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1 Petra Heidkamp Klinik für Kinder- u. Jugendpsychiatrie, Psychosomatik u. Psychotherapie Universitätsklinikum des Saarlandes Homburg/Saar Schulverweigerung

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Petra Heidkamp

Klinik für Kinder- u. Jugendpsychiatrie, Psychosomat iku. Psychotherapie

Universitätsklinikum des SaarlandesHomburg/Saar

Schulverweigerung

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Einleitung

Unregelmäßiger Schulbesuch findet sich bei 5% - 10% der Schüler (500.000).

Mit Gefährdung der psychosozialen Entwicklung des Kindes und Belastungen innerhalb der Familie einhergehend.

Schulverweigerung ist häufig ein Symptom oder Folge einer psychischen Störung des Kindes und/od. belastender Bedingungen seiner Umgebung (Familie, Peer-Group od. Schule).

Angesichts der Schulpflicht ist Schulverweigerung ein strafbaresVerhalten.

Gefährdung der gesellschaftlichen Integration bei schulischem Scheitern.

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Definition

Definition (Kearney u. Silverman 1996):

Schulverweigerung ist die vom Kind ausgehende Weigerung, die Schule zu besuchen, oder sein Unvermögen, den Schulalltag durchzustehen.

Diese Definition schließt Kinder ein, die

•Überhaupt nicht (mehr) zur Schule gehen

•Morgens zur Schule gehen, den Unterricht aber frühzeitig verlassen

•Die Schule zwar besuchen aber deutliche Auffälligkeiten zeigen (Wutausbrüche, somatoforme Beschwerden).

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Definition

Kriterien der Schulverweigerung nach Berg et al. 1992:

•Ausgeprägte Schwierigkeiten, die Schule zu besuchen

•Starke emotionale Reaktionen bei der Konfrontation mit dem Schulbesuch

•Zuhausebleiben mit Wissen der Eltern

•Ausschluss einer dissozialen Störung

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Klassifikation

Ätiologisch werden unter dem Bergriff der Schulverweigerung unterschieden:

„Schulschwänzen“: Ihm liegt keine Angst oder andere emotionale Belastung zugrunde. Schulalltag wird als lästig empfunden und zugunsten anderer Aktivitäten gemieden. Das Kind folgt dem Lustprinzip, nicht der Pflicht. „Dissoziale Schulverweigerung“ (Poustka)

ICD-10 Klassifikation: F91... Störung des Sozialverhaltens,

„Schulangst“: Schulverweigerung als Ausdruck einer Angst (z.B. soziale Angst), oder Reaktionen auf Bedrohungen od. überfordernde Bedingungen im Zusammenhang mit der Schule (Misshandlungen, Hänseleien, Quelle der Angst liegt im Schulbesuch).

ICD-10 Klassifikation: F93.1 phobische Störung des KindesaltersF93.2 Störung mit sozialer ÜberempfindlichkeitF40.1 soziale PhobieF8...Teilleistungsstörungen

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Klassifikation

„Schulphobie“: Schulverweigerung bei emotionaler Störung mit Trennungsangst. Krankhafte Angst sich von den Eltern, dem Zuhause zu trennen. Keine Phobie vor der Schule, sondern vor der Trennungssituation.

ICD-10 Klassifikation: F93.0 emotionale Störung mit Trennungsangst

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Mangelnde Gewissensbildung (unzureichende Erziehung)Dissoziales Verhalten

Eltern meist in Unkenntnis

Verlust von Regelverhalten

-Kindfaktoren:

Körperliche Stigmata

Leistungsversagen (bei Teilleistungsstörungen)

Beeinträchtigtes Sozialverhalten (ADHS, Asperger-Syndrom)Hochbegabung (Hänselei)

-Störungen/Erkrankungen bei wichtigen Bezugspersonen (maligne Erkr., Verlust durch Tod od. Trennung, chronische schwere psychische Erkrankung

- Störungen beim Kind (Asthma, Epilepsie psychische Erkrankungen)

Genese

Vermeidung von Unlust; Bevorzugung von lustbetonten Aktivitäten.

Vermeidung von Straferfahrungen

Vermeidung der Trennung von vertrauter Bezugsperson und deshalb Schulverweigerung

Funktion

SchulschwänzenSchulangstSchulphobieSymptom

Differenzialdiagnose

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-schulische Faktoren:Strafender Lehrer

Diskrepanz der Anforderungen zw. Elternhaus und Schule

Misshandlungen und Mobbing durch Mit-schüler

Familiäre Konflikte (Elternstreitigkeiten, Misshandlungen)

Genese

SchulschwänzenSchulangstSchulphobieSymptom

Differenzialdiagnose

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Prävalenz

2% aller schulpflichtigen Kinder weisen eine nicht dissoziale Schulverweigerung auf.

Schulschwänzen (dissoziale Schulverweigerung) tritt mit 3-8% häufiger auf als nicht dissoziale Schulverweigerung (Jungen schwänzen häufiger als Mädchen 2:1).

In Großstädten findet sich eine höhere Prävalenz als in ländlichen Gegenden.

Häufigkeitsgipfel: Im Alter von 5-7 Jahren und 10-11 Jahren.

Bei beiden Gruppen bestehen häufig multiple familiäre und soziale Belastungssituationen.

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Symptomatik

Nichtdissoziale Schulverweigerung: Symptomatik beginnt mit vagen Beschwerden über die Schule od. Klagen über körperliches Unwohlsein. Die Schulverweigerung kann schleichend od. abrupt auftreten. Weigerung zur Schule zu gehen kann mit ausgeprägten Angstzuständen oder Wutausbrüchen einhergehen. Begleitende somatoforme Störungen sind typisch (Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Benommenheit). Eltern haben oftmals Probleme damit einzusehen, dass Symptome oft nicht Ausdruck einer organischen Erkrankung sind.

„Mutter-Kind-Kuren“ kontraindiziert, verstärken symbiotische Trennungsängste.

Wiederaufnahme des Schulbesuchs wird umso schwerer, je länger die Schulverweigerung besteht.

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Symptomatik

Schulschwänzen: Hier fehlen körperliche Beschwerden und meist liegt keine emotionale Störung vor. Eine Störung des Sozialverhaltens ist häufig. Eltern sind lange unwissend über fehlenden Schulbesuch ihrer Kinder.

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Belastung mit psychischen Störungen und Komorbidität

Die häufigsten Diagnosen bei Schulverweigerung sind:

Angststörungen, depressive Störungen und Störung des Sozialverhaltens, bzw. Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten.

Kinder mit ängstlicher Schulverweigerung 14 x höheres Risiko für Depression und 9 fach erhöhte Belastung mit Trennungsangst.

Schulschwänzen geht mit 2fach erhöhtem Risiko für eine Störung mit oppositionellem Trotzverhalten und 7fach erhöhtem Risiko für eine Störung des Sozialverhaltens einher.

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Ätiologie

Schulverweigerung: Multifaktoriell bedingtes Geschehen

Betrachtet werden müssen:

•Kindbezogene Faktoren

•Schulbezogene Faktoren

•Familiäre Faktoren

•Insbesondere Wechselwirkungen zwischen diesen Punkten

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Ätiologie

Kindbezogene Aspekte Persönlichkeitsaspekte IntroversionÄngstlichkeitFrustrationstoleranzStressbewältigungsstile

Leistungsfähigkeit Intellektuelle BegabungTeilleistungsschwächenKonzentrationsfähigkeit

körperliche Faktoren chron. KrankheitBehinderungStigmatapsychische Störungen

Schulbezogene Aspekte SchultypAnforderungsprofilKlassengemeinschaft Klassenklimaund Mitschüler Bloßstellung

Hänseleien/Gewalt in der Schule

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Ätiologie

Familiäre Aspekte Belastungen innerhalb der Familie ArmutArbeitslosigkeitniedriges Bildungsniveau

körperliche und psychische Gesundheit der Eltern

Familienklima Disharmonie zwischen ElternEltern-Kind-BeziehungGewalterfahrungen

Erziehungskompetenz der Eltern

Wechselwirkungen Leistungsversagen aufgrund schulischer Überforderungzw.Faktoren fehlende Bewältigungsstrategien

Verstärkte Versagensängste wegen Fehlzeiten durch die Schul-verweigerung

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Ätiologie

Beziehungen zu Gleichaltrigen: Deutlicher Unterschied zwischen Kindern mit nicht dissozialer Schulverweigerung und schulschwänzender Kinder. Beide Gruppen hatten streitbelastende Beziehungen, wobeiErstere zusätzlich sozial isolierter waren und aggressives Verhalten zeigten (Egger et al. 2003).

Psychosoziale Belastungsfaktoren: Bei Kindern mit nicht dissozialer Schulverweigerung: Alleinerziehender Elternteil, reale Gefährdung in der Schule, psychische Störung eines Elternteils.

Schulschwänzenden Kindern: Verarmung, alleinerziehender Elternteil, Adoption, unzureichende elterliche Aufsicht.

Kinder mit gemischt ängstlich-schulschwänzender Weigerung: Zusätzlich häufige Umzüge, niedriges Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit der Eltern.*

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Die Verhaltensanalyse bietet individuelles Erklärungsmodell und damit eine Grundlage für die Therapieplanung.

1. Vermeidung spezifischer angstbesetzter Situationen (Toiletten, Flure, Prüfungen, spezielle Lehrer).

2. Vermeiden von aversiv erlebten Situationen (Lehrer, Mitschüler).

3. Aufmerksamkeitssuchendes Verhalten und mit Trennungsangst in Verbindung stehendes Verhalten.

4. Positiv verstärkende Erfahrungen, die außerhalb der Schule geboten werden (Fernsehschauen, gemütliches Beisammensein mit der Mutter).

Ätiologie

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Diagnostik

Allgemein: Anamnese (aktuelle Krankheitsgeschichte, Biographie, Familienanamnese), Psychopathologischer Befund (Verhaltensbeobachtung), körperlicher Befund (Internistisch-neurologische Untersuchung, EEG), Testpsychologischer Befund

Die Heterogenität und Multikausalität verlangt eine umfassende und mulimodale Diagnostik.

Einen Rahmen dafür bietet die multiaxiale Klassifikation:•Klinisch-psychiatrisches Syndrom

•Umschriebene Entwicklungsstörungen

•Intelligenz

•Körperliche Symptomatik

•Psychosoziale Umstände

•Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung

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Diagnostik

Der Einsatz standardisierter Untersuchungsinstrumente ist sinnvoll. Diagnostische Interviews strukturieren die Exploration und ermöglichen die Erfassung begleitender psychischer Störungen.

Leistungspsychologische Diagnostik, Erfassung von Konzentrationsvermögen und Aufmerksamkeitssteuerung; Sprachentwicklungsdiagnostik; Schulleistungsdiagnostik (Lesen, Rechtschreibung, Rechenfertigkeiten).

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Diagnostik

Achse 1- klinisch-psychiatrisches Syndromv.a. Störungen, die mit emotionalen, motivationalen, kognitiven, sozialen und somatischen Beschwerden einhergehen.

„Schulangst“: Angststörungen, v.a. soziale Phobie und Prüfungsangst

„Schulphobie“: Störungen mit Trennungsangst

„Schulschwänzen“: Störung des Sozialverhaltens

Andere Störungen, die mit Schulverweigerung einhergehen können: Depressive Störungen, Zwangsstörungen, andere Angststörungen, dissoziative Störungen, somatoforme Störungen, Psychosen, Asperger-Autismus.

Achse 2- umschriebene EntwicklungsstörungenTeilleistungsstörungen (Lese-Rechtschreibstörungen, Rechenstörungen, Sprachentwicklungsstörungen).

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Diagnostik

Achse 3-IntelligenzEs muss geprüft werden, ob die Anforderungen des Schultyps den kognitiven Möglichkeiten des Schülers angemessen sind (Über-od. Unterforderung).

Achse 4-körperliche SymptomatikInternistische und körperliche Untersuchung. Abklärung körperlicher Stigmata, die zu Ausgrenzungen führen können. Ausschluss primär organischer Ursachen bei somatoformen Beschwerden.

Achse 5- psychosoziale UmständeBedingungen im familiären Umfeld können Trennungsängste begünstigen- oder eine depressive Reaktion hervorrufen (Streit zwischen Eltern, Migration, häufige Umzüge, Bedrohungen durch Lehrer und Mitschüler).

Achse 6- Globalbeurteilung der psychosozialen Anpass ungInwiefern können leistungsbezogene Anforderungen bewältigt werden, besteht eine altersangemessene Selbstständigkeit? Integration in Schule und Familie?

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Leitlinien

Leitlinien zur Diagnose und Therapie von Schulverweigerung wurden bisher nicht ausgearbeitet. Sie bestehen jedoch für Trennungsängste und andere Angststörungen, sowie zur Störung des Sozialverhaltens.

Die Diagnostik muss umfassen:

•Untersuchung des Kindes (Exploration, körperliche Untersuchung, Leistungsdiagnostik, Selbstbeurteilungsverfahren, Verhaltensbeobachtung) und eine umfassende Fremdanamnese.

•Für die Störung mit Trennungsangst ist folgender Explorationsleitfaden nach Döpfner hilfreich.

Ziel ist es Informationen zu gewinnen, welche ein hypothetischesBedingungsmodell des schulverweigernden Verhaltens ermöglichen.

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Explorationsleitfaden zur Störung mit Trennungsangst

Angst vor Trennung vs. Angst vor SchuleTrennungsängste auch in anderen Situationen, ausgeprägte Symptomatik nach Wochenende oder Ferien?Leistungsängste oder schulische Überforderung?Ängste vor einem Lehrer (Symptomatik an bestimmten Tagen?)Ängste vor Mitschülern?

Fokus der Ängste

Werden attraktivere Orte aufgesucht?Abgrenzung Schuleschwänzen

Aufbau einer tragfähigen BeziehungExploration der AngstsymptomatikEntstehung und Verlauf, Familiäre BeziehungenDefinition von Behandlungszielen

Allgemeine Strategien

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Behandlung

Die Behandlung muss folgende Prinzipien beinhalten:

•Eine möglichst rasche Wiederaufnahme des Schulbesuchs.

•Eine funktionale Analyse der Bedingungen der Schulverweigerung

•Multimodales Behandlungskonzept mit kognitiven, behavioralen und bei Indikation auch pharmakologischer Interventionen

•Vermeiden von Maßnahmen, die ein Fernbleiben der Schule beinhalten

•Bei stationärer Behandlung schrittweises Heranführen an regelmäßigen Schulbesuch

•Stationäre Aufnahme, wenn Schulbesuch trotz ambulanter Interventionen kurzfristig (max. 4 Wochen) nicht erreicht wird bzw. bei starker Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen u./o. nicht ausreichender Kooperation der Eltern

•Enge Kooperation mit Lehrern, schulpsychologischen Dienst, Jugendhilfe

•Handlungsrichtlinien für Lehrer ausarbeiten

•Nach Reintegration, Überwachung der Aufrechterhaltung des Schulbesuchs.

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Behandlung

Beratung von Eltern, Kind und Schule unverzichtbar.Psychotherapeutische Behandlung nicht grundsätzlich indiziert. Eine Umschulung oder andere pädagogische Maßnahmen in Verbindung mit angemessener Beratung stehen im Vordergrund. Bei begleitender psychischer Störungen sind störungsspezifische Behandlungsansätze notwendig.

Kognitive Verhaltenstherapie (mit Selbstbeobachtung, Belohnungssystem,Verstärkung aktiven Bewältigungsverhaltens, Exposition, kognitive Umstrukturierung und Erkennen irrationaler Gedanken, Stressbewältigungstraining, Training sozialer Kompetenzen, Entspannungsverfahren).

Familienzentrierte Verfahren (verhaltensorientiert, Elterntraining)

Tiefenpsychologisch fundierten Kinder-und Jugendpsy chotherapie (bei Schulangst im Rahmen einer konkreten Überforderungssituation und bei Schuleschwänzen nicht indiziert).

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Behandlung

Pharmakotherapie schulverweigerndes Verhalten alleine keine Indikation. Zielsymptome sind Angst und Depression(Imipramin führt zu einer raschen Besserung depressiver Symptomatik, SSRI, Benzodiazepine nur zur Krisenintervention und Kurzzeitbehandlung.)

Präventive schulische Bedingungen:

•Orientierung am Fortschritt der Kinder und weniger an Defiziten,

•Wissen um die Grenzen individueller Leistungsmöglichkeiten,

•rasches Erkennen von zusätzlichem Förderbedarf,

•konsequentes Eingreifen bei Hänseleien und Tyrannisieren,

•schulische Programme, z.B. zu Angst-und Stressbewältigung

Jugendhilfemaßnahmen:Hilfen zur Erziehung (Beratung, Beistandschaft, sozialpäd. Familienhilfe, soziale Gruppenarbeit, teil- oder vollstationäre Hilfen).

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Verlauf

Verlauf bei nicht dissozialen Schulverweigerern hinsichtlich der Wiederaufnahme des Schulbesuchs günstig, jedoch zeigte eine Therapiestudie von Bernstein et al.2001:

2/3 der Teilnehmer nach 1 Jahr noch pharmakologisch und ¾ noch ambulant psychiatrisch-psychotherapeutisch behandelt wurden.

50% erfüllten noch die Kriterien einer Angststörung, 1/3 die für eine depressive Störung (Langzeitkatamnese nach 30 Jahren Schulphobiker häufiger in psychiatrischer Behandlung, und wohnhaft bei den Eltern. Zudem hatten sie weniger eigene Kinder, als andere ehemalige Patienten).

Nach Overmayer et al. gibt es in der Katamnese kaum Unterschiedezwischen schulängstlichen und schulphobischen Schulverweigerern.

Nach McShane waren für den Verlauf der Schul- und Berufsausbildung, die Diagnose einer sozialen Phobie und das Vorhandensein schulischerLeistungsschwierigkeiten prognostisch ungünstig.

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Verlauf

Prognostisch günstig sind folgende Faktoren (Lehmkuhl et al. 03):

•Akuter Symptombeginn

•Jüngeres Alter

•Geringere schulische Fehlzeiten

•Frühzeitige Diagnostik und Therapie

•Geringere Komorbidität mit internalen Störungen

•Höhere soziale Schicht

•Keine mütterliche Depression

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Verlauf

Schulschwänzen ist im Verlauf assoziiert mit fehlendem Schulabschluss, schlechteren Berufsaussichten, Arbeitslosigkeit,Delinquenzentwicklung, Suchtproblemen, instabilen sozialen Beziehungen und einer allgemein schlechteren psychosozialen Anpassung.

Die ungünstige Sozialprognose ist mitbedingt durch Kombination mit anderen Auffälligkeiten im Sozialverhalten und psychosozialen Belastungsfaktoren.

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Fazit

Schulverweigerung ist ein heterogenes Problem und verlangt eine umfassende Diagnostik und individuell angepasste Behandlungsmaßnahme.

Häufig haben in der Praxis vorgestellte Kinder mit Schulverweigerung psychische Störungen. Daher besteht die Indikation einer multiaxialen Diagnostik. Am häufigsten sind Angststörungen, Depression und Sozialstörungen. Zu achten ist zudem auf Intelligenzminderung und Entwicklungsstörungen.

Vor Einleitung psychiatrisch-psychotherapeutischer Maßnahmen sind situative Lösungsmöglichkeiten zu bedenken.

Auf jeden Fall sind länger dauernde Krankschreibungen und „Mutter-Kind-Kuren“ zu vermeiden, da sie die Symptomatik verfestigen und zu keiner Lösung beitragen.