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I Der Urknall 1 Moleküle aus dem All? Katharina Al-Shamery Copyright © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Der Urknall - Wiley-VCH · schieht im Wesentlichen simultan. Nehmen auf Grund einer Instabi-lität Druck und Temperatur – und damit die Neutronendichte – im Kern abrupt zu, beginnt

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IDer Urknall

1Moleküle aus dem All? Katharina Al-ShameryCopyright © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

1Kosmischer Staub und die Geschichteder Welt mit ihren Bausteinen

Elmar K. Jessberger

Die Geschichte der materiellen Welt ist einfach zu erzählen: Sie be-gann vor 13,7 Mrd. Jahren mit dem Big Bang, der gemeinsamen Ent-stehung von Materie, Raum und Zeit aus einer »Singularität« –einem Prozess, der hier als gegeben angesehen wird. Das in nur 10–43

Sekunden – also wahrlich instantan – entstandene System expandier-te, kühlte dabei ab und bildete unsere Materie: Innerhalb der ersten100 Sekunden entstanden alle Kernbausteine, die Protonen und Neu-tronen; nach der ersten Million Jahre bestand die Welt bereits ausWasserstoff – der gesamte Wasserstoff unserer Welt entstand im BigBang! – mit Deuterium und Helium und ein wenig Lithium und Be-ryllium, hatte aber noch die unvorstellbare Temperatur von einer Mil-liarde Grad. Nach der ersten Milliarde Jahren – das System war be-reits »kalt« – begann die Bildung der Galaxien und Sterne. Die Ex-pansion der Welt dauert bis heute an und es ist fraglich, ob sie jeenden wird. Sie ist verbunden mit der ständigen »Geburt« und demständigen »Tod« von Galaxien und Sternen.

Eine Galaxie ist eine astronomische Struktur, die aus vielen Milliar-den Sternen und Gas sowie aus bis zu 30% Staub besteht (Abbil-dung 1). All dies bewegt sich gravitativ gebunden um ein Zentrum, indem sich ein Schwarzes Loch befindet. Es gibt sehr unterschiedlicheGalaxienformen; am bekanntesten sind Spiralgalaxien wie unsereMilchstraße, wobei sich unser Stern, die Sonne, relativ weit außen ineinem Spiralarm befindet. Fast alle Galaxien sind wiederum in groß-räumigen Strukturen (fraktalen Clustern) gebunden, die möglicher-weise Strukturen der Materieverteilung während des Big Bang reflek-tieren.

Ein Stern ist ein Masseball, eine riesige Kugel ionisierter Materie,deren Gravitation, welche nach innen wirkt (attraktiv), für lange Zeitim Gleichgewicht steht mit der Wärmeentwicklung durch Kernver-schmelzungen, welche nach außen wirkt (expansiv). In einer Kernver-

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schmelzung (Fusion) vereinigen sich leichtere Atomkerne zu schwe-reren Atomkernen. Da die Summe der Massen der leichten Kerne ge-ringer ist als die Masse des gebildeten schweren Kerns (sog. Massen-defekt ¿ m), wird dabei nach der Einstein’schen Formel die Energie¿ E = ¿ m c2 frei, also Wärme erzeugt. (Auf der Erde will man diesen

Effekt in Fusionsreaktoren zur Energiegewinnung nutzen.) Aller-dings liefert die Kernverschmelzung aufgrund des Massendefektsnur Energie bis zum Element Nickel; von da an ist der Massendefektnegativ, und es wird Energie nur durch die Kernspaltung geliefert.Die Elemente von Nickel bis Uran müssen also in anderen Prozessenentstehen; weiter unter mehr dazu.

Abb. 1 Die Spiralgalaxie Messier 101im Großen Bären in einer Entfernungvon 22 Mio. Lichtjahren. Das Bild wurdeaus Daten von drei Weltraumteleskopenzusammengesetzt (links). Blau erscheintim Röntgenlicht heißes Gas, welches vonden Resten explodierter Sterne und von

Material stammt, das sich um SchwarzeLöcher oder Neutronensterne bewegt.Gelb eingefärbt ist das sichtbare Lichtder Sterne der Galaxie. Rot zeigt dieInfrarotstrahlung des warmen Staubs,also die Bereiche der Galaxie, in der neueSterne entstehen. (Siehe auch Farbtafel F1.)

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Im Inneren unserer Sonne verschmelzen vier Wasserstoffkerne zueinem Heliumkern bei einer Temperatur von 60 Mio. Grad und einerDichte von 100 g/cm3 (typisches irdisches Gestein hat eine Dichtevon 5 g/cm3). Bei der Kernverschmelzung wird, wie bereits gesagt,Energie frei. Wenn das Brennmaterial, der Wasserstoff, in einigenMilliarden Jahren aufgebraucht ist, wird die Gravitation zunehmen.Dann wird die Temperatur im Inneren der Sonne auf 200 Mio. Gradund die Dichte auf 10 kg/cm3 ansteigen, sodass drei Heliumkerne zuKohlenstoff oder vier Heliumkerne zu Sauerstoff verschmelzen kön-nen. Wegen der relativ geringen Masse der Sonne von »nur« 1033 greicht die Gravitation nicht aus, um die Temperatur im Inneren nochweiter zu erhöhen. In »Sonnen«, die zehn oder mehr Mal masserei-cher als unsere Sonne sind, verschmelzen bei knapp einer MilliardeGrad und einer Dichte von 100 kg/cm3 z.B. zwei Kohlenstoffkerne zuNeon, Natrium und Magnesium (Kohlenstoffbrennen), ein Kohlenstoffund ein Sauerstoffkern zu Silicium (Sauerstoffbrennen) oder auch miteinem Neonkern zu Schwefel (Neonbrennen). Wenn auch dieseBrennstoffe im Inneren des Sterns verbraucht sind, können Silicium-kerne durch schrittweise Reaktion mit Heliumkernen die ElementeCalcium, Eisen und Nickel aufbauen. Die Temperatur beträgt dannetwa 4 Mrd. Grad und die Dichte unvorstellbare 10 t/cm3. Diese Dich-te hätte die Erde, wenn sie in einem Würfel mit nur 85 km Kanten-länge komprimiert wäre.

Wegen des Massendefekts lassen sich in der Kernverschmelzung27 Elemente (von Helium bis Nickel) aus dem Ausgangsbrennmate-rial Wasserstoff bilden. Die restlichen 65 der 92 natürlichen Elemen-te werden nun in massereichen Sternen, in denen es viele freie Neu-tronen gibt, durch Anlagerung von Neutronen und anschließendemsogenannten Beta-Zerfall zu schwereren Elementen »aufgebaut«:Enthält ein Kern ein Neutron »zuviel«, wird er instabil und ein Neu-tron im Kern wandelt sich, unter Aussendung weiterer Elementarteil-chen, spontan zu einem Proton um. Da die Anzahl der Protonen imAtomkern ein Element definiert, entsteht also durch Neutronenanla-gerung ein neues Element, welches schwerer ist als das Ausgangsele-ment.

Die Neutronenanlagerung kann ihrerseits auf zwei Arten erfolgen.In der ersten lagert sich an einen bestehenden »Saat«-Kern ein Neu-tron an, dann erfolgt der Beta-Zerfall; danach lagert sich an das neueElement wieder ein Neutron an, gefolgt von einem neuerlichen Beta-

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Zerfall usw. Ist das Isotop (s.u.) des neuen Elements stabil, wird den-noch ein Neutron angelagert und ein schwereres Isotop desselbenElements erzeugt. Dieser Vorgang wiederholt sich, bis wieder einbeta-instabiles Isotop erreicht ist, das dann zerfällt. Der gesamte Pro-zess wird langsame (slow) Neutronenanlagerung genannt (s-Prozess),denn der Neutroneneinfang erfolgt langsam im Vergleich zu denBeta-Halbwertszeiten. Dem gegenüber steht die schnelle (rapid) Neu-tronenanlagerung (r-Prozess). Bei extrem hohen Neutronendichtenund -temperaturen werden an die Saatkerne innerhalb kürzester Zeitsehr viele – vielleicht 50 oder mehr – Neutronen angelagert. Die jetztvöllig instabilen Kerne zerfallen in einer Kaskade von in extrem kur-zer Zeit aufeinanderfolgenden sehr schnellen Beta-Zerfällen, bis einstabiler oder langlebiger Kern erreicht wird. Der s- und der r-Prozesssind die wichtigsten Prozesse, in denen die schweren Atomkerne un-serer Welt in massereichen Sternen entstehen.

Nun darf man sich einen Stern nicht als völlig homogenen Ionen-ball vorstellen: In den äußeren Schichten herrschen niedrigere Tem-peraturen und Dichten als im Inneren. Das bedeutet, dass im Innernz.B. der s-Prozess und gleichzeitig in den äußeren Bereichen dieoben beschriebenen Kernverschmelzungsprozesse ablaufen. Wirkönnen uns einen massereichen Stern wie eine Zwiebel vorstellen(Abbildung 2): Während in der äußersten Schale – wie in unsererSonne – aus Wasserstoff Helium produziert wird, entstehen weiterinnen Kohlenstoff und die anderen Elemente bis zum Nickel, wäh-rend im Kern der s-Prozess schwere Elemente bildet. Dies alles ge-schieht im Wesentlichen simultan. Nehmen auf Grund einer Instabi-lität Druck und Temperatur – und damit die Neutronendichte – imKern abrupt zu, beginnt der r-Prozess, der in der Regel so gewaltigist, dass es den Stern auseinanderreißt: Wir sehen eine Supernova1

1 In der Milchstraße gibt es etwa zwei Supernovae pro hun-dert Jahren.

!Bisher verfolgten wir die Entwicklung der »nackten« Atomkerne,

die sich im Sternplasma, einem Hochtemperaturgemenge aus Ionenund Elektronen, befinden. Wenn der Stern jedoch instabil wird – dasmag auch nur lokal im Inneren sein –, dann eruptiert Plasma, wirdalso vom Stern weggeschleudert. Besonders spektakulär ist die Erup-tion bei den erwähnten Supernovae, aber auch kleinere Sterne verlie-ren ständig Masse. Dies beobachten wir bei unserer Sonne in sehr

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Abb. 2 Schematische »Zwiebelschalen«-Struktur einer Supernova mit 25 Sonnen-massen. Die Bereiche, in denen die ver-schiedenen Kernsyntheseprozesse domi-nieren, sind angegeben. Es wird deutlich,

wie sehr unterschiedlich groß sie sind.Im Kern werden die Elemente schwererals Nickel produziert. Er wird zum Super-nova-Überrest (SNR).

viel kleinerem Maßstab als solare Flares (Abbildung 3), die u.a. denFunkverkehr stören und Satellitenbahnen beeinflussen können. DasPlasma kühlt sich im All bereits in der Umgebung des Sterns ab,Ionen und Elektronen finden sich zusammen, es bilden sich Elektro-nenhüllen um die Atomkerne und damit Atome, die nun chemischreaktiv sind; sie können Bindungen eingehen und zu molekularenGasen und Staubteilchen kondensieren. Gase und Staubteilchen wie-derum stellen das Ausgangsmaterial für Sterne der nächsten Genera-tion dar, die sich in staubreichen Regionen der Galaxien bilden.

Abb. 3 Unsere Sonne im Wasserstofflicht.Deutlich sind Eruptionen, sog. Flares, zusehen, durch die die Sonne, wie jederStern, ständig Masse verliert.

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Damit verändert sich ständig die mittlere Zusammensetzung einerGalaxie. Weil die Häufigkeit schwererer Elemente durch die Kernsyn-theseprozesse zunimmt, spricht man von einer »galaktischen chemi-schen Evolution«. Anlass zur »Geburt« der Sterne sind wahrschein-lich lokale Instabilitäten in staubreichen Regionen einer Galaxie (Ab-bildung 1), die z.B. durch eine Supernova und die damit verbundeneSchockwelle hervorgerufen werden.

Das »Leben« eines Sterns wird maßgeblich durch seine Masse be-stimmt: Je größer die Masse, desto stärker ist die Gravitation unddesto höhere Temperaturen können im Innern erreicht werden, wel-che die Bildung schwererer Kerne ermöglichen; um so schneller wirdaber auch das Brennmaterial verbraucht, und der Stern hat eine kür-zere Lebenszeit. Unsere Sonne wird eine Lebenszeit von insgesamtetwa 10 Mrd. Jahren haben, während die eines 100-mal größererSterns nur 100 Mio. Jahre beträgt. Allen Sternen ist gemeinsam, dassam Ende ihres »Lebens« die äußeren Hüllen abgestoßen werden undein heißer Kern zurückbleibt. Das Endstadium, der »Tod«, einesSterns, ist dann entweder ein Weißer Zwerg (bei einer Masse unter-halb von 1,4 Sonnenmassen), ein Schwarzes Loch (oberhalb von dreiSonnenmassen) oder ein Neutronenstern.

Für das Folgende ist ein kurzer Exkurs in die Welt der Isotope er-forderlich. Atome bestehen aus dem Kern und der Elektronenhülle,der Kern wiederum aus Protonen und Neutronen, deren Summe dieMassenzahl ergibt. Die Anzahl der Protonen, die Ordnungszahl, cha-rakterisiert jedes Element und ist für sein chemisches Verhalten ver-antwortlich. Die Anzahl der Neutronen im Kern liegt in der Größen-ordnung der Protonenzahl. Atome derselben Ordnungszahl, aber un-terschiedlicher Massenzahl, werden Isotope genannt. Als Beispiel hatSauerstoff mit 8 Protonen drei stabile Isotope, nämlich 16O mit 8Neutronen, 17O mit 9 und 18O mit 10 Neutronen. Als anderes Beispielsei Silicium mit 14 Protonen genannt, welches drei stabile Isotopehat: 28Si mit 14 Neutronen, 29Si mit 15 und 30Si mit 16 Neutronen.Das Verhältnis der Siliciumisotope zueinander beträgt »überall«, d.h.dort, wo es mit ausreichender Genauigkeit gemessen werden kann,28Si/29Si = 18 und 28Si/30Si = 30 mit minimalen (im Promille-Be-reich) Variationen, die auf physikalische Prozesse wie Verdampfenoder Schmelzen zurückgeführt werden können. Wenige Elementehaben nur ein stabiles Isotop wie Aluminium (27Al mit 13 Protonenund 14 Neutronen).

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Die Isotopenzusammensetzung eines Elements, welches gerade ineinem Stern gebildet wird, hängt von sehr vielen Parametern ab wieder Masse des Sterns oder in welcher Umgebung innerhalb desSterns, also in welcher »Tiefe«, das Element gebildet wird. Dies kannman natürlich nicht direkt beobachten, aber mit astrophysikalischenund kernsynthetischen Methoden berechnen. Die für unser Sonnen-system typischen Isotopenzusammensetzungen der Elemente, soweit sie zugänglich und messbar sind, weisen auf eine homogene Mi-schung der Elemente aus vielen Sternen unterschiedlicher Massenund verschiedener Generationen hin.

Die relative Häufigkeit der stabilen Isotope ist praktisch überallgleich; sie kann nicht durch chemische Prozesse verändert werden,sondern nur in ganz geringem Maße durch physikalische Prozesse:So ist das »kochende Kaffeewasser« isotopisch etwas schwerer (imPromillebereich) als der Dampf darüber, der entsprechend reicher anleichten Isotopen ist. Praktisch der einzige Prozess, der die relativeIsotopenhäufigkeit eines Elements deutlich verändern kann, ist derradioaktive Zerfall. So stammt fast das ganze 40Ar in unserer Atmo-sphäre (immerhin etwa 1% der irdischen Atmosphäre) vom Zerfallvon 40K (Halbwertszeit: T1/2 = 1,3 Mrd. Jahre)2

2 Die relative 40Ar Konzentration in derAtmosphäre eines Planeten – wenn erdenn überhaupt eine Atmosphäre be-sitzt – ist abhängig von seiner Ausga-sungsgeschichte, damit wiederum von

seiner thermischen Geschichte, alsoletzlich von seiner Größe und istdamit charakteristisch für den Plane-ten.

. Übrigens ist es aufunserer Erde nicht wegen der Sonne so schön warm, sondern wegender Wärme, die im ihrem Innern durch die radioaktiven Zerfälle vonKalium (in 40Ar), Uran und Thorium (beide im Wesentlichen in Blei-isotope) mit langen Halbwertszeiten erzeugt wird.

Jetzt ist ein weiterer Exkurs erforderlich, in die Welt der Meteorite.Meteorite sind »Steine, die vom Himmel fallen«. Sie stammen, so-weit wir ihre prä-terrestrischen Bahnen verfolgen konnten, aus demAsteroidengürtel, dem Raum zwischen Mars und Jupiter, in dem dieriesige Jupitermasse die Bildung eines weiteren Planeten verhinderthat. Sie bildeten sich aus demselben Staub und Gas wie unser Stern,die Sonne, und alle Planeten. Weil ihre sog. Mutterkörper, die Astero-iden, mit maximal einigen Hundert Kilometern klein im Vergleich zuPlaneten sind, gibt es auf ihnen keine Plattentektonik, keinen Vulka-nismus, praktisch keine Erosion, kurz »keine« Geologie, die immer

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Wärmeerzeugung im Innern und langsame Abkühlung und damit»große« Körper erfordert. Der Prozess, der die Asteroiden »geolo-gisch« dominiert, ist der Zusammenstoß untereinander, also die Kra-terbildung, die auch zu partiellen Aufschmelzungen führen kann.3

3 Es gibt allerdings auch Meteorite,deren Chemismus und Struktur demAufbau der Erde in Kern und Mantelentspricht, die also auf großräumigeDifferenzierungsprozesse ihrer Mut-terasteroiden hinweisen. Wie die Alterdieser Meteorite zeigen, müssen dieseProzesse allerdings bereits vor etwa4,4 Mrd. Jahren abgeschlossen gewe-sen sein. Um in so kurzer Zeit einenrelativ kleinen Körper wie einen Aste-roiden im Innern ausreichend füreine Differenzierung aufzuheizen, isteine sehr effektive, d.h. kurzlebigeRadioaktivität erforderlich, um denWärmeverlust an der im Vergleich

zum Volumen großen Oberflächemehr als auszugleichen. Diese ist imIsotop 26Al gefunden worden, welchesmit T1/2 = 700000 Jahren in das sta-bile Isotop 26Mg zerfällt. 26Al wirdvornehmlich in den äußeren Berei-chen massereicher Sterne erzeugt.Die Tatsache, daß 26Al bei der Bil-dung unseres Sonnensystems alsWärmequelle dienen konnte, beweist,dass damals 26Al noch nicht vollstän-dig zerfallen war und die Zeit zwi-schen seiner Erzeugung in einemoder mehreren großen Sternen undder Bildung des Sonnensystems weni-ger als 5 Mio. Jahre betrug.

Auf den primitiven Asteroiden und damit in Meteoriten sind alsoweitgehend – dramatisch weitergehend als auf der Erde – die ur-sprünglichen Signaturen des frühen Sonnensystems unverändert er-halten. So wurden z.B. in einem 1969 in Mexiko gefallenen Meteori-ten bis zu zentimetergroße weiße calcium- und aluminiumreicheEinschlüsse gefunden, die ein Alter von 4,567 ± 0,5 Mio. Jahrenhaben. Es ist das älteste Gestein in unserem Sonnensystem und defi-niert damit dessen Alter.

Aus manchen primitiven Meteoriten wurden in jahrelanger exzel-lenter Arbeit winzige sogenannte »präsolare« Staubkörnchen extra-hiert. Sie werden deshalb so bezeichnet, weil die Isotopenzusammen-setzung (soweit sie messbar ist) von nahezu jedem Element völlig an-ders ist – teilweise um viele Größenordnungen –, als wir sie von derErde und auch von ganzen Meteoriten kennen. Der präsolare Staubist praktisch immer kohlenstoffreich und besteht aus unlöslichenVerbindungen. So ließ er sich mit der Technik isolieren, mit der maneine Nadel im Heuhaufen finden kann: »burn the haystack«. Der un-lösliche Rest einiger Meteorite enthält z.B. Diamanten (bis zu 0,2Masseprozent). Allerdings sind sie kleiner als 1 nm und bestehen ausnur 500 bis 1000 C-Atomen. Edward Anders, der »Vater« der präso-laren Körnchen, sagte: »If viruses would marry, these diamondswould fit their wedding rings.« Größer (bis zu 10 mm), aber auch we-

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sentlich seltener (wenige ppm) sind Siliciumcarbid-Körnchen (SiC)oder Graphitkügelchen.

Die globale Geschichte unserer Welt und die präsolaren Staub-körnchen aus Meteoriten wurden im Institut für Planetologie inMünster zusammengeführt. Mit einem nahezu einmaligen Gerät4

4 Ein Flugzeit-Sekundärionen-Massen-spektrometer. Hinter dieser etwas klo-bigen Bezeichnung verbirgt sich fol-gende Technik, die wesentlich imPhysikalischen Institut der UniversitätMünster entwickelt wurde: Ein ener-getischer und sehr feiner Ionenstrahltastet gepulst eine zu untersuchendeOberfläche ab. Dabei werden aus derOberfläche u.a. geladene Teilchen,Ionen, herausgeschlagen, die miteinem Massenspektrometer analysiertwerden. Die nachgewiesenen sog. Se-kundärionen können somit einem be-stimmten Punkt der Probe zugeord-

net werden, sodass ein »Bild« der Pro-benoberfläche im »Lichte« der Ionenentsteht. Wir erhalten also sowohl diechemische als auch die isotopischeZusammensetzung der Probe. Dabeiist eine Ortsauflösung von 200 nmerreichbar. Die Methode ist besonderszur nahezu zerstörungsfreien Analysesehr kleiner Proben geeignet.

haben wir einige präsolare Kügelchen auf ihre chemische und isoto-pische Zusammensetzung hin analysiert. Es handelte sich um SiC-Teilchen mit einer Größe von nur knapp 2 mm (Abbildung 4).

Abb. 4 Elektronenmikroskopische Auf-nahme eines präsolaren Siliciumcarbid-Staubteilchens, welches im Institut fürPlanetologie in Münster untersuchtwurde. Das unregelmäßig geformte Teil-chen, das nur knapp 2 Mikrometer großist, liegt auf einem »Plateau« der Goldfo-lie, welches durch Ionenbeschuss ent-stand.

Wie von präsolaren Teilchen zu erwarten, hat keines der nachge-wiesenen Elemente ein »normales« Isotopenverhältnis5

5 Die Isotopenzusammensetzung vonKohlenstoff, der ein Hauptbestandteilvon SiC ist, lässt sich leider mit unse-rer Methode nicht ausreichend genaubestimmen.

. Zwei signifi-kante Beispiele: Während das Verhältnis 29Si/30Si dem normalenWert 30/18 entspricht (s.o.), ist 28Si um den Faktor zwei angereichert(28Si/29Si = 35; 28Si/30Si = 65). Solche Überhäufigkeiten von 28Si wer-den nur im tiefen Innern einer Supernova produziert. Ganz andersverhält es sich mit der Isotopenzusammensetzung von Magnesium.Statt der drei Magnesiumisotope, deren normales Verhältnis 24Mg/

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25Mg/26Mg = 8/1/1 beträgt, fanden wir ausschließlich reines 26Mg.Das kann nur aus dem radioaktiven Zerfall von 26Al stammen. 26Alaber wird ausschließlich in den äußeren Bereichen einer Supernovaüberhäufig erzeugt. Wir stehen also vor dem interessanten Befund,dass unsere SiC-Körnchen gleichzeitig Elemente aus den innerenund den äußeren Schichten einer Supernova enthalten, ohne dass eszu einer Durchmischung aller Schichten des Sterns gekommen ist,was bei einer so gewaltigen »Explosion« zu erwarten wäre (eineDurchmischung hätte im Wesentlichen normale Isotopenverhältnis-se für Mg, Al und Si ergeben). Wir können sogar aus unseren Befun-den schließen, dass sowohl die innere Materie als auch die äußereMaterie der Supernova solange jeweils separat blieb, bis sie so weitabgekühlt war, dass die Elemente Si und C zu SiC unter Einschlussvon wenigen Fremdelementen – wie Aluminium mit 30% radioakti-vem 26Al – kondensierten. Unsere Interpretation, dass innere undäußere Bereiche einer Supernova bis zur Kondensation »komparti-mentiert« sind, wurde durch neue Supernova-Aufnahmen des Hub-ble Space Telescopes bestätigt (Abbildung 5).

Abb. 5 Aufnahme eines Supernova-Überrests, also einer Supernova kurznach der Explosion, mit dem HubbleSpace Telescope. Die roten Flecken zei-gen zusammenhängende eisenreiche»Kompartimente«, die aus dem Innerender Supernova stammen und nicht völligmit Material aus dem Äußeren vermischtsind. (Siehe auch Farbtafel F1.)

Riesige eisenreiche »Wolkenfetzen« aus dem Inneren bleibennach der »Explosion« unvermischt mit dem Überrest der Supernovazusammen. In einer anderen Aufnahme (Abbildung 6) sieht mandeutlich die Signaturen der gerade kondensierten Staubteilchenebenfalls als »Wolkenfetzen«. Die SiC-Körnchen repräsentieren alsodie Schalenstruktur einer Supernova. Sie weisen auf den geringenGrad der Durchmischung der Materie nach der Explosion hin. IhrStudium ermöglicht einen direkten Zugang zu stellaren Kondensati-onsprozessen.

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Abb. 6 Infrarotaufnahme eines Super-novaüberrests vom 20. Dezember 2007.Gasförmiges Silicium ist dunkelblau ein-gefärbt, Argongas hellblau, währendstaubreiche Regionen rot undStaub+Gas-Regionen gelb sind. »This isthe smoking gun indicating that superno-vae were significant suppliers of fresh

dust«, Staub, der uns heute in Kometenund Meteoriten begegnet. Der Durch-messer des Supernova-Überrests beträgt19 Lichtjahre und damit etwa das vierzig-fache unseres Sonnensystems. (InfraredSpitzer Space Telescope NASA/JPL-Caltech, 20.12.2007.) (Siehe auch Farb-tafel F1.)

Diese Geschichte ist nur ein Beispiel für eine erfolgreiche interdis-ziplinäre Verknüpfung von Astrophysik, Meteoritenforschung undLaboranalytik. Präsolare Körnchen fanden sich im Staub des Kome-ten Halley, wurden in der Stardust-Mission von einem Kometen aufdie Erde gebracht und können sogar aus interplanetaren Staubteil-chen, die ständig auf die Erde treffen, isoliert werden. Ihre Analysemit höchstempfindlichen Methoden und extrem hoher Ortsauflö-sung, die in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemachthat, wird zwangsläufig zum immer besseren Verständnis der Ge-schichte unserer Welt und ihrer Bausteine beitragen.

Mit diesen Fortschritten geht eine dramatische Weiterentwicklungastronomischer Beobachtungstechniken einher. So wurden seit derEntdeckung des ersten Exoplaneten 1989 bis jetzt 403 extrasolarePlanetensysteme mit 473 Planeten gefunden. Aufgrund der (indirek-ten) Beobachtungstechnik können wir bisher nur »große« Planeten(Jupiter-Größe) in der Nähe (Erd- bis Marsabstand) ihrer Sonne iden-tifizieren. Es ist aber zu erwarten, dass mit den im Bau befindlichenneuen großen Teleskopen viel kleinere Planeten in größerem Ab-stand vom Stern »gesehen« werden können. Sicher wird es bald ge-lingen, deren Atmosphäre spektroskopisch zu analysieren. Werdenwir dann Bedingungen sehen, die lebensfreundlich sind? Wie wirdsich unser Weltbild verändern, wenn wir eine »Erde« entdecken?

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Der Autor

Professor Dr. Elmar K. Jessberger wurde am 18. April 1943 in Eisenachgeboren. Er studierte Physik an der LMU München und der Universi-tät Heidelberg, wo er auch 1971 promovierte und 1981 habilitierte. Von1971 bis 1996 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Kos-mophysik im Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Zwi-schenzeitlich arbeitete er 1972 und 1973 am California Institute ofTechnology in Pasadena, wo er, wie später auch in Heidelberg, zur Ge-schichte des Mondes und der Meteorite forschte. In Heidelberg leisteteer daneben Beiträge zum Verständnis von Kometen und interplaneta-rem Staub. Weitere Gastaufenthalte u.a. an der Universität und am Na-turhistorischen Museum in Wien, an der State University of New Yorkin Stony Brook sowie an der Washington University in St. Louis folg-ten. Von 1996 bis zu seiner Emeritierung 2008 war er Universitäts-professor für Analytische und Experimentelle Planetologie an derWestfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Ein Aspekt seiner Ar-beit waren methodische Entwicklungen und die Einführung neuermikro-analytischer Verfahren in die Planetologie. Die inhaltlichenSchwerpunkte seiner Forschung sind Kosmochronologie und die che-mische und isotopische Evolution der Körper des Sonnensystems. Pro-fessor Jessberger war verantwortlicher Leiter und Teammitglied einergroßen Zahl von Raumfahrtinstrumenten, u.a. MERTIS zur mineralo-gischen Infrarotkartierung des Merkur; RLS zur in-situ LIBS-Analytikund Raman-Charakterisierung des Mars; PIA, PUMA und COSIMAzur chemisch-isotopischen und MIDAS zur mikro-strukturellen Ana-lyse von Kometenstaub. Seine Resultate wurden vielfach ausgezeich-net, u.a. von der NASA und der Meteoritical Society. Der Asteroid16231 wurde ihm zu Ehren „Jessberger“ benannt. Professor Jessbergerwar in vielen Beratungsgremien und Programmkomitees des DLR, derESA, der Meteoritical Society und der Max-Planck-Gesellschaft tätig.

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