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Eine zunehmende Bedeutung wird der genetischen Prä-disposition zugeschrieben, also der in der persönlichenGenomsequenz vorhandenen und vererbbaren Variation

für das Wirksamkeits- und Nebenwirkungsprol einesMedikamentes. Auch die somatischen Veränderungender Gensequenz, der Transkription und Proteinexpres-sion, die eine Zelle zu einer Krebszelle machen, variierenvon Patient zu Patient, beeinussen seine Tumorkrank-heit und damit die therapeutischen Entscheidungen fürdie «persönliche» Behandlung. Die Diskussion dieserneuen pharmakogenetischen und pharmakogenomi-schen Konzepte ist ein Hauptziel dieses Beitrages, dadiese Erkenntnisse und ihre Erfassung in molekular-diagnostischen Tests einen wichtigen Teil der Persona-lisierten Medizin ausmachen.

PharmakokinetikDie Pharmakokinetik beschreibt die Beziehung zwischender verabreichten Dosis und der im Blut erreichtenKonzentration eines Arzneimittels. Ein Grossteil dertherapeutisch verwendeten Substanzen ist lipophil, d.h.fettlöslich. Diese physikalisch-chemische Eigenschaftermöglicht das Erreichen von Zielstrukturen (z.B. Re-zeptoren) in Organen bzw. Zellen, unter anderem durcheine Überwindung der Barriere Zellmembran. DieseEigenschaft führt aber auch dazu, dass diese Substan-zen im Körper zurückgehalten werden. Um eine Aus-scheidung zu ermöglichen und unseren Körper vor der

 Akkumulation von Medikamenten zu schützen, werden

diese in hydrophilere, d.h. wasserlöslichere Moleküleumgewandelt. Dieser Prozess ndet zum überwiegen-den Teil in der Leber statt.Im Arzneimittelmetabolismus unterscheidet man ver-schiedene Phasen: In Phase I wird das Arzneimittel oxi-dativ, reduktiv oder hydrolytisch verändert. Verschiedene

Enzyme sind dafür verantwortlich, z.B. Oxydasen, Este-rasen, Amidasen oder Epoxid-Hydrolasen. Die mit Ab-stand wichtigste Gruppe ist die Familie der Cyto-chrom-P450-Monooxygenasen (CYP). Die CYP sind

Hämproteine, welche Arzneimittel unter Verbrauch desKo-Faktors NADPH und Sauerstoff hydroxilieren, d.h.eine OH-Gruppe an die chemische Struktur anhängen.Diese reaktive Gruppe wird anschliessend meist vonPhase-II-Enzymen benützt, um die Arzneimittel mitweiteren wasserlöslichen Molekülen zu konjugierenund dadurch die Ausscheidung noch weiter zu erleich-tern. Beispiele für Phase-II-Enzyme sind Sulfatasen,Glutathion-Transferasen, Acetylasen oder Glucuroni-dasen. Phase III beinhaltet keinen eigentlichen Arznei-mittelmetabolismus, sondern beschreibt den Transportvon Arzneimitteln durch die Zellmembran. Transporter-systeme spielen sowohl bei der Aufnahme als auch bei

der Ausscheidung von Xenobiotika (körperfremdenStoffen), inklusive Medikamente, eine wichtige Rolle.Mehr als 200 Gene kodieren für diese Enzyme undTransporter. Häuge Variationen oder sogenannte ge-netische Polymorphismen dieser Gene bestimmen daspersönliche Biotransformationsprol, d.h. Clearance,Halbwertszeit usw. des Arzneimittels oder seiner phar-makologisch aktiven und inaktiven Metaboliten bei einemPatienten. Sie bestimmen damit seine «pharmakologi-sche Individualität».

Pharmakodynamik

Therapeutische Stoffe entfalten ihre Wirkung durch spezi-

sche Interaktionen mit Zielstrukturen wie Rezeptorenoder Ionenkanälen. Auch diese Proteine zeigen meist gene-tisch bedingte Unterschiede in ihrer Struktur und Regula-tion mit Konsequenzen für die Wirksamkeit einer The-rapie. Ungewollte Nebenwirkungen kommen oft durchspezische oder unspezische Bindung von Arzneimittelnan andere Proteine zustande, z.B. Interaktionen mit Zel-len des Immunsystems, die zu Arzneimittelallergien füh-ren können (z.B. Abacavir [Ziagen®, Trizivir®, Kivexy/Epzicom®]) oder Carbamazepin [Tegretol®]).

Pharmakogenetische und pharmako-

genomische Grundlagen der Unterschiedein der Arzneimittelwirkung: Genvariantenund Polymorphismen

Pharmakogenetik und Pharmakogenomik beschreibenund erforschen den Einuss einzelner Gene oder desgesamten Genoms auf die individuelle Arzneimittelwir-kung. Nichtverwandte Menschen unterscheiden sich etwain 1% der Genomsequenz. Bei einer Gesamtgrösse des di-ploiden Genoms von mehr als 6 Milliarden Basenpaarenentspricht diese Variation aber immerhin etwa 60 Mil-lionen einzelner Nukleotide mit unterschiedlicher Se-quenz. Dies macht eben einen Teil der Einmaligkeit jedes

Individuums aus. Die häugsten Unterschiede sind «singlenucleotide polymorphisms» (SNP). Bis heute sind ~15 Mil-lionen SNP bekannt, die ungefähr 95% aller vermutlichvorhandenen SNP in einem Genom abdecken [8].

 Weitere Unterschiede sind struktureller Art, also Inser-tionen, Deletionen, Duplikationen, z.B. «copy number

Abbildung 1

Variation der Arzneimittelwirkung durch verschiedene persönliche und Umweltfaktoren.

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variations» (CNV). Technische Fortschritte erlauben die Analyse der häugsten 500 000 bis 1 Million SNP auf

«chips» oder «beads» zum Preis eines üblichen Labor-tests. Dies hat zu Hunderten von sogenannten GWAS(Genome-Wide Association Studies) geführt (www.genome.gov/gwastudies). Patienten mit einer bestimm-ten Krankheit oder mit einer gefährlichen Nebenwir-kung (z.B. Lebertoxizität) und entsprechende Kontroll-

gruppen können so miteinander verglichen werden.Man glaubte, damit die meisten genetischen Risikofakto-

ren für Krankheiten und individuelle Unterschiede inder Arzneimittelwirkung erfassen zu können. Wie späterin diesem Beitrag beschrieben, hat sich diese Erwar-tung nur in sehr beschränktem Masse erfüllt, anderer-seits aber auch zu sehr wichtigen Erkenntnissen geführt,die personalisierte Therapieentscheide ermöglichen.

Abbildung 2Interindividuelle Unterschiede in der Arzneimittelwirkung aufgrund genetischer Polymorphismen am Beispiel Cytochrom-P450-2D6 (CYP2D6)(modiziert nach [5]: Meyer UA. Pharmacogenetics – ve decades of therapeutic lessons from genetic diversity. Nat Rev Genet.2004;5(9):669–76. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).A  Verschiedene Genvarianten des CYP2D6 kommen in verschiedenen Häugkeiten bei Patienten vor und bestimmen aufgrund der persönli-

chen Kombination den metabolischen Phänotyp des Patienten. Die Arzneimitteldosis eines Medikaments, welches durch CYP2D6 abgebautwird, muss entsprechend diesem metabolischen Phänotyp angepasst werden.

B  «Normale», d.h. eine Medikamentendosierung, die an den häugsten metabolischen Phänotyp («Extensive metabolizer») angepasst ist,wirkt nur ungenügend in «ultrarapid metabolizer» oder erreicht eine erhöhte Blutkonzentration in «intermediate» und «poor metabolizer»,die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann.

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Pharmakokinetische Polymorphismen

Lange Zeit bevor die menschliche Genomsequenz be-kannt war, vor mehr als 50 Jahren, wurden bereits so-genannte genetische Polymorphismen der Arzneimit-telwirkung beobachtet [5]. Genetischer Polymorphismusbedeutet, dass die Variation in der normalen (gesunden)Bevölkerung mit einer gewissen Häugkeit (>1%) auf-

tritt und die Wirkung von Arzneimitteln verändert. Eintypisches Beispiel sind genetische Varianten des EnzymsGlukose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD) in Erythro-zyten, bekannt als Favismus. Wenn Träger einer Vari-ante mit verminderter Enzymaktivität gewisse Medi-kamente, z.B. Nitrofurantoin (Euradantin®, Uvamin®)

einnehmen, entwickeln sie eine Hämolyse. Mehrere derfür den Abbau von Medikamenten wichtigen Enzymewerden durch klinisch relevante Polymorphismenkontrolliert. So gibt es vom Cytochrom-P450-CYP2D6,

welches am Metabolismus von etwa 20% aller Medika-mente beteiligt ist, mehr als 80 genetische Varianten,die die Plasmakonzentration und die Wirksamkeit die-ser Medikamente beeinussen können ([9]; www.cypaleles.ki.se). Patienten, die zwei CYP2D6-Varianten geerbthaben (also eine von der Mutter und eine vom Vater),welche keine enzymatische Aktivität entfalten, metabo-lisieren Wirkstoffe entsprechend langsam und weisenals Konsequenz eine erhöhte Plasmakonzentration undein verlängertes Verweilen des Medikaments im Körperauf. Solche «homozygote» Individuen werden als «poormetabolizers» oder «langsame Metabolisierer» klassi-ziert. Da CYP aber nicht nur an der Elimination von Me-

dikamenten beteiligt sind, sondern z.B. auch an derUmwandlung von unwirksamen Medikamentenvorläu-fern («Pro-Drugs») zu therapeutisch aktiven Substanzen,ist die Wirkungsweise von Arzneimitteln, die von CYP2D6aktiviert werden müssen, in «poor metabolizers» starkabgeschwächt. Beispielsweise wird Codein CYP2D6-ab-hängig in Morphin umgewandelt, welches nach weite-ren metabolischen Schritten primär als Morphin-6-beta-Glucuronid analgetisch wirkt. Codein hat deshalb inCYP2D6-dezienten «poor metabolizers» (etwa 5–10%der Patienten) eine sehr eingeschränkte oder gar keineanalgetische Wirkung. Im Gegensatz dazu haben Men-schen mit CYP2D6-aktivierenden Polymorphismen, z.B.

CYP2D6-Genduplikationen, eine stark erhöhte Aktivitätvon CYP2D6 und werden deshalb als «ultrarapid meta-bolizers» bezeichnet. Diese Patienten reagieren entspre-chend stark auf das vermehrt aus Codein entstehendeMorphin. Aufhorchen liess der Fall eines 62-jährigenPatienten mit einer akuten Pneumonie im Universitäts-spital Genf. Neben der antimikrobiellen Behandlung er-hielt er zusätzlich 25 mg Codein dreimal täglich, umseinen Hustenreiz zu hemmen. Nach wenigen Stundenwurde er unansprechbar und musste beatmet werden.Die Ärzte vermuteten richtigerweise eine Opioid-Intoxi-kation, und die intravenöse Verabreichung von Naloxonhatte eine dramatische Wirkung auf sein Bewusstsein.

Ein nachträglich durchgeführter Gentest für CYP2D6- Varianten identizierte den Patienten als «ultrarapidmetabolizer» [10]. Besonders empndlich für vermehrtgebildetes Morphin aus Codein sind Neugeborene undKinder. Der Tod eines Neugeborenen, das vermehrtgebildetes Morphin durch die Brustmilch seiner «ultra-rapid metabolizer»-Mutter erhielt, und schwere Morphin-Intoxikationen bei Kindern, die selber «ultrarapidmetabolizer» waren, sind ebenfalls berichtet worden(Übersicht in [11]). Eine identische pharmakokinetischeSituation gilt auch für Tramadol und Oxycodon; bei bei-den Schmerzmitteln ist die Bildung des pharmakolo-gisch aktiven Metaboliten abhängig von CYP2D6. Fall-

berichte über die Situation der «ultrarapid metabolizer»bei diesen Medikamenten liegen vor, das Problem istaber weniger gut untersucht als bei Codein [11]. Zudemist bei diesen Individuen die Wahrscheinlichkeit grös-ser, dass Medikamente, die durch CYP2D6 metaboli-siert werden, in einer geringeren Plasmakonzentration

Abbildung 3

Molekulare Grundlagen von Arzneimittelinteraktionen.Verschiedene Arzneimittel und andere Xenobiotika, z.B. Rifampicin, Indinavir oderJohanniskrautextrakt, können an PXR (pregnane X receptor) und/oder CAR (constitutiveandrostane receptor), die zwei wichtigsten Regulatoren der arzneimittelinduziertenInduktion von Cytochromen P450 (CYP), binden und damit gegenseitig ihren Abbaubeschleunigen. Interaktionen können zusätzlich durch die Modulation der enzymatischenAktivität der CYP hervorgerufen werden, wie z.B. die Verlangsamung des Abbaus vonIndinavir durch CYP3A4 bei gleichzeitiger Einnahme von Verapamil oder Grapefruitsaft.

Tabelle 1. Arzneimittel für die Krebstherapie, vor deren Anwendung ein pharma-

kogenomischer Test im Tumorgewebe erforderlich ist1.

Arzneimittel Test auf

Anastrazol (Arimidex®, G2) Hormonrezeptoren

Cetuximab (Erbitux®) KRAS-Wildtyp

Crizotinib (Xalkori®) EML4-ALK-Fusion

Dasatinib (Sprycel®) BCR-ABL(Ph+)3-Translokation

Erlotinib (Tarceva®) EGFR-Mutationen

Exemestan (Aromasin®, G2) Hormonrezeptoren

Fulvestrant (Faslodex®) Östrogenrezeptoren

Getinib (Iressa®) EGFR-Mutationen

Imatinib (Glivec®) BCR-ABL (Ph+)3, PDGFa / b, c-kit

Lapatinib (Tyverb®) ErbB2-(HER2-)Expression

Letrozol (Femara®) Hormonrezeptoren

Nilotinib (Tasigna®) BCR-ABL(Ph+)3-Translokation

Panitumumab (Vectibix®) KRAS-Wildtyp, EGFR-Expression

Toremifen (Fareston®) Hormonrezeptoren

Trastuzumab (Herceptin®) ErbB2-(HER2-)Expression

Vemurafenib (Zelboraf®) BRAFV600E

1 Die erwähnten Arzneimittel unterliegen einem Pichttest in Deutschland, für Details

siehe: www.vfa.de/personalisiert (Ausnahme Crizotinib und Vemurafenib, die erst vorkurzem eingeführt wurden) und Literaturangaben im Text.

2 G = Wirkstoff auch als Generikum erhältlich.3 Ph+ = Philadelphiachromosom positiv.

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auftreten und deshalb eine verminderte oder keine the-rapeutische Wirkung erzielen können. «Ultrarapid me-tabolizer» werden von Patienten mit «normaler» CYP2D6-

 Aktivität, den sogenannten «extensive metabolizer»,

oder Patienten mit nur leicht verminderter Aktivität, den«intermediate metabolizer», unterschieden (Abb. 2x).

 Arzneimitteltransporter sind ebenfalls oft genetisch«polymorph» und beeinussen z.B. die Aufnahme eines

 Arzneimittels in der Leber oder die Überwindung derBlut-Hirn-Schranke. Durch verminderte Aufnahme inder Leber kann die Blutkonzentration ansteigen unddas Medikament toxische Wirkungen auslösen. Dies istder Fall für Simvastatin und verschiedene andere Sta-tine bei der Behandlung eines erhöhten Cholesterin-spiegels [12]. Sehr selten (ca. 1 in 10 000) tritt bei die-sen Patienten ein Syndrom mit Muskelschmerzen undMuskelschwund als Nebenwirkung der Statinbehand-

lung auf. Das Risiko, Statin-bedingt an einer Myopathiezu erkranken, wird stark erhöht durch das Vorhanden-sein einer genetischen Variante des «solute carrier or-ganic anion transporter» mit dem Namen SLCO1B1.Das Produkt von SLCO heisst «organic anion transportingpolypeptide» und ist für die Aufnahme der Statine in dieLeber verantwortlich. Die verminderte Transportkapa-zität der Variante OATP1B1*5 führt zu verminderter

 Aufnahme und damit erhöhten Blutkonzentrationenverschiedener Statine. Auch hier wäre es angebracht, beiPatienten, die bekannte Träger der OATP1B1*5-Variantesind, Cholesterin mit anderen Therapien zu senken oderein Statin, das nicht durch OATP1B1 transportiert wird,

z.B. Fluvastatin (Lescol®), zu verschreiben.

Pharmakodynamische Polymorphismen

Genetische Variation in der Expression oder den Eigen-schaften von Zielstrukturen kann zu unterschiedlicher

 Wirkung von Medikamenten führen. Ein eindrücklichesBeispiel dafür ist der Wirkstoff Getinib (Iressa®), einselektiver Inhibitor der Tyrosinkinase-Einheit des Epi-dermal-Growth-Factor-Rezeptors (EGFR) in der Be-handlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms(Non-Small Cell Lung Cancer [NSCLC]). Erste klinische

 Versuche zur Behandlung von Patienten mit NSCLCzeigten eine signikante Wirksamkeit, aber nur in etwa10–15% der behandelten Patienten – die grosse Mehr-zahl der Patienten sprach nicht auf die Behandlung an.Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, dass Ge-tinib nur dann hemmen kann, wenn ganz bestimmteSequenz-Variationen vorliegen, die diesen Rezeptor ak-tivieren. Wenn keine dieser Genvarianten in der Tumor-biopsie gefunden wird, wirkt das Medikament mitgrösster Wahrscheinlichkeit nicht [13]. In diesem Fallmacht es keinen Sinn, diese Patienten mit Getinib zubehandeln, da nur Nebenwirkungen und Kosten entste-hen. Entsprechend müssen für diese Patienten andere

medikamentöse Therapien angewandt werden. In derKrebstherapie gibt es bereits viele ähnliche Beispiele,die zu einer personalisierten Therapie und damit zuvortherapeutischen Tests verpichten (Tab. 1p).

Arzneimittel-Interaktionen

Gleichzeitig verabreichte Arzneimittel können sich inihrer Wirkung gegenseitig beeinussen, ein weiterer

Grund für interindividuelle Variation in der Arzneimit-teltherapie. Eine häuge Ursache der Interaktionen isteine Modikation des Arzneimittelmetabolismus. Einige

 Arzneimittel können ihren eigenen und den Abbau an-derer Medikamente verstärken oder «induzieren». Aucheine gegenseitige Hemmung des Abbaus ist möglich.Das Antibiotikum Rifampicin (Rimactan® oder als Kom-ponente von Kombinationspräparaten) induziert meh-rere CYP-Enzyme (CYP3A, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9,CYP2C19), aber auch Phase-II-Enzyme wie UDP-Glucu-ronosyltransferasen und Phase-III-Transporter. Weiterewichtige Medikamente, die den Arzneimittelmetabolis-mus induzieren, sind zum Beispiel Carbamazepin (Teg-

retol®), Efavirenz (Stocrin®), Ritonavir (Norvir®), Bosen-tan (Tracleer®), Etravirin (Intelence®) oder Modanil(Modasomil®). Der Mechanismus der Induktion der arz-neimittelmetabolisierenden Systeme ist mit der Ent-deckung der nukleären Rezeptoren CAR (constitutiveandrostane receptor) und PXR (pregnane X receptor)weitgehend aufgeklärt [14]. Diese Rezeptoren sindgleichzeitig Transkriptionsfaktoren und binden an dieregulatorischen Stellen der Gene, die für diese Enzymeund Transporter kodieren. Weitere Rezeptoren bestim-men die Induktion eines anderen CYP, CYP1A2, zumBeispiel durch Komponenten des Zigarettenrauchsoder durch Montelukast (Singulair®). CAR und PXR

können tatsächlich von einer erstaunlichen Vielfalt vonverschiedenen Substanzen aktiviert werden. Zu Inter-aktionen kommt es wegen der überlappenden Sub-stratspezität der Enzyme und Transporter. So führt diegleichzeitige Einnahme des Antibiotikums Rifampicinmit dem HIV-Medikament Indinavir (Crixivan®) zur schnel-leren Elimination dieser Medikamente, da beide an PXRbinden und dadurch CYP3A4 erhöhen, welches dannden Abbau von beiden Medikamenten fördert. Vor eini-gen Jahren hat das Auftreten von «miracle babies» inden USA für eine gewisse Aufregung gesorgt: Dabei istes vorgekommen, dass unerwartet häug Frauen trotzEinnahme oraler Kontrazeptiva schwanger geworden

sind. Eine genauere Untersuchung zeigte, dass dieseFrauen neben den Verhütungsmitteln auch bekannteInduziersubstanzen wie Rifampicin oder aber Johan-niskrautextrakte (entsprechende Medikamente sind inder Schweiz Hypericum®, Remotiv®, Jarsil®, Lucilium®)zur Verbesserung depressiver Symptome zu sich genom-men hatten. Hyperforin, eine Komponente von Johan-niskraut, ist ein sehr potenter Aktivator von PXR undhat dadurch den Abbau der kontrazeptiven Hormoneunter eine therapeutisch wirksame Dosis gedrückt.Johanniskrautextrakte sind ebenfalls als Ursache vonakuten Abstossungsreaktionen bei Herztransplantatenbeschrieben worden, da sie zu schnellerem Abbau von

Ciclosporin A (Sandimmun®

, Sandimmun-Neoral®

) bei-tragen [15]. Eine grosse Anzahl an Arzneimitteln kannzudem die enzymatische Aktivität von CYP direkt nega-tiv beeinussen und dadurch den Abbau anderer Medi-

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kamente, die durch dieselben CYP metabolisiert werden,verändern. Ein Beispiel dafür ist Verapamil (Flamon®,Isoptin®, im Kombinationspräparat Tarka®), ein Kal-zium-Kanal-Hemmer, der bei Angina pectoris, Herz-

insufzienz und Rhythmusstörungen eingesetzt wird. Verapamil vermindert die Aktivität von CYP3A4 undverlangsamt dadurch z.B. den Abbau von Indinavir(Crixivan®), bzw. die Plasmakonzentration von Indinavirwird erhöht. Auch in dieser Kategorie gibt es nebensynthetischen Pharmaka Substanzen, die aus Nahrungs-mitteln oder anderen natürlichen Quellen stammen,wie zum Beispiel Komponenten von Grapefruitsaft, wel-che ebenfalls eine hemmende Wirkung auf die Aktivitätvon CYP3A4 ausüben. Grapefruitsaft kann durch dieHemmung der Aktivität verschiedener CYP die Biover-fügbarkeit von Verapamil um bis zu 50% erhöhen, wäh-rend die gleichzeitige Einnahme von Johanniskraut-

extrakten eine Verminderung der Verapamilverfügbarkeitvon bis zu 80% bewirken kann, dies beruhend auf derInduktion der CYP, die für den Abbau von Verapamilverantwortlich sind. Diese Beispiele sollen zeigen, dassMetabolismus-Interaktionen Ursachen von interindivi-dueller Variabilität der Arzneimittelwirkung sein kön-nen. Informationen zum Risiko für Interaktionen sindin den Produktinformationen im Arzneimittelkompen-dium als spezielle Rubrik und in diversen Internet-Da-tenbanken gut zugänglich (http://new.compendium.ch/interactions/ia-list.aspx; Epocrates, Medscape usw.). Dieerwähnten Interaktionen sind dort dokumentiert.

Personalisierte Medizin und Personalisierte

Arzneimitteltherapie

Das Konzept der «Personalisierten Medizin» basiert aufder Tatsache, dass jeder Mensch etwas Einmaliges ist,nicht nur in Bezug auf seine Genomsequenz und epi-genetischen Eigenheiten, sondern auch in Bezug auferworbene Eigenschaften. Deshalb wäre eigentlich für

 jeden Patienten eine auf ihn zugeschnittene, sozusagenmassgeschneiderte Gesundheitsversorgung optimal.

 Wir sehen die Strategie der Personalisierten Medizin invier Stadien [16, 17]: (1.) Die präsymptomatische Dia-

gnostik und Risikoabklärung, inklusive pränataler Dia-gnostik, mit dem Ziel einer frühen Diagnose, Therapieund möglicherweise präventiven Massnahmen. (2.) Diediagnostische und prognostische Subklassizierungvon Krankheiten («persönliche» Diagnose, z.B. Gen-expressionsanalyse bei Lymphomen, Leukämien, Brust-krebs). (3.) Die individuelle, personalisierte Therapieund (4.) eine auf das Individuum bezogene Erforschungdes Resultates der ärztlichen Entscheidungen (z.B. Le-bensqualität).In diesem Beitrag kommt ausschliesslich der Aspekt derPersonalisierten Arzneimitteltherapie zur Sprache. Zielist hier, mit Hilfe moderner Diagnosetechniken für jeden

Patienten die für seine Person und seine Krankheit op-timale Arzneimitteltherapie in Bezug auf Auswahl desMedikamentes und Dosierung anzuwenden [18]. In Ta-belle 2p sind einige der heute von Behörden und Fach-gesellschaften vorgeschriebenen oder empfohlenen phar-makogenomischen Tests aufgeführt.    T  a

   b  e   l   l  e   2 .   P   h  a  r  m

  a   k  o  g  e  n  o  m   i  s  c   h  e   T  e  s   t  s  m   i   t   E  m  p   f  e   h   l  u  n  g  e  n   f   ü

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curriculum

Schweiz Med Forum 2012;12(22):425–433   432

Die Anwendung dieser Tests kann zu folgenden Vortei-len für den Patienten führen:1. Die Identizierung einer Untergruppe von Patienten,

die gut auf ein Medikament reagieren, welches in der

klinischen Studie gesamthaft betrachtet keine odernur eine geringe Wirkung gezeigt hat. Damit könnenSubstanzen, die den teuren und aufwendigen Prozessin der Arzneimittelentwicklung durchlaufen haben,bestimmten Patienten einen manchmal grossen the-rapeutischen Nutzen eröffnen. Ein Beispiel dafür istdas früher erwähnte Getinib (Iressa®), welches nurbei 10–15% der Patienten wirkt. Die dazu notwendi-gen Mutationen im Gen für den EGFR können inTumorbiopsien nachgewiesen werden [13]. Ein ähn-liches Beispiel ist das letztes Jahr eingeführte Vemu-rafenib (Zelboraf ®), ein Arzneimittel, das bei der Be-handlung des metastasierten Melanoms erstaunliche

 Wirkung zeigt, allerdings nur bei Patienten wirkt,die eine bestimmte Mutation des BRAF-Onkogens(BRAF-V600E) in den Tumorzellen haben [19]. Die-ses Konzept gilt auch für andere Medikamente, die inder Krebstherapie oder bei der Behandlung von HIV-

 AIDS-Patienten angewandt werden, und wird auchals «Stratizierte Medizin» bezeichnet. Die Patien-tenpopulation mit einer bestimmten Diagnose wirdin verschiedene Untergruppen aufgeteilt, die ver-schieden behandelt werden müssen. Das Testen vonsomatischen Genveränderungen sowie der Gen-expression im Tumorgewebe sind wichtige Entschei-dungsgrundlagen bei der heutigen Krebstherapie.

Tabelle 1 erwähnt die Medikamente, bei denen invielen Ländern ein diagnostischer Test vorgeschrie-ben ist, bevor das Medikament verabreicht werdendarf, hier zum Beispiel an den in Deutschland einem«Pichttest» unterliegenden Medikamenten für diePersonalisierte Medizin in der Onkologie (www.vfa.de/personalisiert). Da die entsprechenden therapeu-tischen Entscheidungen vorwiegend von spezialisier-ten Ärzten und nicht in der Allgemeinpraxis getrof-fen werden, sind die Details der Testverfahren hiernicht beschrieben.

2. Die Identikation von Patienten mit einem genetischdenierten Risiko für gefährliche Nebenwirkungen.

Dies gilt zum Beispiel für Abacavir (Ziagen®

, auchenthalten im Kombinationspräparat Trizivir®  undKivexa/Epzicom®), einem Hemmer der viralen Re-versen-Transkriptase, welches in der Kombinations-behandlung von HIV-Infektionen wirksam ist. Unge-fähr 5–8% der mit Abacavir behandelten Patientenentwickeln eine potentiell lebensbedrohende aller-gische Reaktion. Diese Patienten haben eine gene-tische Variante des Histokompatilibitäts-Antigensmit der Bezeichnung HLA-B*5701. Der Nachweisdieser Variante ist heute Routine; positive Patientendürfen nicht mit Abacavir behandelt werden. Seit die-ser Erkenntnis werden fast keine Hypersensitivitäts-

reaktionen mehr beobachtet – ein beindruckendesBeispiel der Personalisierten Arzneimitteltherapie ba-sierend auf pharmakogenomischen Konzepten [20].

3. Durch die Bestimmung von Genvarianten für En-zyme und andere Proteine, die die Kinetik von Arznei-mitteln beeinussen, kann die für diesen Patienten

wahrscheinlich richtige Dosis schon frühzeitig be-stimmt werden. Das Ziel ist, den Prozess der Dosis-ndung durch «trial and error» und Konzentrations-monitoring abzukürzen und damit Überdosierungen

und mangelnde Wirkung zu verhüten. Beispiele sindClopidogrel (Plavix®), Codein (Co-Dafalgan® u.a.), Aza-thioprin (Imurek® u.a.) und Mercaptopurin (Putin-Ne-thol®), Warfarin und Acenocoumarol (Sintrom®),sowie viele andere Medikamente (Literaturhinweisein Tab. 2).

Anwendung der Personalisierten Medizin

 Verschiedene Länder haben in den letzten Jahren Pro-gramme in Personalisierter Medizin als Teil ihrer Ge-sundheitspolitik eingeführt, vor allem auf dem Gebiet

der Krebstherapie. Das Institut National du Cancer(http://www.e-cancer.fr/) hat seit 2006 28 regionale Platt-formen in Frankreich etabliert, die eine Batterie von ca.20 genetischen Tests für möglichst alle Patienten mitbestimmten Krebsarten durchführen, um so die optimaleTherapie zu bestimmen. Dabei soll allen Patienten dergleiche Zugang zu existierenden und neuen Therapienermöglicht, unnötige bzw. unwirksame Therapien ver-mieden und Behandlungen mit dem besten Kosten-Nut-zen-Verhältnis gefördert werden. Die Krebsbehandlungist bei der Berücksichtigung pharmakogenomischerBiomarker tatsächlich am weitesten fortgeschritten. Vonden 31 neuen Arzneimitteln, die zwischen 2004 und

2010 in Europa zur Behandlung von 49 verschiedenenIndikationen bei Krebs zugelassen wurden, sind fast dieHälfte Substanzen, die nur bei bestimmten molekularenUntergruppen, d.h. nur bei einem Teil der Patienten,wirksam sind. Mehr als die Hälfte der anfallenden Kostender medikamentösen Krebsbehandlung in Frankreichwird durch ebendiese Medikamente verursacht (http://www.atih.sante.fr/). Laut einer Schätzung des InstitutNational du Cancer wurden als Folge dieser pharmako-genomischen Screens und der daraus resultierendenEntscheidungen die Kosten für diese Therapien markantreduziert. Von 15 000 Patienten mit Lungenkrebs wurdenentsprechend den Testresultaten nur 1724 mit Getinib

(Iressa®

) behandelt. Dabei elen neben den € 35 Mio.Kosten für die Therapie zusätzlich € 1,7 Mio. an Auf-wand für die Biomarkerdiagnostik an. Falls hingegenalle Patienten undiskriminiert behandelt worden wären,hätte dies geschätzte € 69 Mio. gekostet, obwohl dieTherapie bei den meisten Patienten nicht wirksam ist.Diese Zahlen lassen natürlich Gesundheitspolitiker auf-horchen. Ähnliche Programme der personalisiertenKrebstherapie laufen in verschiedenen Ländern odersind geplant. Im Massachusetts General Hospital inBoston werden bei jedem Patienten mit Krebs 122 Mu-tationen von 15 Genen getestet, die die Wirkung derheute verfügbaren Therapien beeinussen ([21] und

Pressemitteilungen). Norwegen hat vor kurzem ent-schieden, in den nächsten 3 Jahren als Pilotphase dieGenome von Krebszellen in allen Tumorbi-opsien zu se-quenzieren (http://cancergenomics.no), und ein ähnli-ches Programm wurde in Grossbritannien gestartet(Nature News online, 26. August 2011). In der Schweiz

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curriculum

S h i M d F 2012 12(22) 425 433 433

bieten etwa 20 Laboratorien insgesamt an die 30 ver-schiedene pharmakogenetische Untersuchungen an(www.bag.admin/gumek). Zudem betreuen die In stitutefür Pathologie die Diagnostik in Tumorbiopsien [22, 23].

Einige der hier beschriebenen pharmakogenomischenTests sind in den Produkteinformationen im Arzneimit-telkompendium erwähnt, bei vielen Medikamenten feh-len sie aber, da die Informationen oft nicht auf demneuesten Stand der Wissenschaft sind. Es sind die Fach-gesellschaften, die von Zeit zu Zeit Empfehlungen für diePraxis publizieren. Wie das Beispiel des Institut Nationaldu Cancer anhand der Krebstherapie bei gleichzeitigerKostensenkung zeigt, werden sich in Zukunft Ärzte,

 Versicherungen und Behörden in der Schweiz einerDiskussion über die adäquate Anwendung der Persona-lisierten Medizin und der Anwendung pharmakgeno-mischer Tests nicht entziehen können [24–26]. Es be-

stehen kaum Zweifel, dass die Personalisierte Medizinin der Zukunft viele, wenn nicht sogar alle Bereiche desGesundheitssystems beeinussen wird [27, 28].

Fazit und Ausblick

Grosse Fortschritte in den Technologien der Genomikhaben zu einem besseren Verständnis vieler Krankhei-ten und zu neuen Medikamenten geführt. Sie haben aucherkennen lassen, wie komplex und verschieden unserePatienten sind und wie genetische und Umweltfaktorensowohl Krankheitsrisiko, Krankheitsverlauf und Medi-

kamentenwirkung bestimmen. Wir verstehen heute vielbesser, warum viele, seit Jahren verwendete Medika-mente wie Antikoagulantien, Plättchenaggregationshem-mer, Antidiabetika wie Metformin [29] oder Antiasth-matika [30] bei vielen Patienten zwar gut wirken, beieinigen Patienten aber eben keinen therapeutischenNutzen aufweisen oder Nebenwirkungen verursachen.

 Auch wenn diese Erkenntnisse heute meist noch in klini-schen Studien auf ihre Anwendung in der Praxis unter-sucht werden oder vor allem in Spitälern und spezialisier-ten Gesundheitszentren therapeutische Entscheidungenbeeinussen, werden die verschiedenen Aspekte derPersonalisierten Medizin in Zukunft auch die tägliche

Praxis beeinussen.Einen grossen Einuss auf die Personalisierte Medizinhaben vor allem zwei Technologien der Genomik, einer-seits die Analyse von Variationen einzelner DNA-Bau-steine, sogenannter «Single Nucleotide Polymorphisms»(SNP), und andererseits die Bestimmung der gesamtenSequenz des Genoms. Neben der wichtigen Anwendungin der Erforschung von Krankheitsursachen mit Hilfevon Assoziationsstudien (sogenannter Genome-Wide As-sociation Studies [GWAS]) werden diese Technologienallerdings auch als «Gentest aus dem Internet» von ver-schiedenen Firmen mit dem Versprechen angeboten,das individuelle Risiko für häug vorkommende Krank-

heiten bestimmen zu können. Es gibt aber nur wenigeund meist eher selten auftretende Krankheiten, bei de-nen Gene allein krankheitsverursachend sind. DieseRisiko-Wahrscheinlichkeits-Analysen sind deshalb wis-

senschaftlich fragwürdig, wenig aussagekräftig und füreinen medizinischen Laien kaum interpretierbar. Sie ha-ben in der Schweiz eine grosse Kontroverse ausgelöst.Es ist voraussehbar, dass in der Zukunft die ganze oder

teilweise Genomsequenzierung viele der Tests von ein-zelnen Genen ersetzen wird [31]. Es wird dann mehrund mehr Patienten geben, deren SNP oder sogar Ge-nomsequenz bekannt ist; dies wird auch die Variantenaufzeigen, die die Pharmakogenomik und andere As-pekte der Personalisierten Medizin bestimmen. Es gibtebenfalls Voraussagen eines «integrative personal omicesprole» (iPOP), welches eine longitudinale Bestandes-aufnahme des persönlichen Genoms, Transkriptom(mRNA- und miRNA-Prol), Proteom (Gesamtheit derProteine), Metabolom (Inventur aller Metaboliten), und

 Autoantikörperpros beinhalten [32]. Es wird aberwahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis die persona-

lisierte Medizin und damit eine Fülle an Informationenin dieser Art in der Arztpraxis auftauchen werden. Wiewir alle wissen, spielt das Internet und die Informa-tionsgesellschaft auch heute schon eine immer grössereRolle in der Arzt-Patient-Beziehung. Nach einer neuenStudie der Swisscom (www.swisscom.ch/vernetzte-ge-sundheit) informieren sich 84,4% unserer Patienten voroder nach dem Arztbesuch im Internet über ihreKrankheiten oder Therapien. Patienten kommen zu-nehmend in die Praxis mit Fragen zu diesen Informa-tionen und erwarten vom Arzt, dass er diese für sieinterpretiert. Unser Beitrag soll dabei helfen, einige die-ser Fragen zu beantworten.

Korrespondenz:

Prof. Dr. phil. II Christoph Handschin

Biozentrum der Universität Basel

Div. Pharmakologie/Neurobiologie

Klingelbergstrasse 50/70

CH-4056 Basel

christoph.handschin[at]unibas.ch

Prof. Dr. med. Urs A. Meyer

Biozentrum der Universität Basel

Div. Pharmakologie/Neurobiologie

Klingelbergstrasse 50/70

CH-4056 Basel

urs-a.meyer[at]unibas.ch

Empfohlene Literatur– Chan IS, Ginsburg GS. Personalized medicine: progress and promise.

 Annu Rev Genomics Hum Genet. 2011;12:217–44.– Daly AK. Pharmacogenetics and human genetic polymorphisms. Bio-

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Die vollständige nummerierte Literaturliste nden Sie unterwww.medicalforum.ch.