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Der Struktor

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ATLAN 125 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 624

Der Struktor von Horst Hoffmann

Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu lie-gen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besor-gen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Inzwischen schreibt man an Bord des Generationenschiffs das Ende des Jahres 3807 Ter-razeit, und die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Atlan und den Solanern auf der einen und Anti-ES und Anti-Homunk auf der anderen Seite geht mit unverminderter Hef-tigkeit weiter. Die Solaner müssen dabei immer wieder die leidvolle Erfahrung machen, daß ihre Gegner mit diabolischer Schläue zu Werke gehen. Doch indessen bahnt sich auch eine positive Entwicklung in Xiinx-Markant an. Das Instrument, das dies bewirkt, ist DER STRUKTOR ...

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Die Hauptpersonen des Romans: Ergoz Immanuel – Ein Solaner ist zum höchsten Opfer bereit. Twoxl – Der Cpt’Kul kämpft für die Zu-kunft einer Galaxis. Lasserin – Das Manifest F schlägt zu. Hyrlian Heart – Kommandant des Struk-tors. Mata St. Felix und Henny Lupino – Zwei Solanerinnen. Daal – Ein junger Staubflieger.

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1.

Der Struktor Der Raum war riesig, legte man solanische

Maßstäbe an. Bezog man sich auf den Struk-tor, dann stellte er nicht viel mehr dar als eine winzige Zelle eines monumentalen Körpers.

Es war dunkel darin. Die Normalbeleuch-tung war ausgeschaltet. Um so imposanter wirkte das in vielen hellen Farben leuchtende Hologramm, das fast von Wand zu Wand reichte. Die dreidimensionale Projektion glich einem Skelett aus Verstrebungen, Decks, Schächten, Kammern und allem, was ein raumschiffähnliches Gebilde ausmachte.

»Das ist sein innerer Aufbau, Heinrich«, sagte der Mann, der weit im Hintergrund in einem ausklappbaren Drehstuhl saß. »Und hier«, er berührte ganz leicht eine Stelle auf der Oberfläche des kleinen Geräts in seiner linken Hand, »sind wir.«

Ein Lichtpunkt wanderte durch die Projek-toren und kam in dem Anhängsel des Gebil-des zur Ruhe.

Der Mann lachte, fast klang es verzweifelt. »Das Ei eines Zwerghühnchens neben zwei

Straußeneiern!« Er sah zu Heinrich hinüber, wenn man so

wollte, dem vierten Ei in der Computerhalle. Heinrich – seine exaktere Bezeichnung lautete MCS-782-SOL – war ein Spezialdatenrobo-ter, dreißig Zentimeter dick und knapp dop-pelt so lang. Er war der ständige Begleiter des Kybernetikers. Manche Leute meinten sogar, sein zweites Ich. Was es mit dem Paar tat-sächlich auf sich hatte, das ahnten die aller-wenigsten.

Die beiden »Straußeneier«, bildeten die Hauptkomponenten des Struktors, mit dem vor rund einhundert Jahren der Staub- und Materiegürtel um die Innenzone von Xiinx-Markant erzeugt wurde. Schlank und vonein-ander weggestreckt, wurden sie durch eine Zellverstrebung verbunden, die wie ein Git-tergerüst aussah. Dazu kamen die Steuerlei-tungen, die in der Projektion wie lange Rohre vom flachen Pol einer Komponente zum an-deren reichten, und der von Bug zu Heck rei-chende Materiekanal.

Und das ganze Gebilde war 120 Kilometer lang.

Der Kybernetiker sprach es fast andächtig aus:

»Einhundertzwanzig Kilometer, Heinrich! Das ist fast das Zwanzigfache der Länge der SOL, vom Volumen will ich gar nicht erst reden! Und doch läßt sich dieser phantasti-sche Gigant mit Hilfe seiner Positroniken von nur wenigen Menschen beherrschen. Eine Maschine, die auf der alten Erde fast die ge-samte Fläche eines Nationalstaats wie die Schweiz bedeckt hätte!«

Er sagte es ehrfürchtig wie immer, wenn er vom Mutterplaneten der Menschen redete. Ergoz Immanuel war nie Mitglied der Terra-Idealisten gewesen. Dabei hätte ihn sein Wis-sen über die Geschichte der Ursprungswelt ohne weiteres als führenden Kopf dieser in-zwischen schon fast vergessenen Gruppierung qualifizieren können.

»Wie die Schweiz, hörst du mir überhaupt zu, Heinrich? Der abtrennbare Kommando-stand, in dem wir uns jetzt befinden, mißt schon allein zwölf Kilometer in der Länge. Die SOL könnte sich bequem darin verste-cken, und ein einziges Wort genügt, um den Struktor zu steuern.«

Er verzichtete auf eine entsprechende De-monstration, denn die Führung des Giganten war nicht seine Aufgabe. Immanuel sagte nur »Aus!«, und die Projektion erlosch.

»Verbindung Steuerzentrale!« verlangte der Solaner. (Was war nur mit Heinrich los? Wa-rum verhielt er sich so passiv?)

Die einhundert Meter entfernte Wand des Computerraums erhellte sich. Das Gesicht von Hyrlian Heart erschien überdimensional abgebildet darauf.

»Wie weit bist du da unten, Ergoz?« fragte der Führer des Unternehmens. Wie alle Män-ner und Frauen an Bord, hatte er sich auf der SOL nie so ins Rampenlicht rücken können, daß sein Name in der Chronik des Generatio-nenschiffs besonders vermerkt gewesen wäre. Die fünfzig Raumfahrer, ausnahmslos Wis-senschaftler, stellten sozusagen die »zweite Garde« dar. Jeder von ihnen aber genoß das Vertrauen des High Sideryt, und zwar in dem Maß, daß Hayes sie mit der wichtigen Aufga-be betraut hatte, den Struktor nach Cpt zu bringen.

»Ich komme voran, Hyr. Heinrich scheint

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von unseren Fortschritten sogar so beein-druckt zu sein, daß er die Sprache verloren hat. Was ich schon vermutete, scheint sich tatsächlich zu bestätigen. Der Struktor ist so konstruiert, daß man sein Prinzip umkehren kann. Wenn wir herauskriegen, wie das funk-tioniert, kann man aus der von ihm geschaffe-nen Materie der Dunkelzone wieder Sonnen und Planeten formen!«

Und das war die eigentliche Sensation, die so ungeheuerliche Erkenntnis, daß sie noch längst nicht von allen Besatzungsmitgliedern akzeptiert werden konnte. Doch an den Aus-künften der Positroniken gab es keinen Zwei-fel mehr. Immanuel sah bereits neue Him-melskörper aus den Trümmern der alten ent-stehen. Dies konnte zwar alle die Völker nicht wieder lebendig machen, die damals gnaden-los ausgelöscht worden waren. Aber es moch-te die Grundlage für neues Leben schaffen, das vielleicht einmal das Erbe der unterge-gangenen Zivilisationen antreten mochte.

Doch dies war Zukunftsmusik, und bis da-hin gab es noch eine Menge harter Arbeit nicht nur für Immanuel.

»Wir erreichen Cpt in knapp sechs Stun-den«, sagte Heart. »Natürlich wäre es dann gut, konkretere Ergebnisse vorweisen zu kön-nen.«

»Ich tue, was ich kann«, versprach der Ky-bernetiker.

Heart nickte und schaltete sich aus. »Licht an!« rief Immanuel in den Raum. Die Beleuchtung flammte auf. Immanuel

seufzte und schielte zu Heinrich hinüber. »Anschauungsunterricht beendet. Machen

wir uns wieder an die Arbeit.« Er zeigte dem Roboter die Speichereinhei-

ten, die als nächste auszuhorchen waren. Langsamer als gewohnt, setzte Heinrich sich schwebend in Bewegung und schloß sich an die Datenbänke an, von denen Immanuel sich weiteres Wissen über Natur und Funktion des Struktors erhoffte.

Mehr um sich abzulenken, dachte der Ky-bernetiker an die Ereignisse zurück, die zum Auffinden des Struktors geführt hatten. Die Maschine war wie die SOL um das Zehntau-sendfache verkleinert gewesen, als sie in der Formmaterie entdeckt wurde, die das Leuch-tende Auge einschloß. Nach der Wiederver-

größerung des Raumschiffs wuchs auch der Struktor zu seiner gewaltigen Normalausdeh-nung zurück. Zuerst identifizierte die Molaa-tin Sanny ihn als Objekt, das aus Planeten und Sonnen kosmischen Staub zu produzieren vermochte. Kurz nachdem Hayes ein Kom-mando an Bord des Giganten geschickt hatte, meldete sich auch die MT-K-9 über Hyper-funk von Cpt. Twoxl gab zu verstehen, daß er den Struktor als das Instrument erkannt haben wollte, das die Vei-Munater gebaut hatten und mit dem die Dunkelzone dieser Sterneninsel geschaffen worden war. Sein Appell an Atlan lautete, daß der Arkonide den Struktor unver-züglich in Richtung Cpt in Marsch setzen sollte. Xiinx-Markant könne nur dann wieder normal und friedlich werden, wenn man mit Hilfe des umgebauten Struktors die Dunkel-zone beseitige und wenn es Atlan zugleich gelänge, Anti-Homunk im Zentrum der In-nenzone auszuschalten.

Was Twoxl mit »umgebaut« meinte, war bis zu Immanuels Entdeckung rätselhaft ge-wesen. Jetzt ergab es natürlich einen Sinn. Atlan hatte Twoxls Wissen einer Nachricht der vergeistigten Cpt’Cpts zugeschrieben und nicht lange gezögert.

In einer Kreisbahn um Cpt sollte die dort zurückgelassene Korvette mit den Solanern aufgenommen werden, die unter der Führung der Buhrlofrau Mata St. Felix auf dem fast vernichteten Planeten geblieben waren. Und natürlich auch Twoxl, der »geborene« Cpt’Carch. Wohl nach ihm hatte Henny Lupi-no das Raumschiff auf den Namen BANANE getauft.

Was dann weiter geschah, hing vom Erfolg der Wissenschaftler ab. Neben Immanuel be-mühten sich rund vierzig andere um die per-fekte Beherrschung des Struktors. Mögli-cherweise kamen weitere wichtige Informati-onen von Twoxl. Auf jeden Fall mußte früher oder später die Umpolung versucht und im praktischen Test erprobt werden.

Ohne sich dessen bewußt zu sein, war Im-manuel aufgestanden und hatte begonnen, in dem riesigen Raum auf und ab zu gehen. Eine plötzliche Unruhe trieb ihn. Dann überkam ihn ebenso unverhofft ein Anflug von Panik.

Sein rechter Arm war ohne Gefühl. Er ver-suchte, ihn zu bewegen. Es ging nicht.

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»Heinrich!« Der Roboter lag vor den Datenbänken am

Boden. Einige der grünen Funktionsanzeigen waren erloschen.

Und es kam noch schlimmer. Immanuel schrie vor Schmerzen. Heinrichs Schmerzen!

Die Lähmung breitete sich bis zu den Fü-ßen der rechten Körperhälfte aus. Immanuel fiel beim Versuch, Heinrich zu Hilfe zu eilen.

Der Spuk verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Heinrich erhob sich und setzte seine Arbeit fort. Was er an seinen Partner sendete, ließ sich sinngemäß mit »Un-identifizierbare vorübergehende Störung von außen« übersetzen.

Immanuel fuhr sich mit der linken Hand über die Armprothese. Seine robotische Hälf-te war über feine Impulsleiter so mit dem Zentralnervensystem des menschlichen Tor-sos verbunden, daß Einflüsse auf sie wie ech-te Schmerzen gefühlt werden konnten – und Energieentzug wie Lähmung.

Das gleiche galt für Heinrich. Der Datenro-bot war im Grunde nichts anderes als ein mo-biles System des Kybernetikers, ein zusätzli-ches Glied oder ein zweiter Kopf. Daß sie sich laut miteinander unterhielten, war Routi-ne geworden. Ursprünglich sollte dadurch verhindert werden, daß jemand entdeckte, was es mit den »Unzertrennlichen« auf sich hatte.

Als Immanuel noch nach einer Erklärung für die Störung suchte, erhellte sich der Wandbildschirm, und Hearts Gesicht darauf wirkte verstört.

»Wir haben den Funkkontakt zur SOL ver-loren, Ergoz«, sagte der Kommandant. »Er riß ganz plötzlich ab und ...« Seine Augen wur-den schmaler. »Was ist denn bei euch los? Wieso liegst du am Boden?«

Immanuel richtete sich langsam auf. Die Gedanken und Wahrnehmungen des mensch-lichen Gehirns wurden ohne Umwege sofort an Heinrich weitergesendet. Dazu genügte ein daumengroßes Gerät unter der Schädeldecke. Heinrich, nach außen hin nur an den Daten der Speicherbänke interessiert, versuchte zu analysieren.

»Hast jetzt auch du die Sprache verloren, Ergoz!«

Immanuel winkte ab. »Wann genau war das, Hyr? Ich meine,

wann endete der Kontakt?« »Jetzt gerade, vor etwa einer Minute. Du

bist einer der ersten, denen ich ...« »Genauer, Hyr! Es ist wichtig.« Heart rollte mit den Augen und knurrte: »Bitte sehr! Mann, wir sind von der SOL

abgeschnitten, begreifst du das überhaupt! Und zwar seit 78 Sekunden!«

Es paßt zeitlich nicht überein, sendete Heinrich. Die Störung, die uns betraf, begann vor 66 Sekunden und endete vor 51 Sekunden.

Damit war der Zusammenhang mit dem Ausfall der Funkverbindung zwar nicht be-wiesen, jedoch auch nicht eindeutig widerlegt.

»Ergoz, wenn du mir jetzt vielleicht sagen könntest, was die Geheimnistuerei soll ...«

Der Kybernetiker nickte. »Ich will niemanden in Panik versetzen,

Hyr. Möglicherweise irre ich mich auch. Aber wenn nicht, dann sollten wir uns mit dem Ge-danken vertraut machen, daß wir nicht die einzigen hier an Bord sind.«

*

Fünfeinhalb Stunden später hatten sie die

Gewißheit. In dieser Zeit war es Heinrich ge-lungen, aufgrund der abgehörten Informatio-nen aus den Struktor-Speichern nicht nur die Funktionsweise des Struktors nun einwandfrei zu begreifen. Darüber hinaus hatte er bereits ein Programm erstellt, das den Hauptpositro-niken des Giganten nur eingegeben werden mußte, um die Umkonstruktion einzuleiten.

Das Problem war, die Positroniken nahmen es nicht an.

Immanuel befand sich nun in der Steuer-zentrale, während Heinrich noch bei den So-lanern war, die Tests im abtrennbaren Kom-mandostand durchzuführen hatten. Dieser diente, wie man herausgefunden hatte, in ers-ter Linie der Sicherheit des Personals beim vollen Einsatz des Struktors, der dann rein robotisch nach Programm arbeitete.

»Noch zwanzig Minuten bis Cpt«, meldete Donata Lafama, Hearts Stellvertreterin und Pilotin. Sie war noch sehr jung, vielleicht ge-rade dreißig. Ihr wissenschaftliches Fachge-biet war die Kosmobiologie.

»Ich frage mich, ob es richtig war, den Flug fortzusetzen«, sagte der Kommandant. »Unse-

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re Hyperfunkanlagen sind vollkommen in Ordnung und nicht dem gleichen Effekt un-terworfen wie die Positroniken. Also liegt es an der SOL, daß kein Kontakt mehr besteht.«

»Wir haben unsere Aufgabe zu erfüllen«, sagte Immanuel, »und Atlan und Hayes ver-lassen sich darauf. Unser Problem ist jetzt, wie wir’s erfüllen, Hyr.«

Die Positroniken des Struktors waren bis vor einer Stunde ohne die geringste Schwie-rigkeit zu bedienen gewesen. Dann plötzlich versagten einige den Dienst. Es waren aus-schließlich jene, die mit der Arbeit des Struk-tors zu tun hatten – die Steuerung funktionier-te nach wie vor einwandfrei.

Die von Immanuel und anderen Experten herausgefundene Ursache war schlicht und einfach Energieentzug. Sie floß irgendwohin ab, ohne daß sich der Fluß bestimmen ließ. Die Versorgung der Positroniken mit Energie war nicht gestört.

Heinrich hatte die einzige Hypothese gelie-fert, die Immanuel befriedigen konnte – auch wenn sie alles andere als berauschend war.

Der Kybernetiker sah auf seine Armband-uhr. Sieben Männer und fünf Frauen hielten sich in der Steuerzentrale auf. Aus allen ande-ren Abteilungen des Struktors, in denen Men-schen arbeiteten, kamen laufend Nachrichten, und meist waren es Hiobsbotschaften. Ein wichtiges Aggregat nach dem anderen schal-tete sich ab. Immanuel hatte lange gezögert. Nun sah er sich gezwungen, sein Geheimnis preiszugeben.

»Wenn wir den Planeten erreicht haben, müssen klare Verhältnisse herrschen«, sagte er. »Wir haben eine fremde Macht an Bord, einen Jemand oder ein Etwas, das gezielt alle Systeme lahmlegt, die dazu nötig sind, den Struktor umzupolen und arbeiten zu lassen. Ich nehme an, daß dieser Gegner erst während des Fluges zu uns kam und zunächst vorsich-tig mit dem Struktor vertraut werden mußte. Dazu griff er alles an, was er an positroni-schen Elementen besitzt, seltsamerweise nur nicht den Antrieb und die Steuerung.«

Heart starrte ihn verständnislos an. »Was redest du da? Woher willst du das

wissen?« »Weil ich auch davon betroffen war.« Bevor ihn jemand daran hindern konnte,

hatte der Kybernetiker einen Nadelstrahler in der Hand und brannte sich eine feine dunkle Furche in den rechten Unterarm, Heart und die anderen, die neugierig nähergekommen waren, wichen entsetzt zurück.

»Ihr wißt, was ein Posbi ist, oder?« fragte er in die Runde.

»J... ja!« brachte Heart heiser hervor. »Ein positronisch-biologischer Roboter. Ein Robo-ter mit Plasmazusatz. Ergoz, du bist ...!«

»Kein Posbi, sondern das Gegenteil«, er-klärte der Wissenschaftler lächelnd. »Nun seht mich nicht an wie ein Ungeheuer. Ein Mensch mit Positronikzusatz. Meine rechte Körperhälfte ist robotisch. Heinrich ist mein mobiles Zusatzgehirn. Ansonsten stimmt bei mir alles.«

»Bist du da ganz sicher?« Mak Heidinger, der Hyperdim-Techniker, beugte sich scheu über den angeritzten Stahlplastikarm und schüttelte erschüttert den kahlen, kantigen Schädel.

»Ich denke doch. Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Darum nur soviel: Nachdem ich einen Strahlenunfall hatte, ließ mich der High Sideryt von einem ihr hörigen Spezialisten mit der Prothese versehen und zu dem machen, was ich heute bin. Ihr kam es dabei nicht darauf an, mir das Leben zu retten. Sie erhoffte sich vielmehr Schutz und Macht durch einen Robotermenschen, den sie nach Belieben steuern und einsetzen konnte – für ihre Zwecke, versteht sich.«

»Moment!« Heart streckte ihm abwehrend beide Hände entgegen. »Langsam, Ergoz. Von wem redest du?«

»Von Deccons Vorgängerin als High Side-ryt, Tineidbha Daraw. Als sie im Jahre 3788 starb, nahm sie auch mein Geheimnis mit in den Tod. Ach ja, Heinrich ließ sie mir auch konstruieren. Wir beide wurden vergessen. Ich sah keinen Grund, daran etwas zu ändern. Niemand wird gern als halbes Monstrum an-gesehen, und ich fühle mich ganz als Mensch.« Er winkte ab, als Heart zu einer neuen Frage ansetzen wollte. »In wenigen Minuten haben wir Cpt erreicht, Hyrlian. Ihr und ich werden mit mir zu leben haben. Wor-um es mir bei der ganzen Erklärung ging, ist folgendes. Ich spürte, wie etwas nach Hein-rich und mir griff. Jetzt weiß ich, daß es uns

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versuchsweise Energie entzog, aber sofort wieder von uns abließ, als es merkte, daß wir für es uninteressant sind. Was sich an Bord geschlichen hat, will verhindern, daß der Struktor in unserem Sinn arbeitet. Ich brauche kaum zu erklären, wer es geschickt hat.«

»Derjenige, der ein Interesse daran besitzt, daß sich die Verhältnisse innerhalb von Xiinx-Markant nicht ins Positive verkehren«, flüsterte die Pilotin. »Anti-Homunk. Oder Anti-ES selbst.«

Heart ballte die Fäuste. Er war bleich ge-worden.

»Also ein verdammtes Manifest! Hört das denn nie mehr auf! Dann sitzen wir genauso tief in der Patsche wie die SOL, als Erfrin SENECA übernahm!«

»Das ist nicht unbedingt gesagt«, wiegelte Immanuel ab. »Es wird wohl erst kritisch für uns, wenn wir versuchen, etwas gegen den Gegner zu unternehmen.«

Heart lachte rauh. »Den wir nicht sehen, nicht hören und nicht

greifen können!« »Wir nicht«, stimmte Immanuel zu. »Wir

sehen nur, was er anrichtet. Aber sobald Twoxl an Bord ist, kann sich das ändern. Wenn es stimmt, was Atlan über ihn berichte-te, weist er zumindest eine gewisse Affinität mit dem Manifest auf.«

Er hatte noch nicht ganz zu Ende gespro-chen, als ein durchdringender Heulton er-klang, der zweifellos als Alarm einzustufen war.

»Das kommt vom Materiekanal, in dem die durch den Einlaß aufgenommene kosmische Materie zerkleinert und durch die ganze Kon-struktion bis zum Auslaß gejagt wird!« schrie Heidinger. Er deutete auf ein Leuchtsignal, das auf einer Übersichtstafel den Ort anzeigte, an dem der Alarm ausgelöst worden war. »Y-lora arbeitet dort!«

»In dem Kanal geschieht noch etwas«, sag-te Heart leise. »Die aufgenommene Materie wird zum Teil in Energie umgewandelt, die der Struktor benötigt.« Er wirbelte herum und eilte zum Internfunk. Seine Faust schlug auf das Pult. »Ylora! Melde dich!«

Immanuel ahnte, daß sie es nicht mehr tun konnte.

»Hat denn wirklich jemand im Ernst ge-

glaubt, Anti-ES oder Anti-Homunk würden uns so einfach gewähren lassen?« fragte er halblaut.

»Ich will ein Bild von Ylora!« schrie Heart unbeherrscht. »Materiekanal! Alle Abschnitte im Bereich Energiegewinnungsanlage!«

Nacheinander zeigte der Bildschirm mehre-re Dutzend Räume, Korridore und Schächte, bis Heart »Halt!« brüllte.

Ylora Jergebyshi lag leblos auf einem Git-tergerüst zwischen zwei mächtigen Generato-ren. Ihre Augen waren weit aufgerissen und zeigten selbst im Tod noch Entsetzen und Unverständnis.

»Du sorgst dafür, daß wir in den Orbit um Cpt einschwenken und die Korvette an Bord nehmen, Donata«, brachte Heart bebend her-vor. »Immanuel, ich will wissen, warum Ylo-ra sterben mußte. Und am besten trägt jeder hier von nun an einen IV-Schutzschirm und eine Waffe!«

Immanuel fragte ihn lieber nicht danach, was Schutzschirme und Waffen gegen einen Feind ausrichten sollten, der Energien ganz anderer Größenordnung anscheinend mühelos absorbierte.

Er folgte dem Kommandanten im Lauf-schritt zur Transmitterstation neben der Steu-erzentrale.

*

Hyrlian Heart war nicht gerade das, was

man als eine schillernde Persönlichkeit be-zeichnen konnte. Im Gegenteil, wer nicht für länger mit ihm zu tun hatte, sah ihn und ver-gaß ihn wieder. Er war durchschnittlich groß, durchschnittlich intelligent und hatte ein Durchschnittsgesicht. Immanuel hatte bis jetzt immer den Eindruck gehabt, Heart erfüllte seine Aufgabe ohne besondere Anteilnahme.

Auf dem Weg zum Energiegewinnungssek-tor wurde er eines Besseren belehrt. Heart war wie verwandelt, er bewies mit gezielten Be-fehlen an die Positroniken des Struktors, daß er die Riesenmaschine studiert hatte und zu beherrschen gewillt war.

Die über drei Stationen führende Transmit-terstrecke endete einige hundert Meter von dem Generatorenraum entfernt, in dem die Tote lag. Es gab mehr als tausend Transmitte-

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ranschlüsse im Struktor, dazu Rohrbahnen mit Spitzengeschwindigkeiten von fast tausend Kilometer in der Stunde und ein kompliziertes Gleitband- und Antigravschachtsystem. Jeder Punkt des Giganten war innerhalb von Minu-ten zu erreichen.

Heart sprang vom Laufband, als sich das Schott zur Generatorenhalle lautlos öffnete. Er war schon auf den Treppen des Gitterge-rüsts, als Immanuel noch zögerte und sich einen Überblick über die noch funktionieren-den Anlagen zu verschaffen suchte. Heinrich, mehr als zwanzig Kilometer entfernt in der autarken Kommandoeinheit, sah durch seine Augen die flackernden und erlöschenden Lichter.

Ich habe den Totalausfall von vier Großpo-sitroniken registriert! sendete der MCS (die Abkürzung stand übrigens für »mobile cyber-netic system«). Energieschwund nun stark progressiv zunehmend!

Was das bedeutete, lag auf der Hand. Das an Bord vermutete Manifest begnügte sich nun nicht mehr damit, den Aggregaten und Computern nur ihre Energie zu entziehen. Es sabotierte jetzt auch den Zufluß.

Immanuel hörte Hearts erstickten Aufschrei und rannte die Treppen hoch. Die Bewegun-gen seiner robotischen Hälfte wurden voll-kommen mit der organischen synchronisiert. Als er den Kommandanten erreichte, kniete dieser immer noch mit geschlossenen Augen über dem Leichnam der Wissenschaftlerin.

Immanuel sah das Loch in ihrem Leib. Nur mit Überwindung behielt er die Nerven.

Vorsichtig drehte er den Körper der Toten. Er sah das Gewebe um das Loch herum schwarz verbrannt. Heinrich bestätigte seine erste Vermutung und fügte von sich aus die zweite hinzu, als Immanuel sich um die eige-ne Achse drehte und weitere Löcher in Pan-zerverkleidungen von Maschinen, Wänden und Decke klaffen sah. Das menschliche Ge-hirn des Kybernetikers weigerte sich noch, an das Entsetzliche zu glauben, als sein positro-nischer Verstand längst alle alternativen Mög-lichkeiten durchgerechnet und verworfen hat-te.

»Was ist das, Ergoz?« fragte Heart leise. »Bei allen Planeten, was hat sie so zugerich-tet?«

»Das Manifest, wie immer es beschaffen ist, scheint nur eine begrenzte Energieauf-nahmekapazität zu besitzen, Hyr«, sagte Im-manuel. »Mit anderen Worten, sobald der Sättigungszustand erreicht ist, muß es einen Teil der gestohlenen Energien wieder abge-ben, um eine Überladung zu vermeiden.«

Heart hob den Kopf und starrte ihn halb ungläubig, halb wütend an.

»Ich weiß, es klingt grausam, Hyr. Es gibt keine andere Erklärung. Siehst du die Löcher hier ringsherum? Die Energieabgabe muß schlagartig hier in dieser Halle erfolgt sein. Einer der Blitze traf Ylora und durchschlug sie ...«

Heart stand auf. Die Backenmuskeln traten dick hervor, seine Augenlider zuckten.

»Dann soll ihr Tod ein Zufall gewesen sein? Weil sie gerade unglücklich in der Schußlinie stand?«

»Vielleicht, Hyr. Vielleicht auch nicht. A-ber spätestens jetzt weiß das Manifest, wie es uns zur Not alle ausschalten kann. Mögli-cherweise mußte Ylora sterben, weil sie es sah und uns einen Hinweis hätte geben kön-nen. Heinrich zieht den Schluß, daß das Mani-fest eine räumliche Dimension besitzt, wenn es auch nicht unbedingt stofflich sein muß. Und noch etwas.«

»Was?« »Es tut mir leid, Hyr, aber ich habe die

Verhältnisse nicht geschaffen, wie wir sie jetzt haben.«

»Entschuldige dich nicht dauernd! Was noch?«

»Du weißt es doch. Mit zunehmender E-nergieaufnahme steigt auch der Zwang für das Manifest, sie wieder abzugeben. Wenn das in dieser gebündelten Form geschieht, verwan-delt es den Struktor in ein Sieb. Dann spielt es keine große Rolle mehr, ob es uns vorher ge-tötet hat.«

Heart stand noch einige Augenblicke wie versteinert da. Dann stampfte er an Immanuel vorbei, die Treppen hinunter und zum Aus-gang.

»Zentrale!« rief er. »Schickt zwei der Ro-boter her, die mit uns an Bord gekommen sind! Sie sollen Ylora abholen und die Raum-bestattung vorbereiten!«

»Verstanden!« kam es wie aus dem Nichts.

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Immanuel folgte dem Kommandanten zum

Transmitter. Jetzt, dachte er, muß es sich zei-gen, ob Twoxl das kann, was Atlan von ihm behauptet.

Der Cpt’Kul mochte die Rettung bringen. Das Manifest mochte faßbar gemacht werden können. Es gab zu viele Unbekannte. Anti-ES konnte nur die Vernichtung des Struktors be-fohlen haben, um die Beseitigung der Dun-kelzone zu verhindern. Daß der Struktor Cpt überhaupt noch erreicht hatte, war höchstens dem ersten vorsichtigen Herumexperimentie-ren des Manifests zu verdanken und dem Um-stand, daß es als erste die Systeme zur Mate-rieverwandlung blockieren mußte.

Jetzt schien es von seinem Herrn freie Hand bekommen zu haben.

Immanuel sah Heart in der Transmitter-kammer entmaterialisieren. Im gleichen Mo-ment war Donata Lafamas Stimme zu hören, daß der Struktor in den Normalraum zurück-gefallen war und ins Cpt-System einflog.

Wenn nicht ein Wunder geschieht, dachte Immanuel bitter, ist hier für uns Endstation.

2.

Lasserin Kaum in der Steuerzentrale zurück, unter-

nahm Heart als erstes den Versuch, dem Ma-nifest auf die gleiche Weise beizukommen wie Erfrin auf der SOL. Er berichtete nur knapp über Yloras Schicksal und die von Im-manuel und Heinrich gezogenen Folgerungen und ließ von Mak Heidinger den Schlag ge-gen den Gegner vorbereiten.

Als der Kybernetiker ebenfalls wieder in der Zentrale erschien, stand der Mißerfolg bereits fest. Von Positronenströmen erzeugte magnetische Felder gingen wirkungslos am Manifest vorbei. Immanuel hatte nichts ande-res erwartet, denn Anti-ES und Anti-Homunk wußten natürlich inzwischen von der gefun-denen Abwehrwaffe und waren kaum so dumm, Manifeste zu schicken, die nicht »im-munisiert« dagegen waren.

Immerhin war der Versuch gemacht wor-den. Und der Gegner reagierte auch – jedoch anders als erwünscht.

»Energieabfall auf der ganzen Linie!« mel-dete die Pilotin niedergeschlagen. »Steuerung

und Antrieb blockiert. Wir erreichen Cpt höchstens noch im freien Fall.«

»Ich habe Kontakt mit der MTK-9!« rief Lina Semore, eine knapp neunzigjährige Fremdtechnik-Ingenieurin, die die Funkanla-gen des Struktors bediente. »Offenbar weiß man dort schon, in welchen Schwierigkeiten wir stecken. Die Korvette ist gestartet und hat Kurs auf uns genommen. Alle Besatzungs-mitglieder sind an Bord, und natürlich Twoxl.«

Heart warf Immanuel einen unsicheren Blick zu. Dann heulte wieder der Alarm durch den Giganten. Sekunden später stand fest, daß an drei verschiedenen Stellen des Struktors verheerende energetische Entladungen statt-gefunden hatten.

»Keine unbedingt funktionswichtigen An-lagen sind zerstört worden«, sagte Immanuel, nachdem er sich umständlich ein Bild ver-schafft hatte. Die meisten Systeme der Intern-überwachung waren schon ausgefallen. »Die Verwüstungen erfolgten nicht gleichzeitig, sondern in Abständen von je zwölf Sekunden. Das Manifest ist also räumlich gebunden. Allerdings bewegt es sich unglaublich schnell.«

»Alles nur Theorien!« fluchte Heart. »Die Wirklichkeit sieht so aus, daß die Energie-speicher des Struktors so gut wie leer sind, Ergoz! Und wenn das Manifest auch noch das letzte aus ihnen herausgesaugt hat, sitzen wir im Dunkeln! Um neue Energien für den Struktor zu bekommen, müßte er in Aktion treten und mindestens einen Planeten dieses Systems in Staub verwandeln!«

»Es kreist uns ein«, murmelte Heidinger. »Es kreist uns regelrecht ein. Die meisten Transmitter sind ausgefallen. Der Struktor verliert an Energie überall um uns herum. Das Transportsystem bricht weitestgehend zu-sammen. Wir können uns kaum noch in den abtrennbaren Kommandostand flüchten.«

»Alles Verzichtbare abschalten, wenn die BANANE erscheint«, sagte Immanuel spon-tan. »Das Manifest braucht mindestens eine Stunde, um die Energiespeicher völlig zu lee-ren, wenn es mit der gleichen Aufnahmekapa-zität weitermacht wie jetzt – und sie ist kon-stant geblieben. Bis dahin müssen wir es be-siegt oder vertrieben haben.«

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Heart zeigte ihm einen Vogel. »Ausgerechnet du Halbrobot redest dir fal-

sche Hoffnungen ein?« »Wenn die Korvette da ist«, beharrte Im-

manuel, »schalten wir alles Verzichtbare ab und geben die ganze noch vorhandene Ener-gie in einen Transportkorridor vom Hangar, in den sie einfliegt, hierher. Wenn Twoxl weiß, was hier geschieht, kann er uns vielleicht hel-fen, den Struktor und uns zu retten.«

Die tatsächliche von Heinrich dafür errech-nete Wahrscheinlichkeit nannte er lieber nicht.

»Wir brauchen ein klares Bild«, fuhr der Kybernetiker fort. »Die Zentrale muß funkti-onsfähig bleiben. Ich versuche, den laufenden Stand der Energiereserven zu ermitteln. Erst wenn wir wissen, worüber wir noch verfügen können, können wir auch gezielt handeln. Wer noch im Struktor arbeitet, muß in den Kommandostand unseres Anhängsels. Danach unternehmen wir nichts bis zum Eintreffen des Schiffes.«

»Ergoz«, seufzte Heart. »Du kannst das Kommando gern übernehmen.«

»Rede doch keinen Unsinn!« rief die Fun-kerin unwillig. »Welche Rolle spielt es jetzt für uns, wer was sagt? Nur ob es vernünftig ist, darauf kommt es an. Und Ergoz hat recht, also machen wir’s so.«

*

Hatta Yurglay war der einzige, der sich

noch nicht in die trügerische Sicherheit des Kommandostands begeben oder zumindest die Steuerzentrale aufgesucht hatte. Er saß im Überwachungsstand des riesigen Hangars des vorderen Ekikörpers – nahm man den Mate-rieeinlaß als Bug des Struktors. Das acht Ki-lometer lange Beiboot nahm etwa drei Viertel des verfügbaren Raumes in Anspruch – Platz genug für die erwartete Korvette.

Inzwischen war der Gigant bis auf den Kommandostand, die Zentrale und eben die Hangars energetisch tot. Diese drei Abteilun-gen wurden so sparsam wie möglich versorgt, und nur zwischen ihnen bestanden aktivierba-re Transmitterverbindungen. Yurglay las die aktuellen Werte über den Energieschwund von einem Monitor ab. Auf einem anderen

Bildschirm war die BANANE zu sehen, wie sie sich langsam näherschob. Yurglay hatte einen Funkleitstrahl geschickt. Das Hangartor stand offen.

Es war vorgesehen, daß Yurglay sich mit den Ankömmlingen zusammen in die Zentrale begeben sollte. Bis dahin mußte er noch eine knappe Minute durchstehen.

Der vierzigjährige Mathelogiker redete sich ein, daß für ihn keine akute Gefahr bestand. Das Manifest hielt sich im Bereich der Ener-giespeicher auf. Immer heftigere Explosionen bewiesen es doch.

Er hörte etwas knistern und schalt sich ei-nen Narren, als er aufsprang und die Waffe auf die Konsolen richtete, von wo das Ge-räusch gekommen war.

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und versuchte, die Angst niederzu-kämpfen. Die Korvette schwebte herein. Y-urglay machte sich fertig, den Überwachungs-stand zu verlassen.

»Außenschott zu!« befahl er der Positronik mit zitternder Stimme.

Sie gehorchte. »Transportstrecke zur Steuerzentrale auf-

bauen!« Er sah das Aufleuchten der Funktionsan-

zeigen. Alles klappte wie gewünscht. Die Tür auf, die Treppen hinunter in den inzwischen wieder gefluteten Hangar, und dann nichts wie ...

Er hörte es wieder – oder ahnte es nur. Durch die Panzerglasscheiben des Überwa-chungsstands sah er, wie sich eine Öffnung in der Hülle der BANANE bildete und die ersten Solaner darauf warteten, daß die ausfahrende Rampe den Boden erreichte.

Doch jetzt spürte er ganz deutlich, daß et-was hinter ihm war.

Es kam näher. Ein seltsames Licht hüllte den Mathelogiker ein und wurde immer hel-ler.

»Bildverbindung Zentrale!« schrie er. Sie kam nicht zustande. Alle Monitoren er-

loschen. Yurglay wagte es immer noch nicht, sich zu drehen. Er vergaß alle Vorsätze und rannte zur Tür.

Sie war blockiert. Unten im Hangar wurden die Ankömmlin-

ge jetzt aufmerksam. Sie winkten heftig. Ein

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Gebilde wie aus aneinandergeklebten Riesen-kartoffeln schwebte über ihren Köpfen.

Yurglay hatte das Gefühl, daß ihn etwas im Rücken berührte. Sein Verstand setzte ganz aus. Er wirbelte herum, die Waffe entsichert, und schoß noch in der Drehung.

Der Energiestrahl floß genau in das ultra-hell wabernde Etwas, das den ganzen Raum einnahm. Yurglay hatte den Finger noch auf den Auslöser gepreßt, als die Blitze aus dem Zentrum des Etwas zuckten.

*

Twoxl kam zu spät. Die Panzerglasscheibe

des Überwachungsstands zersplitterte. Die mörderischen Energien, die von dort aus in den Hangar stießen, konnte der Cpt’Kul zwar noch absorbieren – aber für den Mann im Kontrollstand nichts mehr tun.

Das Manifest war von einem Augenblick auf den anderen verschwunden. Mata St. Fe-lix und drei Solaner rannten die Treppen hin-auf, zerschossen die Tür und fanden den Leichnam. Twoxl schwebte hinter ihnen her.

Niemand sagte etwas. Mata wandte sich schaudernd ab. Die ganze linke Brusthälfte des Mannes war weggebrannt. Erst als sie wieder im Hangar waren, fragte die Buhr-lofrau:

»Du spürst nichts, Twoxl?« »Keine Energieentfaltung«, konnte er nur

antworten. »Es hat diesen gesamten Sektor lahmgelegt. Wenn wir mit der Steuerzentrale des Struktors wieder in Verbindung treten wollen, müssen wir noch einmal ins Schiff.«

»Ich mache das«, verkündete Henny Lupi-no. Die blutjunge Pilotin war schon auf dem Weg zur Rampe, als die Stimme ertönte:

»Könnt ihr mich im Hangar hören?« »Wir hören!« rief Mata. »Das Manifest hat

den Mann im Überwachungsstand getötet und ist wieder verschwunden. Könnt ihr uns ho-len?«

»Es muß schnell gehen, wir versuchen es jedenfalls. Folgt den grünen Leuchtmarkie-rungen zum Transmitteranschluß.«

Ein Licht flammte über einem der Ausgän-ge auf. Mata winkte ihren Begleitern und be-gann zu laufen. Für weitere Fragen blieb kei-ne Zeit. Einiges konnten die Solaner sich zu-

sammenreimen. Alles andere mußte warten, bis sie an ihrem Ziel waren.

Sie erreichten den Transmitter. Alle Schotte und Türen öffneten sich vor ihnen. Twoxl hielt sich zum Eingreifen bereit, doch nichts geschah mehr, bis alle zehn Menschen und der Cpt’Kul wiederverstofflicht und wenige Augenblicke danach in der Steuerzentrale waren.

Und hier herrschte das Chaos. Jeder wollte zuerst reden. Mata hatte ihre liebe Not, sich endlich durchzusetzen, zu berichten und sich erzählen zu lassen, was im Struktor seit dem letzten Funkkontakt geschehen war.

»Dann wissen wir also, daß unser Gegner einen energetischen Körper besitzt oder zu-mindest dann energetisch aufgeladen ist, wenn er sich vollgesogen hat. Wir müssen ihm eine Falle stellen.«

Heart saß vornübergebeugt in seinem Kon-tursessel, hatte das Gesicht in die Hände ge-legt und starrte sie zwischen gespreizten Fin-gern an.

»Ich gebe keinen Kommentar mehr ab«, sagte er. »Ich glaube euch einfach, daß ihr wißt, wovon ihr redet. Also wie?«

»Gebt nichts auf sein Getue«, kam es von Immanuel. »In Wirklichkeit würde er sich ohne weiteres selbst als Köder zur Verfügung stellen. Das ist es doch, worauf ihr hinaus-wollt, oder?«

Mata sah ihn überrascht an. Mak Heidinger klärte die Neuen knapp über den Kybernetiker auf.

»Und was hat dein Heinrich errechnet?« fragte die Buhrlo.

»Nach dem, was ihr beobachten konntet, glauben wir jetzt, daß das Manifest etwas Un-gegenständliches ist, das dann greif- und ver-wundbar wird, wenn es kurz vor der Energie-abgabe steht. Also im Halbüberladungszu-stand.«

»Naja ...«, wollte Mata beginnen. Immanuel winkte ab. »Ihr saht es nur in diesem Zustand, der aber

nicht sein eigentlicher sein kann. Das bleibt sich gleich. Twoxl kann also versuchen, ihm schlagartig die Energie zu entziehen. Das heißt, wir haben eine Chance, wenn durch die Überladung seine Schablonenexistenz so ma-nifestiert ist, daß sie mit der Energie erlischt.

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Richtig?«

»Das war meine Idee«, sagte Mata. »Ihm eine Falle stellen, heißt, daß wir so

tun müssen, als wollten wir einen bestimmten Sektor des Struktors wieder in Betrieb neh-men, der für uns wichtig ist. Das Manifest wird hoffentlich versuchen, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Es wird er-scheinen, und dann ...«

»Dann bin ich da«, zirpte es aus einer von Twoxls Sprechmembranen. »Wenn Lasserin den Köder angreift, neutralisiere ich ihn. Ich kann allerdings nicht garantieren, daß der Köder dabei unversehrt bleibt.«

»Moment!« Heart erhob sich, warf einen Blick auf die Restenergieanzeige und muster-te den Cpt’Kul. »Wer ist Lasserin?«

»Das Manifest«, sagte Twoxl. »Genauer gesagt, das Manifest F. Ich wußte, daß es auf den Struktor angesetzt wurde. Die vergeistig-ten Cpt’Cpts, die immer stärker wieder zu sich selbst finden, sagten es mir. Fragt mich aber nur nicht, woher sie es wußten. Viel-leicht konnten sie den Einsatzbefehl von Anti-ES belauschen, denn von ihm und nicht von Anti-Homunk kam er.«

»Nach dem, was wir von Atlans Erlebnis-sen in der Namenlosen Zone wissen, ist Las-serin dann also der von Anti-ES unterjochte ehemalige Sechste Zähler«, sagte Henny Lu-pino. »Das nur, damit das Kind einen Namen hat. Wir versuchen es, wir haben gar keine andere Wahl. Ich mache den Köder. Wo bau-en wir die Falle auf?«

*

Henny wußte alle Proteste energisch abzu-

wehren. Zwar nicht die offizielle Führerin der auf Cpt zurückgebliebenen Solaner, war sie es doch, die immer wieder mit ihren spontanen Einfällen überrascht und auch einiges dazu beigesteuert hatte, daß auf Cpt die Kalmorer, die befreiten Metaplasmaten-Wesen und die neuentstandenen Cpt’Noks zu einem sinnvol-len Miteinander finden konnten. In der relativ kurzen Zeit auf Cpt hatte sie sich besonders mit Twoxl angefreundet.

Vielleicht stellte sie sich deshalb als Köder zur Verfügung, weil sie genau wußte, daß Twoxl sie wie keinen anderen zu schützen

versuchen würde. Er sträubte sich lange, und wie von Immanuel vorhergesagt, wollte auch Heart an ihrer Stelle gehen. Doch Hennys Sturheit siegte.

Nun befand sie sich allein mit Twoxl in der Nähe des Materieeinlasses. Nach Yurglays Tod galt als gesichert, daß Lasserin tatsäch-lich die interne Kommunikation der Solaner mitverfolgte. Darauf baute der Plan auf. Heart und Henny besprachen über eine aus der Restenergie noch schaltbare Interkomstrecke, daß die BANANE einen Ausbruchsversuch machen sollte, um kosmische Trümmerstücke im Cpt-System mit Traktorstrahlen in den Einlaß zu bugsieren. Eine entsprechende Pro-grammierung des Autopiloten, so hatten sie ihr Spiel abgesprochen, läge vor. Das Schiff brauchte nur das Hangarschott zu zerstrahlen und auszuschweben. Die Trümmermassen – unter anderem Reste von Raumschiffen, die durch die Metaplasmaten vernichtet worden waren – sollten dem Struktor neue Energien zuleitbar machen. Auch das würde von der kleinen Nebenzentrale beim Einlaß aus einge-leitet werden.

Alles konzentrierte sich also auf diesen winzigen Sektor. Es gab kein Zurück mehr für Henny und Twoxl. Und es gab keine Hoff-nung mehr für den gesamten Struktor, sollte der »Plan« scheitern.

Das Delikate an der ganzen Angelegenheit war, daß im Grunde alles stimmte. Um den Struktor wieder beweglich zu machen, mußte tatsächlich kosmische Materie herangeschafft werden. Der zweite Schritt würde darin beste-hen, ihn langsam auf den zehnten Planeten des Systems zuzusteuern, einen unbelebten Riesen. Durch seine Zerstörung und Um-wandlung sollte die Energie gewonnen wer-den, um bis zur Dunkelschale zu gelangen, wo es Materie im Überfluß gab, um die Spei-cher des Giganten wiederaufzufüllen.

»Dann gebt den Impuls an die Korvette jetzt ab, Hyrlian!« sagte Henny. »Ich bin be-reit!«

Eigentlich hatte sie längst mit dem Erschei-nen des Manifests gerechnet. Mußte das Schiff denn tatsächlich erst ausbrechen und Fahrt aufnehmen?

Das war der Punkt, der am meisten Sorge bereitete. Lasserin konnte das Spiel durch-

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schauen und ganz einfach in die Korvette ein-dringen, um auch sie unbrauchbar zu machen.

Heart bestätigte. Er sagte noch etwas von Explosionen im Heckteil des Struktors, dann brach die Funkstrecke zusammen.

»Erster Akt«, sagte die Solanerin. »Lasserin schneidet uns ab.«

Twoxl hatte sich geteilt. Zwei der kartoffel-förmigen Komponenten mit der blaugrauen lederartigen Oberfläche ruhten auf ihren aus-gestreckten Beinen, eine saß auf ihrem Kopf, die vier anderen schwebten unter der Decke des Kontrollraums.

Henny dachte ganz kurz daran, mit wieviel Hingabe sich der Cpt’Kul um die neuentste-henden Carchs auf Cpt gekümmert hatte. Sie nannte sie alle Carch, obwohl sie inzwischen wußte, daß es sich um Cpt’Noks handelte, die dritte Entwicklungsform der Cpt’Cpts. Eine Strahlung aus dem Weltraum hatte ihre Ent-stehung über fünfzig Jahre hinaus verhindert, beziehungsweise sie nach der Verwandlung abgetötet. Für Twoxls Volk begann die Zu-kunft neu.

Sie korrigierte sich. Sie konnte erst dann wirklich beginnen, wenn sich die Verhältnisse innerhalb dieser Galaxis zum Positiven hin normalisiert hatten. Und dazu brauchten sie den Struktor.

»Merkst du noch nichts, Twoxl?« fragte die Pilotin, jetzt doch unruhiger. Sie konnte es nicht mehr aus ihrem Bewußtsein verdrängen. Sie war mit Twoxl allein. Was auch geschah – niemand konnte mehr irgendwelche Hilfe bringen.

Sie ruckte unruhig im Sitz hin und her. War die Korvette schon draußen?

Dann plötzlich zirpte es aus einer der Kom-ponenten an der Decke:

»Energie baut sich auf! Lasserin kommt!« Und er war da. Hennys Herz schlug wild. In diesem Au-

genblick fühlte sie ihre ganze Hilflosigkeit. Keine Waffen halfen gegen das Manifest von Anti-ES. Und wenn Twoxl versagte ...

Es war da. Die Nebenzentrale war über-gangslos in grelles Licht gebadet. Henny schloß instinktiv die Augen, doch das grelle Leuchten durchdrang ihre Lider. Sie sah das wallende Etwas aus purer Energie. Sie fühlte, wie sich die Twoxl-Komponenten von ihren

Beinen lösten. Dann fuhr etwas aus sieben Richtungen in das Wabern, traf sich in seinen Zentrum und ...

Da war ein Schrei wie von einem Kind, das gequält wurde. Es stach in ihr Bewußtsein, in dem sich Mauern gegen die Helligkeit und die Qualen aufbauten, die in ihr ein grausames Echo fanden. Sie brachen eine nach der ande-ren. Und als sie glaubte, ihr Innerstes müßte in alle Winde geschleudert werden, erlöste sie die Dunkelheit des Nichtseins. Der Eindruck von einem Kampf unvorstellbarer Gewalten verwehte mit dem letzten Funken Wachseins, vermischt mit dem einzigen noch denkbaren Gedanken:

Er schafft es nicht! Schon die Neutralisie-rung der Hyperbomben-Energien auf Cpt und im Weltraum war wie ein Wunder gewesen! Aber Lasserin ist tausendmal stärker!

3.

Die Staubflieger Die Dunkelzone um den Innenraum von

Xiinx-Markant war zwischen acht- und elf-tausend Lichtjahre dick. Nahm man sie als ellipsoide Schale um den Galaxienkern und setzte man normale Maßstäbe der Lebensent-wicklung in Sterneninseln an, so mußte die Zahl der ehemaligen intelligenten Rassen die-ser Region in die Tausende gehen.

Von ihnen allen hatte eine einzige Art über-lebt, als der Struktor zum erstenmal in Aktion trat und die Staubzone schuf. Ihrem Lebens-raum entsprechend, waren die Wesen von den Solanern »Staubflieger« genannt worden. Sie lebten in Völkergemeinschaften von bis zu zweihundert Individuen, die gemeinsam einen durchlöcherten Planetoiden bewohnten. Es gab viele solcher Löcherplaneten, deren Durchmesser in der Regel nur zwischen 100 und 150 Kilometer betrug. Verließen die Staubflieger ihre Behausungen und wagten sich in den Materiemantel vor, dann ließen sie sich von den Gezeitenkräften des Universums tragen. Sie hatten sich bei der Erschaffung der Dunkelzone innerhalb kürzester Zeit den neu-en Verhältnissen angepaßt. Welche ungeheure geistige Anstrengung dazu erforderlich gewe-sen war, das konnten auch sie nur noch ahnen. Heute bewegten sie sich flink und geschickt

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in der Mikromaterie und ernährten sich auch von ihr.

Sie ließen sich am ehesten mit riesigen Kaulquappen vergleichen, ausgewachsen bis zu dreißig Meter lang und fünfundzwanzig Meter dick. Sie besaßen keine erkennbaren Sinnesorgane. Untereinander telepathisch verbunden, war es für sie fast unmöglich, sich anderen Intelligenzen sinnvoll mitzuteilen. Aber andere Intelligenzen gab es seit Entste-hung der Dunkelzone auch nicht mehr in ih-rem Lebensbereich, sah man von den Kontak-ten mit den Solanern ab, die von »draußen« gekommen waren.

Das heißt, noch eine weitere Ausnahme hatte es gegeben, wenn auch nur für kurze Zeit.

Daal, noch jung und abenteuerlustig, war bei den Staubfliegern gewesen, die den geisti-gen Impuls durch die Materiemassen ge-schleust hatten, bis er sicher in die Innenzone gelangen konnte. Von diesem Tag an war Daal unter den Jüngeren so etwas wie eine Leitfigur. Mit ihm an der Spitze, wagten sich immer größere Gruppen in unbekannte Berei-che der Dunkelzone vor, besuchten andere Löcherplaneten und berichteten von dem, was sich tat.

Und wie es schien, war mit dem Erscheinen der Solaner und des geistigen Impulses etwas in Gang gesetzt worden, das immer weiter eskalierte und nun auch die Existenz der Staubflieger selbst zu bedrohen begann.

Das Wissen darum hing wieder mit der ein-zigartigen Entwicklung ihres Volkes zusam-men.

Die Vorfahren der Staubflieger waren kein homogenes Volk gewesen, sondern in zwei große Lager geteilt, als sich die Katastrophe ankündigte. Die eine Seite war in den Bann der finsteren Macht geschlagen worden, die die Galaxis zu beherrschen begann und den Struktor schickte. Die andere behielt ihre Freiheit und konnte sich dem fremden Zwang erfolgreich entziehen. Zu den Nachkommen dieser positiven Wesen gehörten nun die Staubflieger der Löcherplaneten. Die negative Form manifestierte sich in der Form von mondgroßen intelligenten Klumpengebilden. Sie erfüllten für die böse Macht Überwa-chungsaufgaben. Nur einmal – auch im Zu-

sammenhang mit den Solanern – war es Posi-tiven gelungen, einen solchen Klumpen zu besiegen. Das Resultat war gewesen, daß die-ser gewaltige Brocken sich in viele tausend kleine »Kinder« auflöste – neue Staubflieger, die frei vom Willen des Bösen waren.

Die Negativen besaßen viele Fähigkeiten, die sie als Waffe einsetzen konnten – Aufbau kinetischer Energien zur Bombardierung von Gegnern mit großen Trümmerstücken ehema-liger Welten, oder auch die Erzeugung von geistig-materiellen Ablegern. Die Gabe der Positiven hingegen bestand darin, daß sie im Kollektiv kosmisch bedeutsame Dinge und Entwicklungen auf fast hellseherische Weise erahnten. Ihr ganzes Streben ging dann auch dahin, das Geheimnis ihrer eigenen Schaf-fenskraft zu enträtseln.

Und nun fanden Daal und seine jungen Ge-fährten auf jedem Löcherplaneten, den sie auf ihren Erkundungsreisen fanden und besuch-ten, neue Skulpturen. Es waren immer die gleichen, immer sechs.

Die erste stellte auch hier Atlan dar, die zweite wie gehabt Anti-Homunk. Beide aber waren nur unfertig ausgebildet und verloren sich relativ schnell immer mehr in unklare Formen.

Die dritte und vierte zeigten den Struktor, jene Maschine, die die Dunkelzone geschaf-fen hatte. Jeder Staubflieger erinnerte sich daran oder kannte sie aus den Erzählungen der älteren Artgenossen. Zuerst hatten die beiden Gebilde die gleiche Form und Größe gehabt. Nun aber begann das erste von ihnen zu schrumpfen, während das zweite in glei-chem Maße an Größe und Klarheit gewann.

Die fünfte Skulptur war etwas, das sich lau-fend veränderte. Eigentlich bildete es keine feste Form, sondern schien eher halbenergeti-scher Natur. Es schien eine Wechselwirkung zwischen ihm und den beiden Struktor-Skulpturen zu bestehen. Sobald das fließende Etwas an Ausdehnung gewann, hörte die Ver-lagerung von einem Struktor zum anderen hin auf.

Die sechste Skulptur schließlich war etwas, das es auf den Löcherplaneten noch niemals gegeben hatte. Sie stellte einen riesigen Spie-gel dar, in dem Bilder erschienen. Näherte ein Staubflieger sich ihr, so vernahm er eine deut-

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liche und eindringliche Botschaft:

Schützt euch! Jene, die ihr für Freunde hieltet, sind eure schlimmsten Feinde! Sie wollen den Struktor abermals einsetzen, doch diesmal, um euren Lebensraum wieder in Sonnen und Planeten zu verwandeln – und in die grenzenlos leere Weite des Weltraums, in der ihr keine Nahrung und keine Heimat mehr findet! Noch einmal könnt ihr euch nicht an-passen! Ich kann noch verhindern, daß es dazu kommt. Doch mögen Ereignisse eintre-ten, die mich dazu zwingen, meine Waffe auf andere, wichtigere Ziele zu richten. Dann seid bereit, selbst anzugreifen! Dann vernichtet den Struktor!

*

Daal hatte in den Spiegel geschaut und die

Botschaft vernommen. Er hatte dabei gese-hen, wie sich die fünfte Skulptur jedesmal dann mit einem unangenehmen Leuchten er-füllte, wenn von der »Waffe« die Rede war. Und wie allen anderen, hatte sich Daal der Spiegel als etwas mitgeteilt, das er als »Die-Macht-die-euch-euer-Leben-gab« begriff.

Er war von Anfang an vorsichtig genug gewesen, sich nie allein zum Spiegel zu bege-ben. Wahrscheinlich verdankten er und seine Schar von Gefährten es nur diesem Umstand, daß sie noch frei in ihrem Denken waren und nicht schon ebenfalls so besessen wie die meisten ihrer positiven Brüder.

Es war grausam genug, die Veränderung mitverfolgen zu müssen, die mit den anderen vor sich ging. Sie waren kaum noch wieder-zuerkennen, und es schien, als hätten sich alle ihre Werte umgekehrt. Sie gestatteten sogar den negativen Riesenwesen, ihre Löcherpla-neten anzufliegen und zu versetzen. Es gab keine Verständigungsbasis mehr mit ihnen. Sie befanden sich vollkommen im Bann der Spiegel auf ihren Wohnwelten. Einige Male kam es vor, daß Daals Schar angegriffen wur-de und die Flucht vor den bisherigen Freun-den ergreifen mußte.

Dabei wurde erkennbar, daß die Negativen die Löcherplaneten systematisch in einen be-stimmten Abschnitt der Dunkelzone manöv-rierten, wo sie wie an einer Schnur aufgereiht einen gedachten Korridor durch die Staub-

massen flankierten. Daal war verzweifelt. Er verstand nichts

von dem, was hier vorging. Er wußte nur, daß seinem Volk eine unvorstellbare Gefahr droh-te, die nicht von den Solanern ausging – oder jedenfalls nicht von ihnen allein.

Die-Macht-die-euch-euer-Leben-gab war für ihn nichts anderes als das Böse jenseits des Staubmantels, im Zentrum der Galaxis, und damit die Macht, die die Welten der Vor-fahren zerstört hatte.

Seine einzige Hoffnung bestand nun darin, seinen eigenen Heimat-Löcherplaneten noch da vorzufinden, wo er ihn verlassen hatte. Seine Gruppe durcheilte die Dunkelzone bis fast zur völligen Verausgabung an Kräften. Er führte sie an, er wurde von allen Gefährten mit großem Respekt bedacht. Dennoch dran-gen ihre Zweifel in immer stärkerem Maß auf ihn ein.

Es war von Anfang an das Ziel der Solaner, die Macht zu bekämpfen, wisperte Zuuis Ge-dankenstimme in ihm. Was sie unter einer Normalisierung und Befreiung der Sternenin-sel verstehen, muß folglich die Wiederherstel-lung der ursprünglichen Verhältnisse sein. Dann aber sagen die Spiegel die Wahrheit! Sie wollen die Dunkelzone auflösen!

Daal gab keine Antwort. Das war gar nicht nötig. Sie alle wußten es und hatten mit die-sem Konflikt zu kämpfen.

Doch Daal weigerte sich, daran zu glauben, daß die Solaner seinem Volk willentlich Schaden zufügen wollten. Er verstand die Ängste der Gefährten – und bis zu einem ge-wissen Grad auch den plötzlichen Fanatismus der Älteren, die auf dem besten Weg waren, ihre eigene Weltanschauung zu verraten.

Er bemühte sich aber auch, die Solaner zu verstehen. Es mußte eine Lösung geben, die für beide Seiten zufriedenstellend war. Die Macht im Zentrum von Xiinx-Markant war niemandes Freund. Sie hatte einmal alles Le-ben in diesem Sektor vernichtet. Ihr war es nicht zu verdanken, daß die Staubflieger über-leben konnten.

Selbst wenn es tatsächlich geschähe, fragte er sich. Falls die Dunkelzone sich wieder in Sonnen und Planeten verwandelte – könnte es dann nicht doch sein, daß wir auf diesen neu-en Planeten weiterexistieren mögen?

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Er wußte es eigentlich besser. Planeten

formten sich in Jahrmillionen. Sie entstanden nicht bewohnbar aus dem Nichts heraus. Und solange hatte kein Staubflieger Zeit.

Und dann sterben wir alle aus, diesmal endgültig! sendete Zuui.

Nein! antwortete Daal in plötzlichem Trotz. Es muß nicht so kommen!

Es lebten Milliarden und aber Milliarden Wesen in den Randgebieten dieser Sternenin-sel, die nur dann frei und glücklich sein konn-ten, wenn die Macht im Zentrum endgültig besiegt wurde.

Andererseits – durfte die Auslöschung der Staubflieger der Preis dafür sein? Daal hing am Leben. Jetzt mußte er sich die Frage stel-len, ob sein unstillbarer Drang nach Abenteu-ern nicht nur Ausdruck der Gewißheit war, daß dieses Leben nicht lange mehr währen würde.

Es muß einen Weg geben, daß die alten Völker eine Zukunft haben und auch wir, die wir aus dem Chaos entstanden!

Er schirmte sich gegen alle auf ihn eindrin-genden Impulse ab und eilte der Staffel vor-aus. Endlich war der Heimatsektor erreicht. Und Daal vergaß für Augenblicke alle quä-lenden Ängste, als er den Löcherplaneten noch an seinem alten Ort stehen sah.

Seine Sinne tasteten. Sie fanden nichts auf der Oberfläche. Alle Bewohner hatten sich ins Innere zurückgezogen.

Auf der Oberfläche standen nur die sechs Skulpturen.

Daal hatte Angst davor, sich ihnen zu nä-hern. Instinktiv spürte er, daß eine neue Ent-wicklung eingesetzt hatte, daß der Spiegel ihm ein neues Bild zeigen würde. Er raste in einen der weiten Schächte hinein und kam erst in jenem riesigen Hohlraum zur Ruhe, in den sich sein Volk aus Furcht vor den Staub-mikroben zurückgezogen hatte, als bekannt wurde, daß diese tödlichen Winzigwesen die Bewohner anderer Löcherplaneten getötet hatten. Die Gefahr war allem Anschein nach gebannt. Der Hohlraum diente nun aus ande-ren Gründen als Fluchtburg.

Ein Großer wird kommen, war alles, was Daal auf seine drängenden Fragen zur Ant-wort erhielt. Er ist schon auf dem Weg hier-her. Er wird unsere Wohnstatt zum Korridor

bringen. Es schien endgültig zu sein. Daal war ent-

setzt über das Schweigen der älteren Ver-wandten. Was hatte sie so stumm und gefügig gemacht? Wenigstens von ihnen hätte er zu-mindest Zweifel erwartet. Durch seine Berich-te von vielen neuen Entdeckungen waren sie aufgeschlossener und kritischer geworden als die meisten Staubflieger – oder hatte er sich das nur eingebildet?

Noch einmal versuchte er einen Vorstoß: Wenn dieser Korridor der Weg ist, den der

Struktor bei seiner Rückkehr nehmen soll, dann bedeutet dies das Ende vieler Wohnwel-ten! Er wird die Hälfte von ihnen zerstört ha-ben, bevor die Negativen ihn vielleicht zu-rückdrängen können! Ist dies ein Pakt, der euch lohnend erscheint?

Schweigen traf ihn wie eine Mauer aus Käl-te. Er schauderte bei der Vorstellung von vie-len hundert Löcherplaneten zusammen, die nach einem noch undurchsichtigen Plan wohl nur als Absprungbasis für Staubflieger dienen sollten, die sich dem Struktor entgegenzuwer-fen hatten.

Wir werden mißbraucht! Ihr laßt zu, daß unser Volk genau für die Macht arbeiten soll, die die Negativen kontrolliert!

Endlich löste sich einer der Älteren aus sei-ner Starre und schwebte auf ihn zu.

Komm mit! sendete er. Daal folgte ihm zur Oberfläche, wo die Ge-

fährten warteten. Erst als sie alle wieder zu-sammen waren und ein Kollektiv bildeten, wagte er sich zu den sechs Skulpturen.

Atlan und Anti-Homunk waren kaum noch vorhanden. Daal wollte nicht an den schon eingetretenen oder bevorstehenden Tod des Fremden glauben. Daher interpretierte er die fortschreitende Veränderung als ein Zeichen dafür, daß die beiden Kontrahenten gegenüber der anderen Entwicklung zurückstehen muß-ten.

Die dritte Skulptur war so gut wie nicht mehr zu sehen. Dafür überragte die vierte – der zweite Struktor – jetzt alle anderen.

Das fünfte Gebilde war zwar noch vorhan-den, jedoch nicht mehr zu sehen. Daal spürte nur, daß es noch existierte.

Und der Spiegel zeigte einen Negativen, der auf den Löcherplaneten zuraste. Gleich-

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zeitig sagte es in Daals Bewußtsein:

Mächtige Feinde haben sich mit denen ver-bündet, die den Struktor in ihre Gewalt ge-bracht haben – Feinde des Lebens! Seid nun noch wachsamer! Die Entscheidung kann erst in der Dunkelzone fallen! Ich sende euch mei-ne Waffe! Gehorcht den Befehlen, die sie über meine Diener an euch richten wird – und ihr werdet leben! Tut nichts – und ihr geht mit dem Staub!

Trotz des Kollektivs fiel es Daal schwer, sich vom Spiegel zu entfernen. Endlich wie-der weit genug vom Löcherplaneten entfernt, kam ihm erst richtig zu Bewußtsein, was die Nachricht bedeutete.

Die sogenannte Macht wurde mit den Sola-nern und ihren geheimnisvollen Verbündeten allein nicht fertig. Ihre Waffe mußte versagt haben. Warum sonst brauchte sie die Staub-flieger?

Daal konnte nicht genau begründen, was ihn zu seinem Entschluß trieb, gegen den Plan zu kämpfen. Nur eines wußte er ganz klar. Es war falsch, sich den Aufforderungen zu fügen. Sein ganzes Volk war dabei, sich in kollekti-ven Selbstmord zu stürzen. Er könnte nicht sagen, was wirklich geschehen würde, sollte der Struktor wahrhaftig wiedererscheinen und den Staub zu Planeten und Sonnen verwan-deln. Aber was immer es war – wenn die So-laner damit zu tun hatten, mußten sie einen Weg kennen, die Staubflieger zu retten. Sie waren keine Feinde des Lebens, nicht sie!

Der Negative wird unsere Wohnwelt nicht holen! sendete er an die anderen. Wer sie wie ich retten will, der soll mir folgen!

Seine Entschlossenheit strahlte auf die Ge-fährten aus. Kein einziger zog es vor, sich in die trügerische Sicherheit des Löcherplaneten zu begeben. Selbst der Ältere schloß sich der Gruppe an, die vorstieß, um den Negativen rechtzeitig abzufangen.

Der Kampf begann, als das Riesengebilde aus den Staubmassen auftauchte, mächtig und strahlend. Ein Kampf, dessen Ausgang ebenso ungewiß war wie das, was nach ihm sein würde. Daal aber war sich darüber im klaren, daß es der letzte sein würde, den sein Volk austrug.

Die etwa hundert jungen Staubflieger kata-pultierten sich dem Gegner entgegen, in dem

sich ein riesiges Maul bildete.

4. Der Struktor

Henny Lupino kam zu sich. Sie sah in das

sorgenvolle Gesicht von Mata St. Felix. Für einige Augenblicke glaubte sie sich auf Cpt, in der kleinen Station, die aus Bauteilen der BANANE errichtet worden war. War sie krank? Hatte sie einen Unfall gehabt?

Die Erinnerung setzte schlagartig ein. Hen-ny wollte auffahren, doch Mata drückte sie sanft auf das Lager zurück.

»Ganz ruhig«, sagte die Buhrlo. Sie hatte etwas an sich, das jeden Menschen auf An-hieb Vertrauen zu ihr fassen ließ. Henny und die jüngere Schwester von Bora St. Felix ver-standen sich hervorragend und ergänzten sich in fast jeder Weise. Mata war mehr für die technischen Dinge prädestiniert – und für al-les, was mit Verwaltung zu tun hatte. Henny liebte das Abenteuer und galt auf Cpt als gu-ter Geist der heranwachsenden Cpt’Noks – und natürlich war sie die besondere Freundin von Twoxl.

Doch dies war nicht Cpt. Und Twoxl ...? »Was ist geschehen, Mata?« fragte Henny.

Der erste Schock nach dem Erwachen war vorüber. Dennoch kam ihr ihre Ruhe unnatür-lich vor. Was hatte Mata ihr injiziert?

»Es scheint so, als hätten wir es tatsächlich geschafft«, erklärte die Buhrlo mit dem An-flug eines Lächelns. »Das heißt, du mit dei-nem Dickkopf und ...«

Henny streifte die Hände der anderen ab und richtete sich zum Sitzen auf. Kurz wurde ihr schwindlig. »Was ist mit Twoxl, Mata? Und wieso scheint es nur, daß ...?«

»Eins nach dem anderen.« Mata erhob sich von dem Klapphocker, der wie alle Möbel im Struktor zu einer lange vergangenen Zeit zu gehören schien, drehte sich halb um und holte tief Luft.

Henny glaubte ein leises Summen zu hören. Kam es aus ihrem Kopf? Und das Vibrieren der Liege. War es ihr Blut, das durch die noch wie tauben Glieder jagte?

»Die Korvette ist draußen und führt dem Struktor Materie zu, die er in Energie ver-wandelt, Henny. Der Abfluß hat aufgehört.

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Das war in dem Moment, als wir in der Zent-rale den verheerenden Energieausbruch beim Einlaß orteten. Was noch in den Speichern war, reichte gerade aus, um die Transmit-terstrecke noch einmal zu schalten. Heart und ich holten dich. Eigentlich hofften wir, daß du uns sagen könntest, was sich zugetragen hat.«

»Ich weiß nichts. Da war Lasserin, und Twoxl drang in ihn ein. Ich glaube jedenfalls, daß es so war. Es ist alles ... verschwommen, aber ich muß tausend Tode gestorben sein.«

»Zum Glück nicht den einen wirklichen. Henny, du warst drei Stunden bewußtlos. Er-schrick nicht, wenn du dein Gesicht betastest. Die Hautverbrennungen klingen bereits ab. Mit Hilfe der Spezialsalben haben wir dich in wenigen Tagen in alter Schönheit zurück.« Die Buhrlo preßte die Lippen fest aufeinan-der, bevor sie weitersprach. »Lasserin ist ent-weder von Bord oder so stark geschwächt, daß er untätig bleibt. Die Energiespeicher dürften sich in weniger als einer Stunde so-weit aufgefüllt haben, daß der Struktor Kurs auf den zehnten Planeten nehmen kann.«

»Twoxl hat ihn also besiegt? Er hat Lasse-rin tatsächlich neutralisieren und abtöten kön-nen?« entfuhr es Henny.

»Vielleicht. Es wird sich spätestens dann herausstellen, wenn wir Kurs auf die Dunkel-zone nehmen.«

»Mata, wir gingen davon aus, daß Lasserin als Schablone mit der entzogenen Energie stirbt!«

»Wir gingen davon aus!« Die Buhrlo lachte trocken. »Wir hatten nicht viel Zeit um lange zu überlegen, Henny. Gut, als Manifest von Anti-ES ist Lasserin auf ein bestimmtes Ziel programmiert. Dieses Ziel ist die Ausschal-tung des Struktors. Aber es hat sich schon bei anderen Manifesten gezeigt, daß sie flexibel in der Ausführung ihres Auftrags sind. So gesehen, kann Lasserin mit uns Versteck spie-len oder sich geflüchtet haben, um gestärkt zurückzukehren. Und was Twoxl betrifft, so kann er zwar Lasserins Energien neutralisie-ren, sie ihm aber nicht entziehen. Du verstehst den Unterschied? Um Lasserin abzutöten oder zu befreien, hätte er ihn quasi aussaugen müs-sen, und das kann er eben nicht.«

Sie betonte das Wort »befreien«. Alle bis-herig bekannten Manifeste, von Anti-ES ver-

sklavte Zähler der zehn Relativeinheiten, die die negative Superintelligenz abzubüßen hat-te, waren durch ihre Auslöschung als Mani-fest frei geworden und konnten in die Namen-lose Zone zurückkehren. Wer als Eingeweih-ter von einem Sterben der Manifeste sprach, meinte nichts anderes.

Henny verlor die Geduld. Sie hatte das schlimme Gefühl, daß Mata um die wirkliche Frage herumredete. Sie stand auf und wartete, bis ihr Kreislauf sich stabilisiert hatte. Mata drehte sich wieder zu ihr um. Ihre Blicke tra-fen sich.

»Was ist mit Twoxl?« fragte Henny scharf. »Keine Spur von ihm«, sagte die Buhrlo.

* Ergoz Immanuel hatte seinen Auftritt in der

Steuerzentrale hinter sich, und diesen Auftritt verfluchte er nun.

Was war im Jahre 3807 so besonderes an einem Menschen, der zur Hälfte Roboter und Positronik darstellte? Schon Ende des 20. Jahrhunderts hatte es auf der alten Erde Män-ner und Frauen mit künstlichen Gliedmaßen, Kunstorganen und externen Stoffwechselap-paraten gegeben.

Aber die Blicke der anderen Solaner bewie-sen Immanuel, daß er für sie immer noch an-ders war. Deshalb hatte er all die Jahre ge-schwiegen. Die Menschen des vierten Jahr-tausends akzeptierten die Buhrlos, weil sie zu anders waren – und damit schon wieder ver-traut. Einen aus ihrer Mitte aber ...

Sie lehnen mich nicht ab, dachte er. We-nigstens solche Vorurteile gibt es nicht mehr. Aber ich bin keiner von ihnen. Lächerlich, aber so ist es.

Immanuel hatte sich in einen der unzähli-gen angrenzenden Räume zurückgezogen. Von hier aus hatte er die Entwicklung bis zum anscheinenden Erlöschen Lasserins mitver-folgt. Seine Gedanken waren dabei bei Henny Lupino gewesen, denn sie als einzige hatte ihn nicht so angesehen.

Er korrigierte sich schon wieder. Er redete sich das jetzt ein, vielleicht weil er es wollte. Was war los mit ihm, dem nüchternen Den-ker?

Es ist jene zur Fortpflanzung der eigenen

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ATLAN 125 – Die Abenteuer der SOL

Art unumgängliche Eigenheit aller organi-schen Wesen, sendete Heinrich aus der ab-trennbaren Kommandokanzel. Du hast dich verliebt!

»Unsinn!« rief Immanuel laut. Es ist wohl wahr! Sie hat dich auf eine an-

dere Art angesehen als Heart und deine sons-tigen Freunde. Oder du glaubst, daß sie dich anders angesehen hat, weil du es möchtest.

Unsinn! Was mischte sich Heinrich in diese Angelegenheiten ein!

Wenn du plötzlich die Meinung deiner po-sitronischen Komponente nicht mehr hören willst, ist es geschehen! verkündete der MCS nüchtern.

Er verstummte und meldete sich nicht wie-der. Immanuel ertappte sich tatsächlich bei dem Gedanken, Heinrich möge schweigen und ihn nicht mehr belästigen.

Immanuel rief Heart an und fragte nach dem aktuellen Stand der Dinge. Heart ersparte sich einen merkwürdigen Blick nicht, die Fra-ge nach dem plötzlichen Verschwinden seines Gegenübers verkniff er sich taktvoll. Alles in allem gesehen, wirkte der Kommandant ge-löst und in Grenzen zuversichtlich.

»Wir sind zum zehnten Planeten unterwegs, Ergoz. Keine neuen Störungen. Der Struktor fliegt zwar langsam, aber er fliegt. Wir errei-chen den Planeten in ungefähr zwanzig Stun-den. Die BANANE bringt laufend neue Mate-rie.«

»Und Henny Lupino?« Heart grinste ihn an. »Sie ist außer Gefahr, Ergoz. Mata ist noch

bei ihr, aber sie hat sicher nichts gegen einen Besuch.«

Immanuel schaltete per Wortbefehl aus. Die entsprechende Positronik gehorchte wie-der. Die Bildwand verdunkelte sich.

Verdammt! dachte der Kybernetiker. Sind denn alle verrückt geworden?

Er war nicht allein. Chorl Metynhorl, der sich eher durch Tölpelhaftigkeit auszeichnete denn als Kosmogenetiker, lag ausgestreckt auf einer Pritsche zwischen zwei Speicherein-heiten.

»Sie ist ja auch wirklich ein steiler Zahn«, sagte er. »Diese Henny, meine ich.«

Immanuel fuhr herum und starrte ihn wü-tend an. Er griff nach dem nächstbesten Ge-

genstand, um ihn dem anderen an den Kopf zu werfen. Aber was er dann plötzlich in der Hand hatte, fühlte sich warm und weich an – und bewegte sich leicht.

Der Kybernetiker bekam große Augen. Was er für einen doppelt faustgroßen Stein gehalten hatte, schimmerte graublau und kräuselte sich weiter an einigen Stellen der Oberfläche.

»Chorl, ich glaube, das hier ist ein Teil von ihm.«

Metynhorl wurde neugierig, stand auf, kam heran und beugte sich über das Ding in Im-manuels Hand.

»Ein Teil von wem?« »Stell dich nicht noch dümmer an, als du

bist! Heart sagte, Twoxl sei entweder im Kampf gegen Lasserin vernichtet worden oder vielleicht von dem Manifest entführt. Jeden-falls haben sie nichts mehr von ihm gefunden. Er kann sich doch siebenmal teilen. Und das hier ist ein Stück von ihm.«

»Hmm«, machte Metynhorl und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Und wo sind dann die sechs anderen? Außerdem sieht mir der Brocken ziemlich tot aus.«

»Aber er bewegt sich doch!« »Twoxl ist nicht mit Heart und der Buhr-

lofrau durch den Transmitter zurückgekom-men. Das hätten sie gesehen. Also kann er nicht hier sein. Auch wenn er durch die Kor-ridore geschwebt wäre und alle Schotte hätte öffnen können, hätte er’s in dieser kurzen Zeit nicht über fast hundert Kilometer geschafft.«

Natürlich war das richtig. Aber ... Heinrich meldete sich wieder: Na, geh schon zu ihr! Jetzt hast du doch ei-

nen Grund. Henny hat eine Positronik nach Twoxls Verbleib befragt. Sie sorgt sich um ihn. Wie ich euch Menschen kenne, wird sie dir unendlich dankbar sein, wenn du ihr we-nigstens ein Twoxl-Siebtel bringst.

»Halt die Klappe!« schrie der Kybernetiker laut.

Metynhorl machte einen Schritt zurück und stemmte die Fäuste in die Seiten.

»Ergoz, selbst wenn ich etwas Falsches ge-sagt hätte, brauchte ich mir das nicht gefallen zu lassen! Kann ich dafür, daß du im Kopf durcheinander bist?«

»Dich meinte ich gar nicht«, knurrte Imma-

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ATLAN 125 – Die Abenteuer der SOL

nuel.

»Ach so!« Immanuel schnitt eine Grimasse. Er ließ

den anderen stehen und ging. Auf dem Korri-dor blieb er wieder stehen und betrachtete abermals den Klumpen in seiner Hand.

»Du kannst mich doch hören, oder nicht?« Der Twoxl-Teil gab keine Antwort. Imma-

nuel glaubte nun auch, daß er Hilfe brauchte. Und niemand an Bord kannte Twoxl besser als Henny Lupino, das war ja kein Geheimnis.

Es ist logisch, daß du zu ihr gehen mußt! sendete Heinrich. Dein Zögern beweist eben-falls, daß du dich im Zustand gefühlsmäßiger Verwirrung befindest. Du wirst momentan nirgendwo anders gebraucht. Du hast Angst, Ergoz.

Der Kybernetiker gab sich einen Ruck. Er wollte seinem »Zweithirn« zeigen, daß es keine Ahnung von menschlichen Gefühlen hatte. Außerdem kam er sich schon wie ein Komiker vor.

Aber wieso hatte er jetzt solches Herzklop-fen? Angst wovor? Daß er sich in etwas ver-rannte, um dann nur enttäuscht zu werden? Was konnte ein Halbrobot einer Frau schon bieten?

Sie hat dich doch so anders angesehen, Er-goz!

Das war Hohn. Zum erstenmal wünschte sich Immanuel, er könnte die Verbindung zu Heinrich einfach kappen. Doch dazu müßte er sich schon das Gerät aus dem Schädel schnei-den lassen.

*

Alles, was sich der Kybernetiker auf dem

Weg zurechtgelegt hatte, war plötzlich über-flüssig geworden. Mata St. Felix hatte ihn in eine kleine Nebenschaltstelle geschickt, in der Henny jetzt arbeitete. Er erschrak heftig bei dem Anblick des krebsrot verbrannten Ge-sichts. Henny aber hatte nur Augen für den Twoxl-Klumpen. Sie nahm ihn Immanuel aus der Hand, bevor der stammeln konnte:

»Das ... das habe ich gefunden, und Hein-rich meinte, es würde dich interessieren.«

Wie ein Idiot führte er sich auf! Zum Glück beachtete Henny ihn gar nicht. Sie setzte sich, legte den Klumpen auf ihren Schoß und

schien ihn zu untersuchen. »Du hörst mich, Twoxl?« fragte sie leise. »Ich hab’s auch schon versucht«, seufzte

Immanuel. »Ohne Erfolg.« Sie sah nicht auf. »Kannst du dich nicht wenigstens irgend-

wie bemerkbar machen?« Sie sprach zu sich selbst. »Er kann sehen, hier mit dieser Memb-rane. Er kann hören und sprechen.«

Endlich schien sie zu bemerken, daß noch jemand im Raum war.

»Wo hast du ihn gefunden, Ergoz?« Er bezeichnete den Ort. »Hast du alles nach weiteren Komponenten

abgesucht?« »Ich ...« Er mußte schlucken. Natürlich

nicht. »Also nein. Dann beeilen wir uns. Ich kann

es mir nur so erklären, daß Lasserin im Au-genblick des Erlöschens oder der Flucht Twoxl fortstieß, vielleicht in alle Richtungen wegteleportierte. Wenn wir Glück haben, sind die anderen sechs Komponenten im Struktor. Wenn wir noch mehr Glück haben, finden wir wenigstens eine.«

Immanuel lief voran, erleichtert darüber, daß er endlich etwas tun konnte. Metynhorl schenkte sich einen Kommentar, als er dazu aufgefordert wurde, bei der Suche zu helfen.

Nach Minuten war alles auf den Kopf ge-stellt, was sich bewegen ließ.

»Nichts«, sagte Henny niedergeschlagen. »In ihrem Normalzustand sind die Kompo-nenten einzeln genauso beweglich und akti-onsfähig wie der ganze Twoxl. Allerdings wächst ihre geistige Kraft, je mehr zusammen sind. Wenn wir wenigstens eine zweite Kom-ponente finden und ansetzen können, besteht die Chance, daß die beiden die anderen fünf zu sich rufen können.«

»Wo fangen wir an?« fragte Immanuel. Er brauchte die Abmessungen des Struktors nie-mandem aufzusagen. »Wenn wir wieder ge-nug Energie haben, können die Positroniken jeden einzelnen Raum in Sekundenschnelle absuchen. Wir müssen ihnen nur eine Be-schreibung geben.«

»Wenn!« Sie fluchte. »Bis dahin kann es schon vorbei sein. Ergoz, die Komponenten haben nicht die Kraft, sich einzeln mit neuem Leben aufzutanken. Sie bauen immer mehr

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ab, und am Ende ...«

Immanuel nahm sie in die Arme und strich ihr mit der rechten Hand durch das schwarze Haar. Es schien auf einmal alles so einfach. Plötzlich lag sie an seiner Schulter. Ihre Stimme war kaum hörbar, als sie flüsterte:

»Wenn er stirbt, verlieren wir viel mehr als nur eine ... eine Waffe! Er ist das Bindeglied zu den Vergeistigten. Er ist der Behüter des Lebens auf Cpt. Verdammt, ich habe ihn ein-fach gern und werde ihn wieder zusammen-setzen!«

»Ich helfe dir dabei«, versprach der Kyber-netiker gerührt.

Sie hielt sich an ihm fest. Sie brauchte ihn. Und genau das war etwas, das Immanuel noch niemals erfahren hatte. Es gab ihm das Ge-fühl, tatsächlich ein Mensch zu sein.

Sollte Heinrich es Verliebtheit nennen. Ir-gendwie stimmte es, auch wenn das Mädchen sich jetzt an jeden anderen angelehnt hätte.

*

Zwanzig Stunden später war immer noch

keine zweite Twoxl-Komponente gefunden. Heinrich quälte Immanuel mit Wahrschein-lichkeitsberechnungen. Auch wenn nicht ein-mal ein Millionstel des Struktors durchsucht worden war, sprach die Logik dafür, daß die anderen Komponenten von Lasserin aus dem Struktor heraus in den Weltraum geschleudert worden waren.

Während Immanuel die Logik verfluchte und Henny nicht von der Seite wich, herrschte in der Steuerzentrale gespannte Erwartung. Der Struktor war dem zehnten Planeten jetzt so nahe, daß mit dem Manöver begonnen werden konnte.

Zwei Programme lagen bereit – eines zur Umpolung der Maschine, das andere zum Inkrafttreten der ursprünglichen Funktion. Hyrlian Heart gab es einer Positronik ein.

»Angenommen!« rief Mak Heidinger von seinem Platz herüber. »Die erzeugte Energie reicht aus, um mit dem Verwandlungsprozeß zu beginnen! Sie ist in die Kraftfeldprojekto-ren geleitet!«

»Dann soll der Struktor jetzt mit der Arbeit anfangen!« befahl Heart den Positroniken.

Ein Wandbildschirm zeigte den zehnten

Planeten des Cpt-Systems, eine gelblichbraun leuchtende Methanwelt mit farbigen Gürteln. Der Durchmesser des Giganten betrug rund 34.000 Kilometer.

Plötzlich bauten sich die trichterförmig ge-wölbten Kraftfelder des Struktors auf. Ge-bannt sahen die Raumfahrer, wie sich der ge-waltige Energietrichter an den Planeten her-anschob, bis er ihn völlig umschloß.

»Es klappt!« rief Heidinger aufgeregt. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Sitz. Er sprang hoch und deutete mit zitternden Fin-gern auf verschiedene Anzeigenreihen. Lich-ter flammten auf. Bildschirme erhellten sich und zeigten Flußdiagramme. Die große Bild-wand teilte sich. Zur Projektion dessen, was vorausgeschah, kam nun eine zweite, die den Weltraum hinter dem Struktor zeigte. Auch dort hatte sich ein Trichter aufgebaut, aller-dings kleiner und wesentlich schlanker als der erste.

»Der Materiefluß ist in Gang!« Heidingers Stimme war jetzt fast ehrfürchtig. »Zum ers-tenmal sehen wir den Struktor in Aktion! Der große Trichter leitet die Materie in den Einlaß und durch den Materiekanal bis zum He-ckauslaß. Dort strahlt der zweite Kraftfeld-trichter die zerkleinerte Planetensubstanz als kosmischen Staub ins All ab!«

»Aber bevor sie ausgestoßen wird, entzieht der Struktor ihr alles verwertbare Material und formt es in Energie um!« sagte Lina Se-more. »Unsere Speicher sind jetzt schon voll!«

Heart versuchte sich vorzustellen, wie der Planet aufgelöst oder zertrümmert wurde. Durch die Trichterhülle war nicht zu erken-nen, was dahinter wirklich vorging. Doch es war ungeheuerlich. Menschlicher Verstand weigerte sich, es zu begreifen.

Und Lasserin war nicht vergessen. Heart wartete auf etwas, das ihm anzeigte, daß das Manifest wieder erwachte und erneut zu-schlug.

»Aus!« sagte Donata Lafama, als der Vor-austrichter erlosch, gleich darauf die Abstrahl-felder am Heck. »Es hat genau 50,4 Sekunden gedauert. Fünfzig Sekunden zur Zerkleine-rung und Umwandlung einer ganzen Welt. Könnt ihr euch jetzt vorstellen, wie die Dun-kelzone entstand?«

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Sie blickte sich um und sah nur Kopfschüt-

teln. Schon die ersten Befragungen der Po-sitroniken unmittelbar nach der Übernahme des Struktors hatten ergeben, daß der Trichter sich zu einer Größe von Millionen Kilometern ausdehnen konnte. Bei andauernder Energie-erzeugung vermochte der Struktor seine Ar-beit selbst vom Hyperraum aus noch fortzu-setzen. Die dabei zustande kommende Durch-flußgeschwindigkeit im Materiekanal machte die Menschen schwindlig.

Heart sah hinter der Maschine einen »Ko-metenschweif«, aus kosmischem Staub. Er war hin und her gerissen zwischen Schaudern und Respekt vor der ungeheuren technischen Leistung der Vei-Munater. Nur mit Mühe konnte er sich von dem Anblick lösen.

»Jetzt haben wir den Beweis«, sagte Lina. »Lasserin ist von Bord, sonst hätte er jetzt eingegriffen.«

Heart blieb weiterhin skeptisch. Noch war der Struktor nicht in der Dunkelzone.

»Wir gehen auf Überlicht!« befahl er den Positroniken. Er nannte die festgelegten Ko-ordinaten des Sektors, in dem der Struktor mit der Rückverwandlung der Staubmassen be-ginnen sollte. »Wo steckt Immanuel? Er woll-te das neue Programm doch selbst eingeben.«

»Wollte«, lachte Heidinger. »Jetzt hat er wichtigere Dinge im Kopf.«

Heart zuckte die Schultern und nahm selbst das kleine Kärtchen in die Hand, auf dem sich alle benötigten Befehle befanden. Er fühlte alle Augen in der Zentrale auf sich gerichtet, als er es in den Eingabeschlitz steckte.

Noch einmal herrschte atemlose Spannung, während der Struktor bereits mit hohen Wer-ten beschleunigte.

»Anzeige positiv!« rief endlich Heidinger. »Das Programm ist angenommen, Hyrlian! Der Struktor polt sich um!«

Heart war der einzige, der nicht aufsprang und seiner Erleichterung Luft machte.

Ganz gleich, was vor zwanzig Stunden beim Materieeinlaß wirklich geschehen war – er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ein Manifest sich so relativ leicht beseitigen ließ, auf dessen Erfolg Anti-ES offenbar so vertraute.

Immanuel und Henny Lupino erschienen in der Zentrale.

»Ihr habt doch nichts dagegen, wenn wir die Positroniken von hier aus benutzen, um die Twoxl-Komponenten zu suchen, oder?«

Henny hatte die eine Entdeckte auf der of-fenen Handfläche liegen. Immanuel war auf Schritt und Tritt bei ihr.

Paß nur auf, daß dein Heinrich nicht eifer-süchtig wird! dachte Heart.

»Lebt er noch?« fragte er laut. »Ich meine den Stein.«

Henny sah ihm in die Augen. Er ver-wünschte sich für den etwas spöttischen Ton. Die junge Pilotin war völlig verzweifelt.

»Ich weiß es nicht«, bekannte sie leise. »Er ist jetzt ganz starr.«

*

Cpt und seine Sonne befanden sich 86

Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Xiinx-Markant entfernt. Bis zum vorgesehenen ers-ten Einsatzort des Struktors waren es knapp 6200 Lichtjahre. Die Maschine legte die Dis-tanz in nur anderthalb Stunden zurück.

Alles an Bord funktionierte wieder ein-wandfrei. Aus den gemachten Erfahrungen klug geworden, hatte sich bis auf zwei Aus-nahmen die gesamte Besatzung in die ab-trennbare Kommandokanzel begeben. Die Ausnahmen waren Henny Lupino und Ergoz Immanuel.

Woran der Kybernetiker nicht mehr ge-glaubt hatte, war doch eingetroffen. Die Po-sitroniken hatten den ganzen Struktor durch-leuchtet und tatsächlich alle sechs Twoxl-Komponenten gefunden. Zwei von ihnen wa-ren schon geborgen worden. An die anderen heranzukommen, erwies sich als schwieriger. Per Transmitter konnten Henny und Ergoz nur in ihre Nähe gelangen. Laufbänder führ-ten weiter. Doch wie kam man in Abteilun-gen, die normalerweise niemals betreten zu werden brauchten?

Der Dreier-Twoxl erholte sich zusehends. Wie von Henny vermutet, gaben die Kompo-nenten sich gegenseitig neue Lebenskraft. Wie das genau funktionierte, wußte niemand. Es erschien auch unwichtig.

Twoxl versuchte, seine übrigen Teile per Rückrufbefehl zu sich zu holen. Sie verstan-den ihn auch und sträubten sich nicht. Doch

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vor geschlossenen Schotten oder in Schäch-ten, die plötzlich ohne Ausgang endeten, war die Endstation allen guten Willens.

Im Kommandostand beobachtete man die Rettungsaktionen mit halbem Interesse. Aller Augen waren auf die Wandschirme gerichtet, die die dunkle Wand des Staubgürtels voraus zeigten. Heart wußte, daß es sich jetzt zeigen würde, ob Lasserin sich versteckte oder wirk-lich besiegt worden war. Der Dreier-Twoxl hatte dazu keine Angaben machen können. Er wußte nur zu berichten, daß er alle Energien des Manifests, sofern sie nach außen abgege-ben worden waren, neutralisiert und in den Weltraum geschickt hatte. An alles weitere besaß er keine Erinnerung.

Heinrich schwebte zwischen den Solanern und berichtete dann und wann, was er von Immanuel aufnahm. Der Kybernetiker und Henny hatten strikten Befehl, beim ersten Anzeichen einer neuen Gefahr ebenfalls den Kommandostand aufzusuchen.

Der Struktor, jetzt halb lichtschnell, drang in den Staubmantel ein. Was Heart zu tun blieb, war, den Befehl zum Beginn des Ein-satzes zu sprechen.

Vielleicht, dachte er, kann auch Lasserin nichts mehr ausrichten, wenn der Struktor erst einmal in Fahrt ist und soviel Energie gewinnt, daß das Manifest gar keine Zeit hat, sie zu neutralisieren.

Oder aber es gibt sie in solcher Menge und so schnell wieder ab, daß die Maschine tat-sächlich innerhalb von Sekunden auseinan-derfliegt.

Er schob die Gedanken daran von sich. Noch einmal ließ er sich ein Bild von Henny und Immanuel auf eine Wand schalten.

»Hört ihr mich da oben?« »Tun wir!« antwortete die Stimme des Ky-

bernetikers. »Wir haben den vierten Brocken und sind auf dem Weg zum fünften. Twoxl wird stärker. Ich glaube, er steht jetzt in Ver-bindung mit den vergeistigten Cpt’Cpts.«

»Das ändert nichts daran, daß ihr alles lie-gen und stehen laßt und zu uns kommt, sobald ich es befehle.«

»Jaja«, brummte Immanuel. Heart seufzte und schaltete ab. »Er ist total verwandelt. Und ich hielt ihn

immer für einen knöchernen Einsiedler, der

nur seine Computer und Heinrich kennt.« »Er ist wirklich verwandelt«, kam es vom

Datenei, »aber anders, als ihr glaubt, Hyrlian. Er hatte sich damit abgefunden, sein Leben als Außenseiter zu verbringen. Das ist jetzt vorbei. Er mußte sich zu erkennen geben, um den Struktor und euch zu retten. Er verliebte sich und hat nun die grausame Angst, für Henny nur so lange interessant zu sein, wie sie seine Hilfe braucht. Er ist sehr unglück-lich, auch wenn er es vor euch verbergen kann. Ich mache mir große Sorgen um ihn, denn die alten Wunden sind wieder aufgebro-chen.«

Heart starrte ihn an. Das war der längste Monolog, den Heinrich gehalten hatte, solan-ge er ihn kannte.

»Ach was!« wischte der Kommandant die Bedenken beiseite. »Er ist alt genug, um keine Dummheiten zu machen.« Er sah sich um. »Fertig?«

»Fertig!« kam es von Heidinger, Donata und Lina. Die anderen nickten. In ihren Ge-sichtern aber stand die Unsicherheit geschrie-ben.

Heart drosch mit einer Faust auf ein Pult. »Struktor, du fängst jetzt an, und zwar mit

voller Leistung!« »Projektoren arbeiten!« meldete Heidinger. Auf den Wandschirmen war der Aufbau

des Trichters zu beobachten. Heart wagte nicht zu atmen. Jetzt mußte es sich entschei-den.

Mit halber Lichtgeschwindigkeit drang der Gigant weiter vor. Wie das Maul eines Rie-senfisches schob sich der Trichter in die Staubmassen. Die lichte Weite des Außen-rands betrug fünfzig Millionen Kilometer – das war ein Drittel der Entfernung Sol-Erde. Heart war inzwischen darüber hinaus, ange-sichts dieser ungeheuerlichen Dimensionen noch zu erschaudern. Was nach wie vor unge-klärt war, war die Frage wie aus dem Staub Sonnen und Planeten entstehen sollten.

Die Männer und Frauen an Bord erlebten es jetzt. In einem dreidimensionalen Schaubild sahen sie, wie die aufgenommene Materie den Kanal durchfloß, wie ein geringer Teil zur Energiegewinnung herangezogen und seine Schlacke mit dem anderen Staub dort in ultra-heißes Plasma verwandelt wurde, wo sonst

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Planetenmaterie weiter zerkleinert wurde. Wie in einer Düse wurde es am Heck ausge-stoßen. Der dortige Trichter entließ es als strahlendes Etwas, bevor andere Kraftfelder weit in den Raum hinausgriffen und aus dem Urstoff wirbelnde Spiralen machten, die schnell hinter dem Struktor zurückblieben. Ihr Bild war durch den Dopplereffekt verzerrt.

Für den Augenblick war Lasserin völlig vergessen. Heart wischte sich mit dem Hand-rücken über die Stirn.

»Wißt ihr, was das ist?« fragte er, ohne je-manden anzusehen. »Es ist wie eine neue Schöpfung. Wir hätten es ahnen müssen. Aus diesem Urplasma werden sich Sonnen und Planeten bilden, langsam abkühlen und sich zu stabilen Gefügen ordnen. Und nach Milli-arden von Jahren wird sich dort neues Leben entwickeln.«

»Das heißt aber«, sagte Heidinger ehrfürch-tig, »daß die Vei-Munater von Anfang an auch diese Möglichkeit in Betracht zogen. Indem sie den Struktor so konstruierten, han-delten sie vielleicht gegen den Willen von Anti-ES.«

Und der Struktor flog weiter. Was einmal in Gang gesetzt war, nahm seinen Fortgang. Die Maschine pflügte eine staubfreie Zone durch den Dunkelmantel, in der sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Plas-makonzentrationen drehten. Seine Geschwin-digkeit nahm dabei immer mehr zu. In weni-gen Minuten mußte die Lichtgeschwindigkeit erreicht sein, beziehungsweise der Eintritt in den Hyperraum erfolgen.

Als es fast soweit war, gab Heinrich Alarm. Er kam Immanuel zuvor, dessen Gesicht eine Sekunde später übergroß auf einem Wand-schirm erschien.

»Lasserin wartet im Hyperraum auf uns!« rief der Kybernetiker. Seine Stimme über-schlug sich. »Twoxl hat eine Botschaft der vergeistigten Cpt’Cpts empfangen. Sie haben das Manifest im Hyperraum entdeckt und können aber nicht helfen, weil das in ihrer Daseinsform nicht geht.«

Heart war versucht, die Warnung als Hirn-gespinst abzutun. Von Vergeistigten, die sich nicht rühren konnten, hielt er nicht viel. Er bezweifelte sogar, daß es sie wirklich gab. Vielleicht entsprangen sie nur Twoxls Phanta-

sie. Atlan hatte jedenfalls nach seinem Cpt-Abenteuer nur vage Andeutungen über sie gemacht. Und auch die beruhten auf Angaben, die von Twoxl stammten.

Andererseits konnte er sich keine Unvor-sichtigkeit leisten. Er konnte sich auch nichts darunter vorstellen, daß Lasserin ausgerechnet im Hyperraum lauern sollte. Wie war er dahin gekommen?

Aber Lasserin war nicht vernichtet worden. Er fühlte es einfach wieder. Er schlug nicht im Struktor zu. Manifeste waren immer wie-der für Unglaubliches gut.

»Vielleicht sollten wir abwarten!« rief er in die Kommandozentrale. »Mak, können wir den Struktor stoppen?«

»Nicht mehr, Hyr. Er hat seine eigene Dy-namik entwickelt. Wir können nur noch die Kommandokanzel abtrennen. Aber dann ver-lieren wir den Struktor.«

»Wir warten ab, Ergoz!« rief Heart. »Ihr beide kommt auf dem schnellsten Weg zu uns!«

»Das wird leider nicht gehen«, kam es vom Kybernetiker zurück. »Henny hat gleich den sechsten Twoxl-Klumpen erreicht. Twoxl und ich müssen sie suchen!«

»Mach dich nicht unglücklich, Mann!« herrschte Heart ihn an. »Ergoz!«

Das Bild verschwand von der Wand. Jeder Versuch, wieder einen Kontakt zu schalten, scheiterte.

»Der verdammte Narr hat alles blockiert«, knurrte Heart.

»Er wird sich unglücklich machen«, kam es von Heinrich, »aber anders, als du denkst, Hyrlian. Ich werde ihn verlieren, ich weiß es.«

»Was kann eine Datenpositronik schon im voraus wissen!« schrie der Kommandant ihn an. Plötzlich fühlte er sich in einen Wirbel gerissen, der ihn davonzog. Plötzlich schlugen die Dinge über ihm zusammen, verlangten ihm mehr ab, als er bewältigen konnte.

»Eintritt in den Hyperraum!« rief Heidin-ger. »Und ... da ist Lasserin!«

Kaum jemand hörte ihn noch in dem Knis-tern elektrischer Entladungen, Tosen und Brausen, das unvermittelt über den Struktor hereinbrach.

Alle Wandschirme zeigten die grauen Schlieren des Hyperraums. Nur in Voraus-

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richtung stand ein ultrahell waberndes Etwas, ein etwa ringförmiges riesiges Feld, von dem Energiefinger ausgingen und nach dem Struk-tor griffen.

»Es zieht uns in sich hinein!« schrie Lina Semore. Sie wurde von den Beinen gerissen, als der erste Ruck die Gigantmaschine traf. Heart wirbelte es aus seinem Sitz. Er schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes und konnte nicht sagen, ob das Flackern des Lichts und die Blitze real waren oder Produkte seines Gehirns. Irgendwie schaffte er es, einen Halt zu finden und sich aufzurichten. Die Raum-fahrer wanden sich, lagen durch- und überein-ander und rollten von einer Ecke in die ande-re, als weitere Schläge den Struktor erschüt-terten.

Das leuchtende Etwas wurde auf dem Vor-ausschirm größer. Nein! dachte Heart. Es zieht uns an! Der Struktor versucht dagegen zu kämpfen und den programmierten Kurs fortzusetzen! Lasserin ist stärker!

Immer mehr energetische Finger zuckten der Maschine entgegen. Heart hatte ein Rau-schen wie von der Brandung eines Ozeans in den Ohren. Dann wurde das Licht so hell, daß er glaubte, es müßte ihm die Augen ausbren-nen. Durch geschlossene Lider sah er, wie die Wände durchsichtig wurden. Er fühlte sich nackt im Hyperraum treibend, immer schnel-ler auf Lasserin zu. Waren es seine eigenen Schreie, die sich in das Rauschen und Knis-tern mischten, oder die der anderen?

Sie schwebten neben, unter und über ihm. Es gab keine Gravitation mehr. Alle Naturge-setze waren aufgehoben. Flammen in allen Farben umtanzten die hilflosen Gestalten. Wie in Lichtblasen gehüllt, trieben sie dem Energiefeld entgegen.

Dann riß der Hyperraum auf. Heart glaubte noch erkennen zu können, wie von Lasserin aus Zapfstrahlen nach einigen Sonnen griffen und deren Energien heransaugten. Die Auf-nahme- und Speicherkapazität des Manifests schien in diesem Kontinuum ins Grenzenlose gewachsen zu sein. Er registrierte das alles unterbewußt. Grausame Schmerzen, das Ge-fühl, von innen nach außen gekehrt zu wer-den, die furchtbare Angst und Verzweiflung ließen keinen klaren Gedanken mehr auf-kommen.

Lasserin blähte sich in Sekundenbruchtei-len zur tausendfachen Ausdehnung auf. Das war die letzte Wahrnehmung. Heart stürzte in kalte und tiefschwarze Nacht, die ihn erlöste.

5.

Die Staubflieger Die Staubflieger maßen die Zeit nicht nach

Stunden. Es gab keine Gestirne in ihrem Le-bensbereich, nach deren Bewegungen sie sich richten konnten. Für Daal dauerte der mörde-rische Kampf gegen den Negativen inzwi-schen schon zweimal so lange, wie er für die Reise von seinem Löcherplaneten bis zum nächstgelegenen anderen brauchte.

Und er tobte nach wie vor. Es war Daals Gruppe gelungen, den Negativen von der Heimatwelt fortzulocken. Die jungen Staub-flieger hatten sich darauf beschränkt, Schein-angriffe zu fliegen, die das strahlende Unge-tüm natürlich nie ernsthaft gefährden konnten. Die Strahlung war ihnen nicht schädlich, sie war mehr das Produkt der Stoffwechselvor-gänge, die im Negativen abliefen. Einzelne Staubflieger konnten sich gegen die Hülle des Gegners werfen, wobei immer darauf aufge-paßt werden mußte, daß sie nicht in die maul-ähnliche Öffnung hineingerieten. Sie versetz-ten ihm nicht viel mehr als Nadelstiche. Doch das reichte schließlich, um ihn so sehr zu rei-zen, daß er vorübergehend vom Löcherplane-ten abließ, um Jagd auf die lästigen Hinder-nisse zu machen.

Einige Male hatte Daal geglaubt, den Nega-tiven nur so weit vom Planeten fortlocken zu müssen, daß er seinen Auftrag vergaß. Doch sobald er seinen Gefährten das Zeichen zum Rückzug gab, nahm der Gigant wieder Kurs auf sein Ziel.

Es bedurfte immer neuer Vorstöße, und sie kosteten die ersten Opfer. Staubflieger ver-schwanden im Maul des Riesen und kehrten nicht mehr zurück. Die Jagd begann von neu-em, immer und immer wieder. Daals Gruppe wurde arg dezimiert. Die Staubmassen reflek-tierten das Leuchten des Negativen und schienen zu brennen.

Nun war Daal soweit, die Sinnlosigkeit weiterer Angriffe einzusehen. Das Gebilde, viel größer als der Löcherplanet, ließ sich von

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nur noch knapp fünfzig »Zwergen« nicht be-siegen. Es sei denn ...

Daal wünschte sich, Genaueres über jenen anderen Kampf zu wissen, an dessen Ende sich Staubflieger ins Maul ihres Gegners ge-stürzt und diesen von innen heraus bezwun-gen hatten. Wie viele mußten es sein? Reichte seine kleine Schar?

Am Ende werden wir alle tot sein! war Zuu-is Gedankenstimme in ihm. Wir können ihn nicht daran hindern, unsere Welt zum Korri-dor zu bringen!

Daal wußte es genauso gut wie sie und die anderen, von denen einer nach dem anderen die Flucht ergriff. Dennoch weigerte er sich, die Wahrheit zu akzeptieren.

Noch einmal griff das Monstrum an. Jetzt schien es entschlossen zu sein, keinen Staub-flieger übrig zu lassen, blind vor Wut und Haß auf die positive Form. Daals verzweifelte Appelle an die Gefährten verhallten im Nichts. Plötzlich war nur noch Zuui bei ihm. Sie jagten tiefer in die Materiemassen hinein, doch der Negative war schneller. Er hatte sie als Ziele erspäht und schob schon sein Maul über sie.

Und das war der Augenblick, in dem die Sphären erschienen.

Sie kamen aus dem Nichts, strahlende Ge-bilde, die sich ohne Zögern auf den Negativen stürzten. Daal sah sie noch heranrasen, dann schloß sich das Maul des Giganten. Zuui und Daal waren abgeschnitten. Um sie herum herrschte tiefrotes Leuchten. Von einem Sog erfaßt, wirbelten sie weiter durch kilometer-weite Röhren, deren Wände zuckten und sich verzogen. Sie fanden andere, die vor ihnen verschlungen worden waren, hilflos daran kleben.

Von einem Moment auf den anderen flog der Negative auseinander.

Daal war frei. Aus dem Körper des Riesen bildeten sich Tausende von neuen Staubflie-gern. Es war so wie in den Berichten von je-nem anderen Kampf. Der große Unterschied bestand darin, daß es nicht die Positiven wa-ren, die das Ende des Monstrums bewirkt hat-ten.

Noch war alles unüberschaubar. In einem Umkreis von drei Planetengrößen wimmelte es von neuen Geschöpfen. Daal nahm ihre

positive Ausstrahlung wahr, die von dem ü-berlagert war, was von den Sphären ausging.

Als er sich noch zu orientieren versuchte und nach Zuui rief, empfing er die Botschaft:

Folgt uns zum Korridor, in dem der Struk-tor erscheinen wird! Die Zeit drängt! Wir können gegen die Negativen kämpfen. Um euer Volk aber zu retten, müßt ihr selbst zur Stelle sein! Unterstützt uns, denn wir sind nur wenige! Wartet auf die Gelegenheit, euch den Solanern verständlich zu machen!

Wer seid ihr? fragte Daal. Er erhielt keine Antwort mehr. Die Sphären

jagten davon. Ihre Aufforderung aber mußte von allen anderen Staubfliegern verstanden worden sein. Die Tausend, die aus dem Nega-tiven entstanden waren, schienen schon zu begreifen, worum es ging. In einem mächti-gen Strom folgten sie den Sphären.

Daal aber zögerte noch. Viel zuviel konnte er nicht verstehen, und doch kam ihm etwas vertraut vor – so als hätte er schon einmal mit etwas in Verbindung gestanden, das wie die Sphären war.

Zuui kam an seine Seite. Ich muß noch einmal zum Planeten zurück!

sendete Daal an sie. Komm mit mir, wir ken-nen die Richtung, in die wir uns dann zu wen-den haben!

Sie fanden die Oberfläche ihrer Wohnwelt von den Älteren übersät, die die schützende Höhle verlassen hatten. Alle schwebten um die Skulpturen herum, zu denen auch Daal wollte.

Der Spiegel zeigte ein flirrendes Etwas, das mit den Sinnen nicht mehr zu erfassen war. Daal kam es so vor, als sähe er nur einen Schatten von etwas Unwirklichem. In seinem Geist aber war ein anderes Bild. Er sah den Struktor, wie er von dem Etwas erfaßt und davongeschleudert wurde.

Meine Waffe, vernahm er die Stimme des Spiegels, hat eure Feinde getroffen und in die Dunkelzone geschickt! Greift sie dort an und vernichtet sie! Die Waffe wird darüber wa-chen, daß sie euch nicht entkommen!

Einem Impuls folgend, setzte sich Daal in Bewegung. Bevor er überhaupt richtig begriff, was er tat, hatte er die Spiegel-Skulptur ge-rammt und umgestürzt. Sie begann zu glühen. Blitzschnell brachte der junge Staubflieger

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sich in Sicherheit, gefolgt von den entsetzten Artgenossen.

Der Spiegel verging in einer schwarzen Stichflamme. Übrig blieb nur ein Krater.

Das wollte ich nur noch wissen! sendete Daal an die anderen, als er sich von dem Schrecken erholt hatte. Die Macht, die uns das Leben gegeben haben will, überläßt es uns allein zu kämpfen! Sie nimmt unsere Ver-nichtung in Kauf! Wir werden kämpfen, aber nicht für sie! Jetzt können wir siegen und ü-berleben, denn jetzt haben wir mächtigere Verbündete!

Die Erkenntnis, an wen ihn die Ausstrah-lung der Sphären erinnerte, war urplötzlich gekommen. Das Wissen darum gab Hoffnung und neue Kraft.

Es waren nicht nur die Solaner, die die Macht im Zentrum bedrängten. Die Sphären waren eindeutig mit dem geistigen Impuls verwandt, den Daal und seine Freunde durch die Dunkelzone geleitet hatten.

Er hatte sein Ziel erreicht und etwas ge-weckt, das nun eingriff – zugunsten jener, die sich als Freunde gezeigt hatten.

Daal konnte es plötzlich kaum mehr erwar-ten, zum Korridor zu gelangen. Alle Staub-flieger des Löcherplaneten folgten ihm, und von anderen Wohnwelten kamen viele weite-re, die sich ihnen anschlossen. Überall war die Botschaft der Sphären gehört worden. Sie hatte genügt, die Besessenheit wieder von den Positiven zu nehmen. Daal wußte, wie winzig und unbedeutend er in einem Ringen war, das er nicht durchschaute. Aber am Ende stand der Untergang oder eine glücklichere Zukunft.

*

Als Daal das blutrote Leuchten in den

Staubmassen vor sich sah, wurde er etwas langsamer. Er hatte keine große Lust, blind-lings in ein Chaos hineinzustoßen. Zuui war bei ihm. Trotz ihrer Zweifel hielt sie fest zu ihm. Und sollte der Kampf ein glückliches Ende finden, so würden sie unter den ersten sein, die sich einen neuen Planeten suchten und dort Kinder in die Welt setzten, die keine Angst mehr zu haben brauchten.

Noch war es lange nicht soweit. Die inzwi-schen mehr als zehntausend Staubflieger

drangen langsam in die leuchtende Zone vor. Daal fing die Impulse von unzähligen Artge-nossen auf, die schon im Korridor waren und sich gegen die Negativen warfen.

Dann sah er sie. Die Negativen bildeten lange gerade Ket-

ten, zwischen denen eine Art Tunnel war. Sphären setzten ihnen zu. Ein Pulk von tau-send und mehr Staubfliegern schoß in das offene Maul eines Monstrums, dann ein zwei-ter.

Und der Struktor kam langsam durch den Korridor, das Riesengebilde, das die Älteren beschrieben hatten. Wo die Negativen nicht selbst angegriffen wurden, lösten sie sich aus den Ketten und stürzten sich auf die Maschi-ne, die keine Gegenwehr leistete. Einige wa-ren größer als sie. Sie fingen mit ihren kineti-schen Kräften Materiebrocken und ganze Lö-cherplaneten ein und schleuderten sie gegen die Hülle aus Stahl.

Erst jetzt reagierte der Struktor. An einem Ende bildete sich ein gewaltiger Trichter und fing die Planeten regelrecht auf. Noch als sie in ihm verschwanden, brachen sie auseinander und lösten sich zu kleinen Brocken auf. Ein zweiter Trichter am anderen Ende stieß Staubmassen aus.

So muß es auch gewesen sein, als die Dun-kelzone entstand! dachte Daal.

Der große Trichter wanderte um die Ma-schine herum, immer dorthin, wo die Löcher-planeten aufzutreffen drohten. Daal sah alle seine bösen Ahnungen bestätigt. An den noch heftigeren Angriffen seiner Artgenossen er-kannte er, daß sie wirklich alle endlich begrif-fen hatten. Die Wohnstätten sollten von An-fang an nur als Munition gegen die Solaner dienen!

Ein schwaches Flimmern umgab den Struk-tor. Er stieß die kleineren Geschosse ab oder ließ sie verglühen. Immer mehr Negative ka-men heran. Die Übermacht mußte einfach zu groß werden. Von allen Seiten bombardiert, vermochte auch der Trichter das Ende nicht mehr lange aufzuhalten.

Eine kleine Gruppe bliebt bei mir! sendete Daal an die Gefährten. Wir versuchen, mit den Solanern in Kontakt zu treten! Alle anderen helfen den Sphären!

Weder die Sphären noch die Solaner noch

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die Staubflieger konnten die Negativen allein zurückschlagen. Arbeiteten sie jedoch alle zusammen, dann konnte das Unmögliche möglich werden. Daal hatte ganz kurz eine Vision, als er sich vorsichtig dem Struktor näherte.

Er sah viele andere Völker dieser Galaxis, weit außerhalb der Dunkelzone – unterdrückt und bevormundet wie die Staubflieger in ihrer negativen Form. Und dann gab es keine Dun-kelzone und keine böse Macht im Zentrum mehr. Und viele hundert Völker gingen ge-meinsam daran, aus den Trümmern etwas Neues, etwas Großartiges zu schaffen.

Er, Daal, tat jetzt das Seine dazu. Kostete es ihn das Leben, so wußte er, wofür er starb.

Gerade noch in Sichtweite, barst ein Nega-tiver in Millionen Teile. Millionen neuer Staubflieger, die frei und positiv waren und den Kampf unterstützen konnten!

Daals Problem aber war, sich den Solanern im Struktor bemerkbar zu machen. Bestimmt setzten sie einige vorhandene Waffen nur noch nicht ein, weil sie sein Volk schonen wollten. Doch wie lange hielt dieser Zustand an?

6.

Twoxl Er bestand wieder aus sechs Komponenten,

als ihn die zweite Botschaft der Vergeistigten kurz nach der ersten erreichte. Was mit dem Struktor geschehen war, konnte er aus eigener Kraft nicht feststellen. Er hatte gesehen, wie die Wände durchsichtig wurden und das Licht angriff, das nur Lasserin sein konnte. Aus dem, was Immanuel und Henny sich zuschrien, konnte er auch nicht viel schlauer werden. Lasserin hatte im Hyperraum auf den Struktor gelauert und die Maschine in das normale Raum-Zeit-Kontinuum zurückge-schleudert. Hier mußte das Chaos toben. Die Geräusche vermittelten den Eindruck, als zerrten ungeheure Gewalten am Struktor, um ihn auseinanderzureißen. Dann wieder die Erschütterungen. Und offenbar bewegte der Gigant sich kaum noch.

Nun aber war das Bild in ihm. Er glitt in die Aura hinein, die sich um ihn aufbaute, und fühlte sich wieder mitten in der Gemeinschaft

der Körperlosen. Ceemer, sein alter Gefährte, hatte sich jetzt vollkommen in sie integriert.

Sie zeigten ihm den Struktor, wie er immer langsamer in die Dunkelzone eindrang. Er sah die ganze Szenerie, die leuchtenden Riesen-gebilde, die Staubflieger und die Strahlenden Sphären.

Sie stellten die fünfte Entwicklungsform im Leben eines Cpt’Cpt dar – und damit jene, die auf Twoxls jetzige einmal folgen würde. Die sechste Form und damit der endgültige Zu-stand waren die Vergeistigten selbst.

Daß die Cpt’Cpts die Sphären wieder ge-schickt hatten, sagte Twoxl alles über den Ernst der Lage. Nur einmal zuvor war dies geschehen – um die Metaplasmaten daran zu hindern, den Heimatplaneten mit ihren Hy-perbomben auseinanderzusprengen. Nun hatte es den Anschein, als kämpfte dieser ganze Bereich von Xiinx-Markant mit vereinten Kräften um die Befreiung.

Und der Struktor steckte mittendrin. Twoxl wußte nicht, ob die Maschine über Offensiv-waffen verfügte, und wenn ja, wie lange die Solaner mit ihrem Einsatz noch zögern woll-ten. Griffen sie zu diesem letzten Mittel, dann töteten sie auch ihre Verbündeten, ausge-nommen die Sphären. Sie waren nicht zu tö-ten, denn sie kamen von den Vergeistigten selbst.

Auf die Bilder folgte der Appell an den Cpt’Kul.

Twoxl erfuhr, daß sich Lasserin nach seiner Niederlage im Struktor in den Hyperraum geflüchtet hatte und dort die Barriere bildete, die die Maschine an jedem beliebigen Ort einfangen und in den Normalraum zurück-schmettern konnte. Solange dies so war, be-stand keine Aussicht, die Dunkelzone von Xiinx-Markant aufzulösen und damit die Normalisierung einzuleiten, die die Cpt’Cpts so sehr herbeisehnten. Endlich offenbarten sie ihm auch, warum. Alle Völker dieser Galaxis waren zwar nicht mehr von der kriegserzeu-genden Strahlung betroffen, denn die war dank den Solanern endgültig ausgeschaltet. Die durch den immerwährenden Krieg ge-schlagenen Wunden jedoch waren so stark, daß ohne Hilfe Jahrmillionen vergehen wür-den, bis wieder wahres Leben erschien. Die Völker würden zugrunde gehen, jedes dem

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anderen mißtrauen, sich abkapseln und schließlich degenerieren.

Die Absicht der Vergeistigten war es, ihren harmonisierenden Einfluß über ganz Xiinx-Markant auszudehnen und Frieden zu schaf-fen – falls die Dunkelzone abgebaut werden konnte.

Das, erfuhr Twoxl, war der erste Grund, Lasserin unschädlich zu machen.

Der zweite war der viel näherliegende. Las-serin wachte nicht nur darüber, daß der Struk-tor nicht in den Hyperraum entkommen und von dort aus arbeiten konnte. Er steuerte die negativen Staubflieger-Ballungen. Er schürte das Feuer, in dem der Struktor verbrennen mußte. Sein Nachschub an Negativen war viel größer, als bisher angenommen werden konn-te. Mochten sich jetzt auch Erfolge der ver-bündeten Sphären und Staubflieger zeigen – auf die Dauer würde Lasserin die Oberhand gewinnen.

Das Manifest gewann seine Stärke durch das Anzapfen von Sonnen des Zentrumskerns. Die Vergeistigten machten Twoxl klar, daß es die letzte hier verfügbare Einsatzreserve von Anti-ES darstellte.

Twoxl offenbarte sich eine phantastische Welt. Aus den bis vor kurzem so tumben Cpt’Cpts war durch die zurückliegenden jüngsten Ereignisse etwas geworden, das er sich selbst in seinen kühnsten Träumen nie auszumalen gewagt hätte. Sie sahen über viele Lichtjahre hinweg, konnten Dinge erfassen, die in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung jedem stofflichen Wesen wohl nie begreiflich wurden, konnten die Absichten und Winkel-züge von Anti-ES durchschauen und selbst seine Befehle an Lasserin abhören – nur Ge-walt anwenden, das konnten sie nicht.

Es hätte nicht nur ihrer ganzen Lebensauf-fassung widersprochen. Es war einfach un-denkbar.

Alles, was sie zu tun vermochten, war, die Sphären zu schicken und ihn zum Handeln zu bitten – Twoxl. Den ersten Cpt’Kul seit fünf-zig Jahren, den Behüter der neuen Generatio-nen heranwachsender Cpt’Noks auf seiner Heimatwelt.

Sie konnten nicht lügen. Sie verschwiegen ihm nicht, daß er bei dem Versuch, Lasserin auszuschalten und zu befreien, diesmal unter-

liegen mochte. Er wollte wissen, ob nicht die Sphären diese Aufgabe übernehmen konnten, und hörte, sie konnten es nicht. Wie bei der Verwandlung von Cpt’Carch in Twoxl, gab das Aufgehen in die fünfte Form neue phan-tastische Fähigkeiten, aber andere gingen ver-loren.

Du, Twoxl, bist der einzige, der es tun kann.

Aber die Cpt’Noks, die Kalmorer, die Me-taplasmaten-Wesen!

Selbst wenn du scheitern solltest, sind wir für sie da. Wir werden sie behüten, ganz gleich, wie der Kampf hier und jetzt ausgeht!

Twoxl sagte fast demütig: »Dann will ich bereit sein!« Er erschrak. Die Aura löste sich auf. Er war wieder al-

lein. Henny und Immanuel waren zwar bei ihm und starrten ihn an, aber nie konnten sie die Geborgenheit ersetzen, die er unter den Vergeistigten empfand.

Sie starren mich an! Ich habe die ganze Zeit über laut gedacht

und gesprochen! Henny hatte den siebten Teil in der Hand

und legte ihn vorsichtig an ihn an. »Wir haben alles gehört, Twoxl«, sagte sie.

»Du mußt es tun, und wir gehen mit dir. Al-lein kommst du nicht in den Hyperraum.«

»Nein!« schrie der Cpt’Kul ihr entgegen. »Es geht mich allein an!«

»Unter wirklichen Freunden geht nieman-den etwas ganz allein an. Und wir sind doch Freunde, oder?« Sie lächelte, als gäbe es kei-ne Löcherplaneten, die gegen den Struktor geschleudert wurden, und keine Negativen, keinen Lasserin. Sie sah Immanuel an, eine Hand auf Twoxl, die andere auf seiner.

»Und außerdem wissen nur wir, was du e-ben erfahren hast. Es hat den Struktor schlimmer erwischt als beim ersten Angriff von Lasserin. Selbst wenn wir wollten, könn-ten wir nicht mehr Verbindung mit Heart und den anderen aufnehmen. Wir sind abgeschnit-ten. Aber zum Hangar, in dem das riesige Beiboot des Struktors liegt, kommen wir noch.«

Natürlich war das gelogen. Was Immanuel wußte, das wußte auch Heinrich.

Und der sah nicht ein, weshalb seine

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menschliche Hälfte ihr Leben für eine vage Hoffnung aufs Spiel setzen sollte. Ahnungen hin und her – Heinrich wollte den Partner so lange behalten wie irgendwie möglich. Besser gesagt: Er wollte sich niemals Vorwürfe ma-chen müssen, nichts gegen das unternommen zu haben, was nach allen Gesetzen menschli-chen Gefühlsverhaltens unabänderlich war.

Er verriet dem Kommandanten, was Imma-nuel, Henny und Twoxl vorhatten.

*

Hyrlian Heart stöhnte und fluchte und be-

jammerte das Universum. »Das reicht jetzt!« sagte Mata St. Felix

scharf. »Entweder wirst du wieder normal, oder ich übernehme das Kommando über den Struktor!«

»Tu’s!« sagte Heart. »Versuche du, diesen Idioten zur Vernunft zu bringen, und ich ...«

Die Buhrlo war bei ihm und zerrte ihn in die Höhe. Mit einer Hand hielt sie ihn, mit der anderen zeigte sie auf die Schirme.

»Wir haben den Struktor noch einmal um-polen müssen, um die Löcherplaneten abzu-wehren, die uns entgegengeschleudert wer-den. Aber der Trichter kann nicht schnell ge-nug um die ganze Maschine herumgelenkt werden! Den ersten Treffer haben wir schon zu verzeichnen. Er hat die Hülle des Bugteils auf zehn Kilometer aufgerissen, den Struktor dabei aber nur geritzt! Die Fesselfelder kön-nen zwar die kleineren Brocken abwehren, aber keinen Staubfliegerplaneten mehr! Wir kommen nicht vorwärts! Unter anderem sind beim Rücksturz die wichtigsten Steuerele-mente beschädigt worden! Heidinger ver-sucht, sie mit Hilfe der Positroniken zu repa-rieren, aber das braucht viel Zeit! Wenn we-nigstens Immanuel ...« Sie biß sich auf die Lippen. »Hätte ich ihn nur nicht zu Henny geschickt! Sie machen es wahr, Hyr! Sie stei-gen in das Beiboot und keiner von uns kann sie daran hindern! Alle Kommunikationssys-teme sind in ihrem Bereich ausgefallen, von hier aus läßt sich nicht einmal mehr der Han-gar blockieren, in dem das Boot steht. Das wissen sie!«

Sie ließ den Kommandanten los und sah Heinrich an, als könnte der ihr helfen. Das

Datenei schwebte davon und heftete sich magnetisch an eine Wand.

»Sie sind schon auf dem Weg«, erklärte Heinrich. »Sie haben alle Transmitterverbin-dungen zu uns mit Alpha-Priorität stillgelegt. Und Alpha-Priorität heißt, daß wir den Befehl nicht rückgängig machen können. Das können nur sie selbst.«

»Dieser verdammte Struktor!« fluchte Heart, plötzlich wieder verwandelt. »Ich wünschte, ich wäre nie an Bord gegangen! In ihrer schlimmsten Zeit war die SOL ein ruhi-ges Örtchen gegen ihn!« Er gestikulierte hef-tig in Richtung der Wandschirme. »Wozu sind wir eigentlich noch hier! Trennen wir den Kommandostand ab, dann können wir uns vielleicht retten! Die Maschine macht alles von selbst. Alle Verteidigungssysteme werden von den Positroniken selbsttätig gesteuert! Das Programm trat ohne unser Dazutun in Kraft!«

»Wir müssen bleiben«, sagte Mata kühl, »um den Struktor erneut umzupolen und die Dunkelzone zu beseitigen.«

Das alles war Wahnsinn. Da draußen tobten die heftigsten Kämpfe und Angriffe, und die Solaner waren zur völligen Untätigkeit verur-teilt. Die Hoffnung, daß Offensivwaffen in Kraft treten konnten, war unerfüllt geblieben. Vielleicht zum Glück. Alles war viel zu ver-worren. Glaubte man jetzt, einen Sinn in dem Chaos erkannt zu haben, bewies die nächste Sekunde das Gegenteil. Die Negativen ver-nichten – aber dabei die positiven Staubflie-ger auch töten? Schlimm war auch, daß eine Reihe von Besatzungsmitglieder offensicht-lich glaubte, die Strahlenden Sphären seien allmächtig und würden die Gefahr so schnell bannen, wie es auf Cpt geschehen war.

Mata rief in den Raum: »Kommst wenigstens du voran, Mak?« »Immanuel wäre mir eine Hilfe!« klang

Heidingers Stimme auf. »Ich sehe zwar die Ursachen, das heißt, die Positroniken sehen sie. Aber um alle Schäden zu beheben, wird es schon noch einige Stunden dauern. Bis dahin haben wir in den Staubmassen jegliche Fahrt verloren!«

Neue Schläge erschütterten den Struktor. Die Fesselfelder, um die ganze Maschine ge-legt, fingen die Materiebrocken ab und lenk-

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ten sie in andere Richtungen. Ein leicht flim-mernder, aber schwacher Schutzschirm ließ andere verglühen. Der Trichter kreiste atem-beraubend schnell, doch ein einziger zur glei-chen Zeit vorgetragener Angriff der Negati-ven genügte vielleicht schon, um die von Las-serin begonnene Zerstörung vollkommen zu machen.

»Wir schleichen tatsächlich nur noch«, rief Lina Semore. »Die Staubflieger und die Sphä-ren zerreißen einen Negativen nach dem ande-ren! Aber jetzt ... Jetzt greifen die Giganten nicht mehr einzeln an, sie kommen in Dreier- und Vierergruppen! Sie schleudern ein halbes Dutzend Löcherplaneten auf uns!«

Heart sprang auf. »Positroniken!« schrie er. »Ihr müßt uns

jetzt gehorchen! Steuert den Trichter dorthin, wo das Boot aus dem Hangar ausbrechen wird! Alpha-Priorität! Schützt das Schiff! Sorgt dafür, daß es unversehrt aus dem Kampfgebiet kommt!«

Er ließ sich zurücksinken. Er bat Heinrich und Immanuel um Vergebung. Was jetzt ge-schah, lag nicht mehr in der Hand irgendeines Menschen an Bord des Struktors.

Heart versuchte, Twoxl zu vertrauen. Aber das war das Vertrauen eines am Abgrund Hängenden zu einem Grashalm, an dem er sich festhielt.

*

Henny Lupino wartete bis zum letzten Au-

genblick vor der Übersicht über die noch funktionierenden Transmitteranlagen im Struktor, die eine Positronik auf einen Moni-tor gegeben hatte. Immanuel stand schon vor dem Entmaterialisierungsfeld und winkte hef-tig. Twoxl war neben ihm.

Natürlich war niemals daran zu denken ge-wesen, per Laufband zum Beiboothangar im Bugteil des Struktors zu gelangen. Die Transmitterverbindung bestand noch. Aber andere Anschlüsse fielen einer nach dem an-deren aus. Rotmarkierte zeigten jene Statio-nen, die durch die Alpha-Priorität stillgelegt worden waren.

Wenn nun der Transmitter im Boot genau im Moment des Transports ebenfalls ausfiel ...

Henny verdrängte den Gedanken daran und

lief zu den beiden anderen. Noch einmal sahen die beiden Solaner sich

an. Jeder von ihnen wußte, was sie nun taten, war etwas Endgültiges. Henny war sich ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher. Vor allem fragte sie sich jetzt, ob sie das Recht hatte, einfach für Immanuel zu reden.

Es war alles viel zu schnell gekommen. Sie hatte nur die Gefahr und die Möglichkeit zur Rettung gesehen. Nun aber ...

»Komm!« rief der Kybernetiker. »Wir bringen es hinter uns – so oder so!«

Und damit hatte er das Heft in die Hand genommen.

Er trat in das grünlich flimmernde Feld und verschwand darin. Henny fühlte sich jetzt befreiter. Sie folgte ihm mit Twoxl und fand ihn bereits auf dem Weg zu einer Tafel, auf der das Innere des Bootes schematisch gezeigt war. Es war kein Beiboot im herkömmlichen Sinn. Diese Bezeichnung verdiente es nur als Raumfahrzeug im Struktor, das zu bestimm-ten Zwecken ausgeschleust werden und völlig eigenständig operieren konnte. Es war ellip-senförmig und mehr als dreimal so groß wie die SOL!

Vor allen Dingen jedoch hatte es wie der Struktor einen Hyperantrieb.

»Positroniken!« rief Immanuel. »Zeigt mir alle Zentralen und den kürzesten Weg dort-hin!«

Einzelne Sektoren im Schaubild leuchteten gelb auf. Zwischen ihnen und dem Transmit-teranschluß zogen sich hellrote Linien.

»Hauptzentrale etwa im Zentrum des Schif-fes«, murmelte der Kybernetiker. »Drei Ne-benkontrollräume. Wir nehmen den im Bug, fast an der Außenhülle.«

Im Beiboot gab es ein eigenes Transmitter-system. Bevor Henny, der Immanuels plötzli-cher Tatendrang nun doch etwas merkwürdig vorkam, einen Einwand erheben konnte, hatte der Kybernetiker die Strecke geschaltet und lief wieder auf das Entstofflichungsfeld zu. Bevor er hineinsprang, rief er noch:

»Beiboot startklar machen! Hangartore auf!«

Nur Henny und Twoxl hörten noch die Bes-tätigung der Positroniken. Als sie in der Ne-benzentrale materialisierten, saß Immanuel schon in einem der Kopilotensitze und akti-

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vierte eine Reihe von Bildschirmen.

Er drehte sich nicht einmal mehr zu ihr um. »Jetzt bist du dran, Henny«, sagte er. »Un-

ser Weg ist frei.« Sie setzte sich vor die Steuerkontrollen, un-

sicher. »Ergoz, ich möchte wissen, was plötzlich in

dich gefahren ist!« »Ich habe begriffen«, sagte er barsch. »Es

hat lange gedauert, aber jetzt sehe ich einiges klarer.«

Im nächsten Moment schien er die Heftig-keit seiner Worte zu bereuen. Er sah ihr in die Augen, lächelte und meinte fast entschuldi-gend: »Ich habe jetzt auch zu Heinrich keinen Kontakt mehr. Es ist vollkommen ungewohnt für mich. Es ist schon alles in Ordnung – wenn wir nicht noch mehr wertvolle Zeit ver-trödeln.«

»Und das ist wirklich alles? Ich meine, du bist nicht wütend auf mich, weil ich vorhin quasi über deinen Kopf hinweg entschieden habe?«

»Nein! Nun komm, bring uns hier heraus und zu Lasserin.«

Sie nahm es ihm nicht ab. Plötzlich von Wut auf sich selbst gepackt,

gab sie den Startbefehl an die Positroniken. Von nun an gab es kein Zurück mehr.

*

Es mußte blitzschnell gehen. Offenbar

wußten das auch die Positroniken. Das gewal-tige Beiboot schoß aus dem Stand aus seinem Hangar und hinein in das rote Glühen der Staubmassen. Schutzschirme bauten sich auf. Eine Bildwand über den Instrumenten für manuelle Steuerung zeigte das ganze Inferno um den Struktor herum. Geschleuderte Plane-tenbrocken verschwanden im großen Energie-trichter, der sich vom Struktor zu lösen schien, um den rasenden Flug des Bootes mit-zumachen. Kleinere Trümmerstücke verglüh-ten in den Schutzschirmen. Die gesamte Dun-kelzone schien in Flammen zu stehen. Henny konnte kaum sagen, welches Leuchten von den Negativen kam, welches von den Sphären und welches von den eigenen Schutzfeldern. Dazu kamen Wellenstoßfronten, kam das Krachen und Knistern in den eingeschalteten

Funkempfängern – aber keine Stimme aus der Struktor-Kommandokanzel. Das Energiecha-os überlagerte alles. Die Hoffnung, wenigs-tens jetzt den Zurückbleibenden einiges erklä-ren zu können, blieb unerfüllt.

Am schlimmsten aber waren die mörderi-schen Andruckwerte, die für lange Sekunden durchkamen. Die Schwerkraftabsorber des Raumschiffes waren überfordert. Immanuel stöhnte und hielt sich die linke Körperhälfte. Henny ahnte, daß er jetzt den Unterschied zwischen seinem organischen und dem tech-nischen Teil zu spüren bekam. Twoxl »kleb-te« an der rückwärtigen Wand.

Alles das waren Eindrücke, die die Solane-rin auf einmal zu verarbeiten hatte.

Und dann lag die Zone des Kampfes hinter ihnen. Der Trichter schnellte sich zum Struk-tor zurück, von dem längst schon nichts mehr zu erkennen war.

Henny wischte sich den Schweiß ab und ließ sich im Sitz zurückfallen. Ihr ganzer Körper war ein einziger Schmerz. Sie atmete tief durch, bis die schwarzen Punkte vor den Augen wieder verschwunden waren.

»Das«, sagte sie leise, »wäre geschafft. Jetzt kommt es darauf an, wann der Hyperan-trieb zu arbeiten beginnt.«

Denn dies war ein nicht geringeres Problem – vielleicht das Hauptproblem schlechthin.

Ein Mensch genügte, um das »Beiboot« zu steuern. Er gab die Befehle, nannte Ziele und Notwendigkeiten. Alles andere erledigten die Positroniken.

Und das hieß: Henny, Immanuel und Twoxl waren völlig auf sie angewiesen.

Henny hatte keine Informationen darüber, welche Geschwindigkeit mit den Normal-triebwerken beim Struktor selbst mindestens erzielt werden mußte, damit der Hyperantrieb die Maschine im Notfall schnell in die fünfte Dimension katapultierte. Sie wußte nicht, wie schnell das Beiboot werden mußte.

Schon jetzt aber begannen die Schutz-schirme zu glühen. Die Belastung stieg dra-matisch an. Der rasende Flug durch die Staubmassen würde unweigerlich zur Ver-nichtung des Schiffes führen, wenn der Wechsel von einem Kontinuum ins andere nicht frühzeitig genug erfolgte. So war es der SOL durch Anti-Homunk bestimmt gewesen.

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Fest im Griff des Manifests C, Erfrin, sollte sie mit halber Lichtgeschwindigkeit in die Dunkelzone einfliegen und dort regelrecht zerrieben werden. Bei dieser Geschwindigkeit nützten alle Schutzschirme nichts.

Beim Struktor war das ganz anders. Er konnte theoretisch mit Lichtgeschwindigkeit durch die Staubmassen jagen, ohne beschä-digt zu werden. Der Trichter erzeugte vor ihm eine staubfreie Zone.

Alles kam darauf an, ob sein Beiboot von den Vei-Munatern für Flüge innerhalb des Dunkelgürtels eingerichtet worden war.

Wieder brach der Solanerin der Schweiß aus allen Poren.

»Nun mach schon!« fuhr sie ihr Instrumen-tenpult an. »Ergoz, wir haben die Zehn-Prozent-Licht-Marke überschritten – und die Schutzschirmbelastung ist bei hundert Pro-zent!«

Er schien aus schweren Gedanken aufzu-schrecken. Eben noch die treibende Kraft, wirkte er nun völlig abwesend.

»Ergoz!« »Wir werden es schaffen«, sagte er. »Wenn

Twoxl von den Vergeistigten den Auftrag bekam, Lasserin im Hyperraum zu bekämp-fen, müssen sie davon überzeugt sein, daß wir zu ihm kommen.«

Twoxl sagte nichts dazu. Noch immer hing er an der Wand. Nur ab und zu war eine Art gequältes Stöhnen von ihm zu hören.

Henny fluchte. Der Wandschirm zeigte nichts mehr außer dem Glühen und Aufblit-zen der Schutzfelder um das Schiff. Die Ge-schwindigkeitsanzeige näherte sich schnell der nächsten Markierung.

»Überlastung 130 Prozent!« schrie Henny. Die Schiffszelle begann zu vibrieren, dann

immer heftiger zu rucken. Henny schlug sich die Hände vor die Augen. In diesen Sekunden war sie davon überzeugt, daß ihr Abenteuer schon zu Ende war, bevor es überhaupt zum Kampf gegen das Manifest kam.

*

Twoxl stand nun in fast ständigem Kontakt

mit den Cpt’Cpts. Die Vergeistigten zeigten ihm, was beim Struktor geschah, und auf sein Drängen hin auch Bilder von Cpt. Er fühlte

sich etwas erleichtert, und er glaubte, nun auch dem Kommenden gestärkt entgegense-hen zu können. Auf der Heimatwelt ging alles seinen gewohnten Gang. Von der gewaltigen Auseinandersetzung in der Dunkelzone war dort nichts zu spüren. Die Kalmorer, das men-schenähnliche zweite Intelligenzvolk auf Cpt, bauten ihre neuen Siedlungen am Fluß. Der von Breckcrown Hayes überlassene Same ging auf. Eine erste Ernte würde sich früher als erwartet einholen lassen. Bis dahin reich-ten die ebenfalls von Hayes geschenkten Nah-rungskonzentrate.

Noch entstanden Cpt’Taks aus Cpt’Wons, den von längst gestorbenen Cpt’Kuls abgeleg-ten Eiern. Aus den Fladen wurden nach drei Jahren endlich wieder Cpt’Noks – die dritte Entwicklungsform und zugleich jene, in der Twoxl als Cpt’Carch auf der SOL existiert hatte. Nichts störte mehr die komplizierte Metamorphose. Der Tag war abzusehen, an dem der Planet wieder den Cpt-Formen und den Kalmorern gehörte.

Und, dachte Twoxl, den wenigen überle-benden Hyperbomben-Wesen, deren Ablö-sung von den Bomben gleichzeitig die Be-freiung aus dem Bann von Anti-Homunk ge-wesen war.

Allerdings war ihr langsamer körperlicher Verfall nicht zu übersehen. Anscheinend brauchten sie doch etwas Technisches zu ihrer Symbiose.

Diese Bilder verschwanden wieder. Twoxl sah den Struktor, in dessen Hülle mehrere häßliche Löcher klafften. Der große Trichter wurde nun offenbar von den Solanern oder den Positroniken gezielt nur noch zum Schutz der wichtigsten Abschnitte und der Komman-dokanzel eingesetzt. Die Strahlenden Sphären besiegten einen Negativen nach dem anderen. Schwärme von Staubfliegern kämpften tapfer gegen die negative Art, doch für jeden zer-störten Giganten kamen zwei neue aus den Tiefen der Dunkelzone.

Jeder Besiegte verwandelte sich aber auch wieder in unzählige positive Staubflieger. Sie bildeten ganze Wolken, es mußten bereits Millionen sein. Wo sollten sie nach der Auf-lösung der Dunkelzone alle leben?

Auch diese Frage blieb ohne Antwort. Falls die Vergeistigten eine wußten, so schwiegen

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sie sich darüber aus. Es blieb keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Noch sah es so aus, als sollte die Dunkelzone für immer bestehen bleiben. Und nun forderten die Ver-geistigten den Cpt’Kul auf, sich bereitzuhal-ten.

Das Durchbeuteln des Raumschiffs nahm Twoxl nur am Rande wahr. Er hörte, wie Henny schrie. Er wollte ihr so gerne helfen, doch diese Sekunden mußten sie und Imma-nuel noch durchstehen, und dann ...

Er wußte plötzlich, wie hoch der Preis des Sieges sein würde.

Wenn Lasserin das Schiff überhaupt noch bis an sich herankommen ließ und es nicht gleich wieder wie den Struktor in den Nor-malraum zurückschleuderte, konnte Twoxl nur aus ihm heraus wirken. Er vermochte die Energien des Manifests nur dann zu neutrali-sieren, wenn sie die Hülle durchschlugen.

Das hieß nichts anderes, als daß das Boot vorher oder gleichzeitig vernichtet werden würde. Es bedeutete den sicheren Tod für Henny und Immanuel. Und auch für ihn selbst, ob er Lasserin nun ausschalten konnte oder nicht. Im Hyperraum war er verloren!

Findet einen anderen Weg! apellierte er an die Cpt’Cpts. Es muß eine andere Möglichkeit geben!

Er wußte es besser, natürlich. Er wollte Henny eine Warnung zurufen,

aber es war schon zu spät. Das Raumschiff sprang in den Hyperraum.

Das rote Glühen ringsum wich dem grauen Wallen der fünften Dimension. Und genau voraus wartete Lasserin.

Twoxl fügte sich in sein Schicksal. Er durf-te sein eigenes Leben nicht über das der Sola-ner im Struktor und der unzähligen Völker in Xiinx-Markant setzen, die erst durch die Normalisierung der Verhältnisse eine neue Zukunft bekamen.

Aber er haßte sich und die Cpt’Cpts dafür, daß auch Henny und der Mann dafür sterben mußten, der durch Henny vielleicht seine Zu-kunft gefunden hatte.

7.

Der Struktor Etwa fünf Minuten waren erst vergangen,

seitdem das Beiboot den Struktor verlassen hatte. Auch Heart hatte die Erfahrung machen müssen, daß ein erhoffter Funkkontakt nicht zustande kommen konnte.

Die Spannung in der Kommandokanzel wuchs. Manche Männer und Frauen hielten die Nervenbelastung nicht mehr länger aus und rannten davon, ohne irgendein Ziel, nur weg von den Wandschirmen, die das Draußen zeigten. Doch sicher waren sie nirgendwo. Der Struktor wurde immer heftiger erschüt-tert. Die Positroniken ließen den Alarm durch den Kommandostand heulen. Heart erlaubte dem einzigen Mediziner an Bord, den am schlimmsten Betroffenen Beruhigungsdrogen zu verabreichen. Das war alles, was er tun konnte.

Gestrandet und halb zu Schrott geschossen, dachte er bitter. Das vorläufige Ende eines hoffnungsvollen Unternehmens. Sah es so aus, als gewännen die Sphären und Staubflie-ger endlich ein Übergewicht, so tauchten im nächsten Moment neue Legionen von Negati-ven auf. Heart bemühte sich verzweifelt, eine Erklärung zu finden. Nach Hayes’ Berichten konnte es nie und nimmer so viele Giganten geben.

Gab es ein genetisches Programm, das jetzt auf einen Befehl von Lasserin alle diese Monstren innerhalb von Stunden entstehen ließ?

Unsinn! dachte der Kommandant. Blanker Unsinn!

Plötzlich wurde er von Lina Semore auf etwas aufmerksam gemacht, das ihm auch schon selbst aufgefallen war. Er hatte ihm keine besondere Bedeutung beigemessen, weil nichts in dem Durcheinander dort drau-ßen mehr einen Sinn zu haben schien. Den Struktor mit Hilfe des Trichters und der schwachen Schutzschirme halten und darauf hoffen, daß Henny, Immanuel und Twoxl ihr Ziel erreichten. Das war alles.

»Diese eine Gruppe von Staubfliegern«, sagte Lina, noch eine der Beherrschtesten. »Sie verhält sich anders als der Rest, Hyr.«

Sie flogen seltsame Figuren und kamen nun immer näher an die Kommandokanzel heran.

»Das sieht so aus, als wollten sie uns irgend etwas mitteilen!«

Aber was?

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»Hyrlian, sie haben vielleicht eine Nach-

richt für uns! Vielleicht wissen sie, welche Maßnahmen wir ergreifen können!«

Heart dachte an die Mentaltranslatoren, die Hage Nockemann entwickelt hatte, um eine direkte Verständigung mit den Staubfliegern zu ermöglichen. Es befanden sich einige Ge-räte an Bord, nach den ersten praktischen Er-fahrungen leicht modifiziert. Sie arbeiteten noch einfacher. Ein Staubflieger brauchte nur seine Gedanken konzentriert auf sie zu rich-ten, und das Gerät verwandelte sie in für Menschen verständliche Worte.

Umgekehrt funktionierte es ähnlich. »Wir öffnen eine Schleuse für sie«, ent-

schied der Kommandant. »Wir lassen so viele von ihnen herein, wie der kleinere Hangar der Kanzel fassen kann. Vorher muß alles heraus, was wir nicht unbedingt brauchen.«

Das waren kleinere Sonden, Ein-Mann-Schiffe und Reparaturroboter von der Größe einer Space-Jet. Es gab genug davon im Struktor. Einige konnte Heart ohne Bedenken opfern.

Er schaltete die Öffnung selbst. Normaler-weise wäre dies Heidingers Arbeit gewesen, doch Mak arbeitete immer noch mit den Po-sitroniken an der Behebung der Schäden in der Struktorsteuerung.

»Sie kommen!« rief Lina. Die Staubflieger schienen ganz genau zu

wissen, wie lange sie zu warten hatten. Die Maschinen wurden von Kraftfeldern aus dem Hangar gehoben. Erst als nichts mehr nach-kam, schwebten fünf Geschöpfe vorsichtig ein.

»Kontrolle Transmitter!« verlangte Heart. Er erhielt die Bestätigung, daß die Strecke

zum Hangar noch stand. Überhaupt funktio-nierte im abtrennbaren Kommandostand noch vieles – wie natürlich die Bildschirme. Die Vei-Munater mußten Fälle wie diesen also vorausgesehen und vielfach gestaffelte Not-systeme eingebaut haben.

Immanuel hätte es leichter feststellen kön-nen. Heinrich rührte und meldete sich kaum noch. Heart knurrte etwas Unverständliches, als er den MCS kurz ansah. Seine düsteren Prophezeiungen gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn.

»Ich gehe zu ihnen«, verkündete der Kom-

mandant. »Mata, du kannst solange das Kommando übernehmen – sofern das hier überhaupt noch etwas bedeutet.«

»Ich schlage vor, Lina macht das«, wider-sprach die Buhrlo. »Ich begleite dich.«

Sie nahmen je einen Mentaltranslator an sich und verließen den Hauptkontrollraum, hielten sich an Wandvorsprüngen im Korridor fest und gelangten ohne besondere Zwischen-fälle zum Transmitteranschluß. Erst dann er-folgte ein Stoß, der sie zu Boden warf.

»Wir sollten die Kanzel doch abtrennen«, schimpfte die Buhrlo. »Zu fliehen brauchen wir ja nicht. Aber so kriegen wir jede Erschüt-terung mit, die durch den Struktor geht.«

»Wenn wir zurück sind«, sagte Heart. Sie traten in das Entstofflichungsfeld, so-

bald dieses sich nach erfolgter Justierung auf-gebaut hatte. Die Gegenstation befand sich schon in unmittelbarer Nähe des Hangars. Heart und Mata verzichteten wieder darauf, sich den Laufbändern anzuvertrauen. Zu Fuß brauchten sie knappe drei Minuten bis zu den Staubfliegern. Beide streiften sich einen leich-ten Raumanzug über und schlossen die Hel-me, bevor sie ins Vakuum traten.

Die fünf Staubflieger schwebten in der Mit-te des Hangars. Sie waren zu einer Art Hufei-senform angeordnet, mit der Öffnung zum Innern der Kanzel. Vor dem Außenschott bil-deten viele Dutzend ihrer Artgenossen mit ihren Leibern eine Mauer, als wollten sie alles abwehren, was von draußen hereindringen könnte.

»Hast du eine Ahnung, wie man mit den Translatoren überhaupt umgeht?« fragte Heart. Er kam sich ziemlich klein vor, als sie in den Halbkreis traten.

»Einfach einschalten und abwarten«, schlug die Buhrlo vor. »Der große Vorteil der Geräte ist der, daß man sein Gegenüber nicht erst zum Reden auffordern muß, damit die Trans-latoren die fremde Sprache analysieren kön-nen. Sie denken ununterbrochen – und die Geräte fangen das auf.«

Der Hauptschalter war deutlich markiert. Mata betätigte ihn und wartete. Ein kleines rotes Feld auf der Oberseite leuchtete auf. Und es dauerte keine zehn Sekunden, bis eine künstliche Stimme aus dem Translator kam:

»Ich werde für mein Volk sprechen!« sagte

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sie. Gleichzeitig schob sich einer der Staub-flieger etwas vor.

»Antworte du ihm«, flüsterte Heart. Mata machte zwei Schritte auf die Riesen-

kaulquappe zu, bis sie nur noch einen guten Meter von ihr entfernt war.

Namen zu nennen hatte keinen Sinn. Es war auch nicht erforderlich. Sie legte den Kopf etwas in den Nacken und sagte laut:

»Ich werde dich anhören, Freund.« Die nun beginnende Unterhaltung erschien

um so unwirklicher, als der Kampf um den Struktor draußen mit unverminderter Heftig-keit weiterging. Mata überlegte, ob die Staub-flieger vor dem Hangar durch ihre Mauerbil-dung nur davon ablenken wollten.

Die Buhrlo und Heart wurden zunächst ent-täuscht. Sie erfuhren nicht, wie sie vielleicht von sich aus endlich effektiv in die Auseinan-dersetzung eingreifen könnten, sondern sie hörten die Geschichte einer Gruppe von jun-gen Staubfliegern, die als erste erkannt hatten, welch übles Spiel die »Macht im Zentrum«, mit ihnen trieb.

Die Staubflieger waren nicht zu den Men-schen gekommen, um ihnen die Lösung ihrer Probleme zu verraten, sondern um Hilfe zu erflehen.

»Wir werden weiterkämpfen«, sagte die Stimme aus dem Translator. »Doch ver-sprecht uns, daß ihr uns unsere Welten und einen Teil der Staubzone laßt, sollte der Kampf gewonnen werden. Wenn wir dies von euch hören, wird es all jene stärken, die ihre Kräfte erlahmen fühlen. Gebt uns die Zusa-ge.«

Heart fluchte. Mata hoffte, daß die Geräte dies nicht transformieren würden.

»Ich verspreche es«, sagte sie schnell, be-vor der Kommandant sich zu einer noch un-beherrschteren Reaktion hinreißen lassen konnte. »Ihr habt mein Wort, und es gilt für alle Solaner an Bord des Struktors.«

Für lange Sekunden herrschte Schweigen im Hangar. Dann antwortete das riesige We-sen:

»Und wir glauben dir, Freundin. Das war es, was wir noch wissen mußten.«

Alle fünf zogen sich zurück. Mit ihren vie-len Artgenossen schwebten sie davon, bis sie im blutroten Glühen der Staubmassen nicht

mehr zu sehen waren. Heart riß sich den Schutzhelm von den

Schultern und schmetterte ihn zu Boden, als er und Mata wieder im Korridor standen.

»Und was hat uns das jetzt gebracht?« frag-te er wütend.

»Vielleicht die Rettung, Hyr. Wir werden es sehen.«

»Wir werden es sehen!« äffte er sie nach. »Wir werden immer nur sehen, und inzwi-schen schleudern die Negativen weiter Plane-ten gegen den Struktor! Wenn Mak nur end-lich Erfolg hätte!«

Zurück in der Kommandozentrale, wußte Lina Semore wenigstens von einem kleinen Teilerfolg des Technikers zu berichten.

»Bewegen und steuern können wir den Struktor zwar immer noch nicht, Hyr. Aber die Kommunikation mit bestimmten Positro-niken im Struktor ist mit Einschränkungen wieder möglich.«

Er winkte ab und ließ sich schwer in seinen Sitz fallen.

»Und?« »Bisher wurde die Materie der zerkleiner-

ten Löcherplaneten im Materiekanal umge-formt und als Staub durch den rückwärtigen Trichter wieder abgegeben. Das hat jetzt auf-gehört. Sie wird nun restlos in Energie ver-wandelt.«

»Und das heißt?« Heart wurde kreide-bleich, als er sich selbst die Antwort gab. »Er lädt sich auf! Er macht sich selbst zur Bom-be!«

Auch Mata starrte Lina betroffen an. Sie konnte und wollte es sich nicht vorstellen. Doch war denn auszuschließen, daß für den Fall, daß die Positroniken keine Chance zur Rettung mehr errechneten, eine Selbstvernich-tung vorgesehen war?

»Wir hängen hier unten in dieser verdamm-ten Kanzel und haben keine Ahnung davon, was oben im Struktor vorgeht!« fluchte Heart. »Nicht die blasseste Ahnung! Wir trennen jetzt ab!«

Heinrich meldete sich endlich wieder. Heart und alle anderen wünschten sich, er hätte es nicht getan.

»Auch das ist nicht mehr möglich«, erklärte der Datenroboter.

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8.

Lasserin Ergoz Immanuel wußte, was er tun würde,

als er das Manifest erblickte. Das riesige Bei-boot war plötzlich durchsichtig. Lasserins Licht durchdrang alle Wände und Verklei-dungen. Eine scheinbare hyperphysikalische Unmöglichkeit jagte die andere. Immanuel hatte sich nie sehr mit den Phänomenen im und um den Hyperraum zu beschäftigen brau-chen. Natürlich kannte er das, was allgemei-nes Wissensgut war.

Hier schien nichts davon zuzutreffen. Alles war auch ganz anders als beim ersten

Auftreffen auf Lasserin im Hyperraum. Im Schiff herrschte normale Schwerkraft.

Lasserin bildete einen flammenden Ring vor dem Beiboot. Eine Entfernung war nicht zu schätzen. Das Manifest mochte sich unmit-telbar vor dem Schiff befinden oder auch weit entfernt. Die Wände und Decken waren nicht völlig transparent geworden, eher sahen sie aus wie leicht spiegelndes Glas. Sie waren auf jeden Fall stabil, der Kybernetiker stand ruhig vor dem Bildschirm, den er nicht mehr brauchte.

Kein Geräusch außer Hennys Stimme und Twoxls Stöhnen war zu hören. Beides klang verzerrt, wie von weither, dann viel zu nahe. Auch die Tonlage veränderte sich ständig.

Es war nicht festzustellen, ob sich das Schiff bewegte. Die grauen Schlieren waren wie fließende Mauern, die langsam näher-rückten. Immanuel hielt es für möglich, daß Lasserin den Hyperraum beeinflußte, krümm-te – es spielte im Grunde gar keine Rolle. Das Manifest war da und wurde optisch größer. Schon bildeten sich an seinem Rand strahlen-de Energiefinger, die nach dem Beiboot leck-ten.

Wichtig war, daß das Schiff in den Normal-raum zurückkam, nachdem das getan war, was getan werden mußte – und zwar mit Henny und Twoxl.

Immanuel wußte, was er zu unternehmen hatte, seitdem er an Bord gegangen war. Er hatte sich nun damit abgefunden. Er hatte den Schmerz in seinem Herzen besiegt.

Jahrelang war er einsam gewesen, mit nur einem Roboter als Freund, ja als Bruder.

Dann war etwas mit ihm geschehen, das er selbst jetzt noch nicht begriff. Doch es war wundervoll gewesen. Einen anderen Men-schen lieben, von ihm akzeptiert werden, auf eine gemeinsame Zukunft hoffen, die nicht sein konnte. Für diesen anderen Menschen wenigstens da sein, ihn beschützen, das konn-te ihm niemand nehmen. Das war ein Glück, das ihm auch der Tod nicht stehlen würde.

Er wollte nicht wieder einsam sein. Nicht, nachdem er das andere Gefühl kennengelernt hatte.

Beschützen bis zum letzten. Sein Plan konnte gelingen. Heinrich würde sich einen anderen Partner suchen müssen. Es kam Im-manuel nun fast lächerlich vor, daß er sich in Gedanken fast bei dem MCS entschuldigte. Vielleicht konnte Heinrich ihn sogar verste-hen.

Alles das ging dem Kybernetiker in einer Sekunde durch den Sinn. In der nächsten war er aufgesprungen und hatte die Waffe gezo-gen, die er unter der Kombinationsjacke ver-borgen getragen hatte. Bevor Henny über-haupt begriff, was er tat, schaltete er auf Para-lyse und lähmte sie mit einem schnellen Schuß.

Aus Twoxls Membranen kam ein dünner Schrei, während Lasserin voraus immer grö-ßer und strahlender wurde und weitere Ener-giefinger ausbildete. Noch schien es, als woll-te das Manifest erst ergründen, mit wem es es zu tun hatte, bevor es zuschlug.

»Mach keine Dummheiten, Twoxl!« sagte Immanuel hastig. »Ich erkläre es dir nur ein-mal. Ich steige in einem Raumanzug aus und versuche, Lasserin entgegenzufliegen. Mögli-cherweise scheitert mein Vorhaben schon im Ansatz, wenn hier keine Rückstoßgesetze gelten. Nichtsdestoweniger werde ich es ver-suchen. Ich versuche, mich in Richtung Las-serin zu katapultieren. Er ist ein Manifest, das das Wissen seines Meisters besitzt, soweit es die Auseinandersetzung mit uns angeht. Also kennt er auch die Metaplasmaten, die halb organisch und halb Bomben waren. Er dürfte wissen, daß einige Hyperbomben auf Cpt zu-rückblieben. Ich hoffe, daß er allerdings nicht weiß, daß sie alle unschädlich gemacht wur-den. Twoxl, ich bin halb Mensch, halb Tech-nik. Alles wird davon abhängen, ob Lasserin

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mich als solches Zwitterwesen erkennt und folglich als Metaplasmaten einschätzt. Von seiner Warte aus gesehen kann ein Metaplas-mat, der gegen ihn eingesetzt wird, ihn nur vernichten wollen. Er muß es einfach glauben und mich ausschalten, bevor ich ihn erreiche. In diesem Moment handelst du.«

Der Cpt’Kul wollte sich auf den Kyberneti-ker stürzen. Immanuel wich geschickt aus und schaltete die Waffe um. Er richtete sie auf Twoxl.

»Du wirst zuhören!« Ein schneller Blick zeigte ihm, daß der

flammende Ring sich fast schon über das Boot schob. Jede Sekunde war kostbar!

»Du hast im Struktor gezeigt, daß du Ener-gien nicht nur an Ort und Stelle abgeben kannst, sondern von einem außerhalb gelege-nen Ort aus. Also mußt du sie auch außerhalb des Schiffes auffangen und neutralisieren können, ohne daß du das Boot verläßt. Sobald Lasserin mich angreift, tust du das. Ich weiß, wieviele Lücken meine Überlegungen haben, aber es ist eure einzige Hoffnung. Versuche nicht noch einmal, mich aufzuhalten. Ich war nie dazu bestimmt, als Mensch unter Men-schen zu leben, das ist mir erst jetzt klarge-worden. Hennys Paralyse wird nicht lange anhalten. Sie kann das Schiff unter Kontrolle bringen, sobald ihr zurückstürzt.« Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nicht an diese letzten Sekunden denken! Jetzt nicht der Angst unterliegen, die ihn überfiel. »Twoxl, und dann sage ihr, daß ich ... ich ...!«

Er fand die passenden Worte nicht. Lasse-rins Strahlen durchdrangen jetzt scheinbar alles.

Aber dann schien das Manifest wieder weit weg zu wabern. Nichts war real, auf nichts konnte Immanuel sich wirklich verlassen. Und die Verzweiflung keimte in ihm, die Angst fraß sich in seinen Verstand.

Noch handeln, solange er Herr seines Wil-lens war! Der Kybernetiker ging rückwärts aus der Nebenzentrale, den Strahler auf Twoxl gerichtet. Erst im Korridor begann er zu rennen. Er lief wie im Nichts. Nur das Spiegeln von Lasserins Licht auf der fast transparenten Bodenfläche gab ihm eine Ori-entierung.

Vergib mir, Heinrich! Und du, Henny, den-

ke vielleicht einmal an den Idioten, der sich einbildete, er könnte mit dir zusammen alt werden!

Immanuel schoß auf das erste geschlossene Schott, das ihm im Weg war – das heißt, er versuchte es. Der Energiestrahl kam keinen Meter weit und verwandelte sich in einen tropfenden Bogen, halbflüssig und zäh. Lasse-rin strahlte abermals heller. Immanuel konnte das Licht nicht mehr ertragen. Die Augen hatte er längst geschlossen. Es war, als würde ihm die Umgebung ins Gehirn hineinproji-ziert.

»Schleusen auf, verdammt!« schrie er. Irgendwie erreichte der Befehl eine Po-

sitronik, und irgendwie, irgendwann, stand der Solaner in einer Mannschleuse. Er riß einen Raumanzug von einer erahnbaren Wand, legte ihn unter Mühen an und schrie seinen letzten Befehl:

»Luke auf! Alle Schotte hinter mir zu!« Etwas anderes gab es für ihn nicht mehr. Er

bewegte sich außerhalb einer Welt, die einmal die seine gewesen war. Es gab sie nicht mehr. Es gab nur noch ihn und das Manifest.

Hole mich, Lasserin! Schaffe die Voraus-setzungen!

Er spürte die Schwerkraft im Schiff. Es war eine Insel, das Produkt einer unbekannten Technologie. Er stand auf seinen Beinen. Es mußte funktionieren!

Dann glaubte er eine zweite Kraft zu füh-len, die nach ihm griff. Er stieß sich ab – und jetzt trieb es ihn auf das Zentrum des Ringes zu.

*

Twoxl war vollkommen verwirrt. Er sah

Henny Lupino reglos in ihrem Sitz und durch die halbdurchsichtigen Wände Immanuel da-vonrennen. Etwas in ihm sagte, er sollte glücklich sein. Etwas sagte ihm, daß er das Opfer des Solaners nicht zulassen durfte. Et-was ließ ihn ahnen, daß er das, was Immanuel von ihm erwartete, niemals würde tun kön-nen. Im Struktor hatte er nicht gewußt, was beim Kampf gegen Lasserin geschehen war. Er hatte die aufgenommenen Energien, die er nicht mehr neutralisieren konnte, unbewußt abgestrahlt – in den Hyperraum! Deshalb kei-

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ne »Schußbahnen« durch Wände und Hülle des Struktors.

Und in diesem Kontinuum befand er sich jetzt!

Es war zu spät. Immanuel hatte die Schleu-se erreicht und stand im offenen Luk. Er stieß sich ab und schoß auf Lasserin zu.

Er will das Manifest in Panik versetzen! durchfuhr es Twoxl. Und zwar so, daß es sei-ne gesamte Energie gegen ihn verschleudert – und damit sich selbst!

Als er noch zögerte, hörte der Cpt’Kul wie-der die Stimmen der Vergeistigten. Natürlich! Aus ihrem unbekannten Überraum heraus konnten sie auch in den Hyperraum hineinrei-chen!

Und sie forderten ihn zur Tat auf. Sie sag-ten ihm, er könnte siegen!

Er sah Lasserin als ein Gebilde im totalen Überladungszustand, aber stabil. Dieser Zu-stand war behutsam aufgebaut und in ein Gleichgewicht gebracht worden. Entblößte das Manifest sich jedoch, und trafen die ab-gegebenen Energien schlagartig auf es zurück, dann ...

Twoxl hörte auf, irgend etwas verstehen zu wollen. Er schwebte durch die gleichen Kor-ridore, die Immanuel auch genommen hatte.

Er blieb vor dem letzten geschlossenen Schott und konzentrierte sich ganz auf das, was nur noch schwer zu erkennen war: Im-manuel als winziger schwarzer Punkt im Zentrum des feurigen Ringes.

Dickflüssiges Sekret tropfte von den sieben Komponenten herab. Die Anspannung drohte den Cpt’Kul zu zerreißen. Warum griff Lasse-rin denn nicht an! Er hatte Immanuels Täu-schung erkannt! Nur so konnte es sein und ...

... und dann explodierte der Ring. Der Hyperraum selbst schien aufzureißen.

Strahlen zuckten durch die grauen Schlieren und färbten sich hellrot. Immanuel verging im Zentrum dieses Chaos. Die Energien schlugen dem Beiboot entgegen. Twoxl ließ blitz-schnell die Kräfte wirken, die die Energien außerhalb der Schiffshülle auffangen und un-schädlich machen sollten. Er wußte dabei, daß er das nicht allein schaffen konnte. Er besaß diese Fähigkeiten einfach nicht!

Plötzlich war er in gleißende Helligkeit ge-hüllt. Sie umgab ihn wie ein Ballon. Aber die

Hülle des Beiboots riß nicht auf. Was nun geschah, sah der Cpt’Kul wie ein

unbeteiligter Außenstehender, obwohl er fühl-te, daß es aus ihm heraus bewirkt wurde. Doch er steuerte es nicht willentlich. Es ge-schah wie von allein. Und er begriff, daß die Vergeistigten ihm nun wieder halfen, so wie sie es im Struktor getan haben mußten.

Die aufgefangenen Energien wurden nur zu einem winzigen Bruchteil neutralisiert, alles andere wurde fortgeschleudert. Und was sonst in den Hyperraum strahlte, schlug genau dort-hin zurück, von wo es gekommen war. Es gab keinen übergeordneten Raum, mehr, der es aufnahm.

Alle Energien, die Lasserin gegen Immanu-el freigemacht hatte, schlugen auf ihn zurück, auf die Schablone, das Grundmuster des Ma-nifests. Die schlagartige Überladung um das Millionenfache von dessen Aufnahmekapazi-tät sprengte das Netzwerk, das Lasserins Grundexistenz ausmachte.

Die Energien breiteten sich noch einmal über den Hyperraum aus und versiegten in der Unendlichkeit dieser Dimension. Twoxl lag noch auf dem Korridorboden, als längst alles vorüber war.

Er konnte es nicht glauben. Das plötzliche vollkommene Schweigen war gespenstisch. Nur noch das graue Wallen umgab das Bei-boot.

Und in dieses Schweigen hinein meldete sich noch einmal eine lautlose Stimme. Dies-mal jedoch waren es nicht die Cpt’Cpts, die zu Twoxl sprachen.

Du hast meinen materiellen Teil vernichtet! empfing er. Du hast mich damit aus der Ge-walt meines Unterdrückers Anti-ES befreit! Du hast verhindert, daß ich als versklavtes Manifest der kosmischen Ordnung irreparab-len Schaden anrichtete, und mir den Weg freigemacht zurück in die Namenlose Zone! Dafür danke ich dir! Als Lasse-Zount, der ehemalige Sechste Zähler, kann ich nun end-lich auch heimkehren! Möget auch ihr den Weg zurück finden!

Das war alles. Wieder umfing den Cpt’Kul die unheimliche Stille eines Kontinuums, das nicht seines war.

Er ergriff die Flucht vor ihr. Er schwebte durch die Korridore zurück in die Nebenzent-

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rale, um wenigstens ein menschliches Wesen bei sich zu spüren.

Henny Lupino lag noch immer gelähmt in ihrem Sitz.

»Positroniken!« zirpte es aus allen sieben Membranen zugleich. »Bringt das Raumschiff zum Struktor zurück! Bringt es in den Nor-malraum und in die Dunkelzone!«

9.

Der Struktor und die Staubflieger Im Struktor folgte eine vorerst unerklärli-

che Nachricht auf die andere. Hyrlian Heart und Mata St. Felix standen beieinander, beide auf das Ende gefaßt und mit noch drei weite-ren Solanern die einzigen, die sich noch im Hauptkontrollraum der Kommandokanzel befanden.

»Sag das nochmal, Lina!« forderte Heart. Lina Semore nickte von einer Bildwand.

Sie befand sich in einer Nebenstelle, wo sie dabei half, Zusammengebrochene zu betreu-en. Von dort aus hatte sie Zugang zu den wichtigen Positroniken.

»Der Struktor hat die gesamte überschüssi-ge Energie schlagartig in Feinstmaterie ver-wandelt und abgestoßen, Hyr.«

Heart schüttelte verständnislos den Kopf, der um einige graue Haare reicher geworden war.

»Und der Sinn? Welcher Sinn steckt dahin-ter?«

Erleichtert konnte er nicht sein. Hinter je-dem und allem witterte er eine neue Tücke. Bevor Lina antworten konnte, meldete sich endlich Mak Heidinger.

»Hyrlian, irgend etwas geschieht, aber frag mich nicht, was es ist. Wir haben die Steue-rungssysteme so gut wie repariert – das heißt, ich habe zugesehen, wie die Positroniken ar-beiteten. Ich glaube sogar, daß ich vollkom-men überflüssig war. Sie machen nicht nur alles selbst, sie denken auch selbst und ent-scheiden, wann wir was zu sehen bekommen. Der Struktor kommt mir allmählich wie ein lebendes Wesen vor, das seine Wunden selbst versorgt.«

»Die Löcher in seiner Hülle sind seine Wunden, Mak! Und was macht er mit ihnen?«

»Er hat unsere Roboter in Marsch gesetzt,

Hyr. Ich meine natürlich, die Positroniken haben es getan.«

Heart verstand die Welt nicht mehr. Wozu die Aufladung mit Energie, wozu dann wieder deren Abgabe und nun die Übernahme der solanischen Roboter? Wollten die Positroni-ken jetzt damit beginnen, Reparaturarbeiten auszuführen?

Die Angriffe tobten noch immer. Eine Er-schütterung folgte auf die andere, Heart und Mata nahmen es schon gar nicht mehr wahr. Und unverändert schnell raste der Auffang-trichter um die Kommandokanzel und ver-suchte, das Schlimmste zu verhindern.

»Hyr, ich würde an deiner Stelle versuchen, mir ein Bild aus dem Struktor geben zu las-sen. Soweit wir das von hier übersehen, ste-hen alle Transmitter wieder zur Verfügung. Im Grunde könnten wir den Struktor be-stimmt auch schon jetzt in Bewegung setzen. Eigentlich dürfte alles in ihm wiederherge-stellt sein – mit Ausnahme der Kommunikati-on über Funk natürlich. Erstens wegen der überlagernden Strahlung von draußen, und zweitens ...« Heidinger lachte wie über einen Witz, von dessen Qualität er nicht überzeugt war. »Zweitens ist ja sowieso keiner mehr oben in der Maschine.«

»Wer von uns ist verrückt, Mata?« fragte Heart leise. »Er, ich, wir alle?«

»Ich würde es einfach versuchen.« »Was denn? Einfach sagen: ›Positronik, gib

mir ein Bild aus dem Beiboothangar!‹?« Das rote Glühen verschwand vom Wand-

schirm. An seine Stelle trat das Bild des Han-garinnenraums.

»Hyrlian!« rief die Buhrlo da plötzlich aus. »Die anderen Schirme! Der Trichter hört zu kreisen auf! Er wird langsamer – und wandert zum Bug zurück! Er löst sich auf!« Ihre Stimme überschlug sich. »Und die Negativen stellen die Angriffe ein! Sie erstarren und werden auch ihrerseits nicht mehr von den Staubfliegern und den Sphären angegriffen! Hyr, kann das bedeuten, daß wir ...?«

Sie konnte nicht weitersprechen. Sie dachte an Twoxl, Henny Lupino und Immanuel.

»Die Sphären ziehen ab«, murmelte Heart, starr wie eine Statue, den Blick nur auf das Unglaubliche gerichtet. Innerhalb von Sekun-den wurde das Glühen der Staubmassen

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schwächer. Nach etwa einer Minute war es ganz erloschen.

»Wir sind ... gerettet, Hyr?« stammelte die Buhrlo. »Bei allen Planeten, Twoxl muß es geschafft haben!«

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Kom-mandant fragte:

»Und wo ist dann das Beiboot, Mata?«

* Daal war von der plötzlichen Entwicklung

nicht minder überrascht als die Solaner. Sein Ruf war überall gehört worden. Jeder einzelne der ins Unüberschaubare angewachsenen Staubfliegerschar hatte über ihn von der Zusi-cherung der Solaner gehört, ihren Lebensraum nicht ganz zu zerstören. Und sie glaubten dem, was die Menschen versprachen.

Um so wütender hatten sie sich dann in den Kampf gestürzt. Daal war selbst nur ein ein-ziges Mal dabei gewesen, als ein Pulk in den offenen Rachen eines Negativen einflog und ihn von innen heraus besiegte. Es war ein Erlebnis gewesen wie nie zuvor, aus dem furchtbaren Monstrum Tausende neuer Brü-der und Schwestern entstehen zu sehen.

Und nun schien alles vorbei zu sein. Der Struktor lag still in den sich wieder schließen-den Staubwolken. Der Trichter, der ihn ge-schützt hatte, war ebenso erloschen wie jener andere, der sich immer dann kurz gebildet hatte, wenn neue Kleinstmaterie von der Rie-senmaschine ausgespien wurde. An der Hülle arbeiteten Montageroboter.

Die Negativen strahlten nicht mehr, beweg-ten sich nicht oder drifteten mit dem noch vorhandenen Restschub langsam durch das All. Die Sphären waren fort.

Löcherplaneten, die nicht mehr hatten ge-schleudert werden können, zogen langsam ihre geraden Bahnen. Daal wollte sich schon mit seinen Gefährten auf den Weg zu den Menschen machen, als er einen der Himmels-körper als seine Wohnheimat erkannte.

Er erschrak. Irgendein Negativer hatte ihn also doch noch geholt. Es gab dem jungen Staubflieger wieder eine Ahnung davon, wie gewaltig die Dunkelzone doch war und was sich in ihren Tiefen noch alles abgespielt ha-ben mochte, während er und unzählige andere

hier kämpften. Es zeigte ihm auch, daß er nun zuerst eine

andere Aufgabe hatte, als mit den Solanern zu reden. Millionen neuer Staubflieger waren entstanden, und Millionen hatten sich von überall hierher begeben. Nun flogen sie ratlos durcheinander und wußten nicht, wohin. Die meisten hatten wohl ihre Wohnwelten für immer verloren.

Sie mußten zur Ruhe gebracht werden, sich sammeln und warten. Der Gedanke, daß viel-leicht zum erstenmal in seiner Geschichte sein ganzes Volk an einem einzigen Ort der Dun-kelzone versammelt sein mochte, brachte Daal an den Rand der Ohnmacht.

Zuui! wandte er sich an seine Partnerin. Führe du die Gefährten! Sucht nach Bekann-ten und verbreitet die Botschaft, daß niemand sich von hier fortbegeben möge, bis wir Ge-wißheit über die Zukunft haben! Wir treffen uns beim Struktor wieder. Ich fliege kurz zum Planeten!

Er gab ihr keine Gelegenheit, ihm zu fol-gen. Etwas trieb ihn, das er selbst kaum verstand. Aber er wollte die Statuen sehen, wollte wissen, ob die Skulpturen sich wieder verändert hatten.

Er fand nur noch drei von den sechs, die sich ursprünglich auf jedem Löcherplaneten geformt hatten. Atlan und Anti-Homunk wa-ren verschwunden, ebenso die dritte Skulptur. Die vierte in der ehemaligen Reihenfolge zeigte den Struktor nun viel größer als vorher.

Die fünfte, zuletzt nur erahnbar, war zu ei-nem Stern auf einem hohen Sockel geworden. Daal interpretierte die Darstellung gefühlsmä-ßig als ein Symbol für Freiheit und Frieden.

Der in einer schwarzen Stichflamme ver-gangene Spiegel war etwas abseits der ande-ren Skulpturen wiedererstanden. Jetzt jedoch sprach keine Geisterstimme mehr aus ihm, und keine Aura des Bösen ging von ihm aus. Etwas zog Daal an. Er schwebte ganz dicht über der glatten Fläche und sah, wie sich aus nie geschauten Farben Bilder kristallisierten.

Er sah ein Netz, in dessen Mittelpunkt ein gräßliches Monstrum lauerte. Im Netz gefan-gen waren Staubflieger – nein, ihre negativen und gigantischen Brüder. Durch Ziehen der Fäden steuerte das Monstrum die Negativen. Sie waren in ihm gefangen und konnten sich

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nicht befreien.

Dann aber erschien ein Etwas, das entfernt an einen Staubflieger ohne Schweif erinnerte. Nur war es unendlich größer und künstlich. Es griff das Monstrum an und vernichtete es. Das Netz löste sich auf. Die Negativen flogen davon und ...

Daal spürte die Nähe eines der riesigen Wesen. Er drehte sich und sah den Negativen auf den Löcherplaneten zukommen, viele Ma-le so groß wie dieser. Er wollte schon fliehen, als der Gigant sich auflöste und in viele tau-send Staubflieger zerfiel.

Und das geschah jetzt überall um den Struktor herum. Daal empfing Zuuis Ruf und stieß sich ab.

*

Henny Lupino war noch benommen. Sie

hörte zwar, was Twoxl ihr immer und immer wieder aufgeregt berichtete, doch das wenigs-te davon vermochte sie zu begreifen.

Was sie sah und wußte, war, daß das Struk-tor-Beiboot wieder im Normalraum und in der Dunkelzone war. Mit diesem Anblick auf dem Wandschirm war sie aus der Betäubung er-wacht. Unter normalen Umständen blieb ein durch solanische Waffen Paralysierter auch im Zustand der Lähmung hellwach, er sah, hörte und dachte. Daß es diesmal anders ge-wesen war, schrieb sie den Einflüssen des Hyperraums zu.

Lasserin vernichtet und dadurch befreit! Ergoz Immanuel tot! Meine Schuld! Ich ließ ihm gar keine

Wahl! Ich sprach für ihn! Ich sagte, er würde mit mir und Twoxl aufbrechen!

»... den Struktor gleich erreichen«, sagte Twoxl von irgendwoher. »Das Boot hat ihn schon geortet. Du mußt zu dir kommen, Hen-ny!«

Zu mir kommen? Nein. Ich will es nicht. Sie begann hysterisch zu lachen. »Hörst du das, Twoxl? Ich will nicht, und

ich tue es einfach nicht! Glaubst du, ich wüßte nicht, was Ergoz so hinter mir her rennen ließ? Das gleiche wie Kolsch! Auch Wajsto hat sich in mich verliebt. In mich, ein Nichts! Eine Unglücksbringerin! He, Twoxl, meine erotische Ausstrahlung wirkt doch sogar auf

dich. Ich bin schön, ja, und ich bin jung. Aber ich bin nichts wert! Wäre ich es, dann hätte ich gewußt, was Ergoz vorhatte!«

Sie wirbelte im Sitz herum, riß eine Hand in die Höhe und zeigte auf die sieben jetzt schlangenförmig angeordneten Komponenten.

»Ergoz könnte noch leben, wenn er nicht ...« Wieder brach sie in Lachen aus, straffte den Zeigefinger und zielte auf Twoxl. Dabei machte sie »Peng! Peng!«

Da tat der Cpt’Kul etwas sehr Ungewöhnli-ches.

Eine seiner Komponenten löste sich, schwebte blitzschnell auf die Solanerin zu und streifte sie klatschend an der Wange.

»Das war eine Ohrfeige!« zirpte es heftig aus der Sprechmembrane. »Vielleicht kommst du jetzt zur Vernunft! Du hast keine Schuld, und ich habe keine Schuld! Wir müßten uns beide die gleichen Vorwürfe machen! Es war Immanuels Entscheidung, und sie hat uns beide und den Struktor gerettet – und alle Be-satzungsmitglieder und alle Völker in Xiinx-Markant! Und wenn du es so genau wissen willst – du warst Ergoz völlig gleichgültig. Er vertraute es mir an, bevor er ging!«

Ob es die Ohrfeige war oder Twoxls brutale Worte – Henny hatte das Gefühl, von halten-den Händen losgelassen zu werden und in einen endlos tiefen und dunklen Schacht zu stürzen.

Für einen Augenblick fühlte sie völliges Nichts. Dann sah sie Mata St. Felix’ Gesicht, Heart, Immanuel, Kolsch – alles wirbelte durcheinander. Als sich die Nebel klärten, blieben Twoxl, Mata, Heart und der Struktor.

Und das Wissen um eine Aufgabe, eine Verantwortung.

»Danke, Twoxl«, flüsterte sie, schon dabei, die verschiedenen einlaufenden Anzeigen und Daten auf einer Kontrolleiste zu sondieren. Ihr war kalt. Sie schob von sich, was störte.

»Es tut mir leid«, sagte der Cpt’Kul. »Ach was!« Sie winkte ab, jetzt ganz in

Arbeit vertieft. Arbeit half zu vergessen. »Es war richtig und braucht dir nicht leid zu tun.« Dann rief sie laut: »He, Positroniken, ihr habt wieder einen menschlichen Piloten. Also spielt mir ein paar genauere Ortungsergebnis-se auf das Display. Unsere Position, Position des Struktors, Zeit bis zum Einschleusen,

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Markierung der noch vorhandenen Großob-jekte. Ach, und habt ihr eine Aufzeichnung von Lasserins Vernichtung?«

Sie erhielt eine Bestätigung. Eigentlich verwunderte sie das. Sie machte sich die glei-chen Gedanken über den Aufenthalt im Hy-perraum und kam zum gleichen Schluß wie Immanuel – daß Lasserin dieses für Men-schen immer noch unbegreifliche Kontinuum hatte beeinflussen können. Jedenfalls bekam sie ein Bild vom Manifest auf den Wand-schirm. Auf der Kontrolliste erschienen die von ihr geforderten Daten. Demnach würde der Struktor in etwa einer Minute erreicht sein. Was sie nur hatte hoffen können, schien sich zu bewahrheiten. Um den Struktor herum war es ruhig. Die Kämpfe hatten aufgehört.

Ergoz Immanuels Opfer war also tatsäch-lich nicht umsonst gewesen. Das zu wissen, machte ihr alles andere leichter.

Sie sah Lasserin explodieren. Die Positro-niken verzichteten darauf, ihr zu zeigen, was vorher geschehen war. Etwas – natürlich Twoxl – fing die Energien auf und schleuder-te sie auf das Manifest zurück. Die zweite Explosion war endgültig.

Twoxl schaute gebannt zu und wiederholte laut die Botschaft, die Lasse-Zount noch an ihn gerichtet hatte.

Die Projektion erlosch. Henny schüttelte den Kopf.

»Da war noch etwas, Twoxl. Positronik, ich will die Aufzeichnung noch einmal sehen!«

Ihr Wunsch wurde erfüllt. Lasserin verging in den eigenen gesammelten Energien – aber es gab noch eine Explosion, eine kleinere.

»Nochmal zurück bis zur ersten Energieab-gabe! Und ich brauche eine Ausschnittver-größerung vom genauen Zentrum des Rin-ges!«

Lasserin griff an. Und in den Sekunden, bis er in der zurückgestrahlten Energie verging, als es dort, wo er als Schablone existierte, nur das Wallen des Hyperraums gab, sah Henny ein vergleichsweise winziges künstliches Ob-jekt hinter einem Energieschirm.

Nach Lasserins Vernichtung war es nicht mehr da.

»Wie es aussieht, Twoxl«, sagte die Sola-nerin unsicher, »hast du noch etwas zerstört – oder vielmehr ist es durch Lasserins Energien

ebenfalls zur Explosion gebracht worden. Aber was kann es gewesen sein?«

Vielleicht wußte man im Struktor schon ei-ne Antwort darauf. Henny hatte ein wenig Angst vor dem, was sie von ihm zu sehen bekommen würde. Dann aber tauchte die rie-sige Maschine zwischen zerbröckelnden Ne-gativen aus den Staubmassen auf und stand da wie im tiefsten Frieden. Roboter – solanische und struktoreigene – flickten schon die Lecks in der Hülle.

»Wie sage ich unseren Leuten, was mit Er-goz geschehen ist?« fragte Henny.

Himmel, wie erkläre ich es Heinrich!

* Eine Stunde später hatte sie alle Erklärun-

gen hinter sich – die, die sie selbst abgeben mußte und die anderen, die sie von Heart über die Ereignisse der letzten Phase des Kampfes bekam. Niemand machte ihr Vorwürfe, im Gegenteil versuchte fast jeder, sie aufzumun-tern.

»Ergoz wollte es so«, sagte der Komman-dant, der gereift und souverän wirkte. »Ich bin ganz sicher, daß er schon lange genau wußte, was er tat. Er, Twoxl und du, ihr habt gehan-delt, während wir wie Statisten zuschauen mußten, was andere mit uns trieben.«

Damit war auch die Eigenmächtigkeit aus der Welt. Überhaupt schien ein seltsames Schicksal die Dinge überall in befriedigende Bahnen gelenkt zu haben.

Der Angriff auf den Struktor hatte außer Immanuels kein weiteres Menschenleben ge-kostet. Jene Besatzungsmitglieder, die einen Schock erlitten hatten oder mit Drogen be-handelt werden mußten, hatten sich allesamt wieder erholt und füllten den Hauptkontroll-raum des Kommandostands. Wer allerdings stark angeschlagen war, das war Heinrich. Nach der Nachricht von Immanuels Opfer-gang war er zu Boden gesunken und lag nun in einer Ecke des riesigen Raumes – offenbar aus sich selbst heraus desaktiviert.

Der Struktor war wieder voll funktionsfä-hig. In wenigen Stunden würden alle durch die Bombardierung entstandenen Schäden behoben sein. Heidinger hielt bereits das Pro-gramm zur erneuten Umpolung bereit.

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Die Positroniken hatten bestätigt, daß sie

während der Krise eigenständig handeln muß-ten. Dabei reichte die Palette ihrer Maßnah-men vom Einsatz des Trichters bis zur energe-tischen Aufladung der Maschine. Erst als sie Lasserins Ende registrierten, machten sie die-se Maßnahme rückgängig, die andernfalls früher oder später zur Selbstvernichtung des Struktors geführt hätte. Woher sie von Lasse-rins Ende wußten, blieb der Phantasie der Solaner überlassen. Mata St. Felix, Mak Hei-dinger und einige andere waren davon über-zeugt, daß zwischen den Positroniken des Struktors und denen seines Beiboots eine Kommunikation über die Kontinua hinweg bestanden hatte. Diese Theorie erklärte vieles, das vorher unverständlich gewesen war.

Schließlich konnte auch Hennys Beobach-tung erklärt werden. Nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Übereinstimmung errechneten die Positroniken einen Zusammenhang zwi-schen der Explosion des künstlichen Objekts im Hyperraum mit dem Erstarren und der darauf folgenden Auflösung der negativen Staubfliegerballungen. Es galt nun als sicher, daß es sich bei dem Objekt um eine Steuer-einheit gehandelt hatte, die die Entwicklung der Negativen seit deren Entstehung steuerte und ihnen die Einsatzbefehle von Anti-ES übermittelte. Hiermit erschien die Geschichte der Staubflieger und ihrer Vorfahren in einem ganz neuen Licht, das Antworten auf viele bislang offene Fragen brachte. Die Steuerein-heit war im Hyperraum verborgen angelegt worden. Sie wäre vermutlich niemals entdeckt und zerstört worden, hätte Lasserin sie sich nicht als Fixpunkt für sein eigenes Versteck im Hyperraum gewählt und übernommen. Als sie zu existieren aufhörte, erlosch auch der negative Einfluß auf die Giganten, die sich inzwischen ohne Ausnahme in positive Staub-flieger verwandelt hatten.

Und damit stellte sich noch einmal ein neu-es Problem. Die Zahl der Staubflieger hatte sich um das vieltausendfache erhöht. Es war tatsächlich so, daß in den Tiefen der Dunkel-zone eine ungeheure Armee von Negativen »schlummernd« darauf gewartet hatte, von Anti-ES aktiviert zu werden. Und nicht nur sie waren ja hierhergeeilt. Von den Spiegel-Skulpturen aufgehetzt, hatten sich von über-

allher auch die Positiven in Bewegung ge-setzt. Das Vorhandensein dieser Spiegel war mittlerweile bekannt. Die fünf Staubflieger, mit denen Mata und Heart gesprochen hatten, waren wieder an Bord und warteten auf die endgültige Entscheidung der Solaner. In ei-nem zweiten kurzen Gespräch lüfteten sie ein weiteres Geheimnis ihres Volkes. Niemand hatte zuvor begreifen können, wie schnell so viele Staubflieger und Negative den Struktor erreichen konnten. Jetzt wußte man, daß diese Wesen sich die Gezeitenkräfte des Univer-sums nutzbar machen konnten, um ohne tech-nische Hilfs- und Schutzmittel Tausende von Lichtjahren einfach zu »überspringen«.

»Sie warten«, sagte Heart. »Sie wollen wis-sen, wo sie in Zukunft leben können. Hören wir uns ihre Vorstellungen an. Du hilfst mir wieder bei den ... äh ... Verhandlungen, Ma-ta?«

*

Daal beobachtete mit seinen jungen Gefähr-

ten aus geringer Entfernung, wie das kleine Raumschiff aus einer Öffnung im riesigen Struktor schwebte und langsam Fahrt auf-nahm. In ihm befanden sich alle Solaner. Ihre Aufgabe war nun erfüllt. Sie machten sich auf die Suche nach dem größeren Raumschiff, zu dem sie gehörten.

Alles war dafür vorbereitet, daß die Staub-flieger selbst den Struktor übernahmen und die Dunkelzone bis auf die vereinbarten In-seln auflösten. Die Menschen hatten die Ma-schine umgepolt, sie würde sofort damit be-ginnen, den Staub in das Urplasma zu ver-wandeln, aus dem eines Tages wieder Sonnen und Planeten entstehen würden. Die Positro-niken hatten den Staubfliegern zu gehorchen, Daal selbst hatte einige entsprechende Versu-che gemacht. Durch den Einbau der Men-taltranslatoren konnten alle notwendigen Be-fehle allein dadurch gegeben werden, daß man sie dachte.

Hindernisse sollte es keine mehr geben. Die Macht, mit denen die Solaner in Verbindung standen, hatte es versprochen. Einmal konnte sie sich auch den Staubfliegern selbst mittei-len. So wußten sie nun von einer körperlosen Lebensform in der Innenzone ihrer Galaxis,

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die über sie wachen und alles Leben in Xiinx-Markant beschützen würde, bis die völlige Normalisierung erreicht war. Es schien keinen Anti-Homunk mehr zu geben. Der Traum vom Frieden, von gegenseitigen Besuchen der vielen verschiedenen Völker und von harmo-nischer Weiterentwicklung aller Arten war nicht länger mehr nur ein Traum.

Daal sah das kleine Raumschiff in den Staubmassen langsam verschwinden. Er wünschte den Solanern in Gedanken alles Gute – und das Glück, das sie sicher noch brauchen würden, bis sie wieder mit ihren vielen Gefährten zusammen sein konnten.

Um überhaupt aus der Dunkelzone heraus-zukommen, brauchten sie Hilfe. Ihr Schiff konnte nicht schnell genug werden, um in das Medium einzutauchen, das sie Linearraum nannten. Gleichzeitig war diese letzte Hilfe-leistung die Generalprobe für die Staubflieger und den Struktor.

Kommt! forderte Daal seine wartende Gruppe auf. Gehen wir an Bord und schaffen wir den staubfreien Korridor für unsere Freunde!

Es war vorgesehen, daß sich die Gruppen abwechselten, die den Struktor steuerten, da-mit keine zu lange ohne Nahrung bleiben mußte.

Daal und Zuui schwebten als erste in die offene Schleuse des Maschinenriesen. Sie brauchten nicht bis in die Zentrale. Es genüg-te, wenn sie den Befehl vom Hangar aus dachten. Die Translatoren fingen ihn auf und gaben ihn an die Positroniken weiter.

Der Struktor setzte sich in Bewegung. Vor-ne baute der mächtige Trichter sich auf und holte den Staub in den Materiekanal. Der Struktor holte das langsam fliegende Raum-schiff rasch ein, alles funktionierte wunderbar komplikationslos. Auf einem weit genug ent-fernten Kurs schuf die Maschine den materie-freien Korridor.

Die Solaner beschleunigten und ver-schwanden endgültig.

Ihr habt das große Werk begonnen, dachte Daal gerührt. Wir werden es zu Ende führen, und es wird immer noch Lebensraum genug für uns bleiben.

Epilog Twoxl schwebte vor einem der vielen Käfi-

ge, in denen die Cpt’Taks auf ihre Verwand-lung warteten. Zur Traube angeordnet, konnte er mit seinen sieben Komponenten in alle Richtungen sehen. Die BANANE stand vor der Kalmorer-Siedlung am Fluß. Solaner be-wegten sich mit hängenden Köpfen zwischen den Häusern und Hütten oder saßen schwei-gend in der brennenden Sonne.

Vierzehn Tage war es her, daß sie mit der BANANE die Dunkelzone verlassen hatten. Sie waren da noch voller Hoffnung gewesen, die SOL wiederzufinden, obwohl kein Funk-kontakt mehr bestand.

Inzwischen wußten sie, daß sie sich selbst etwas vorgemacht hatten. Es schien keine SOL mehr zu geben – zumindest nicht in Xiinx-Markant. Man fand sie nicht, dafür a-ber meldeten die Vergeistigten sich wieder. Sie erklärten Twoxl, daß der SOL etwas wi-derfahren sein mußte, das sie selbst nicht zu erfassen vermochten. Sie »sahen« sie nicht mehr. Sie war verschwunden, und es gab nicht die geringste Spur, keinen Hinweis auf ihren Verbleib oder ihr Schicksal.

Um den Schock zu überwinden und auf eine neue Auskunft der Cpt’Cpts hoffend, waren die Solaner mit der BANANE nach Cpt zu-rückgeflogen.

Henny Lupino kam aus einer Hütte, sah Twoxl und gesellte sich zu ihm. Ihre Haut-verbrennungen waren inzwischen vollkommen verheilt. Sie wirkte jetzt nicht mehr so nieder-geschlagen. Vielleicht tat es ihr gut, nicht mehr so im Blickpunkt zu stehen. Mata St. Felix hatte das Kommando wieder übernom-men. Auch die Männer und Frauen aus dem Struktor akzeptierten sie einstimmig als ihre Führerin.

Henny setzte sich und blickte lange auf die Cpt’Taks.

»Morgen brechen wir auf, Twoxl«, sagte sie dann. »Wir werden weiter nach der SOL suchen. Wir geben nicht auf!«

Er hatte es gewußt, alles andere wäre eine Überraschung für ihn gewesen.

»Dann komme ich mit!« erklärte er spon-tan.

»Und deine Schutzbefohlenen hier auf

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Cpt?«

»Sie brauchen mich jetzt nicht mehr. Die Kalmorer sind selbständig genug geworden, und die neuen Cpt’Noks können ebenfalls schon für sich sorgen. Außerdem wachen die Vergeistigten über sie.«

Wie über ganz Xiinx-Markant. Deutlicher als zuvor hatte sich dies in den letzten Tagen herauskristallisiert. Was Twoxl von ihnen empfing und den Solanern weitergab, deutete darauf hin, daß die Cpt’Cpts inzwischen so-weit erstarkt waren, daß ihr Einfluß bis an die Grenzen dieser Galaxis reichte. Mata St. Fe-lix hatte sie als »fast eine neue Superintelli-genz« bezeichnet – und das war nicht nur als Scherz gemeint. Sie waren stark und weise genug, um aus ihrem Überraum heraus die harmonische Entwicklung der Völker garan-tieren zu können.

Aus der Kriegszelle Xiinx-Markant wurde eine Friedenszelle. In etwa dreißig bis vierzig Jahren, so schätzte man, würde der Struktor

mit Hilfe der Staubflieger den Umwand-lungsprozeß der Dunkelzone abgeschlossen haben. Damit war das letzte Hindernis besei-tigt – das letzte böse Vermächtnis von Anti-Homunk.

»Gehst du mit ins Schiff?« fragte Henny. »Wir haben viel vorzubereiten.«

Er schwebte neben ihr her. Ihr Weg führte sie an Heinrich vorbei.

Der Datenroboter hatte neue organische Partner gefunden – und die Metaplasmaten-Wesen eine neue technische Komponente, an die sie sich binden konnten. Beide Teile lebten auf. Alles schien bestens geregelt zu sein.

Doch wo war die SOL? Henny konnte und wollte nicht daran glauben, daß es sie nicht mehr gab.

Morgen! dachte die Raumfahrerin. Morgen geht die Suche weiter! Die SOL ist unsere Heimat! Wir gehören nirgendwo anders hin!

ENDE

Weiter geht es in Band 126 der Abenteuer der SOL mit:

Eine Falle für Wöbbeking von Peter Griese

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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