause ein Gesetz vorlegen.

    Im Parlamentarischen Kontrollgremiumsitzen neun Bundestagsabgeordnete. Siesind auf den guten Willen der Geheim-dienste angewiesen: Diese mssen denParlamentariern besondere Vorkommnis-se melden. Was besondere Vorkomm-nisse sind, entscheiden sie selbst.

    Immerhin eine eigene Abteilung km-mert sich im Kanzleramt um die Dienste;nach dem NSA-Skandal wurde sogar ei-gens ein Staatssekretr als Beauftragterfr die drei groen Nachrichtendienste in-stalliert. Als Klaus-Dieter Fritsche diesesAmt Anfang 2014 bernahm, unkten Be-obachter, Kanzlerin Merkel wolle zwi-schen sich und den Geheimdiensten eineweitere Knautschzone haben. Jetzt ist derUnfall da.

    Lngst hat in der Hauptstadt das blamegame begonnen, die Suche nach Ver -antwortlichen, nach Antworten auf dieFrage, wer was wann wusste und werwann welches Gremium tuschte. Thomasde Maizire, der Innenminister, hat sichin Widersprche verstrickt. Kanzleramts-chef Peter Altmaier und mehrere seiner

    Vorgnger stehen in der Kritik. Und dannist da noch BND-Prsident Schindler. Sei-ne Behrde diente sich den Amerikanernan, oft mit, bisweilen auch ohne Billigungdes Kanzleramts. Die Geschichte einesBND, der schalten und walten kann, wieund gegen wen er will, ist also auch eineGeschichte, die Angela Merkel, die Unan-greifbare, pltzlich sehr angreifbar macht.

    Die selbst gewhlte Abhngigkeit vonden USA rcht sich nun: Der BND stehtals willfhriger Handlanger der Amerika-ner da und Angela Merkel als ratlose Re-gentin, die nicht wei, wie sie reagierensoll. Ist sie doch selbst gefangen, in ihrergroen Solidaritt mit den USA.

    Staatsrson, mit diesem Begriff gehtdie Kanzlerin sehr sparsam um. Das Exis-tenzrecht Israels zu schtzen ist fr sieStaatsrson, den Euroraum beisammen -zuhalten auch. Und noch etwas nennt sieim kleinen Kreis ihre Maxime: mithilfeder Amerikaner und ihrer Geheimdienstealles zu tun, um einen Terroranschlag aufdeutschem Boden zu verhindern. So ver-stehe sie ihren Amtseid, hat Merkel einmalgesagt.

    Aber der umfasst mehr, und das ist nun ihr Problem. Schaden vom deutschenVolk abzuwenden heit nmlich auch,Spionage gegen deutsche Ziele zu unter-binden, ganz egal, wer spioniert. Wer ei-ner fremden Macht den Zugriff auf deut-sche Daten und Geheimnisse gestattetoder auch nur durch stille Demut erleich-tert; und wer deutsche Firmen zur Ver-handlungsmasse in einem nach eigenerAnsicht greren Spiel erklrt: Der verrtdeutsche Interessen.

    In dieser Hinsicht ist Merkels Lage jenerdes ihr unterstellten BND erstaunlich hnlich. Sie hat sich in eine freiwillige Ab-hngigkeit zu den Amerikaner begeben,die ihren Handlungsspielraum nun radikal

    einschrnkt. So ist die groe Stille zu er-klren, die seit vergangener Woche im politischen Berlin herrscht. Selten warendie Zustndigen im Kabinett so zugeknpft.

    Die Presseerklrung dagegen, mit derdie Regierung auf den Vorwurf der vomBND geduldeten Wirtschaftsspionage rea-gierte, war von ungewohnt kalter Schrfe.Es war die Kanzlerin selbst, die jene Medieninformation gegenlas und guthie,welche in der vorigen Woche die barscheZurechtweisung des BND durch sein Auf-sichtsorgan Kanzleramt publik machte.

    Solange die Affre eine Affre bleibt,profitiert vor allem die SPD davon. In un-gewohnter Hrte hat sie auf die Neuigkei-ten aus dem Auslandsgeheimdienst rea-gierte. Das, was hier passiert ist, ist schonskandals, polterte Parteichef Sigmar Ga-briel am Sonntag. Die Kontrolle der Be-hrde habe versagt, ergnzte seine Gene-ralsekretrin Yasmin Fahimi. Der rgerder Genossen war sorgfltig orchestriert.In mehreren Telefonaten hatte sich die Par-teifhrung verstndigt, dem Kanzleramtdiesen Fall nicht durchgehen zu lassen.Der hbsche Lack der Kanzlerin kannruhig ein wenig ramponiert werden, heites aus der SPD-Fhrung.

    Fr Parteichef Gabriel ist es auch einepersnliche Chance. Er kann sich als Wirt-schaftsminister vor die mglicherweiseausspionierten Unternehmen stellen, ei-nerseits. Noch wichtiger ist fr ihn aberder Nebeneffekt. Nach einem monatelan-gen Durchhnger kann er sich nun endlichals zupackender Parteichef beweisen, derauch gegen die Kanzlerin die Attacke nichtscheut.

    Fast kommt bei der SPD wieder etwasauf, das man lange Zeit vermisst hat: dasGefhl, in einer Angelegenheit pltzlichOberwasser zu haben gegenber der Union. Gegenber einer Kanzlerin, diebislang so unangreifbar schien.

    Tatschlich ist die Affre die seit Lan-gem grte Herausforderung des Sys-tems Merkel. Sie geniet ein so groesVertrauen, weil viele Brger DeutschlandsGeschicke und seine Interessen bei ihr gut aufgehoben sehen. Der Skandal umBND, NSA-Spionage, Kontrollversagenund mgliche Lgen einzelner Kabi -nettsmitglieder knnte dieses Fundament ihrer Macht erstmals ernsthaft brckelnlassen. Es wre der Wendepunkt ihrerKanzlerschaft.

    Maik Baumgrtner, Nikolaus Blome, Matthias

    Gebauer, Hubert Gude, Frank Hornig, Martin Knobbe,

    Veit Medick, Gordon Repinski, Sven Rbel,

    Marcel Rosenbach, Jrg Schindler, Fidelius Schmid,

    Holger Stark, Gerald Traufetter

    30 DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Animation:

    Die Akte BND

    spiegel.de/sp192015bnd oder in der App DER SPIEGEL

  • Sooo, sagt der Bundesprsident. Alswre schon alles gesagt. Aber Joa-chim Gauck ist noch nicht fertig. Erwill ein paar Stze zu Tunesien sagen, demLand, das er in dieser Woche besucht.

    Gauck steht im Mittelgang des Luftwaf-fen-Airbus, der ihn nach Tunesien bringt.Das Flugzeug torkelt schon durch die Wol-ken, die tief ber der Hauptstadt Tunis hn-gen. Eigentlich sollte er jetzt seinen Sitz-gurt schlieen. Doch Joachim Gauck setztsich nicht, nur weil es ihm jemand befiehlt.

    Zwei volle Tage stehen auf seiner Reise -planung fr Tunesien, zuvor war er frknapp drei Stunden in Wien zwischenge-landet, um eine Festrede zum 70. Jahres-tag der Wiederherstellung der Republiksterreich zu halten. In Tunesien dagegennimmt er sich mehr Zeit, besucht das Bar-do-Nationalmuseum in Tunis, das im MrzZiel einer tdlichen Terrorattacke war. Erfhrt mehr als zwei Stunden lang bis in dieProvinz Siliana, um das Werk der deut-schen Firma Drxlmaier zu besuchen undein Brgerbro, das die Bundesregierung

    * Parlamentsprsident Mohamed Ennaceur am vergan-genen Dienstag in Tunis.

    mitfinanziert hat. Die Tunesier feiern ihnmit Deutschland-Schlacht rufen. Gauckberhrt Babys, die ihm entgegengestrecktwerden, und winkt tune sische Schnheitenherbei, um sie mit einem gemeinsamenFoto zu belohnen. Er wirkt jung.

    Besonders freut er sich auf Bji Cad Es-sebsi, einen Mann, der vor einem Viertel-jahrhundert, als Tunesien noch eine Dik-tatur war, seinem Land als Botschafter inDeutschland diente. Und heute ist er Pr-sident der Tunesischen Republik, im hohenAlter von 88 Jahren. Ein Staatsoberhaupt,13 Jahre lter als er selbst. Gauck sagt: Ichbin gespannt.

    Staatsprsidenten und ihr Alter, das treibtfern von Tunesien auch das politische Berlinum, sofern es nicht in der neuerlichen BND-Krise versunken ist. Will Joachim Gauckeine zweite Amtszeit, oder tritt er in zweiJahren ab, im Frhjahr 2017? Schon bei sei-nem Amtsantritt im Mrz 2012 war er derlteste Prsident der bundesdeutschen Ge-schichte. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeitwre er lter als jeder seiner Vorgnger als sie aufhrten. Noch ein Rekord.

    Aber Gauck zgert. Er hat begonnen,sich mit Vertrauten zu beraten. Auch die

    Kanzlerin hat das Problem in kleinen Run-den schon einmal angeschnitten, in dennchsten Tagen treffen sich die beiden.Das Thema soll zur Sprache kommen. VonMerkel erwartet Gauck die Bitte, er mgeweitermachen. Es wre ein schnes Gefhl,von der Kanzlerin gebeten zu werden, einstiller Triumph ber jene Frau, die Stundenvor seiner Nominierung, nach dem Rck-tritt von Christian Wulff, noch in einerSchaltkonferenz mit der CDU-Spitze ge-schimpft hatte: Eines ist klar, Gauckwirds nicht. Er wurde es doch.

    Aber bleibt er es? Unter denen, die eswissen mssten, heit es zumeist: Nein,Gauck hrt auf. Zu gro sei seine Angst,vor aller Augen im Amt zu altern, es nichtmehr so ausfllen zu knnen, wie er esvon sich erwartet.

    Gaucks Entscheidung hat enorme poli-tische Bedeutung, vermutlich mehr, alsihm lieb ist. Hrt er auf, steht der Koalitionim beginnenden Bundestagswahlkampfnmlich eine Zerreiprobe bevor. DieMehrheit, die den neuen Prsidentenschlielich ins Amt bringt, ist ein unber-sehbares Signal fr eine mgliche Regie-rungsbildung nach der Wahl.

    32 DER SPIEGEL 19 / 2015

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    Der alte Mann und das Mehr Bundesprsident Joachim Gauck hadert mit sich, ob er eine zweite Amtszeit will. Er frchtet, zualt zu sein. Union und SPD bereiten sich fr den Fall einer schwierigen Nachfolgeregelung vor.

    Besucher Gauck, tunesischer Gastgeber*

  • Deutschland

    Sollte es also jemand aus der SPD wer-den? Aus der Union? Von den Grnen?Eine Frau oder ein Mann? Frank-WalterSteinmeier? Wolfgang Schuble? KatrinGring-Eckardt? Das sind Fragen, die Un-ruhe stiften. Das passt nicht ins Kalkl vonAngela Merkel, die mglichst lange inRuhe regieren will. Die Mehrheitsverhlt-nisse in der Bundesversammlung, die denPrsidenten krt, werden vermutlich denk-bar knapp sein, jede Kampfkandidaturwre ein kaum berechenbares Risiko frdie Parteichefs. Eine Niederlage ihres Kan-didaten wre auch ihre eigene.

    In der SPD-Spitze wird das nicht andersgesehen. Wenn Gauck aufhrt, ist dasChaos perfekt, befrchtet ein Spitzenge-nosse. Ihm graut schon jetzt vor der dannabsehbaren Diskussion. Wollte die SPD ei-nen eigenen Kandidaten gegen die Unionaufstellen, dann mutmalich in Absprachemit den Grnen und der Linkspartei. Aberkann sich Parteichef Sigmar Gabriel einhalbes Jahr vor der Bun