Der Zen-Meister Dôgen in China - oag.uni- · PDF file6 Der Naidaijin Koga Michichika. Über den scheinbaren Widerstreit der Quellen und einige Hypothesen s. ausführlich die umfangreichste

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    Der Zen-Meister Dgen in China

    Von Oscar Benl (Hamburg)

    Der Unterschied zwischen den beiden japanischen Zen-Schulen Rinzai und St wird gemeinhin auf die Formel gebracht, die religise Praxis der ersteren suche mit der Methode der Denkprobleme (kan)1, die der letzteren durch die stillsit-zende, gedankenleere Meditation (zazen) das ihnen gemeinsame Ziel der Er-leuchtung (satori) zu erreichen.2 In der von Dgen gegrndeten japanischen St-Schule kommt dem Zazen jedoch in Wahrheit eine viel umfassendere, kom-plexere Bedeutung zu: es ist nicht ein bloes Mittel, um zur Erleuchtung zu ge-langen, es ist d i e Form, das wahre Selbst zu leben. Whrend Dgen die Rinzai-Schule ausdrcklich als das auf die Erleuchtung wartende Zen (daigo-zen) bezeichnet, sind fr ihn religise Praxis und Erlsung geradezu identisch.

    Diese angeblich quietistische Gedankenwelt Dgen's ist in ihrer religisen wie philosophischen Aktualitt und Aktivitt in den letzten Jahrzehnten in Japan er-neut durchdacht und erkennend gewertet worden. TANABE Hajime hat Dgen den ersten schpferischen Denker Japans genannt,3 WATSUJI Tetsur's Untersuchun-gen haben ihn weiten Kreisen als einen solchen erwiesen.4 MASUNAGA Reih zeigte, wie berraschend viel etwa der Zeit-Begriff Dgen's mit neuen europi-schen Auffassungen gemein hat.5 Aus all dem ergibt sich fr uns vielleicht fast die Verpflichtung, Dgen in das moderne philosophische Gesprch einzufhren, ganz bestimmt aber die, uns selber diesen frhen japanischen Denker zur besseren Erkenntnis japanischer Kultur zu erschlieen. Ein solches Unternehmen mte wohl gerade beim schwierigsten aber eben zentralen Problem des Zazen begin-nen. Der Vorbereitung hierauf mge folgende biographische Skizze ber den China-Aufenthalt Dgens dienen, verdankt jener seine berzeugung von der all-umfassenden Bedeutung des Zazen doch dem Einflu einer leidenschaftlich reli-gisen Persnlichkeit jenes Landes.

    1 Hierber ausfhrlich SUZUKI Daisetsu, Living by Zen, Tky 1949, S. 168ff. 2 Vgl. Heinr. DUMOULIN, The Development of Chinese Zen, New York 1953 S. 40. 3 TANABE Hajime, Shbgenz no tetsugaku shikwan, Tky 1939, S. 11. Ebenso AKIYAMA

    Kenji, Dgen no kenky, Tky 1941, Einleitung S. 1. 4 WATSUJI Tetsur, Nihon-seishinshi-kenky, Tky 1939, S. 237ff. 5 MASUNAGA Reih, Dgen, Tky 1943, sowie ders. The Standpoint of Dgen and his Trea-

    tise on Time, in: Religion East and West, Nr. 1, 1955 S. 33ff. Fr die freundliche Zusendung dieser beiden Schriften sei Herrn Professor Masunaga (Komazawa-Universitt, Tky) auch an dieser Stelle herzlich gedankt.

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    1. Dogen's Leben bis zu seiner China-Reise

    Im Jahre 1200 als der Sohn eines Ministers6 und der Tochter eines mchtigen Regenten7 geboren, erfuhr Dogen8 nicht nur sehr frh den Schmerz um den Tod seiner Eltern, auch der unaufhaltsame Niedergang des Hofadels, dem er ja selbst angehrte, lie ihn schon in sehr jungen Jahren den Unbestand alles Irdischen erfahren. Ein Onkel mtterlicherseits, der der Onjji-Richtung 9 der Tendai-Schule zugehrige, gelehrte Bischof Rykwan10 hatte fr den vielleicht auf Zu-sprache seiner sterbenden Mutter, sicherlich aber bei deren Einscherung gefa-ten Entschlu des Jungen, Mnch zu werden,11 Verstndnis. Er schickte ihn auf den Hieizan, wo er von dem Abt Ken12 im Jahre 1213 die Tonsur erhielt. Die Beschftigung mit der Dogmatik und der mystischen Praxis der Tendai-Schule befriedigte ihn aber nicht. Wie es in den Schriften Eiheiji-sanso-gyg-ki und Kenzeiki13 heit, bewegte ihn die Frage nach dem Sinn der religisen Praxis an-gesichts der in den heiligen Schriften behaupteten angeborenen Buddhanatur je-des Menschen so sehr, da er keine Ruhe mehr fand. Auch der Abt Kin14 vom Onjji, an den er sich wandte, nachdem Ken sein Amt niedergelegt hatte, ver-mochte ihm keine gltige Antwort zu erteilen. Er wies ihn an Eisai, den Grnder

    6 Der Naidaijin Koga Michichika. ber den scheinbaren Widerstreit der Quellen und einige

    Hypothesen s. ausfhrlich die umfangreichste Dgen-Biographie: OKUBO Dsh, Dgen Zenji-den no kenky, Tky 1953, S. 47 ff.

    7 Der Sessh Fujiwara Motofusa. ber ihn genauer bei Hermann BOHNER, Jinn-shtki, Tky 1939 Bd. II, S. II, S. 237.

    8 Dies ist sein Mnchsname; sein Jugendname ist nicht bekannt. 9 ber die Spaltung der Tendai-Schule in die Richtungen der Tempel Hieizan und Onjji, dh.

    in Jimon und Sammon s. Wilhelm GUNDERT, Japanische Religionsgeschichte, Tky 1935 S. 56.

    10 Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1202 wurde der junge Dgen zunchst von seiner Mutter und seinem Stiefbruder, dem damals 32 jhrigen Dainagon Michitomo (einem der Mitheraus-geber des Shinkokinsh) aufgezogen. 1 Jahr nach dem Tod seiner Mutter (1207) wurde er von einem Onkel mtterlicherseits, dem Sessh Kwampaku Naidaijin Fujiwara Moroie adoptiert, der ohne Nachkommen war und den begabten Jungen fr die politische Laufbahn bestimmt hatte. Als jener nach der Mannbarkeitszeremonie Dgen's diese Absicht deutlich erkennen lie, verlie Dgen eines nachts heimlich dessen Haus und begab sich zu dem Bischof (Hgen) Rykwan, welcher der jngere Bruder von jenem war.

    11 So berichtet das Denk-roku, s. Anm. 17. 12 Nachfolger des berhmten Bischofs Jien (Jichin). ber ihn und die (von Ryy gegrndete

    und) von ihm weitergefhrte Richtung des Sammai-ry s. UESUGI Ayahide, Nihon-tendai-kygaku-shi, Tky 1935 S. 446, 473, 486.

    13 Eiheiji-sanso-gyg-ki: Biographien der drei ersten bte des Eiheiji (Dgen, Eij, Gikai), unbekannter Verfasser, vermutlich aus dem Beginn der Ashikaga-Zeit: Zoku-Gunshoruiju 225. Kenzeiki: von dem 13. Abt des Eiheiji namens Kenzei verfate Dgen-Biographie: Bukky-zensho Bd. 115.

    14 11451216, verbrannte in seinem Alter das von ihm verfate Werk Ketsugish und wandte sich der Nembutsu-Lehre zu. UESUGI a. a. O. S. 393, 486.

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    des japanischen Rinzai-Zen. Da in Dgen's eigenen Schriften von einer Begeg-nung mit Eisai nie die Rede ist, ist seit der Meiji-Zeit eine solche von manchen kritischen Forschern freilich geleugnet worden.15

    Nach dem Tode von Kin begab sich Dgen zu dem hervorragendsten Schler des 1215 verstorbenen Eisai, dem Mnche Myzen16, der im Gegensatz zu Eisai's zwei anderen berhmten Schlern Gyy und Eich ein von Tendai- und Shin-gon-Elementen ziemlich reines Zen vertrat und so, wie das Denkroku17 be-tont, die Tradition Eisai's besonders gut weiterzugeben berufen war.

    Dgen whlte Myzen aber nicht nur, weil jener Eisai's Lieblingsschler ge-wesen war,18 sondern der Kenninji,19 dem jener als Abt nun vorstand, seit Eisai noch viel chinesische Atmosphre besa. Vielleicht war Dgen's Eintritt in den Kennenji bereits die erste Vorbereitung, nach China zu fahren, um sich dort reli-gise Gewiheit zu holen. Myzen 's Entschlu zur China-Reise mag durch den seinen noch verstrkt worden sein. Jedenfalls fand Dgen in diesem Meister einen Gefhrten seiner eigenen Sehnsucht. Wie in Zuimonki20 berichtet wird, bewun-dert er Myzen 's unbeirrbare Entschlossenheit tief. Der Meister trat da eines Ta-ges vor seine Schler und teilte ihnen mit, da ihn sein kranker Lehrer, der Ajari Myy, dem er Wohltaten von Jugend auf, seine ganze buddhistische Erziehung und sogar die Anregung, nach China zu fahren, verdanke, ihn gebeten habe, ihn nun, da er im Sterben liege, zu pflegen und daher die Reise aufzuschieben. Gehe er jetzt fort, so knne er nicht damit rechnen, den verehrten Meister je wieder zu sehen. Verstoe es da nicht so fragte er gegen das buddhistische Gebot des Mitleids, unbekmmert um des Meisters Wohlergehen fortzureisen? Die versam-melten Mnche meinten daraufhin alle, Myzen solle sein Vorhaben ein Jahr auf-schieben. Dgen stimmte dem unter der Bedingung zu, da er Myzen mit seinem bisherigen Verstndnis des buddhistischen Gesetzes zufrieden sei. Myzen aber sagte, das Leiden und Sterben der Menschen gehe auch dann seinen unbeirrbaren Gang, wenn er im Lande bleibe. Um der scheinbaren Wohlfahrt ei-nes anderen willen, drfe nicht wertvollste Zeit vertan werden. Gehe er nun aber nach China und gelange dadurch zu einer auch nur teilweisen Erleuchtung, so sei

    15 ber dieses Problem ausfhrlich OKUBO a. a. O. S. 90ff., MASUNAGA a. a. O. S. 30ff. 16 11841225. Verlor mit 7 Jahren seine Eltern, lernte dann im Enryakuji bei Myy, empfing

    mit 15 Jahren auf der Weihbhne des Tdaiji die Mnchsordination (gusoku-kai), kehrte dann in den Enryakuji zurck und erhielt dort die Bosakkai (s. u. Anm. 43). Gerade sein besonderes Interesse fr die Mnchsregeln verschaffte ihm wohl die groe Zuneigung Eisai's, nach dessen Tod er Abt des Kenninji wurde.

    17 Denkroku oder Keizan-denk-roku. Von KEIZAN (Jkin), dem Groen Patriarchen der ja-panischen St-Schule verfate Annalen. Aufgenommen in Taish-daizky Bd. 82.

    18 So er selbst in seiner Schrift Eihei-kroku. 19 Vgl. Oscar BENL, Mus Kokushi, in: OE 1955, I S. 87. 20 Auch Shbgenz-Zuimonki. Von Dgen's Schler (und Nachfolger) Eij aufgezeichnete Re-

    den und Aussprche des Meisters.

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    zum Heile zahlloser Menschen schon viel erreicht.21 Sehr viel spter wurde Dgen von seinem Hauptschler und Nachfolger Eij gefragt, ob ein solches Tun nicht dem der Bodhisattva widerspreche, aber Dgen warnte vor falscher Liebe und verwirrten Gefhlen.22

    Warum Dgen so sehr daran lag, nach China zu fahren, erfahren wir aus der Schrift Eihei-shoso-gakud-yjin-sh.23 Es heit dort:

    In diesem bedauernswerten, abgelegenen kleinen Lande ist das buddhisti-sche Gesetz noch nicht verbreitet, wahre Lehrer sind noch nicht aufgetre-ten. Man berliefert nur Worte und lt berhmte Vokabeln rezitieren. Wer wirklich den hchst