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DER MEHRWERT DER BIOENERGIE Energie aus Holz, Klärschlamm, Gülle und anderen biogenen Substraten leistet einen markanten Beitrag zur Energieversorgung der Schweiz. Bioenergie ist regional und nachhaltig, im Vergleich zu anderen Energien aber noch relativ teuer. Trotzdem kann sich Bioenergie auf dem Markt behaupten, wenn sie deutlich macht, welch grossen Mehrwert sie über die eigentliche Wärme- und Stromproduktion hinaus hat. Worin dieser Mehrwert besteht und wie er bestimmt werden kann, das war ein Schwer- punkt der diesjährigen BFE-Tagung zur Bioenergieforschung in der Schweiz. Dr. Gillianne Bowman stellte an der Tagung zur Bioenergieforschung eine Studie von WSL und Ökostrom Schweiz vor, die die Nährstoffflüsse in Biogasanlagen und die Wertschöpfung von Vergärungsprodukten untersucht. Grafik: Ökostrom Schweiz Fachbeitrag zu den Erkenntnissen der Online-Tagung vom 25. Mai 2021 zur Bioenergieforschung, die vom Bundesamt für Energie ausgerichtet wurde. Der Beitrag ist unter anderem auf der Webplattform energate-messen- ger.ch (Anfang Juni 2021) erschienen.

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DER MEHRWERT DERBIOENERGIEEnergie aus Holz, Klärschlamm, Gülle und anderen biogenen Substraten leistet einen

markanten Beitrag zur Energieversorgung der Schweiz. Bioenergie ist regional und

nachhaltig, im Vergleich zu anderen Energien aber noch relativ teuer. Trotzdem kann

sich Bioenergie auf dem Markt behaupten, wenn sie deutlich macht, welch grossen

Mehrwert sie über die eigentliche Wärme- und Stromproduktion hinaus hat. Worin

dieser Mehrwert besteht und wie er bestimmt werden kann, das war ein Schwer-

punkt der diesjährigen BFE-Tagung zur Bioenergieforschung in der Schweiz.

Dr. Gillianne Bowman stellte an der Tagung zur Bioenergieforschung eine Studie von WSL und Ökostrom Schweiz vor, die die Nährstoffflüsse inBiogasanlagen und die Wertschöpfung von Vergärungsprodukten untersucht. Grafik: Ökostrom Schweiz

Fachbeitrag zu den Erkenntnissen der Online-Tagung vom 25. Mai 2021 zurBioenergieforschung, die vom Bundesamt für Energie ausgerichtet wurde.Der Beitrag ist unter anderem auf der Webplattform energate-messen-ger.ch (Anfang Juni 2021) erschienen.

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Der Mehrwert der Bioenergie

Expertin des BFE, als sie Ende Mai die sechste Tagung zur‹Bioenergieforschung in der Schweiz› eröffnete. Gleichzeitigunterliegt die Nutzung der Bioenergie einem Wandel. StattBiomasse für die Bereitstellung von Raumwärme oder zumKochen zu nutzen, wie vielerorts noch traditionell eingesetztmit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen, wird sie inZukunft verstärkt etwa zur Herstellung industrieller Hochtem-peraturenergie z.B. in der Papier- und Zementindustrie ge-nutzt werden, Sektoren, die schwer zu defossilisieren sind.Zum Kochen können stattdessen beispielsweise kleine Fer-menter herangezogen werden, die Biogas aus organischenAbfällen (wie z.B. Gülle, Mist, Küchenabfälle etc.) gewinnen.Solche Fermenter kommen heute schon zum Einsatz, etwa inarmen Landstrichen Vietnams, wie Philippe Randin, Direktorder Westschweizer Organisation für Entwicklungszusam-menarbeit Nouvelle Planète, an der Bioenergie-Tagung aus-führte.

Bioenergie hat mancherlei VorzügeIm Zentrum der virtuell ausgetragenen Fachtagung standenaber auch dieses Jahr die jüngsten Erkenntnisse aus derSchweizer Bioenergieforschung und das energiepolitischeUmfeld. Dr. Matthieu Buchs, Biomasse-Spezialist beim BFE,orientierte über die aktuellen politischen Dossiers mit signifi-kanten Auswirkungen auf die Bioenergie. Hierzu gehöreninsbesondere das Zukunftsmodell zur Förderung der Bioener-gie im Stromsektor (KEV-Nachfolgelösung), die Förderungvon erneuerbaren Gasen im Wärmebereich (CO2-Gesetz)oder das neue Gasversorgungsgesetz für klare Regeln imGasmarkt. Das Auslaufen der kostendeckenden Einspeisever-

Bis im Jahr 2050 soll die Schweiz nicht mehr Treibhausgaseemittieren, als natürliche und technische Speicher aufneh-men können. So lautet des ‹Netto-Null›-Ziel des Bundesrats.Was die Schweizer Regierung für das eigene Land postulierthat, ist zugleich die Leitidee der Internationalen Energieagen-tur (IEA) für das globale Energiesystem. Um diese ehrgeizigeZielsetzung zu erreichen, sind alle Energien zu stärken, diebei ihrer Produktion kein bzw. ein Minimum an CO2 und an-deren Treibhausgasen verursachen. Hierzu gehört Energieaus jeglicher Form von Biomasse. Die Netto-Null-Roadmapder IEA geht davon aus, dass sich der Anteil der Bioenergieam globalen Energieverbrauch im Jahr 2050 bezogen auf2010 verdoppeln wird.

«Würde weltweit das nachhaltig nutzbare Potenzial vonBioenergie genutzt, liesse sich damit 20 % der weltweitenGasnachfrage decken», sagte Dr. Sandra Hermle, Bioenergie-

Biogasanlage im Kleinformat: In armen Landstrichen Vietnams wer-den Fermenter genutzt, um z.B. aus den Exkrementen von Schwei-nen und anderen Nutztieren Biogas insbesondere für Kochzweckezu erzeugen. Foto: Nouvelle Planète

Abschätzung des Mehrwerts (externer Nutzen neben der Energie-produktion) der Biogasanlage Bio-Energ'Etique SA in Bure/JU: Sum-miert man die Werte aus den sechs Bereichen, resultiert ein Mehr-wert von 45 Fr. pro MWh produziertem Biogas. Bei einerJahresproduktion von 11'137 MWh resultiert ein Mehrwert von rundeiner halben Million Franken. Diese Zahl darf man nur als grobeÜberschlagsrechnung interpretieren, da der jeweilige Mehrwert fürdie sechs Bereiche auf unterschiedlichen Grundlagen berechnet wur-de. Grafik: EREP-ENEA Consulting/bearbeitet B. Vogel

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Der Mehrwert der Bioenergie

gütung (KEV) Ende 2022 stellt die Branche vor eine Heraus-forderung, wie Buchs betont: «Im Investitionsbeitrags-Modellgewinnt die finanzielle Verwertung aller Produkte undDienstleistungen von Bioenergieanlagen, neben der Energie-produktion also zum Beispiel im Umweltschutzbereich oderim Düngerbereich, an Bedeutung.»

Dr. Nuria Montpart vom Beratungsbüro EREP SA (Aclens/VD)stellte eine Studie vor, welche die positiven externen Effektevon Biogas bzw. dem darin enthaltenen Energieträger Me-than untersucht. Zu diesen Effekten gehören die Reduktionder Treibhausgas-Emissionen, die Verminderung des Mineral-düngereinsatzes oder die Inwertsetzung bestehender Gasin-frastrukturen. Am Beispiel einer landwirtschaftlichen Bio-gasanlage mit Wärme-Kraft-Kopplung im Jura wurde derexterne Mehrwert – also der Mehrwert neben der Produktionvon Strom (4'350 MWh/a) und Wärme (5'500 MWh/a) – inGeldwert ausgedrückt (vgl. Grafik S. 2). «Bei allen Unsicher-heiten dieser Schätzung fällt der Mehrwert über die eigentli-che Energieproduktion hinaus doch ins Gewicht», stellte dieForscherin fest.

Nährstoff-Kreislauf schliessenDieser Mehrwert ist da, doch macht er sich auch bezahlt?«Die Bioenergie an sich wird finanziell gut abgegolten, nicht

jedoch deren Beitrag zur CO2-Reduktion oder zur Minderungder Nährstoffbelastung», gab Prof. Urs Baier von der ZürcherHochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wä-denswil zu bedenken. Baier will darauf hinwirken, dies in Zu-kunft zu ändern, zum Beispiel in der IEA-Fachgruppe ‹Energyfrom Biogas›, in der Expertinnen und Experten aus 19 Staatenzusammenarbeiten und in der Urs Baier die Schweiz vertritt.Einer der Arbeitsschwerpunkte der Fachgruppe in den nächs-ten drei Jahren sind die «Co-Benefits von Biogas in einerKreislaufwirtschaft».

An der Tagung wurden verschiedene Projekte vorgestellt, diesich dem Mehrwert der Bioenergie-Produktion aus verschie-denen Perspektiven näherten: Die ZHAW entwickelt mit Part-nern ein Konzept, um die flüssigen und die festen Bestand-teile von Hofdünger (Gülle) getrennt vergären zu können.Auf dem Weg soll in der Schweiz ein bisher ungenutztes Bio-gas-Potenzial von 3 TWh/a erschlossen, aber auch der Zukaufvon Dünger reduziert werden. Ähnlich die Stossrichtung ei-nes Projekts der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald,Schnee und Landschaft (WSL). Die Forschenden der WSL ha-ben gemeinsam mit Ökostrom Schweiz den (monetären undnicht-monetären) Wert verschiedener Gärprodukte unter-sucht. Gemäss einer vorläufigen, noch provisorischen Kos-tenschätzung stecken in einem einzigen Kubikmeter Gärgülle

Blick in das Labor des Instituts für Chemie und Biotechnologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil. Hieruntersucht Dr. Wolfgang Merkle neue Methoden der biologischen Methanisierung. Foto: ZHAW

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Der Mehrwert der Bioenergie

Stickstoff, Phosphor und Kalium im Gegenwert von gut achtFranken, wenn man die Nährstoffpreise von Mineraldüngernheranzieht. Einen anderen Zugang wählt ein Team der Fach-hochschule Nordwestschweiz. Die Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler wollen wissen, wie aus Molkeabfällen, diebeispielsweise in der Käseproduktion entstehen, durch Ein-satz sogenannter Membrankontaktoren der Wertstoff Milch-säure gewonnen werden kann, aus dem sich beispielsweiseKunststoffe herstellen lassen.

Biologische Methanisierung verbessernEin weiterer Fokus der diesjährigen Tagung zur SchweizerBioenergieforschung lag auf innovativen Ansätzen, um denErtrag an Biogas zu steigern. Rohbiogas, wie es in Biogasan-lagen produziert wird, besteht zu rund 60 % aus energetischnutzbarem Methan, zu 40 % aus dem bisher in der Regelnicht energetisch genutzten CO2. Damit das klimaschädlicheKohlenstoffdioxid nicht in die Umwelt abgegeben werdenmuss, kann es unter Zugabe von Wasserstoff (H2) in Methanverwandelt werden. Für diese Methanisierung von CO2 undH2 zu Methan (CH4) sind katalytische oder biologische Ver-fahren verfügbar. Letztere brauchen weniger Energie, da dieProzesse nicht bei hohen Temperaturen und Drücken ablau-fen, allerdings ist die Methanausbeute hier bislang geringer.

Im ERA-NET-Projekt CarbonATE entwickeln gegenwärtig For-schende der ZHAW und des Paul Scherrer Instituts gemein-sam mit österreichischen Partnern ein optimiertes Verfahrenzur biologischen Methanisierung. Grundlage ist ein enzyma-tischer Prozess zur Abscheidung des CO2 aus dem Rohbiogas.Im ersten Schritt werden hierfür die ausgewählten Enzyme(Carboanhydrase, Formiatdehydrogenase) mittels Expressionin Escherichia-coli-Bakterien produziert. Im zweiten Schrittwerden die Enzyme genutzt, um CO2 in Hydrogencarbonatund Formiat umzuwandeln, bevor diese Stoffe schliesslich ineinem Bioreaktor (Rieselbettreaktor) zu Methan werden.

Gasnetz als Speicher für erneuerbare EnergienIm Erfolgsfall resultiert aus dem noch laufenden Forschungs-projekt ein wirksames, kostengünstiges und skalierbares Ver-fahren zur biologischen Methanisierung. Dieses könnte in Zu-kunft genutzt werden, um Strom aus Windkraftwerken undPhotovoltaikanlagen in Form von Gas zu speichern (‹Power-to-gas-Technologie›), wie ZHAW-Forscher Dr. Wolfgang Mer-kle sagt: «Das Erdgasnetz stellt uns einen riesigen Speicherfür erneuerbare Energien aus Wind- und Solarkraftwerken

bereit. Das europäische Gasnetz ist so gross, dass es einenViertel des europaweiten Jahresbedarfs an Gas speichernkann.»

� Die Referate der Tagung ‹Bioenergieforschung in derSchweiz› unter dem Titel ‹Mehrwert schaffen – neue An-sätze erforschen – über den Tellerrand hinausblicken›sind hier abrufbar.

� Auskünfte zu der Tagung erteilt Dr. Sandra Hermle(sandra.hermle[at]bfe.admin.ch), Leiterin des BFE-For-schungsprogramms Bioenergie.

� Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, De-monstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Bioe-nergie unter www.bfe.admin.ch/ec-bioenergie.

Autor: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)Stand: Juni 2021

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Riedl hat mit seinem Team der Hochschulefür Life Sciences FHNW untersucht, wie sich aus Molke über einemembrangestützte Extraktion Milchsäure gewinnen lässt, womit aufeine energieintensive Zentrifugierung verzichtet werden kann.Milchsäure ist ein Wertstoff, der unter anderem für die Produktionvon Kunststoff herangezogen werden kann. Grafik: FHNW.