Descartes goes Internet - Fachbereich Informatik · PDF fileDescartes hatte selbst nicht die Absicht, die Wissenschaft zu revolutionieren, sondern sah ... Wenn der häusliche PC „seinen

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  • Layout-Vorschriften fr Beitrge zur M & C 2001 1

    Descartes goes InternetDie Benutzungsschnittstelle als Akteur-Netzwerk-Portal

    Ralf Klischewski

    ZusammenfassungDer oft als Akteur-Netzwerk-Theorie bezeichnete Ansatz von Bruno Latour wird benutzt, um die Benut-zungsschnittstelle zwischen Mensch und Computer als Akteur-Netzwerk-Portal zu erklren und daraus Ge-staltungshinweise abzuleiten. Am Beispiel der Personalisierung eines Web-Portals wird gezeigt, welcheneuen Mglichkeiten und Herausforderungen dadurch fr das Design entstehen. Diese erschlieen sich al-lerdings nur, wenn es gelingt, eines der wesentlichen Hindernisse aus dem Weg zu rumen: Die Gleichset-zung von Mensch und Subjekt einerseits und von Computer (bzw. Informationstechnik) und Objekt anderer-seits, die sptestens seit Ren Descartes konstituierend fr unser modernes Wissenschaftsverstndnis ist.

    Prolog 1: Wenn ein Computervirus (wie z.B. der Loveletter-Virus im Mai 2000) binnenStunden um die Welt geht und zum Teil verheerenden Schaden anrichtet, ist die Fragenach den Ursachen, den Schuldigen oder angemessenen Gegenmanahmen nicht einfachzu beantworten. Die Virus-Autoren, ihr soziales Umfeld und das weltweit verfgbareHacker-Wissen geraten genau so ins Visier wie die Unzulnglichkeiten von Betriebssy-stemen und Emailsoftware oder wie Hunderttausende sorgloser Nutzer bzw. die Betreiberihre Netze. Eine Erklrung gelingt hufig nur durch Rekonstruktion rumlich und zeitlichweit verzweigter, oft kaum berschaubarer Handlungsnetze, in denen jeweils das Agierenvon Menschen oder das Agieren von Rechenmaschinen als Erklrung allein jeweils nichtausreicht.

    Prolog 2: Ist Software ein Produkt oder ein Medium? (fragt z.B. Armour 2000) Beideslsst sich argumentieren: Als Produkt wird Software entworfen, konstruiert, getestet, aus-geliefert, gewartet, ersetzt, patentiert, lizenziert usw. Als Medium bietet Software dieVerbindung zu Menschen und Organisationen, zu Informationen, Wissen, Leistungenusw., die von anderen Menschen erarbeitet werden bzw. wurden. Fr Softwareherstellerhat die gewhlte Sichtweise weitreichende Auswirkungen auf Design und Marketing welchem Leitbild (Produkt, Medium oder anderen) soll man folgen?

    Diese beiden Beispiele fr zentrale Fragen zur Mensch-Computer-Interaktion unter-scheiden sich zunchst in ihrem Erkenntnisinteresse, das mit den an der Diskussion be-teiligten Wissenschaften korrespondiert: die Einen (eher sozialwissenschaftlich orientier-ten) fragen nach den sozialen Auswirkungen des Umgangs mit Informationstechnik, nachden jeweiligen Ursachen und nach den Mglichkeiten soziotechnischer Gestaltung. DieAnderen (eher ingenieurwissenschaftlich orientierten) fragen nach pragmatisch umsetz-baren Vorgehensweisen fr die erfolgreiche Informationstechnikgestaltung. Beiden Frage-stellungen ist aber auch eines gemeinsam: sie mssen explizit oder implizit ein umfas-sendes Verstndnis zum Verhltnis von Mensch und Computer zugrunde legen, um ausdiesem heraus die konkreten Fragen beantworten zu knnen.

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    Auf der Suche nach einem umfassenden Verstndnis bzw. entsprechender Orientierunghat sich eine in vielerlei Hinsicht fruchtbare Zusammenarbeit verschiedener Wissen-schaften etabliert. Jedoch: bisher hat sich keine Sichtweise durchgesetzt, die von den be-teiligten Disziplinen als tragend anerkannt wird, eine geeignete Grundlage fr die inter-disziplinre Zusammenarbeit bietet und zudem in geeigneter Weise jene komplexen Ph-nomene soziotechnischer Vernetzung aufgreift, denen wir in der computervernetzten Weltheute begegnen (vgl. Explosion der Mensch-Computer-Interaktion; Ankndigung zuMensch & Computer 2001).

    Auf dem Weg zu solch einem Verstndnis versucht dieser Beitrag eines der wesentlichenHindernisse aus dem Weg zu rumen: die Gleichsetzung von Mensch und Subjekt einer-seits und von Computer (bzw. Informationstechnik) und Objekt andererseits, die spte-stens seit Ren Descartes konstituierend fr unser modernes Wissenschaftsverstndnisist. Denn wenn wir die alles dominierende Subjekt-Objekt-Dualitt berwinden, knnenwir ganz neue umfassende Antworten geben, z.B.: Software ist ein Akteur, eine agierendeEinheit, in einem Netzwerk von Menschen und Nichtmenschen. Und die Benutzung-schnittstelle ist ein Portal zu einem rumlich und zeitlich weit verzweigten Akteur-Netzwerk.

    Der erste Abschnitt dieses Beitrags verfolgt die Subjekt-Objekt-Dualitt in der Wissen-schaftsgeschichte von Socrates ber Descartes bis hin zu ihrem begrenzenden Einflu aufdas Fachgebiet Mensch-Computer-Interaktion. Im zweiten Abschnitt wird ein mglicherAusweg dieser Falle vorgestellt, basierend auf dem Ansatz des Wissenschaftsphiloso-phen und Anthropologen Bruno Latour (auch bekannt als Actor-Network Theory). AmBeispiel der Gestaltung personalisierter Benutzungsschnittstellen als Akteur-Netzwerk-Portale wird abschlieend diskutiert, welche neuen Optionen sich durch einen Wandel imwissenschaftlichen Denken fr die Gestaltung der Mensch-Computer-Interaktion bieten.

    1. Mensch und Computer in der Subjekt-Objekt-Falle

    Die Trennung von Subjekt und Objekt prziser: der Vorrang des Subjekts (Geist) vordem Objekt (Krper) ist seit der umfassenden Rezeption der Arbeiten von Ren De-scartes (franzsischer Philosoph und Mathematiker des 17. Jahrhunderts) konstituierendfr unser modernes Wissenschaftsverstndnis:

    1) Mit Ich denke, also bin ich wird der Menschen als Subjekt, als Bewutseins-Ich,unabhngig von der ueren Welt definiert sozusagen als isolierter Verstand, alsGehirn im Fass (brain-in-a-vat, Latour 1999), das sich die Frage stellt nach ab-soluter Gewissheit in der Erkenntnis ber die uere Welt. In der Konsequenz istdann das Soziale (die Gesellschaft) ein Konglomerat von dieser Art isolierten Sub-jekten, deren (gemeinsames) Agieren auf intersubjektiver Erkenntnis beruht.

    2) Komplementr dazu wird die Existenz von Materie bzw. von Objekten unabhngigvom Subjekt, als ihm zunchst beziehungslos gegenberstehend gedacht. Darauf auf-bauend entwickelten die Natur- und Ingenieurwissenschaften als ihr primres Er-kenntnisziel die Beschreibung von Gesetzmigkeiten, die das Verhalten von Naturund Technik unabhngig von Menschen erklren und prognostizieren.

    Descartes hatte selbst nicht die Absicht, die Wissenschaft zu revolutionieren, sondern sahsich in der Tradition der berlieferten Philosophie. An prominenter Stelle findet sichSubjekt-Objekt-Trennung bereits in der Auseinandersetzung zwischen Sokrates und Cal-

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    licles um Recht und Macht (in Szene gesetzt in Platos Georgias, zitiert nach Latour 1999,11): Sokrates argumentiert die Macht der Geometrie, und versteigt sich in der Aussageeine einzige kluge Personen ist fast zwangslufig 10.000 Narren berlegen. Um denPbel Athens von der Macht fernzuhalten, so Latours Analyse, wird die Wissenschaft insFeld gefhrt. Eine Wissenschaft, die unanfechtbar, gerade weil aller menschlichen Ei-genschaften entledigt dazu dient, der vermeintlichen Inhumanitt (des Pbels) Einhaltzu gebieten.

    Die Begrndung einer ueren, vom Menschen unabhngigen Welt, fhrte dann komple-mentr zur Begrndung einer inneren, subjektiven Welt, dem isolierten Verstand la De-scartes, von dem heraus die objektive Welt betrachtet wird. Die nachfolgenden Bemhun-gen der Erkenntnistheorie, diese beide Welten zu verbinden, waren von vornherein zumScheitern verurteilt, weil die Dualitt ins Leben gerufen wurde, um mit der entmensch-lichten Wissenschaft Machtansprche zu untermauern bzw. abzuwehren ein Verwen-dungszusammenhang, der sich wie ein roter Faden durch die westliche Kulturgeschichtezieht. Nach Latour (1999, 14 ff) steht dabei die Erkenntnistheorie in engem Zusammen-hang mit dem modernist settlement insgesamt, in dem Verstand, die objektive Natur,Gesellschaft und Gott die Eckpfeiler eines Ensembles markieren, in welches das moderneWissenschaftsverstndnis eingespannt ist.

    Seit Descartes hat sich natrlich viel getan. Naturwissenschaftler, Philosophen und Er-kenntnistheoretiker haben versucht, den aufgeworfenen Graben zumindest zu ber-brcken. Und gerade in den letzten Jahrzehnten haben mit der Techniknutzung verbun-dene Problemlagen zu einer Vielzahl von interdisziplinren Forschungsvorhaben gefhrt.Vernderungen in dem zugrunde liegenden Weltbild bzw. Wissenschaftsverstndnis sinddamit bisher jedoch nicht einher gegangen, auch nicht im Bereich Human-Computer-Interaction: einfhrende Standardwerke unterscheiden typischerweise zunchst derMensch und der Computer (Dix et al. 1995) oder System Engineering und HumanFactors (Shneiderman 1998). Das Interface trennt den Kosmos in zwei Hlften, deren Exi-stenz jeweils unabhngig voneinander definiert wird.

    Abb. 1: Computer als Subjekt (Autor/Quelle leider nicht bekannt, ca. 1990)

    Worin liegt nun das Problem? Die Vermenschlichung vom Computer (also unsere Inter-aktion mit dem technischen Gegenber als wre es ein Mensch) wird auch in der Wissen-schaft gern als naives Nutzerverhalten abgetan. Aber mittlerweile finden wir uns bei derComputernutzung mit einer Vielzahl von aktiven Einheiten konfrontiert, von denen per-snliche Agenten, Atavare, humanoide Roboter nur als besonders sinnfllige hervorste-chen. Diese im erkenntnistheoretischen Sinne als Subjekte zu bezeichnen wre verfehlt,schlielich bleibt ihnen das Ringen des Verstandes um die Gewissheit ihrer Welterkenntis

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    erspart (vgl. auch Abb. 1). Sie als bloe Objekte (z.B. als Produkt, Instrument oder Me-dium) zu bezeichnen, beschreibt aber auch nicht ihre spezifische Qualitt schlielichverfolgen sie ganz eigene, auf soziale Ziele bezogene Handlungs- bzw. Wirkungspro-gramme (d.h. eine selbstbezgliche Zielorientierung, die aufeinander aufbauende Aktio-nen anleitet). Auch die Automatenmetapher stt an ihre Grenzen zwar lsst sich nochdie i