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*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. März 2000 – Bundestagsdrucksache 14/3011 Schlussbericht in Verbindung mit: Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Teilbericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157) Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Teilbericht Stammzellforschung (Bundestagsdrucksache 14/7546) Deutscher Bundestag Drucksache 14/9020 14. Wahlperiode 14. 05. 2002 Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ *)

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*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. März 2000 – Bundestagsdrucksache 14/3011Schlussbericht in Verbindung mit:Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“Teilbericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157)Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“Teilbericht Stammzellforschung (Bundestagsdrucksache 14/7546)

Deutscher Bundestag Drucksache 14/902014. Wahlperiode 14. 05. 2002

Schlussberichtder Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“*)

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Drucksache 14/9020 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Vorwort

Wissen und Können der heutigen Biomedizin wachsen mit atemberaubender Geschwin-digkeit. In Grenzsituationen menschlicher Existenz, in denen man sich früher nur in derHand des Schicksals, des Zufalls oder der Allmacht Gottes wusste (Zeugung, Geburt undSterben, Krankheit und Behinderung), sind heute gestaltende Eingriffe möglich. Das löstHoffnung aus, aber auch Erschrecken.

Wo von den neuen Erkenntnissen Gutes zu erwarten ist und wo Gefahren lauern, muss un-terschieden werden. Kriterien dafür liefert dem Einzelnen die Ethik, der Gemeinschaft dasRecht. Zwischen beiden besteht keine Identität, aber eine enge Verbindung. Am deutlichs-ten wird dies im Grundrechtskatalog unserer Verfassung. Recht kann nur dann mit frei-williger Gefolgschaft rechnen, wenn es gemeinschaftsdienlichen Werten entspricht und da-rum plausibel und richtig erscheint.

Die Pluralität der Weltanschauungen in unserer Gesellschaft bringt Wertevielfalt mit sich,aber auch Werteunsicherheit. Diese wird im Fall der Biomedizin noch dadurch gesteigert,dass sich Wissenschaft heute im internationalen Verbund entwickelt und auch hier unter-schiedliche Wertordnungen zwangsläufig aufeinandertreffen. Zwischen Ablehnung undAkzeptanz, zwischen Furcht und Hoffnung entsteht gesellschaftliches Konfliktpotenzial.Gesetzliche Regelungen müssen hier Rechtssicherheit schaffen. Überzeugungskraft ge-winnen sie aber nur dann, wenn sie aus einer Debatte mit der Öffentlichkeit hervorgehenund wenn im Deutschen Bundestag um alle relevanten Gesichtspunkte gerungen wird.

Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ legt nach zwei Zwi-schenberichten nunmehr ihren Schlussbericht vor. Hinsichtlich vieler Handlungsfelder dermodernen Medizin bleiben leider noch weiße Flecken aufzuklären, weil die Zeit für derenAufarbeitung gefehlt hat. Vielleicht besteht – neben ihren Berichten – eine der wichtigstenLeistungen der Enquete-Kommission in ihrem Beitrag zu einer breit geführten öffentlichenDebatte und in der Entwicklung einer dem Thema angemessenen Streitkultur. Mit ihremSchlussbericht übergibt die Enquete-Kommission nicht nur schriftliche Ergebnisse ihrerTätigkeit, sondern vermittelt zugleich auch eine Methode, wie auf dem Hintergrund einerleidenschaftlich ausgetragenen ethischen Kontroverse Konsenssuche stattfinden kann.

Für die Arbeit in der Enquete-Kommission ist den Sachverständigen sowie den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern im Sekretariat und in den Abgeordnetenbüros zu danken.

Margot v. Renesse

Vorsitzende der Enquete-Kommission

„Recht und Ethik der modernen Medizin“

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9020

Inhal tsübersicht1

A Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

B Ethische und rechtliche Orientierungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 Menschenwürde/Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.1 Zur Begriffsgeschichte und Begründung der Menschenwürde . . . . . . . 9

1.2 Menschenwürde als Begriff des internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . 11

1.3 Menschenwürde als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.4 Inhaltliche Momente der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Exkurs: Ethische Kriterien im Umgang mit menschlichen Embryonenin vitro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2 Individual- und sozialethische Orientierungspunkte . . . . . . . . . . . . 19

2.1 Moralische Überzeugungen und ethische Kriterien als Grundlagen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.2 Konsensfähige moralische Überzeugungen und ethische Kriterien in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.3 Recht und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

C Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1 Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.2 In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . 27

1.3 Erfahrungen mit pränataler genetischer Diagnostik im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

1.4 Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

2 Genetische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2.1 Sachstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2.2 Diskussionsstand und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

2.3 Regelungsbedarf, Regelungsmöglichkeiten und Regelungsvorschläge . . . 159

2.4 Bewertungen und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

D Diskurs und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

1 Demokratische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Seite

1 In Form von Zwischenberichten wurden zudem von der Enquete-Kommission vorgelegt:– Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ – Teilbericht zu dem

Thema Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157);– Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ – Teilbericht

Stammzellforschung (Bundestagsdrucksache 14/7546).Die ausführlichen Inhaltsverzeichnisse dieser Zwischenberichte finden sich im Anhang des vorliegenden Be-richts.

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Drucksache 14/9020 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

E Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1 Regelungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.1 Allokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.2 Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 192

1.3 Sterbebegleitung und Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

1.4 Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

2 Querschnittsthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

2.1 Arzt-Patient-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

F Allgemeine Empfehlungen zur Weiterführung der Ethikdebatte . . . 205

1 Arbeitsweise und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

1.1 Begleitung von Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren . . . . . . . 205

1.2 Abstimmungs- und Darstellungsverfahren bei kontroversen Themen . . 205

2 Dialog mit der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

3 Struktur der Ethikdebatte in Deutschland und im Ausland . . . . . . 206

G Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1 Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1.1 Sondervotum der Kommissionsmitglieder Rainer Beckmann, Prof. Dr. Ludger Honnefelder, Hubert Hüppe, Dr. Otmar Kloiber,Werner Lensing, Prof. Dr. Johannes Reiter und Dr. Gerhard Scheu zu B1 Menschenwürde/Menschenrechte, letzter Satz . . . . . . . . . . . . . . 209

1.2 Sondervotum des Kommissionsmitglieds Werner Lensing zu C1.4.5.2Empfehlungen im Abschnitt Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . 209

1.3 Sondervotum des Kommissionsmitglieds Monika Knoche zum Gesamtbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

2 Beiträge einzelner Kommissionsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

2.1 Prof. Dr. Linus Geisler: Arzt-Patient-Beziehung im Wandel – Stärkungdes dialogischen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

2.2 Prof. Dr. Ernst Luther/Dr. Ilja Seifert: Gesellschaftliche Wahrnehmungvon Gesundheit/Krankheit/Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

3 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

4 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

5 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

6 Zusammensetzung der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Seite

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9020

7 Kommissionssekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

8 Übersicht über die öffentlichen Anhörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

9 Übersicht über die nichtöffentlichen Anhörungen von Sachverständigen in den Themengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

10 Übersicht über Dialog- und Diskussionsveranstaltungen . . . . . . . . . 261

11 Übersicht über Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

12 Übersicht über Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

13 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des Zwischenberichts der En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ –Teilbericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums in derBiotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157) . . . . . . . . . . . . . . . . 264

14 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des zweiten Zwischenberichts derEnquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ –Teilbericht Stammzellforschung (Bundestagsdrucksache 14/7546) 265

15 Ausführliches Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

16 Verzeichnis der Tabellen und Grafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Seite

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/9020

Aufgaben der Kommission

Die fortschreitenden Entwicklungen in Biologie und Me-dizin werfen grundsätzliche ethische und rechtliche Fra-gen und Probleme auf, die erheblichen gesellschaftlichenDiskussionsbedarf hervorrufen und eine Herausforderungfür den Gesetzgeber darstellen.

Der Deutsche Bundestag hat vor diesem Hintergrund mitZustimmung aller Fraktionen am 24. März 2000 die En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medi-zin“ mit dem Auftrag eingesetzt, unter Berücksichtigungethischer, verfassungsrechtlicher, sozialer, gesetzgeberi-scher und politischer Aspekte die Fortschritte der Medizin,die Forschungspraxis sowie die daraus resultierendenFragen und Probleme zu untersuchen und grundlegendeund vorbereitende Arbeiten für notwendige Entscheidun-gen des Deutschen Bundestages zu leisten. Insbesonderesollte die Kommission „Empfehlungen für die ethischeBewertung, für Möglichkeiten des gesellschaftlichenUmgangs sowie für gesetzgeberisches und administrati-ves Handeln in Bezug auf medizinische Zukunftsfragen“erarbeiten.

Im Einzelnen gehörte es zum Auftrag der Enquete-Kom-mission (Bundestagsdrucksache 14/3011),

„den Sachstand über wichtige derzeitige und zukünf-tige Entwicklungen und daraus resultierende Problemein der modernen medizinischen Forschung, Diagnos-tik und Therapie unter Einbeziehung ethischer, verfas-sungsrechtlicher, sozialer, gesetzgeberischer und poli-tischer Aspekte darzustellen;

die zugehörige Forschungspraxis zu untersuchen undinsbesondere auf gesetzlich nur unvollständig gere-gelte Bereiche hinzuweisen;

Kriterien für die Grenzen der medizinischen For-schung, Diagnostik und Therapie sowie ihrer Anwen-dungen zu entwickeln, die das unbedingte Gebot zurWahrung der Menschenwürde beinhalten.“

Darüber hinaus war es der Wunsch des Parlaments, dasssich die Kommission an der Beratung von Gesetzesvorha-ben und an der Vorbereitung von Entscheidungen desDeutschen Bundestages beteiligen sollte, die das Arbeits-programm der Kommission betrafen. Außerdem sollte siedurch ihre Arbeit zu einer Vertiefung des öffentlichen Dis-kurses über die mit der Entwicklung und Anwendung derBiotechnologie und der modernen Medizin verbundenenFragen beitragen.

Zusammensetzung der Kommission

Der Kommission gehörten 13 parlamentarische Mitglie-der sowie 13 sachverständige Mitglieder an, die weder demBundestag noch der Bundesregierung angehören durften.

Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben für die13 Parlamentarierinnen und Parlamentarier 13 stellvertre-tende Mitglieder benannt. Die Kommissionsmitgliedersind von den im Deutschen Bundestag vertretenen Frak-tionen benannt und vom Präsidenten des Deutschen Bun-destages berufen worden.2

Zur Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Recht undEthik der modernen Medizin“ wurde die AbgeordneteMargot v. Renesse (SPD), zum stellvertretenden Vorsit-zenden der Abgeordnete Hubert Hüppe (CDU/CSU) be-stimmt.

Die Verwaltung des Deutschen Bundestages hat ein Se-kretariat zur organisatorischen und wissenschaftlichenBegleitung der Enquete-Kommission eingerichtet.3

Arbeitsweise der Kommission

Die Kommission hat zu Beginn ihrer Beratungen drei zen-trale Bereiche der modernen Medizin für ihre Arbeit aus-gewählt, die jeweils von einer Themengruppe der Kom-mission bearbeitet wurden:

– Reproduktionsmedizin und Embryonenschutz (The-mengruppe 1);

– Angewandte medizinische Forschung/Neue diagnosti-sche und therapeutische Methoden (Themengruppe 2);

– Genetische Daten (Themengruppe 3).

Die Themengruppen haben auf Basis intensiver Diskus-sionen und ausführlicher Gespräche mit externen Sach-verständigen Entwürfe für die entsprechenden Berichts-kapitel der Kommissionsberichte vorbereitet. Diese in 25 (Themengruppen 1 und 3) bzw. 30 (Themengruppe 2)Sitzungen der Themengruppen erarbeiteten Entwürfe umfassten neben einer Darstellung des Sach- und Diskus-sionsstandes Vorschläge für eine Bewertung sowie fürEmpfehlungen zu den Themenbereichen.

Die Entwürfe der Berichtsteile aus den Themengruppensowie weitere von Mitgliedern der Kommission vorberei-tete Arbeitsunterlagen dienten als Grundlage der weiterenBeratungen in insgesamt 37 Sitzungen des Plenums. DieKommission votierte am 29. April 2002 einstimmig fürdie Annahme ihres Abschlussberichts und schloss damitihre Beratungen ab.

Neben den Kenntnissen und Erfahrungen ihrer Mitgliederkonnte die Kommission bei ihrer Arbeit auch vielfältigeexterne Informationsquellen nutzen:

A Einleitung

2 Vgl. zur Benennung der Mitglieder § 56 Abs. 2 Geschäftsordnungdes Deutschen Bundestages. Vgl. zur Zusammensetzung der Enquete-Kommission G Anhang, 6.

3 Vgl. zum Kommissionssekretariat G Anhang, 7.

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Drucksache 14/9020 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1. Öffentliche Anhörungen und Informationsgespräche

Die Kommission lud zu vier öffentlichen Anhörungenein. Mit der öffentlichen Anhörung „EuropäischerDiskurs zu ethischen Fragen der modernen Medizin“am 19. November 2001 war dabei zugleich die Hoff-nung verbunden, zu einer weiteren internationalenVernetzung der Diskurse über biopolitische Fragenbeitragen zu können.4

2. Gespräche mit externen Sachverständigen

Die Themengruppen der Kommission haben zwischenMai 2000 und April 2002 im Rahmen von insgesamtzehn nichtöffentlichen Sitzungen externe Sachver-ständige zu Informationsgesprächen eingeladen.5

3. Schriftliche Stellungnahmen externer Sachverständiger

Zur Vorbereitung öffentlicher und nichtöffentlicherAnhörungen und Informationsgespräche hat die Kom-mission externe Sachverständige um schriftliche Stel-lungnahmen gebeten.

4. Gutachten

Die Kommission hat insgesamt sieben Gutachten zuzentralen Problemfeldern in Auftrag gegeben.6

5. Delegationsreisen

Der Sammlung von Informationen über den Diskussi-onsstand bzw. den Umgang mit biopolitischen Fragendienten schließlich auch Delegationsreisen. Mitglie-der der Kommission reisten vom 23. April 2001 bis1. Mai 2001 in die USA. Eine weitere Gruppe derKommission reiste vom 17. bis 22. September 2001nach Großbritannien und Island.

Zwischenberichte

Im Verlauf ihrer Arbeit hat die Enquete-Kommission zweiZwischenberichte vorgelegt:

1. Teilbericht zu dem Thema „Schutz des geistigen Ei-gentums in der Biotechnologie“

Der Erste Zwischenbericht, der im Januar 2001 fertig-gestellt wurde, trug den Titel „Teilbericht zu demThema Schutz des geistigen Eigentums in der Bio-technologie“ (Bundestagsdrucksache 14/5157). DieKommission nahm die Vorarbeiten zur Umsetzung derBiopatent-Richtlinie der Europäischen Union in deut-sches Recht zum Anlass, die Ergebnisse ihrer Bera-tungen über die künftige Entwicklung des Schutzesbiotechnologischer Erfindungen vorzustellen.

2. Teilbericht „Stammzellforschung“

Im November 2001 übergab die Kommission demBundestag ihren Zweiten Zwischenbericht mit dem

Titel „Teilbericht Stammzellforschung“ (Bundestags-drucksache 14/7546). Grundlage für diesen Berichtwar ein Auftrag des Parlaments vom 5. Juli 2001. Da-mals hatte der Bundestag festgelegt, sich noch im lau-fenden Jahr mit der Frage der Forschung an impor-tierten, humanen und pluripotenten embryonalenStammzellen zu befassen und dabei eine Stellung-nahme der Enquete-Kommission zu berücksichtigen(Bundestagsdrucksache 14/6551).

Gutachtliche Stellungnahme

Da die Kommission sich auftragsgemäß bereits währendder laufenden Wahlperiode an der Vorbereitung von Ent-scheidungen des Bundestages beteiligen sollte, gab sie imFebruar 2002 eine gutachtliche Stellungnahme zu demEntwurf für ein Stammzellgesetz7 ab.

Öffentlichkeit

Die Kommission war vom Deutschen Bundestag damit be-auftragt worden, die betroffenen gesellschaftlichen Grup-pen, Institutionen und Verbände sowie die Kirchen beiihren Beratungen angemessen zu berücksichtigen und ei-nen Beitrag zur Vertiefung des öffentlichen Diskursesüber die medizinischen Zukunftsfragen zu leisten.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, organisierte dieKommission mehrere öffentliche Dialogveranstaltungen,die Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie fachlich Inte-ressierten und Interessengruppen die Möglichkeit bietensollten, mit den Mitgliedern des Gremiums ins Gesprächzu kommen.

Die erste öffentliche Dialogveranstaltung der Kommis-sion fand am 11. Dezember 2000 in Bethel statt und warden Themen „Wie sollte moderne Medizin aussehen?“und „Nichteinwilligungsfähigkeit und medizinische For-schung“ gewidmet.

Gegenstand einer zweiten Dialogveranstaltung am 26. März 2001 in der Humboldt-Universität zu Berlin wardas Thema „Umgang mit genetischen Daten“.

Eine dritte öffentliche Dialogveranstaltung der Kommis-sion fand am 2. Juli 2001 in der Friedrich-Schiller-Uni-versität Jena statt. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungstanden das „Arzt-Patient-Verhältnis“ sowie das Thema„Hospiz, Sterbebegleitung und Sterbehilfe“.

Um die interessierte Öffentlichkeit in die Diskussionender Enquete-Kommission besser mit einbeziehen zu können, nutzte die Kommission mit der Einrichtung vonOnline-Foren und der Durchführung von Online-Konfe-renzen darüber hinaus die Möglichkeiten des Internet.Unter der Adresse www.bundestag.de/medizin bot sievielfältige Dokumente und Informationen elektronischabrufbar an.

4 Vgl. Übersicht über öffentliche Anhörungen G Anhang, 8.5 Vgl. Übersicht über nichtöffentliche Anhörungen von Sachverstän-

digen in den Themengruppen G Anhang, 9.6 Vgl. Übersicht über Gutachten G Anhang, 11.

7 Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolf-MichaelCatenhusen, Andrea Fischer (Berlin) u.a., Entwurf eines Gesetzeszur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mitEinfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen(Stammzellgesetz – StZG) (Bundestagsdrucksache 14/8394).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/9020

1 Menschenwürde/MenschenrechteDie Menschenwürde und die aus ihr folgenden Grund-und Menschenrechte bilden den grundlegenden Maßstabzur ethischen und rechtlichen Bewertung der modernenMedizin. Der Deutsche Bundestag hat mit der Einsetzungder Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernenMedizin“8 und in seiner Grundsatzdebatte am 31. Mai2001 zur Biotechnologie und zur modernen Medizin(Plenarprotokoll 14/173) die Verbindlichkeit der Men-schenwürde für die Biomedizinpolitik unterstrichen. Inder Auseinandersetzung um die ethischen und rechtsethi-schen Bewertungskriterien der neuen medizinischenMöglichkeiten wird vielfach auf Menschenwürde undMenschenrechte Bezug genommen.9

Wie aus den Texten des Europarates, der UNESCO undder Vereinten Nationen zu Fragen der Bioethik hervor-geht, spielt der Gedanke der Menschenwürde und derMenschenrechte auch in der internationalen Auseinander-setzung mit den Fragen der Biomedizin eine besondereRolle. Ausgehend vom angelsächsischen Raum werdenneben deontologischen, d. h. vom Gedanken der Pflichtausgehenden Ansätzen auch konsequenzialistische, d. h.von einer ausschließlichen Bewertung der Handlungsfol-gen ausgehende Ansätze vertreten.10 Die Schwierigkeiteneiner Urteilsbildung, die von der Menschenwürde ausgeht,entstehen, weil der Begriff selbst in unterschiedlichen Kon-texten verwendet wird. Es gibt eine lange philosophischeDiskussion, verfassungsrechtliche Auslegungen und eineumgangssprachliche Verwendung, die nicht deckungsgleichsind. Der Begriff der Würde des Menschen und eines damitverbundenen sittlichen Anspruchs wird von einigen Bioethi-kerinnen und Bioethikern explizit zurückgewiesen, weil sieauf weltanschaulichen Überzeugungen beruhen, für die esin einer säkularisierten Gesellschaft keine Grundlage mehrgebe.

Demgegenüber geht die Enquete-Kommission davon aus,dass es auch in einer säkularisierten Gesellschaft allge-mein verbindliche Prinzipien des Handelns geben muss,die der Güterabwägung im Einzelfall vorgegeben sind,und dass die Konzepte der Menschenwürde und der Men-schenrechte einen unverzichtbaren Rahmen für die ethi-

sche und rechtsethische Auseinandersetzung mit den Fra-gen der modernen Medizin darstellen.

1.1 Zur Begriffsgeschichte undBegründung der Menschenwürde

In der antiken Philosophie wird der Begriff der Würde inzwei unterschiedlichen Kontexten gebraucht.11 Zum ei-nen bezeichnet „Würde“ den herausgehobenen Rang ei-nes Menschen in der Gesellschaft. Würde wird vor allemals Leistung des Einzelnen wie auch als Ausdruck seinerFunktion in der Gesellschaft verstanden. Insofern gibt esein Mehr oder Weniger an Würde. Dieses Verständnis ent-spricht einer Leistungstheorie der menschlichen Würde.

Bereits in der Antike gibt es jedoch auch den Gedanken,dass „Würde“ dasjenige ist, was den Menschen gegenübernichtmenschlichen Wesen auszeichnet und somit jedemMenschen zukommt und unverlierbar ist. Es handelt sichhier um einen universalistischen Begriff menschlicherWürde, insofern er alle Menschen als Menschen um-schließt.

Nach christlichem Verständnis ist der Mensch von Gottals dessen Ebenbild geschaffen.12 Die Würde des Men-schen gründet nach dieser Auffassung in der Gotteseben-bildlichkeit des Menschen und seiner unmittelbaren Be-ziehung zu Gott, die auch durch die MenschwerdungGottes in Jesus Christus bestätigt wird.

In der Renaissance betont der italienische Humanist Picodella Mirandola in Verbindung mit dem Gedanken derGottesebenbildlichkeit des Menschen die Idee der Frei-heit. Die Würde des Menschen beruhe auf seiner Mög-lichkeit, im Vollzug der Freiheit sich selbst hervorzubrin-gen.

Mit Neuzeit und Aufklärung rückt der Gedanke derSelbstbestimmung des Menschen durch Vollzug der ihmeigenen Vernunft in den Mittelpunkt. Für den französi-schen Philosophen Blaise Pascal ist es die Bestimmungdes Menschen als denkendes Wesen, die seine Würde be-gründet. Samuel Pufendorf, dessen Lehre Einfluss auf dieamerikanische Erklärung der Menschenrechte von 1776hatte, verbindet diesen Gedanken der Vernunftbegabungmit dem der Gleichheit aller Menschen, da allen Men-schen als solchen diese Eigenschaft zukomme.

Eine wichtige Stellung nimmt der Begriff der Menschen-würde sodann in der Philosophie Immanuel Kants ein.Dieser greift den aus der jüdisch-christlichen Traditionkommenden Begriff der Menschenwürde auf und gibt ihm

B Ethische und rechtliche Orientierungspunkte

8 Die Kommission hat insbesondere „Kriterien für die Grenzen dermedizinischen Forschung, Diagnostik und Therapie sowie ihrer An-wendungen zu entwickeln, die das unbedingte Gebot zur Wahrungder Menschenwürde beinhalten” (Bundestagsdrucksache 14/3011).

9 Baumgartner et al. 1997; Benda 2001; Braun 2000b; Braun 2001b;Dörr et al. 2000; Geyer 2001; Graumann 2001a; Höffe 2001; Knoepffler/Haniel 2000; Lauffs 2001; Luther 2001b; Reiter 2001;Rendtorff 2000; Schneider 2000; Schwartländer 1998; Spaemann2001a; Werner 2000 u. a.

10 Auch in Deutschland wird dieser Ansatz vertreten (Birnbacher 1997;Hoerster 1995; 1998; Merkel 2001).

11 Zur Begriffsgeschichte vgl. Horstmann 1980, S. 1126 mit weiterenHinweisen; Spaemann 1987; Bayertz 1999.

12 Genesis 1, 26–27.

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eine säkularisierte, über den religiösen Kontext hinausGültigkeit beanspruchende Fassung.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Begriff derMenschenwürde zu einem politischen Leitbegriff der Ar-beiterbewegung. Die Forderungen nach einem menschen-würdigen Dasein und nach menschenwürdigen Zuständengehören zu den Hauptanliegen der frühen Sozialisten. Fürden deutschen Philosophen und Gesellschaftskritiker KarlMarx endet die

„Kritik der Religion (...) mit der Lehre, dass derMensch das höchste Wesen für den Menschen sei, alsomit dem categorischen Imperativ, alle Verhältnisseumzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtlichesWesen ist.“13

In der deutschen Rechtstradition kommt der kantischenBegründung der Menschenwürde eine besondere Bedeu-tung zu. Kant unterscheidet im Bereich menschlicherZwecksetzungen zwischen dem, was einen Preis, unddem, was eine Würde hat:

„Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwasanderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegenüber allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalentverstattet, das hat eine Würde.“14

Einen Preis haben heißt, durch etwas anderes ersetzt unddamit als Mittel für anderes verwendet werden zu können;dagegen meint Würde haben, ein Zweck an sich zu sein.Nur ein Wesen, das in der Lage ist, sich selbst Zwecke zusetzen, kommt als letzter Bezugspunkt, als Selbstzweckjeder Zwecksetzung in Frage. Der Grund dafür, dass diemenschliche Natur Würde hat, ist nach Kant die sittlicheAutonomie des Menschen, d. h. seine Möglichkeit, inFreiheit sich dem sittlichen Gesetz zu unterwerfen, alsosittlich sein zu können. Es ist die Fähigkeit des Menschenzur Moral, die den Grund der Menschenwürde ausmacht.

Menschenwürde zu haben bedeutet nach Kant, den An-spruch zu besitzen, „jederzeit zugleich als Zweck, niemalsbloß als Mittel“15 gebraucht, d. h. nicht im Kern der Personinstrumentalisiert zu werden. Kein Mensch darf als bloßesMittel der Verwirklichung von Zwecken anderer behandeltwerden. Das Subjekt der Menschenwürde darf nicht zumbloßen Objekt der Verfügung eines fremden Willens ge-macht werden. Ferner darf die Würde eines jeden Menschennicht gegen andere Zwecke verrechnet werden – sonst wäresie keine Würde, sondern nur ein Wert unter anderen.

Eine andere Interpretation Kants stützt sich auf den Be-griff der Menschheit16, den Kant als regulative Idee derMenschheit in der Person als eine uns aufgegebene Pflichtentwickelt, und die kantische Geschichtsphilosophie. DieVernunft könne sich nicht im einzelnen Menschen, son-

dern nur in der Menschheit insgesamt als Gattung vollentwickeln. Es sei die „Idee der Menschheit“, die in jedemMenschen verkörpert sei und die ihn zum Träger vonWürde mache.

Der Gedanke der Menschenwürde ist auch kritischen Ar-gumenten ausgesetzt, die sich zum einen auf den inhaltli-chen Gehalt und die Begründung der Menschenwürdebzw. der ihr zugrunde liegenden moralphilosophischenKonzeption Immanuel Kants, und zum anderen auf dieReichweite der Menschenwürde am Anfang und am Endedes Lebens beziehen.

So wurde eingewendet (Arthur Schopenhauer17 u. a.), derBegriff der Menschenwürde habe keinen eigenständigennormativen Gehalt und verbinde zudem verschiedene undeinander widersprechende moralische Rechte (Menschen-rechte). Doch zeigt sich gerade bei Kollision von Grund-rechten (z. B. in der Diskussion über Sterbehilfe, wo eineSpannung zwischen Selbstbestimmungs- und Lebensrechtbesteht), dass es von Bedeutung ist, neben den einzelnenGrundrechten die Unverletzlichkeit der Menschenwürdeals eigenen moralischen oder rechtlichen Anspruch fest-zuhalten und mit ihr den normativen Grund zu benennen,aus dem sich die einzelnen Menschenrechte ableiten, ge-geneinander abgrenzen und weiter entwickeln lassen.

Eingewendet wurde auch, Kants Begriff der Würde stützesich auf ein Konzept von Autonomie und transzendenta-ler Freiheit, das nur um den Preis kontroverser metaphy-sischer Annahmen zu begründen sei.

Aus dieser Einsicht heraus wurden in der Moralphiloso-phie zwei Wege beschritten. Der eine verzichtet auf jegli-che Moralbegründung; der andere sucht eine säkulare Be-gründung der Moral. Der erste Weg hat sich, auch wenn ervon vielen zeitgenössischen Bioethikerinnen und Bioethi-kern vertreten wird, als unzureichend herausgestellt, weiler sich nicht dazu eignet, Handlungsanleitungen in stritti-gen Fragen zu geben: Aus dem faktischen Verhalten vonMenschen allein können keine Aussagen über dessen nor-mative Richtigkeit gefolgert werden. Zum anderen kannauf solche Aussagen aber nicht ganz verzichtet werden.Zwar kann es in manchen Fällen sinnvoll sein, die Frageder Gültigkeit konkreter moralischer Normen offen zu las-sen, wenn sie auf direktem Wege schwer zu klären ist, undsich auf die Plausibilität der Normen mittlerer Reichweitebzw. auf Begründungen aus Kontext oder Verfahren zu be-schränken, doch hebt dies die vorausgesetzte Verpflich-tungskraft moralischer Normen und die Rechtfertigungsbe-dürftigkeit sowie deren prinzipielle Einlösbarkeit nicht auf.Die moralische Kommunikation kann daher auf den Rück-griff auf begründete Werte und Normen nicht verzichten.

Auch moderne Ethiken halten daher an der Begründbar-keit der Moral fest, wobei es strittig ist, ob diese Be-gründbarkeit durch Rekurs auf ein Unbedingtes, Letzt-gültiges (Karl-Otto Apel18, Alan Gewirth19 u. a.) oder auf

13 Marx 1982, S. 177.14 Kant 1980, S. 68.15 Kant 1980, S. 61.16 Braun 2000b, S.67 ff.

17 Schopenhauer 1988, S. 412.18 Apel 1988.19 Gewirth 1978.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/9020

die beste erreichbare Plausibilität (Ernst Tugendhat20 u. a.)oder auf jene Voraussetzungen eingelöst werden kann, diein jedem Diskurs unterstellt werden (Jürgen Habermas21,Karl-Otto Apel22). In der ersten und letzten Position wirdauf Kant zurückgegriffen, insofern bereits Kant von derAnnahme ausgeht, dass in allen moralischen Verpflich-tungsurteilen die Gültigkeit moralischer Verpflichtungvorausgesetzt wird und allein durch Rückgriff auf das„Faktum“ der moralisch urteilenden Vernunft aufgewie-sen werden kann.

Jürgen Habermas weist zu diesem Zweck auf die morali-sche Kommunikation hin: Diese tritt an die Stelle der Ver-nunft des einzelnen Menschen und dessen moralischerGesetzgebung. In der moralischen Kommunikation ent-scheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über dieGeltung moralischer Normen aufgrund allgemein zustim-mungsfähiger Argumente. Ein Konsens über die Geltungeiner Norm ist erreicht, wenn alle potenziell Betroffenenihr zwanglos zustimmen könnten. Auf diese Weise wirddeutlich, dass sich die Begründung der Moral auf die An-nahme jener Verpflichtungen stützen sollte, die wir alsvernünftig handelnde Wesen gar nicht sinnvoll bezwei-feln können, weil wir sie kommunikativ handelnd immerschon voraussetzen.

Einige neuere Einwände gegen die Menschenwürdekon-zeption stellen die Möglichkeit einer universalistischenMoralkonzeption grundsätzlich in Frage.

Von einigen Feministinnen wurde beispielsweise einge-wendet, die Menschenwürdekonzeption von Kant beruheauf der Fiktion eines freien und unabhängigen Vernunft-subjekts. Sie entspreche daher einem „typisch männli-chen“ Blick auf das Phänomen der Moralität. Diese Kri-tik ist darauf gerichtet, dass moralische Normen immermachtgetragen bzw. machtorientiert seien und damit hier-archische Machtbeziehungen beispielsweise zwischen denGeschlechtern konstituierten bzw. aufrechterhielten. Al-lerdings bezieht sich auch die Kritik hierarchischer Macht-verhältnisse auf eine normative Forderung, die letztlich inder Menschenwürde begründet ist, nämlich die, dass fürdie gleiche Achtung der Rechte von Menschen gerechtegesellschaftliche Verhältnisse notwendig sind.23

Ein weiterer, häufig gemachter Einwand bestreitet, dasses absolute Werte, Normen oder Prinzipien wie die Men-schenwürde und die in ihr fundierten Grundrechte gebenkann. In der Gegenwart könnten Werte und Normen keineunumstößliche Geltung mehr beanspruchen, sondern le-diglich eine kulturell relative. Es gebe nicht eine univer-

selle Moral, sondern viele kulturspezifisch geprägte Mo-ralen. Werde ein westliches Moralverständnis kantischerPrägung zum international verbindlichen Maßstab erklärt,würden damit die Moraltraditionen anderer Kulturen abge-wertet. Auch dieser Einwand rekurriert allerdings auf eineuniversalistische Norm, nämlich die der gleichen Achtungder unterschiedlichen kulturellen Sozialisation von Men-schen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich auch beiinterkulturellen Konflikten die von Schädigungen betroffe-nen oder bedrohten Menschen in der Regel nicht auf dieAchtung kulturspezifischer Rechte, sondern auf die Ach-tung universeller Rechte (subjektiver Grundrechte) beru-fen, die wiederum in der Menschenwürde begründet sind.

Die Enquete-Kommission vertritt die Meinung, dass ge-rade auch bezüglich der Kritik von geschlechts- und kul-turspezifischen Ungleichbehandlungen auf die Anerken-nung der Geltung der in der Menschenwürde begründetensubjektiven Rechte nicht verzichtet werden kann.

Strittig ist der Geltungsbereich der Unverletzlichkeit derMenschenwürde, der deutlich wird in der Frage: „Wer istTräger der Menschenwürde?“ So wird von einigen dieBindung der Geltung der Menschenwürde an die Zu-gehörigkeit zur menschlichen Gattung und ihre Ausdeh-nung auf den ungeborenen Menschen bis hin zur befruch-teten Eizelle als unzulässige Naturalisierung betrachtet.Dabei wird übersehen, dass sich diese Bindung der Würdean das menschliche Lebewesen und die Ausdehnung aufden ungeborenen Menschen aus dem normativen An-spruch der Menschenwürde ergibt, sie dem Menschen alsMenschen unabhängig von allen weiteren Eigenschaftenzuzuschreiben.24 Die Beweislast ist demzufolge von demEinschränkenden zu übernehmen. Daher kann es nicht da-rum gehen, wem Menschenwürde zukommt, sondern wemsie begründet abgesprochen werden kann. Alle Versuche,dahin gehend Grenzen zu ziehen, welchen Menschen keineoder auch „mehr oder weniger“ Menschenwürde zukommt,sind problematisch. Alle empirischen Kriterien, die für der-artige Grenzziehungen angeführt werden, rekurrieren aufFähigkeiten wie etwa Empfindungsfähigkeit, Leidens-fähigkeit, Selbstbewusstsein, Rationalität, Kooperations-fähigkeit oder die Fähigkeit zur Selbstachtung. Solche Kri-terien sind immer mehr oder weniger willkürlich undführen zu moralisch fragwürdigen Konsequenzen. Auchein Neugeborenes beispielsweise besitzt noch kein Selbst-bewusstsein und würde auch unter einer schmerzfreien Tö-tung nicht leiden. Dasselbe gilt für schwer geistig behin-derte, komatöse und demente Menschen. Deshalb mussdavon ausgegangen werden, dass Menschenwürde wedermit der Zeit erworben werden noch wieder verloren gehenkann.

1.2 Menschenwürde als Begriff des internationalen Rechts

Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen der na-tionalsozialistischen Schreckensherrschaft hat der Wür-debegriff Eingang in das internationale Recht gefunden.

20 Tugendhat 1993.21 Habermas 1991.22 Apel 1988.23 Berechtigung hat diese Kritik, wenn sie auf eine vertragstheoretische

Moralkonzeption bezogen ist, die auf der Prämisse basiert, dass esfür ein Moralsubjekt rational geboten sei, sich geltenden Regeln zuunterwerfen, um die eigenen Rechte gewahrt zu wissen. Hier würdenalle Menschen aus dem Kreis derjenigen, die in moralischer Hinsichtzu berücksichtigen sind, herausfallen, die aufgrund eingeschränkterFähigkeiten oder gesellschaftlicher Ausgrenzung nicht dazu in derLage sind, andere zu schädigen. 24 Spaemann 1996; 2001b, S. 417-428.

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Drucksache 14/9020 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

So heißt es in der Präambel der Allgemeinen Erklärungder Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, dass

„die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschli-chen Familie innewohnenden Würde und ihrer glei-chen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage derFreiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Weltbildet.“

Die Vereinten Nationen folgen damit einem universalisti-schen Verständnis von Menschenwürde. Würde kommtdem Menschen bereits als Mitglied der Gattung „Mensch“zu („Mitglied der menschlichen Familie“). ZusätzlicherBedingungen, Leistungen oder Voraussetzungen bedarf esnicht. Auch in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte wird der Begriff der Würde aufgegriffen,wenn es heißt:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde undRechten geboren.“

Der Nürnberger Kodex von 1947, der Teil des Urteils desNürnberger Ärzteprozesses ist, stellt eine Antwort auf dieSchrecken der Nazi-Medizin dar. Sein Grundsatz:

„Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson istunbedingt erforderlich“,25

ist unter anderem eine Konkretisierung des im Menschen-würde-Gedanken enthaltenen Instrumentalisierungsverbo-tes.26

Das Erfordernis der informierten Zustimmung ist auch imInternationalen Pakt über bürgerliche und politischeRechte (Zivilpakt) von 1966 festgehalten. Der Zivilpaktstellt eine Konkretisierung der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte dar und überführt deren Grundsätze ingeltendes Völkerrecht. In Art. 7 des Zivilpaktes wird aus-drücklich festgehalten, dass Menschenversuche ohne freieZustimmung eine Menschenrechtsverletzung darstellen:

„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschli-cher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe un-terworfen werden. Insbesondere darf niemand ohneseine freiwillige Zustimmung medizinischen oderwissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.“

Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechteund der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendungvon Biologie und Medizin: Menschenrechtsübereinkom-men zur Biomedizin des Europarates vom 4. Oktober 1997nimmt sowohl den Begriff der menschlichen Würde alsauch den Schutz des Menschen als Gattungswesen inseine Präambel auf:

„Convinced of the need to respect the human beingboth as an individual and as a member of the humanspecies and recognising the importance of ensuringthe dignity of the human being (...).“

Auch in Art. 1 des Menschenrechtsübereinkommens zurBiomedizin wird der Menschenwürdeschutz verankert:

„Parties to this Convention shall protect the dignity andidentity of all human beings and guarantee everyone,without discrimination, respect for their integrity andother rights and fundamental freedoms with regard tothe application of biology and medicine.“

An den Bestimmungen zur fremdnützigen Forschung anNichteinwilligungsfähigen, die gemäß dem Menschen-rechtsübereinkommen zur Biomedizin in Ausnahmefällenzulässig sein soll, haben sich im Deutschen Bundestagund in der Gesellschaft heftige Kontroversen entzündet.

Als jüngstes Dokument des internationalen Rechts hatauch die EU-Grundrechtscharta den Begriff der mensch-lichen Würde aufgenommen. Dort heißt es in Artikel 1:

„The dignity of the human person must be respectedand protected.“

Dieser Artikel wird in der offiziellen deutschen Überset-zung mit „Die Würde des Menschen ist zu achten und zuschützen” wiedergegeben.

1.3 Menschenwürde alsVerfassungsgrundsatz

In der Bundesrepublik Deutschland bildet die Menschen-würde den „Mittelpunkt des Wertsystems der Verfas-sung“27 und die Basis sowie den Geltungsgrund der Grund-rechte. Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes istdreierlei: Sie ist Maßstab für alle Auslegungsentschei-dungen geltenden Rechts, Ziel allen staatlichen Handelnsund Grund für die Grundrechte, die dem Einzelnen zuge-sprochen werden.

Die Zentralstellung des Artikels 1 GG („Die Würde desMenschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützenist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) war eine Re-aktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus, auf einHerrschaftssystem, in dem der bzw. die Einzelne nichtsgalt und nur dann Wert zugeschrieben bekam, wenn eroder sie der nazistischen Vorstellung des „Volkes“ diente.Zu diesen Verbrechen gehörten die Vernichtungspolitikgegen angeblich minderwertige Rassen oder Gruppen, dieSelektion und Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, diemedizinischen Menschenversuche in den Konzentrations-lagern sowie der Vernichtungskrieg. Vor dem Hintergrunddieser Geschichte wurde der Begriff der Menschenwürdein der fortlaufenden Rechtsprechung über die Definitionvon Verletzungstatbeständen präzisiert.

Unbestritten ist die Genese des Gedankens der Menschen-würde und des Menschenwürdegrundsatzes im Grundge-setz mit christlichen Grundüberzeugungen verknüpft. DieEntstehungsgeschichte von Art. 1 zeigt jedoch auch, dassdie „Mütter und Väter der Verfassung“ bewusst darauf ver-zichtet haben, den Menschenwürdegrundsatz auf be-stimmte weltanschauliche und philosophische Überzeu-gungen zu gründen. Formulierungsvorschläge, in denendie Würde des Menschen aus „ewigen, einem Jeden von

25 Der Original-Kodex von 1947 ist unter anderem abgedruckt inKolb/Seithe 1998, S.455.

26 Wunder 2001b. 27 BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973, BVerfGE 35, S. 202 (25).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13 – Drucksache 14/9020

Natur aus eigenen Rechten“ abgeleitet oder als den Men-schen „von Gott gegeben“ deklariert wurde, wurden nichtübernommen. Der Verzicht auf religiös oder weltan-schaulich geprägte Formulierungen entspricht dem säku-larisierten und pluralistischen Charakter des modernenStaates. Recht und Politik beruhen im modernen Staatnicht mehr auf gemeinsamen religiösen oder weltanschau-lichen Überzeugungen, die für alle Gesellschaftsmitglie-der Verbindlichkeit beanspruchen könnten. Verfassungs-grundsätze müssen jedoch auch in einer Gesellschaft, diedurch eine Vielfalt kultureller Werte und Überzeugungenbestimmt ist, Geltung beanspruchen können. Der Men-schenwürdegrundsatz im Grundgesetz schreibt die huma-nistisch-universalistischen Elemente des Christentumsfort und bewahrt sie, ohne sich von ihrer religiösen Be-gründung abhängig zu machen. Er ist als Prinzip zu ver-stehen, das zwar aus einer bestimmten Kulturtradition her-vorgegangen ist, aber zugleich für alle Menschen gültigsein kann und gerade in einer modernen, pluralistischenGesellschaft die Basis gegenseitiger Achtung bildet.

Der Menschenwürdegrundsatz nimmt im Grundgesetzeine zentrale Stellung ein. Eine Änderung der in Art. 1 GGniedergelegten Grundsätze ist gem. Art. 79 Abs. 3 GG un-zulässig. Weiterhin ist die Menschenwürde „unantastbar“,d. h. der ansonsten gültigen grundrechtlichen Abwägungs-argumentation entzogen. Dort, wo die Menschenwürdeberührt ist, gilt sie „absolut ohne die Möglichkeit einesGüterausgleichs“.28

Wichtig ist, dass der Schutz der Menschenwürde einer-seits einen objektiven Wert darstellt, aber andererseits aufdas Engste mit subjektiven Rechten verknüpft ist.29 DasPrinzip aus Art. 1 Abs. 1, dass der Staat auf den Schutz derMenschenwürde verpflichtet ist, wird sogleich in Art. 1Abs. 2 in konkrete Rechte „umgedacht“.30 Hier heißt es:

„Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletz-lichen und unveräußerlichen Menschenrechten alsGrundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, desFriedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Menschenwürde und Menschenrechte sind also im Grund-gesetz eng miteinander verbunden; Menschenrechte fol-gen aus der Grundlage der Menschenwürde („darum“),und die Menschenwürde bedarf der Konkretion durchMenschenrechte. Das Grundgesetz geht davon aus, dassdie Menschenwürde vorgegeben ist und nicht erst durchdas Grundgesetz geschaffen wird. Auch der Gedanke derMenschenrechte ist im Kern, ebenso wie der Gedanke derMenschenwürde, universalistisch, d. h. er gilt für alle Men-schen, ohne dass dafür erst bestimmte Leistungen erbrachtoder bestimmte „Qualitäten“ erfüllt werden müssten. DasBundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, mit demBegriff der Menschenwürde sei

„der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Men-schen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum

bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Be-handlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzi-piell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne istnicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person,sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen.Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaf-ten, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie istauch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen odergeistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbstdurch ‚unwürdiges‘ Verhalten geht sie nicht verloren.“31

In der Systematik des Grundgesetzes werden die Men-schenrechte in Form der Grundrechte in unmittelbar gel-tendes Recht umgesetzt. An erster Stelle steht hier Art. 2GG, der die persönlichen Freiheits- und Integritätsrechtefestschreibt, wie das Recht auf Leben und körperliche Un-versehrtheit. Aber auch andere Grundrechte, wie z. B. dieGewissens-, Glaubens-, Meinungs- und Versammlungs-freiheit stellen in einem Kernbereich Konkretisierungender Menschenwürde dar. Darum ist bei Grundrechtskon-flikten nach einem schonenden Ausgleich zu suchen.

Grundrechtssystematisch besonders hervorgehoben istschließlich der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG, der denuniversalen Charakter der Grund- und Menschenrechteausdrückt. Der Gedanke, dass der Grund- und Menschen-rechtsstatus nicht von den körperlichen oder geistigenFähigkeiten der Einzelnen abhängt, ist auch in Art. 3 Abs.3, Satz 2 enthalten: „Niemand darf wegen seiner Behin-derung benachteiligt werden.“

Menschen mit Behinderungen müssen also nicht erst be-stimmte Leistungen erbringen oder bestimmte Eigen-schaften erwerben, um Ansprüche auf Grund- und Men-schenrechte geltend machen zu können, sondern sind vonvornherein in die Gleichheit der Rechtssubjekte einge-schlossen.

Die Menschenwürde als Grund der Grundrechte unter-scheidet sich von diesen in einem wesentlichen Punkt:Während die Menschenwürde – ebenso als subjektivesRecht wie als Staatsziel – einer Abwägung mit anderenRechtsgütern nicht zugänglich ist, können die Grundrechteim Prinzip eingeschränkt werden; das heißt: Sie geltennicht absolut. Bei den meisten Grundrechten ist die Mög-lichkeit ihrer Einschränkung durch Gesetz im Verfassungs-text explizit enthalten, allerdings unter Wahrung ihres We-sensgehalts (Art. 19 Abs. 2 GG). Aber auch da, wo eineEinschränkung nicht genannt ist (Beispiel: Forschungsfrei-heit), gilt kein Grundrecht ohne immanente Schranke.

Kein Grundsatz, und sei er noch so überzeugend, liefertaus sich heraus die Regeln seiner Anwendung. Ebensowie die Grundrechte generell muss auch der Menschenwür-degrundsatz, wenn er angewendet werden soll, interpretiertwerden. Schon im Prozess der Genese von Art. 1 GG hatTheodor Heuss die Menschenwürde als eine „nicht inter-pretierte These“ bezeichnet.32 Interpretationen sind häufig

28 BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987, BVerfGE 75, S. 369 (380).29 Dürig 1998, XIf.30 Dürig 1998, XI.

31 BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1992, BVerfGE 87, S. 209(228).

32 Heuss, zit. n. Benda 1985, S. 213f.

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Drucksache 14/9020 – 14 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

kontrovers. So finden sich auf der Ebene der Verfassungs-interpretation auch die verschiedenen Würdekonzepte inForm der Leistungs- und der Statustheorie der Würde wie-der. Dabei ist aber festzustellen, dass die Leistungstheoriesich nicht durchgesetzt hat.33

Neben der Leistungstheorie der Würde gibt es die Aner-kennungs- oder Kommunikationstheorie der Würde.34

Dieser zufolge ist Würde ein Relationsbegriff, der durcheine konkrete Anerkennungs- oder Kommunikationsge-meinschaft konstituiert wird. Die Mitglieder einer Anerken-nungsgemeinschaft erkennen sich demnach wechselseitigals Würdeträger an. Innerhalb des anerkennungstheoreti-schen Würdebegriffs ist es aber auch möglich, dass dieMitglieder der Anerkennungsgemeinschaft bestimmtenmenschlichen Wesen die Aufnahme in diese Gemeinschaftverweigern. Würde ist demnach ein Resultat der Zuschrei-bung durch Dritte; die Frage, wer Träger von Menschen-würde ist, wird durch den Willen derer entschieden, diebereits Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft sind.35

Es hat sich gezeigt, dass die Leistungs- wie auch die An-erkennungstheorie der Würde wenig tragfähig sind, da sieentweder inkonsistent (Anerkennungstheorie) oder mitden Intentionen und dem Gehalt von Art. 1 Abs. 1 GGnicht vereinbar sind (Leistungstheorie). WeiterführendeÜberlegungen müssen daher von der Statustheorie derWürde ausgehen. Aus der Statustheorie ergibt sich, dassalle Menschen unabhängig von ihren individuellen Merk-malen und Fähigkeiten Träger von Menschenwürde sind.Menschenwürde ist kein Zertifikat, welches das Indivi-duum durch Vorlage bestimmter Leistungs- und Fähig-keitsnachweise erwerben könnte, sondern ein universalerStatus, der allen Menschen als solchen zukommt.

Allgemein durchgesetzt hat sich in der Bundesrepublikdie Auffassung, dass Würde allen Menschen zukommt:

„Die Würde ‚des‘ Menschen, also ‚jedes Menschen‘ istgeschützt. Staatsangehörigkeit, Lebensalter, intellektu-

elle Reife, Kommunikationsfähigkeit sind unerheblich,nicht einmal Wahrnehmungsfähigkeit ist vorausgesetzt,damit auch nicht das Bewusstsein von der eigenenWürde oder gar ein ihr entsprechendes Verhalten.“36

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt: „Wo mensch-liches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“.37

Diese Aussage enthält

„eine klare Absage an materiale Würdeverständnisse indem Sinne, dass erst ab einem bestimmten physischen,psychischen oder moralischen Entwicklungsstadiumbzw. Reifegrad jemand den Achtungs- und Schutzan-spruch des Art. 1 für sich zu reklamieren vermag.“38

Auf der Grundlage unserer Verfassung gibt es deshalbkein „lebensunwertes Leben“ und keine „Ballastexisten-zen“, deren sich die Gesellschaft entledigen dürfte.39

Eine umfassende Sicht des Menschen, die diesen nicht aufseine Geistigkeit reduziert, berücksichtigt, dass zum We-sen des Menschen auch seine Unvollkommenheit undseine Individualität gehören. Wenn die Menschenwürdeals Maßstab angelegt wird, muss sie auch der Unvoll-kommenheit und Unzulänglichkeit des Menschen Rech-nung tragen.40

Eine Konzeption von Menschenrechten und Menschen-würde, die dem Anspruch gerecht wird, Lehren aus der na-tionalsozialistischen Vergangenheit zu ziehen und es niewieder möglich zu machen, dass Menschen als mehr oderweniger „wertvoll“ oder gar als „unwertes Leben“ klassi-fiziert werden, kann den einzelnen Menschen nicht aufseine geistigen Fähigkeiten reduzieren. Sie muss einbezie-hen, dass Menschen immer auch leibliche, unvollkommeneund verletzbare Wesen sind, und sie muss die Achtung ge-rade derjenigen sicherstellen, die auf Schutz besonders an-gewiesen sind.

In einer Welt immer rasanterer Vermehrung des Wissensund Könnens muss immer wieder neu ermittelt werden,inwieweit neue gesellschaftliche, technologische und me-dizinische Entwicklungen die Menschenwürde berühren.

1.4 Inhaltliche Momente der Menschenwürde

Der Begriff der Menschenwürde ist im Grundgesetz nichtumfassend und abschließend definiert, und es wäre auchnicht sinnvoll ihm eine starre Definition zu geben, da einesolche niemals alle möglichen Verletzungstatbestände insich aufnehmen könnte. Da die Menschenwürde keineLeerformel ist, sondern praktische Relevanz hat, ist esnotwendig, ihren Anwendungsbereich zu konkretisieren.Der Konkretion bedürfen vor allem drei Fragen: Für wengilt der Menschenwürdeschutz, worin besteht er und inwelchen Verhältnis steht er zu anderen Grundrechten?

33 Ein Versuch der Interpretation von Menschenwürde im Sinne derLeistungstheorie stammt von dem Rechtswissenschaftler und Sozio-logen Niklas Luhmann (Luhmann 1974, S. 68 ff.). Danach ist Würdeweder eine Naturausstattung des Menschen noch ein Wert. Für Luhmann ist Würde allein eine Leistung, die der Einzelne erbringen,die er aber auch verfehlen kann. Dagegen kann eingewendet werden,dass eine Einschränkung der Würde auf selbst hergestellte Würde,wie sie Luhmann vollzieht, all diejenigen schutzlos machen würde,die in den Augen der Leistungsfähigen nicht oder nicht mehr leis-tungsfähig sind (Reiter 2001, S. 449). Gerade diejenigen, die am ehesten auf Schutz angewiesen sind, würden demnach aus demSchutzbereich der Menschenwürde herausfallen. Auch für den Luhmann-Kritiker Christian Starck ist daher der verfassungsrechtlicheWürdeschutz total ausgehöhlt, wenn er von eigener Würdeleistungabhängig gemacht wird.

34 Vgl. Hofmann 1993, S. 353 ff. 35 Dieser logischen Konsequenz seines Ansatzes will Hasso Hofmann

(1993), als maßgeblicher Vertreter der „Anerkennungstheorie“, of-fenbar nach der Gründung der „Anerkennungsgemeinschaft“ nichtmehr folgen: „Das gegenseitige Versprechen, uns als in gleicherWeise würdige Mitglieder des Gemeinwesens anzuerkennen,schließt es folglich aus, irgendjemandem die Befugnis zuzugestehen,einem anderen Individuum diesen Status – aus welchen Gründenauch immer – prinzipiell abzusprechen“ (S. 376). Diese Position istdaher letztlich inkonsistent.

36 Kunig 2000, Rz 11.37 BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975, BVerfGE 39, S. 1 (41).38 Höfling 1999, Rz. 46.39 Vgl. Dreier 1996, Rz. 46.40 Vgl. Benda 1985, S. 230f.

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1.4.1 Für wen gilt der Menschen-würdeschutz?

Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes ist die Würde „desMenschen“ unantastbar. Weitere Voraussetzungen nenntArt. 1 GG nicht. Der Mensch muss daher keine besonde-ren Eigenschaften oder Fähigkeiten besitzen, um vomSchutzanspruch der Menschenwürdegarantie erfasst zusein. Ob alt oder jung, stark oder schwach, krank oder ge-sund – jeder Mensch hat Anspruch auf Achtung seinerWürde. Diese Schutzpflicht gilt auch in Bezug auf das un-geborene Leben.

Ein menschheitsgeschichtlich neues Phänomen, das men-schenrechtssystematisch mit einbezogen werden muss,stellt die Daseinsform menschlicher Embryonen außer-halb des menschlichen Körpers dar. Aufgrund technischerEntwicklungen ist es heute möglich, Embryonen ohne diedirekte sexuelle Beziehung zwischen Mann und Frau zuzeugen und sie außerhalb des Leibes der Frau zumindesteine gewisse Zeit am Leben zu erhalten. Anders als bei dersexuellen Zeugung sind bei der In-vitro-Befruchtung im-mer auch Dritte beteiligt, welche den technischen Akt derBefruchtung durchführen, den Embryo kultivieren, kon-servieren oder in die Gebärmutter übertragen. Mit derSchutzlosigkeit des Embryos in vitro sind neue Gefahrender Manipulation oder Vernutzung verbunden, die in die-ser Form für menschliche Embryonen, die auf natürli-chem Wege gezeugt wurden, nicht bestehen, da sie imKörper der Frau den Zugriffen Dritter weitgehend entzo-gen sind. So ist festzustellen, dass im Gegensatz zum ge-zeugten der erzeugte Embryo in seinem schutzlosestenZustand in der Welt ist. Durch die mit der In-vitro-Fertili-sation entstandenen neuen Zugriffsmöglichkeiten sindauch neue Schutzerfordernisse entstanden.

Mit der In-vitro-Fertilisation sind menschliche Lebewesengeschaffen worden, die eine bislang unbekannte Weise derExistenz außerhalb des Mutterleibes besitzen, bevor sie,wie es bei einer Schwangerschaft der Fall ist, sich in leib-licher Verbindung mit der Frau zu einem eigenständig le-bensfähigen Menschen entwickeln. Die Frage, welchengrundrechtlichen Status menschliche Embryonen in vitrohaben, ist durch die bisherige Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts noch nicht abschließend beantwortet.Die Verfassungsgerichtsurteile zur Frage des Schwanger-schaftsabbruchs haben zwar einerseits festgestellt, dassmenschlichem Leben von Anfang an Menschenwürde zu-kommt, aber sie haben sich andererseits nur mit der Si-tuation der Schwangerschaft auseinandergesetzt, d. h. mitder Entwicklung des Embryos ab dem Zeitpunkt seinerEinnistung in die Gebärmutter.

Das Potenzial, sich als Mensch zu entwickeln, besitzenEmbryonen in vitro wie Embryonen in vivo. Ungeachtetder Bedeutung, die der Einnistung in den Uterus für dieweitere Entwicklung des Embryos zukommt, ist der invitro erzeugte Embryo bereits ein menschliches Lebewe-sen, das sich nach Einnistung zu der späteren Person ent-wickelt. In beiden Fällen kann aus dem Embryo ein Kindentstehen, das rückblickend von dem Embryo, der es ein-mal war, als „ich“ sprechen kann.

Viele sehen im menschlichen Embryo bereits einen „Men-schen“ im vollen Sinne des Wortes, für andere handelt essich dagegen um einen zukünftigen oder einen potenziellenMenschen. Unbestreitbar ist jedoch, dass der Begriff desMenschen gemäß der Statustheorie der Würde nicht auf dieselbstbewussten, sprach-, handlungs- oder interaktionsfähi-gen Angehörigen der menschlichen Gattung beschränktwerden kann. Menschsein wird vielmehr als eine Entwick-lung verstanden, die immer auch Phasen umfasst, in denenFähigkeiten, die als „spezifisch menschlich“ gelten, wieSelbstbewusstsein, Sprache u. a. m. nicht, noch nicht, nichtalle oder in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sind.Ausgehend von einem solchen umfassenden Verständnisdes Menschen können menschliche Embryonen vom Men-schenwürdeschutz nicht ausgeschlossen werden.

Exkurs: Ethische Kriterien im Umgang mitmenschlichen Embryonen in vitro

Im Hinblick auf den Umgang mit menschlichen Embryo-nen, insbesondere solche Embryonen, die außerhalb desMutterleibes erzeugt worden sind und die aufgrund derdamit verbundenen Zugriffsmöglichkeiten besonderenSchutzes bedürfen, spielt die Frage nach dem moralischenund rechtlichen Status des Embryos eine besondere Rolle.Hierzu gehört auch die Frage, als welches Gut der nochnicht geborene Mensch in moralischer Hinsicht zu be-trachten ist und welche Schutzansprüche bzw. Verpflich-tungen daraus ethisch (und rechtlich) folgen. Bei der Be-antwortung dieser Frage sind in Bezug auf den Embryo invitro in unserer Gesellschaft – unabhängig von der Sicht,die das Recht zugrunde legt, – verschiedene Grundposi-tionen anzutreffen. Sie unterscheiden sich danach, ob derEmbryo bereits in dieser frühen Phase von Beginn seinerExistenz an uneingeschränkt zu schützen ist oder ob seineSchutzwürdigkeit im Maß der Entwicklung des Embryoszunimmt und vollen Schutz erst nach einer bestimmtenPhase der Entwicklung nach sich zieht.

Uneingeschränkte Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos

Die erste Position geht davon aus, dass die Selbstzweck-lichkeit, die dem Menschen als verantwortlichem Subjektseines Handelns zukommt, sich auch auf das Lebewesenerstreckt, mit dem das Subjekt identisch ist und dem dasVermögen eignet, sittliches Subjekt zu sein (Spezies-/Identitätskriterium). Da der geborene Mensch in Konti-nuität zu dem ungeborenen Menschen steht, aus dem ersich entwickelt (Kontinuitätsargument), kommt dieSchutzwürdigkeit auch dem ungeborenen Menschen zu,und zwar von dem Zeitpunkt an, an dem ein neues Lebe-wesen entstanden ist, das als solches das reale Vermögenbesitzt, sich zu einem geborenen Menschen zu entwickeln(Potenzialitätsargument).

Dies ist für die Vertreterinnen und Vertreter der ersten Position dann der Fall, wenn sich im Prozess der Befruch-tung ein neues Lebewesen mit einem individuellen Genomgebildet hat, das die weitere Entwicklung des Lebewesensbestimmt. Da die Entwicklung des mit der Befruchtungentstehenden Lebewesens ein Kontinuum darstellt, setzte

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Drucksache 14/9020 – 16 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

sich jeder andere Beginn der Schutzwürdigkeit dem Ein-wand der Beliebigkeit aus. Er widerspräche zudem demim Menschenrechtsgedanken enthaltenen Verbot, dieSchutzwürdigkeit des Menschen von keinem anderenKriterium abhängig zu machen als dem des Menschseins.

Geht man mit den Vertreterinnen und Vertretern der erstenPosition davon aus, dass das leibliche Leben die Bedin-gung für das Vermögen ist, sittliches Subjekt zu sein, dannstehen die Unverletzlichkeit der Würde und der Schutz desLebens in einem engen Zusammenhang. Das löst die Frageaus, ob aus dieser Sicht jede Verletzung des Lebens-schutzes auch eine Verletzung der Würde darstellt oder obzwischen den beiden Schutzansprüchen unterschiedenwerden kann.

Einige Vertreterinnen und Vertreter gehen davon aus, dasseine solche Unterscheidung nicht möglich ist und derWürdeschutz zwangsläufig auch einen uneingeschränk-ten Lebensschutz umfasse – und dies ab dem Zeitpunkt derVerschmelzung von Ei- und Samenzelle. Bei der Zuschrei-bung des moralischen Status bzw. der Schutzwürdigkeitstellt sich die Frage, ob der menschliche Embryo bereits inden frühen Stadien selbst Träger bzw. Subjekt von Rechtenist oder ob ihm Status und Schutz der Menschenwürdeallein deshalb zukommen, weil er ein mit dem schutzwürdi-gen Subjekt identisches menschliches Lebewesen darstellt.Dazu wird die Meinung vertreten, dass das menschlicheLebewesen als solches immer Würde besitze, unabhängigvon der Frage, ob bereits ein Rechtssubjekt entstanden seioder nicht.

Abgestufte Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos

Es gibt jedoch auch die Auffassung, dass dem Embryozwar von Anfang an Menschenwürde zukomme, diese je-doch nicht auch den absoluten Lebensschutz gebiete.Während die Menschenwürde keine Abwägung mit anderen Grundrechten, sittlichen Werten, Gütern oderGeboten zulässt, ist dies beim Gebot des Lebensschutzesanders. Die Vernichtung des Lebens des Embryos stellenicht zwangsweise eine Verletzung der Menschenwürdedar. Die Abwägung des Lebensschutzes mit anderenWerten oder Grundrechten sei sogar ethisches Gebot.Dabei wiegt die Verpflichtung zum Lebensschutz um soschwerer und verlangt umso stärkere Schonung, je weiterdie Entwicklung bis zur Geburt vorangeschritten ist.

Eine zweite Position geht davon aus, dass die volleSchutzwürdigkeit, die dem Menschen als Subjekt ge-schuldet ist, erst in einem bestimmten Stadium der Ent-wicklung des Menschen anzunehmen ist, und dass demmenschlichen Embryo – zumal in seinen frühen Entwick-lungsstadien – Schutzwürdigkeit abgeleiteter Art zukommt.

Die radikale Form der zweiten Position nimmt an, dassnur derjenige Mensch als Person zu betrachten ist und eineentsprechende Schutzwürdigkeit besitzt, dem bestimmteEigenschaften zukommen, wie der Mensch sie im Laufseiner Entwicklung erwirbt. Dies kann der Besitz von In-teressen sein, die verletzt werden können und deshalbRechte begründen, oder der Besitz von Fähigkeiten wie

Selbstbewusstsein, Zukunftsbezug u. ä., die zur Entwick-lung von Interessenspräferenzen notwendig sind und eingenerell geltendes Tötungsverbot begründen. Diese radikaleForm der zweiten Position setzt sich dem grundlegendenEinwand aus, nicht der im Menschenrechtsgedanken ent-haltenen Forderung zu entsprechen, den dem Menscheneigenen moralischen Status und die daraus resultierendeSchutzwürdigkeit nicht von der Zuerkennung durchDritte, sondern von keiner anderen Eigenschaft abhängigzu machen als der, Mensch zu sein, und von einer dem-entsprechenden fundamentalen Gleichheit aller Men-schen in ethischer und rechtlicher Hinsicht auszugehen.

Die gradualistische Form der zweiten Position gehtdavon aus, dass dem Menschen vom Abschluss der Be-fruchtung an Schutzwürdigkeit zukommt, dass jedoch dasMaß dieser Schutzwürdigkeit den Stufen der Entwicklungfolgt, die das ungeborene menschliche Lebewesen nachabgeschlossener Befruchtung nimmt, und das volle Aus-maß des Schutzes, wie er mit dem Titel der Menschen-würde bzw. mit einem unabwägbaren Recht auf Lebenverbunden ist, erst mit dem Erreichen eines bestimmtenEntwicklungsstandes gefordert ist. Als relevante Zäsurenin der Entwicklung werden genannt der Beginn derGestaltwerdung durch Ausbildung des Primitivstreifens,der Ausschluss natürlicher Mehrlingsbildung und diedamit verbundene endgültige Individuation, die Einnis-tung in den Uterus, die Ausbildung der neuronalen Vo-raussetzung für eine bewusste Verarbeitung von Reizen(Beginn des Hirnlebens), die Überlebensfähigkeit außer-halb des Uterus u. Ä. Besonderes Gewicht wird dabei denersten drei genannten Merkmalen zugemessen, insofernsie den Unterschied zwischen dem Embryo in vitro und inutero und den Zeitpunkt der Entwicklung betreffen, der inetwa 12 bis 14 Tagen nach abgeschlossener Befruchtungerreicht ist.

Die gradualistische Position kann sich auf die Prozess-haftigkeit der Menschwerdung berufen, ist aber – wie vielegradualistische Positionen – dem Einwand ausgesetzt,dass jede Festsetzung einer moralisch relevanten Zäsurinnerhalb einer kontinuierlichen Entwicklung nicht ohneWillkürlichkeit erfolgt.

Gemeinsamkeiten und Differenzen

Gemeinsam ist den ersten der beiden genannten Positio-nen zum moralischen Status des menschlichen Embryos,nämlich der eines gleichwertigen Schutzes und der gradua-listischen Version der zweiten Position, dass sie den Beginnmenschlichen Lebens in der abgeschlossenen Befruchtungsehen, dass sie diesem menschlichen Leben von Beginn anSchutzwürdigkeit zuordnen und dementsprechend mensch-liches Leben als etwas betrachten, das zu keinem Zeitpunktseiner Entwicklung zur beliebigen Disposition steht. Hierspricht sich die moralische Grundüberzeugung aus, dassmenschliches Leben einen Wert hat, der unabhängig istvon der Zuerkennung durch Dritte und deshalb als solcherSchutzwürdigkeit nach sich zieht.

Die maßgeblichen Differenzen der beiden zuletzt genann-ten Positionen werden bei der Abwägung im Fall derKonkurrenz von Gütern sichtbar: Nach der gradualisti-

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schen Auffassung erscheint eine Abwägung der Schutz-würdigkeit des Embryos in seinen frühen Entwicklungssta-dien angesichts hochrangiger Ziele deshalb als vertretbar,weil dem Embryo in diesem Entwicklungsstadium nochnicht der volle moralische Status zugeordnet werdenmuss, wie dies für spätere Stadien gilt. Für die Vertreterin-nen und Vertreter der ersten Position ist eine Abwägung,wenn überhaupt, so nur in der Form legitim, wie sie beieinem Konflikt von zwei Gütern bzw. Übeln gleichenRanges vorgenommen werden darf.

Der verfassungsrechtliche Status des menschlichen Em-bryos in vitro war bislang nicht expliziter Gegenstandeiner verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Doch hatsich das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhangseiner beiden Urteile zum Schwangerschaftsabbruch ineiner Form geäußert, die in die Richtung der ersten dergenannten ethischen Positionen verweist.

1.4.2 Was beinhaltet der Menschen-würdeschutz?

Neben der Frage, wer Träger von Menschenwürde ist, stelltsich die Frage, worin der Menschenwürdeschutz genaubesteht. Da eine positive Definition bisher nicht gelungen istund es auch fragwürdig ist, ob eine solche positive Defini-tion aufgrund ihres notwendig unflexiblen Charakters über-haupt wünschenswert ist, bleibt der Ansatz, sich der Men-schenwürde vom Verletzungstatbestand her zu nähern.41

Diese Auffassung ist auch in der Verfassungsrechtswis-senschaft absolut herrschend.42 Auch das Bundesverfas-sungsgericht entscheidet regelmäßig aus dieser Perspek-tive:

„Was den (...) Grundsatz der Unantastbarkeit der Men-schenwürde anlangt, (...) so hängt alles von der Fest-legung ab, unter welchen Umständen die Menschen-würde verletzt sein kann. Offenbar läßt sich das nichtgenerell sagen, sondern immer nur in Ansehung deskonkreten Falles.“43

Auch die vielzitierte Objektformel von Dürig nimmt dieVerletzung der Menschenwürde in den Blick:

„Die Menschenwürde ist betroffen, wenn der konkreteMensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur ver-tretbaren Größe herabgewürdigt wird.“44

Dabei ist zu beachten, dass ein Verstoß gegen die Men-schenwürde nicht notwendigerweise nach außen offen zu-tage treten muss wie dies in vielen Fällen, die allgemeinanerkannt sind, gegeben ist (Verpflichtung zum Tragendes Judensterns, Eintätowieren einer Nummer, öffentlicheZurschaustellung in unbekleidetem Zustand, Brand-markung, Folter u. a.). Als Würdeverstoß kommen auchVerhaltensweisen subtilerer Art in Betracht, deren äußeresBild weniger „roh“ und „unmenschlich“ erscheint. Es ist

z.B. an eine totale Überwachung und Datenerfassung, dieManipulation anderer durch Täuschung oder mittels psy-chotroper Substanzen zu denken, ohne dass dabei Schmerzzugefügt wird oder „Blut fliessen“ muss. Zur Verletzungder Menschenwürde – etwa durch die Tötung eines Men-schen – muss auf Seiten der Täterin bzw. des Täters nichtunbedingt eine besonders niedrige Gesinnung hinzukom-men. Es macht insofern keinen Unterschied, ob ein Menschdeshalb getötet wird, weil er nach der Vorstellung desTäters „als Jude“ zu einer „minderwertigen Rasse“ gehörtund deshalb tödliche Menschenversuche an ihm „akzep-tabel“ erscheinen, oder ob der Täter das Ziel verfolgt, mitseiner tödlichen Forschung neue Therapien zu entwickeln,die zur Erhaltung von Menschenleben dienen. Das je-weilige Motiv ist als solches sicher unterschiedlich zu be-werten. Eine von Verfassungs wegen zu unterlassendeHandlung kann nicht allein wegen der ihr zugrundeliegenden Motivation als gerechtfertigt behandelt werden.Die „gute Absicht“ vermag eine objektive Würdeverlet-zung nicht zu „heilen“.45

Die dürigsche Formel stellt aber nur einen ersten Schrittder Annäherung dar. Das BVerfG wertet sie zurückhal-tend:

„Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nichtzum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigtwerden, können lediglich die Richtung andeuten, inder Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefun-den werden können.“46

Eine Aufzählung der unumstrittenen Menschenwürdever-letzungen zeigt, dass es sich um besonders schwere Tat-bestände handelt: Folter, Sklaverei, Massenvertreibung,Völkermord, Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung,Ächtung.47 Berücksichtigt man zusätzlich, dass die Men-schenwürde „unantastbar“ ist – also nicht in eine Abwä-gung mit anderen Grundrechten einbezogen werden darf –und selbst eine verfassungsändernde Mehrheit ihre Geltungnicht einschränken darf, dann ist daraus zu folgern, dassdurch die Menschenwürdegarantie „ein absoluter Kernbe-reich menschlicher Existenz“48 erfasst wird.49 Die Würde-garantie des Grundgesetzes ist keine „kleine Münze“(Günter Dürig), sondern vielmehr eine „eiserne Ration“(Graf Vitzthum), auf die nur dann zurückgegriffen werdensollte, wenn es unbedingt erforderlich ist.

Eine abschließende Definition des Anwendungsbereichesder Menschenwürdegarantie ist daher weder möglich nochsinnvoll. Auch im Zusammenhang der rechtlichen und

41 Höfling 1995, S. 859.42 Vgl. Kunig 2000, Rz. 22; Dreier 1996, Rz. 37; Höfling 1999, Rz. 15.43 BverfGE 30, S. 1 (25).44 Dürig 1956, S. 127; 1972, Rz. 28 u. 34.

45 Vgl. Höfling 1995, S. 860; Kunig 2000, Rz. 24; Dreier 1996, Rz. 39.Umgekehrt liegt aber auch kein Verstoß gegen die Menschenwürdevor, wenn jemand mit „Herabwürdigungsabsicht“ handelt, aber „dieIntensität des Eingriffs den Grad einer Würdeverletzung nicht er-reicht“ (Höfling a.a.O.; Kunig a.a.O.).

46 BVerfGE 30, S. 1 (25).47 Vgl. Klein 1999, Rz.12.48 Höfling 1995, S. 860. 49 Vgl. Starck 1985, Rz. 14: „Der Menschenwürdeschutz garantiert

nicht alles ausdenkbare Gute, Angenehme und Nützliche, sondernmuss um seiner Geltung willen elementar verstanden werden.“

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ethischen Fragen der modernen Medizin wird sich einepositive Bestimmung der Menschenwürde nicht findenlassen. Es können jedoch in vier Bereichen Konkretisierun-gen des Menschenwürdeschutzes beschrieben werden.Diese betreffen die Gewährleistung

1. elementarer Rechtsgleichheit,2. persönlicher Freiheits- und Integritätsrechte,3. sozialer Anspruchsrechte und4. politischer Partizipationsrechte.

Ad 1) Die Gewährleistung der elementaren Rechtsgleich-heit berührt das Kernverständnis der Menschenwürdega-rantie. Aus dem Verständnis der Menschenwürde als Sta-tus, der jedem Menschen als Menschen zukommt, folgt,dass jeder Mensch Rechtsträger ist. Einzelne Grundrechtekönnen unter bestimmten Bedingungen eingeschränktwerden, nicht aber das „Recht, Rechte zu haben“ (HannahArendt). Daraus folgt, dass einzelnen Gruppen von Men-schen nicht aufgrund bestimmter Merkmale der Status ab-gesprochen werden kann, überhaupt Rechtsträger zu sein.Außerdem dürfen Menschen oder Menschengruppen nichtaufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften einerungerechtfertigten Ungleichbehandlung ausgesetzt werden.Im Bereich der Medizin bedeutet das z. B., dass nichtein-willigungsfähige Personen nicht zu rechtlosen Objekten er-klärt werden dürfen. Weiterhin bedeutet Rechtsgleichheit,dass Menschen nicht aufgrund ihrer genetischen Ausstat-tung oder einer Behinderung diskriminiert werden dürfen.

Ad 2) Elementare Abwehrrechte schützen vor Übergrif-fen auf die Freiheit oder Integrität der Person. Im Anwen-dungsbereich der Medizin folgt daraus vor allem die Ach-tung vor der Selbstbestimmung der Person, die sich imErfordernis der informierten Zustimmung konkretisiert.Das bedeutet, dass z. B. eine Organ- oder Gewebeent-nahme oder die Erhebung genetischer Daten eine Verlet-zung des Persönlichkeitsrechts darstellt, wenn der oderdie Betroffene nicht auf der Grundlage vorheriger Auf-klärung frei und ohne Zwang oder Druck zugestimmt hat.

Ad 3) Soziale Anspruchsrechte sind notwendig, um Be-dingungen zu sichern, ohne die Individuen nicht in derLage sind, ihre Rechte überhaupt wahrzunehmen. So sinddie Gewährleistung eines Existenzminimums sowie derZugang zu Gesundheitsleistungen Voraussetzungen dafür,um überhaupt leben und seine persönlichen Rechte wahr-nehmen zu können. Menschen, die aufgrund von Krank-heit oder Behinderung nicht ausreichend für sich selbstsorgen können, haben Anspruch auf Unterstützung durchdie Gemeinschaft.

Wie weit die Gewährleistung sozialer Ansprüche gehensoll, ist allerdings aus der Menschenwürdegarantie nichtablesbar. Auch muss festgehalten werden, dass individu-elle Abwehrrechte wie das Recht auf körperliche Un-versehrtheit nicht durch die Ansprüche anderer aufge-hoben werden können; beispielsweise kann niemand einenAnspruch auf die Organe eines Anderen erheben.

Ad 4) Eine weitere Voraussetzung, um eigene Freiheits-und Integritätsrechte wahrnehmen zu können, sind Parti-zipationsrechte, d. h. die Möglichkeit, an Entscheidungs-

prozessen teilnehmen zu können, die von allgemeiner Re-levanz sind. In der Demokratie sind daher das Wahlrechtoder die Presse- und Versammlungsfreiheit als Maßnah-men zur Sicherung der Menschenwürdegarantie zu verste-hen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeithaben, selbst zu erklären, wie sie ihre Würde- und Rechts-ansprüche verstehen und ausgestalten wollen. Im Zusam-menhang der modernen Medizin kann Partizipation be-deuten, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeithaben müssen, sich in strittigen ethischen, rechtlichen undsozialen Fragen der modernen Medizin ein Urteil zu bil-den und dem Ausdruck zu verleihen. Partizipation bedeu-tet auch, dass einzelne soziale Gruppen anderen Gruppennicht ihre Wertvorstellungen oder ihre Sicht der Dingeaufzwingen dürfen, sondern dass diejenigen, die von Ent-scheidungen betroffen sein werden, auch die Gelegenheithaben müssen, ihr Verständnis der in Frage stehendenProbleme und der moralischen Bewertungsgrundlagen zuentwickeln und zu Gehör zu geben. Auch soziale Gruppen,die gesellschaftlich über weniger Einfluss und Ressourcenverfügen als andere, müssen Gelegenheit zur Teilnahmean Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozes-sen in Bezug auf Fragen der modernen Medizin erhalten.

Die Menschenwürdegarantie bedarf daher der rechtlichenAusgestaltung und diese wiederum erfordert in einerdemokratischen Gesellschaft die Möglichkeit, sich an denProzessen, die zu allgemein verbindlichen Regelungenund Entscheidungen führen, beteiligen zu können.

1.4.3 Das Verhältnis der Menschenwürde-garantie zu anderen Grundrechten

Die Menschenwürde ist „unantastbar“. Der Gesetzgeberkann sie nicht beschränken. Sie darf nicht in eine Abwä-gung gegen andere Interessen oder Werte einbezogenwerden. Der Menschenwürde gebührt der absolute Vor-rang. Dies ist bei anderen Grundrechten (Art. 2 ff. GG)grundsätzlich nicht der Fall. Einige stehen ausdrücklichunter Gesetzesvorbehalt, andere unterliegen zumindestverfassungsimmanenten Schranken. Es stellt sich daherdie Frage, in welchem Verhältnis die Menschenwürde-garantie zu anderen Grundrechten, insbesondere zumRecht auf Leben, steht.

Der Schutzbereich der Menschenwürde und der andererGrundrechte sind offensichtlich nicht identisch. Nicht jedeGrundrechtsverletzung ist gleichzeitig eine Verletzung derMenschenwürde. Andererseits ergibt sich bereits aus demWortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG, dass zwischen der Men-schenwürde und den „nachfolgenden“ Grundrechten einZusammenhang besteht. Gefährdungen und Verletzungender Menschenwürde sind kaum isoliert denkbar. Sie wer-den regelmäßig einen der Lebensbereiche betreffen, dievon den Gewährleistungsbereichen der speziellen Frei-heitsgrundrechte aber auch der Gleichheitsgarantien erfasstsind.50 Der unbegrenzte, generalklauselartige Gewährleis-tungsbereich der Menschenwürde überschneidet sich da-her notwendigerweise mit dem anderer Grundrechte. So

50 Vgl. Höfling 1995, S. 861; Pieroth/Schlink 2000, Art. 1, Rz. 414.

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stellt beispielsweise die Folter einen Eingriff in das Rechtauf körperliche Unversehrtheit dar, verstößt aber auchgleichzeitig gegen die Menschenwürde. Andere Körper-verletzungen können dagegen gesetzlich erlaubt sein odernicht den Schweregrad eines Menschenwürdeverstoßeserreichen.

In gleicher Weise stellt nicht jede Tötungshandlung oderLebensgefährdung automatisch auch eine Verletzung derMenschenwürde dar. Zu denken ist hier z. B. an dieNotwehrsituation oder an den Einsatz von Soldaten oderRettungskräften.51 Von daher ist es auch nicht zwingend,dass im Falle eines Grundrechtskonflikts in der modernenMedizin dem Lebensrecht eines Embryos unbedingt derVorrang eingeräumt werden muss.

Andererseits wäre es falsch, aus der fehlenden Deckungs-gleichheit zwischen der Menschenwürdegarantie unddem Lebensrecht auf ein weites Auseinanderfallen beiderSchutzbereiche zu schließen – als wäre nichts selbstver-ständlicher, als die Vereinbarkeit von Tötungshandlungenmit der Menschenwürde. Es ist vielmehr darauf zu achten,dass etwa im Bereich des Embryonenschutzes eventuelleEinschränkungen des Lebensrechts ähnlich schwer wie-gende Konfliktsituationen zur Voraussetzung haben müs-sen, wie dies bei den klassischen Ausnahmen vom Tö-tungsverbot der Fall ist.52 Im Regelfall ist davonauszugehen, dass die Tötung eines Menschen denSchutzbereich der Menschenwürde berührt und nichtgerechtfertigt werden kann.53 Es ist jedoch nicht aus-geschlossen und mit dem Würdestatus des Embryos nichtunvereinbar, im Schwangerschaftskonflikt die Austragungeiner Schwangerschaft nicht gegen die Frau durchzuset-zen, so dass es dazu kommen kann, dass die Würde und dieRechte der Frau nicht anders als durch die Beendigung derSchwangerschaft bewahrt werden können.

2 Individual- und sozialethischeOrientierungspunkte

2.1 Moralische Überzeugungen undethische Kriterien als Grundlagen des Rechts

Fragt man nach den ethischen Kriterien, an denen sich dierechtlichen Regelungen für den Umgang mit der moder-nen Medizin zu orientieren haben, so sind neben dem Ge-danken von der unaufgebbaren Würde des Menschen diemoralischen Grundüberzeugungen zu nennen, die die Be-dingungen sichern, ohne die der Schutz dieser Würdenicht wirksam werden kann. Denn der Mensch ist ein leib-liches Wesen, das nur im sozialen Miteinander wechsel-seitig sich anerkennender Individuen seine Entfaltung zu

finden vermag. Aus der leiblich-sozialen Verfasstheit desMenschen ergeben sich daher Grundansprüche, die sich inden mit dem Gedanken der Menschenwürde verbundenenmoralischen Wertauffassungen und in dem aus der Men-schenwürde folgenden Katalog von Grundrechten nieder-geschlagen haben. Sie liegen auch dem Medizinrecht undder medizinischen Berufsethik zugrunde und betreffen so-wohl Grundansprüche und -rechte, die primär das Indivi-duum betreffen, als auch solche, die für das soziale Mitei-nander maßgeblich sind.

Deutlich tritt dieser Zusammenhang von Ethik und Rechtin unserem Grundgesetz hervor, das nach dem Ende desNationalsozialismus als die Wertegrundlage für die ge-samte Rechtsordnung und damit als Recht für alle konzi-piert wurde. Vor allem Artikel 1 des Grundgesetzes, derdie Unantastbarkeit der Würde des Menschen zur über-greifenden Norm bestimmt, erhebt den Anspruch, unabän-derlich zu gelten. Die Vorschrift soll gewährleisten, dasssich die Verbrechen des Nationalsozialismus, unter derenEindruck die Verfassung entstand, nie wiederholen. Siegreift dazu auf den aus der geistesgeschichtlichen Tradi-tion von Antike, Judentum, Christentum und europäischerAufklärung stammenden Würde-Begriff zurück; dessenrechtlicher Gehalt ist durch die Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts ausführlich entfaltet worden.

Angesichts der vielfältigen geistesgeschichtlichen Wur-zeln, aus denen die Vorstellung von der unantastbarenMenschenwürde erwachsen ist, und der aus unterschied-lichen Weltanschauungen erfolgenden Deutungen, in de-nen sie sich spiegelt, bedarf es freilich bei der Ermittlungder Reichweite und Bedeutung, die dem Würdebegriff fürdie rechtspraktische Anwendung zukommt, größterZurückhaltung. Denn andernfalls besteht die Gefahr, demBegriff jeweils das zu entnehmen, was man zuvor in ihnhineingelegt hat. Auf jeden Fall will Art. 1 GG eines si-chern: dass die unbedingte und unabdingbare Sonderstel-lung des Menschen in der belebten und unbelebten Naturvon Rechts wegen von aller staatlichen Gewalt und auchvon der Rechtsordnung selbst zu respektieren ist.

Die Geltung der in Art. 1 GG getroffenen Normaussagezur Würde des Menschen ist bis heute durch einen breitengesellschaftlichen Konsens getragen. Der von der Verfas-sung an den Anfang allen Rechts gestellte Wert der Men-schenwürde prägt die Rechtsordnung und wird umgekehrtin seiner fundamentalen ethischen Bedeutung durch siegefestigt. Als konsensgetragene rechtliche Fundamental-norm bindet sie freilich auch die, deren ethische Orientie-rung eine unbedingte Würdegarantie für den Menschennicht kennt.

2.2 Konsensfähige moralische Überzeu-gungen und ethischeKriterien in der Medizin

2.2.1 In Bezug auf das Individuum

2.2.1.1 Moralische Grundüberzeugungen und Grundrechte

Bei der Frage nach dem jeweils moralisch Gebotenen, Ver-botenen oder Erlaubten ist der Einzelne auf das sittliche

51 Sacksofsky 2001.52 Neben der Notwehr wird in der verfassungsrechtlichen Literatur ins-

besondere der polizeiliche Rettungsschuss und die Pflicht zum Ein-satz des Lebens für Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute ge-nannt. Vgl. Dreier 1995, S. 1037.

53 Oder anders ausgedrückt: Der Menschenwürdegehalt des Rechts aufLeben ist wesentlich größer als der Menschenwürdegehalt etwa desRechts auf freie Meinungsäußerung oder des Fernmeldegeheimnisses.

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Normgefüge verwiesen, das er als verbindlich betrachtetund dessen Prüfung Sache der Ethik ist. Ihrer Natur nachgehen die vom Einzelnen anerkannten sittlichen Vorstel-lungen weiter als das Recht und besitzen eine höhere per-sönliche Verbindlichkeit als rechtliche Ge- oder Verbote.Das Recht darf daher Menschen nicht zu Handlungenzwingen, die ihrem Gewissen widersprechen.

Verbindlichkeit gewinnen moralische Normen im Rah-men des Verhältnisses, das der Mensch zu sich selbst undzu anderen Menschen wie auch zu seiner Umwelt ein-nimmt. Der Grund dieser Verbindlichkeit kann verschie-dener Art sein: Er kann in dem grundlegenden Werturteilliegen, das dem Menschen unbedingten Wert zuspricht,weil er das Wesen ist, das sich selbst an das Gute bindet;der Grund kann aber auch in der Anerkennung der ande-ren Menschen als gleichberechtigte Partner in einer Be-ziehung wechselseitiger Anerkennung liegen, er kannaber auch in der aus anderen Motiven gespeisten Bereit-schaft bestehen, den Standpunkt der Moral einzunehmen.Dabei gilt, dass jeder die Freiheit, sich an die von ihm alsmaßgeblich erkannte sittliche Verpflichtung zu binden,auch einem jeden anderen einräumen muss. Als Kern jederEthik erweist sich damit die Bereitschaft, allen Menschenin ihrer Eigenschaft als Gattungswesen den gleichen Sta-tus zuzusprechen und sie als Subjekte selbstgesetzterZwecke und als Adressaten moralischer Verantwortunganzuerkennen.

Ist aber der Mensch das Wesen, zu dessen Natur esgehört, sich in Freiheit und Autonomie selbst zum Han-deln zu bestimmen, so muss ihm der Katalog der Grund-rechte zugebilligt werden, die seine Existenz sichern undseine persönliche Entwicklung in natürlicher und sozia-ler Umwelt ermöglichen. Diesen Katalog von Grund-rechten finden wir – zunächst formuliert in Form von Ab-wehrrechten gegenüber staatlichen Eingriffen – in denauf Art. 1 GG folgenden Vorschriften des Grundgesetzes.Sie beruhen auf der Garantie der Menschenwürde alsdem „Grund der Grundrechte“ und stellen die Auffäche-rung der unter dem Titel der Würde geschützten Sonder-stellung des Menschen dar. Ihre Ausgestaltung gibt zu-gleich Antwort darauf, inwieweit Grundrechte in derKollision mit anderen Rechtsgütern eingeschränkt wer-den können, ohne die Menschenwürde verletzen zu müs-sen. Diese schließt ein, dass Einschränkungen von Grund-rechten möglich sind.

Die aus der Menschenwürde folgenden Grundansprüchebeziehen sich zum einen auf das dem Menschen eigeneVermögen, Subjekt seines eigenen Denkens, Wollens undHandelns zu sein: Zu ihnen gehört an erster Stelle die For-derung auf Anerkennung der Freiheit eines jeden Men-schen, dem von ihm als gut bzw. verpflichtend Erkanntenfolgen zu können. Diese fundamentale Freiheit, ohne dieder Mensch sich als sittliches Subjekt nicht zu vollziehenvermag, äußert sich in dem Anspruch auf Selbstbestim-mung eines jeden Einzelnen sowie in dem Anspruch aufungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit; diese Frei-heit aber schließt auch die Meinungs- und Gewissensfrei-heit sowie die Freiheit der Ausübung der selbst gewähl-ten Religion ein. Da zur Freiheit, der eigenen Einsicht

folgen zu können, unter den Bedingungen einer durchWissenschaft geprägten Kultur auch die Freiheit der For-schung gehört, sind auch die damit verbundenen An-sprüche Gegenstand der grundrechtlichen Sicherung.

Da der Mensch ein leiblich und sozial verfasstes Wesenist, beziehen sich die aus der Menschenwürde folgendenGrundansprüche und die davon abzuleitenden Grund-rechte zum anderen auf die Sicherung der leiblichen undsozialen Bedingungen, ohne die ein so verfasstes Wesenseine Daseinsform nicht zu verwirklichen vermag. Zu die-sen Grundansprüchen und den davon abzuleitendenGrundrechten gehören insbesondere der Anspruch aufWahrung der Integrität von Leib und Leben, der Anspruchauf Wahrung des Eigentums, der Anspruch auf sozialeFürsorge und auf Sicherung einer gesunden Umwelt.

Bei allen aus der individuellen Menschenwürde folgen-den Ansprüchen ist davon auszugehen, dass sie sowohl in-trapersonal als auch interpersonal in Spannung zueinan-der treten können. Für interpersonal konfligierendeAnsprüche der beschriebenen Art gilt, dass jeder vom Ein-zelnen erhobene Anspruch im gleichen Anspruch des An-deren seine notwendige Grenze findet. Allein der An-spruch auf Unverletzlichkeit der Würde des Einzelnenläßt keine Einschränkung zu.

2.2.1.2 Medizinethische PrinzipienGrundlegende sittliche Überzeugungen kommen auch indem Normgefüge zum Ausdruck, das sich in der Medizinseit der Antike als spezifische Berufsethik ausgebildet undentwickelt hat. Eine solche Berufsethik ist vor allem inden Berufen unabdingbar, in denen die Ausübung des Be-rufs andere Menschen in schwerwiegender Weise betref-fen kann. Im Fall der Medizin umfasst diese BerufsethikPflichten wie die, der Patientin bzw. dem Patienten nichtzu schaden (Nil nocere), alles Handeln am Ziel der Hei-lung der Patientin bzw. des Patienten auszurichten (Salusaegroti suprema lex), den Beruf gemäß den Regeln derKunst auszuüben, d. h. Kompetenz und verfügbare Mittelzur Heilung der Patientin bzw. des Patienten einzusetzenund sich selbst fortzubilden, um die fachliche Kompetenzzu erhalten und zu erweitern. Für den Arzt und die Ärztingehören dazu Empathie mit der Patientin und dem Pati-enten, Wahrhaftigkeit in der Aufklärung der Patientin unddes Patienten, Wahrung der Vertraulichkeit, Verschwie-genheit gegenüber Dritten u. a. mehr.

Zentrale berufsethische Pflicht aller ärztlich Handelndenist – nicht zuletzt wegen der berufsbedingten Asymmetriezwischen Ärztin bzw. Arzt und Patientin bzw. Patient –der Respekt vor der Autonomie der Patientin bzw. des Pa-tienten, insbesondere wenn es um einen Behandlungsver-zicht geht. Jeder medizinische Eingriff muss sich sowohlaus den Regeln der ärztlichen Kunst (medizinische Indi-kation) als auch aus dem Patientenwillen legitimieren. ZuRecht hat deshalb die Berufsethik – nicht zuletzt nach derErfahrung des Mißbrauchs ärztlichen Handelns im Natio-nalsozialismus und dem daraus erwachsenen NürnbergerKodex von 1947 – jede medizinische Intervention an dieZustimmung der Patientin bzw. des Patienten nach Auf-klärung (informed consent) gebunden. Über den Belmont

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 21 – Drucksache 14/9020

Report54 ist dieses Prinzip auch zum ersten von drei bzw.vier Prinzipien geworden, die der Four-principle-way derMedizinethik nennt (autonomy, nonmaleficence, benefi-cence, justice55), der in den USA entwickelt wurde undweltweit besondere Beachtung gefunden hat. Das Men-schenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europa-rates nennt neben dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1)und den Prinzipien der Berufsethik (Art. 4) auch das Prin-zip des informed consent der Patientin bzw. des Patientenan zentraler Stelle (Art. 6), enthält aber auch in Deutsch-land kontrovers diskutierte Regelungen zur fremdnützi-gen Forschung an Nichteinwilligungsfähigen und zur ver-brauchenden Embryonenforschung.

Nicht selten ist beim ärztlichen Handeln ethische Refle-xion und Abwägung erforderlich, wenn ethische Gebotebzw. Verbote oder Güter bzw. Ziele in Widerspruch gera-ten, wie dies beim Konflikt zwischen der Vertraulichkeitgegenüber der Patientin oder dem Patienten einerseits undder Schutzwürdigkeit von Dritten andererseits der Fall ist.Hier reicht eine Aufzählung der berufsethischen Pflichtenebenso wenig aus wie die Benennung der einschlägigenRegeln: auch eine ausgefeilte Kasuistik stößt auf Gren-zen.

Herausgefordert ist damit die ethische Urteilsbildung derhandelnden Personen. Sie steht vor der Möglichkeit, ei-nem der in Konflikt stehenden Werte den Vorzug vor denanderen zu geben oder aber die Werte unter größtmögli-cher Schonung eines jeden von ihnen miteinander in Formeiner praktischen Konkordanz zu verbinden. Dies betrifftsowohl den Fall der zu findenden praktischen Norm beikonfligierenden sittlichen Intentionen als auch die Abwä-gung im Einzelfall. Im letzten Fall sind neben der Urteils-kompetenz die Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahmeder Verantwortung erforderlich. Die ärztliche Berufsethikist daher über Normen und Regeln hinaus auf Einstellun-gen und Haltungen (Tugenden) verwiesen.

2.2.1.3 Forschungsethische Prinzipien Forschung spielt in der modernen Medizin eine zentrale,in Zukunft weiter zunehmende Rolle. Sie ist nicht nur er-forderlich im Blick auf den Gewinn von Grundlagener-kenntnissen, aus denen sich neue diagnostische, therapeu-tische und präventive Ansätze ergeben, und für die weitereEntwicklung solcher Ansätze bis zur Anwendungsreife;sie ist auch notwendig, um Sicherheit und Qualität vielermedizinischer Interventionen zu sichern. Forschung ist da-

her in der modernen Medizin nicht nur wissenschaftliche,sondern auch ethische Verpflichtung.

Doch bedarf jede einzelne medizinische Intervention, dieForschung an Menschen zum Gegenstand hat, in ethischerund rechtlicher Hinsicht besonderer Rechtfertigung. Dennim Unterschied zum ärztlichen Handeln, das innerhalb ei-ner Arzt-Patient-Beziehung der Diagnose und Therapie(einschließlich Prävention) der betreffenden Patientin bzw.des betreffenden Patienten dient und dementsprechendstrikt individualnützig erfolgt, zielt forschendes Handelnauf die Erkenntnis von Regularitäten, im Idealfall von ge-setzmäßigen Zusammenhängen bestimmter Faktoren ab.Die untersuchte Person ist Gegenstand des Interesses, in-sofern sie einen möglichen Fall dieser vermuteten Regu-larität darstellt. Von allen anderen Faktoren muss abgese-hen werden; in der Perspektive der Forschung erscheinendie Patientin bzw. der Patient als Probandin oder Proband.

Innerhalb der medizinischen Forschung können die Ziel-setzungen des ärztlichen Handelns und des Forschungs-handelns zugleich verfolgt werden, wenn beispielsweiseneu entwickelte Arzneimittel im Rahmen von Forschungs-studien der Stufen III und IV erprobt werden; sie könnenaber auch auseinandertreten, wenn es sich um Forschunghandelt, die noch ohne Nutzen für die zu untersuchendeProbandin bzw. den untersuchten Probanden ist, wie esbei Humanexperimenten bzw. Arzneimittelerprobung derStufe I der Fall ist.

Da Forschung, die mit Patientinnen und Patienten bzw.Probandinnen und Probanden geschieht, aufgrund der ge-nannten Zielsetzung und der dementsprechenden methodo-logischen Kriterien unvermeidlich eine – mehr oder mindergroße – Instrumentalisierung der Patientin oder des Pati-enten bzw. der Probandin oder des Probanden einschließtund mit der Gefahr besonderer Risiken und Schäden ver-bunden ist, kann sie nur unter zusätzlichen, spezifischenKriterien als ethisch und rechtlich gerechtfertigt betrach-tet werden.

Selbstverständlich gelten für die Forschung an Patientin-nen und Patienten im Rahmen therapeutischen Handelnsuneingeschränkt die bereits genannten ethisch-rechtli-chen und medizinethischen Normen. Doch sind im Blickauf das damit verbundene Forschungshandeln zusätzlicheNormen zu beachten; erst recht gilt dies für Forschung amMenschen, die keine therapeutische Bedeutung für die be-troffenen Personen besitzt. Zu den Kriterien gehört an ers-ter Stelle die Zustimmung der betroffenen Person nachentsprechender Aufklärung, wie sie für die Legitimationder therapeutischen Intervention ohnehin erforderlich ist,im Fall des Forschungshandelns jedoch zusätzlich derschriftlichen Form und entsprechender Dokumentationbedarf. Darüber hinaus müssen die Alternativlosigkeit derbetreffenden Forschungsmaßnahme und das Gewicht deszu erwartenden wissenschaftlichen Gewinns nachgewie-sen und das Verhältnis der in Rechnung zu stellendenSchädigungen und Risiken gegenüber dem zu erwarten-den therapeutischen bzw. kognitiven Gewinn vertretbarsein. Die Patientin bzw. der Patient muss die Teilnahme ander Forschungsmaßnahme jederzeit ohne nachteilige Fol-gen für seine Gesundheit bzw. für die Behandlung seinerKrankheit abbrechen können und für die Zeit ihrer bzw.

54 Der 1978 von der National Commission for the Protection of HumanSubjects in Research in Biomedical and Behavioral Research veröf-fentliche Belmont Report: Ethical Principles and Guidelines for theProtection of Human Subjects of Research hatte insbesondere insti-tutionelle Vorkehrungen zur Gewährleistung der freiwilligen und in-formierten Zustimmung von Probandinnen und Probanden zum Ge-genstand. In diesem Bericht werden die Prinzipien des Respekts vorPersonen, der Fürsorge und der Gerechtigkeit als normative Bezugs-punkte herangezogen.

55 Prinzip der Selbstbestimmung bzw. des Respekts vor der Autonomie,Prinzip der Schadensvermeidung, Prinzip der positiven Fürsorge-pflicht und Prinzip der Gerechtigkeit. Vgl. dazu Beauchamp/Childress 1994.

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seiner Teilnahme an der Forschungsmaßnahme durch eineProbandenversicherung geschützt sein. Ferner muss dieMitwirkung einer unabhängigen Ethikkommission gefor-dert werden. Zu prüfen sind dabei Zusammensetzung undZuständigkeit der Ethikkommission. Bei Forschungen inbesonders innovativen Bereichen, deren Gefahren und Risiken schwer abzusehen sind, sind zusätzliche Prüfver-fahren vorzusehen, wie beispielsweise eine zusätzlichezentrale Ethik-Kommission, in der besonderer Sachver-stand vertreten ist; auch ist gegebenenfalls die Forschungan besondere Zentren zu binden und einer Registrierungs-pflicht zu unterwerfen.

Eine besondere Problematik stellen diejenigen Forschun-gen dar, die an Personen vorgenommen werden, die nichtin der Lage sind, ihre informierte Zustimmung zu den in-tendierten Forschungsmaßnahmen zu geben. Wenn vonder Forschungsmaßnahme erwartet werden kann, dass sie– zumindest potenziell – der betroffenen Person selbst nütztund dieser Nutzen potenzielle Risiken überwiegt, ist es – so besagen es auch die Helsinki-Deklaration zur For-schung am Menschen des Weltärztebundes und das Men-schenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europa-rates – ethisch und rechtlich vertretbar, dass die informierteZustimmung durch die Vertreterin bzw. den Vertreter imWillen erfolgt. In rechtlicher Hinsicht lässt das Arznei-mittelgesetz (AMG) die Forschung an Minderjährigenunter engen Bedingungen zu, wenn es sich um die Erpro-bung von Diagnostika und Prophylaktika in Bezug aufKinderkrankheiten handelt.56

Kontrovers wird die Frage beantwortet, ob auch fremd-nützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Perso-nen vorgenommen werden darf. In ethischer Hinsicht istdie Beantwortung davon abhängig, ob die Forschungsin-tervention, die nicht zum potenziellen Nutzen der nicht-einwilligungsfähigen Person durchgeführt wird und nurdurch den Nutzen für andere Personen ihrer Gruppe ge-rechtfertigt werden kann, nicht als solche bereits eine un-zulässige Instrumentalisierung der Person darstellt undinsofern dem Willen des gesetzlichen Vertreters entzogenist. Das Betreuungsrecht erlaubt der Betreuerin bzw. demBetreuer eine Zustimmung nur, wenn es dem Wohl der be-treuten Person dient.57 Das Menschenrechtsübereinkom-men zur Biomedizin des Europarates erlaubt fremdnützigeForschung an nichteinwilligungsfähigen Personen, wennsie nur mit „minimalem Risiko“ und „minimaler Belas-tung“ verbunden und alternativlos für die Heilungschan-cen der betroffenen Gruppe ist.58 Außerdem müssen die

zuständige Ethikkommission sowie die gesetzliche Ver-treterin bzw. der gesetzliche Vertreter zugestimmt habenund die betroffene Person darf keine Ablehnung gezeigthaben. Eine ähnliche Regelung sieht auch die Helsinki-Deklaration in ihrer Fassung von Edinburgh 2000 vor.

Von den Kritikerinnen und Kritikern des Menschenrechts-übereinkommens zur Biomedizin wird darauf hingewie-sen, dass die subjektive Wahrnehmung einer minimalenBelastung durch nichteinwilligungsfähige Personen vonAußenstehenden oft nicht zutreffend eingeschätzt werdenkann. Die meisten Personen, um die es hier geht, nehmen dieWelt intuitiv wahr und können Maßnahmen, die gemeinhinals wenig belastend eingeschätzt werden, durchaus alsAngst auslösend erleben. Daher besteht grundsätzlich dieGefahr einer unzulässigen Instrumentalisierung von Perso-nen dieser Gruppe durch fremdnützige Forschung.

Von den Befürworterinnen und Befürworten des Men-schenrechtsübereinkommens zur Biomedizin wird daraufhingewiesen, dass bei einer Abstinenz von Forschung annichteinwilligungsfähigen Personen, diese Gruppe zu-mindest teilweise von medizinischen Entwicklungen undvon Heilungschancen ausgeschlossen wird.

In Deutschland erlaubt das Betreuungsrecht eine Zustim-mung der Betreuerin bzw. des Betreuers zu ausschließlichfremdnützigen Forschungen nicht, da diese nur zum Wohldes Betreuten einwilligen dürfen. Eine fremdnützige For-schung an Menschen, die selbst nicht einwilligen können,ist damit ausgeschlossen. Allerdings eröffnet die Bindungan den potenziellen Nutzen eine Grauzone.

2.2.2 In Bezug auf das soziale MiteinanderDie gegenwärtige Praxis und die neuen Entwicklungender modernen Medizin sind aus sozialethischer Perspek-tive vor dem Hintergrund der dynamischen und komple-xen Struktur moderner Gesellschaften zu sehen. Die Ent-wicklungen innerhalb der modernen Medizin verändernin vielfältiger Weise die gesellschaftliche Wirklichkeit –zum Positiven wie zum Negativen. Sie schaffen neueHandlungsoptionen und damit auch neue Entscheidungs-zwänge, sie haben Einfluss auf Rollenerwartungen, etwagegenüber werdenden Eltern, sie verändern die Arzt-Pati-ent-Beziehung, sie verändern die medizinische Praxis wieauch das gesamte Gesundheitssystem, und sie verändernunser Verständnis von Leben, Krankheit und Tod. Die da-mit verbundenen direkten und indirekten gesellschaftlichenFolgen können nur in einer transdisziplinären Zusammen-arbeit von Sozialwissenschaften und Ethik analysiert undethisch beurteilt werden.

In Bezug auf die Arbeit der Enquete-Kommission bedeu-tet dies,

– dass problematische soziale Bedingungen und Folgender modernen Medizin besonders im Hinblick aufneue Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrundethischer Normen zu identifizieren sind,

– dass Handlungsmöglichkeiten, welche die sozialenStrukturen zum Besseren ändern könnten, zu eruierensind und

56 Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass Vorsorgeuntersuchungenund Impfungen für Kinder und Jugendliche potenziell vorteilhaftsind. Die Anwendung des Arzneimittels in der klinischen Prüfung angesunden Minderjährigen muss nach § 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG „nachden Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein,um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vorKrankheiten zu schützen“.

57 Auch die elterliche Sorge darf nur zum Wohle des Kindes ausgeübtwerden. Dies schließt die Zustimmung zu fremdnützigen Eingriffen,die dem Kind keinen individuellen Nutzen bringen, aus.

58 Vgl. E Desiderate, 1.2 Forschung an nichteinwillungsfähigen Men-schen.

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– dass Lösungen unter Berücksichtigung der sozialenBedingungen und der Analyse der Handlungsoptionenzu formulieren sind.

2.2.2.1 Sozialethik als InstitutionenethikIm Unterschied zur Individualethik akzentuiert die Sozial-ethik die Rechte, die der oder die Einzelne gegenüber derGesellschaft geltend machen können, bzw. die Pflichten,die sie oder er gegenüber der Gesellschaft, verstanden alsRechtegemeinschaft aller in ihr lebenden Menschen, hat.

Sozialethik hat es also mit der gesellschaftlichen Veran-kerung und der institutionellen Absicherung subjektiverRechte sowie mit der „Verantwortung für die soziale Mit-welt“ zu tun.59 In diesem Sinne ist Sozialethik als „Insti-tutionenethik“ (Wilhelm Korff) zu verstehen. Dabei istzunehmend (durch die internationale Verflechtung vonWissenschaft und Wirtschaft) eine internationale Per-spektive gefordert.

2.2.2.2 Sozialethik als StrukturenethikDarüber hinaus spielt der dynamische Wandel sozialerWerte und Normen für die Sozialethik eine wichtigeRolle. Persönliche moralische Überzeugungen werdendurch gesellschaftliche Normensysteme beeinflusst, unddas Handeln nach solchen Überzeugungen wirkt auf diegesellschaftlichen Normensysteme zurück. Dieses Ver-hältnis kann als „dialektische Beziehung zwischen sub-jektiver und objektiver Wirklichkeit“ beschrieben wer-den.60 Dasselbe gilt für öffentliches Handeln, etwa inWissenschaft und Medizin, bzw. für darauf bezogene po-litische Entscheidungen. Diese gestalten und veränderndie gesellschaftliche Wirklichkeit, sind aber gleichzeitig andie Legitimation durch soziale Werte und Normen gebun-den. Die so beschriebenen sozialen Strukturen sind eben-falls Gegenstand ethischer Reflexion. In diesem Sinne kannSozialethik auch als „Strukturenethik“ (Wilhelm Korff)verstanden werden.

Moderne Gesellschaften weisen keine integrative Sozial-struktur auf, welche sich durch Sinndeutungen legitimiert,die von religiösen Institutionen „monopolistisch verwal-tetet“ werden.61 Das heißt aber nicht, dass in modernenGesellschaften im Zuge einer zunehmenden „Rationalisie-rung“ (Max Weber) keine Sinnstiftung mehr stattfindenwürde. Diese ist lediglich nicht mehr einheitlich, sonderngewissermaßen „privatisiert“: Sinnstiftung scheint zuneh-mend aus dem persönlichen Nahbereich (Familie, Part-nerschaft, Freundeskreis), aber auch aus den Naturwis-senschaften und der Ökonomie gewonnen zu werden. Diedaraus resultierende Pluralität an Lebensstilen, morali-schen und politischen Überzeugungen sowie Welt- undMenschenbildern, die es in modernen Gesellschaften ne-beneinander gibt, stellt die Sozialethik vor besondere He-rausforderungen.

Das öffentliche Handeln muss sich angesichts derart kom-plexer gesellschaftlicher Strukturen dennoch auf allge-meingültige sozialethische Prinzipien stützen können, willes sich nicht völlig in den Dienst partikularer Interessen-verfolgung stellen lassen. Die Frage ist, welche Prinzipienals allgemeingültig gelten können. Hierfür kommen in ers-ter Linie solche Prinzipien in Frage, die auf gesellschaft-lich-struktureller und institutioneller Ebene Gerechtigkeitherstellen wollen und sich dabei auf die Wahrung der Men-schenwürde bzw. der Menschenrechte beziehen.

2.2.2.3 GerechtigkeitGerechtigkeit ist der normative Maßstab, nach dem ge-sellschaftliche Institutionen und Strukturen zu beurteilensind. „(N)och so gut funktionierende und wohlabgestimmteGesetze und Institutionen (müssen) abgeändert oder abge-schafft werden, wenn sie ungerecht sind.“62 Dabei geht esin erster Linie um die soziale Gerechtigkeit (und nichtetwa um die Gerechtigkeit als persönliche Tugend) unddamit um die gerechte Verteilung von Rechten und Pflich-ten sowie von sozialen und ökonomischen Gütern. DieIdee der moralischen Gleichheit bildet die Grundlage allermodernen Gerechtigkeitsvorstellungen. Die verschiede-nen Konzepte von Gerechtigkeit unterscheiden sich dabeiallerdings erheblich.

Ein utilitaristisches Gerechtigkeitsverständnis etwa aufder Grundlage des Ziels der Nutzenmaximierung berück-sichtigt grundlegende moralische Rechte sowie Vertei-lungsaspekte in unzureichender Weise und verletzt daherim Grunde die Idee moralischer Gleichheit. Dagegen bringtdas Ausgehen von unveräußerlichen Rechten und das Ein-nehmen eines „unparteiischen Standpunkts“ (John Rawls)bei der Verteilung von Vorteilen und Lasten, die aus demgesellschaftlichen Zusammenwirken aller erwachsen, dieIdee der moralischen Gleichheit zum Ausdruck.

Ein kommunitaristisches Gerechtigkeitsverständnis gehtdavon aus, dass verschiedene Gemeinschaften unterschied-liche Konzeptionen von Gerechtigkeit haben, die folglichnur innerhalb dieser Gemeinschaften gelten und derenReichweite auf die Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaftbeschränkt ist. In einer universalistischen Moralkonzeptionkantischer Prägung dagegen überschreiten Fragen der Gerechtigkeit die Grenzen von Gemeinschaften, Gesell-schaften, Kulturen und Generationen.

In der kantischen Tradition ist Gerechtigkeit kein Gut un-ter anderen, sondern oberste interpersonale Norm, nachder Rechtekonflikte und Güterabwägungen zu entschei-den sind. Sie beansprucht universelle Gültigkeit. Da derBegriff der „Gerechtigkeit“ zunächst nur formal und nichtinhaltlich gefüllt ist, muss er, um öffentliche Handlungenleiten zu können, durch sozialethische Prinzipien gefülltwerden. Das heißt, das allgemeine sozialethische Prinzipist die Gerechtigkeit; dieses ist durch besondere sozial-ethische Prinzipien zu konkretisieren.

In diesem Sinne ist das öffentliche Handeln auf besonderesozialethische Prinzipien oder auch „Kriterien gerechter

59 Korff 1998.60 Berger/Luckmann 1969.61 Luckmann 1980. 62 Rawls 1975, S. 19.

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Politik“ (Otfried Höffe) verpflichtet. Von der Menschen-würde her gedacht sind diese aus den subjektiven Grundrechten zu gewinnen. Die drei Grundformen derGrundrechte sind individuelle Freiheitsrechte, soziale An-spruchsrechte und politische Mitwirkungsrechte. Nach An-sicht der Enquete-Kommission entsprechen dem aus so-zialethischer Perspektive die Prinzipien der Freiheit undSelbstbestimmung, der Gleichberechtigung und Nicht-diskriminierung, der Solidarität und der politischen Parti-zipation. Diese Prinzipien ge- oder verbieten Handlungenaber nicht unmittelbar, sondern stellen normative Leit-prinzipien für politische Entscheidungen im Hinblick aufdie Entwicklung der institutionellen und strukturellen gesellschaftlichen Ordnung dar. Die sozialethischen Leit-prinzipien verweisen auf die Herstellung gerechter Insti-tutionen und auf eine „Ethik der Befreiung“ von struktu-reller Gewalt in sozialen Systemen.63

2.2.2.4 Freiheit und SelbstbestimmungZum Menschenwürdeprinzip gehört auch die Wahrungder personalen Selbstbestimmung und das Recht auf freieEntfaltung der Persönlichkeit. In sozialethischer Hinsichtfolgt daraus die Verpflichtung, soziale Institutionen aufallen Organisationsebenen so zu gestalten, dass individu-elle Freiheitsspielräume möglichst weit gefasst werdenund die individuelle Selbstbestimmungsfähigkeit mög-lichst gefördert wird. Hieraus ergeben sich zum einen in-dividuelle Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen,zum anderen Verpflichtungen des Staates, dort zu interve-nieren, wo individuelle Freiheitsspielräume durch das Han-deln Dritter übermäßig eingeschränkt werden oder die Ach-tung von Grundrechten Einiger durch Handlungen Dritterin Gefahr gerät. Die sozialethische Verpflichtung zur Wah-rung der Selbstbestimmung bezieht sich jedoch nicht nurauf den Schutz von Spielräumen individuellen Verhaltensvor Freiheitseinschränkungen, sondern enthält auch einePflicht zur aktiven Förderung individueller Fähigkeitenzur Selbstbestimmung (z. B. durch Bildung, freien Zu-gang zu Informationen etc.).

Die individuellen Freiheitsrechte hängen somit eng mitden sozialen Anspruchsrechten zusammen, weil jederMensch zumindest in vielen Phasen seines Lebens (z. B.Kindheit, Krankheit, Alter) für die Wahrnehmung seinerindividuellen Freiheitsrechte von der Unterstützung durchandere abhängig ist.

2.2.2.5 Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung

Die Forderung nach Gleichberechtigung basiert auf dergleichen Berücksichtigung der subjektiven Grundrechtealler Menschen. Niemand darf aufgrund seiner Hautfarbe,seines Geschlechts, seiner gesellschaftlichen Rolle, seinerGesundheit oder anderer – moralisch gesehen – willkürli-cher Gesichtspunkte Anspruch auf Privilegierung erhe-ben. Die Wahl der Lebensform soll in der freien Ent-scheidung des Einzelnen liegen und nicht von außen über

ökonomische Abhängigkeit und kulturellen Zwang vor-gegeben werden.

Die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig vonEigentum, Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe,kultureller Herkunft, Alter, Gesundheit und individuellenFähigkeiten als sozialethisch-politisches Leitprinzip machtes erforderlich, der direkten und indirekten Diskriminie-rung gesellschaftlicher Gruppen entgegenzuwirken. Di-rekte Diskrimierung bedeutet eine moralisch nicht ge-rechtfertigte Ungleichbehandlung oder Ausgrenzung vonMenschen durch andere Menschen bzw. durch Institutio-nen. Darunter wäre etwa die Diskriminierung von Arbeit-nehmerinnen bzw. Arbeitnehmern oder von Versichertenoder von Menschen mit Behinderung auf der Grundlage vonGentests zu verstehen. Unter indirekter Diskriminierungsind soziale Werte und Normen zu verstehen, die eine Ge-ringschätzung bestimmter Menschen ausdrücken. Darunterwürde die Etablierung gesellschaftlicher Normen wie bei-spielsweise „Lebenswertzuschreibungen“ aufgrund chro-nischer Krankheit oder Behinderung fallen.

Das sozialethische Prinzip der Gleichberechtigung, dasverfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verankert ist,verweist auf die Notwendigkeit einer vollen gesellschaft-lichen Integration von Menschen mit Behinderungen. DieAusgrenzung von Menschen mit Behinderungen aus demgesellschaftlichen Leben muss als direkte Diskriminie-rung angesehen werden. Die mangelnden Möglichkeitender Begegnung zwischen Behinderten und Nichtbehin-derten bereiten darüber hinaus den Boden für Vorurteileund indirekte Diskriminierung. Das sozialethische Prin-zip der Gleichberechtigung erfordert auch die Förderungder Gleichstellung der Geschlechter im öffentlichen undim familiären Leben (vgl. Art. 3 Abs. 2 GG).

2.2.2.6 SolidaritätAuch Solidarität bezieht sich, ganz allgemein betrachtet,auf Gleichheit. Damit kann entweder die Gleichheit dersozialen Lage bzw. die Gleichheit der Zugehörigkeit zueiner bestimmten Gruppe, Gesellschaft, Nation etc. oderaber die moralische Gleichheit aller Menschen gemeintsein. Für den normativen Gehalt des sozialethischen Soli-daritäts-Prinzips auf der Grundlage der Menschenwürdeist vor allem letzteres relevant. Solidarität ist ein Handelnin Situationen, in denen Ungerechtigkeit wahrgenommenwird und das sich an der (Wieder-) Herstellung von Ge-rechtigkeit orientiert. Forderungen der Solidarität sind da-her vielfach zugleich schon solche der Gerechtigkeit.Trotzdem aber geht Solidarität nicht in Gerechtigkeit auf.64

Solidarität als sozialethisch-politisches Leitprinzip gehtvon dem gegenseitigen Angewiesensein von Menschen inLebensgemeinschaften aus und betont die sozialen An-spruchsrechte als subjektive Grundrechte. Damit ist derAnspruch auf Fürsorge und Unterstützung im Fall vonmaterieller Not, Krankheit, Behinderung oder Alter ge-meint, der gegenüber der Gemeinschaft geltend gemacht

63 Mieth 1998, S. 244ff. 64 Hübenthal 2000.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 25 – Drucksache 14/9020

werden kann. Auf gesellschaftlicher Ebene verweist diesauf die Notwendigkeit der institutionellen Absicherung dersozialen Anspruchsrechte. Neben den individuellen Grund-rechten und den sie betreffenden staatlichen Schutzpflich-ten steht das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), ausdem sich unter anderem ein Gebot, den Schwächeren zuschützen, und ein Gebot zur Sicherung der Verteilungsge-rechtigkeit ableiten lassen. Andererseits besteht kein An-spruch auf jede medizinisch mögliche oder wünschenswerteVersorgung, sondern nur auf „ausreichende“ Versorgung imRahmen der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Gesund-heitssystems.

Solidarität ist eng mit den Gedanken der Nächstenliebeund der Mitmenschlichkeit verbunden, d.h. mit dem Ap-pell, dem anderen in der Not zu helfen und für ihn einzu-treten. Von der Arbeiterbewegung wurde das Verständnisvon Solidarität im Hinblick auf das Ziel einer solidari-schen Gesellschaft bzw. einer solidarischen Weltordnungerweitert.65

Verschiedene Gruppen innerhalb der Gemeinschaft sindauf unterschiedliche Weise von Ungerechtigkeit betrof-fen. Das Prinzip der Solidarität rechnet mit solchen Un-gleichheiten und fordert diese – sofern sie ungerecht sind– auszugleichen oder aufzuheben, dabei aber die konkreteIdentität des Anderen zu achten. In diesem Zusammen-hang trägt solidarisches Denken und Handeln zwischenMitgliedern unterprivilegierter Gruppen und die an an-dere gerichtete Forderung nach Solidarität mit unterprivi-legierten Gruppen den gerechtfertigten Widerstand gegenUngerechtigkeit mit.

Das sozialethisch-politische Solidaritätsprinzip zielt alsoauf eine das Gemeinwohl fördernde gesellschaftlichePraxis und damit auf ein verbindliches gesellschaftlichesZusammenleben, das die Rechte des Einzelnen schütztund doch der Pluralität von Lebensformen gerecht wird.Solidarität steht in einem Spannungsverhältnis zu Indivi-dualismus, Konkurrenz und Leistungsorientierung undverweist auf eine ordnungspolitische Gestaltung gesell-schaftlicher Strukturen und Institutionen, die dem Men-schen als freiem und abhängigem Wesen gerecht wird.

2.2.2.7 PartizipationPartizipation als Beteiligung Betroffener an Entscheidun-gen und als Ausdruck politischer Freiheit ist unverzichtba-rer Bestandteil jeder demokratischen Gesellschaft. Politi-sche Partizipation als sozialethisches Leitprinzip bedeutetin diesem Sinne die „größtmögliche Mitwirkung des Ein-zelnen an der Festlegung und Verwirklichung humanerNormen“ (Otfried Höffe).

Politische Partizipation kann formal direkt (durch Bürge-rinnen- und Bürgerbeteiligung) oder repräsentativ (durchgewählte Vertreterinnen oder Vertreter) organisiert sein.Vor allem die direkte politische Partizipation dient der Kon-trolle des Einflusses von Gruppeninteressen, dem Schutzvor Ausgrenzung und vor Manipulation. Aus dem Partizi-

pationsprinzip folgt das leitende Ideal für die politischeKommunikation als gemeinsame Suche nach verallge-meinerungsfähigen politischen Lösungen, denen alle Be-troffenen zustimmen können.66 Das können gegebenen-falls auch Kompromisse sein, sofern diese von allenBetroffenen akzeptiert werden können. Dies ist insbeson-dere relevant für die in der Öffentlichkeit ausgesprochenkontrovers diskutierten ethischen und rechtlichen Fragender modernen Medizin. Darüber hinaus erfordert das Par-tizipationsprinzip im Bereich der Gesundheitspolitik eineangemessene Beteiligung von Patientinnen und Patientenund von allen betroffenen Berufsgruppen an gesundheits-politischen Entscheidungen.

Die Möglichkeit politischer Partizipation setzt die Achtungindividueller Freiheitsrechte und sozialer Anspruchsrechtesowie gesellschaftliche Integration und Gleichberechti-gung voraus. Hierzu gehört die Beteiligung der jeweiligengesellschaftlichen Gruppen (z. B. Menschen mit chroni-schen Krankheiten oder Behinderungen) an politischenEntscheidungen in Bereichen der medizinischen For-schung und Praxis, die sie betreffen.

2.3 Recht und EthikDas Verhältnis zwischen Recht und Ethik stellt sich imBlick auf die Regelungsprobleme in der modernen Medi-zin unterschiedlich dar. Angesichts der unterschiedlichenethischen Überzeugungen innerhalb der Gesellschaft be-schränkt sich die Aufgabe des Rechts darauf, diejenigenFragen verbindlich zu regeln, die grundrechtlich gesi-cherte Ansprüche berühren oder unverzichtbare gemein-samen Belange betreffen. Dabei bezieht sich das positiveRecht auf die gemeinsamen ethischen Überzeugungen,insofern es sich an den Rechtsnormen des Grundrechts-teils unserer Verfassung orientiert, in denen diese ethi-schen Überzeugungen ihren Ausdruck gefunden haben.Im Bereich des Berufsrechts bezieht sich die Rechtsbil-dung auf das Ethos, das innerhalb der Berufsgruppe ent-wickelt wird und das Selbstverständnis des Arztberufszum Ausdruck bringt. Da die berufsrechtlichen Regelun-gen aufgrund eines gesetzlichen Auftrages erstellt unddurch die Landesregierungen in Kraft gesetzt werden,geht das Berufsethos auch in das positive Recht ein.

Besondere Probleme wirft das Verhältnis von Recht undEthik auf, wenn zur Regelung neuer Entwicklungen in derMedizin die Auslegung bestimmter Grundrechtsnormensowie deren Weiterentwicklung und Konkretisierung er-forderlich werden und hinsichtlich dieser Auslegung undWeiterentwicklung ein ethischer Dissens in der Gesell-schaft auftritt. Dies war beispielsweise in der Vergangen-heit bei der Erörterung der Kriterien für die Organent-nahme („Hirntod“-Kriterium und Todesverständnis) derFall und ist derzeit für die Frage nach dem moralischenStatus des Embryos in vitro festzustellen.

Um eine zustimmungsfähige Rechtsregelung bei beste-hendem grundlegenden ethischen Dissens zu finden,

65 Zoll 2000. 66 Habermas 1983, S. 53ff.

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kommen verschiedene Wege in Betracht: auf die Verfas-sungsnormen zurückzugehen und im Licht dieser Normennur das unbedingt gebotene Minimum rechtlich zu veran-kern und die darüber hinaus gehenden Entscheidungender ethischen Verantwortung des Einzelnen zu überlassen;zwischen dem ethisch und rechtlich Unzulässigen und

dem nicht mit (straf-)rechtlichen Sanktionen Verfolgtenzu unterscheiden; die Entscheidung des Parlaments nachbreiter Erörterung innerhalb der Gesellschaft durch ein ei-gens dazu berufenes Gremium vorzubereiten. Die Debatteder hier sich stellenden Probleme hat bislang noch nichtzu einem Abschluss gefunden.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 27 – Drucksache 14/9020

1 Präimplantationsdiagnostik

1.1 Einleitung Gegenstand dieses Kapitels ist die Präimplantationsdiagnos-tik (PID, engl. Preimplantation Genetic Diagnosis, PGD).Diese Untersuchungsmethode ermöglicht es, Embryonen,die außerhalb des Mutterleibes erzeugt wurden, Zellen zuentnehmen und diese auf bestimmte genetische Merkmaleoder Chromosomenstörungen hin zu untersuchen. Der Em-bryo wird nur dann in die Gebärmutter einer Frau übertra-gen, wenn keine Chromosomenstörungen gefunden werdenbzw. die genetischen Befunde den Wünschen und Erwar-tungen der zukünftigen Eltern entsprechen. Während diePID in den USAschon seit 1990 angewandt und inzwischenauch in den meisten europäischen Ländern durchgeführtwird, ist sie in Deutschland durch das Embryonenschutzge-setz verboten. Die Tatsache, dass etliche Wissenschaftlerund einige Paare darauf drängen, die PID auch in Deutsch-land zuzulassen, ist für die Enquete-Kommission Anlass,sich mit der Problematik der PID auseinander zu setzen.

Da die PID nur in Verbindung mit einer künstlichen Be-fruchtung durchzuführen ist, musste auch diese Technikin die Beratung der Kommission mit einbezogen werden.Dabei war es weder gewollt noch erforderlich, das Feldder In-vitro-Fertilisation (IVF) in seiner ganzen Breite zubehandeln. Die Kommission hat sich vielmehr auf diePID-spezifischen Anteile der IVF beschränkt. Diese Be-schränkung zeigt sich unter anderem auch in dem Emp-fehlungsteil zur IVF, der gegenüber dem der PID wenigerdifferenziert und umfangreich ist.

Der immer wieder angestellte Vergleich zwischen Präim-plantationsdiagnostik einerseits und pränataler Diagnos-tik (PND) andererseits machte es erforderlich, auch diePND zu thematisieren. Das erkenntnisleitende Interesselag hierbei vor allem auf der Entwicklungs- und Anwen-dungsgeschichte dieser Methode. Was kann man aus derrund 30-jährigen Praxis der PND für eine eventuelle Zu-lassung und Anwendung der PID lernen? Vor allem: Wel-che Fehlentwicklungen gilt es zu vermeiden? Weil auchdieses Thema nur flankierend zu dem Hauptkapitel PIDzu sehen ist, erstrecken sich auch hier die abschließendenEmpfehlungen auf ein Mindestmaß.

Sowohl bei der IVF als auch bei der PND wurden dieEmpfehlungen konsensuell formuliert. Bei der PID wardies nicht möglich. Die unterschiedlichen Voten kommenin den entsprechenden Positionen A und B zum Ausdruck.

1.2 In-vitro-Fertilisation undPräimplantationsdiagnostik

1.2.1 Eingrenzung des Themas für dieBeratungen der Enquete-Kommission

Nach Auffassung der Enquete-Kommission „Recht undEthik der modernen Medizin“ ist es für eine qualifizierte

Diskussion der PID unerlässlich, einige Aspekte des Themenkomplexes der assistierten Fortpflanzung zu be-leuchten:

Für den Einsatz der verschiedenen „assistierten Repro-duktionstechnologien“ (ART) ist der Wunsch des Paaresnach einem von ihnen abstammenden Kind handlungslei-tend. Deshalb berührt die Diskussion über ART auch diegesellschaftlich wichtigen Themen Kinderlosigkeit und(unerfüllter) Kinderwunsch.

Die Darstellung von Behandlungsergebnissen, möglichenBelastungen und Risiken, deren Dokumentation sowie dieBeschreibung von Qualitätssicherungsmaßnahmen im Zu-sammenhang mit IVF bzw. ART sind in diese Bestands-aufnahme eingeschlossen.

Über das Verhältnis von PID und IVF hinausgehende Fra-gestellungen im Zusammenhang mit Verfahren der Re-produktionsmedizin im weiteren und der assistierten Re-produktion im engeren Sinne können hier nicht näherbehandelt bzw. lediglich kurz referiert werden. Dazuzählen

– Probleme des Zugangs zu Fortpflanzungstechnolo-gien,

– die nicht gesetzlich geregelte67 heterologe Spende von Samenzellen bzw. die nach dem Embryonen-schutzgesetz (ESchG) verbotene Spende von Eizel-len68 und die damit verbundenen medizinisch-techni-schen, psychologischen, ethischen und rechtlichenProbleme,

– die Leihmutterschaft69,

– grundsätzliche Fragen, wie die Änderung der Wahr-nehmung von Sexualität, Fruchtbarkeit und Schwan-gerschaft, ebenso wie Fragen nach der Rolle der Fraubzw. des Kindes und der Bedeutung der Familie imZusammenhang mit der medizinisch-technisch unter-stützten Fortpflanzung und

– die Frage eines geeigneten Beratungskonzeptes vor,während und nach der Inanspruchnahme fortpflan-zungsmedizinischer Maßnahmen.

C Themenfelder

67 Die sog. „heterologe Insemination“, die Befruchtung mit (ano-nym) gespendetem Sperma, ist in Deutschland nicht spezial-gesetzlich geregelt, wurde aber bislang bei der Zeugung von etwa 70 000 Kindern angewendet. Vgl. Günther/Fritsche 2000,S. 249.

68 Die Spende von (sog. „überzähligen“, kryokonservierten) Embryo-nen ist im Embryonenschutzgesetz im Unterschied zur Eizellspende(ESchG § 1 Abs. 1) nicht ausdrücklich geregelt. Vgl. dazu C1.2.3.3Zur Problematik der Eizellspende.

69 § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6 und 7, Abs. 2 Nr. 2 ESchG. Vgl. C1.2.3.3. ZurProblematik der Eizellspende.

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Drucksache 14/9020 – 28 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1.2.2 Assistierte Reproduktion

1.2.2.1 Historische Entwicklung derassistierten Reproduktion

Im Jahre 1978 wurde zum ersten Mal ein Kind geboren,das außerhalb des Körpers einer Frau gezeugt worden war(In-vitro-Fertilisation, IVF). Edwards und Steptoe, die„technischen Väter“, hatten seit 1963 die zwischenzeit-lich verfügbaren Kenntnisse über Eingriffe in die(menschliche) Fortpflanzung für ihre Studien genutzt.70

Die verschiedenen für die erfolgreiche praktische Durch-führung der künstlichen Befruchtung notwendigen Tech-

niken waren im Verlauf des 20. Jahrhunderts beschriebenworden: IVF und Embryotransfer (ET) beim Tier warengelungen, definierte Nährlösungen zur Embryokultur wa-ren ebenso verfügbar wie zuverlässige Schnelltests zurHormonbestimmung. Die hormonell ausgelöste Super-ovulation (gleichzeitige Reifung mehrerer Eizellen) warseit den 1940er-Jahren bei verschiedenen Säugetierspe-zies angewendet worden. 1968 wurde über eine Kaiser-schnittentbindung von Sechslingen bei der Frau nachHormonstimulierung berichtet. Bereits seit 1951 war dasPhänomen der Reifung der Samenzellen (Kapazitation)im weiblichen Organismus bekannt.71

Tabel le 1

Die Etablierung der extrakorporalen Befruchtung

Ereignis Versuchsobjekt Jahr Autor

Erste erfolgreiche künstliche Befruchtung eines Säugetiers Hund 1780 Spallanzani72

Erste Experimente zur Befruchtung außerhalb des Körpers an Säugetieren

Kaninchen, Meerschweinchen

1878 Schenk

Erste gelungene Embryoübertragung (ohne vorherige IVF) Angorakaninchen 1890 Heape

Beginn der Entwicklung einer Technik, Eizellen und Embryonen erfolgreich zu kultivieren

Kaninchen, Hausmaus

1930, 1949

Pincus, Hammond

Hormonelle Stimulation zur gleichzeitigen Reifung mehrerer Follikel (Superovulation)

1940 Pincus

Erste Embryoübertragung an landwirtschaftlichen Nutztieren Schaf 1944 Casida

Nicht eindeutig belegte IVF beim Menschen Mensch 1944 Rock, Menkin

Beobachtung der Reifung (Kapazitation) der Samenzellen Mensch 1951 Chang

Tiefgefrieren von befruchteten Eizellen Kaninchen 1952 Smith

Definierte Kulturlösungen von Eiern und Embryonen Maus 1956 Whitten

Erste eindeutig belegte IVF (durch Austragung der übertragenen Embryonen)

Kaninchen 1959 Chang

70 Siehe Ottmar 1995, S.1ff. 71 Die Fähigkeit zur Befruchtung erlangen die Spermien erst im weib-lichen Genitaltrakt durch noch nicht vollständig bekannte biochemi-sche Veränderungen, die als „Kapazitation“ bezeichnet werden. Un-ter In-vitro-Bedingungen wird die Kapazitation durch Zentrifugationder Spermien und anschließende Bebrütung in einem Kulturme-dium, das Albumin enthält, erreicht (sog. „sperm washing“ oder„sperm preparation“). Gemäß Ziffer 3 der Leistungsvoraussetzungendes Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztlicheMaßnahmen zur künstlichen Befruchtung ist für „die Maßnahmenim Zusammenhang mit der Untersuchung und Aufbereitung, gege-benenfalls einschließlich der Kapazitation, des männlichen Samens(...) die Krankenkasse des Ehemannes leistungspflichtig.“ Sieheauch C1.2.4.2.2.2 Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzteund Krankenkassen.

72 Precht 1999, S. 167; Encyclopaedia Britannica 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 29 – Drucksache 14/9020

1973 hatte eine Arbeitsgruppe um DeKretzer die ersteSchwangerschaft nach IVF-Behandlung herbeigeführt,allerdings kam es zu einer Fehlgeburt. Nach einigen Miss-erfolgen konnten Edwards und Steptoe eine erfolgreicheSchwangerschaft „nach laparoskopischer Entnahme einerOozyte am 10. November 1977, In-vitro-Fertilisation undnormaler Teilung im Kulturmedium und Transfer des 8-Zell-Embryos in den Uterus 2½ Tage später“ her-beiführen.75 Am 25. Juli 1978 wurde infolgedessen daserste Kind nach IVF, Louise Brown, geboren.

1.2.2.2 Definitionen

1.2.2.2.1 Reproduktionsmedizin undFruchtbarkeitsstörungen

Die Fortpflanzungs- oder Reproduktionsmedizin befasstsich mit allen Fragen der menschlichen Fortpflanzung(Entwicklung, Funktionen, Dysfunktionen, Diagnose undTherapie). Über die entwicklungsbiologischen Fragestel-lungen der Entstehung der weiblichen und männlichenGeschlechtsorgane hinaus steht insbesondere der ge-schlechtsreife Mensch im Zentrum ihres Interesses. Dazugehören die Erforschung und das Verständnis der (hor-monellen) Regulation und Funktion der weiblichen undmännlichen Fortpflanzungsorgane sowie verschiedenediagnostische und therapeutische Maßnahmen in Fällenvon Fehlfunktionen, z. B. bei ungewollter Kinderlosig-keit.

Die medizinischen Ursachen für ungewollte Kinder-losigkeit sind zwischen den beiden Geschlechtern etwagleich verteilt. Man geht davon aus, dass zu je 40 %männliche bzw. weibliche Fruchtbarkeitsstörungendafür verantwortlich sind, die restlichen 20 % werden als„idiopathisch“, d. h. medizinisch nicht erklärbar be-zeichnet.

Medizinisch wird unter Sterilität die „mangelnde Game-tenvereinigung“76, also die Empfängnisunfähigkeit77 ver-

standen, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO)definitionsgemäß dann vorliegt, „wenn innerhalb einesZeitraums von zwei Jahren, bei regelmäßigem, unge-schützten Geschlechtsverkehr keine Schwangerschafteingetreten ist“.78 Inzwischen wird vielfach bereits nacheinem Jahr von Sterilität ausgegangen.79 Diese Defini-tion80 lässt sowohl Ursachen als auch Prognosen über dieStörung der Fruchtbarkeit außer Acht. Als Infertilitätwird in der Reproduktionsmedizin die Unfähigkeit be-zeichnet, ein lebensfähiges Kind auszutragen und zu ge-bären.81

1.2.2.2.2 Assistierte ReproduktionAls „assistierte Reproduktion“ oder (nach dem anglo-amerikanischen Sprachgebrauch) „assistierte Reprodukti-onstechnologien“ (ART) werden alle ärztlichen Behand-lungen und Verfahren bezeichnet, welche die chirurgischeGewinnung von Eizellen aus den Ovarien (Eierstöcken)einer Frau und die anschließende Befruchtung der Eizel-len mit männlichen Spermien einschließen. Dazu zählenderzeit82:

noch Tabelle 1

Ereignis Versuchsobjekt Jahr Autor

Schnellbestimmungsverfahren von LH 73 und Östradiol durch RIA (Radio Immuno Assay)

Mensch 1962 Berson, Yalow

Möglicherweise erste IVF beim Menschen Mensch 1962 Edwards

Geburt des ersten durch IVF gezeugten Babys Mensch 1978 Edwards

ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) Mensch 1992 Palermo et al.74

Quelle: Ottmar 1995, S. 6 (modifiziert)

73 LH = Luteinisierendes Hormon.74 Palermo et al. 1992.75 Zit. n. Ottmar 1995, S. 5.76 Mettler et al. 2000, S. 194.77 Tinneberg 1995a, S. 45.

78 Hölzle 2001, S. 1. 79 Sterilität nach dem Zeitraum zwei Jahre siehe Stauber 1996; Runne-

baum/Rabe 1994; Felberbaum/Diedrich 1994. Sterilität nach demZeitraum ein Jahr siehe Breckwoldt 1994.

80 Zudem wird „zwischen primärer Sterilität, wenn eine Frau noch nieschwanger war, und sekundärer Sterilität, wenn nach mindestens ei-ner Schwangerschaft – gleichgültig ob die Geburt eines Kindes er-folgte oder nicht – keine weitere eintritt“, unterschieden (Nave-Herzet al. 1996, S. 18). In einer im Auftrag der Bundeszentrale für ge-sundheitliche Aufklärung (BZgA) durchgeführten Stichproben-Stu-die waren 1,7 % der befragten Frauen ungewollt kinderlos (gemäßvorstehender Definition „primär steril“, von der BZgA als „primärinfertil“ bezeichnet) und 1,8 % nachdem sie mindestens ein Kind be-kommen hatten „sekundär infertil“ bzw. „sekundär steril“. 15 % derin dieser Studie befragten Frauen hatten irgendwann in ihrem Lebendie Erfahrung einer infertilen Phase gemacht. Vgl. Bundeszentralefür gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14.

81 Vgl. Mettler et al. 2001, S. 194. Die im Vergleich zum Durchschnittder Bevölkerung verringerte Konzeptionsfähigkeit infertiler Paarewird weiterhin unterschieden in solche Fälle, in denen ohne Be-handlung keine Konzeption stattfindet und solche Fälle, in denenzwar eine verminderte Fruchtbarkeit vorliegt (Hypofertilität), die je-doch ohne Behandlung empfangen können. Vgl. European Societyof Human Reproduction and Embryology (ESHRE) 2000.

82 Bundesärztekammer 1998b.

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Drucksache 14/9020 – 30 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– In-vitro-Fertilisation (IVF) mit anschließendem Em-bryotransfer (ET)83;

– Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)84 indie Eizelle mit anschließendem ET;

– Intratubarer Gametentransfer (GIFT)85;

– Intratubarer Zygoten- bzw. Embryotransfer (ZIFTbzw. EIFT)86;

– Kryokonservierung (KRYO) von befruchteten Eizel-len im Vorkernstadium bzw. die Verwendung solcher„imprägnierten“ tiefgefrorenen Eizellen im Rahmender assistierten Reproduktion.

Im Prinzip handelt es sich bei IVF mit ET um eine Zeugungunter Umgehung der Eileiterpassage. Dabei werden nachhormoneller Stimulierung der Eierstöcke die reifen Eizel-len meist durch transvaginale Ultraschallpunktion gewon-nen, außerhalb des Körpers der Frau befruchtet und etwa48 Stunden nach erfolgreicher Befruchtung als Embryo-nen transvaginal in die Gebärmutter zurückgesetzt. Die IVF-Behandlung wird detailliert unter Abschnitt C1.2.3beschrieben.

Alle anderen Verfahren können auch als Sonderfälle bzw.Varianten der IVF aufgefasst werden. Sie unterscheidensich von der klassischen IVF entweder auf der Stufe derBefruchtung (ICSI) und/oder Rückübertragung in denKörper der Frau (GIFT, ZIFT, EIFT). Die Kryokonservie-rung (KRYO) stellt im Wesentlichen einen Technologie-schritt zur Konservierung von befruchteten Eizellen imVorkernstadium bzw. von Embryonen (in Deutschland87

nur in Ausnahmefällen zulässig) dar. Es werden auch Sa-menzellen und bei einigen noch ungelösten Problemenversuchsweise auch Eizellen bzw. Hoden- und Eierstock-gewebe gefrierkonserviert.88

Ein gemeinsames Kennzeichen aller Fortpflanzungstech-niken ist, dass sie mit Eingriffen in den weiblichen Körper

verbunden sind: Hormonelle Stimulation der Eireifungsowie operative Gewinnung der Eizellen und schließlichTransfer des Embryos oder der Gameten in die Gebär-mutter.

Diese Eingriffe werden heute auch vorgenommen, wenndie Fruchtbarkeit der Frau selbst nicht beeinträchtigt ist.Im Ergebnis wird so die Zeugungsunfähigkeit des Man-nes an der Frau behandelt. Denn im Unterschied zu denAnfängen in den 1980er-Jahren, als die IVF ausschließ-lich zur Behandlung von Frauen, deren Eileiter fehltenoder undurchlässig waren, empfohlen wurde, werdendiese Eingriffe seit Ende der 1980er-Jahre auch angewen-det, wenn männliche Unfruchtbarkeit vorliegt.89

1.2.3 Die In-vitro-Fertilisations-Behandlung90

Die In-vitro-Fertilisation (IVF) als „Kern“ der verschie-denen Methoden der assistierten Reproduktion bzw. imweiteren Sinne auch der Reproduktionsgenetik bezeich-net streng genommen nur die Zusammenführung von Ei-und Samenzelle außerhalb des Körpers in einem Rea-genzglas, wo der eigentliche Befruchtungsvorgang und(falls erfolgreich) die ersten Zellteilungen stattfinden.

Ein vollständiger IVF-Behandlungszyklus umfasst darü-ber hinaus allerdings weitere Schritte und dauert insge-samt mehrere Wochen:

– Hormonelle Stimulation der Frau zur multiplen Ei-zellreifung und Auslösung des Eisprungs;

– Gewinnung von Eizellen und Spermien;

– Befruchtung;

– Embryokultur;

– Embryotransfer;

– Kontrolluntersuchungen.

1.2.3.1 Die einzelnen Schritte im In-vitro-Fertilisations-Behandlungszyklus

1.2.3.1.1 Hormonelle Stimulation der Frau zurmultiplen Eizellreifung und Auslösungdes Eisprungs

Üblicherweise reift in jedem Zyklus der Frau nur ein Ei inden Eierstöcken heran. Bei der assistierten Reproduktionwird über Eingriffe in die hormonelle Regulation der Zy-klus so gesteuert, dass zu einem bestimmten Zeitpunktmehrere Eizellen heranreifen, um ein günstiges Ergebnisbei der Reagenzglasbefruchtung bzw. der späteren Em-bryoübertragung erzielen zu können:

83 Unter In-vitro-Fertilisation („Befruchtung im Glas“) versteht mandie Vereinigung von Ei- und Samenzelle außerhalb des Körpers (des-halb auch als „extrakorporale Befruchtung“ bezeichnet). Die Ein-führung des Embryos in die Gebärmutter wird als Embryotransferbezeichnet.

84 Befruchtung der Eizelle durch Injektion einer einzelnen Samenzelle.Die Samenzellen können aus dem Ejakulat oder direkt aus dem Ne-benhoden bzw. Hoden gewonnen werden.

85 Transfer von Ei- und Samenzellen in den Eileiter der Frau mittels Ka-theter (Gamete-Intrafalopian-Transfer). Weil der Erfolg der Be-fruchtung erst anhand der entstandenen Schwangerschaft ablesbarist, kann auch die befruchtete Eizelle oder der Embryo in den Eilei-ter übertragen werden.

86 Transfer der befruchteten Eizelle (Zygote) bzw. des Embryos in denEileiter der Frau (Zygote-Intrafalopian-Transfer, ZIFT bzw. Em-bryo-Intrafalopian-Transfer, EIFT).

87 Angaben des Deutschen IVF-Registers (DIR) zufolge sind inDeutschland zwischen 1998 und 2000 insgesamt 406 Embryonen„im Falle einer Notfallmaßnahme“ kryokonserviert worden, 335 vonihnen wurden wieder aufgetaut und im Rahmen der IVF-Behandlungihren genetischen Müttern eingepflanzt (Felberbaum 2001). Sieheauch Deutsches IVF-Register 2000, S. 26. Für weitere Angaben sieheauch C1.2.3.2 Kryokonservierung.

88 Siehe C1.2.3.2 Kryokonservierung.

89 Zum Beispiel durch Intrazytoplasmatische Spermieninjektion(ICSI), vgl. C1.2.4.2.3.1 Sonderfall Intrazytoplasmatische Sper-mieninjektion.

90 Vgl. Tinneberg/Ottmar 1995. Siehe auch http://www.familienpla-nung.de/kinderwunsch/daten/f3_02.htm (Stand: 27.3.2002) (Web-seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 31 – Drucksache 14/9020

– Vorbehandlung der Frau mit Ovulationshemmern91

ca. einen Monat vor Beginn der eigentlichen IVF-Be-handlung, d. h. tägliche Einnahme mindestens 15, ma-ximal 22 Tage ab beginnender Regelblutung; an-schließend zwei- bis dreimalige Injektion einesPräparates zur Unterdrückung des körpereigenen Fol-likelreifungshormons LH92.

– Stimulierung der Eizellreifung (Follikelstimula-tion): Nach erfolgter Regelblutung werden die Ova-rien durch mehrmalige Verabreichung von Hormonen(z. B. „Follikelstimulierendes Hormon“, FSH) dazuangeregt, mehrere Eibläschen (Follikel) gleichzeitigreifen zu lassen. Dadurch erhöhen sich die Chancen,dass sich mehrere befruchtungsfähige Eizellen gewin-nen lassen. Anschließend erfolgt die regelmäßigeKontrolle der Eireifung durch Ultraschall und Hor-mon-Blutwert-Analyse.

– Auslösen des Eisprungs (Ovulationsinduktion) durcheine intramuskuläre Injektion des Hormons HCG93

etwa eine Woche nachdem mit der Stimulation der Ei-erstöcke begonnen wurde. Voraussetzung ist, dass dasgrößte Eibläschen bei der regelmäßigen Ultraschall-kontrolle einen Durchmesser von etwa 18–20 mm auf-weist und die Hormonwerte im Blut die ausreichendeEireifung anzeigen.

Weil die hormonelle Stimulation und Superovulation„für einen Teil der Patientinnen mit einem erhöhten Ri-siko der Entwicklung eines ovariellen Überstimulations-syndroms verbunden ist“94, werden derzeit Alternativenuntersucht, wie z. B. bereits bei der Gewinnung der Ei-zellen ganz oder teilweise auf die Hormonstimulierung

zu verzichten95, unreife Eizellen zu entnehmen und diesein vitro heranreifen zu lassen (sog. In-vitro-Maturation,IVM).

1.2.3.1.2 Gewinnung von Eizellen und SpermienDer Zeitpunkt der Eizellgewinnung kann sehr genau überdie Gabe eines bestimmten Hormons festgelegt werden.Die Gewinnung des Spermas wird zeitlich so abgestimmt,dass männliche und weibliche Keimzellen für den nach-folgenden Befruchtungsvorgang optimal vorbereitet wer-den können.

– Eizellgewinnung: Die Eizellen werden etwa 35 Stun-den nach Injektion von HCG durch einen chirurgi-schen Eingriff mit Hilfe einer langen, feinen Punk-tionsnadel gewonnen. Es bestehen grundsätzlichzwei Möglichkeiten der Eigewinnung (Follikelpunk-tion)96:

– die laparaskopische Follikelpunktion („Bauch-spiegelung“. Vorteil: direkte visuelle Kontrolle derFollikelpunktion mittels eines nach Schnitt in derNabelgrube eingeführten sog. Optiktrokars, beiBlutungen ist Therapie sofort möglich; Nachteil:meist unter Vollnarkose, Operationsrisiko, tieferim Ovar gelegene Eibläschen schwierig aufzu-finden);

– die sonographisch kontrollierte (in der Regeltransvaginale) Follikelpunktion (Kontrolle durchUltraschall. Hierbei werden Ultraschallkopf undPunktionsnadel in die Scheide eingeführt, nachDurchstechen der Scheidenwand können die Ei-bläschen mit der Punktionsnadel abgesaugt wer-den. Vorteil: Narkose ist selten nötig, ambulantdurchführbar; Nachteile: schmerzhaft, Gefahr vonBlutungen im Bauchraum, etwaige Entzündungenkönnen übersehen werden).97

Die Erfolgsraten der verschiedenen Verfahren unter-scheiden sich nicht wesentlich. Üblicherweise werdenacht bis zehn Eizellen gewonnen.

– Gewinnung und Präparation der Spermien: Übli-cherweise wird das Sperma durch Masturbation ge-wonnen. Am Tag der Eizellgewinnung wird das Ejaku-lat des Ehemannes im andrologischen Labor analysiertund unter Zugabe von Nährlösung separiert. Diejeni-gen Spermien, welche die beste Vorwärtsbeweglichkeit

91 Für die bei IVF notwendige Eizellstimulation (Follikelstimulation)sind unterschiedliche Behandlungsschemata in Gebrauch, so z. B. „ul-tra-long-protocol“, „ultra-short-protocol“ und „low-dose-protocol“.Laut BZgA kommen für die hormonelle Stimulation – je nach Be-handlungsschema – verschiedene Hormonpräparate zur Anwendung(http://www.familienplanung.de/kinderwunsch/daten/f3_02.htm)(Stand: 27.3.2002). Folgende Vorgehensweisen sind demnach üb-lich:– Ausschließlich indirekte Stimulierung der Hormonbildung in den

Eierstöcken durch medikamentelle Stimulierung der Freisetzungvon Hormonen der Hirnanhangdrüse;

– Indirekte Stimulierung gefolgt von Injektionen mit FSH (eibläs-chenstimulierendes Hormon) und hMG (humanes Menopausen-Gonadotropin) zur direkten Anregung der Eierstöcke zu einervermehrten Eizellreifung;

– Kombination der Stimulation mit einem analog bzw. antagonis-tisch zu dem körpereigenen Gonadotropin-Releasinghormon(GnRH) wirkenden Präparat. Dadurch können die anschließendeEizellreifung und der Zeitpunkt des Eisprungs besser gesteuertwerden.

Die Zeitangaben variieren je nach verwendetem Behandlungsregimeaufgrund der unterschiedlichen eingesetzten Präparate und Dosie-rungen. Exemplarisch wird hier ein sog. „ultra-short-protocol“ be-schrieben.

92 LH = Luteinisierendes Hormon.93 HCG = Humanes Chorion Gonadotropin.94 Seehaus et al. 2000, S. 105. Zu den Risiken für die Frau durch die

hormonelle Behandlung siehe auch C1.2.3.5.1.1 Risiken durch diehormonelle Behandlung.

95 So z. B. Nargund et al. 2001, S. 259–262. Die Autoren werten die Be-fruchtungserfolge, die bei 52 Frauen, deren Partner normale Frucht-barkeitsparameter aufwiesen, in insgesamt 181 IVF-Zyklen (ent-spricht 3,5 Zyklen/Frau) erzielt wurden, und kommen zu demSchluss, dass „natürliche IVF-Zyklen“ sicherer und weniger belas-tend seien als hormonell stimulierte IVF-Zyklen. Zugleich betonensie das mögliche finanzielle Einsparpotenzial gegenüber konventio-neller IVF. Siehe auch C1.2.3.5.1.1 Risiken durch die hormonelleBehandlung.

96 Tinneberg 1995b, S. 113ff.97 Tinneberg 1995b, S. 113, 116.

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Drucksache 14/9020 – 32 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

aufweisen, werden dabei aus der Samenflüssigkeit iso-liert und für die Befruchtung verwendet.98

Im Falle von männlich bedingten Fruchtbarkeitsstö-rungen (z. B. bei Verschluss der Samenwege) könnenSpermien operativ direkt aus den Hoden99 oder Ne-benhoden100 gewonnen werden. Durch Intrazytoplas-matische Spermieninjektion (ICSI) wird eines dieserSpermien anschließend mittels einer Mikronadel di-rekt in die Eizelle eingespritzt.

1.2.3.1.3 Befruchtung Bei der konventionellen IVF werden etwa zwei bis vierStunden nach der Eizellgewinnung und eine Stunde nachder Spermienaufbereitung jeweils etwa 100 000 Sper-mien mit einer Eizelle in einer Nährflüssigkeit zusam-mengebracht und in einem Brutschrank bei etwa 37°Czwei Tage lang kultiviert.

Das ICSI-Verfahren wird außer bei Störungen der Sper-mienreifung bevorzugt auch bei der Befruchtung von auf-getauten, vorher kryokonservierten Eizellen erprobt undvon der Europäischen Gesellschaft für menschliche Repro-duktion und Embryologie (ESHRE, European Society forHuman Reproduction and Embryology) als Standardver-fahren bei der PID gefordert.101 Bereits nach etwa 18 Stun-den wird der Befruchtungserfolg mikroskopisch überprüft.Dazu wird das Vorhandensein der beiden Vorkerne sowiederen morphologische Ausbildung begutachtet.

Die Befruchtung ist ein kontinuierlicher Prozess, der mitder Anheftung eines einzelnen Spermiums an die Eizellebeginnt und mit der Verschmelzung der Vorkerne abge-schlossen ist (siehe Grafik 1). Im Sinne des Embryonen-schutzgesetzes (ESchG) handelt es sich auch bei der be-fruchteten Eizelle noch so lange um eine Keimbahnzelle,wie die beiden Vorkernmembranen noch vorhanden undder Befruchtungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. In§ 8 Abs. 2 ESchG ist darüber hinaus festgelegt, dass

„(i)n den ersten vierundzwanzig Stunden nach derKernverschmelzung (...) die befruchtete menschliche

Eizelle als entwicklungsfähig (gilt), es sei denn, daßschon vor Ablauf dieses Zeitraums festgestellt wird,daß sich diese nicht über das Einzellstadium hinaus zuentwickeln vermag.“

Von Reproduktionsmedizinern wird kritisiert, dass überdie Diagnose der Entwicklungsfähigkeit der Vorkerne hi-naus eine morphologisch-mikroskopische Auswahl derEmbryonen vor der Implantation laut Embryonenschutz-gesetz nicht zulässig sei.102

Inzwischen wird ein spezielles Score- oder Beurteilungs-programm für eine optimierte Vorkerndiagnostik erprobt.

„Die Schwangerschaftsrate lag für Vorkernstadien mithöchstem Score bei 55 %. Ein deutlicher Größenunter-schied der Vorkerne um mindestens 4 mm scheint darü-ber hinaus ein höheres Risiko für Mosaike und für ei-nen Arrest im Vorkernstadium anzuzeigen.“103

1.2.3.1.4 EmbryokulturDie Kultivierungstechnik selbst wird derzeit als noch nichtoptimal angesehen und bildet einen Schwerpunkt der IVF-Forschung.104 Neben der sog. Kokultur, bei der dem Nähr-medium bestimmte Zelltypen aus dem weiblichen Genitalebeigegeben werden, wird insbesondere die Anwendung derBlastozystenkultur diskutiert. Dabei soll der Embryo überden dritten Tag hinaus mit Hilfe von neu entwickeltenNährlösungen weiterkultiviert werden. Dies böte die Mög-lichkeit, die Implantation in der Gebärmutter am fünftenTag und damit zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, derdemjenigen nach natürlicher Befruchtung näher kommt.Als Vorteile werden die bessere Beurteilbarkeit der Ent-wicklung des Embryos, bessere Einnistungschancen unddie damit mögliche Senkung der Rate von Mehrlings-schwangerschaften bei IVF genannt.105 Bisher ist aller-dings nicht durch vergleichende Studien geklärt, ob dieEntwicklungsfähigkeit eines Embryos nach fünf Tagentatsächlich zuverlässiger beurteilt werden kann als dieje-nige einer Eizelle oder einer befruchteten Eizelle im Vorkernstadium. Eine kontrollierte Vergleichsstudie ergabkeine Unterschiede in den Implantations- und Schwanger-schaftsraten, den Mehrlingsraten und der Zahl von Fehl-geburten.106 Kritisch wird diskutiert, dass das Verfahren zuschnell von Versuchen bei Labormäusen auf Menschenübertragen worden sei. Dauerhafte Konsequenzen der län-geren Kultivierungszeit sind noch nicht bekannt. Versuchean Rinder- und Schafembryonen weisen darauf hin, dass

98 Die Aufarbeitung der Spermatozoen erfolgt bei der assistierten Re-produktion anhand verschiedener Filtrations- bzw. Zentrifugations-verfahren. Ziel ist es immer, die beweglichen Spermien zu separie-ren und verschiedene Faktoren aus dem Ejakulat zu entfernen, diedas Befruchtungsergebnis beinträchtigen können. Vgl. dazu Tinne-berg 1995b, S. 118ff.

99 Testikuläre Spermatozoen Extraktion (TESE).100 Mikrochirurgische Epididymale Spermatozoen Aspiration (MESA).101 Die Integration der verschiedensten wissenschaftlich-technischen

Entwicklungsschritte in die Reproduktionsmedizin ist unübersehbar.So empfiehlt ESHRE ICSI als Standardverfahren bei PID, um Ver-unreinigungen der entnommenen Zellprobe des Embryos mit väter-licher DNA auszuschließen und dadurch die Zuverlässigkeit der mo-lekulargenetischen Untersuchung zu verbessern. Bei der normalenIVF können Spermien, die sich nicht bei der Befruchtung durchset-zen konnten, an den äußeren Schichten der Eizelle lagern. Reste die-ser Spermien können in das entnommene Probenmaterial gelangenund so das Untersuchungsergebnis verfälschen (vgl. auch C1.4.1.1.2Einzelzelldiagnose). Generell wird die Übernahme jeder Maßnahme,die eine Verbesserung der Erfolgsergebnisse bzw. eine Verringerungder Nebenwirkungen in Aussicht stellt, in der Literatur diskutiert.

102 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen dernichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001. Allerdings würde beieiner Übertragung von zwei morphologisch „idealen“ Embryoneneine Schwangerschaftsrate von 25 % pro Embryotransfer erzielt,während diese bei zwei nicht untersuchten Embryonen lediglichknapp über 9 % betrage.

103 Seehaus et al. 2000, S. 109.104 Seehaus et al. 2000.105 Seehaus et al. 2000, S. 109.106 Coskun et al. 2000. Vgl. auch Alper et al. 2001. Höhere Schwanger-

schaftsraten wurden bisher nur bei besonders ausgewählten Patien-tinnengruppen erzielt (Brown 2000). Siehe auch Kollek 2000,S. 41–44.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 33 – Drucksache 14/9020

Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen (insbesondere„übergroßer Fetus“ – large offspring syndrome) damit inZusammenhang stehen könnten.107

1.2.3.1.5 Übertragung von Embryonen(Embryotransfer)

Wenn die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen ge-lungen, die mikroskopische Beurteilung der Vorkernsta-dien abgeschlossen ist und die ersten Teilungsschritte inKultur vollzogen wurden, werden die (in Deutschland biszu drei) Embryonen am zweiten Tag nach der Eizellent-nahme mit Hilfe eines dünnen biegsamen Katheters durchdie Scheide und den Gebärmuttermund in die Gebärmut-terhöhle eingebracht.

1.2.3.1.6 KontrolluntersuchungenDie Etablierung einer Schwangerschaft kann entwederüber schwangerschaftsspezifische Proteine im mütterlichenSerum oder mittels Ultraschall festgestellt werden:

„Eine intrauterine Schwangerschaft kann bereits 2 Wo-chen nach Fertilisation anhand des Fruchtsackes dar-gestellt werden. (...) Beweisend (...) ist allerdings erstder Nachweis von Herzaktionen, der 35 Tage nachFertilisation möglich ist.“108

1.2.3.2 KryokonservierungEizellen, Spermien, Pronukleusstadien, Embryonen, Ho-dengewebe, Eierstockgewebe, Spermatogonien, Stamm-zellen und jede Art von Vorläuferzellen der Gameten kön-nen durch Einfrieren bei sehr niedrigen Temperaturenüber lange Zeit konserviert werden. Die sog. Kryokonser-vierung erfolgt durch definiertes Abkühlen auf ca.– 180°C innerhalb von ein bis zwei Stunden unter Zusatzvon speziellen Gefrier- und Nährlösungen (Kryoprotek-tiva). Danach werden Zellen oder Gewebe bei – 196°C inspeziellen Tanks, die mit Stickstoff gefüllt sind, gelagert.

Die Kryokonservierung von Sperma wird inzwischenroutinemäßig durchgeführt und gilt als unproblematisch,wenn die Spermaparameter nicht zu stark verändertsind.109 Bereits in den 1940er Jahren wurde über die ersteerfolgreiche Befruchtung und Schwangerschaft mit einerkryokonservierten Samenprobe berichtet.110

Auch Ovarial- und Hodengewebe wird schon seit vielenJahren eingelagert.111 Die Methoden wurden im Laufe derZeit verfeinert und zeigen sehr gute Ergebnisse.112 Eine

Schwangerschaft konnte durch Injektion von Spermienaus kryokonserviertem Gewebe erzielt werden.113

Das Tiefgefrieren von Embryonen wird heute weltweit inzahlreichen Arbeitsgruppen durchgeführt und ist je nachRechtslage in die Sterilitätstherapie voll integriert.114 DieKryokonservierung imprägnierter Eizellen, sog. Vorkern-stadien (Pronukleusstadien, PN), ist heute ebenso mitStandardverfahren möglich und wird in Deutschland ingroßem Umfang betrieben, da es hier verboten ist, sog.„überzählige“ Embryonen zu erzeugen bzw. einzufrieren.Allerdings fällt beim Literaturvergleich die stark schwan-kende Erfolgsrate dieser Verfahren auf.115

Das Einfrieren von unbefruchteten Eizellen (Oozyten)war lange Zeit von der Wissenschaft nicht weiterverfolgtworden und hat nach wie vor experimentellen Charak-ter.116 Inwiefern die Kryokonservierung von Oozyten zurSchädigung des für die Verteilung der Chromosomen imRahmen der Zellteilung notwendigen Spindelapparatesund demzufolge zu einer Zunahme der Chromosomen-schäden bei den Kindern führen könnte, ist umstritten.117

Unabhängig von möglichen Schäden an der Spindel ist je-doch festzustellen, dass die Überlebensrate der Eizellennach dem Auftauen schwankt. Die größeren Schwierig-keiten, die das Einfrieren von Eizellen im Vergleich zuEmbryonen macht, sind zum Teil durch das wesentlichungünstigere Oberflächen-Volumen-Verhältnis bedingt,das zu einer höheren osmotischen Belastung der Zell-membran führt.118 So können beispielsweise bei raschemEinfrieren Zellschädigungen durch intrazelluläre Eiskris-tallbildung eintreten. Auch die Wahl des Kryoprotekti-vums (Lagerungsmedium) ist von entscheidender Bedeu-tung für die sichere Kryokonservierung der Oozyte. Fernerwerden Veränderungen der Zona Pellucida (äußereEihülle) für die schlechten Befruchtungsraten nach demAuftauen verantwortlich gemacht.119 Letztlich sind dieAussagen dazu in der wissenschaftlichen Literatur nochuneinheitlich und aufgrund der wenigen derzeit vorlie-genden Studien nicht definitiv zu bewerten. Die britischeHuman Fertilisation and Embryology Authority (HFEA)hat trotz bestehender Bedenken die Verwendung tiefge-frorener Eizellen in der IVF Anfang des Jahres 2000 zu-gelassen.120

107 Brown 2000, insbesondere S. 33; Coskun et al. 2001.108 Simon 1995, S. 134.109 Die Kryokonservierung von Spermien erfolgte erstmals 1938. Zum

naturwissenschaftlichen Sachstand vgl. Siebzehnrübl et al. 1997,S. 20ff. Zu den Spermaparametern siehe auch C1.2.3.4.2 Medizini-sche Diagnostik männlicher Fruchtbarkeitsstörungen.

110 Übersichten bei Byrd et al. 1990; Kliesch et al. 2000; Nagy et al.1995.

111 Vgl. z. B. Aubard et al. 1994. Siehe auch Burks et al. 1965; Stahleret al. 1976.

112 Allan/Cotman 1997; Crabbe et al. 1999.

113 Vgl. z.B. Fischer et al. 1996.114 Embryonen werden seit 1983 kryokonserviert. Eine Übersicht bieten

Siebzehnrübl et al. 1997, S. 20 ff.115 Siehe Siebzehnrübl et al. 1997, S. 20 ff.116 Die Möglichkeit der Kryokonservierung von Eizellen wird seit 1986

angeboten. Vgl. Seehaus et al. 2000.117 Vgl. unter anderem Trounson/Kirby 1989; Pickering/Johnson 1987;

Spitzer et al. 1998.118 Leibo 1977. 119 Carroll et al. 1990.120 Siehe Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) 2000,

6. Policy update and issues for the coming year. Demnach wurde dieErlaubnis erteilt, obwohl „the HFEA was not satisfied that there was enough medical research to show that their use in treatment wassufficiently safe.“ Erfahrungsberichte seitens der HFEA liegen nochnicht vor (Stand: 27.3.2002).

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Drucksache 14/9020 – 34 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1997 wurde erstmals ein Kind nach Kryokonservierungvon Oozyten in Kombination mit ICSI geboren.121 Die Ar-beitsgruppe um Porcu konnte nach mehr als 100 Kryozy-klen über eine durchschnittliche Überlebensrate der Oo-zyten von 55 %, eine Fertilisationsrate von 60 % und eineSchwangerschaftsrate von 17 % berichten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die mit der Oo-zytenkryokonservierung erzielten Ergebnisse bis vor

kurzem noch nicht befriedigend waren; deshalb hat dieseMethode derzeit keinen festen Platz in der klinischenRoutine.

Erst in letzter Zeit zeigen sich erfolgversprechende An-sätze. So belegen aktuelle Forschungsergebnisse, dassdurch entsprechende Lagerungsbedingungen die Erhalt-rate der Oozyten auf über 80 % gesteigert werden kann.Eine signifikant höhere Überlebensrate konnte vor allemdann erzielt werden, wenn die Eizellen bei erhöhter Su-krose-Konzentration eingefroren wurden. Ebenso scheintes sich positiv auf die Erhaltrate auszuwirken, wenn die

Graf ik 1

Der Befruchtungsvorgang

Anmerkung zu Grafik 1: Der Zeitpunkt der Insemination ist mit Null angegeben. Die Spermien erreichen die Zona pellucida, wo es zur Akrosom-reaktion (A) kommt, nach der sie aktiv in die Zona pellucida eindringen (B). Sobald das erste Spermium mit der Plasmamembran der Eizelle ver-schmilzt, werden kortikale Granula ausgestoßen (C), wodurch die Zona pellucida für andere Spermien undurchdringlich wird. Das Spermium wirdvom Ei aufgenommen (D). Der Spermienkopf wandelt sich um (Dekondensation), ein Prozess, der nach ungefähr 8 Stunden abgeschlossen ist. Daszweite Polkörperchen wird ausgestoßen und die Bildung der Vorkerne beginnt. Ungefähr 12 Stunden nach Insemination ist die Bildung der Vorkerneabgeschlossen. Die DNA-Synthese beginnt nach 9 Stunden und erreicht ihren Höhepunkt zwischen 9. und 13. Stunde, danach nimmt sie rasch ab.Die Vorkerne wandern ungefähr 20 Stunden nach der Insemination ins Zentrum, wo sie sich aufeinander zu bewegen. Nach zirka 22 Stunden begin-nen die Vorkerne, sich zu dekondensieren. Die Konjugation der Gameten hat nach ungefähr 23 Stunden stattgefunden, bald darauf folgen die Kon-densation der Chromosomen und die Einleitung der ersten mitotischen Teilung.Quelle: Cleine 1996, S. 140

121 Porcu et al. 1997.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 35 – Drucksache 14/9020

Eizellen längere Zeit dem Kryoprotektivum ausgesetztwerden, bevor der Prozess der Tiefkühlung einsetzt. DieGeschwindigkeit des Einfrierens und das Konservie-rungsmedium können also als relevante Faktoren für dieKryokonservierung von Oozyten gelten.122 Festzuhaltenbleibt, dass auf diesem Gebiet noch weitere Forschungnötig ist.

Ursprünglich wurden die Techniken der Kryokonservie-rung für Frauen, Männer und Kinder entwickelt, die sicheiner chemo- oder radiotherapeutischen Behandlung un-terziehen müssen. Da diese Formen der Krebsbehandlungmit der Gefahr der späteren Infertilität verbunden sind,sah man in der Tiefkühllagerung von Gameten eine Mög-lichkeit, das Reproduktionsvermögen für einen späterenZeitpunkt dennoch aufrechtzuerhalten.

Heute finden die Techniken der Kryokonservierung einebreite Anwendung in der assistierten Reproduktion. Dabeibietet die Tiefkühllagerung von Oozyten vor allem danneine Alternative, wenn das Einfrieren von Embryonen austechnischen, rechtlichen oder religiösen Gründen nichtmöglich ist. Die Kryokonservierung von Eizellen wirdvon der Reproduktionsmedizin auch mit dem Ziel ange-boten, einem altersbedingten Rückgang der weiblichenFruchtbarkeit zu entgehen.123

Im Gegensatz zu den Techniken der medizinisch unter-stützten Fortpflanzung gehören die Maßnahmen zur Ein-frierung und Aufbewahrung von Gameten oder Vorkern-stadien nicht zu den Leistungen, die in Deutschland vonden gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.Dies ist unabhängig vom Zweck, d. h. eine Kostener-stattung erfolgt weder im Rahmen einer Tumortherapienoch im Zusammenhang mit einer Behandlung unge-wollter Kinderlosigkeit. Eine schriftliche Anfrage derEnquete-Kommission bei führenden reproduktionsme-dizinischen Zentren in Deutschland über den Stand derKryokonservierung ergab, dass die Lagerungskosten proProbe im Durchschnitt € 250,- bis € 400,- pro Jahr be-tragen.124 Da der Großteil der Behandlung im Rahmender assistierten Reproduktion – über 80 % – in privatenInstitutionen erfolgt, wird die Kryokonservierung vonGameten bzw. befruchteten Eizellen im Vorkernstadiumebenfalls überwiegend im niedergelassenen Bereich vor-genommen.

Eine gesetzliche Grundlage für die Aufklärung und In-formation von Patientinnen und Patienten bzw. für dieVerfahrensweise mit kryokonserviertem Material be-steht in Deutschland nicht. Üblich ist jedoch, dass der

männliche Patient eine schriftliche und mündliche In-formation zu der Methode und der Durchführung derKryokonservierung erhält. Zum Auftauen, für eine Be-handlung oder eine Vernichtung gibt er sein schriftlichesEinverständnis. Bei der Einlagerung von Vorkernstadienerhält das Patientenehepaar schriftliche und mündlicheInformationen zu Methode und Durchführung der Kryo-konservierung und den anschließenden Chancen aufeine Schwangerschaft. Beide Ehepartner unterschreibeneinen Vertrag zur Kryokonservierung, und es müssenauch beide vor dem Auftauen bestätigen, dass sie ge-meinsam einen Transfer wünschen.125 Die üblichen Ein-lagerungszeiten betragen zwei Jahre für Vorkernstadienund ein Jahr für Spermien.126 Die Patientinnen und Pati-enten werden vor der Kryokonservierung darauf hinge-wiesen, dass nicht in jedem Fall mit dem Überleben derZellen zu rechnen ist.127 Da entsprechend § 4 Abs.1 Nr. 3ESchG eine postmortale Verwendung von Keimmaterialausgeschlossen ist, wird im Fall der Kenntnis des Todeseiner betreffenden Person das konservierte Material ver-nichtet.

Nach gegenwärtigem Kenntnisstand werden in verschie-denen Zentren in Deutschland unbefruchtete Eizellen undbefruchtete Eizellen im Vorkernstadium kryokonserviertgelagert. Eine genaue Aufstellung ist allerdings nichtmöglich, weil es kein allgemeines Register mit Informa-tionen zur Lagerung von kryokonserviertem Materialgibt.

Bei Durchsicht der Zahlen aus dem Deutschen IVF-Regis-ter (DIR) von 1999 fällt die extrem geringe Rate der kryo-konservierten Eizellen ins Auge: Im Jahr 1999 wurdeninsgesamt 397 377 Eizellen im Rahmen von 43 378 Zy-klen gewonnen. Nur 0,03 % dieser Eizellen (118) wurdentiefkühlgelagert.128 Es erscheint durchaus als möglich,dass bei einem anderen Angebots- bzw. Informationsver-halten der reproduktionsmedizinischen Zentren dieseZahl zu erhöhen wäre. Darüber hinaus wurden in den Jah-ren 1998 bis 2000 insgesamt 126 772 befruchtete Eizellenim Vorkernstadium kryokonserviert.129

1.2.3.3 Zur Problematik der Eizellspende a) Rechtliche Situation in Deutschland

– Eizellspende für reproduktive Zwecke:

Das Embryonenschutzgesetz verbietet die Eizell-spende für reproduktive Zwecke. Damit sollte vor al-lem die Aufspaltung der Mutterschaft in eine geneti-sche Mutter (Eizellspenderin) und eine biologischeMutter (austragende Frau) verhindert werden, da diesmit ungeklärten Folgen für die Identitätsentwicklung

122 Vgl. z. B. Fabbri et al. 2000 u. 2001; Oktay et al. 2001.123 Oktay et al. 2001.124 Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren 2001. Obwohl

nicht von unbegrenzter Lagerung gesprochen werden kann, ist davonauszugehen, dass die Lagerung über Jahrzehnte hinweg möglich ist. Folgende Erfahrungswerte liegen vor für: Spermien > 10 Jah-re, Eizellen < 5 Jahre, Pronuklei ⏐ neun Jahre (klinisch), Embryo-nen ⏐#sieben Jahre (klinisch), Hodengewebe ⏐#sechs Jahre (klinisch),Ovargewebe (bislang nur experimentell). Vgl. hierzu van der Ven/Montag 2001.

125 Nieschlag et al. 2001.126 Katzorke et al. 2001. 127 Diedrich et al. 2001.128 Deutsches IVF-Register (DIR) 1999, S. 10.129 Deutsches IVF-Register (DIR) 2001. Vgl. Deutsches IVF-Register

(DIR) 2000, S. 26.

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Drucksache 14/9020 – 36 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

des Kindes verbunden wäre und möglicherweise demKindeswohl widerspräche.130

Das Verbot der Eizellspende ergibt sich aus § 1 Abs. 1Nr. 1 und Nr. 2 ESchG:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld-strafe wird bestraft, wer

1. auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelleüberträgt,

2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderenZweck künstlich zu befruchten, als eine Schwan-gerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Ei-zelle stammt.“

Strafbar sind damit die an der Eizelle vorgenommenenärztlichen Handlungen. Die Eizellspenderin und dieEmpfängerin der Eizelle machen sich nicht strafbar(§ 1 Abs. 3 Nr.1 ESchG). Es handelt sich hierbei umpersönliche Strafausschließungsgründe131, sodass derUnrechtscharakter der Eizellspende davon unberührtbleibt.

– Eizellspende für nichtreproduktive Zwecke:

Soweit keine der nach dem Embryonenschutzgesetzstrafbaren Handlungen unter Verwendung dieser Eizelle beabsichtigt ist132, bestimmt sich daher die Ei-zellspende für nichtreproduktive Zwecke nach allge-meinen straf-, zivil- und medizinrechtlichen Grund-sätzen. Bei der Eizellspende handelt es sich um eineninvasiven, fremdnützigen Eingriff, der für die Frau miteinem Risiko von Gesundheitsschäden verbunden ist.Die Rechtsordnung erlaubt fremdnützige Eingriffe amMenschen – so bei medizinischen Versuchen am Men-schen oder bei der Lebendspende von Organen – auchbei vorliegender Zustimmung nur unter eingeschränk-ten Voraussetzungen. Auch die nach umfassender ärzt-licher Aufklärung erteilte Einwilligung kann denfremdnützigen Eingriff nur dann rechtfertigen, wenndie Belastungen des Eingriffes verhältnismäßig imHinblick auf das Eingriffsziel sind. Anderenfalls giltdie Zustimmung der Einwilligenden als sittenwidrigund nichtig.133 Ist die Zustimmung sittenwidrig, bleibtdie Körperverletzung trotz Einwilligung nach § 228StGB rechtswidrig. Von Sittenwidrigkeit der Körper-verletzung trotz Einwilligung kann auch dann ausge-

gangen werden, wenn mit der Eizellspende ein straf-bares Verhalten nach dem Embryonenschutzgesetzbeabsichtigt ist (wie Klonen, Chimären- oder Hybrid-bildung).

b) Wissenschaftlicher Sachstand zum Eizellbedarffür nichtreproduktive Zwecke (Forschung undzukünftige Therapie)

Für das sog. „therapeutische“ Klonen durch Zellkern-transfer werden nach heutigem Stand der Wissenschafteine hohe Zahl von Eizellen benötigt. Alan Colman vonder Firma PPL Therapeutics in Roslin und AlexanderKind – einer der wissenschaftlichen „Väter“ des geklon-ten Schafes „Dolly“ – haben auf der Basis von Tierversu-chen errechnet, dass für die Herstellung jeder geklontenmenschlichen Stammzell-Linie mindestens 280 Eizellenerforderlich wären.134 Das bedeutet, dass der Verbrauchvon tausenden, wenn nicht hunderttausenden weiblichenEizellen bei dieser Forschung vorhersehbar ist. Es bleibt unbeantwortet, wie dieser Bedarf an Eizellen gedecktwerden sollte. Bei einer Eizellentnahme nach Hormonsti-mulierung werden durchschnittlich acht bis zehn Eizellenentnommen.

c) Risiken der Eizellspende

Anders als die Spermaspende für den Mann ist die Eizell-spende ein für die Frau mit großen Belastungen verbun-denes Verfahren.135 In der neueren Diskussion um die Ei-zellspende wird vor allem auf den für die Eizellentnahmenotwendigen invasiven Eingriff hingewiesen, der keines-wegs risikolos sei. Die mehrwöchige Hormonstimulationist unter anderem mit dem Risiko des gefährlichen Über-stimulationssyndroms verbunden und steht im Verdacht,Eierstockkrebs auszulösen.136 Auch die Follikelpunktionist mit der Gefahr von Verletzungen, Blutungen und Ent-zündungen verbunden.

d) Ethische und gesellschaftspolitische Diskussionder Eizellspende

Die Eizellspende ist ein fremdnütziger Eingriff, der in die-sem Fall mit keinerlei gesundheitlichem Nutzen für dieFrau selbst abgewogen werden kann, sondern ausschließ-lich Dritten (Forschern und künftigen Patientengruppen)dient. Ethisch gesehen verletzt dies das für ärztliches Han-deln geltende grundsätzliche Schädigungsverbot (primumnil nocere) und ist daher mit dem traditionellen, indivi-dualethisch gebundenen ärztlichen Heilauftrag schwer zuvereinbaren. Eine Zulassung der Eizellspende für nicht-reproduktive Zwecke würde daher eine neue Qualität inder Arzt-Patientin-Beziehung bedeuten und ein Dienst-

130 Zu der gespaltenen Mutterschaft durch Eizellspende (die Eizell-spenderin ist die genetische, die Eizellempfängerin die biologischeMutter) gibt es keine männliche Entsprechung. Dagegen ist sowohlbei Männern wie auch bei Frauen eine Aufspaltung in genetischeund soziale Vater- bzw. Mutterschaft möglich. Es ist hervorzuheben,dass durch die Spaltung der Mutterschaft das historische Faktum„mater semper certa est“ („Die Mutter ist immer gewiss“) aufgeho-ben wird.

131 Vgl. Keller et al. 1992, § 1 Abs. 2 Rz. 1. 132 Auch in Bezug auf das „therapeutische Klonen“ oder die Chimären-

bzw. Hybridbildung dürfte eine Strafbarkeit der Frau, die die Eizelle„gespendet“ hat, nicht gegeben sein. Vgl. Keller et al. 1992, § 6Rz. 14; § 7 Rz. 44.

133 Pichlhofer et al. 2000, S. 42 (mit weiteren Nachweisen).

134 Colman/Kind 2000, S. 193.135 Vgl. C1.2.3.1.1 Hormonelle Stimulation der Frau zur multiplen Ei-

zellreifung, C1.2.3.1.2 Gewinnung von Eizellen und Spermien undC1.2.3.4.1 Medizinische Diagnostik weiblicher Fruchtbarkeits-störungen.

136 Vgl. Pichlhofer et al. 2000, S. 43.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37 – Drucksache 14/9020

leistungsverhältnis zwischen dem Arzt bzw. der Ärztinund der Spenderin implizieren.137

In die Überlegungen des Gesetzgebers wäre mit einzube-ziehen, dass durch die Zulassung des „therapeutischen“Klonens für Forschungszwecke eine große Nachfragenach weiblichen Eizellen entstehen würde. Diese könntezu Entwicklungen führen, die gesellschaftlich als proble-matisch angesehen werden.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Nachfrage nach Eizellen seitens der Forschung am „therapeutischen“ Klo-nen eine Kommerzialisierung der Eizellspende hervorru-fen könnte. Ökonomisch unterprivilegierte Frauen könn-ten zur Eizellentnahme gegen Geld veranlasst werden. Inanderen Ländern (z. B. USA) ist zu beobachten, dass dieBezahlung der Eizellspende mit der Deklaration des Ent-gelts als „Aufwandsentschädigung“ für Reisekosten, Ver-dienstausfall etc. verdeckt wird. Inzwischen ist allerdingsin einigen Regionen bereits ein Markt für Eizellen ent-standen.

Auch die altruistische Eizellspende, beispielsweise imFamilienkreis, wird sozialwissenschaftlich und ethischkontrovers diskutiert. Einerseits werden Analogien zurLebendspende gesehen, die im Transplantationsgesetzzugelassen, jedoch auf den Kreis der persönlich Nahe-stehenden beschränkt wurde und der Überprüfung durchspezielle Kommissionen unterliegt. Demgegenüber wirdgeltend gemacht, dass es sich bei Eizellen zwar gewis-sermaßen um „regenerierbare Körpersubstanzen“ han-delt, insofern also Analogien zur Blutspende nahe liegen.Andererseits sei die besondere Qualität von Keimzellenals „menschliches Leben weitergebende Substanzen“und die unauflösbare genetische Beziehung zur Keim-gutträgerin zu beachten. Daher würde z. B. eine Sach-gutqualität des Keimmaterials, Eigentumsfähigkeit, Verfügungsfähigkeit – gar als vermögenswertes Wirt-schaftsgut – in der juristischen Literatur durchaus be-stritten.138

In der internationalen Fachdiskussion wird die letztlicheUnüberprüfbarkeit von in Aussicht gestellten finanziellenoder anderweitigen Transaktionen bei der Eizellspendeauch im Familienkreis problematisiert. Auch könntenemotionale Abhängigkeiten im persönlichen Umfeld die

geforderte Freiwilligkeit der Eizellspende untergrabenund zu konfligierenden sozialen Verpflichtungsverhält-nissen führen. Im Hinblick auf eine therapeutische An-wendung des Klonens durch Zellkerntransfer wären daherSzenarien vorstellbar, wie etwa die Entstehung von sozia-lem Druck im Familienkreis, damit Töchter beispiels-weise für einen an Parkinson erkrankten Vater Eizellenspenden, um damit jene Embryonen zu erzeugen, aus de-nen der gewünschte, genetisch passende Organersatz ge-züchtet werden soll.

Daher wird die Zulassung der Eizellspende in der Litera-tur einerseits als „Akt der Selbstbestimmung der Frau“,andererseits als „Instrumentalisierung von Frauen zuRohstofflieferantinnen“ charakterisiert.

1.2.3.4 Medizinische Ursachen und Diagnostikvon Fruchtbarkeitsstörungen sowieverschiedene reproduktions-medizinische Behandlungs-möglichkeiten

Für die medizinische Behandlung von weiblicher und (insehr eingeschränktem Maß) männlicher Unfruchtbarkeitstehen über die Methoden der assistierten Reproduktion(ART) hinaus noch andere Verfahren zur Verfügung, de-ren Anwendbarkeit von den Ärztinnen und Ärzten vorDurchführung von ART geprüft und ausgeschlossen wer-den soll.139

Vor jeder medizinischen Behandlung von Fruchtbarkeits-störungen müssen deren körperliche Ursachen diagnosti-ziert werden. Deshalb werden im Folgenden kurz diewichtigsten Fruchtbarkeitsstörungen und deren Diagnos-tik dargestellt, bevor auf die weiteren verfügbaren Be-handlungsmöglichkeiten eingegangen wird.

1.2.3.4.1 Medizinische Diagnostik weiblicherFruchtbarkeitsstörungen

Je nach Vorgeschichte und Befund können bei der Dia-gnostik weiblicher Fruchtbarkeitsstörungen Untersu-chungsschritte wie Ultraschall, Hormonuntersuchungenoder invasive bzw. operative Untersuchungen der Eileiterbzw. der Gebärmutter notwendig werden.140

Es werden insbesondere folgende grundlegende Störun-gen der weiblichen Geschlechtsorgane unterschieden141,die zu vorübergehender oder dauerhafter Infertilität bzw.Sterilität führen können:

– Funktions- und Hormonstörungen der Eierstöcke;

– Schädigungen der Eileiter;

137 Die freiwillige und informierte Zustimmung zum ärztlichen Eingriffist in der Regel rechtliche Voraussetzung für die Straffreiheit der voneiner Ärztin bzw. einem Arzt vorgenommenen Handlung. Sofern miteinem Eingriff mögliche Gefährdungen verbunden sind, bedürfendiese der Rechtfertigung sowohl durch einen die Gefährdung aufwiegenden Behandlungs- oder Untersuchungsbedarf, die Not-wendigkeit der in Frage stehenden Maßnahme, wie durch die ange-nommene Wirksamkeit der Therapie oder Aussagekraft der Untersu-chung. Ärztliche Eingriffe können daher nicht lediglich einemWunsch der Patientin oder des Patienten entsprechen, sondern sindsowohl ethisch wie rechtlich an weitere Normen gebunden. Die Zu-stimmung des Patienten oder der Patientin ist daher kein Freibrief fürjegliche ärztliche Intervention. Für die klinische Forschung geltenbesondere Bedingungen, von denen der informed consent nur einenotwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung ist. Vgl.Schneider 2002.

138 Lanz-Zumstein 1990, S. 149–158.

139 Vgl. Bundesärztekammer 1998b, A 3167.140 Bei Verdacht auf Schäden bzw. Veränderungen an den Eileitern kom-

men bildgebende und operative Verfahren zum Einsatz. BildgebendeVerfahren sind die Hysterosalpingographie (HSG) und die Hystero-salpingokontrastsonographie (HSKS). Als operative Untersuchungs-verfahren kommen die Bauchspiegelung (Laparoskopie) und die Ge-bärmutterspiegelung (Hysteroskopie) in Betracht.

141 Dazu ausführlich Mettler 1995, S. 92ff.

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Drucksache 14/9020 – 38 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– Störungen der Gebärmutter und des Gebärmutter-halses;

– Endometriose142.

1.2.3.4.2 Medizinische Diagnostikmännlicher Fruchtbarkeits-störungen

Bei der Diagnostik männlicher Fruchtbarkeitsstörungenwerden Hoden und Nebenhoden sowie verschiedene Ge-schlechtsdrüsen (Prostata, Bläschendrüsen) durch Abtas-tung und gegebenenfalls durch Ultraschall untersucht.

Das Ejakulat wird auf das Vorhandensein, die Anzahl, dieGestalt und Beweglichkeit von Samenzellen untersucht.Die Samenqualität wird anschließend unter dem Mikro-skop beurteilt und in einem Spermiogramm dokumentiert.Da die Spermaqualität stark schwanken kann, wird dieUntersuchung im allgemeinen zweimal im Abstand voneinem Monat durchgeführt.143 Erst dann werden unter an-derem Hormonwertbestimmungen im Blut, Hodenbiopsieoder auch genetische Untersuchungen durchgeführt.

Störungen der männlichen Geschlechtsorgane, die zuvorübergehender oder dauerhafter Unfruchtbarkeit bzw.Befruchtungsunfähigkeit führen können, werden grund-sätzlich unterschieden in

– Störungen der Spermienproduktion und

– Störungen des Spermientransports.144

Störungen der Spermienproduktion (Spermatogenese) lie-gen dann vor, wenn zu wenig gesunde, gut bewegliche Sa-menzellen produziert werden. Die kugelförmigen Sper-matiden, Vorstufen der reifen Spermien (Spermatozoen),werden in den Hoden – beginnend mit der Pubertät – stän-dig durch hormonell gesteuerte Zellteilungsprozesse ausden sog. Stammspermatognien gebildet. In einem „äußerststöranfälligen Umbauprozeß“145 reifen die Spermatiden zuden Spermatozoen heran. Bei ihrer anschließenden Wan-derung vom Nebenhodenkopf zum Nebenhodenschwanz,wo sie gespeichert werden, erlangen die Spermatozoenerst ihre Befruchtungsfähigkeit (Spermienreifung).

Insgesamt dauert der gesamte Prozess der Bildung undReifung der Spermien mindestens 82 Tage, was bei der

Behandlung männlicher Fruchtbarkeitsstörungen zuberücksichtigen ist. Ursächlich für Störungen dieses Pro-zesses können Vererbung, Infektionen, Verletzungen derHoden z. B. infolge eines Unfalles, Schadstoffe aus derUmwelt oder auch übermäßig konsumierte Genussmittelwie z. B. Nikotin und Alkohol, sowie besondere Umwelt-einwirkungen wie z. B. ständige übermäßige Hitze am Ar-beitsplatz sein. Diese Störungen können vorübergehendz. B. durch Fieber, Virusinfekte wie Masern oder dauer-haft wie z. B. durch eine Mumps-Infektion oder einennicht rechtzeitig korrigierten Hodenhochstand sein.

Störungen des Spermientransports sind seltener (Ver-schluss der ableitenden Samenwege, meist im Nebenho-denbereich oder Blockierung der Samenleiter durch Ver-letzungen, Infektionen oder nach Sterilisierung durchVasektomie), so dass die Samenzellen nicht in das Ejaku-lat gelangen können.

Vor der Durchführung von ICSI wird zudem eine Stamm-baumanalyse beider Partner zu Fehl- und Totgeburten so-wie Fruchtbarkeitsstörungen empfohlen.

1.2.3.4.3 Verfahren bei Störungen derweiblichen Fortpflanzungsfähigkeit

1.2.3.4.3.1 Chirurgische VerfahrenStörungen der weiblichen Fortpflanzungsfähigkeit kön-nen jenseits von den verschiedenen Methoden der extra-korporalen Befruchtung gegebenenfalls durch chirurgi-sche Eingriffe behandelt werden. Nach entsprechendenOperationen an den Eierstöcken (Beseitigung von Ovari-alzysten), an fehlgebildeten Eileitertrichtern und Eileiternwerden Schwangerschaftsraten zwischen 40 % und 65 %angegeben.146

1.2.3.4.3.2 Eizellspende und LeihmutterschaftWeitere Möglichkeiten stellen die in Deutschland zur Ver-meidung von „gespaltener“ Mutterschaft (biologischeund soziale Mutter) durch das Embryonenschutzgesetzverbotene Eizellspende147 oder die hierzulande ebenfallsverbotene Leihmutterschaft dar. Während die Eizell-spende in Dänemark, Frankreich, Großbritannien undSpanien zulässig ist, ist die Leihmutterschaft mit Aus-nahme Großbritanniens in Europa entweder verbotenoder nicht geregelt.148 In den USA werden beide Verfah-ren angeboten, ebenso die Spende von Embryonen.149

1.2.3.4.4 Verfahren bei Störungen dermännlichen Fortpflanzungs-fähigkeit

Zur Therapie von Ejakulatstörungen werden medika-mentöse und chirurgische Verfahren angeboten. Spermien

142 Eine Endometriose liegt dann vor, wenn sich Gebärmutterschleim-haut außerhalb der Gebärmutterhöhle, z. B. in den Eierstöcken, inden Eileitern, am Darm oder in der Harnblase angesiedelt hat. Infol-gedessen kann es zu Verwachsungen in der Bauchhöhle und er-schwerter Empfängnis kommen. Eine Endometriose macht sich häu-fig durch starke Schmerzen vor und während der Monatsblutungbemerkbar.

143 Als Richtwerte für eine normale Spermaqualität gelten: Spermavo-lumen 2 bis 5 ml, mindestens 20 Millionen Spermien je ml Samen-flüssigkeit, davon mindestens 50 % mit guter Beweglichkeit undmindestens 30 % mit normaler Form (Kopf, Geißel).

144 Zu Spermatogenesestörungen siehe auch Steger 2001.145 Schill/Haidl 1995, S. 41. Dabei wird unter anderem das die DNA

enthaltende Chromatin, aus dem die Chromosomen gebildet werden,kondensiert, das für die Durchdringung der weiblichen Eizelle not-wendige Akrosom und der für die Beweglichkeit der Spermiennötige Geißelapparat werden gebildet.

146 Mettler et al. 2001, S. 194–200.147 Vgl. C1.2.3.3 Zur Problematik der Eizellspende.148 Koch, H.-G. 2001, S. 45.149 Centers for Disease Control and Prevention 1998.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 39 – Drucksache 14/9020

können operativ direkt aus den Hoden oder Nebenhodengewonnen werden. Theoretisch können auch unreifeSpermien-Vorläuferstadien gewonnen und in Kultur zurReife gebracht werden, was im Tiermodell bereits gelun-gen ist.

Führen diese Eingriffe nicht zum Erfolg oder sind keineSpermien nachweisbar (Azoospermie), so besteht inDeutschland wie in vielen anderen europäischen Länderndie Möglichkeit zur „heterologen“ Insemination (Be-fruchtung mit Spendersperma). Seit den 1970er-Jahreneingesetzt, wurden mittlerweile etwa 70 000 Kinder inDeutschland nach heterologer Insemination geboren.150

Spezielle gesetzliche Regelungen zur Befruchtung mitSpendersperma fehlen bis heute. Die Arbeitsgruppe In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie derBundesministerien der Justiz bzw. für Forschung undTechnologie (sog. Benda-Kommission) hatte in ihrem1985 vorgelegten Bericht von der Anwendung der hetero-logen Samenspende abgeraten und auf die ungeregeltenzivilrechtlichen Fragen (Familien- und Erbrecht) hinge-wiesen.151

1.2.3.5 Medizinische Risiken der In-vitro-Fertilisations-Behandlung

Mit den oben genannten Behandlungsschritten sind eineReihe von medizinischen Risiken verbunden. Diese las-sen sich grundsätzlich in Risiken für Frau und Kind un-terscheiden. Auch die operative Entnahme von Spermienaus Hoden oder Nebenhoden durch Biopsie oder chirur-gische Freilegung des Hodens ist mit den generellen Risi-ken operativer Eingriffe wie Blutung, Infektion oder Ge-webeschädigung verbunden.152

1.2.3.5.1 Risiken für die Frau Bei der assistierten Reproduktion bestehen für die Frauauf der Stufe der medikamentös-hormonellen Stimulie-rung der Eizellreifung, der operativen Eizellentnahmeund der Embryoübertragung Risiken. Je nach Anzahl dererfolgreich in der Gebärmutter eingenisteten Embryonenkönnen zudem noch weitere, durch IVF bedingte Risikenmit der Schwangerschaft verbunden sein.

1.2.3.5.1.1 Risiken durch die hormonelleBehandlung

Hormonelle Eingriffe in körperliche Regelungssystemesind fast nie frei von Nebenwirkungen. Über die bei derhormonellen Stimulation im Rahmen von IVF häufig be-

obachtete Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens hi-naus ist das sog. „Überstimulationssyndrom“ eines dergrößten Risiken. Es kann im schlimmsten Fall zu lebens-gefährlichen Atembeschwerden, Vergrößerungen der Ei-erstöcke, Thrombosen und Flüssigkeitsansammlungenin Bauch- und Brustraum führen. Im Deutschen IVF-Re-gister 1997 wurden bei 3 % aller Fälle Komplikationendurch Überstimulation gemeldet, 1999 waren es 0,8 %und 2000 ebenfalls 0,8 %.153 Todesfälle können nichtausgeschlossen werden.154 Aus der internationalen Lite-ratur wurden vor 1990 18 Todesfälle bekannt.155 1999wurde ein Herzinfarkt im Zusammenhang mit einer IVFaus Lübeck gemeldet.156 Der zwischenzeitlich in der Li-teratur beschriebene völlige oder teilweise Verzicht aufdie Überstimulation würde vermutlich risikosenkendwirken.157

Die bei der Stimulation der Eierstöcke verwendeten Me-dikamente werden mit der Entstehung von extrauterinenSchwangerschaften in Verbindung gebracht. Ihr mögli-cherweise krebsauslösendes Potenzial ist Gegenstand vonStudien.

1.2.3.5.1.2 Risiken bei der EizellentnahmeDie Entnahme der Eizellen erfolgt operativ. In etwa 1 %der Fälle kommt es zu Komplikationen.

1.2.3.5.1.3 Risiken während derSchwangerschaft

Um den Kinderwunsch zu erfüllen, werden in der Regelmehrere Embryonen gleichzeitig in die Gebärmutter derFrau übertragen.158

In Deutschland lagen 1999 die klinischen Schwanger-schaftsraten nach Embryotransfer bei Übertragung vondrei Embryonen bei 26,15 %, bei zweien bei 20,7 % undbei einem bei 8,5 %.159 Werden diese klinischen Schwan-gerschaftsraten nach Altersklassen der Frauen spezifi-ziert, so ergibt sich folgendes Bild:

150 Günther/Fritsche 2000, S. 249.151 Bundesministerium für Forschung und Technologie & Bundesminis-

terium der Justiz 1985, S. 25 ff. Inzwischen ist sowohl die recht-liche Mutterschaft durch das Gesetz zur Reform des Kindschafts-rechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz, KindRG) von 1998 als auchdie Unanfechtbarkeit der rechtlichen Vaterschaft bei einvernehm-licher heterologer Insemination durch das Gesetz zur weiteren Ver-besserung von Kinderrechten (Kinderrechteverbesserungsgesetz,KindRVerbG) von 2002 festgelegt.

152 Literatur dazu bei Köhn/Schill 2000.

153 Die Zahlen zu 1997 und 1999 gemäß mündlicher Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen der nichtöffentlichen Anhörung am26. März 2001. Die Angabe zu 2000 errechnet aus Deutsches IVF-Register 2000, S. 24.

154 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen dernichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.

155 Klein 1990.156 Der Herzinfarkt hatte nicht den Tod der Frau zur Folge, siehe Ludwig

et al. 1999 sowie Ludwig 2000.157 Derzeit werden mehrere Ansätze zur Gewinnung von Eizellen aus

nicht oder nur gering hormonell stimulierten Ovarien diskutiert. Ent-scheidende Bedeutung für eine breitere klinische Anwendung hat dieAusreifung der so gewonnenen unreifen Eizellen im Labor (IVM, In-vitro-Maturation) durch Zugabe verschiedener Hormone und Wachs-tumsfaktoren. Die IVM befindet sich allerdings noch in einem expe-rimentellen Stadium. Vgl. Seehaus et al. 2000, S. 105 f. Siehe auchRongieres-Bertrand et al. 1999, sowie Nargund et al. 2001.

158 Laut Deutschem IVF-Register 2000, S. 10 werden bei IVF durch-schnittlich 2,3 Embryonen übertragen.

159 Felberbaum 2001, S. 269.

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Drucksache 14/9020 – 40 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Das allgemeine Abortrisiko nach assistierter Reproduk-tion lag 1999 in Deutschland bei mindestens 25 %.161

Über dieses Risiko hinaus bestehen bei Mehrlings-schwangerschaften besondere Risiken für die Schwan-gere, wie z. B. Bluthochdruck, Blutungen und Kaiser-schnittentbindungen.162

Während bei der natürlichen Befruchtung etwa 1,2 %Mehrlingsschwangerschaften163 entstehen, verzeichnetdas DIR 1999 etwa 25 % Mehrlingsschwangerschaften,

etwa 21 % waren Zwillinge, knapp 4 % Drillinge und einMal wurden Vierlinge geboren.

Infolgedessen kommt es bei IVF häufiger zu Frühgebur-ten, damit können erhöhte Sterblichkeit in den ersten vierWochen und Fehlbildungen bzw. Entwicklungsstörungenbei den Kindern einhergehen.

1.2.3.5.2 Risiken für die KinderWie bereits erwähnt führt die etwa 20-fach erhöhte Mehr-lingsrate nach IVF zu Risiken für die Kinder. In Deutsch-land waren 1999 97,7 % der geborenen Kinder nachÜbertragung von einem Embryo Einlinge und 2,3 % Zwil-linge. Bei Übertragung von zwei Embryonen wurden17,5 % Zwillinge und 0,6 % Drillinge geboren. Wurdendrei Embryonen übertragen, so hatte das eine Geburtsratevon 26,5 % Zwillingen zur Folge.164

Frühgeburtlichkeit ist eines der Hauptrisiken für Mehr-linge. Eine Geburt vor der 37. Schwangerschaftswochekommt nach IVF etwa doppelt so häufig vor wie nachnormaler Schwangerschaft (11,5 % zu 5,6 %).165 Das Ge-burtsgewicht und die Überlebenschancen der Kinder ver-ringern sich infolgedessen. Mehrlingsgeburten sind fürdie Kinder ebenso wie für die Mütter und die Partner-schaft mit erheblichen Belastungen und überwiegendproblematischen psychischen und sozialen Folgeerschei-nungen verbunden.166

Tabel le 2:

Klinische Schwangerschaftsraten160 in Abhängigkeit vom Alter der Frauen und der Anzahl der übertragenen Embryonen

Altersklasse 1 Embryo 2 Embryonen 3 Embryonen

bis 20 0 8,33 % 9,09 %

20–24 9,28 % 22,73 % 31,76 %

25–29 11,56 % 27,32 % 30,58 %

30–34 10,12 % 26,28 % 31,10 %

35–39 9,05 % 21,15 % 27,01 %

40–44 5,71 % 10,01 % 18,96 %

45–49 1,79 % 0 6,67 %

50 und älter 0 0 0

Quelle: DIR 1999, S. 16 (verändert)

160 Zur Bedeutung der „Klinische Schwangerschaft/Embryotransfer“-Rate siehe C1.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistierten Repro-duktion – und wie häufig tritt er ein?

161 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 14: Über den Verlauf von1.474 der 1999 insgesamt erfassten 12.770 klinisch festgestelltenIVF-Schwangerschaften kann das DIR keine Angaben machen. Dieverbleibenden 11.296 klinischen Schwangerschaften führten zu8.131 Geburten, zu 380 sog. Extrauteringraviditäten (Schwanger-schaften außerhalb der Gebärmutter), die nicht in den gesondert aus-gewiesenen 2.785 Aborten enthalten sind. Die tatsächliche Abortrateliegt demnach zwischen ca. 25 % (ausgewiesene Aborte) und ca.36 % (ausgewiesene Aborte, Extrauteringraviditäten und nicht ver-folgbare klinische Schwangerschaften).

162 Die Probleme nach der Geburt (Gewicht und Entwicklungszustandder Kinder) werden später behandelt.

163 Die „natürliche“ Häufung von Mehrlingen wird im deutsch-sprachigen Raum anhand der sog. „Hellin-Regel“ ermittelt. Dem-nach kommt eine Zwillingsgeburt auf 85 Normalgeburten (1,18 %), eine Drillingsgeburt auf 7 225 Normalgeburten (1:852oder 0,013 %) und eine Vierlingsgeburt auf 614 125 Normalge-burten (1:853 ). Ausführlicher bei Fuhlrott/Jorch 2001. Dort fin-den sich auch Bemerkungen zu Frühgeburtlichkeit und ihrenKomplikationen, Wachstum und Sterblichkeit sowie Fehlbildun-gen der Mehrlingskinder. Zum gleichen Thema Bindt 2001. DieAutorin macht auf die Verdoppelung der Mehrlingsschwanger-schaften zwischen 1980 und 1997 in den westlichen Industrielän-dern aufmerksam und stellt neben den besonderen Risiken vonMehrlingsschwangerschaften vor und während der Geburt auchdie (langfristigen) psychischen Folgen für Kinder, Mütter undPartnerschaften dar.

164 Felberbaum 2001, S. 268.165 Felberbaum 2001, S. 268. Ein Mittelwert für IVF-Zwillinge ist dem-

nach die Geburt in der 36. Schwangerschaftswoche mit etwa2 405 Gramm, für IVF-Drillinge lauten die entsprechenden Daten33. Schwangerschaftswoche und 1 745 Gramm Geburtsgewicht.Einlinge wiegen hingegen im Durchschnitt etwa 3 500 Gramm undwerden nach 40 Schwangerschaftswochen geboren.

166 Vgl. Bindt 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 41 – Drucksache 14/9020

Über Fehlbildungsraten nach IVF bzw. ICSI gibt es in derLiteratur verschiedene Angaben.167 Die Zahlen stehen inAbhängigkeit vom Erfassungssystem und der Dokumen-tationsmethode. Von den 1.570 im Jahr 1998 in Deutsch-land nach IVF geborenen Kindern kam es in 1,34 % derFälle zu nicht näher spezifizierten Fehlbildungen. BeiICSI betrug die Rate 1,8 %.168

1.2.3.6 Die Entwicklung der Indikationen für die In-vitro-Fertilisation und ihre Varianten

IVF wurde ursprünglich entwickelt, um Frauen mit nichtwiederherstellbarer Eileiterfunktion oder fehlenden Eilei-tern (Tubae uterinae, Tuben) eine Schwangerschaft zu er-möglichen. Die Indikationen für IVF wurden in den ver-gangenen 20 Jahren kontinuierlich erweitert, so dasszwischenzeitlich nur noch etwa 40 % aller IVF-Zyklenaufgrund einer Eileitersterilität durchgeführt werden.

Zunächst wurde das Behandlungsangebot auf Frauen mitvorausgegangener Sterilisation ausgedehnt. Eine weitere,seltenere Indikation bei Frauen stellt die sog. Endome-triose169 mit 3,4 % aller IVF-Zyklen dar.

Waren in der ersten Hälfte der 1980er Jahre etwa 3 % allerIVF-Zyklen der Behandlung männlicher Fruchtbarkeits-störungen gewidmet, so betrug deren Anteil zehn Jahre

später bereits etwa 40 %. Bei der Mehrzahl der inDeutschland 1999 durchgeführten IVF- bzw. ICSI-Be-handlungen war die männliche Fruchtbarkeit einge-schränkt.170 Der rapide Anstieg wird auf die seit 1992 ver-fügbare Anwendung der sog. IntrazytoplasmatischenSpermieninjektion direkt in die Eizelle (ICSI) zurückge-führt. Die Fruchtbarkeit der Frau kann völlig ungestörtsein, die geringen anderweitigen Therapiechancen männ-licher Fruchtbarkeitsstörungen sollen durch die IVF-Be-handlung der Frau bewältigt werden.

Etwa 6 % aller IVF-Zyklen werden aufgrund der „idiopa-thischen“, medizinisch nicht abzuklärenden Sterilitätdurchgeführt, die nach Auffassung der Bundesärztekam-mer „nur als Indikation für eine assistierte Reproduktionangesehen werden (soll), wenn alle diagnostischen Maß-nahmen durchgeführt und alle primären therapeutischenMöglichkeiten geklärt wurden“171. In der Praxis dient die„idiopathische“ Indikation offenbar „gewissermaßen alsSammelbecken, in das funktionelle Störungen und psy-chologische Konflikte ebenso eingehen wie Fälle unzu-reichender Diagnostik oder langandauernder erfolgloserSterilitätsbehandlung“172.

In etwa 0,2 % der Fälle liegt schließlich eine immunolo-gisch bedingte Sterilität vor. Sterilitätsauslösende Immun-reaktionen sind beim Mann wie auch bei der Frau be-schrieben worden.173

Als weiterer Entwicklungsschritt der Anwendungen vonIVF kann die Verschmelzung von Therapie und Dia-gnostik, z. B. bei nicht eintretendem Erfolg anderer re-produktionsmedizinischer Maßnahmen angesehen wer-den. Der Zugriff auf die Keimzellen beider Geschlechtererlaubt es, die Beschaffenheit der Eizelle (mikroskopi-sche Kontrollen sowie molekulargenetische Methodenbei der sog. Polkörperdiagnostik174) und Samenzelle(Mikroskopische Kontrolle im Spermiogramm) zu ana-lysieren und den gesamten Befruchtungsvorgang zu ana-lysieren bzw. zu steuern (Zugabe von Nährlösungen, Separierung der beweglichsten Spermien, intrazytoplas-matische Spermieninjektion oder auch die als „assistedhatching“ bezeichnete „Schlüpfhilfe“ des Embryos durchAnbohren der Zona Pellucida mit einem Laserbohrer),um die Chancen für die Befruchtung, Einnistung und er-folgreiche Entwicklung einer Schwangerschaft zu er-höhen.

Dazu zählt auch die (in Deutschland zulässige) qualitativeBeurteilung der imprägnierten (befruchteten) Eizellen vor

167 Vgl. Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales desLandes Sachsen-Anhalt 1997. Demzufolge sind „(e)twa 10 % allerangeborenen Anomalien (...) monogen bedingt, in etwa 5 % liegenursächlich Chromosomenstörungen und in 5 % mütterliche Erkran-kungen vor. Bei 20 % handelt es sich um polygen-multifaktoriell be-dingte Krankheiten und für 60 % der Fehlbildungen sind deren Ur-sachen bei dem derzeitigen Kenntnisstand unklar. Es ist davonauszugehen, daß bei den polygen-multifaktoriell bedingten und ätio-logisch unklaren angeborenen Veränderungen exogene Faktoreneine mitauslösende Rolle spielen“ (S. 5). Die Erhebung realitätsna-her Daten über angeborene Fehlbildungen ist diesem Bericht zufolgeschwierig. Ein bundesweites Erhebungssystem wurde zwar 1993vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer empfohlen.Allerdings sollen nach Schätzungen der BÄK „nur etwa 10 % allerangeborenen Anomalien erfasst“ worden sein (S. 6), womit die ge-setzlich bestehende Meldepflicht für Fehlbildungen, welche in denersten drei Lebenstagen erkennbar sind, faktisch nicht befolgt wurde.Seit 1. Januar 1997 besteht diese Meldepflicht nicht mehr.Die im Europäischen Register Kongenitaler Fehlbildungen EUROCAT (European Registration of Congenital Anomalies) zu-sammengeschlossenen 25 Register zur Erfassung kindlicher Fehlbil-dungsraten (darunter das Mainzer und das Sachsen-Anhaltinisch-Magdeburger) geben in einer die Jahre 1990 bis 1996 umfassendenStatistik einen Durchschnittswert von 189,8 fehlgebildeten Neuge-borenen aus 10 000 Lebendgeburten an. Dies entspricht einer kon-genitalen Fehlbildungsrate von 1,9 %. Die Angaben der einzelnenZentren schwanken jedoch zwischen 0,9 % und 3,7 %. Die beidendeutschen Register verzeichneten 2,25 % (Magdeburg) und 3,7 %(Mainz). Siehe http://www.lshtm.ac.uk/php/eeu/eurocat/A03.html(Stand: 27.3.2002).

168 Vgl. Felberbaum 2001, S. 269f. Weitere Hinweise zu der Diskussionum die Fehlbildungsrate nach ICSI siehe auch Nowak 2001, Koch,K. 2001 sowie „Mehr Fertilitätsstörungen durch Spermieninjek-tion?“ 2001. Die Diskussion um die mit ICSI verbundenen Risikenwird ausführlicher in Abschnitt C1.2.4.2.3.1 Sonderfall Intracyto-plasmatische Spermieninjektion dargestellt.

169 Eine Verlagerung der Gebärmutterschleimhaut führt zu Verklebungenund infolgedessen z. B. zu Störungen des Eiauffangmechanismus.

170 Deutsches IVF-Register 1999, S. 7.171 Bundesärztekammer 1998b, A 3167.172 Barbian/Berg 1997, S. 217.173 Ausführlich siehe Reinhard/Wolff 1995, S. 72 ff., insbesondere

S. 74. Üblicherweise wird diese Indikation zu den weiblichen Ferti-lisationsstörungen gerechnet. Ursächlich dafür sind entweder au-toimmunologische Unverträglichkeiten (zwischen Spermien und Samenflüssigkeit bzw. zwischen weiblichen Antikörpern und Ei-hüllproteinen) oder Antikörper in den Sekreten des weiblichen Ge-nitaltraktes, welche die Spermien immobilisieren.

174 Zur Polkörperdiagnostik siehe auch C1.4.1.1.4 Alternativen.

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Drucksache 14/9020 – 42 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Abschluss des Befruchtungsvorgangs (Vorkernstadium)unter dem Mikroskop mit dem Ziel der Auswahl derjenigenmit den besten Entwicklungschancen. Soll die imprägnierteEizelle verworfen werden, so muss dies geschehen, bevorder Befruchtungsvorgang abgeschlossen ist.

Die (in Deutschland nicht zugelassene) Präimplantations-diagnostik (PID) ist im Prinzip die molekulargenetischeUntersuchung eines Embryos vor der Übertragung in dieGebärmutter. Schon heute wird die regelmäßige moleku-largenetische Untersuchung (PID) des frühen Embryos invitro auch in Deutschland als weiteres diagnostisches In-strument zur Verbesserung der Erfolgsergebnisse der assis-tierten Reproduktion diskutiert. PID könnte demnach dazuverwendet werden, die für einen Großteil von Spontan-aborten verantwortlich gemachten und mit zunehmendemLebensalter der Frau ansteigenden Aneuploidien (Chromo-somenfehler) des Embryos aufzufinden. Durch gezielteAuswahl von Embryonen, die keine Aneuploidien aufwei-sen, könnte nach dieser Auffassung zugleich die Zahl dertransferierten Embryonen verringert, der Anteil der Mehr-lingsschwangerschaften nach IVF und damit eine der IVF-bedingten Belastungen der Frauen gesenkt werden.175

1.2.4 Assistierte Reproduktion in der Praxis

1.2.4.1 Übersicht über assistierteReproduktion in Europa und den USA

1.2.4.1.1 Europa Mehr als die Hälfte aller weltweit durchgeführten IVF-Zyklen finden in Europa statt.176 In Frankreich, Großbri-tannien und Deutschland werden mehr als die Hälfte allerIVF-Zyklen in Europa realisiert.177 Diese Angaben gehennicht auf ein europaweites bzw. EU-weites IVF-Registerzurück (so etwas gibt es nicht), sondern auf ein 1997 erst-mals durchgeführtes Monitoring-Programm der Europä-ischen Gesellschaft für menschliche Reproduktion undEmbryologie (ESHRE, European Society for Human Re-production and Embryology).

Dem ersten ESHRE-Monitoringbericht zufolge gibt es ininsgesamt 16 europäischen Ländern IVF-Dateien178, je-doch nicht in Italien und Griechenland (dort wurden dieDaten landesweit erstmals für das ESHRE-Monitoringgesammelt). Aus Österreich, Irland und Luxemburg konn-ten keine Daten gesammelt werden.

Tabel le 3

IVF-Datensysteme in 21 europäischen Staaten

IVF-Register mit Meldepflicht

IVF-Register mit freiwilliger

Beteiligung

Kein IVF Register, jedoch nationale Daten

für ESHRE

Kein IVF-Register, keine Daten für ESHRE

Dänemark Belgien Italien Irland

Großbritannien Deutschland179 Finnland (nur Geburts-statistik)

Luxemburg

Frankreich Island Griechenland Österreich

Niederlande Portugal

Norwegen Russland

Schweden Spanien

Schweiz

Tschechien

Ungarn

Quelle: Nygren/Nyboe Andersen 2001

175 Ausführlich dazu Held 2001. 176 Vgl. Nygren/Nyboe Andersen 2001, S. 384. 177 Nygren/Nyboe Andersen 2001, S. 384. Vgl. Ulfkotte 2001.178 Der mündlichen Mitteilung von Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen

der nichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001 zufolge gibt es eu-ropaweit 19 IVF-Register. Ebenso Felberbaum/Dahncke 2000, S. 800.

179 Zur Situation in Deutschland siehe unten. Seit 1998 ist die Beteili-gung am IVF-Register durch die BÄK-RL gefordert. Allerdings be-teiligen sich nicht alle IVF-Zentren.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 43 – Drucksache 14/9020

Von den insgesamt 18 meldenden Ländern haben sechseine nationale Meldepflicht, die entweder staatlich oderdurch eine unabhängige Institution überwacht wird. InFinnland gibt es zwar keine Meldepflicht, jedoch werdenIVF-Babys in der Geburtenstatistik separat erfasst. In9 Staaten gibt es freiwillige bzw. nicht gesetzlich gere-gelte IVF-Register, weshalb die Quote der teilnehmendenZentren nicht immer angegeben werden kann. Die im Fol-genden wiedergegebenen Zahlen können deshalb ledig-lich als ungefähre Angaben gewertet werden.

Für 1997 sind laut ESHRE 203.893 IVF-Zyklen aus ins-gesamt 482 Zentren gemeldet worden. Nach Angaben vonESHRE ist diese Zahl jedoch nur relativ, da die einzelnenMeldungen teils unvollständig waren.180

Jüngsten Angaben zufolge waren zuletzt rund 700 IVF-Zentren in Europa aktiv, von denen 521 insgesamt232 225 künstliche Befruchtungen für 1998 mitgeteilt ha-ben. Im Vergleich zu den vorliegenden Angaben von 1997entspricht dies zwar einer Steigerung der von ESHRE er-fassten Behandlungen um etwa 14 %. Allerdings warendaran zugleich 8 % mehr Zentren beteiligt. Auch die fürDeutschland angegebenen größten Zuwächse müssen kri-tisch bewertet werden, da die Berichtspflicht zwar schon,beginnend Ende der 80er Jahre, in das Berufsrecht aufge-nommen wurde, allerdings in den verschiedenen Ärzte-kammern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unter-schiedlicher Form. Erst 1998 wurde eine Berichtspflichtin der BÄK-RL national verlangt, die dazu führte, dassdeutlich mehr Zentren an das DIR meldeten (1997 mel-deten 70; 1998 meldeten 86).

Bezogen auf alle Neugeborenen im jeweiligen Land lagdie Quote der IVF-Babys 1998 in den nordeuropäischenStaaten am höchsten (Island: 3,8 %, Finnland: 2,7 %,Schweden: 2,4 % und Norwegen: 1,7 %). In Frankreichund Großbritannien, die beide über eine IVF-Melde-pflicht verfügen, lagen die Quoten bei 1,3 % bzw. 1,1 %.Im Vergleich dazu entspricht die vom – freiwilligen –Deutschen IVF-Register dokumentierte, nur ca. 80 % derZentren erfassende Zahl der Lebendgeburten in 1998 ei-ner Quote von 0,98 % IVF-Babys.181

Die meisten der behandelten Frauen waren zwischen 30 und 34 Jahren alt (ihr Anteil lag je nach Land zwischen31 % und 45 %), gefolgt von der Altersgruppe der 35- bis39-Jährigen (zwischen 22 % und 39 %). In Deutschlandist ein knappes Drittel der Frauen zwischen 35 und 39 Jah-ren alt, in den USA sind es etwa 50 %.

In den zehn europäischen Ländern, in denen alle Klinikendem Register meldeten, wurden 133 215 IVF-Zyklen

durchgeführt und bei 18 899 Geburten insgesamt24 283 Kinder geboren; dies entspricht einer Baby-take-home-Rate von 14,2 %.182

Die Geburten verteilten sich im europäischen Durch-schnitt auf etwa 70 % Einlinge bzw. 26 % Zwillinge, 3,6 %Drillinge und 0,2 % Vierlinge. Der Anteil aller Mehr-lingsgeburten lag mit 26,3 % in Europa deutlich unter demWert in Nordamerika mit annähernd 40 % Mehrling-geburten.183 Auffällig ist, dass in Tschechien, Griechen-land, Ungarn, Portugal, Spanien und Russland zwischen35 % und 57 % der Embryotransfers mit vier Embryonendurchgeführt wurden, während in den skandinavischenLändern und Großbritannien maximal drei Embryonenübertragen wurden.

1.2.4.1.2 USASeit 1981 werden ART in den USA eingesetzt. 1992 be-schloss der US-Kongress den „Fertility Clinic SuccessRate and Certification Act“. Auf der Grundlage dieses Ge-setzes legen die staatlichen Centers for Disease Controland Prevention (CDC) ihre Berichte über die Schwanger-schafts-Erfolgsraten in amerikanischen IVF-Kliniken vor,deren aktuellster aus dem Jahr 2000 die Zahlen von 1998enthält und an potenzielle Nutzerinnen und Nutzer von as-sistierter Reproduktion gerichtet ist.184 Die Erhebung derDaten erfolgt retrospektiv185, d. h. nachdem die Ergeb-nisse von ART bekannt sind, geben die Kliniken ihre Da-ten in ein elektronisches Erhebungssystem ein.186 An-schließend werden die Angaben stichprobenartig vor Ortüberprüft, sodann wird der Datenabgleich vorgenommenund der Bericht von einem Gremium autorisiert187:

– 23 % der Frauen, die 1998 assistierte Reproduktions-technologien (ART) nutzten, hatten vorher bereitsmindestens ein Kind geboren, 51 % aller Nutzerinnenwaren zwischen 33 und 39 Jahren alt.

180 Nygren/Nyboe Andersen 2001, S. 390.181 Das Statistische Bundesamt meldet für 1998 insgesamt 785 034 Le-

bendgeborene in Deutschland, das Deutsche IVF-Register gibt für1998 7.666 Lebendgeborene nach IVF an. Allerdings beruht diese An-gabe auf den Meldungen von lediglich 86 aus ca. 110 IVF-Gruppen in Deutschland, mithin dürfte die Quote insgesamt in der Größen-ordnung von etwa 1,2 % IVF-Kindern von allen in 1998 Neugebore-nen liegen. Vgl. http://www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab1.htm(Stand: 27.3.2002) und Deutsches IVF-Register (DIR) 1999, S. 19.

182 Nygren/Nyboe Andersen 2001. Nicht komplette Daten zu den Ge-burten wurden aus den Niederlanden und der Schweiz gemeldet,keine Daten zu Geburten kamen aus Deutschland. Die Baby-take-home-Rate wurde als Lebendgeburten je IVF-Zyklus berechnet,nicht, wie im Text, auf den Embryotransfer bezogen. Für 18 europä-ische Länder meldet ESHRE demnach folgende Erfolgsraten: – Für IVF: Schwangerschaftsrate: 26,1 %; Geburtenrate: 20,9 %

(beide Angaben beziehen sich auf den Embryotransfer. Umge-rechnet auf begonnene IVF-Zyklen ergeben sich 18,5 % Schwan-gerschaftsrate und 16,7 % Geburtenrate).

– Für ICSI: Schwangerschaftsrate: 26,4 %; Geburtenrate: 21,5 %(beide Angaben beziehen sich auf den Embryotransfer, umge-rechnet auf begonnene IVF-Zyklen ergeben sich daraus: 22,9 %Schwangerschaftsrate und 17,7 % Geburtenraterate). Die Gebur-tenrate bezieht sich, im Unterschied zur Baby-take-home-Rate,nicht auf die Anzahl der Geburten, sondern auf die – aufgrund derMehrlingsgeburten höhere –Anzahl der lebendgeborenen Kinder.

183 Nygren/Andersen 2001, S. 389.184 Centers for Disease Control and Prevention 1998. 185 Im Deutschen IVF-Register (DIR) werden die Zahlen prospektiv er-

hoben.186 Siehe Centers for Disease Control and Prevention 1998, S. 4.187 Siehe Centers for Disease Control and Prevention 1998, S. 4.

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Drucksache 14/9020 – 44 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– In den USA gibt es insgesamt 390 IVF-Kliniken, 360davon sind in dem CDC-Bericht erfasst.188

– 1998 wurden 28 500 Kinder (entspricht 0,7 % allerLebendgeborenen) in den USA nach Anwendung vonART geboren.

– 1998 wurden insgesamt 80 634 Zyklen189 begonnen,61 650 davon als IVF mit „frischen“, nichtgespende-ten Eizellen oder Embryonen190 (73,3 %). 11 228 Zy-klen wurden als IVF mit tiefgefrorenen Embryos be-gonnen (13,9 %) und 7.756 als IVF nach einerEizellspende (9,6 %, die sich verteilen auf 7,2 % „fri-sche“ und 2,4 % tiefgefrorene Embryonen)191.

– Aus den 61 650 mit „frischen“ Eizellen oder Embryo-nen begonnenen Zyklen wurden 49 837 Embryo-transfers192 durchgeführt, daraus sind 18 800 Schwan-gerschaften entstanden. Dies entspricht einerSchwangerschaftsrate von 30,5 % bezogen auf die be-gonnenen Zyklen. Es kam zu 15 367 Geburten, wasbedeutet, dass die Baby-take-home-Rate193 bei 24, 9 %lag.

– Die Lebendgeburten verteilten sich auf 61 % Einlinge,28 % Zwillinge und 11 % Drillinge oder Höhergra-dige.

Da die Daten retrospektiv erhoben werden und da ausdem Bericht nicht zweifelsfrei hervorgeht, ob die Ge-burten sich ausschließlich auf den Zyklusanfang derovariellen Stimulation beziehen, sind die genannten Er-folgsraten nicht mit den Zahlen aus Deutschland ver-gleichbar.

Die Zahlen für die begonnenen IVF und ICSI Zyklen(80 634 in 1998, 73 069 in 1997) liegen in den USA nurleicht über denen Deutschlands (64 617 erfasste IVF und

ICSI Zyklen in 1999), obgleich die USA etwa die dreifa-che Einwohnerzahl aufweisen. Proportional zur Bevölke-rung werden somit in Deutschland fast dreimal so vieleART-Behandlungen durchgeführt wie in den USA.

1.2.4.2 Assistierte Reproduktion inDeutschland

1.2.4.2.1 Institutionelle EntwicklungIn der Bundesrepublik Deutschland wurden 1981 in Er-langen und Lübeck die beiden ersten IVF-Gruppen anUniversitätskliniken eingerichtet. Im April 1982 wurdedas erste IVF-Kind in West-, im Oktober 1984 in Ost-deutschland geboren.194 1984 hatten sich in der Bundes-republik 21 IVF-Teams etabliert, 1986 waren es bereits 41 (davon 21 Universitätskliniken, 9 Krankenhäuser und11 Praxen).195 1985 hatte die Bundesärztekammer ihreersten „Richtlinien zur Durchführung von In-vitro-Ferti-lisation (IVF) und Embryotransfer (ET) als Behandlungs-methode der menschlichen Sterilität“ veröffentlicht.196

Beim ersten Bundestreffen der deutschsprachigenIVF/GIFT-Zentren 1987 in Bonn meldeten alle 36 ver-tretenen Gruppen ihre Ergebnisse, von 1982 an begin-nend.197

Ende 1990 arbeiteten 50 Gruppen in Westdeutschland(davon 23 Universitätskliniken, 11 Krankenhäuser und16 Praxen) sowie sechs Teams an ostdeutschen Univer-sitätskliniken (Charité Berlin, Halle, Jena, Leipzig, Mag-deburg, Rostock), 1991 waren es insgesamt 55 in ganzDeutschland.198

Die Anzahl der im Deutschen IVF-Register (DIR) erfass-ten Zentren ist von 1992 bis 1997 vergleichsweise lang-sam von 51 auf 70 angestiegen. Aufgrund der von derBundesärztekammer in ihren überarbeiteten „Richtlinienzur Durchführung der assistierten Reproduktion“ gefor-derten Teilnahme am DIR199 erhöhte sich die Zahl dermeldenden Zentren 1998 auf 86, 1999 wurden 92200 undim neuesten Bericht von 2000 sind 103 Zentren201 ver-zeichnet. Da die tatsächliche Anzahl von IVF-Gruppen inDeutschland auf 110 geschätzt wird202, dürften sich etwa18 Zentren nicht an die aktuellen Richtlinien der Bundes-ärztekammer halten. (Allerdings haben die Landesärzte-kammern die BÄK-RL nicht durchgehend und inhalts-gleich in das Berufsrecht überführt. So besteht zwar

188 Centers for Disease Control and Prevention 1998, S. 10.189 Definitionsgemäß versteht der Bericht unter „ART cycle“ den Be-

ginn der ovariellen Stimulation der Frau, vgl. Centers for DiseaseControl and Prevention 1998, S. 14.

190 Obwohl der Bericht einen IVF-Zyklus ausdrücklich als Beginn derStimulation der Eierstöcke definiert (S. 12), ist nicht eindeutig, ob inden angegebenen Zahlen auch solche Zyklen enthalten sind, derenBeginn erst mit dem Vorliegen eines Embryos angesetzt wird. DerBericht liefert dafür weder Gründe noch Zahlenangaben. Sollten dieZahlen auf den genannten beiden „Anfängen“ der Zyklen basieren,so ergäben sich dadurch „günstigere“ Erfolgszahlen.

191 GIFT und ZIFT machen zusammen einen Anteil von 3,2 % aus. Vgl.Centers for Disease Control and Prevention 1998, S. 11.

192 Die höchsten Erfolgsraten (Lebendgeburten) wurden beim Transfervon drei Embryonen erzielt (35, 7 %), gefolgt vom Transfer von vierEmbryonen (34,1 % ) Allerdings lag in beiden Fällen der Anteil derMehrlingsgeburten ebenfalls am höchsten. Vgl. Centers for DiseaseControl and Prevention 1998, S. 27.

193 In dem Bericht der Centers for Disease Control and Prevention 1998als „Live births/cycle“ bezeichnet. Die Baby-take-home-Rate be-zieht sich immer auf die Anzahl der Geburten (nicht der geborenenBabys). Sie ist „das für die Paare einzig relevante Erfolgskriterium“(Hölzle/Wiesing 1991, S. 9) und ein Maß dafür, wie viele von100 Frauen, die mit einer IVF-Behandlung beginnen, damit rechnenkönnen, (mindestens) ein lebendes Kind zu gebären. Vgl. C1.2.6.3Erfolgskriterium Baby-take-home-Rate.

194 Schneider 2001, S. 32.195 Barbian/Berg 1997, S. 7. Dieses Werk stellt die Entwicklung der IVF

in Deutschland ausführlich dar.196 Bundesärztekammer/Wissenschaftlicher Beirat 1985, S. 1690–1698.197 Hölzle/Wiesing 1991, S. 8; Barbian/Berg 1997, S. 7.198 Barbian/Berg 1997, S. 5.199 Bundesärztekammer 1998b, A 3169.200 Zu den Zahlenangaben seit 1992 siehe Deutsches IVF-Register

1999, S. 6.201 Deutsches IVF-Register 2000, S. 6.202 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen der

nichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 45 – Drucksache 14/9020

überall eine Berichtspflicht, teilweise aber gegenüber derÄrztekammer, die hilfsweise durch einen Bericht an dasDIR erfüllt werden kann.) Von den beim DIR 1999 mel-denden 92 Zentren entfielen 27 auf Universitäten, 14 aufKrankenhäuser und 51 auf Praxen, im Jahr 2000 stieg dieAnzahl der Praxen auf 61.

Die 1992 in Belgien erstmals erfolgreich beschriebeneICSI wird seit 1993 ebenso wie die Kryokonservierungvon „imprägnierten“ Eizellen (Einfrieren befruchteter Eizellen im Vorkernstadium gemäß Embryonenschutz-gesetz) in Deutschland angeboten.205 1994 wurde ICSI von 32 Zentren und Kryokonservierung von 19 Zentrendurchgeführt. 1999 haben alle 92 im DIR erfassten Zen-tren ICSI und 75 Zentren Kryokonservierung angebo-ten206, im Jahr 2000 wurde ICSI von 98 bzw. Kryokon-servierung von 77 Zentren durchgeführt.207

Tabel le 4

Institutionelle Entwicklung der IVF

Universitäts-klinik

Kranken-haus Praxis

1981 2 – –

1984 14 3 4

1986 21 9 11

1990 29 (23 West + 6 Ost)

11 16

1999203 27 14 51

2000204 27 14 61

Tabel le 5

Anzahl der Behandlungen (IVF/GIFT/KRYO/ICSI) laut DIR

Jahr 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1997 1998 1999208 2000

Meldende Zentren209 5 14 28 34 53 51 66 66 70 86 92 102

IVF 742 972 3 806 7 130 7 343 12 867 16 175 14 494 9 902 16 763 21 880 28 945

GIFT 0 0 380 1 266 985 1 283 829 420 104 11 41 25

KRYO 0 0 0 0 0 0 499 2 660 2 656 4 616 7 661 9 457

ICSI 0 0 0 0 0 0 5 856 16 233 15 365 23 578 21 244 15 752

IVF/ICSI 424 962 790

Sonstige 2 585 67 6 600 6 562

Gesamt 742 972 4 201 8 579 8 653 14 770 23 684 33 993 30 676 45 459 58 388 61 531

Quelle: DIR 2000, S. 7 (verändert)

203 Nach Deutsches IVF-Register 1999, Teilnehmerverzeichnis. Die An-gaben vor 1990 beziehen sich lediglich auf Westdeutschland.

204 Nach Deutsches IVF-Register 2001, Teilnehmerverzeichnis, S. 27ff.

205 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen dernichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.

206 Siehe Deutsches IVF-Register 1999, S. 6.207 Siehe Deutsches IVF-Register 2000, S. 6.208 Ab 1999 werden laut Deutschem IVF-Register 1999, S. 7 nur noch

durchgeführte (abgeschlossene) Behandlungen dokumentiert.209 Angaben nach Deutsches IVF-Register 2000, S. 6, Grafik „Anzahl

der Zentren“. Die Anzahl der meldenden Zentren ist nicht gleichbe-deutend mit der Anzahl aller IVF-Zentren.

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Drucksache 14/9020 – 46 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Einige Jahre nach Etablierung der ersten Reproduktions-medizinischen Zentren in Deutschland

„verlangten zahlreiche IVF-Gruppen eine standespoli-tisch starke „Lobby“ (...), wie es anläßlich der Kämpfeum die Übernahme der IVF-Kosten in die gesetzlicheKrankenversicherung der Fall war. (...) Unter diesemberufspolitischen Druck wurde schließlich die Arbeits-gemeinschaft für Gynäkologische Endokrinologie undFortpflanzungsmedizin (AGGEF) der Deutschen Ge-sellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“211

1993 gegründet. 1996 wurde der Bundesverband Repro-duktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ)gegründet, „welcher ganz besonders die berufspolitischenInteressen der in freier Praxis oder privater Klinik tätigenIVF-Spezialisten vertritt“212.

1.2.4.2.2 Rechtliche Regelungen für Zugang,Inanspruchnahme und Kosten-übernahme assistierterReproduktionstechnologien

1.2.4.2.2.1 Gesetzliche Anforderungen an denZugang

Der Gesetzgeber hat sich mit den Methoden der assis-tierten Reproduktion bislang sozialrechtlich und straf-rechtlich befasst. Im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch(SGB V) wurden 1990 assistierte Reproduktionstechno-logien als Erstattungsleistung der gesetzlichen Kranken-versicherung festgestellt.213 Bedingung für die Erstat-tungsfähigkeit ist, dass die Maßnahmen im Einklang mitden (ausschließlich) strafrechtlichen Bestimmungen desEmbryonenschutzgesetzes (ESchG) von 1990 stehen.

Das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990,das am 1. Januar 1991 in Kraft trat, hat rein strafrecht-

Graf ik 2

Reproduktionsmedizin 1982–1999/Anzahl der Behandlungen210

210 Im Deutschen IVF-Register 1999 werden 64 617 Zyklen erfasst,58 817 werden als prospektiv und nichtprospektiv erfasste „plausibleZyklen“ bezeichnet. Grafik 2 liegen die im Deutschen IVF-Register1999, S. 7 gemachten Angaben zugrunde.

211 Beier 1996, S. 50.212 Beier 1996, S. 50.

213 Siehe C1.2.4.2.3 Zugang und Kostenübernahme durch die gesetz-liche Krankenversicherung.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 47 – Drucksache 14/9020

lichen Charakter und regelt die assistierten Reproduk-tionstechnologien nur lückenhaft und indirekt überstrafrechtliche Verbote. Die Strafandrohungen richtensich an die behandelnden Ärzte. Erst 1994 wurde demBund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die „künstliche Befruchtung beim Menschen“ übertra-gen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG) und damit die Mög-lichkeit des Erlasses eines über strafrechtliche Rege-lungen hinausgehenden bundeseinheitlichen Gesetzesgeschaffen.

Gesetzlich nicht entschieden ist die Diskussion über denmöglichen Krankheitswert, der dem Leiden einer Fraubzw. eines Paares an unfreiwilliger Kinderlosigkeit zu-kommt. Das Bundessozialgericht hat jüngst unter demHinweis auf die „Sonderstellung der künstlichen Be-fruchtung im Leistungssystem der Krankenversicherung“festgestellt, dass „(d)ie künstliche Befruchtung (...) selbstnicht als Krankenbehandlung angesehen (wird); sie wirddieser lediglich zugeordnet“, um die einschlägigen Rege-lungen des SGB V anwendbar zu machen und damit „dieKostenlast auf die Krankenversicherungen der beidenEhegatten zu verteilen“.214

Die Zulassung von reproduktionsmedizinischen Zen-tren (nach § 121a SGB V) obliegt den Bundesländernbzw. in sieben Bundesländern den Landesärztekam-mern. Zwar ergeben sich aus § 121a SGB V und § 27aSGB V komplexe Prüfvorgaben in Bezug auf einen fest-zustellenden Bedarf an reproduktionsmedizinischenEinrichtungen und an deren qualitativen Voraussetzun-gen, doch liefert das SGB V weder quantitative nochqualitative Hinweise zur Durchführung. Weder gibt esauf der Seite der Kammer- und Heilberufsgesetze ge-eignete Instrumente für eine wirksame Durchsetzungvon berufsrechtlichen Regelungen, noch wurden dieÄrztekammern mit den nötigen Instrumentarien ausge-stattet, auch nur struktur-qualitative Anforderungendurchzusetzen.

Die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes verfolgenim Wesentlichen folgende Ziele215:

– Die missbräuchliche Verwendung von Embryonensoll verhindert werden.

– Ausschließlicher Zweck der künstlichen Befruchtungist die Fortpflanzung.

– Eine „gespaltene“ Mutterschaft (z. B. aufgrund vonEi- oder Embryonenspende bzw. Leihmutterschaft)soll verhindert werden.

– Die Entstehung sog. „überzähliger“ Embryonen sollvermieden werden.

– Dem Einstieg in eine menschenzüchtende ‚Eugenik‘soll begegnet werden.

– Das Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Fort-pflanzung soll gewährleistet sein.

Das Embryonenschutzgesetz gilt nur bis zur Einnistungdes Embryos in vitro in die Gebärmutter. Danach geltendie Bestimmungen der §§ 218ff. StGB.

Eine Vielzahl weiterer Fragen ist bis heute unbeantwortetgeblieben. So wurde im Zusammenhang mit der Spendevon Sperma kürzlich festgestellt:

„Heute leben in Deutschland mehr als60 000–70 000 Kinder, die ihr Leben der Befruchtungmit Spendersperma verdanken. Es liegen Behand-lungsgrundsätze für die donogene Insemination vor.Aber einige rechtliche Probleme wie Anonymität desSpenders, Familien- und Erbrecht, Verwahrfrist derAkten, Spenderhonorar bedürfen noch einer gesetzli-chen Regelung.“216

Damit ist insbesondere die gesetzliche Absicherung desvom Bundesverfassungsgericht festgestellten Rechtes desKindes auf Kenntnis seiner Abstammung bisher nicht er-folgt.

Für die Qualitätssicherung (Beratung, Laborstandards,operative Eingriffe, Umgang mit neuartigen Methoden)und Dokumentationspflichten gibt es, abgesehen von be-rufsrechtlichen, keine gesetzlichen Regelungen. Es fehltdaher auch an aussagekräftigen und vergleichbaren Sta-tistiken über Erfolgs- und Misserfolgsraten und die ge-sundheitlichen Probleme im Zusammenhang mit derDurchführung von ART. Ungeregelt sind auch Zulas-sungsbedingungen und unabhängige Qualitätskontrollenfür Einrichtungen, in denen ART durchgeführt wird.

Die Inanspruchnahme von ART ist unverheirateten undgleichgeschlechtlichen Paaren und Alleinstehenden auf-grund der ärztlichen Berufsordnungen und der Richtliniendes Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen der-zeit verwehrt und gesetzlich nicht geregelt. Die berufs-rechtlichen Regelungen werden in der Praxis umgangen.

Die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für dieassistierten Reproduktionstechnologien von den Ländernauf den Bund im Jahre 1994 erfolgte bereits damals mitder Absicht, ein umfassendes Fortpflanzungsmedizinge-setz zu erlassen, mit dem alle mit der assistierten Repro-duktion zusammenhängenden medizinrechtlichen und an-deren öffentlich- und zivilrechtlichen Fragen geregeltwerden. Seitdem wird in der Öffentlichkeit immer wiedergefordert217, dass der Bund endlich einen Entwurf für einFortpflanzungsmedizingesetz vorlegt.218 In den Jahren1996/1997 hatte sich eine „Bund-Länder-Arbeitsgruppe

214 BSG, Urteil vom 3. April 2001, BSGE 88, S. 62 (65).215 Günther 1995, insbesondere S. 28.

216 Günther/Fritsche 2000, S. 249.217 Zum Beispiel einstimmig von der Gesundheitsministerkonferenz der

Länder am 9./10. Juni 1999. Siehe Gesundheitsministerkonferenzder Länder 1999, S. 76.

218 Die Diskussionen um ein sog. Fortpflanzungsmedizingesetz sind inden vergangenen Jahren öffentlich geführt worden. Einen besonde-ren Stellenwert weisen die verschiedensten Expertinnen und Exper-ten dem vom Bundesministerium für Gesundheit in Zusammenarbeitmit dem Robert-Koch-Institut im Mai 2000 in Berlin durchgeführtendreitägigen wissenschaftlichen Symposium „Fortpflanzungsmedizinin Deutschland“ zu. Für die Dokumentation dieses Symposiumssiehe Bundesministerium für Gesundheit 2001.

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Drucksache 14/9020 – 48 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

zur künstlichen Befruchtung beim Menschen“ unter Fe-derführung des Bundesministeriums für Gesundheit be-reits mit der Erarbeitung eines solchen Gesetzes befasst,ohne jedoch zu einem Ergebnis zu kommen. Das Bundes-ministerium für Gesundheit legte im Dezember 2000 ein„Eckpunktepapier“219 für ein Fortpflanzungsmedizinge-setz vor.

1.2.4.2.2.2 Die Richtlinien des Bundes-ausschusses der Ärzte undKrankenkassen

Am 1. Oktober 1990 traten die „Richtlinien des Bundes-ausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztlicheMaßnahmen zur künstlichen Befruchtung in der Fassungvom 14. August 1990“ in Kraft. Seit 1. Januar 1998 giltdie am 1. Oktober 1997 geänderte Fassung.220 ÄrztlicheMaßnahmen zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27aSGB V sind unter anderem die In-vitro-Fertilisation (IVF)mit Embryo-Transfer (ET), gegebenenfalls als Zygoten-Transfer (ZIFT) oder als intratubarer Embryo-Transfer(EIFT). Die Leistungen sind in Ziffer 12 der Richtliniengenau aufgeführt und umfassen nicht die Kryokonservie-rung von Samenzellen, imprägnierten Eizellen oder nochnicht transferierten Embryonen.

Voraussetzungen für die Kostenübernahme sind, dass

– andere ärztliche Maßnahmen zur Herstellung derEmpfängnisfähigkeit keine hinreichende Aussicht aufErfolg bieten und die Behandlung ambulant durchge-führt wird,

– das Paar miteinander verheiratet, kein Partner sterili-siert ist und nachweislich bei keinem eine HIV-Infek-tion vorliegt,

– die Frau maximal 40 Jahre alt ist (Ausnahmen bis zum45. Lebensjahr sind möglich, wenn ein Gutachten überErfolgsaussichten vorliegt),

– ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegattenverwendet werden,

– spätestens bei der vierten In-vitro-Fertilisation bzw.beim zweiten intratubaren Gameten-Transfer eine kli-nische Schwangerschaft nachgewiesen wurde, (zu-sätzlich gelten die Erfolgsaussichten bei IVF schondann als zu gering, wenn zwei Befruchtungsversuchefehlgeschlagen sind und sich bei der Analyse der hier-für maßgeblichen Ursachen erkennen lässt, dass eineIn-vitro-Fertilisation nicht möglich ist)221 und

– eine Beratung über die medizinischen, psychischenund sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung

von einem Arzt, der die Maßnahmen nicht selbstdurchführt, vor Beginn der Maßnahmen erfolgtist.222

Weitere Bestimmungen:

Für die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Untersu-chung und Aufbereitung, gegebenenfalls einschließlichder Ausreifung des männlichen Samens, sowie für denHlV-Test beim Ehemann ist die Krankenkasse des Ehe-mannes leistungspflichtig.

Für die Beratung des Ehepaares sowie für die extrakorpo-ralen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zusam-menführung von Eizellen und Samenzellen ist die Kran-kenkasse der Ehefrau zuständig, sofern beide Ehegattengesetzlich krankenversichert sind.

Nach der Geburt eines Kindes besteht – sofern die sonsti-gen Voraussetzungen gemäß diesen Richtlinien gegebensind – erneut ein Anspruch auf Herbeiführung einerSchwangerschaft durch künstliche Befruchtung.

Als medizinische Indikationen zur Durchführung dervorgenannten Maßnahmen gelten demgemäß, sofern je-weils therapeutische Alternativen ausgeschieden sind:

– ein Zustand nach Tubenamputation,

– ein anders (auch mikrochirurgisch) nicht behandelba-rer Tubenverschluss,

– ein anders nicht behandelbarer tubarer Funktionsver-lust, auch bei Endometriose,

– eine idiopathische (unerklärbare) Sterilität, sofern – ein-schließlich einer psychologischen Exploration – allediagnostischen, sonstigen therapeutischen Möglich-keiten der Sterilitätsbehandlung ausgeschöpft sind,

– die Subfertilität des Mannes und

– eine immunologisch bedingte Sterilität.

Als Erfolgskriterium für die Maßnahmen gilt die klinischnachgewiesene Schwangerschaft.223

1.2.4.2.2.3 Anforderungen an erstattungs-fähige Beratungsleistungen

Gemäß Nummer 13 der „Richtlinien des Bundesausschus-ses der Ärzte und Krankenkassen“ werden solche Be-ratungsleistungen vergütet, die – bei Vorliegen der übrigenleistungsrechtlichen Voraussetzungen – erst durchgeführtwerden, wenn zuvor unter Einsatz geeigneter diagnosti-scher und gegebenenfalls therapeutischer Maßnahmendas Vorliegen einer medizinischen Indikationen gesichertworden ist.

219 Bundesministerium für Gesundheit 2000.220 Für die im Folgenden zitierten Bestimmungen siehe Bundesaus-

schuss der Ärzte und Krankenkassen 1997.221 Im Zusammenhang mit der Vergütung der IVF-Behandlung wird bei

den „Zyklen“ immer die Anzahl der Zyklen der Frau zugrundegelegtund zwar unabhängig von der im einzelnen angewendeten Methodeder assistierten Reproduktion.

222 Zur Erstattungsfähigkeit der Beratungsleistungen siehe C1.2.4.2.3Zugang und Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversi-cherung.

223 Dementsprechend scheint der Nachweis der klinischen Schwanger-schaft für das DIR bedeutsamer zu sein als die für die Frauen bzw.Paare entscheidende Baby-take-home-Rate.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 49 – Drucksache 14/9020

„Die Beratung soll sich gezielt auf die individuellenmedizinischen, psychischen und sozialen Aspekte derkünstlichen Befruchtung beziehen. Dabei sollen nichtnur die gesundheitlichen Risiken und die Erfolgsquo-ten der Behandlungsverfahren angesprochen, sondernauch die körperlichen und seelischen Belastungen ins-besondere für die Frau sowie mögliche Alternativenzum eigenen Kind (zum Beispiel Adoption) eingehenderörtert werden.“224

Die beratende Ärztin oder der beratende Arzt müssen ent-weder Frauenärztin/-arzt sein oder reproduktionsmedizi-nische Kenntnisse besitzen. Zudem müssen sie über eineBerechtigung zur psychosomatischen Grundversorgungverfügen. Über die erfolgte Beratung muss eine Beschei-nigung ausgestellt werden, die zusammen mit der Über-weisung dem bzw. der die assistierte Reproduktion durch-führenden Arzt bzw. Ärztin vorgelegt werden muss.

Über die vorgenannte Beratung hinausgehende psychoso-ziale Beratungen, die der reproduktionsmedizinischenDiagnostik vorausgehen, diese begleiten oder den even-tuell nicht zu dem erhofften Erfolg führenden Maßnah-men der assistierten Reproduktion nachsorgen, werdenzwar von unabhängigen Beratungsstellen angeboten, sindaber kein integraler Bestandteil der (medizinischen) Kin-derwunschbehandlung und werden von den Krankenkas-sen üblicherweise nicht erstattet.225

„Als Kritik wäre festzuhalten, dass ein weitgehenderArztvorbehalt bei der Beratung vorhanden ist. In je-dem Fall ist eine ärztliche Beratung sinnvoll und indi-ziert. Eine behandlerunabhängige Beratung wäre aberdurchaus denkbar durch Psychologen oder ‚Counsell-ors‘. (...) (U)nabhängig von einem Arzt (der immerauch für eine mögliche Therapie steht) [wäre] eine er-gebnisoffenere und weitere Betrachtungsweise desThemas möglich.“226

Als Beraterinnen bzw. Berater kämen Personen andererBerufe mit einer Ausbildung zur Psychotherapeutin bzw.zum Psychotherapeuten in Frage. Die Beraterinnen bzw.Berater sollen von der durchführenden Institution in jederHinsicht unabhängig sein.

1.2.4.2.2.4 Berufsrechtliche AnforderungenDie derzeit gültigen „Richtlinien zur Durchführung derassistierten Reproduktion“ der Bundesärztekammer(BÄK), welche die Grundlage für die von den einzelnenLandesärztekammern verabschiedeten Berufsordnungensind, stammen von 1998 und enthalten die folgenden we-sentlichen Aspekte:

– Definition der assistierten Reproduktion als ärztlicheHilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches eines Paares;

– Medizinische Indikationen, Kontraindikationen undsoziale Voraussetzungen (verheiratete Paare, andern-falls Votum der Ärztekammer notwendig; Ausschlussder Überlassung des Kindes an Dritte);

– Einsatz der Intracytoplasmatischen Spermieninjek-tion (ICSI);

– Qualifikation des IVF-Teams in fünf Bereichen derFortpflanzungsmedizin sowie regelmäßige Koopera-tion mit einem Humangenetiker und ärztlichen Psy-chotherapeuten;

– Diagnostik, Aufklärung und schriftliche Einwilligung,Qualitätssicherung (Dokumentation im DeutschenIVF-Register).

1.2.4.2.2.4.1 Zur Geschichte der Richtlinien zurDurchführung von In-vitro-Fertilisation und Embryotransferder Bundesärztekammer

Erstmals legte die BÄK 1985 „Richtlinien zur Durch-führung von In-vitro-Fertilisation (IVF) und Embryo-transfer (ET) als Behandlungsmethode der mensch-lichen Sterilität“227 vor, die 1988 erneuert wurden228. 1989wurde eine Richtlinie „Mehrlingsreduktion mittels Feto-zid“229 veröffentlicht und 1994 unter dem Titel „Richt-linien zur Durchführung des intratubaren Gametentrans-fers, der In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer undanderer verwandter Methoden“ die IVF-Richtlinien no-velliert230.

Weiterhin gibt es Leitlinien der Deutschen Gesellschaftfür Gynäkologie und Geburtshilfe zu besonderen Fragenwie etwa die „Empfehlungen zur Durchführung der In-tracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) zur Be-handlung einer Sterilität“231, die hier nicht weiter berück-sichtigt werden können.

1.2.4.2.2.4.2 Einige Kritikpunkte an deraktuellen Richtlinie zurDurchführung von In-vitro-Fertilisation und Embryotransferder Bundesärztekammer

Der Abschnitt 4.3 über Verfahrens- und Qualitätssicherungerschien 1998, also 17 Jahre nach der Geburt des erstenIVF-Kindes in Deutschland, erstmals in einer IVF-Richtli-nie der Bundesärztekammer und fast zehn Jahre, nachdemdie ersten Landesärztekammern spezifische Vorschriftenzur Qualitätssicherung in ihre Berufsordnungen aufge-nommen hatten. Mit der BÄK-Richtlinie wird das Deut-sche IVF-Register (DIR) als gemeinsame Einrichtung der

224 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1997, Nr. 14.225 Mündliche Mitteilung von Prof. Christina Hölzle im Rahmen der

nichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.226 Kentenich 2001, S. 260.

227 Bundesärztekammer 1985.228 Bundesärztekammer 1988.229 Bundesärztekammer 1989.230 Bundesärztekammer 1994. 231 http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/gyn-e002.htm

(Stand: 27.3.2002).

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Drucksache 14/9020 – 50 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Landesärztekammern definiert. Diesen Charakter nimmtes aber bis heute nicht an, sondern es bleibt eine Einrich-tung der reproduktionsmedizinischen Zentren. Damit wirddas Deutsche IVF-Register (DIR) als gemeinsame Ein-richtung der Landesärztekammern definiert.

Alle IVF-Gruppen sind demnach zur Meldung ihrer Da-ten an das DIR aufgefordert. Allerdings fühlen sich of-fenbar nicht alle Zentren an diese Anforderung gebunden.1999 meldeten lediglich 93 von etwa 110 IVF-Gruppen andas DIR und von deren Daten waren ca. 87 % „hinsicht-lich der Plausibilität der Angaben einwandfrei in pros-pektiver Art dokumentiert“232. Das gilt im Vergleich zuden Vorjahren als guter Erfolg, bedeutet aber zugleich,dass auch im neuesten DIR überhaupt nur ca. 74 % allerin Deutschland durchgeführten ART-Behandlungen plau-sibel und prospektiv erfasst werden. Von den 103 im Jahr2000 meldenden Zentren lieferten 102 fristgerecht, ihreDaten waren zu ca. 86 % plausibel und prospektiv erho-ben worden.233

Im BÄK-RL-Kommentar heißt es bezüglich der Notwen-digkeit von Qualitätssicherung und Dokumentation:

„Konkret bedeutet Prospektivität der Datenerhebung,daß die ersten Angaben zum Behandlungszyklus in-nerhalb von acht Tagen nach Beginn der hormonellenStimulation eingegeben werden müssen. (...) Durchdie prospektive Erfassung der Daten wird eine Aus-wertung im Sinne der Qualitätssicherung ermöglicht,die nicht nur dem interessierten Arzt, sondern auch derinteressierten Patientin den Behandlungserfolg sowiedie Bedeutung eventuell beeinflussender Faktorentransparent macht.“234

In der Richtlinie fehlt allerdings eine genaue Definitionüber den Umfang (Beginn, Ende) eines IVF-Zyklusses so-wie eine verbindliche Vorgabe für die Ermittlung bzw.Aufbereitung und Darstellung des Behandlungserfol-ges.235

Diese Mängel haben zugleich Auswirkungen auf die inKapitel 3.4 der BÄK-RL geforderte „Aufklärung undEinwilligung“, wo es heißt:

„Die betroffenen Ehepaare müssen vor Beginn der Be-handlung über den vorgesehenen Eingriff, die Einzel-schritte des Verfahrens, seine Erfolgsaussichten,Komplikationsmöglichkeiten und Kosten informiertwerden.“

Denn bei der Information über die Erfolgsaussichten istdie Ärztin oder der Arzt auf die Angaben im DIR ange-

wiesen, weshalb die Qualität der Aufklärung unmittelbarmit der Qualität der erhobenen Daten zusammenhängt.

Außerdem steht es der aufklärenden Person berufsrecht-lich frei, welche Erfolgsquoten sie angibt. Dieser Um-stand ist aus zwei Gründen unbefriedigend: Erstens, weildie Erwartungshaltung der Paare an die Erfolge der IVFoftmals höher ist als die tatsächlichen Erfolge. Und zwei-tens, weil aus der Sicht des Paares bzw. der Frau das ein-zige Erfolgskriterium die Wahrscheinlichkeit ist, mit dersie nach Beginn eines IVF-Zyklusses ein Kind bekommenwird. Diese Wahrscheinlichkeit ist allerdings immer nied-riger als das häufig angegebene Verhältnis zwischen kli-nischen Schwangerschaften und durchgeführten Em-bryotransfers.

Auf einen anderen Aspekt der von der BÄK gefordertenAufklärung wurde in Zusammenhang mit der personellenQualifikation der IVF-Arbeitsgruppen aufmerksam ge-macht: das Fehlen der psychosomatischen Grundversor-gung in der Praxis. Demnach sei zu bemängeln, dass inder Richtlinie der Bundesärztekammer im Rahmen derAufklärung und Einwilligung nicht auch auf psychischeGesichtspunkte eingegangen wird.236

1.2.4.2.3 Zugang und Kostenübernahme durchdie gesetzliche Krankenversicherung

Während 1992 in Deutschland etwa 8 000237 Ehepaare übermögliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung undderen medizinische, soziale und psychische Aspekte bera-ten wurden, waren es 1996 bereits 46 000 Paare. 1996 wur-den 34 000 Behandlungszyklen durchgeführt, davon waren16 233 ICSI-Behandlungen. ICSI wurde erstmals 1993 inDeutschland angeboten. 1999 wurden insgesamt über58 000 Zyklen in der assistierten Reproduktion begonnen.

Die Gesamtkosten für Maßnahmen der assistierten Re-produktion lassen sich derzeit nur überschlägig berech-nen. Sie setzen sich aus den Kosten für die medikamen-telle Zyklussteuerung und den Kosten für die eigentlicheIVF (operative Gewinnung der Eizelle, Befruchtung und48-stündige Kultivierung im Labor sowie transvaginaleÜbertragung des Embryos in die Gebärmutter der Frau)zusammen. Bei ICSI müssen die Kosten für die Gewin-nung und Aufbereitung der Spermien sowie die Injektionin die Eizelle hinzu addiert werden.

Bezogen auf einen Zyklus ist bei einer ambulanten, kom-plikationsfreien Behandlung von folgenden Kosten aus-zugehen:

– Hormonbehandlung ca. 1 300,- bis 1 550,- €

– IVF (Eizellgewinnung, Befruchtung, Embryotransfer) ca. 1 050,- €

– ICSI (Gewinnung und Aufbereitung von Sperma, Injektion) ca. 1 250,- €(zuzüglich Kosten für Hormone und IVF)

232 Deutsches IVF-Register 1999, S. 5. Die Daten eines Zentrums wur-den zu spät gemeldet, so dass in der Auswertung nur 92 Zentrenberücksichtigt wurden.

233 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 5: „Die hohe Zahl der mel-denden Zentren bedeutet damit auch, dass nur noch vereinzeltemZentren sich dieser Maßnahme zur Dokumentation und Qualitäts-sicherung verweigern.“

234 Bundesärztekammer 1998b, A 3170.235 Siehe dazu C1.2.4.2.4 Dokumentation und Qualitätssicherung der

assistierten Reproduktion in Deutschland.

236 Kentenich 2001, S. 260.237 Vgl. Egger/Freyschmidt 2000, S. 52.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 51 – Drucksache 14/9020

Damit kostet ein normaler IVF Behandlungszyklus ca.2 300,- bis 2 600,- €.238 Ein vollständiger ICSI-Zyklus kos-tet demnach etwa 3 600,- bis 3 850,- €.239 Die Kryokonser-vierung verursacht jeweils Kosten von ca. 500,- € pro Jahr.

Die Übernahme von Kosten für Maßnahmen der assis-tierten Reproduktion durch die GKV ist mit einer wech-selvollen Geschichte verknüpft, die im Folgenden kurzdargelegt wird, bevor auf die wesentlichen Bestimmun-gen eingegangen wird.

Bis 1988 gab es im Leistungsrecht der GKV in Deutsch-land keine gesonderte Regelung für Maßnahmen derkünstlichen Befruchtung.240 Jedoch billigte die Recht-sprechung Ehepaaren einen Anspruch auf die Kosten-übernahme durch die Kassen zu. Lediglich für die hetero-logen Methoden, d. h. die Verwendung von Ei- undSamenzellen von Unverheirateten, lehnte die Rechtspre-chung eine Leistungspflicht der GKV ab.241

Mit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (GRG)am 1. Januar 1989 erlangte eine neue Bestimmung in § 27des SGB V Geltung. Demnach gehörten solche Leistun-gen, welche auf die Wiederherstellung der Zeugungs- oderEmpfängnisfähigkeit abzielten, zum Erstattungskatalogder GKV. Die künstliche Befruchtung wurde allerdingsaus dem Leistungskatalog ausgeschlossen.242

Nach Abschluss der Beratungen zum Embryonenschutz-gesetz und aufgrund teils heftiger Kritik an dem Umstand,dass die GKV zwar Schwangerschaftsabbrüche, nichtaber die Herbeiführung von Schwangerschaften durch as-sistierte Reproduktion erstatte, wurde bereits am 26. Juni1990 mit dem neuen § 27a SGB V im Rahmen des KOV-Anpassungsgesetzes die Erstattungsfähigkeit von Maß-nahmen zur künstlichen Befruchtung geregelt. Demnachmüssen die Paare verheiratet sein, es dürfen ausschließ-lich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet wer-den und die Erforderlichkeit muss ärztlich festgestelltwerden. Eine medizinische und psychosoziale Beratunghat durch einen Arzt, der die Behandlung nicht selbstdurchführt, zu erfolgen. Es werden maximal vier Versu-che erstattet243, danach werden die Erfolgsaussichten alsnicht hinreichend gewertet.

Alle weiteren Einzelheiten sollten durch den gemeinsa-men Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen fest-gelegt werden. Die paritätisch an diesem Ausschuss be-teiligte Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) machtdie Bestimmungen des § 27a SGB V und die hierzu vonder Bundesregierung abgegebenen Erläuterungen dafürverantwortlich, dass „die Maßnahmen zur künstlichenBefruchtung zum leistungsrechtlich kompliziertesten Teilder Krankenbehandlung“244 geworden seien.

1.2.4.2.3.1 Sonderfall IntrazytoplasmatischeSpermieninjektion

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hatam 1. Oktober 1997 entschieden, dass ICSI wegen desnicht abschließend geklärten Fehlbildungsrisikos nicht inden Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-rung aufgenommen wird.

Die Durchsetzung dieses Beschlusses bei allen Kranken-kassen nahm einige Zeit in Anspruch. Im Verlauf des Jah-res 1999 setzte sich die Entscheidung aber durch undführte dazu, dass auch die jeder „ICSI-Behandlung zu-grundeliegende IVF-Behandlung nicht mehr abgerechnetwerden“245 durfte.

Mit Wirkung des 1. Juli 1999 wurde diese Interpretationvon der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als für dasganze Bundesgebiet verbindlich festgestellt. Damit galtfür alle gesetzlichen Krankenkassen gemäß Ziffer 10.5der Richtlinie, dass ICSI „derzeit keine Methode derkünstlichen Befruchtung im Sinne dieser Richtlinien (ist),da für die Beurteilung dieser Methode keine ausreichen-den Unterlagen vorgelegt wurden und daher die Voraus-setzungen für eine Anerkennung der Methode in der ver-tragsärztlichen Versorgung noch nicht vorliegen“.

Vorher war die seit 1993 in Deutschland angebotene ICSIunter bestimmten Bedingungen von der GKV bezahltworden. Die privaten Krankenkassen (PKV) übernehmendie Behandlungskosten. Ende 1998 hatte die Bundesärz-tekammer die ICSI als berufsrechtlich zulässiges Mittelder künstlichen Befruchtung in ihre „Richtlinien zurDurchführung der assistierten Reproduktion“246 aufge-nommen.

Nach der Entscheidung des 1. Senats des Bundessozial-gerichts (BSG) vom 3. April 2001247 stellt sich allerdingseine neue Situation dar. Gegenstand der Entscheidung wardie Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraus-setzungen den Klägern ein Kostenerstattungsanspruch ge-gen ihre gesetzlichen Krankenkassen wegen ICSI-Leis-tungen zustand.

238 Geht man davon aus, dass die GKV bis zu vier vollständige IVF-Zy-klen bezahlt, können damit bis zu ca. 11 000,- € an Kosten anfallen.Bei Behandlungen zur Erzielung weiterer Schwangerschaften wer-den ebenfalls jeweils bis zu vier Zyklen durch die Kassen übernom-men.

239 Angaben gemäß Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ). http://www.repromed.de/icsigeschichte.html (Stand27.3.2002).

240 Vgl. hierzu Egger/Freyschmidt 2000.241 Egger/Freyschmidt 2000, S. 50. 242 Vom 1. Januar 1989 bis 30. Juni 1990 mussten die gesetzlichen

Krankenkassen die Leistungen für eine IVF nicht übernehmen. Hin-tergrund war eine Entscheidung der Regierungskoalition, die Leis-tungen auszusetzen, bis ethische und rechtliche Fragen geklärt wären(vgl. Bundesregierung 1990). Die Wiederaufnahme der Leistungs-pflicht trat zum 1. Juli 1990 in Kraft. Durch Einfügung des § 27a indas SGB V wurde explizit ein Leistungsanspruch mit entsprechen-den Regelungen erlassen. Siehe dazu Nave-Herz 1996, S. 49f.

243 D.h. maximal vier Zyklen bei der Frau.

244 Einleitungstext zu den „Richtlinien über künstliche Befruchtung“auf der Website der KBV (http://www.kbv.de) (Stand: 17.8.2001).

245 http://www.repromed.de/icsigeschichte.html. Der auf der Website desBundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ) veröf-fentlichte Text folgt einer von Prof. Diedrich, Med. Universität Lü-beck, erarbeiteten Darstellung.

246 Bundesärztekammer 1998b.247 BSG 2001, BSGE 88, S. 62–75.

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Drucksache 14/9020 – 52 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die Entscheidung hat zur Folge, dass

– in dem Falle, dass die Unfruchtbarkeit bei dem ge-setzlich versicherten Ehemann und nicht bei der pri-vatversicherten Ehefrau liegt, die gesetzliche Kran-kenversicherung des Ehemannes eintrittspflichtig ist;

– in dem Falle, dass die Eheleute bei derselben gesetzli-chen Krankenkasse versichert sind, die Ehefrau be-rechtigt ist, den Anspruch allein geltend zu machen;

– in dem Falle, dass die Ehegatten bei unterschiedlichengesetzlichen Krankenkassen versichert sind, in Er-mangelung einer eindeutigen Zuordnungsregel dieKrankenkasse der Ehefrau zuständig ist, da sie schwan-ger werden will.

Mit ICSI verhält es sich nach Auffassung des 1. Senats desBSG bezüglich des grundsätzlichen Risikos von Fehlge-burten nicht anders als mit IVF, zumal nicht feststehe,dass die Maßnahme „eine ganz erheblich höhere Gefähr-dung“ des gewünschten Nachwuchses mit sich bringe. Obdie mit IVF oder ICSI verbunden Risiken in Kauf ge-nommen werden, sei der Entscheidung der potenziellenEltern nach entsprechender Beratung zu überlassen:

„Es trifft zu, daß die Risiken der ICSI für die auf die-sem Wege gezeugten Kinder nicht ausreichend geklärtsind. Das wird auch von Wissenschaftlern eingeräumt,die den bisher vorliegenden Daten keine erhöhtenFehlbildungsraten entnehmen und deshalb die Me-thode befürworten (...).“248

„Nach den Kriterien, die der Senat zum Wirksamkeits-nachweis und zur Risikobewertung bei den von der ge-setzlichen Krankenversicherung geschuldeten Be-handlungsmaßnahmen entwickelt hat, könnte diekünstliche Befruchtung – jedenfalls in Form der In-vitro-Fertilisation – nicht zum Leistungsinhalt der ver-tragsärztlichen Versorgung gerechnet werden. (...)§ 27a SGB V kann nur dahin verstanden werden, daßdiese Grundsätze bei der künstlichen Befruchtungnicht uneingeschränkt gelten sollen. Mit der In-vitro-Fertilisation wurde eine Maßnahme in den Leistungs-katalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufge-nommen, die nach der Gesetzesbegründung bestenfallsin 16 von hundert Versuchen zur Geburt eines Kindesführt, das überdies einem erhöhten Mortalitätsrisikobei der Geburt oder kurz danach sowie einer unkalku-lierbaren Wahrscheinlichkeit von Fehlbildungen aus-gesetzt ist. Gründliche Erhebungen über Fehlbildungs-raten im Vergleich zu normal gezeugten Kindern lagenund liegen bis heute nicht vor (...).“249

„Der Senat verkennt nicht, daß der ICSI gegenüber derkonventionellen In-vitro-Fertilisation schon deshalbeine wesentlich andere Qualität zukommt, weil derBefruchtungsvorgang nicht nur unterstützt, sonderndurch Eindringen in die Eizelle selbst manipuliertwird. Trotzdem muß die gesetzgeberische Entschei-

dung, bei der Erfolgsaussicht auf die Schwangerschaftabzustellen, sich bei Erfolgsquote und Fehlbildungs-rate auf bescheidene Anforderungen zu beschränkenund die Bewertung der mit der Hormonstimulierungverbunden Risiken den Betroffenen zu überlassen, bei der extrakorporalen Befruchtung mittels ICSI ingleicher Weise beachtet werden wie bei der Standard-methode der In-vitro-Fertilisation. (...) Die von Fach-leuten diskutierte Fehlbildungsrate von bis zum Doppelten der „natürlichen“ Quote mag gravierenderscheinen (...). Die nur eingeschränkte Bedeutung dermedizinischen Diskussion um das Fehlbildungsrisikowird dadurch unterstrichen, daß die Bundesärztekam-mer die ICSI unter berufsrechtlichen Gesichtspunktenakzeptiert (...) und daß auch vorsichtige Schätzungenvon 6 000 in Deutschland und 20 000 weltweit gebo-renen Kindern ausgehen.“250

Das Bundessozialgericht war der Ansicht, dass mit Wir-kung vom 1. Januar 1998 die Methode der ICSI in denKatalog der von den Krankenkassen zu gewährendenMaßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschafthätte aufgenommen werden müssen und gewährte daherder Klägerin einen unmittelbaren Anspruch auf Über-nahme der Kosten für die ICSI-Behandlung.251 Der Vor-stand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung stellte am22. Januar 2002 fest, dass ICSI Bestandteil des Leis-tungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherungwerden müsse.

1.2.4.2.3.2 Die bundesweite, prospektive,multizentrische, kontrollierteStudie zur Untersuchung der nachIntrazytoplasmatischer Spermien-injektion geborenen Kinder252

Die von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfeder Medizinischen Universität zu Lübeck ausgehendeStudie wurde im August 1998 initiiert. 59 IVF-Zentrenmeldeten Schwangerschaften nach ICSI bis zur16. Schwangerschaftswoche an die Studienzentrale in Lü-beck, von wo aus die Schwangeren telefonisch bis zur Ge-burt in regelmäßigen Abständen kontaktiert und prospek-tiv Daten zum Schwangerschaftsablauf erhoben wurden.Alle nach der 16. Schwangerschaftswoche eingetretenenFehlgeburten, Totgeburten und Lebendgeburten wurden

248 BSG 2001, BSGE 88, S. 62 (69).249 BSG 2001, BSGE 88, S. 62 (70f).

250 BSG 2001, BSGE 88, S. 62 (72ff.). Die Zahlenangaben entstammeneinem im Auftrag des BSG von Prof. Kollek angefertigten Gutach-ten vom 25. November 1999.

251 Eine Übertragung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom22. März 2001 (DVBl. 2001, S. 1214–1215), welches den Anspruchvon Soldatinnen auf ICSI im Rahmen der freien Heilfürsorge unterHinweis auf das Fehlbildungsrisiko abgelehnt hat, schließt das BSGaus, weil die gesetzliche Krankenversicherung Ehepaaren ausdrück-lich einen Anspruch auf künstliche Befruchtung einräumt und dieBewertung des Risikos ihnen überlässt. Vgl. dazu auch die oben zi-tierten Passagen aus der Urteilsbegründung des BSG.

252 http://www.repromed.de/icsigeschichte.html. Der auf der Website desBundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren (BRZ) veröf-fentlichte Text folgt einer von Prof. Diedrich, Med. Universität Lü-beck, erarbeiteten Darstellung (Stand 17.8.2001).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 53 – Drucksache 14/9020

standardisiert erfasst. Ebenso wurden – nach denselbenKriterien standardisiert – Fehlgeburten, Totgeburten undLebendgeburten nach spontaner Konzeption in demsel-ben Zeitraum erfasst. Alle Daten werden im Mainzer Ge-burtenregister festgehalten.

Ab dem Frühjahr 2001 sollte mit der Auswertung allerDaten begonnen werden.

Bei der Vorstellung erster Ergebnisse anlässlich einer Ta-gung zur Pränatalmedizin in Mainz im April 2001 wurdedas Risiko, dass nach einer ICSI-Behandlung Fehlbildun-gen beim Kind auftreten, mit 9,4 % angegeben, währenddieses Risiko für natürlich gezeugte Kinder bei 7 % liege.Außerdem habe die retrospektive Auswertung des Main-zer Geburtenregisters ergeben, dass „das Fehlbildungsri-siko nach ICSI sogar verdreifacht“ ist, woraus die Folge-rung abgeleitet wurde, dass jeder ICSI-Behandlung einequalifizierte genetische Beratung unter Einschluss einerChromosomenanalyse vorausgehen müsse.253

In einer gemeinsamen Stellungnahme zu den Studiener-gebnissen254 wird zum Studiendesign festgestellt, dass

– von 59 beteiligten IVF-Zentren zwischen August 1998und August 2000 2 687 Schwangerschaften, aus de-nen 3 372 Kinder hervorgegangen sind, gemeldetwurden;

– die Kinder nach der Geburt in ausgewählten Zentrenvon 25 speziell geschulten Fachärzten für Pädiatrieund/oder Humangenetik nach einem standardisiertenSchema klinisch und mittels Ultraschall untersuchtwurden;

– vergleichend im Mainzer Geburtenregister im glei-chen Zeitraum 6 265 Kinder aus normal entstandenenSchwangerschaften zur Kontrolle analysiert wurden.

Als Ergebnisse zur Fehlbildungshäufigkeit werden fest-gehalten:

– 8,6 % der Kinder in der ICSI-Gruppe weisen Fehlbil-dungen auf.

– 6,8 % der Kinder aus normal entstandenen Schwan-gerschaften (bevölkerungsbezogene Kontrollgruppe)weisen Fehlbildungen auf.

– Das sich daraus ergebende relative Risiko, nach ICSI einKind mit Fehlbildungen zu bekommen liegt 1,27-malhöher als bei Spontanschwangerschaften. Währenddemnach bei jedem 15. Kind nach Spontanschwan-gerschaften mit Fehlbildungen zu rechnen ist, gilt diesnach ICSI-Schwangerschaften bei jedem 12. Kind.

„Bei Analyse der ICSI-Gruppe wurde gezeigt, daß be-kannte Risikofaktoren für die Entwicklung kindlicherFehlbildungen überproportional gehäuft vorkamen

(z. B. höheres Alter der Mutter, Fehlbildungen der El-tern). Nach Berücksichtigung dieser Faktoren redu-zierte sich das relative Risiko auf etwa 1,15. Die Dif-ferenz zwischen den Fehlbildungshäufigkeiten derICSI- und der Kontrollgruppe läßt sich also teilweisedurch bekannte Risikofaktoren außerhalb von ICSI er-klären. Ein Restrisiko für Fehlbildungen bei Kindernvon Paaren, die nach ICSI schwanger geworden sind,läßt sich jedoch derzeit aufgrund dieser Studie nichtendgültig ausschließen.“255

Bei der Beschlussfassung des Bundesausschusses derÄrzte und Krankenkassen zur Aufnahme von ICSI in denLeistungskatalog der GKV am 26. Februar 2002 hat eineinterne Fassung der Studie vorgelegen. In seiner Presse-mitteilung teilt der Bundesausschuss mit, dass eine

„von der Universitätsklinik Lübeck durchgeführte Stu-die unter Einbeziehung von 2 809 (sic!) nach derICSI-Methode herbeigeführten Schwangerschaften(...) zu einem Fehlbildungsrisiko von 1,28 (kommt).Weil allerdings an der Höhe des Risikos einige Zwei-fel bleiben, vereinbarte der Bundessausschuss jedoch,seine Entscheidung in den kommenden drei Jahrenkritisch zu überprüfen.“256

1.2.4.2.4 Dokumentation und Qualitäts-sicherung der assistiertenReproduktion in Deutschland

1.2.4.2.4.1 Das Deutsche IVF-RegisterTrotz der durch Landesverordnungen oder durch Berufs-recht bestehenden Berichtspflicht wurden im DeutschenIVF-Register (DIR) von 1999 jede vierte und im DIR von2000 jede fünfte in Deutschland durchgeführte IVF-Be-handlung entweder gar nicht oder fehlerhaft gemeldet.

Von den geschätzten257 110 IVF-Zentren in Deutschlandbeteiligten sich an der Ausgabe 1999 des DIR 93.258 Dasentspricht einer Beteiligungsrate von lediglich 85 %.Knapp 87 % der gemeldeten Daten waren für die Statistikbrauchbar. Damit sind im DIR von 1999 – trotz bestehen-der Berichtspflicht – faktisch nur 75 % aller in Deutsch-land durchgeführten Behandlungen durch prospektiveDatenerfassung dokumentiert. Bereits dieses Ergebnisgilt als Ausdruck von Fortschritten in Meldeverhalten undQualität der Daten aus den einzelnen IVF-Zentren259, be-denkt man, dass die tatsächliche Erfassungsrate 1995 le-diglich bei 60 % lag. Im Jahr 2000 wurde aufgrund derBeteiligung von 103 IVF-Zentren eine tatsächliche pros-pektive Erfassungsrate von etwa 80 % erreicht.260

253 Lenzen-Schulte 2001.254 Ludwig et al. (o. J.). Diese Stellungnahme fasst die Studienergeb-

nisse auf einer Seite knapp zusammen. Die vollständige Studie wirdvoraussichtlich frühestens im Juni 2002 – und damit nach Redakti-onsschluss dieses Berichts – vorliegen (persönliche Mitteilung PD Dr. M. Ludwig vom 11. April 2002 per E-Mail).

255 Ludwig et al. (o. J.).256 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 2002.257 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen der

nichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.258 Mündliche Mitteilung Prof. Ricardo Felberbaum im Rahmen der

nichtöffentlichen Anhörung am 26. März 2001.259 Vgl. Deutsches IVF-Register 1999, S. 5.260 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 5f. Der Angabe liegt die An-

nahme zugrunde, dass insgesamt 110 Zentren in Deutschland assis-tierte Reproduktion durchführen.

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Drucksache 14/9020 – 54 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Der Vorstandsvorsitzende Prof. Ricardo Felberbaum for-derte in einer nichtöffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission am 26. März 2001 „zur Vermeidung vonWildwuchs“ ein „Bundesamt für Fortpflanzungsmedizin“nach britischem Vorbild, dem unter anderem die Lizenzie-rung von Zentren, die Dokumentation der Ergebnisse unddie unangemeldete, regelmäßige Kontrolle der Zentren ob-liegen müsse.

1989/90 wurde in Anlehnung an das französische Zen-tralregister ein deutsches Register gegründet. Zu diesemZeitpunkt waren bereits mehr als 30 000 IVF-Behandlun-gen in Deutschland durchgeführt worden.

1996 kommt Beier zu dem Schluss, dass „eine wirklichumfassende und einheitliche Datenerfassung (...) durchdas existierende IVF-Register der BundesrepublikDeutschland, welches auf freiwilliger Mitwirkung der Be-handlungszentren basiert, nicht geleistet“ wird, weil 1995von mindestens 80 IVF-Gruppen insgesamt nur 65 zu derDatenerfassung beitrugen, d. h. dass sich „(n)ahezu einFünftel der mit Lizenz arbeitenden Zentren (...) nicht ander für die Öffentlichkeit wichtigen Dokumentation“ be-teiligte.261 Von den meldenden Zentren waren wiederumrund 24 % nicht in der Lage, die Daten so zu übermitteln,dass sie vom IVF-Register bei allen Statistiken hättenberücksichtigt werden können.

1998 hat die Bundesärztekammer die Teilnahme am DIRin ihren „Richtlinien zur Durchführung der assistiertenReproduktion“ als Maßnahme der Qualitätssicherung

festgelegt, eine gesetzliche Verpflichtung besteht nachwie vor nicht.

Bislang wird das DIR in Zusammenarbeit der deutschenIVF-Zentren erstellt und von dem Zusammenschluss derstaatlich-universitären Zentren sowie von dem Verband derprivaten Reproduktionszentren gemeinsam getragen.262

1.2.4.2.4.2 Die Dokumentation von Erfolgenund Risiken der assistiertenReproduktion im Deutschen In-vitro-Fertilisations-Register

Zur ersten bundesrepublikanischen Sammelstatistik überden Zeitraum 1981–1986, die ein Gesamtergebnis von481 Geburten verzeichnete, was im Durchschnitt 13,4 Ge-burten pro Zentrum entspricht, bemerkten Hölzle & Wie-sing 1991263: „Diese äußerst niedrigen Zahlen lassen aller-dings noch keine stichhaltigen Aussagen zur Effizienz derMethode zu. Erst ein Vergleich von Behandlungsaufwandund -ergebnis erlaubt eine fundierte Beurteilung.“

Seitdem haben Behandlungszahlen, Behandlungsmetho-den, Behandlungszentren und Geburten deutlich zuge-nommen.

Im Jahr 2000 haben gemäß DIR in Deutschland38 442 Frauen durchschnittlich 1,65 Behandlungszyklenerhalten. Den größten Anteil hatten die Altersjahrgängevon 31 bis 36 Jahren mit jeweils zwischen 7 % und 8 %.Im Unterschied zu den USA, wo bereits über die Hälfte

261 Beier 1996, S. 52. 262 Das Deutsche IVF-Register wird getragen von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG), derDeutsche Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fort-pflanzungsmedizin e.V. (DGGEF) und dem Bundesverband Repro-duktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ).

263 Hölzle/Wiesing 1991, S. 8.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 55 – Drucksache 14/9020

der Nutzerinnen von IVF zwischen 33 und 39 Jahren altist, liegt der Anteil dieser Altersgruppe in Deutschlandbislang unter 50 %.270

Insgesamt wurden 425 021 Eizellen in 52 857 Zyklen, also8,04 je Zyklus, gewonnen.271 Die Befruchtungsraten lagenbei 51,7 % (IVF) und 54,3 % (ICSI). Im Durchschnitt wur-den bei IVF 2,29 Embryonen übertragen, bei ICSI warenes 2,39. Anzahl und prozentualer Anteil jener Eizellen, de-ren weitere Behandlung als „unbekannt“ angegeben wird,haben sich gegenüber dem Vorjahr auf 33 369 bzw. 7,85 %mehr als verdoppelt.272 Aus den insgesamt übertragenen39 755 Embryonen resultierten 10 388 klinisch nachge-wiesene Schwangerschaften. Es kam zu 5 327 Lebendge-burten (mit insgesamt 6 839 Kindern) und zu 2 118 Abor-ten. Das Schicksal von 2 943 bzw. 28,3 % der klinischnachgewiesenen Schwangerschaften ist nicht bekannt.

1.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistiertenReproduktion – und wie häufig tritter ein?

Die absoluten Angaben über den Erfolg der assistiertenReproduktion variieren je nach Bezugsgröße und statisti-

Graf ik 3

Behandlungen und Ergebnisse der assistierten Reproduktion in Deutschland im Jahr 2000264

Quelle: DIR 2000

264 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 11. Die Angaben sind derDIR-Kurzstatistik 2000 entnommen oder, wo entsprechende Anga-ben fehlen, daraus und aus weiteren Angaben in Deutsches IVF-Re-gister 2000 errechnet. Letztere sind jeweils gesondert kenntlich ge-macht. Grundlage der DIR-Kurzstatistik sind sowohl prospektive alsauch retrospektive Daten.

265 Die Anzahl der hormonell stimulierten Frauen ist in der Kurzstatistikauf S. 11 nicht angegeben. Die Zahl errechnet sich aus den Angabenin Deutsches IVF-Register 2000, S. 8 ff. und kann nur zur verdeut-lichenden Einschätzung dienen. Vgl. die Erläuterungen in der erstenFußnote von C1.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistierten Repro-duktion – und wie häufig tritt er ein?

266 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 10.267 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 11. Die Angabe entspricht der

Gesamtsumme aller Transfers nach IVF, ICSI und IVF/ICSI.268 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 11. Die Angabe entspricht der

Gesamtsumme aller klinischen Schwangerschaften nach IVF, ICSIund IVF/ICSI.

269 Das Schicksal eines Teils derjenigen klinischen Schwangerschaften,für die nähere Angaben fehlen, lässt sich offenbar noch in der Zu-kunft klären. So fehlen beispielsweise in Deutsches IVF-Register1999, S. 11 Angaben für 3 757 von insgesamt 9 695 berichteten kli-nischen Schwangerschaften. Aufgrund der in Deutsches IVF-Regis-ter 2000, S. 14 verfügbaren Daten reduziert sich diese Zahl auf ins-gesamt 1 474 von nunmehr 12 770 klinischen Schwangerschaftenfür das Berichtsjahr 1999. Eine Erklärung für die veränderten Zah-len, insbesondere für den Anstieg der Gesamtzahl der klinischenSchwangerschaften um 3 075 gegenüber den Angaben in DeutschesIVF-Register 1999, S. 11, wird nicht gegeben.

270 Vgl. Deutsches IVF-Register 2000, S. 8.

271 Deutsches IVF-Register 2000, S. 10. Unter Berücksichtigung der imvorhergehenden Absatz referierten Angaben ergibt sich, dass dieseEizellen von etwa 32 034 Frauen gewonnen wurden (vgl. 1,65 Zy-klen/Frau) und dass von jeder Frau im Mittel 13,26 Eizellen stam-men.

272 Siehe Deutsches IVF-Register 1999, S. 10 und Deutsches IVF-Re-gister 2000, S. 10. Hier handelt es sich ausschließlich um prospek-tive Daten, während die oben verwendeten Angaben sich aus pros-pektiven und retrospektiven Daten zusammensetzen. Deshalbkönnen die einzelnen Angaben nur näherungsweise miteinander inBeziehung gesetzt werden. Eine Erklärung für die unterschiedlichenDatengrundlagen gibt das DIR nicht.

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Drucksache 14/9020 – 56 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

scher Methode. Sie hängen ab von der Art der Datenerhe-bung (prospektiv oder retrospektiv)273, und der Definitionvon Zyklusbeginn und -ende der jeweiligen Maßnahme.Da es weltweit und auch innereuropäisch sehr unter-schiedliche Dokumentationsverfahren und -qualitätengibt, sind auch Erfolgsvergleiche zwischen verschiedenenLändern nur bedingt aussagekräftig.274

„Will man die Frage klären, was letztendlich das Zielder Behandlung ausmacht, so ist dies für die Paare erstmit Ankunft eines Kindes erreicht, während für dieBehandelnden bereits das Erreichen einzelner Be-handlungsstufen, z. B. der gelungene Embryotransfer,als (klinischer) Erfolg gilt.“275

Als Erfolgskriterien von IVF und ihren Varianten werdenSchwangerschaften, klinische Schwangerschaften oderLebendgeburten angegeben. Als Zyklusanfänge, auf wel-che die verschiedenen Erfolgskriterien bezogen werdenmüssen, um Erfolgsquoten errechnen zu können, werdenebenfalls verschiedene Größen herangezogen. So kannz. B. der Beginn der hormonellen Stimulation, die Folli-kelpunktion, die Befruchtung oder die Durchführung desEmbryotransfers als Bezugsgröße herangezogen werden.

Diese Varianz in der Wahl der verschiedenen Bezugs-größen hat deutliche Konsequenzen, wenn man sich ver-gegenwärtigt:

– Von allen 2000 in Deutschland dokumentierten 51 284hormonellen Stimulationen führten etwa 90 % zurGewinnung von Eizellen und etwa 79,6 % bzw.39 755 zum Embryotransfer.

– Aus den 2000 insgesamt festgestellten 10 388 klini-schen Schwangerschaften resultierten 5 327 Geburtenund 2 118 Aborte (bei 2 943 festgestellten klinischenSchwangerschaften ist das Ergebnis unbekannt).

Daraus folgt:

– Werden klinische Schwangerschaften und Embryo-transfers aufeinander bezogen, so ergibt sich eine Er-folgsrate von über 26 %.276 Noch optimistischere Zah-len ergeben sich, wenn die Ergebnisse auf drei bis vierBehandlungszyklen „kumuliert“ werden.277

– Werden hingegen Geburten und Hormonzyklen in Re-lation zueinander gesetzt, so ist die Erfolgsrate nichtexakt zu ermitteln, müsste aber in der Größenordnungvon etwa 11 bis 13 % liegen.278

1.2.4.2.4.4 Die Baby-take-home-Rate und derBeitrag von assistiertenReproduktionstechnologien zurKinderwunscherfüllung

Die Baby-take-home-Rate279 gibt die Wahrscheinlichkeitan, mit welcher der Kinderwunsch einer Frau (eines Paa-res) erfüllt wird, wenn die Frau einen IVF-Zyklus beginnt.Sie ist somit die einzig relevante Erfolgsquote für die denBehandlungsauftrag erteilende Frau (das Paar). Das DIRgibt die Baby-take-home-Rate bezogen auf „durchge-führte Behandlungen“280 an. Diese betrug 1998 bei IVF13,6 %, bei ICSI 15,1 %, bei Kryokonservierung 9,37 %und bei kombinierter IVF/ICSI 14,56 %.281 Für 1999werden bei IVF 14,72 %, bei ICSI 16,12 %, bei Kryo-konservierung 9,62 % und bei kombinierter IVF/ICSI16,56 % angegeben.282 Eine Baby-take-home-Rate von13 % bis 15 % bedeutet, dass nur jede siebente Frau ihrenKinderwunsch nach einem IVF-Zyklus erfüllt bekommt.

Unabhängig von der Wahl der Bezugsgrößen beurteilt derReproduktionsmediziner Kentenich den tatsächlichenBeitrag der IVF zur Kinderwunscherfüllung noch vor-sichtiger:

„Insgesamt ist aber anzunehmen, daß wahrscheinlichdie Mehrheit der Paare durch die Behandlung selbstnicht schwanger wird. Viele werden in Behandlungs-pausen oder nach Abschluß der Behandlung schwan-ger. Die Behandlung selbst dürfte wahrscheinlich nurbei jeder zweiten Frau erfolgreich sein.“283

Diese Einschätzung wird gestützt durch eine Studie überdie Erfolgsraten von IVF und psychosozialer Beratungbei ungewollt kinderlosen Paaren284:

273 Als ‚prospektiv‘ bezeichnet man die Methode der Datenerfassungunmittelbar im Anschluss an das jeweilige Ereignis, d. h. alle Datenwerden ohne Rücksicht auf die weitere Entwicklung der Behandlungsofort in die Datenbank eingespeist. Bei der ‚retrospektiven‘ Daten-erfassung werden im Unterschied dazu die Datensätze erst dann indie Datenbank eingespeist, wenn die Behandlungsergebnisse vorlie-gen. Dadurch besteht grundsätzlich die Gefahr der Datenselektionund damit der (üblicherweise beschönigenden) Beeinflussung derStatistik. Die z. B. in Deutschland durchgeführte prospektive Daten-erfassung gilt mithin als genauer als die z. B. in den USA betriebeneretrospektive Datensammlung, weil retrospektiv erhobene Daten zuoptimistischeren Erfolgsraten führen können.

274 Vgl. dazu C1.2.4.1 Übersicht über Assistierte Reproduktion in Eu-ropa und den USA.

275 Barbian/Berg 1997, S. 2.276 Zudem ist für die Kostenerstattung durch die gesetzliche Kranken-

versicherung der Nachweis einer klinischen Schwangerschaft maß-gebliches Erfolgskriterium.

277 Die Deutsche Klinik Bad Münder wirbt auf ihrer Homepage mit ei-ner klinischen Schwangerschaftsrate (bezogen auf übertragene Em-

bryos) von über 39 % und gibt eine „kumulative Geburtenrate“ von60 bis 70 % nach drei bis vier Behandlungen an, wobei der Terminus„Geburtenrate“ nicht erklärt wird (http://www.kinderwunsch.com/seite.asp?Seite=3) (Stand: 27.3.2002).

278 Die angegebenen Werte wurden aus den Angaben in Deutsches IVF-Register 2000, S. 11 errechnet. Die Quote aus Geburten und Hor-monzyklen ist eine Ableitung aus den vorhandenen Daten und kannnur ungefähr angegeben werden, weil das Schicksal eines Teils derklinischen Schwangerschaften unbekannt ist.

279 Vgl. C1.2.6.3 Erfolgskriterium Baby-take-home-Rate.280 Vgl. Deutsches IVF-Register 1999, S. 14; Deutsches IVF-Register

2000, S. 14. Eine „durchgeführte Behandlung“ beginnt demnach of-fenbar nicht mit der Verabreichung von Hormonen (hormonelle Sti-mulation), sondern erst nach erfolgter Stimulation und Eizellgewin-nung mit der nicht näher erläuterten „Eizellenbehandlung“. Eine diehormonelle Stimulation als Behandlungsbeginn zugrundelegendeAngabe der Baby-take-home-Rate müsste infolgedessen niedrigerliegen als die im DIR angegebenen Werte.

281 Prof. Ricardo Felberbaum in der nichtöffentlichen Anhörung vom26. März 2001 und Deutsches IVF-Register 1999, S. 14.

282 Deutsches IVF-Register 2000, S. 14.283 Kentenich 2000b, S. 41 f.284 Hölzle et al. 2000.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 57 – Drucksache 14/9020

Es handelte sich um eine lösungsorientierte Paarberatung(sieben Beratungssitzungen a 1,5 Stunden im Zeitraumvon sechs Monaten). Bei der IVF wurden im gleichenZeitraum durchschnittlich zwei Behandlungszyklendurchgeführt.

1.2.5 Zu Ausmaß und Umgang mitungewollter Kinderlosigkeit285

Eine zeitweilige oder auch dauerhafte Unfruchtbarkeitwird normalerweise erst wahrgenommen, wenn derWunsch eines Paares nach einem Kind sich nicht re-alisieren lässt. Bis zu einem Drittel aller Paare mit Kinderwunsch muss länger als ein Jahr auf eine spon-tane Schwangerschaft warten und gilt damit „nach den heute üblichen Definitionen (als) ungewollt kinder-los“, während europaweit gemäß der Europäischen Stu-die zur Infertilität und Subfekundität (ESIS) bei etwa25 % der Paare nach Absetzen von Verhütungsmittelnerst nach über einem Jahr eine Schwangerschaft ein-trat286:

„Die wichtigsten Daten hierzu bieten die 1991 bis 1993in fünf europäischen Ländern durchgeführten Euro-pean Studies of Infertility and Subfecundity (ESIS).Ihnen zufolge besteht eine Lebenszeitprävalenz derInfertilität von 24.8 % (europäische Gesamtstich-probe), für Deutschland werden 31.8 % angegeben,

d. h. etwa ein Drittel der Frauen erlebt irgendwann imLeben eine Phase der Infertilität, d. h. eine Schwan-gerschaft bleibt trotz ungeschütztem Geschlechtsver-kehr über zwölf Monate aus. Nur 54.9 % der Frauennehmen (nach 12 Monaten „Wartezeit“) in Deutsch-land medizinische Hilfe in Anspruch. Dies ist für dieMehrheit der Untersuchungen zur Versorgung von un-gewollt kinderlosen Paaren insofern von Bedeutung,als sie medizinisch behandelte Patienten und somit nureinen Teil der Betroffenen erfassen. Auffallend ist,daß, wenn ärztliche Hilfe gesucht wird, dies relativschnell geschieht: in Deutschland konsultieren 41.1 %der Paare bereits innerhalb von sechs Monaten „War-tezeit“ auf Erfüllung des Kinderwunsches einen Arzt.Institutionelle psychosoziale Hilfe wird dagegen nurzu einem sehr geringen Teil gesucht: der Anteil liegtfür Frauen mit medizinischen Untersuchungen/Be-handlungen bei 10 %, bei Frauen ohne ärztliche Hilfebei nur 1 %.“287

Zu unterscheiden ist außerdem zwischen gewollter undungewollter Kinderlosigkeit. Soziokulturelle und ökono-mische Veränderungen haben das gesellschaftliche Ver-hältnis zu Kindern in vielfältiger Weise gewandelt undKinderlosigkeit inzwischen häufig zu einer gewählten Le-bensoption gemacht: In den alten Bundesländern ist einerStudie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung (BZgA) zufolge etwa jede vierte Frau (27 %)zwischen 35 und 44 Jahren kinderlos, bei den Frauen mithohem Bildungsgrad ist es sogar fast jede zweite(47 %).288 Die Ursachen der Kinderlosigkeit liegen meistnicht in medizinischen, sondern in sozialen Faktoren be-gründet: „40 % (35–39-Jährige) bzw. 43 % (40–44-Jäh-rige) in den alten Bundesländern sind gewollt kinderlosoder haben ihre Kinderlosigkeit zumindest akzeptiert“289.Im Alter von 40 Jahren und mehr sind in den alten Bun-desländern 21 % der Frauen kinderlos und ledig, in den

Tabel le 6

Erfolgsraten von IVF und psychologischer Beratung

Hormonbehandlung/ Insemination IVF psychologische

Beratung

Schwanger nach Behandlung 17,2 % 14,6 % 15,8 %

spontan schwanger 9,5 % 7,8 % 8,3 %

berücksichtigte Paare 125 466 38

Quelle: Hölzle 2001 (modifiziert)

285 Die Bezeichnungen „ungewollte Kinderlosigkeit“, „unerfüllter Kin-derwunsch“ sowie deren Synonyme beziehen sich auf den Wunschnach einem genetisch eigenen Kind des Paares.

286 Brähler et al. 2001, S. 161. Der deutsche Beitrag zu diesen „Euro-pean Studies of Infertility and Subfecundity“ (ESIS) ist die „Deut-sche Studie zur Infertilität und Subfekundität“ (DESIS). Laut Frank-furter Allgemeine Zeitung lag dieser Studie zufolge der Anteilunfruchtbarer Paare in Deutschland bei 6 %. Bei 18 % bis 20 % derFrauen dauerte es länger als ein Jahr, bis die angestrebte Schwan-gerschaft nach Absetzen der Verhütungsmittel eintrat („Unfruchtbar-keit oft überschätzt“ 1995). Tinneberg 1995a, S. 45 geht von 60 % bis90 % aller Paare aus, die innerhalb eines Jahres schwanger werdenund nimmt an, dass jeder vierte natürliche Eisprung zu einer klini-schen Schwangerschaft führt. Für weitergehende Informationensiehe auch Karmaus et al. 1996, S. 15–26.

287 Strauß et al. 2000, S. 46.288 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 11.289 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 13.

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Drucksache 14/9020 – 58 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

neuen Bundesländern nur 3 %.290 Eine 2000 veröffent-lichte Untersuchung zur langfristigen Bewältigung vonKinderlosigkeit und zu deren Konsequenzen für psycho-soziale Betreuungskonzepte enthält als Kernaussage:

„Die einzelnen Gruppen, als gewollt und ungewolltKinderlose unterschieden sich in den untersuchtenpsychologischen Merkmalen (Lebenszufriedenheit,Partnerzufriedenheit, psychische Befindlichkeit) nichtvoneinander.“291

Je länger die Erfüllung des Kinderwunsches ausbleibt,desto größer wird offenbar der Leidensdruck, insbeson-dere der Frauen.292 Dies kann dazu führen, dass „selbst dieungünstigsten Prognosen kaum Einfluss auf die Entschei-dung der Paare“ zur Anwendung der IVF haben und dassihre Erfolgserwartungen „weit höher als bei anderen Ste-rilitätstherapien angesiedelt werden.“293

Dies ist der Hintergrund dafür, dass jedes zweite Paar miteinem unerfüllten Kinderwunsch medizinische oder psy-chologische Hilfe in Anspruch nimmt.294 Grundsätzlichkann zwischen zwei therapeutischen Perspektiven derKinderwunschbehandlung unterschieden werden295:

– Kinderwunscherfüllung durch Herbeiführung ei-ner Schwangerschaft

Obwohl keine Einigkeit darüber besteht, ob dem sub-jektiven Leiden an ungewollter Kinderlosigkeit Krank-heitswert zukommt, zielt die reproduktionsmedizini-sche Behandlung auf die Beseitigung dieses Zustandesdurch Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Ein-griffen in die Fortpflanzungsvorgänge teils beiderPartner auf verschiedenen physiologischen Ebenen.296

– Bewältigung des unerfüllten und womöglich uner-füllbaren Kinderwunsches

Diese Perspektive wird meist von psychologischenund psychosomatischen Fachleuten eingenommen.Sie geht nicht von dem (möglicherweise vergebli-chen) Kinderwunsch aus, sondern davon, „dass der ei-gentliche Grund dafür, warum Paare zu einem Ferti-litätszentrum gehen, eine psychische Wunde ist“297.

1.2.5.1 Ausmaß und Ursachen vonKinderlosigkeit

Amtliche Zahlen über den Anteil kinderloser Frauen sindin Deutschland nicht verfügbar.298 Schätzungen über dieAnzahl ungewollt kinderloser Paare schwanken je nachQuelle. Robert Edwards, einer der geistigen „Väter“ desersten IVF-Babys ging vor kurzem davon aus, dass in Eu-ropa etwa bei jedem sechsten Paar Schwierigkeiten in derFortpflanzung bestünden.299 Medizinische Schätzungengeben die Prävalenz für Sterilität in Deutschland mit 10 %bis 15 % aller Ehepaare im fortpflanzungsfähigen Alteran300 und die Zahl der ungewollt kinderlosen Paare wurdehierzulande bisher auf 15 % bis 20 % geschätzt.301 Jüngstwurden diese Angaben als deutlich zu hoch bezeichnet.„Der Prozentsatz dieser Paare liegt in Westdeutschlanddeutlich unter 10 %, in Ostdeutschland unter 5 %. Im Ge-gensatz dazu steigt die Zahl der gewollt kinderlosenPaare.“302

Kinderlosigkeit kann neben temporären oder permanen-ten physiologischen Störungen bei beiden Geschlech-tern303 eine Vielzahl anderer, das reproduktive Verhaltenbeeinflussende Ursachen haben, die auch Schätzungenüber das Ausmaß des unerfüllten Kinderwunsches er-schweren:

– Ungewollte Kinderlosigkeit kann zeitweise oder dau-erhaft auftreten.

– Oftmals liegt zunächst eine gewollte Kinderlosigkeit(Ausbildung, Beruf) vor, die später in eine ungewollteKinderlosigkeit übergehen kann.

– Die Partner sind sich nicht einig über den Kinder-wunsch (unterschiedliche Vorstellungen, eingeschränk-

290 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14. Auchhaben 98 % der verheirateten Frauen aus den neuen BundesländernKinder, bei den nie verheirateten sind es die Hälfte. Dagegen habenin den alten Bundesländern 90 % der verheirateten, aber nur 30 %der nie verheirateten Frauen Kinder. Die Studie der BZgA kommt zudem Ergebnis, dass in der „Altersgruppe der 30–44-Jährigen (...) dieUnterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland am deutlichstensind“ und die „Differenz bei Anteilen der Kinderlosen 27 %“ beträgt(Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14). Früherseien die Unterschiede zwischen Ost und West in den jungen Alters-gruppen deutlicher als in den älteren gewesen, weil Frauen in denneuen Bundesländern in jüngerem Alter ihr erstes Kind bekommenhätten. Heute sei der Anteil der Ledigen unter den 20- bis 24-Jähri-gen in Ost und West etwa gleich groß und die Differenz zwischen denKinderlosenanteilen betrage nur noch 11 %: „Verglichen mit der Zeitvor der Wende lassen sich die Zahlen somit als Hinweis auf eine An-gleichung nehmen (zumindest was den Aufschub der ersten Geburtangeht), wobei aber immer noch junge Frauen aus den neuen Bun-desländern häufiger vor dem 30. Lebensjahr Kinder bekamen“ (Bun-deszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14).

291 Strauß et al. 2000, S. 223.292 Üblicherweise sind Frauen auch die treibende Kraft bei der Inan-

spruchnahme von psychosozialen Beratungsangeboten. MündlicheMitteilung Prof. Christina Hölzle im Rahmen der nichtöffentlichenAnhörung am 26. März 2001.

293 Barbian/Berg 1997, S. 21.294 Hölzle 2001, S. 1.295 Hölzle 2001, S. 1.296 Gemäß Bundesärztekammer 1998b, A 3166 versteht sich assistierte

Reproduktion als „ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunscheseines Paares durch medizinische Hilfen und Techniken“.

297 Kentenich 2000a, S. 17.298 Nach Brähler et al. 2001, S. 157 liegt dies in der statistischen Me-

thode begründet, die lediglich ehelich Lebendgeborene aus der aktu-ellen Ehe erfasse und weder außerehelich noch aus früheren Ehenstammende Kinder berücksichtige.

299 Siehe „Glück aus dem Reagenzglas. Mehr Kunst-Befruchtungen“2001.

300 Tinneberg 1995a, S. 45.301 Die Website http://www.kinderwunsch.de/public/index.html begrüßt

Interessierte mit der Frage: „Wußten Sie, daß heute in Deutschlandca. jede siebente Partnerschaft ungewollt kinderlos ist? Und daß dieZahl der Paare, denen es genauso geht, stetig steigt?“ (Stand:27.3.2002).

302 Brähler et al. 2001, S. 157.303 Zeitweilige oder dauerhafte Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 59 – Drucksache 14/9020

te Verhütung bzw. eingeschränkter Geschlechtsver-kehr an fruchtbaren Tagen).

Epidemiologische Schätzungen des Anteils medizinischbedingter ungewollter Kinderlosigkeit sind kaum verfüg-bar und beziehen sich ausschließlich auf die ehelicheFruchtbarkeit.304 Demnach sind Frauen, die noch vor dem24. Lebensjahr geheiratet hatten, lediglich zu 5 % kinder-los geblieben, während von den Frauen, die bei der Ehe-schließung zwischen 35 und 39 Jahren alt waren, etwajede dritte ohne Kind blieb.305 1989 waren in West-deutschland 20 % aller Paare im fortpflanzungsfähigenAlter kinderlos, davon 6 % ungewollt, 4 % gewollt und10 % momentan. Daraus wurde eine Schätzung abgelei-tet, der zufolge es 8,6 % ungewollt kinderlose Paare inWestdeutschland gab.306

In einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung (BZgA) waren zum Befragungszeitpunkt1,7 % der befragten Frauen „primär steril“307 (ungewolltkinderlos) und 1,8 % „sekundär steril“, nachdem sie be-reits mindestens ein Kind bekommen hatten. 15 % der indieser Studie befragten Frauen hatten mindestens einmalin ihrem Leben die Erfahrung einer infertilen Phase ge-macht (Lebenszeitprävalenz). Fast drei Viertel allerFrauen mit Infertilitätserfahrungen hatten jedoch vorheroder später Kinder.308

Entscheidenden Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, un-gewollt kinderlos zu bleiben, hat offenbar der Aufschubder Realisierung des Kinderwunsches in der Lebenspla-nung. Während es in der DDR durchaus üblich war, Mut-terschaft und Ausbildung bzw. Berufstätigkeit zu verein-baren, galt und gilt dies für die Bundesrepublik nicht. Sohatten einer Umfrage von 1996 zufolge Frauen im Alterzwischen 30 und 39 Jahren in Westdeutschland etwa15 % (Frauen ohne Berufsabschluss) bzw. 37 % (Hoch-schulabsolventinnen) keine Kinder. In Ostdeutschlandlagen die entsprechenden Quoten bei 11,4 % (Frauenohne Berufsabschluss) und 7,9 % (Hochschulabsolven-tinnen).309

Die bereits zitierte Studie der Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung (BZgA) über Lebensläufe und Fa-milienplanung von Frauen kommt für die Altersgruppeder 35- bis 44-jährigen Frauen unter anderem zu folgen-den Ergebnissen:

„In den neuen Bundesländern sind Frauen dieser Al-tersgruppe seltener ledig (8 %) als in den alten (25 %)

und sie haben deutlich seltener keine Kinder (6 %, alteBundesländer: 27 %). In den alten Bundesländern ha-ben Heirat und Kinder nicht gleichmäßig in allen Be-völkerungsgruppen an Bedeutung verloren, sonderndeutlich vor allem bei Frauen mit hoher oder mit derhöchsten Bildung, während die 35–44-jährigenFrauen mit niedriger Bildung zu einem ähnlich gerin-gen Ausmaß ledig und kinderlos sind wie Frauen ausden neuen Bundesländern.

Bei Frauen mit niedriger Bildung beträgt im Westender Anteil der Ledigen (Zahlen in Klammer: Anteil derKinderlosen) 10 % (10 %), bei Frauen mit mittlererBildung 20 % (21 %), bei Frauen mit hoher Bildung23 % (31 %) und bei Frauen mit höchster Bildung45 % (47 %). Bildung hat in den neuen Bundesländernweder allgemein noch beschränkt auf die 35–44-jähri-gen einen Einfluss auf den Anteil Lediger.“310

Brähler et al. erwarten eine Angleichung der Werte in Ost-und Westdeutschland und insgesamt einen Anstieg der un-gewollten Kinderlosigkeit aufgrund des Hinausschiebensder Realisierung des Kinderwunsches.311

Angesichts sehr unterschiedlicher Zahlen über das Fort-pflanzungsverhalten im europäischen Vergleich, im Ver-gleich zwischen Ost- und Westdeutschland wie auch imVergleich zwischen den einzelnen Bundesländern gilt esals „unwahrscheinlich, dass die hohe Kinderlosigkeit ineinigen Ländern Europas, wie der Bundesrepublik, zu ei-nem entscheidenden Anteil auf einen Anstieg von Inferti-lität und Sterilität zurückzuführen ist“.312

Besonders deutlich wird dies beim Vergleich der Zahlenfür die einzelnen Bundesländer. Nach Angaben des Statis-tischen Bundesamtes von 1994 lag der Anteil kinderloserFrauen im Alter zwischen 35 und 39 Jahren in den west-deutschen Stadtstaaten bei 39 % (Berlin-West), 35 %(Bremen) und 32 % (Hamburg). In den anderen west-deutschen Ländern waren entsprechend zwischen 22 %und 25 % (mit Ausnahme von Niedersachsen mit 28 %)der Frauen dieser Altersgruppe ohne Kinder, in den ost-deutschen Flächenstaaten hingegen waren es lediglichzwischen 7 % und 9 %. Nur in Ostberlin lag die Quote mit13 % im ostdeutschen Vergleich deutlich höher. Bemer-kenswert ist jedoch, dass zur gleichen Zeit in der gleichenAltersgruppe dreimal so viele Westberlinerinnen wie Ost-berlinerinnen kinderlos waren (39 % bzw. 13 %).313

1.2.5.2 Erfüllung oder Bewältigung desKinderwunsches? Zur Nachfrage nach assistierter Fortpflanzung und psychosozialer Beratung

Die vorübergehende Infertilität ist ein sehr häufiges Phä-nomen, jede dritte Frau mit Kinderwunsch muss mindes-

304 Das Statistische Bundesamt weist für den Geburtsjahrgang 1999 ei-nen Anteil von rund 78 % ehelich Geborenen und 22 % unehelichGeborenen aus.

305 Brähler et al. 2001, S. 161. Zitiert wird eine Untersuchung von 1996über Kinderlosigkeit in Deutschland.

306 Bruckert 1991, zit. n. Brähler et al. 2001, S. 161.307 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14. Zu den

von der BZgA verwendeten Begriffen „primär infertil“ bzw. „sekun-där infertil“ siehe auch C1.2.2.2.1 Reproduktionsmedizin undFruchtbarkeitsstörungen.

308 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 14.309 Dorbitz/Schwarz 1996, zit. n. Brähler et al. 2001, S. 162.

310 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2000, S. 12f.311 Brähler et al. 2001, S. 162.312 Brähler et al. 2001, S. 159.313 Nach Brähler et al. 2001, S. 160 (Abbildung 4).

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Drucksache 14/9020 – 60 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

tens ein Jahr auf den Eintritt einer Schwangerschaft war-ten. In den meisten Fällen kommt es unbehandelt zu einerSchwangerschaft, weshalb eine entsprechende Beratungund Zurückhaltung mit Therapieangeboten angezeigt sind.

Zudem könnte das Hinausschieben der Realisierung desKinderwunsches zu einer verstärkten Nachfrage nach re-produktionsmedizinischen Therapieangeboten führen.Womöglich beeinflussen Lebensplanung und die Ange-bote reproduktionstechnischer Hilfestellungen einandersogar gegenseitig:

„Unheilvoll könnte sich auswirken, dass die Reproduk-tionsmedizin Erwartungen weckt, den Kinderwunschauch dann noch bis in höhere Lebensalter erfüllen zukönnen. Das kann zur Folge haben, dass noch mehrMenschen das Kinder bekommen hinauszögern.“314

Entscheidende Voraussetzung für die Wahl der Bewälti-gungsperspektive ist die Bereitschaft des Paares zu einerAuseinandersetzung mit der aktuellen Kinderlosigkeit so-wie deren psychischer Verarbeitung: „Der größte Teil derPaare hat am Anfang jedoch nicht das Bedürfnis über psy-chische Fragen zu reden.“315

Die Reduzierung von Unfruchtbarkeit auf ein medizi-nisch-technisches Problem und die Ausblendung sozialerund psychischer Aspekte ungewollter Kinderlosigkeitsind mit dafür verantwortlich, dass im Bewusstsein derPaare andere Bewältigungsformen aus dem Blickfeld ge-raten und „mit großer Selbstverständlichkeit und steigen-den Erwartungen die Hilfestellung der Reproduktionsme-dizin“ gesucht wird.316

Tabel le 7

Motivation und Einstellung zu psychologischer Beratung und medizinischer Behandlung (Angaben in %)

Frauen IVF Beratung (N=303) N=37

MännerIVF Beratung (N=288) N=37

Motivation zur Behandlung

1. will alle medizinischen Möglichkeiten nutzen 75,6 47,4 61,8 44,7

2. will mir später keine Vorwürfe machen 51,5 44,7 40,6 34,2

3. kann mir nicht vorstellen, ohne eigenes Kind zu leben 28,4 47,4 23,6 7,9

4. sonstiges 21,1 10,5

Akzeptanz von ...

1. psychologischer Beratung/Therapie 58,7 97,4 54,9 86,8

2. Hormonbehandlung 95,7 86,8 87,5 73,7

3. Naturheilverfahren 51,8 89,5 61,5 68,4

4. homologer Insemination (Sperma des Partners) 97,0 73,7 95,8 76,3

5. operativen Eingriffen 94,7 84,2 63,5 42,1

6. Adoptivkind 45,2 55,3 46,5 52,6

7. IVF/ET 87,5 31,6 81,6 34,2

8. Pflegekind 15,8 15,8 17,7 23,7

9. heterologer Insemination (Spendersperma) 9,6 0,0 8,7 13,2

Quelle: Hölzle et al. 2000317

314 Brähler et al. 2001, S. 162. 315 Kentenich 2000a, S. 17.316 Barbian/Berg 1997, S. 1.317 Vgl. Hölzle 2001, S. 6.

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Die Nachfrage nach professioneller Hilfe bei einem uner-füllten Kinderwunsch hängt neben dem Alter vom Bil-dungsniveau ab. So verfügen IVF-Patientinnen und -Pati-enten über eine signifikant höhere Schulbildung als derBevölkerungsdurchschnitt.318 Neben einem größeren Be-schwerdedruck weisen Klientinnen und Klienten in derpsychosozialen Beratung ein nochmals signifikant höhe-res Bildungsniveau auf als der Durchschnitt der IVF-Pa-tientinnen und -Patienten.319

Daraus kann gefolgert werden, dass die Schwelle für dieInanspruchnahme psychosozialer Beratung bei unerfüll-tem Kinderwunsch deutlich höher liegt als für die Inan-spruchnahme reproduktionsmedizinischer Behandlung.Frauen, die an der psychosozialen Beratung teilnehmen,stehen demnach unter noch stärkerem psychischen Druckals IVF-Patientinnen. So gaben 47 % der Beratungsklien-tinnen im Vergleich zu 28 % der IVF-Patientinnen an,nicht ohne eigenes Kind leben zu können. Bei den Män-nern ist das Verhältnis umgekehrt, wobei der Druck ins-gesamt geringer ist.

Die Aufgeschlossenheit der Beratungsklientinnen und -klienten ist auch gegenüber Adoption, Pflegekindern undNaturheilverfahren etwas größer als bei IVF-Patientinnenund -patienten. Umgekehrt werden In-vitro-Fertilisationund andere medizinische Verfahren von den Beratungs-klientinnen und -klienten deutlich skeptischer beurteilt alsvon IVF-Paaren.320

Für die IVF-Behandlung wurde auf die Vielschichtigkeitder Arzt-Patientinnen-Beziehung hingewiesen, die vonder Hilfserwartung über die Delegation der Entschei-dungsgewalt bis hin zu Partnerersatzprojektionen reichenkann und somit einer besonderen Emotionalität, Abgren-zungsproblematik und Verantwortung auf ärztlicher Seiteunterliegt.321

1.2.6 Ergebnisse

1.2.6.1 Die Entwicklung der assistiertenFortpflanzung zu einer„Reproduktionsgenetik“

Im Verlauf ihrer Entwicklung und durch die Integrationimmer neuer Methoden in das Behandlungsangebot derassistierten Fortpflanzung bestehen Eingriffsmöglichkei-ten auf verschiedenen Ebenen der Fortpflanzung. Inzwi-schen ist es im Rahmen der assistierten Fortpflanzungmöglich, die beteiligten Personen, den zeitlichen Ablaufund die im Fortpflanzungsprozess weitergegebene gene-tische Information zu beeinflussen. Die im Folgendenkurz dargestellten Zugriffsebenen machen den Wandelder Fortpflanzungsmedizin zu einer reproduktionsmedizi-nische und humangenetische Methoden vereinigenden„Reproduktionsgenetik“ deutlich.

1.2.6.1.1 Die vier Zugriffsebenen derReproduktionsgenetik auf diemenschliche Fortpflanzung

Die assistierte Fortpflanzung hat, das zeigen die Auswei-tung ihrer Indikationen und die Integration immer neuerVerfahren in den vergangenen zwei Jahrzehnten, sichdeutlich von ihrem ursprünglichen Ziel, nämlich der Be-handlung weiblicher, organisch bedingter Unfruchtbar-keit entfernt.

Betrachtet man die verschiedenen Verfahren, die heuteschon angewendet oder zumindest diskutiert werden, solassen sich vier medizinische Ebenen des Eingriffs in diemenschliche Fortpflanzung identifizieren322:

– Ersatz, Reparatur oder Umgehung von defektenReproduktionsorganen (z. B. blockierte Eileiter,fehlende Eireifung, Mangel oder Fehlen von Sper-mien) durch– IVF und ihre Varianten wie GIFT, ZIFT, EIFT– IVF mit ICSI

– Austausch der am Fortpflanzungsprozess beteilig-ten Personen ( „Spende“) durch– IVF mit (anonymer oder bekannter) Eizellspende– IVF mit (anonymer oder bekannter) Samenspende– IVF mit gespendeten Ei- und Samenzellen– IVF mit Leihmutter

– Aufhebung der zeitlich-räumlichen Koppelung derverschiedenen Teile des Fortpflanzungsvorgangsdurch Kryokonservierung in Form von– IVF mit kryokonservierten Eizellen– IVF mit kryokonservierten Spermien– IVF mit kryokonservierten befruchteten Eizellen

bzw. Embryonen– Zugriff auf die genetische Identität der am Fort-

pflanzungsprozess Beteiligten durch– IVF mit Präimplantationsdiagnostik (PID)– IVF mit verändertem Zytoplasma der Eizelle323

– IVF mit Kerntransfer324

318 Hölzle 2001, S. 6f.319 Hölzle et al. 2000, siehe auch Hölzle 2001, S. 6.320 Hölzle 2001, S. 7.321 Ausführlich dazu und auch zu den ökonomischen Aspekten der IVF

siehe Barbian/Berg 1997.

322 Vgl. Koch 1998, S. 20ff.323 Die Veränderung des Zytoplasmas der Eizelle gilt derzeit noch als

experimentell. Defekte im Zytoplasma der Eizelle führen unter an-derem zu Fehlern in der Proteinbiosynthese, an den Mitochondrienetc. Durch Transfer von Zytoplasma aus gespendeten Eizellen sollendie Erfolgsraten der IVF in bestimmten Fällen verbessert werden.Das Verfahren wurde bereits im klinischen Experiment angewendet,es verändert die genetische Identität der weiblichen Keimzelle. EinKind, das aus einer solchermaßen behandelten, befruchteten Eizellehervorgeht, besitzt Erbanlagen von drei Menschen. Siehe dazu Seehaus et al. 2000, S. 109f. und Barritt et al. 2001.

324 Bei dieser bislang experimentellen Methode wird der Zellkern einesteilungs„blockierten“ Embryos in eine vorher entkernte Spenderei-zelle gebracht, um den Embryo zu retten. Vgl. Seehaus et al. 2000,S. 111f.

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– IVF mit Eingriffen in die Keimbahn (Keim-bahntherapie)325.

Die dargestellten Eingriffsmöglichkeiten in den Fort-pflanzungsprozess reichen weit über die Behandlung vonorganisch bedingten Fruchtbarkeitsstörungen hinaus. Siebetreffen die personale, zeitliche und genetische Integritätdes Fortpflanzungsprozesses. Die einzelnen Elemente derverschiedenen Ebenen sind grundsätzlich kombinierbar(z. B. IVF einer mittels Spendersperma und ICSI befruch-teten, kryokonservierten Eizelle, deren Zellplasma ausge-tauscht wurde, in einer sog. Leihmutter).

Es erscheint daher angemessen, als übergeordneten Be-griff für die verschiedenen, in der assistierten Reproduk-tion angewendeten Techniken „Reproduktionsgenetik“ zuverwenden.

In der zunehmenden Vielfalt der Eingriffsmöglichkeitenund deren Kombination untereinander wird bereits, nebender Vielzahl ethischer Einzelprobleme, ein generellesProblem der Fortpflanzungstechnologien sichtbar:

„In der assistierten Fortpflanzung und vorgeburtlichenGesunderhaltung bestätigt die Reprogenetik zunächstpositiv die europäisch-moderne Ausprägung der Kern-familie. Im Fortgang ihres Fortschritts ermöglicht dieReprogenetik dann eine immer stärkere Individuali-sierung des Kinderwunschs. Die Individualisierungdes Kinderwunschs aber kehrt sich tendenziell gegendie gängige Ausprägung der Kernfamilie. Denn imZuge dieser Individualisierung werden die biologischzur Elternschaft nötigen Komponenten frei wähl-bar.“326

1.2.6.1.2 Präimplantationsdiagnostik als Teilder Reproduktionsgenetik

Die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID)setzt die IVF nicht nur voraus, sie stellt zugleich eine wei-tere Zugriffsebene der assistierten Reproduktion auf denFortpflanzungsprozess dar. PID stellt im Rahmen der Re-produktionsgenetik ein Instrument zur Selektion von Em-bryonen in Abhängigkeit vordefinierter Ziele dar: Vermit-tels PID können individuelle genetische Risiken oder auchallgemeine (chromosomale) Risiken für Einnistung underfolgreiches Austragen der Frucht identifiziert werden.

Steht PID am Ende der Methodenentwicklung der Repro-duktionsgenetik, so bedarf vor allem die damit verbun-dene Selektion von Embryonen in vitro der ethischen undrechtlichen Bewertung.

Stellt PID hingegen lediglich einen Zwischenschritt aufdem Weg zur Identifikation zukünftig womöglich heilba-rer genetischer Defekte bzw. veränderbarer genetischerMerkmale dar, so scheint die Diskussion um Keimbahn-interventionen oder das sog. „enhancement“ (genetische

„Verbesserung“ des Individuums) samt aller damit ver-bundenen ethischen und rechtlichen Probleme am Hori-zont der Beurteilung von PID als Teil der Reproduktions-genetik auf.

1.2.6.2 Notwendigkeit der Dokumentation derassistierten Reproduktion nachgesetzlich vorgeschriebenen Kriterien

Die verlässliche, verbindliche und allgemeinverständli-che Dokumentation aller im Rahmen der assistierten Re-produktion vorgenommenen Eingriffe (sog. „IVF-Zy-klen“) ist aus folgenden Gründen notwendig:

– IVF in allen ihren Varianten und der Embryotransfer(ET) sind Methoden, die immer mit Eingriffen in diekörperliche Integrität der Frau und in manchen Fällen327

in jene des Mannes verbunden sind. Diese Eingriffe dür-fen ausschließlich nach vorheriger Aufklärung mit demZiel vorgenommen werden, den aufgrund einer medizi-nisch nachgewiesenen Fruchtbarkeitsstörung bislangunerfüllt gebliebenen Kinderwunsch zu realisieren.

– Um ihrer berufsrechtlich geforderten Aufklärungs-pflicht gerecht werden zu können, müssen die Ärztin-nen und Ärzte in den der Behandlung vorausgehendenBeratungsgesprächen verlässliche Angaben über die(statistische) Erfolgswahrscheinlichkeit der IVF-Be-handlung machen.328

– Die Verfügbarkeit von allgemeinverständlichen Anga-ben über Erfolgswahrscheinlichkeiten und möglicheRisiken der Behandlung ist als Voraussetzung für eineinformierte Zustimmung zu der Behandlung unab-dingbar.

Statistische Erhebungen haben eine wichtige Funktion fürdie Qualitätssicherung in der IVF-Praxis. Im Sinne derärztlichen Handlungsmaximen der Leidensminderung unddes Verhinderns von Schaden sollten sie zuverlässig Aus-kunft geben über Aufwand, Erfolge und Risiken der IVF.

Die Aufbereitung der Daten hat so zu erfolgen, dass allean den Methoden der assistierten Reproduktion interes-sierten Personen die wesentlichen Informationen über ge-sundheitliche Risiken, Erfolgsaussichten und (angesichtsnach wie vor großer Wahrscheinlichkeit des Scheiternsder medizinischen Kinderwunschbehandlung) Alternati-ven zu IVF allgemeinverständlich erhalten können.329

1.2.6.3 Erfolgskriterium Baby-take-home-RateAus der Sicht des Paares, dessen Hoffnung es ist, sein bisdato unerfüllter Kinderwunsch werde durch die repro-duktionsmedizinische Behandlung in Erfüllung gehen,

325 Theoretische Option, derzeit besteht ein internationaler Konsensüber die Nichtanwendung.

326 Kettner 2001, S. 42.

327 Operative Entnahme von Spermien aus Hoden oder Nebenhoden.328 Zur Aufklärungspflicht nach ärztlichem Berufsrecht siehe Bundes-

ärztekammer 1995, A 3168.329 Nach dem Vorbild der britischen HFEA. Vorschläge bei Beier 1996.

Dort auch ein Nachweis der Raten pro einzelnem IVF-Zentrum inGroßbritannien. Siehe auch Beier 2001, S. 497f.; Felberbaum 2001,S. 256ff.; Kentenich 2001, S. 256ff.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 63 – Drucksache 14/9020

sind die heute gebräuchlichen, unterschiedlichen Anga-ben über Behandlungserfolge verwirrend und schwernachzuvollziehen. Aus ärztlicher Sicht bedürfen sie derErklärung bzw. Rechtfertigung:

– Auch aus ärztlicher Sicht erscheint es konsequent, alsBeginn der medizinischen Behandlung die Verord-nung der Einnahme von hormonellen Medikamenten(pharmakologischer Eingriff in die körperliche Inte-grität der Frau) zu definieren und nicht erst die klini-schen Eingriffe der Eizellgewinnung oder des Em-bryotransfers.

– Die Bundesärztekammer (BÄK) ist eine solche De-finition in den „Richtlinien zur Durchführung derassistierten Reproduktion“ schuldig geblieben. Hor-monelle Stimulation und Gewinnung der Eizellenwerden weder bei der allgemeinen Definition der assistierten Reproduktion als „ärztliche Hilfe zur Er-füllung des Kinderwunsches eines Paares durch me-dizinische Hilfen und Techniken“ erwähnt, noch unter Ziffer 4.1 („Gewinnung von Gameten und Trans-fer von Gameten und Embryonen“) des Richtlinien-textes erörtert.330

– Zweifelsohne handelt es sich bei den dargelegten Ver-fahren um ärztliche Eingriffe in den Körper der Frau,die nur unter den Bedingungen der freiwilligen, infor-mierten Zustimmung gerechtfertigt werden können.

Der Erfolg der IVF muss deshalb aus der Sicht der Pati-entinnen bzw. Patienten und aus ärztlich-ethischer Sichtals Baby-take-home-Rate, also als Wahrscheinlichkeit ei-ner Lebendgeburt nach Beginn des medizinisch-pharma-kologischen Eingriffes in den Körper der Frau, angegebenwerden. Diese Rate muss neben den Angaben über medi-zinische Risiken und alternative Behandlungen Grund-lage der unabhängigen Beratung von behandlungswilli-gen Paaren vor Beginn reproduktionsmedizinischerEingriffe sein.331

1.2.6.4 Beurteilung der medizinischen Risikenreproduktionstechnischer Eingriffe

Für die Beurteilung der mit IVF verbundenen Gesund-heitsrisiken für die Frau sind folgende Aspekte bedeut-sam:

– Behandlungsauslösend ist der unerfüllte Kinder-wunsch der Frau (des Paares). Es ist allerdings frag-lich, ob daraus ein Krankheitswert und infolge dessendie Notwendigkeit des medizinischen Eingriffs abge-leitet werden kann.

– Ein Großteil der Frauen ist über 30 Jahre alt, immer-hin ein Drittel ist 35 Jahre und älter. Allein aufgrunddes Alters gelten alle Schwangerschaften als risikobe-

hafteter als bei jüngeren Frauen, ab Mitte 30 gilt diesin verstärktem Maße.

– Die verschiedenen Eingriffe in die körperliche Inte-grität der Frau werden nicht nur zur Überwindung ih-rer eigenen, medizinisch nachweisbaren Fruchtbar-keitsstörung durchgeführt. In über der Hälfte der Fällewerden die Eingriffe vorgenommen, weil damit ent-weder eine Fruchtbarkeitsstörung des Mannes behan-delt werden soll oder aber keine andere Erklärung fürdie Kinderlosigkeit gefunden werden konnte (idiopa-thische Indikation).

– Der umfassenden Beratung und Aufklärung der Fraukommt daher allergrößte Bedeutung zu. Nur in Kennt-nis aller Alternativen, Risiken und der dokumentiertenWahrscheinlichkeit der Erfüllung ihres Kinderwun-sches hat die Frau die Möglichkeit, eine Nutzen-Ri-siko-Abwägung vorzunehmen und eine informierteEntscheidung zu treffen.

1.2.6.5 Beratung bei ungewollterKinderlosigkeit

Die Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit sind vielfäl-tig. Neben körperlichen spielen seelische und soziale Fak-toren eine Rolle.

Die individuelle Lebens- und Karriereplanung vonFrauen und Männern haben ebenso Einfluss wie gesell-schaftliche Leitbilder und Angebote für (allein-) erzie-hende Mütter und Väter für die Betreuung und Versor-gung der Kinder.

Aussagen über das gesellschaftliche Ausmaß der unge-wollten Kinderlosigkeit sind statistisch problematisch.Wenn überhaupt, so nehmen statistische Erhebungen Be-zug auf verheiratete Paare. Individuell sich wandelnde An-sichten zu Kindern und damit verbundene Phasen gewoll-ter Kinderlosigkeit erschweren entsprechende Analysen.

Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, die therapeutischeHilfe nachfragen, müssen eine hohe individuelle Schwelleüberwinden. Deshalb ist es notwendig, dass die Bera-tungsangebote möglichst schwellenabbauend wirken. Ent-sprechende Aufklärung für Gynäkologinnen und Gynäko-logen ist deshalb ebenso wichtig wie die Aufklärung derÖffentlichkeit. Von den Beratenden ist zu erwarten, dasssie Erfahrungen in Paarberatung haben und mit den so-zialen und psychologischen Faktoren ungewollter Kin-derlosigkeit ebenso vertraut sind wie mit dem Stand derfortpflanzungsmedizinischen Forschung und Praxis.

Konzeptionell sollte jeder fortpflanzungsmedizinischenMaßnahme eine solche unabhängige Beratung einschließ-lich einer dreimonatigen Bedenkzeit der Paare vorausge-hen, denn entsprechende Untersuchungen konnten zeigen,dass psychische Störungen ebenso wie Sexualstörungenerkannt wurden, was die Indikationsstellung für IVF ge-nauer und zielgerichteter machte.

Die Steuerungsfunktion der vorgeschalteten Beratungwirkt allokationsoptimierend. Ein solches physiologisch-psychologisch-soziales Beratungskonzept sollte in den

330 Bundesärztekammer 1998b, A 3166.331 Vgl. Tabelle 2 in C1.2.3.5.1.3 Risiken während der Schwangerschaft

sowie C1.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistierten Reproduktion– und wie häufig tritt er ein?

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Drucksache 14/9020 – 64 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungaufgenommen werden.

1.2.7 Empfehlungen und offene Fragen

1.2.7.1 Empfehlungen

1.2.7.1.1 Gesetzliche Regelung der assistiertenReproduktion („Fortpflanzungs-medizingesetz“)

Die Enquetekommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, in einem Gesetz die Anwendung der Tech-nologie der assistierten Reproduktion („Fortpflan-zungsmedizingesetz“) umfassend zu regeln.

Dies betrifft insbesondere die folgenden Aspekte:

(1) Dokumentation und Qualitätssicherung

a) Die Dokumentation aller durchgeführten IVF-Be-handlungen durch ein von den reproduktionsmedi-zinischen Zentren unabhängiges, mit den notwen-digen personellen und finanziellen Mittelnausgestattetes IVF-Register muss verpflichtendeingeführt werden.

Kommentar:

– Eine gesetzliche Regelung der Dokumenta-tions- und Veröffentlichungspflicht für die assistierte Reproduktion wird für notwendiggehalten, weil die berufsrechtliche Selbstkon-trolle bisher nachweislich nicht ausreicht. EineBerichtspflicht für alle praktizierenden IVF-Teams sollte gesetzlich verankert werden. EineVerbesserung der Datenlage wird für dringenderforderlich gehalten.

– Die Dokumentation sollte Eingriffszahlen undErfolge pro behandelter Frauen bzw. Ergeb-nisse pro Indikation prospektiv nachweisen.Sie sollte außerdem die Spezifizierung der Erfolgsraten, die Aufnahme von drop-out-Quoten, den spezifizierten Nachweis von Ein-griffszahlen sowie von IVF-Zyklen und Baby-take-home-Raten pro Zentrum umfassen.

– Um dem Anspruch der Transparenz Rechnungzu tragen, sollte die Publikation laienverständ-lich verfasst sein.

b) Eine jährliche Dokumentations- und Meldepflichtüber die Kryokonservierung von Gameten, Vor-kernstadien und Embryonen sollte eingeführt wer-den. Neben der Registrierung sollte ein jährlicherBericht der Zentren an das Deutsche IVF-Registererfolgen; die Zahlen sollten entsprechend veröf-fentlicht werden.

c) Die Dokumentationspflichten im Hinblick auf dieBeratung und Durchführung der Behandlung soll-ten geregelt werden.

d) Die Qualitätssicherung einschließlich der Ein-führung neuartiger Verfahren und Methoden (wie

ICSI) sollte geregelt werden. Einer unkontrollier-ten Aufnahme von neuen Techniken, selbst wennsie im Ausland bereits erfolgreich waren, sollteentgegengewirkt werden. Steuerungsmöglichkei-ten über eine – gegebenenfalls gestaffelte – Lizen-zierungspflicht (Pilotprojekte, Modellzentren,zeitliche Befristung) oder über Forschungsförde-rung sollten ausgebaut werden.

(2) Heterologe Samenspende

Die zivilrechtlichen Folgen im Zusammenhang mitder assistierten Reproduktion und im Zusammenhangmit der heterologen Samenspende sollten geregeltwerden, wobei das Kindeswohl Vorrang haben sollte.

Kommentar:

– Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenenHerkunft ist im Rahmen der Regelung der Ano-nymität der Samenspende sicherzustellen,Maßnahmen zur Verschleierung der Identitätdes Vaters (Mischen von Spendersamen) müs-sen unterbunden werden.

– Der Gesetzgeber muss weiterhin entscheiden,ob unverheirateten und lesbischen Paaren so-wie alleinstehenden Frauen der Zugang zur he-terologen Insemination eröffnet werden solloder nicht.

(3) Umgang mit Vorkernstadien

a) Eine Pronukleusspende sollte explizit ausge-schlossen werden.

Kommentar:

– Die Verwendung von befruchteten Eizellen imVorkernstadium für Forschungszwecke sollteexplizit verboten werden. Die Verwendung vonVorkernstadien für Zwecke der Embryonenfor-schung käme einer Herstellung von Embryo-nen für Forschungszwecke gleich. DieserDammbruch sollte verhindert werden.

b) Die Lagerungsdauer bereits bestehender kryokon-servierter Vorkernstadien sollte befristet werden.In Verbindung damit ist zu regeln, was nach Ablaufder Befristung mit den Vorkernstadien geschehensoll.

Kommentar:

– Solche Regelungen sollten differenzieren, obdie genetischen „Eltern“ weiterhin einen Kin-derwunsch oder aber kein Interesse mehr gel-tend machen, beispielsweise weil sich ihre Part-nerschaftssituation verändert hat oder einer derbeiden genetischen „Eltern“ verstorben ist.

(4) Umgang mit sog. „überzähligen“ Embryonen

Der Gesetzgeber wird eine Entscheidung darüber zutreffen haben, was mit Embryonen und Vorkernstadiengeschehen soll, die zum Zwecke der Herbeiführungeiner Schwangerschaft in vitro gezeugt wurden, aber

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 65 – Drucksache 14/9020

zu diesem Zweck aus Gründen, die nicht antizipierbarwaren und nicht in den Embryonen selbst begründetsind, sondern ausschließlich mit den genetischen „El-tern“ zusammenhängen, nicht verwendet wurden unddafür auch in Zukunft nicht verwendet werden. Fürdiese Embryonen hat sich der Begriff der „überzähli-gen“ Embryonen entwickelt. Von einer Verwendungdieses Begriffes im gesetzlichen Rahmen rät die En-quete-Kommission allerdings ab. Diese Embryonenmüssen zunächst konserviert werden, um eine spätereTransfermöglichkeit im Rahmen des Embryonen-schutzgesetzes (ESchG) aufrecht zu erhalten.332 DasVerbot der verbrauchenden und fremdnützigen For-schung an Embryonen, auch soweit sie „überzählig“sind, ist aufrecht zu erhalten.333

1.2.7.1.2 ForschungsbedarfDie Enquetekommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, folgende Forschungsbereiche zu intensi-vieren bzw. auszuweiten:

(1) Alternativen zum Entstehen kryokonservierterVorkernstadien sollten dringend erforscht werden,damit die Kryokonservierung von Vorkernstadienmöglichst vermieden werden kann, denn diese wirftähnliche Probleme wie die Kryokonservierung vonEmbryonen und die Problematik sog. „überzähliger“Embryonen auf.

Kommentar:

– Zu untersuchen wären z. B. Methoden, welche dieHormonstimulierung senken und somit wenigerEizellen heranreifen lassen.

– Auch die Kryokonservierung von „überzähligen“Eizellen wäre ein möglicher Weg, sofern Entwick-lungsschäden durch die Kryokonservierung mini-miert werden können und die Gefahr einer Kom-merzialisierung des Umgangs mit Eizellenwirksam unterbunden bleibt.

– Die Kryokonservierung von Gameten stellt eineder möglichen Alternativen zur Lagerung von im-prägnierten Eizellen im Vorkernstadium bzw. vonEmbryonen dar.

– Die Problematik sog. „überzähliger“ Embryonenkann so zwar nicht vollständig gelöst werden, dennes wird immer einzelne Fälle geben, in denen sichdie Frau gegen eine Implantation entscheidet odereine Übertragung aus Krankheits- oder anderenGründen nicht mehr möglich ist. Die Anwendungder Kryokonservierung von Gameten würde demZiel des Gesetzgebers, möglichst nahe am natürli-

chen Prozess der Reproduktion zu bleiben, abermehr entsprechen als das derzeitige Verfahren.

(2) Die Forschung über potenzielle Langzeitfolgen vonIVF/ICSI sollte fortgesetzt werden.

Kommentar:

– Ein Monitoring bei Frauen und Kindern sollte sys-tematisch und über lange Zeiträume geschehen.

(3) Die Forschung über die Folgen des Scheiterns vonIVF/ICSI bei betroffenen Paaren sollte intensiviertwerden.

Kommentar:

– Es sollten verstärkt Studien darüber erfolgen, wiePaare, bei denen IVF/ICSI erfolglos blieben, mitder Bewältigung dieses Ergebnisses umgegangensind.

(4) Für die Forschung zur Verbesserung und/oder Neu-entwicklung von Methoden der assistierten Repro-duktion sollten ausreichende vorhergehende Stu-dien an Tieren erfolgen.

Kommentar:

– Bei der Einführung von IVF und ICSI ist zu kons-tatieren, dass diesen zu wenige Forschungen überWirkungs- und Schädigungspotenziale vorausge-gangen sind. Analoge Standards, wie sie bei Arz-neimittelversuchen üblich sind (Tierversuche,Testphasen I-IV), haben sich bisher bei der assis-tierten Reproduktion nicht etabliert.

– Eine verpflichtende Konsultation von Ethik-Kom-missionen, die interdisziplinär und zur Hälfte mitFrauen besetzt sein sollten, würde für mehr Trans-parenz und Reflexion im Forschungsprozess sorgen.

(5) Die Entwicklung von Qualitätssicherungskriterien(z. B. Senkung der Rate von Mehrlingsschwanger-schaften) und deren Umsetzung (z. B. Lizenzierungs-pflicht, Berichtspflicht, Langzeitstudien, Modellpro-jekte etc.) wird für notwendig gehalten.

(6) Die Initiative der Bundesregierung für eine UN-Reso-lution zum völkerrechtsverbindlichen Verbot desreproduktiven Klonens wird von der Enquete-Kom-mission unterstützt. Es sollten alle Möglichkeiten aus-geschöpft werden, multilateral dafür zu werben und,gerade auch vor dem Hintergrund einer wachsendenZustimmung in den USA, das Verbot des „therapeuti-schen“ Klonens sowie von Keimbahninterventioneneinzubeziehen.

1.2.7.1.3 Diskurs mit Bürgerinnen und BürgernDie Enquete-Kommission empfiehlt, den Diskurs mitBürgerinnen und Bürgern zu stärken.

Die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern inden Diskurs zu ethischen Fragen der Pränataldiagnostikund Präimplantationsdiagnostik wurde, gefördert durchdas Bundesministerium für Bildung und Forschung und

332 Zum Umgang mit sog. „überzähligen“ Embryonen, zur Embryo-nenadoption und zum „Sterbenlassen“ von Embryonen siehe En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ 2001b,Abschnitt 3.1.1.2, S. 42ff.

333 Siehe Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medi-zin“ 2001b, Abschnitt 3.2, S. 54ff.

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Drucksache 14/9020 – 66 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, in demProjekt „Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik“ mitseinem „Bürgervotum zur Gendiagnostik“ durchgeführt.Die Enquete-Kommission würde es begrüßen, wenn dieBundesregierung zur Förderung der Diskussion von in Zu-kunft auftretenden neuen reproduktionstechnologischenVerfahren Aktivitäten ähnlicher Art unterstützen würde.

1.2.7.2 Offene Fragen, bei denen weitererBeratungs-, Klärungs- und gegebenen-falls Handlungsbedarf besteht

Die Enquete-Kommission verweist darauf, dass bei ihrenBeratungen Fragen aufgeworfen wurden, die nicht ab-schließend geklärt werden konnten und für die deshalbkeine Empfehlungen abgegeben werden.

In folgenden Bereichen besteht nach Auffassung der En-quete-Kommission weiterer Beratungs-, Klärungs- undgegebenenfalls Handlungsbedarf:

1. Zur Überprüfung der Anwendungsvoraussetzun-gen der assistierten Reproduktion nach den Bestim-mungen des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGBV) wurden insbesondere folgende Aspekte diskutiert:

(a) Einführung einer psychosozialen Beratung, die

– unabhängig von den die assistierte Reproduk-tion durchführenden Zentren erfolgt;

– über Risiken, Schädigungspotenziale und Al-ternativen aufklärt.

Unstrittig ist die Notwendigkeit der Etablierungeines bedarfsdeckenden, niedrigschwelligen Bera-tungsangebotes sowie der Ausstattung von psy-chosozialen Beratungsstellen mit entsprechendqualifizierten, beratungskompetenten Personen.Dieses Beratungsangebot sollte unabhängig vonden Anbietern erfolgen. Als besonders problema-tisch erscheint die Frage, ob eine solche Beratungbei einer psychosozialen Beratungsstelle (nichtnur, wie bisher, bei Gynäkologinnen bzw. Gynä-kologen) den Charakter eines Angebots oder einerZugangsvoraussetzung haben sollte.

(b) Kriterien für die Kostenübernahme

Durch die Anerkennung von IVF als Kassenleis-tung wurde Kinderlosigkeit in der Rechtsfolge ei-ner Krankheit gleichgestellt. Strittig unter den Mit-gliedern ist die Frage, ob die Kostenübernahmedurch die gesetzliche Krankenversicherung an res-triktivere Bedingungen geknüpft werden sollte wiebeispielsweise

– die Festlegung engerer Indikationen (z. B.der Nachweis organischer Unfruchtbarkeit)oder

– die Einführung einer Wartezeit (wie z. B. inden Niederlanden: ein Jahr nach Anmeldung),welche dazu führen könnte, dass Frauen in derZwischenzeit auf natürlichem Wege schwan-ger werden (vgl. dazu Ergebnisse erster Stu-

dien über spontane Schwangerschaften „aufder Warteliste“ und über Erfolge psychothera-peutischer Beratung, die ähnliche Erfolgsratenaufweisen wie die IVF/ICSI334) oder

– die Einschränkung der Erstattungsfähigkeitbestimmter Methoden oder der Anzahl der Ver-suche.

Die Frage des finanziellen Zugangs zu Fortpflanzungs-techniken bzw. die Frage einer möglichen Beschrän-kung der Leistungen der GKV sollte umfassend be-raten werden. Dem stehen Bedenken gegenüber,wonach der Ausschluss von IVF/ICSI aus dem Leis-tungsspektrum der GKV zu einer Zwei-Klassen-Me-dizin führen könnte.

2. Als Beiträge zur Senkung der Rate von Mehrlings-schwangerschaften nach IVF wurden insbesonderezwei Möglichkeiten diskutiert:(a) Eine gesetzliche Beschränkung des Transfers auf

zwei Embryonen.(b) Die Klärung der Eignung bzw. möglicher Schädi-

gungspotenziale des Verfahrens der Blastozysten-kultur. Bisherigen Ergebnissen zufolge ist dieseTechnik noch nicht ausgereift, ihre Einführungkönnte unter Umständen eine Änderung des Em-bryonenschutzgesetzes notwendig machen.335 Da-her sollte die wissenschaftliche Diskussion ver-folgt und besonders sorgfältig evaluiert werden.

3. Zur Überwachung und Qualitätssicherung in IVF-Zentren sowie in den Labors wurde die Frage derEinrichtung einer Bundesbehörde diskutiert, in deren Zuständigkeit die Regelung und Überwachung von Be-triebsgenehmigungen, Lizenzierungsverfahren, Kon-trollen, Dokumentationspflichten sowie Zertifizierun-gen liegt und die darüber hinaus die Festlegung vonStandards, die Durchführung von Ringversuchen so-wie gegebenenfalls die Beschränkung bestimmterTechniken auf spezielle Referenzzentren vornimmt.Eine solche Behörde wird insbesondere von mit der Fortpflanzungsmedizin befassten Ärzten gefor-dert.336 Die Kommission hält, nicht zuletzt auf-grund unterschiedlicher konzeptioneller Vorstellun-gen verschiedener Mitglieder, vertiefte Beratungenfür geboten.

334 Hölzle et al. 2000, S. 149-172. Vgl. Tabelle 6: Erfolgsraten von IVFund psychologischer Beratung.

335 Das Embryonenschutzgesetz ist berührt hinsichtlich des bisherigenGebots, nur so viele Embryonen herzustellen, wie innerhalb einesZyklus übertragen werden, und des Verbots, mehr als drei Embryo-nen zu transferieren. Bei der Blastozystenkultivierung sollen Em-bryonen bis zum Blastozystenstadium kultiviert und unter ihnen eineAuswahl nach Kriterien der Entwicklungsfähigkeit getroffen wer-den. Hierzu müssten u.U. mehr als drei Embryonen hergestellt wer-den. Damit erhöht sich das Risiko, dass Embryonen kryokonserviertwerden und späterhin gegebenenfalls als „überzählig“ zu gelten hät-ten. Das Liegenlassen des Embryos zur Beobachtung ist nach Em-bryonenschutzgesetz ein fragwürdiges Verfahren. Siehe auchC1.2.3.1.4 Embryokultur.

336 Vgl. z. B. Beier 1996 und 2001; Felberbaum 2001; Kentenich 2001.

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4. Zur Frage der Zulässigkeit von Eizellspenden fürnichtreproduktive Zwecke wurden insbesondere fol-gende Aspekte diskutiert:

(a) Gezielte Eizellspenden für nichtreproduktiveZwecke setzen invasive, fremdnützige Eingriffevoraus, die mit hohen gesundheitlichen Risiken fürdie Frauen verbunden sind, was gegen ihre Zuläs-sigkeit sprechen könnte.

(b) Sog. „überzählige“ Eizellen aus IVF-Zyklen soll-ten für die Weiterentwicklung der Kryokonservie-rung von Eizellen und der Polkörperdiagnostik nurverwendet werden, wenn bestimmte Bedingungenerfüllt sind, wie z. B.

– die freiwillige und informierte Zustimmungder Frau;

– die hormonelle Stimulierung der Eizellreifunggemäß dem üblichen Standard, um höhere ge-sundheitsgefährdende Hormongaben auszu-schließen;

– der Ausschluss der Kommerzialisierung derEizellen.

Aus der Sicht der Kommission könnte es sinnvoll sein,im Falle einer Regelung diese Gesichtspunkte im Rah-men eines Fortpflanzungsmedizingesetzes zu berück-sichtigen.

5. Bei der Erforschung von verschiedenen Bewälti-gungsstrategien und Umgangsformen mit unfrei-williger Kinderlosigkeit empfiehlt die Kommissionkeinen bestimmten Weg. Sie hält verschiedene Wegeneben der IVF für gangbar:

(a) Medizinische Interventionen (chirurgische Ein-griffe; naturheilkundliche und umweltmedizinischeVerfahren wie Entgiftung, Akupunktur, Homöopa-thie etc.);

(b) Verschiedene psychotherapeutische Beratungs-konzepte;

(c) Erhebungen zu den „Erfolgsraten“ des „Abwar-tens“ und Vertrauens auf spontane Schwangerschaft(z. B. durch Dokumentation von Schwangerschaf-ten innerhalb einer gegebenenfalls einzuführendenWartezeit vor Inanspruchnahme reproduktionsme-dizinischer Hilfe).

(d) Verzicht auf den Kinderwunsch und die Entwick-lung anderer Lösungen wie Adoption, Pflegschaftoder andere Formen sozialer Elternschaft.

1.3 Erfahrungen mit pränatalergenetischer Diagnostik im Hinblick aufdie Präimplantationsdiagnostik

1.3.1 Eingrenzung des Themas für dieBeratungen der Enquete-Kommission

Nach Auffassung der Enquete-Kommission „Recht undEthik der modernen Medizin“ ist die Diskussion um die

genetische Diagnostik am Embryo in vitro (Präimplanta-tionsdiagnostik, PID) unvollständig, wenn die Entwick-lung der genetischen Diagnostik am Embryo in utero(Pränataldiagnostik, PND) unberücksichtigt bleibt.

PND wurde in Deutschland erstmals 1970 durchgeführtund hat sich zwischenzeitlich nicht nur zu einem integra-len Teil der ärztlichen Schwangerenbetreuung entwickelt,sondern auch die Schwangerenbetreuung an sich verän-dert. Mit der Folge,

„dass unabhängig von ihrem Alter heute jede Frau, wel-che die Vorsorge in einer gynäkologischen Praxisdurchführen lässt, mit Pränataldiagnostik konfrontiertwird.“337

Obwohl in der medizinischen Praxis die Standards des in-formed consent (Einwilligung nach erfolgter Aufklärungüber die getesteten Merkmale, die Aussagesicherheit desTests, seinen therapeutischen Gewinn, die bei einem positiven Testergebnis bestehenden Handlungsmöglich-keiten und das Risiko iatrogener Schäden) Voraussetzungfür die Durchführung eines Gentests sind, um die Verwirk-lichung einer Körperverletzung auszuschließen, hat sichdie Diagnostik zu einer Routineuntersuchung entwickelt,bei der die aufgezeigten Anforderungen in der Regel nichterfüllt sind.

Für die Mitglieder der Enquete-Kommission sind vor demHintergrund ihrer Beratungen über die Präimplantations-diagnostik folgende Fragestellungen zur pränatalen gene-tischen Diagnostik von Bedeutung:

– Wie kam es zur Entwicklung der PND von der eng ge-fassten Indikation bei bekanntem erhöhtem geneti-schen Risiko der Schwangeren hin zum Routineange-bot der Abklärung genetischer Risiken für alleSchwangeren?

– Welchen Einfluss auf die Ausweitung der Indikatio-nen hatten:

– die historische Entwicklung (DFG-Schwerpunkt-Programm, politische und standespolitische Ent-scheidungen);

– verfügbare Methoden (Einführung, Qualitätssi-cherung);

– Faktoren wie Angebot, Nachfrage, rechtlicherRahmen (Haftungsrecht, Kostenübernahme)?

– Können aus diesen Erfahrungen mit der PND Konse-quenzen für die Präimplantationsdiagnostik (PID) ge-zogen werden?

Über diese Fragestellungen hinaus hat die Enquete-Kom-mission sich auch im Kapitel „Genetische Daten“ mit derpränatalen genetischen Diagnostik befasst.338

337 Kirchner-Asbrock 2000, S. 29. Vgl. auch Schumann 2001, S. 2:„(Fast) keiner Schwangeren bleibt heute die Entscheidung für/gegenPND erspart!“

338 Vgl. dazu insbesondere C2.1.1.2.1.3 Pränatale Tests und C2.3.2.4 In-formation, Aufklärung und Beratung.

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1.3.2 DefinitionenDerzeit ist die fachliche Begleitung von schwangerenFrauen in der Bundesrepublik von drei Zielperspektivengeleitet:

– dem Gesundheitsschutz der werdenden Mutter,

– der Vermeidung von Schädigungen des ungeborenenKindes sowie

– der möglichst frühzeitigen und zuverlässigen Identifi-zierung von kindlichen Fehlbildungen.

Im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge soll gemäß den„Mutterschafts-Richtlinien“ des Bundesausschusses derÄrzte und Krankenkassen die Schwangere, sofern sichAnhaltspunkte für ein genetisch bedingtes Risiko erge-ben, über „Möglichkeiten einer humangenetischen Bera-tung und/oder humangenetischen Untersuchung“ aufge-klärt werden.339

„Durch die ärztliche Betreuung während der Schwan-gerschaft und nach der Entbindung sollen möglicheGefahren für Leben und Gesundheit von Mutter undKind abgewendet sowie Gesundheitsstörungen recht-zeitig erkannt und der Behandlung zugeführt werden.Vorrangiges Ziel der ärztlichen Vorsorge ist die früh-zeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften undRisikogeburten.“340

Dafür stehen der Ärztin bzw. dem Arzt unter anderem ver-schiedene Methoden der pränatalen Diagnostik zur Verfü-gung.

1.3.2.1 Pränatale genetische Diagnostik

Pränatale genetische Diagnostik zielt darauf, numerischeoder strukturelle Chromosomenfehler bzw. Einzelgen-defekte des Embryos/Fetus zu identifizieren.

Als numerische Chromosomenfehler werden z. B. Tri-somien oder Monosomien bezeichnet, bei denen einnormalerweise paarig im Zellkern vorliegendes Chro-mosom dreifach oder einfach vorhanden ist. Als struk-turelle Chromosomenfehler gelten z. B. Translokations-oder Strangbruchphänomene, in deren Folge ein einzel-nes Chromosom strukturell bzw. funktionell verändertist.

In ihrer Zielsetzung gleicht die pränatale genetische Dia-gnostik insoweit den im Rahmen der PID angewendetenMethoden. Allerdings unterscheiden sich beide im Hin-blick auf Gewinnungswege und labortechnische Aufbe-reitung der zu untersuchenden Proben:

– Zur Gewinnung kindlicher Zellen aus dem Leib derschwangeren Frau stehen vor allem die Amniozen-

tese341 und die Chorionzottenbiopsie342 zur Verfü-gung. Darüber hinaus ist es möglich, durch Cordocen-tesis (Gewinnung fetalen Nabelschnurblutes) und fe-tale Gewebsproben Rückschlüsse auf den genetischenStatus des ungeborenen Kindes zu ziehen.

– Das gewonnene Probenmaterial kann vermittels zyto-genetischer bzw. molekulargenetischer Tests und bio-chemischer Analysen untersucht werden.

Zu den Verfahren und Techniken im Einzelnen siehe im Ka-pitel „Genetische Daten“ den Abschnitt C2.1.1.2.1.3 Präna-tale Tests. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht gegeben.

1.3.2.2 Diagnostische TechnikenBei den in der ärztlichen Schwangerenbegleitung gemäßden „Mutterschafts-Richtlinien“343 eingesetzten pränatal-diagnostischen Verfahren im weiteren Sinn kann grund-sätzlich zwischen nichtinvasiven und invasiven Verfahrenunterschieden werden. Nur die invasiven Verfahren er-möglichen pränatale genetische Diagnostik.

1.3.2.2.1 Nichtinvasive Techniken Als nichtinvasive Verfahren gelten die Bestimmung bio-chemischer Marker im mütterlichen Blut (z. B. beim sog. Triple-Test) sowie bildgebende Ultraschalluntersu-chungen.

Bei den sog. „Ultraschallscreenings“ handelt sich um eineungezielte vorgeburtliche Diagnostik, die „der Überwa-chung einer normal verlaufenden Schwangerschaft“344

dient. Vermittels dieses Ultraschallscreenings ist es mög-lich, Gebärmutter, Fruchtwassermenge und Plazenta sicht-bar zu machen und somit das genaue Schwangerschafts-alter, die Anzahl der Kinder bzw. deren körperlicheEntwicklung festzustellen sowie verschiedene sog. Hin-weiszeichen auf mögliche Entwicklungsstörungen zu er-heben. Vor 1995 waren zwei solcher Ultraschallscreeningsroutinemäßig im Rahmen der ärztlichen Schwangerenvor-sorge vorgesehen (in der 16. bis 22. bzw. in der 32. bis 34. Schwangerschaftswoche), seither sind es drei345: Daserste Screening zwischen dem Beginn der 9. bis zum Endeder 12. Schwangerschaftswoche, das zweite zwischen demBeginn der 19. bis zum Ende der 22. Schwangerschafts-woche und das dritte zwischen dem Beginn der 29. bis zumEnde der 32. Schwangerschaftswoche.

Die diagnostische Genauigkeit bildgebender Ultraschall-Verfahren hängt von der Ausrüstung, der Ausbildung undErfahrung der Ärztin bzw. des Arztes ab. Risiken für Mut-ter bzw. Fetus sind nicht dokumentiert.346

339 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1998, Abschnitt A“Untersuchungen und Beratungen sowie sonstige Maßnahmenwährend der Schwangerschaft“, Nummer 3.

340 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1998, „Allgemei-nes“, Nummer 1.

341 Engl. Amniocentesis (AC).342 Engl. Chorion villi sampling (CVS).343 Siehe C1.3.3.4.2.1 Die Mutterschafts-Richtlinien. 344 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1998, Abschnitt A

“Untersuchungen und Beratungen sowie sonstige Maßnahmenwährend der Schwangerschaft“, Nummer 5.

345 Die bei den einzelnen Ultraschallscreenings zu erhebenden Befundesind in Anlage 1a der Mutterschafts-Richtlinien festgelegt.

346 Vgl. Nippert 1999, S. 66.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 69 – Drucksache 14/9020

Mit den nichtinvasiven Verfahren können zwar Hinweiseauf einzelne oder multiple Fehlbildungen des Fetus ge-wonnen werden, eine Aussage über genetische Disposi-tionen ist damit allerdings nicht möglich. Ergeben sich beider nichtinvasiven Diagnostik Anhaltspunkte für Fehlbil-dungen, so werden zur genaueren Abklärung meistens in-vasive Verfahren angewendet.

1.3.2.2.2 Invasive Techniken

Genetische Dispositionen des Kindes können währendder Schwangerschaft lediglich durch sog. invasive Ver-fahren wie Amniozentese, Chorionzottenbiopsie und Pla-zentabiopsie ermittelt werden. Darüber hinaus könnenvermittels Nabelschnurblutentnahme oder Embryo- bzw.Fetoskopie Befunde erhoben werden. Die dabei gewon-nenen fetalen Zellen können molekulargenetisch aufChromosomenabweichungen und einzelgenetische De-fekte untersucht werden. Die Anzahl der feststellbarenKrankheitsdispositionen steigt. Während der „Catalog ofPrenatally Diagnosed Conditions“ 1992 etwa 600 dia-gnostizierbare Dispositionen aufwies347, waren es in derAusgabe von 1999 bereits ca. 800.

Um das für molekulargenetische Analyseverfahren not-wendige Untersuchungsmaterial des Embryos/Fetus bzw.des Chorions/der Plazenta zu gewinnen, ist ein Eingriff indie körperliche Integrität der Schwangeren notwendig,daher werden die entsprechenden Verfahren als „invasiv“bezeichnet.

Diese Eingriffe sind immer mit einem gesundheitlichen Ri-siko für die Schwangere und das ungeborene Kind sowiemit der Gefahr der Auslösung von Fehlgeburten verbunden.

Für die unter Ultraschallsicht durchgeführte Chorionzot-tenbiopsie (Entnahme von Eihüllgewebe), die heutefrühestens zwischen der 7. und 10. Schwangerschaftswo-che, üblicherweise aber zwischen der 11. und 12. Schwan-gerschaftswoche durchgeführt wird, liegt das Risiko desSchwangerschaftsverlusts bei Zugang durch den Gebär-mutterhals (transzervikale Biopsie) zwischen 2 % und4 %, bei Zugang durch die Bauchdecke (transabdominaleBiopsie) zwischen 1 % und 2 %.348 Die diagnostische Ge-nauigkeit wird mit 97,5 % bis 99,6 %, das Risiko einerVerunreinigung der Probe mit mütterlichen Zellen mit1,9 % bis 3,8 % angegeben.349

Bei der meist zwischen der 15. und 17. Schwangerschafts-woche transabdominal durchgeführten Amniozentese350

werden, ebenfalls unter Ultraschallsicht, nach Punktierungder Fruchtblase 15 bis 20 ml Fruchtwasser gewonnen, inwelchem sich etwa 2 % lebende fetale Zellen befinden. DasRisiko eines Schwangerschaftsverlusts liegt bei der Am-niozentese mit etwa 0,5 % bis 1 % deutlich unter jenem derChorionentnahme. Die diagnostische Genauigkeit liegt bei

99,4 % bis 99,8 %, das Risiko einer Verunreinigung derProbe mit mütterlichen Zellen bei 0,3 % bis 0,5 %.351

An dem so gewonnenen Probenmaterial kann direkt odernach ausreichender Vermehrung in der Gewebekultur undIsolierung der darin enthaltenen DNA nach (einzel-) ge-netischen oder chromosomalen Auffälligkeiten gesuchtoder es können enzymatische Bestimmungen vorgenom-men werden.

Die dafür zur Verfügung stehenden Methoden entspre-chen im Prinzip jenen, die auch bei der PID eingesetztwerden.352 Das Untersuchungsergebnis liegt bei derDNA- oder Chromosomenanalyse (aufgrund der vor derAnalyse notwendigen Anzüchtung in Gewebekultur)meist innerhalb von zwei bis drei Wochen vor.353

1.3.3 Die Entwicklung der pränatalengenetischen Diagnostik

Mit zunehmender Ausdehnung pränataldiagnostischerMaßnahmen hat sich auch die öffentliche Diskussion umihr Potenzial der Verunsicherung schwangerer Frauen undder Selektion genetisch auffälliger Feten verschärft.

„In der PND überschreiten die Absichten und Konse-quenzen genetischer Diagnostik/Testung die Grenzenmedizinischer Prävention hin zur Selektion. Hier wirdnicht Krankheit verhütet, sondern der Träger einer Er-krankung selbst wird nicht zum Leben zugelassen.“354

Ursprünglich sollte die PND nur Frauen mit hohem gene-tischen Risiko zugänglich sein. Darunter wurden zunächstprimäre Chromsomenstörungen verstanden, später kamenStörungen der Neuralrohrentwicklung hinzu.

Da die PND schwierige ethische und – die §§ 218ff. StGBwaren Anfang der 1970er-Jahre noch nicht novelliert –rechtliche Konsequenzen aufwirft, sollte sie anfänglichnur unter folgenden Bedingungen angewendet werdendürfen:355

– Medizinische Indikation (erkennbar erhöhtes geneti-sches Risiko; Altersgrenze für Trisomie 21 bei 38 Jah-ren und älter);

– Einführung der Triade Beratung-PND-Beratung;

– Garantie der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme.356

347 Nippert/Horst 1994, S. 1. 348 Alle hier genannten Risikoangaben stammen aus Schroeder-Kurth

2000, S. 47. Vgl. auch Schmidtke 1997, S. 109ff. 349 Nippert 1999, S. 67.350 Eine Frühamniozentese gibt es bereits zwischen der 12. und

14. Schwangerschaftswoche.

351 Nippert 1999, S. 67.352 Siehe dazu C1.4.1.1.2 Einzelzelldiagnose.353 In sog. Kurzzeitkultur kann bereits nach ein bis drei Tagen ein „vor-

läufiges“ Ergebnis ermittelt werden, nach Nabelschnurpunktion liegtdas Ergebnis spätestens am fünften Tag vor (vgl. Bundesärztekam-mer 1998b).

354 Nippert 2000, S. 130. 355 Dazu ausführlicher Nippert 2001c, S. 293f.356 „Dabei wurde und wird davon ausgegangen, dass ein informiertes

Einverständnis („informed consent“) nur dann erfolgen kann, wenndie Schwangere vor der Untersuchung die relevanten Informationenerhält, die sie in die Lage versetzen, die Möglichkeiten, Grenzen, Ri-siken und Handlungsoptionen der PND zu bewerten und sich füroder gegen die Inanspruchnahme auf Basis ihrer persönlichen Wert-maßstäbe zu entscheiden“ (Nippert 2001c, S. 294).

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Drucksache 14/9020 – 70 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die PND sollte nicht zu einer Routineuntersuchung in derSchwangerenvorsorge werden und mit einer entsprechen-den Beratungsinfrastruktur verknüpft sein, weshalb dieBundesländer und die GKV den Ausbau der humangene-tischen Beratungsstellen zumeist an medizinisch-univer-sitären Einrichtungen finanzierten.

1.3.3.1 Die Etablierung der Versorgungs- undProzessstrukturen

1.3.3.1.1 Das DFG-Schwerpunktprogramm„Pränatale Diagnostik genetischbedingter Defekte“

1970 hatte „eine kleine Gruppe von in universitären Ein-richtungen tätigen Gynäkologen, Zytogenetikern undÄrzten in der Humangenetik“360 erste experimentelle Ver-suche mit pränataler Diagnostik an aus dem Fruchtwassergewonnenen, abgeschilferten fetalen Zellen durchgeführt.

Entscheidend für den Aufbau einer Versorgungsstrukturund für die Qualifizierung der Durchführenden war dieFinanzierung der klinischen Erprobung der Amniozentesedurch ein 1972 von der Deutschen Forschungsgemein-

schaft (DFG) bewilligtes, fast sieben Jahre dauerndesSchwerpunktprogramm „Pränatale Diagnostik genetischbedingter Defekte“:

„Im Rahmen des Programms wurden die verwendetenVerfahren, die damit verbundenen Eingriffsrisiken,z. B. Fehlgeburten, die Diagnosen und ihre Zuverläs-sigkeit, die Entscheidungen nach Diagnosen usw. do-kumentiert und evaluiert (bewertet). Gleichzeitig wur-den mit diesem Programm Qualifikationsmaßnahmender Leistungsanbieter und die erforderliche Personal-ausstattung für das Leitungsangebot finanziert.“361

Insgesamt beteiligten sich daran über 90 Institute undKrankenhäuser. Mehr als 100 Ärztinnen bzw. Ärzte undNaturwissenschaftlerinnen bzw. Naturwissenschaftlerwaren am Ende für die Amniozentese und die zytogeneti-sche Untersuchung fetaler Zellen ausgebildet und mehrals 13 000 Amniozentesen durchgeführt worden.362

1.3.3.1.2 Die Aufnahme der Pränataldiagnostikin den Leistungskatalog dergesetzlichen Krankenkasse

1976 erfolgte die Aufnahme der PND in den Leistungs-katalog der gesetzlichen Krankenkasse (GKV). Damitkonnte PND im Rahmen der allgemeinen ärztlichen

Tabel le 8

Wichtige Ereignisse für Etablierung und Ausbreitung der PND in der Bundesrepublik Deutschland

1970 Amniozentese als erstes invasives Verfahren in Deutschland durchgeführt357

1972 DFG-Schwerpunkt „Pränatale Diagnostik genetisch bedingter Defekte“ (Siebenjähriges Forschungs-programm unter Beteiligung von 90 Instituten, insgesamt 13 000 Amniozentesen durchgeführt)358

1976 Aufnahme der PND in den Leistungskatalog der GKV

1976 Reform § 218 StGB (Abbruch gem. § 218a Abs. 2 Nr. 1 StGB zulässig, falls „dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind( ...) an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheits-zustandes leiden würde, die so schwerwiegt, daß von der Schwangeren eine Fortsetzung der Schwan-gerschaft nicht verlangt werden kann.“ )

1975–1979 Auf- und Ausbau humangenetischer Beratungsstellen und zytogenetischer Labore in mehreren west-deutschen Bundesländern

1979 Zweifache Ultraschallscreening-Untersuchung im Leistungskatalog der GKV

1984 BGH Urteil zur ärztlichen Haftung für vertragswidrig geborene Kinder

1984/1985 Chorionzottenbiopsie eingeführt359

1987/1998 Empfehlungen bzw. Richtlinie der BÄK zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheits-dispositionen

1992 Triple-Test eingeführt

357 Nippert/Horst 1994, S. 1. 358 Nippert/Horst 1994, S. 2. 359 Nippert 2000, S. 135. 360 Nippert 2000, S. 134.

361 Nippert 2001c, S. 293. 362 Nippert/Horst 1994, S. 2.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 71 – Drucksache 14/9020

Schwangerenbetreuung durchgeführt und abgerechnetwerden.363

In den ersten Jahren der Kostenübernahme durch dieKrankenkassen wurden auch gesundheitsökonomischeKosten-Nutzen-Analysen erstellt. In der von Passarge undRüdiger vorgelegten, 1977 mit dem „Hufeland-Preis“ausgezeichneten Arbeit „Genetische Pränataldiagnostikals Aufgabe der Präventivmedizin“ wird im Ergebnisteilder „Kosten-Nutzen-Analyse zur teilweisen Präventionvon Down-Syndrom“ festgestellt:

„(D)urch primäre Pränataldiagnostik bei allen Mütternab 38 Jahren würden in der gesamten BundesrepublikDeutschland die Kosten dieser Untersuchung nur etwa¼ der erforderlichen Aufwendungen zur Pflege derKinder mit Trisomie 21 betragen. In absoluten Zahlenständen Aufwendungen für die Pflege der Kinder vonjährlich rund 61,6 Mill. den Aufwendungen für ihrePrävention in Höhe von rund 13,5 Mill. gegenüber.“364

Eine weitere, 1981 mit dem Gesundheitsökonomiepreisdes Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ausge-zeichnete Arbeit untersucht „Probleme der Erfolgskon-trolle präventivmedizinischer Programme – dargestellt amBeispiel einer Effektivitäts- und Effizienzanalyse geneti-scher Beratung.“365

1.3.3.1.3 Die Reform der §§ 218ff. Strafgesetz-buch von 1976

Mit der Neufassung des § 218a Abs. 2 Nr. 1 wurde derSchwangerschaftsabbruch ermöglicht, falls „dringendeGründe für die Annahme sprechen, daß ein Kind (...) aneiner nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheits-zustandes leiden würde, die so schwerwiegt, daß von derSchwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nichtverlangt werden kann.“366

Für die Anwendung der PND war dies insofern bedeu-tend, als die nahezu einzige Eingriffsoption bei genetischauffälligem Befund in der Möglichkeit bestand, dieSchwangerschaft zu beenden. An diesem medizinischenBefund hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert:

„Die Möglichkeiten der intrauterinen Therapie sindnach wie vor gering, medikamentös kann diese Thera-pie über die Mutter erfolgen. Invasiv ist der Blutaus-tausch beim M. haemolyticus möglich geworden.Operative Versuche bei Harnwegsobstruktionen oderHydrocephalus haben keine überzeugenden Erfolgegebracht.“367

§ 218a Abs. 2 Nr. 1 StGB 1976, die sog. embryopathischeIndikation, wurde mit dem Schwangeren- und Familien-hilfeänderungsgesetz von 1995 aus dem Strafgesetzbuchgestrichen. Nach der Gesetzesbegründung sollte diese In-dikation in der neuformulierten medizinischen Indikationdes § 218a Abs. 2 StGB368 aufgehen. Damit entfiel auchdie für die Straflosigkeit der Vornahme eines Schwanger-schaftsabbruches nach embryopathischer Indikation fest-gelegte 22-Wochen-Frist. Auf die Praxis der Schwanger-schaftsabbrüche nach Pränataldiagnostik hat dieÄnderung der strafrechtlichen Regelung jedoch offenbarkeinerlei einschränkende Wirkung gehabt.369

1.3.3.1.4 Der Auf- und Ausbau human-genetischer Beratungsstellen durch die Bundesländer

Zwischen 1975 und 1979 übernahmen sieben Bundeslän-der den weiteren Ausbau der humangenetischen Bera-tungsstellen und zytogenetischen Labore zumeist an Uni-versitäten, was zur Folge hatte, dass die von der DFGaufgebaute Infrastruktur fortbestehen konnte, denn nie-dergelassene Ärztinnen und Ärzte hätten dies nicht ge-währleisten können.

1994 gab es in Deutschland 84 Einrichtungen, an denengenetische Beratung und/oder Labordiagnostik angebotenwurde. In den alten Bundesländern handelte es sich um

363 Zur ärztlichen Schwangerenbetreuung siehe auch C1.3.3.4.2.1 DieMutterschafts-Richtlinien und C1.3.3.4.6 Die „Richtlinien zur prä-natalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen“der Bundesärztekammer von 1998.

364 Passarge/Rüdiger 1979, S. 23. 365 Von Stackelberg 1980.366 Bis zu dieser Neufassung des § 218a StGB war die Abtötung der Lei-

besfrucht einer Schwangeren nach § 218 StGB in der früheren Bun-desrepublik Deutschland ausnahmslos unter Strafe gestellt. Aller-dings wurde seit einer Entscheidung des Reichsgerichts im Jahr 1927von der Rechtsprechung im Falle der sog. medizinischen Indikationder Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstands nach denGrundsätzen der Pflichten- und Güterabwägung anerkannt. Danachentfiel die Rechtswidrigkeit einer Tat bei einer ernsten, auf andereWeise nicht abwendbaren Gefahr für das Leben oder die Gesundheitder Schwangeren, sofern der Eingriff von einem Arzt mit Einwilli-gung der Schwangeren nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorge-nommen wurde. Durch § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung erb-kranken Nachwuchses vom 25. Juli 1933 in der Fassung desÄnderungsgesetzes vom 26. Juli 1935 wurden diese Voraussetzun-gen für die aus medizinischen Gründen zulässige Schwangerschafts-beendigung gesetzlich festgelegt. Die Vorschrift galt nach 1945 in einigen Bundesländern als Landesrecht fort. In den anderen Bundes-ländern, in denen das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuch-ses wegen seines nationalsozialistischen Inhaltes aufgehoben wor-den war, waren die darin aufgeführten Voraussetzungen nach einem

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15. Januar 1952 (BGHSt 2,S. 111) als Mindestvoraussetzungen für die Zulässigkeit des Schwan-gerschaftsabbruchs nach den Grundsätzen des übergesetzlichen Not-standes zu beachten.

367 Bundesärztekammer 2000b.368 § 218a Abs. 2 in der seit 1.10.1995 geltenden Fassung lautet: „Der

mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommeneSchwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruchder Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen undzukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Er-kenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahreiner schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder see-lischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, unddie Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewen-det werden kann.“

369 Obwohl es in der Gesetzesbegründung (Beschlußempfehlung undBericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend1995, Zu § 218a Abs. 2 und 3, S. 26) heißt, „daß eine Behinderungniemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann“. ZurKritik an der Gesetzesnovelle von 1995 vgl. Beckmann 1998a,S. 155ff.

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Drucksache 14/9020 – 72 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

27 humangenetische Universitätsinstitute, die sowohl ge-netische Beratungen als auch Laboruntersuchungen anbo-ten. Dazu kamen mindestens acht weitere Institute an Ge-sundheitsämtern oder städtischen Kliniken sowie über30 private niedergelassene Ärztinnen bzw. Ärzte/Labore,die pränatale Diagnostik anboten.370

In den neuen Bundesländern gab es zur gleichen Zeit ins-gesamt 19 Einrichtungen, die genetische Beratung undzytogenetische Diagnostik anboten. Neun Institute warenan Universitäten angesiedelt.371

1997 waren es 106 Einrichtungen, 45 davon an Univer-sitäten, Krankenhäusern oder Gesundheitsämtern und61 private niedergelassene Ärztinnen oder Ärzte bzw. La-bore, die genetische Beratungen und/oder pränatale Dia-gnostiken und/oder zytogenetische Untersuchungen an-boten.372

1.3.3.2 Konzeptionelle Erwägungen bei derEinführung der Pränataldiagnostik und deren Weiterentwicklung

„Die frühe Infrastruktur war vorrangig durch die An-bindung der pränatalen Diagnose an interdisziplinärarbeitende Universitätsinstitute und durch die Verbin-dung von PND mit eingehender genetischer Beratungvor der Diagnose und eingehender Beratung nachpositivem Befund gekennzeichnet.“373

Einvernehmen bestand unter Gynäkologinnen bzw.Gynäkologen und Humangenetikerinnen bzw. Human-genetikern darüber, dass die neuen Möglichkeiten derChromosomendiagnostik in die vorgeburtlichen Unter-suchungen einbezogen werden sollten. Dies galtzunächst insbesondere für die Identifizierung von Fetenmit der sog. Trisomie 21.374 Trisomie 21 wird im Ver-gleich zu anderen Chromosomenstörungen relativ häu-fig beobachtet und die Risikogruppe ist leicht identifi-zierbar.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung kam es zu einerAusdehnung der Anwendung der diagnostischen Mög-lichkeiten auf andere numerische, aber auch strukturelleChromosomenstörungen.375

1.3.3.3 Die Ausweitung der Indikationen für pränatale Diagnostik

Bei den ersten medizinischen Indikationen für PNDwurde das eingriffsbedingte Risiko376 (Fehlgeburt, Infek-tion der Mutter) mit dem Risiko, ein betroffenes Kind zuerwarten, in Relation gesetzt.

Die Indikationen selbst unterlagen einer stetigen Fortent-wicklung. Im Vergleich zum Beginn der PND Anfang der1970er-Jahre ließen sich bereits in der ersten Hälfte der1990er-Jahre folgende Indikationen nachweisen377:

– Erhöhtes Risiko für eine kindliche Chromosomen-störung bei erhöhtem mütterlichen Alter oder vorheri-gem Kind mit Chromosomenstörung oder familiär be-dingter Chromosomenstörung (Altersrisiko);

– Erhöhtes Risiko für X-chromosomal gebundene erbli-che Erkrankungen;

– Erhöhtes Risiko für Neuralrohrverschlussstörungen(bei Amniozentese);

– Erhöhtes Risiko für erkennbare Stoffwechselstörun-gen, Hämoglobinopathien oder sonstige erkennbaremonogen bedingte Erkrankungen.

Besonders markant ist die Tatsache, dass die bei der Eta-blierung der PND festgelegte Altersgrenze für das Risikovon Chromosomenstörungen bei erhöhtem mütterlichenAlter von zunächst 38 Jahren378 vom WissenschaftlichenBeirat der Bundesärztekammer in seinen „Empfehlungenzur pränatalen Diagnostik“ aufgegeben und stattdessenauf 35 Jahre gesenkt wurde.379

In der überarbeiteten Fortschreibung der Empfehlungenvon 1987, den derzeit gültigen „Richtlinien der Bundes-ärztekammer zur pränatalen Diagnostik von Krankheitenund Krankheitsdispositionen“ von 1998, wird auch dieAltersgrenze von 35 Jahren aufgegeben:

„Die strenge Einhaltung einer unteren Altersgrenze derSchwangeren als definierte medizinische Indikationzur invasiven pränatalen Diagnostik, die auf das al-tersabhängige Risiko der Mütter für Chromosomen-anomalien des Kindes abhob, wurde inzwischen ver-lassen.“380

Allerdings geht die Aufweichung der Altersindikation fürPND auf eine Entwicklung seit den 1980er-Jahren zurück,als im Wege der sog. „psychologischen Indikation“ sol-chen Frauen PND zugänglich gemacht wurde, die sowohljünger als 35 Jahre gewesen sind als auch kein erkennbar

370 Nippert/Horst 1994, S. 7.371 Nippert/Horst 1994, S. 143.372 Vgl. Schmidtke 1997, S. 327ff, Verzeichnis von genetischen Bera-

tungseinrichtungen in Deutschland. 373 Nippert/Horst 1994, S. 3. 374 Nach Nippert/Horst 1994 bzw. Nippert 2001 wurde dies damit be-

gründet, dass die Trisomie 21, eine numerische Chromosomen-störung, bei welcher das Chromosom 21 dreifach vorliegt, relativhäufig vorkomme, das Risiko in Abhängigkeit vom Alter der Mutterstehe und es sich um eine schwerwiegende, nicht behebbare Beein-trächtigung das Kindes handle. Die infrage kommende Risikogruppe(38-jährige und älter) sei zudem leicht identifizierbar. Vgl. Nippert2001, S. 294.

375 Unter strukturellen Chromosomenfehlern versteht man Verluste oderZugaben von Chromosomenabschnitten durch Strangbrüche, Trans-lokationen etc.

376 Vgl. dazu C1.3.2.2.2 Invasive Techniken.377 Nippert/Horst 1994, S. 3f. Die Autoren sprechen in diesem Zusam-

menhang von der Entwicklung eines „Indikationskatalogs“, der 1994die im Text genannten „Anwendungsbereiche der invasiven PND(...) definiert.“ Von wem diese Definition vorgenommen wurde,bleibt jedoch offen.

378 Vgl. Nippert 2001c, S. 294.379 Bundesärztekammer 1987.380 Bundesärztekammer 1998c.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 73 – Drucksache 14/9020

erhöhtes Risiko für kindliche Chromosomenstörungenhatten.381

Das Alter als Indikationsmaßstab wurde damit tendenzi-ell durch die Ermittlung spezifischer Risiken ersetzt.

Heute verteilen sich die Indikationen wie folgt382:

– Altersindikation (Frauen ab 35) 78 %;

– psychologische383 Indikation (Angst vor einem behinderten Kind) 18 %;

– Auffälliger Befund nach Ultraschall oder Triple-Test: 4 %.

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 3 % aller Indi-kationen auf ein nachgewiesenes „familiäres Risiko“zurückgehen. In etwa 2 % der Fälle ist die PND dadurchangezeigt, dass in der Familie ein Kind mit einer Chro-mosomenauffälligkeit geboren wurde.384

1.3.3.4 Weitere Faktoren für die Entwicklungder Pränataldiagnostik hin zu einemRoutineverfahren zur Abklärunggenetischer Risiken für alleSchwangeren

Die PND nahm ihren Anfang in universitären, interdiszi-plinär besetzten, spezialisierten Instituten und breitetesich allmählich in die reguläre gynäkologische Praxis aus.

Für die gesteigerte Inanspruchnahme von PND im Rah-men der ärztlichen Schwangerenbetreuung spielen ver-schiedene Faktoren eine Rolle, auf die hier eingegangenwerden soll.

Es können sowohl angebotssteigernde Faktoren als auchdie Nachfrage seitens der Frauen beeinflussende Ereig-nisse identifiziert werden, wobei bei letzteren zwischenPrimärnachfrage und angebotsinduzierter Nachfrage zuunterscheiden ist.

1.3.3.4.1 Das Urteil des Bundesgerichtshofeszur ärztlichen Haftung von 1983

Als entscheidendes Signal für die Ausweitung der PNDsollte sich eine 1983 vom Bundesgerichtshof (BGH) er-gangene Entscheidung herausstellen, nach der ein Arzt ei-nen Pflichtverstoß begeht, wenn er eine Schwangere miteinem erhöhten Risiko nicht auf die Möglichkeit derFruchtwasseruntersuchung zum Ausschluss einer Triso-mie 21 hinweist.

In seinem Urteil stellte der BGH fest:

„1. Auch die falsche oder unvollständige Beratung derMutter während der Frühschwangerschaft über Mög-lichkeiten zur Früherkennung von Schädigungen derLeibesfrucht, die den Wunsch der Mutter auf Unter-brechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätten,kann einen Anspruch der Eltern gegen den Arzt auf Er-satz von Unterhaltsaufwendungen für das mit körper-lichen oder geistigen Behinderungen geborene Kindbegründen.

2. Die Beweislast dafür, daß die Mutter nach umfas-sender und richtiger Beratung sich nicht für eine prä-natale Untersuchung der Leibesfrucht auf etwaigeSchädigungen und sich nach einem etwaigen ungüns-tigen Ergebnis nicht für den Abbruch entschiedenhätte, obliegt dem Arzt.

3. Der Arzt hat den gesamten Unterhaltsbedarf für dasgeschädigte Kind zu ersetzen; der Ersatzanspruch be-steht jedoch dann nicht, wenn sich die Gefahr einernicht behebbaren, schwerwiegenden Schädigung desKindes, die der Mutter nach strafrechtlichen Grund-sätzen einen Schwangerschaftsabbruch erlaubt hätte,nicht verwirklicht hat.“385

Die betroffene Frau hatte bereits zwei gesunde Kinder ge-boren und war im Jahr 1977, fast 39-jährig, mit dem drit-

Tabel le 9

Anwendung der invasiven PND in derBundesrepublik Deutschland

Jahr Zahl der durchgeführten PND

1970 6 Amniozentesen

1971 16 Amniozentesen

1972 49 Amniozentesen

1973 112 Amniozentesen

1974 308 Amniozentesen

1975 893 Amniozentesen

1976 1 796 Amniozentesen

1977 2 648 Amniozentesen

1987 33 535 Amniozentesen und 3 100 Cho-rionzottenbiopsien

1995 61 794 Amniozentesen/Chorionzotten-biopsien (Alte Bundesländer)

Quelle: Nippert 2001, S. 135 sowie Nippert/Horst 1994, S. 2

381 Nippert/Horst 1994 verweisen in diesem Zusammenhang auf eine in-tensive Diskussion unter Humangenetikerinnen und Humangeneti-kern (S. 4).

382 Kirchner-Asbrock, 2001, S. 1f.383 In der Literatur ist auch der Begriff „psychisch“ zu finden.384 Hennen et al. 2001, S. 72. Mithin werden etwa 5 % aller durchge-

führten PND aufgrund einer sog. „Hochrisiko“-Situation der Elternvorgenommen. 385 BGH, Urteil vom 22. November 1983, BGHZ 89, S. 95–107.

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Drucksache 14/9020 – 74 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

ten Kind schwanger. In der 14. Schwangerschaftswochehatte sie den sie betreuenden Facharzt gefragt, „ob imHinblick auf ihr Alter die Gefahr bestehe, daß sie ein mon-goloides Kind bekäme, und ob deswegen eine Fruchtwas-seruntersuchung (Amniozentese) angezeigt sei. Der Bekl.[Arzt] antwortete ihr unter Hinweis auf ihre beiden ge-sunden Kinder, möglicherweise auch auf das Fehlen vonErbkrankheiten, er halte das nicht (oder ‚nicht unbedingt‘)für erforderlich. Die Parteien haben dann über das Themanicht mehr miteinander gesprochen.“386

Der Frau wurde Anspruch auf Schadensersatz zuerkannt.Die Gynäkologinnen und Gynäkologen reagierten, indemsie nachweislich häufiger auf die Möglichkeiten der PNDohne Berücksichtigung bestehender Indikationen hinwie-sen und sich den Hinweis schriftlich bestätigen ließen.

„In dem Zeitraum, in dem das Verfahren durch die In-stanzen lief, und nach der Rechtsprechung verdop-pelte sich die Anzahl der durchgeführten PND. Damitwurde invasive PND defensiv als Leistung zur Ver-meidung von Schadensersatzansprüchen, ausgelöstdurch die Geburt eines Kindes mit Trisomie 21, ausder Situation der Ärzte angeboten.“387

Mit dem dargestellten Urteil nahm die höchstrichterlicheRechtsprechung zum sog. „Kind-als-Schaden“ (wrongfulbirth) im Rahmen eines ärztlichen Beratungs- oder Be-handlungsvertrages ihren Anfang. Die Folgen dieserRechtsprechung, insbesondere die damit einhergehendenGrundrechtsgefährdungen (betroffen ist das Recht aufSchutz vor Diskriminierungen und das Lebensrecht desKindes (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 2 Abs. 2 GG), soll-ten Anlass für eine grundlegende Überprüfung durch denGesetzgeber sein (vgl. C1.3.3.5 Kind als Schaden).

1.3.3.4.2 Die Vergütung der Pränataldiagnostikdurch die gesetzliche Kranken-versicherung

1975 wurde die Pränataldiagnostik in den Leistungska-talog der GKV aufgenommen. Im Jahr danach wurden1 796 pränatale gendiagnostische Untersuchungen durch-geführt, anschließend stiegen die Zahlen für PND in West-deutschland kontinuierlich auf 36 000 (1986), 40 000(1991) und 60 000 (1995).388

1986 wurde die Vergütung der Labordiagnostik nachAmniozentese durch die gesetzlichen Krankenkassenverbessert, wodurch deren Durchführung in der gynäko-logischen Praxis im Verbund mit freien Analyselaborenfinanziell attraktiver wurde. Allein zwischen 1991 bis1995 ist eine Steigerungsrate der durchgeführten Maß-nahmen von 44,4 % auf insgesamt 32,7 Millionen DMfestzustellen. Auch wurden 1991 erst 56 % der Leistun-gen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten er-

bracht, während es 1995 71,8 % waren. Mit diesem An-stieg der Leistungen der Niedergelassenen ist zugleicheine Erweiterung des Leistungsspektrums verbunden.Kontinuierlich wurden somit die Leistungen aus denuniversitären Einrichtungen in die ärztliche Praxis ver-lagert.389

Bezogen auf 1 000 Lebendgeburten wurden nach Feuer-stein390 1990 49,6 Chromosomenuntersuchungen nachAmniozentese bzw. Chorionzottenbiopsie durchgeführt,1993 waren es 78,8 und im Jahr 1996 85,7. Mit einemweiteren Anstieg der Untersuchungsfrequenz im Jahr1998 auf 95,7 hat sich die Inanspruchnahme der Pränatal-diagnostik innerhalb von zehn Jahren nahezu verdoppelt,so dass 1998 annähernd in jeder zehnten Schwangerschafteine invasive Untersuchung des Ungeborenen vorgenom-men wurde. Auf alle 785 034 Lebendgeburten des Jahres1998 bezogen, wurden demnach 75 255 fetale Chromoso-menanalysen durchgeführt.

PND als integraler Bestandteil der ärztlichen Leistun-gen im Rahmen der Schwangerenvorsorge

In der Bundesrepublik erfolgte die Entwicklung eines definitiven Katalogs über die medizinische Betreuung vonSchwangeren schrittweise, nachdem eine Änderung derReichsversicherungsordnung (RVO) 1965 den Rechtsan-spruch der schwangeren Versicherten auf ärztliche Betreu-ung während der Schwangerschaft und nach der Entbin-dung festgeschrieben hatte. Zur Verbesserung derSchwangerenvorsorge trugen seit 1966 das Mutterschutz-gesetz und die gesetzliche Verankerung der Schwangeren-vorsorge im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V)bei. Die 1966 erstmals vom Bundesausschuss der Ärzteund Krankenkassen erarbeiteten „Mutterschafts-Richtli-nien“ sind die Grundlage des seit 1968 nach ärztlicherFeststellung einer Schwangerschaft für jede Frau ausge-stellten „Mutterpasses“.

1.3.3.4.2.1 Die Mutterschafts-RichtlinienDie 1966 erlassenen391 „Richtlinien des Bundesausschus-ses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Be-treuung während der Schwangerschaft und nach der Ent-bindung“, die sog. Mutterschafts-Richtlinien, sind seitdem 27. Januar 1999 in der am 23. Oktober 1998 geän-derten Fassung gültig.

Sie sollen der „Sicherung einer nach den Regeln der ärzt-lichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemeinanerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse aus-reichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen ärztli-chen Betreuung der Versicherten während der Schwan-gerschaft und nach der Entbindung“392 dienen.

386 BGHZ 89, S. 95ff. Zu weiteren gerichtlichen Entscheidungen überHaftungsrecht und Pränataldiagnostik siehe auch Franzki 1999.

387 Nippert 2001c, S. 295.388 Vgl. zu den Zahlen Nippert 2001c, S. 294 und 305.

389 Vgl. dazu Nippert 2000, S. 135. 390 Zu den Zahlenangaben siehe Feuerstein et al. (im Erscheinen), S. 49.391 Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V i.V. m. § 196 RVO bzw. § 23

KVLG.392 Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1998, Vorbemer-

kung.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 75 – Drucksache 14/9020

Tabel le 10

Verordnungszahlen ausgewählter Leistungen im Bereich der pränatalen Diagnostik. Ziffer 112: Amniozentese. Verordnungen durch GKV-Vertragsärzte von 1990 bis 1998,

alte (West) und neue (Ost) Bundesländer, Primär- und Ersatzkassen

Jahr Primär- kassen West

Sekundär- Kassen West

Summe West

Primär- Kassen

Ost

Sekundär- Kassen

Ost

Summe Ost

Summe West+ Ost

Ziffer 112: Amniozentese

1990 12 593 15 505 28 098 28 098

1991 14 009 18 076 32 085 32 085

1992 15 550 21 103 36 653 36 653

1993 17 627 24 624 42 251 42 251

1994 18 449 27 734 46 183 46 183

1995 19 951 29 845 49 796 49 796

1996 22 121 32 318 54 439 1 773 1 974 3 747 58 186

1997 23 555 34 695 58 250 2 053 2 364 4 417 62 667

1998 24 286 33 825 58 111 1 964 2 344 4 308 62 641

Quelle: Feuerstein et al. (im Erscheinen), S. 46

Tabel le 11

Abrechenbare Leistungen im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik (EBM 1999)

GO-Ziffer Bereich/Leistung Punktwert (Juli 1999)

Grundleistungen, Prävention: Mutterschaftsvorsorge

112 Fruchtwasserentnahme durch Amniozentese unter Ultraschall 600

115 Chromosomenanalyse aus den Amnionzellen oder Chorionzotten, mit Analyse von mindestens zwei und Auswertung von mindestens einer Kultur. Die Leistung nach 115 ist je Material nur einmal berechnungsfähig.

8 000

121 Transzervikale Gewinnung von Chorionzottengewebe oder transabdominale Ge-winnung von Plazentagewebe, unter Ultraschallsicht.

1 000

Quelle: Feuerstein et al. (im Erscheinen), S. 46

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Drucksache 14/9020 – 76 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die ärztliche Betreuung der Schwangeren gemäß Mutter-schafts-Richtlinien umfasst folgende Maßnahmen:

– Untersuchungen und Beratungen während derSchwangerschaft;

– Frühzeitige Erkennung und besondere Überwachungvon Risikoschwangerschaften;

– Als Risikoschwangerschaften werden solche Schwan-gerschaften bezeichnet, bei denen eine erhöhte Ge-fährdung der Mutter und/oder des Kindes besteht.393

Zu den Risikofaktoren zählen familiäre Gründe394,persönliche Gründe395 und der Verlauf der Schwan-gerschaft bzw. der Geburtszeitpunkt.

– Bei Risikoschwangerschaften können die regelmä-ßigen Untersuchungen in kürzeren als den vorgesehe-nen Abständen und darüber hinaus weitere Unter-suchungen nötig werden. Dazu zählen spezifische Ultraschalluntersuchungen, Fruchtwasserspiegelung(Amnioskopie), Fruchtwasseruntersuchung nach Amniozentese, Chorionzottenbiopsie, apparative Auf-zeichnung der Wehentätigkeit (Tokographie) sowieder kindlichen Herzfrequenz während der Geburt(Kardiotokographie);

– Serologische Untersuchungen (d. h. die Bestimmungspezifischer Antikörperspiegel im Serum) auf Infek-tionen;

– Blutgruppenserologische Untersuchungen nach Ge-burt oder Fehlgeburt sowie Anti-D-Immunglobulin-Prophylaxe;

– Untersuchungen und Beratung der Wöchnerin;

– Medikamentöse Maßnahmen und Verordnungen vonVerbands- und Heilmitteln;

– Aufzeichnungen und Bescheinigungen.

Drei Ultraschalluntersuchungen („Ultraschallscree-nings“) sind obligatorische Leistungen der ärztlichenSchwangerschaftsvorsorge für alle Schwangeren. Sie sindan keine Indikation gebunden. Alle weiterführenden sonographischen Untersuchungen, die Fruchtwasserun-tersuchung und die Chorionzottenbiopsie sind indikati-onsgebunden (nach Feststellung einer Risikoschwanger-schaft).

Insofern man dieses Ultraschallscreening bereits als Be-standteil oder „Einstieg“ in die PND bewertet, können dieAbrechnungsmodalitäten der Ärztin bzw. des Arztes mitder Krankenkasse zu einer Kollision mit den Interessender Schwangeren führen: Da alle drei Untersuchungen als

pauschale Leistung abzurechnen sind396, wird die auch imAnwendungsbereich der Mutterschafts-Richtlinien beste-hende Entscheidungsfreiheit der Schwangeren darüber,welche ärztlichen Leistungen sie in Anspruch nehmen willund welche nicht397, faktisch erheblich eingeschränkt.

Der Arzt und die Ärztin kann nämlich, wenn nicht alle inden Mutterschafts-Richtlinien vorgesehenen Leistungenerbracht worden sind, etwa weil die Schwangere eine Ul-traschalluntersuchung abgelehnt hatte, eine Abrechnungdann nur nach den verbleibenden einzelnen Gebühren-nummern vornehmen, was für den Arzt/die Ärztin in derRegel ungünstiger ist. Diese Situation bewirkt in der Pra-xis eine erhebliche Verunsicherung über die einzelnenRechte und Pflichten des Arztes/der Ärztin und derSchwangeren unter der Anwendung der Mutterschafts-Richtlinien und der dazu bestehenden Abrechnungsrege-lungen. Eine Klarstellung in den Mutterschafts-Richtli-nien selbst könnte dem entgegenwirken.

1.3.3.4.2.2 Der Mutterpass1968 wurde der zwischenzeitlich mehrfach veränderte„Mutterpass“ in der Bundesrepublik Deutschland einge-führt.398 Es handelt sich dabei um ein bundesweit einheit-liches, zwölfseitiges Dokument, in welchem nach Fest-stellung der Schwangerschaft alle im Verlauf derärztlichen Schwangerenbegleitung gewonnenen Informa-tionen, die in den oben dargestellten „Mutterschafts-Richt-linien“ festgelegt worden sind, dokumentiert werden.

Über die Dokumentation der verschiedenen Untersu-chungsergebnisse hinaus enthält der Mutterpass keine all-gemeinverständlichen Informationen zur Schwangeren-begleitung im Allgemeinen oder zur PND im Besonderen.

Als Informationsmedium für die Schwangere ist der Mut-terpass weitgehend wirkungslos. Weder werden die ver-

393 Vgl. die Definition in Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkas-sen 1998.

394 Dazu zählen Erkrankungen, genetische Risiken, Infektionsrisiken.395 Dazu zählen z.B. das Alter der Schwangeren (jünger als 18, älter als

35 Jahre), Infektionsrisiken, genetische Risiken, Komplikationen invorhergegangenen Schwangerschaften, Lebensgewohnheiten wieAlkoholkonsum, das Rauchen, andere Drogen.

396 Als verbindliche Abrechnungsgrundlage für ärztliche Leistungen mitder gesetzlichen Krankenkasse fungiert gemäß § 87 Abs. 1 des Sozi-algesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) der sog. „Einheitliche Be-wertungsmaßstab“ (EBM) der Kassenärztlichen Bundesvereini-gung. Gemäß der Fassung des EBM vom 1. Oktober 2001, Kapitel BIX. Ziffer 1. (Kap. B. IX :“Prävention nach den Richtlinien des Bun-desausschusses der Ärzte und Krankenkassen“; Ziffer 1. „Mutter-schaftsvorsorge“) werden unter der Abrechnungsziffer 100 folgendeLeistungen abgegolten: „Betreuung einer Schwangeren gemäß denRichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassenüber die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft, einschl.Ultraschallüberwachung mit Bilddokumentatio(en), einschl. Doku-mentation, einmal im Behandlungsfall. Die nach den Mutterschafts-Richtlinien durchzuführenden Beratungen und Untersuchungen sindmit der Berechnung der Nr. 100 quartalsbezogen abgegolten (...)“(http://www.kbv.de/publikationen/764.htm) (Stand 27.3.2002). Vgl.dazu die mündliche Mitteilung von Dr. Claudia Schumann im Rah-men der nichtöffentlichen Anhörung vom 18. Juni 2001: „Wenn eineSchwangere kein US [Ultraschallscreening] wünscht, darf der Kas-senarzt die Ziffer 100, die Pauschale für die Betreuung in derSchwangerschaft, nicht abrechnen, da dann die Leistung nicht voll-ständig erbracht wurde.“

397 Siehe das im Auftrag des Netzwerkes gegen Selektion durch Präna-taldiagnostik erstellte Gutachten von Francke/Regenbogen 2001.

398 Zur überarbeiteten Auflage von 1996 siehe Kassenärztliche Bundes-vereinigung 1996.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 77 – Drucksache 14/9020

schiedenen Untersuchungen bzw. Abkürzungen erläutert,noch erfolgt darin ein Hinweis auf die Möglichkeit, eineHebamme mit der Schwangerschaftsbegleitung zu beauf-tragen (und durch die GKV abzurechnen) oder auf dieverschiedenen Möglichkeiten der Beratung.

1.3.3.4.3 Die Empfehlungen der Bundesärzte-kammer von 1987

Elf Jahre nach der Etablierung der PND als kassenärztli-cher Leistung veröffentlichte der Wissenschaftliche Beiratder Bundesärztekammer (BÄK) 1987399 erstmals „Emp-fehlungen zur pränatalen Diagnostik“400, in denen aus-drücklich die Trias aus Beratung vor PND, PND und Beratung nach PND vorgesehen wurde und „deren Schwer-punkt zum damaligen Zeitpunkt in der Erfassung vonChromosomenaberrationen, angeborenen Stoffwechsel-störungen und Neuralrohrdefekten lag“401. Die Altersgren-ze wurde mit 35 Jahren angegeben.

Obwohl das Junktim aus Beratung vor und nach PND vonvielen Seiten immer wieder gefordert wurde402, öffnetesich die Schere zwischen der von immer mehr niederge-lassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen im Verbundmit privaten Labors angebotenen und durchgeführtenPND und vorher erfolgter Beratung immer weiter. Diese„allein zu Lasten der schwangeren Frauen“403 gehendeEntwicklung lässt sich daran ablesen, dass die Anzahl derin Westdeutschland durchgeführten Pränataldiagnostikenzwischen 1991 und 1995 von 40 000 auf 60 000 Untersu-chungen angestiegen ist, während die Anzahl der geneti-schen Beratungen im gleichen Zeitraum lediglich von17 000 auf 21 000 gewachsen ist.404

1.3.3.4.4 Gesteigerte Nachfrage durchSchwangere: Die „psychologischeIndikation“

Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde die PND vor allemvon gut ausgebildeten Frauen der oberen Mittelschichtund Oberschicht in Anspruch genommen, die üblicher-weise gut über die Verfügbarkeit der PND informiert waren.

Zu dieser Zeit entstand aufgrund des Nachfragedrucksinsbesondere von jüngeren Frauen aus diesen Schichtendie sog. psychologische Indikation, welche die beste-hende Grenze für die Altersindikation aufweichte. Diese

Indikation wurde immer dann gewählt, wenn kein dasEingriffsrisko der invasiven PND rechtfertigendes erhöh-tes Risiko für ein Kind mit einer Chromosomenstörung zuerkennen war, die Schwangere aber dennoch auf einemTest bestand.

„Die ‚psychologische Indikation‘ hielt unangefochtenbis zur Einführung des Triple-Tests im Jahr 1992 denzweiten Platz unter den Indikationen, aufgrund derereine PND durchgeführt wurde. 10 bis 15 % aller PND-Leistungen wurden aufgrund dieser Nachfrage durch-geführt. (...) Die Anpassung der Indikation zur PND andie Nachfrage unterminierte im gewissen Sinn dasKonzept der medizinischen Indikation, das sich an derHöhe des Risikos orientierte.“405

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern (Frank-reich, Großbritannien, Niederlande), die den Zugang zuPND über strikte Indikationenkataloge begrenzen, ist dieAusweitung der „psychologischen Indikation“ in Deutsch-land höher. Nippert führt dieses Phänomen darauf zurück,dass eine solche Primärnachfrage nach PND durch dasdeutsche Gesundheitssystem ermöglicht worden sei, in-dem sie von der GKV finanziert wurde und im Interesseder Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbieter, insbe-sondere niedergelassener Gynäkologinnen und Gynäkolo-gen, gelegen habe.406 Die in europäischen Nachbarstaatenvollzogene strikte Begrenzung des Indikationenkatalogsfür PND basiert auf Leistungsvoraussetzungen, diegrundsätzlich mit den deutschen nicht vergleichbar sind.In Deutschland besteht ein bürgerrechtlich-freiheitliches,staatlichen Eingriffen entzogenes Arzt-Patient-Verhältnis.Im SGB V werden keine Indikationenkataloge festgelegt.Der Staat kann unerwünschte Fehlallokationen nur übermittelbar wirkende Steuerungselemente, nicht jedochdurch Verbote verhindern. Dem Grundsatz folgend, dassnur die ärztliche Indikation zur medizinischen Interven-tion im Rahmen des ärztlichen Behandlungsauftrageseine Finanzierungspflicht der Leistung seitens der gesetz-lichen Krankenkassen auslöst, müssen die Empfehlungenfür eine medizinisch-ethisch vertretbare Indikationenbe-grenzung im Rahmen der Gesundheitsstrukturpolitik ein-gelöst und eine Befassung durch den Gesundheitsaus-schuss veranlasst werden.

1.3.3.4.5 Erweitertes Angebot – induzierteNachfrage: Ultraschall, Triple-Test und die Folgen

War das Angebot von PND durch niedergelassene Gynä-kologinnen und Gynäkologen in der Folge der haftungs-rechtlichen Entscheidung des BGH von 1984 vornehm-lich aus „defensiven“ Erwägungen vergrößert worden, sohaben in der Zwischenzeit technische Entwicklungen zueiner vermehrten Inanspruchnahme von pränataler gene-tischer Diagnostik geführt.

399 Im Jahr 1987 wurden über 33 000 Amniozentesen und über3 000 Chorionbiopsien in Westdeutschland durchgeführt.

400 Bundesärztekammer 1987.401 Bundesärztekammer 2000b.402 So etwa neben der Bundesärztekammer auch von der Enquete-Kom-

mission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des DeutschenBundestages 1987, vom Berufsverband Medizinische Genetik 1990,im gleichen Jahr von der Bund-Länder Arbeitsgruppe Genomanalyseund vom Bundesminister für Forschung und Technologie 1991. Vgl.Nippert/Horst 1994, S. 5f.

403 Nippert/Horst 1994, S. 6.404 Vgl. zu den Zahlen Nippert 2001c, S. 294 und S. 305.

405 Nippert 2001c, S. 295. Dort auch weiterführende Quellenangaben zudiesem Aspekt.

406 Nippert 2001c, S. 295. Dort auch Kosten-Nutzen-Erwägungen zuPND in verschiedenen Gesundheitssystemen.

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Drucksache 14/9020 – 78 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

In den 1990er-Jahren wurden die Möglichkeiten nichtin-vasiver Risikospezifizierung für kindliche (chromosomalbedingte) Entwicklungsstörungen durch die schrittweiseVerbesserung des – zwischenzeitlich zur Kassenleistunggewordenen – bildgebenden Routine-Ultraschalls unddurch die Einführung von Testverfahren, die biochemi-sche Merkmale im mütterlichen Blut bestimmen, ent-scheidend ausgeweitet.

Durch die verbesserte Ultraschall-Untersuchung wurde esnicht nur möglich, das genaue Schwangerschaftsalter undeventuell Zwillinge festzustellen, sondern auch Auffällig-keiten der Organe, der Körperform oder der Größen-Entwicklung zu entdecken. In der 11. bis 14. Schwan-gerschaftswoche wird die sog. „Nackentransparenz“407

gemessen. Eine Nackenfalten-Dicke über 3 mm ist engmit einem erhöhten Risiko für Trisomie 21 assoziiert undhat meist invasive PND zur Folge.

Der sog. Triple-Test wird seit 1992 „ohne vorhergehendePrüfung der Reliabilität (Zuverlässigkeit) im Sinne derWiederholbarkeit des Tests mit identischem Ergebnis undValidität (Gültigkeit) der angewendeten Messverfahrenund gegen die Empfehlungen der wissenschaftlichenFachgesellschaften“408 in der ärztlichen Schwangerenvor-sorge eingesetzt.

Im Prinzip werden beim Triple-Test zwischen der 14. undder 16. Schwangerschaftswoche drei Merkmale im müt-terlichen Blut bestimmt, aus deren Konzentrationen manvermittels eines Computerprogramms, das weitere Varia-blen berücksichtigt (mütterliches Alter, Schwanger-schaftsdauer, etc.), ein individuelles Risiko für einen kind-lichen Chromosomenfehler errechnet.409 Die Höhe deserrechneten Wertes soll der Frau als Entscheidungskrite-

rium für oder gegen invasive Eingriffe zur exakten präna-talen Chromosomendiagnostik dienen.

Tatsächlich erfolgt(e) die Durchführung des Tests häufigohne vorherige Information der Schwangeren, der Testführt häufig zu falsch-positiven Ergebnissen410 (d. h. einRisiko, das gar nicht vorhanden ist, wird angezeigt unddie Schwangere dadurch verunsichert) – und zum Einsatzinvasiver Verfahren:

„In den beiden ersten Jahren, in denen der Triple-Test‚auf dem Markt‘ war, stieg die Nachfrage in den altenBundesländern nach invasiver Diagnostik um mehrals 33 % an. (...) Die vorzeitige Einführung ohne klini-sche Erprobungsphase und die exzessive Ausweitungdieses Tests in der medizinischen Praxis ist eindeutignicht auf ein Nachfrageverhalten von Schwangerenzurückzuführen. Sie beruhte primär rein auf einer an-bieterinduzierten Nachfrage, die durch den Umstandbegünstigt wurde, dass die Kosten des Tests häufigvon den Gesetzlichen Krankenkassen auf dem Ku-lanzweg übernommen wurden.“411

Inzwischen sind Triple-Test und Nackenödem-Ultraschallso weit verbreitet, dass sie nahezu in jeder gynäkologi-schen Praxis angeboten und auch von den Frauen nach-gefragt werden, da sie verheißen, ihren Wunsch „Haupt-sache, es ist gesund“ in eine Sicherheit zu verwandeln.Diese Nachfrage setzt wiederum Gynäkologinnen undGynäkologen unter Druck.412

Entwicklung und Erprobung von Tests, die zu einem mög-lichst frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft angewendetwerden können und vermittels speziellem Computerpro-gramm (sog. „Erst-Trimester-Test“) das individuelle Ri-siko für kindliche Chromosomenaberrationen ermittelnsollen, schreiten weiter voran.413 Als Zielgruppe gelten al-tersunabhängig alle Frauen, da alle ein geringes Risikohaben, ein Kind mit körperlicher und/oder geistiger Be-hinderung zu bekommen.414 Die definitive Abklärunghätte, nach Einsatz eines solchen Screenings, durch inva-sive pränatale genetische Diagnostik zu erfolgen.

407 Dorso-nuchales Ödem (Nackenfalte). 408 Nippert 2001c, S. 296. Für ein Moratorium hatten sich im Jahr 1992

ausgesprochen: die Gesellschaft für Humangenetik, der Bundesver-band Medizinische Genetik, die Deutsche Gesellschaft für Gynäko-logie und Geburtshilfe und die Deutsche Gesellschaft für PerinataleMedizin. Anders die Entwicklung in den Niederlanden, wo Scree-ningmethoden wie der „Triple-Test“ bislang keine Regelleistung imRahmen der Schwangerenbetreuung sind. Die niederländischeKommission für Gesundheit hat am 7. Mai 2001 auf Bitten des nie-derländischen Gesundheitsministeriums eine Stellungnahme mitdem Titel „Pränatalscreening: Down-Syndrom, Neuralrohrdefekte,Routine-Ultraschallscreening“ vorgelegt, die unter anderem zu demErgebnis kommt, dass für die Anwendung des „Triple-Tests“ fol-gende Kriterien zu erfüllen sind:– Qualitätssicherungs-Richtlinien der beteiligten Berufsgruppen

über Testdurchführung und Beratung;– Qualitätssicherung in der Beratung durch Schulung aller in der

Schwangerenvorsorge Beteiligten, die Screeningmaßnahmendurchführen wollen;

– Qualitätssicherung der Laborarbeit auf der Grundlage interna-tionaler Standards und einer geforderten Mindestroutine von 10 000 bis 20 000 durchgeführten Tests jährlich;

– Sicherstellung eines stufenweise einzuholenden „informed con-sent“.Siehe dazu: Health Council of the Netherlands, 2001.

409 Bei den Markern handelt es sich um Alpha-Feto-Protein (AFP), Hu-manes Chorion Gonadotropin (HCG) und freies Östradiol.

410 Zur problematischen Zuverlässigkeit des Triple-Tests siehe insbe-sondere Sancken/Bartels 1999. Darin die Auswertung von über33 000 Triple-Tests. Des Weiteren siehe auch C2.1.1.2.1.3 PränataleTests und C2.3.2.1.1 Zulassung neuer genetischer Tests.

411 Nippert 2001c, S. 297.412 Schumann 2001.413 Vgl. Hahn/Holzgreve 1998, S. 143–147. Demnach „zeichnen sich

weitere signifikante Durchbrüche in der pränatalen Diagnose ab, in-dem durch Isolierung von fetalen Zellen aus peripherem Blutschwangerer Frauen die erfolgreiche Entdeckung von Aneuploidienund in jüngster Zeit auch von Einzel-Gen-Erkrankungen erreichtwerden konnte. Dies erweckt Hoffnungen für eine nichtinvasive prä-natale Diagnose in naher Zukunft“ (Zusammenfassung, S. 143). Al-lerdings bestehen derzeit noch zahlreiche Schwierigkeiten, unter an-derem das Problem, fetale von maternalen Zellen zuverlässig zuunterscheiden, so dass, sofern diese Probleme gelöst werden können,„diese Methoden aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft komple-mentär“ (S. 146) zu den zuverlässigeren invasiven Verfahren ange-wendet werden.

414 Vgl. Baldus 2001, S. 24.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 79 – Drucksache 14/9020

Laut sozialwissenschaftlichen Untersuchungen haben dieinvasiven und nichtinvasiven Verfahren der PND dasSchwangerschaftserleben in westlichen Gesellschaftengrundlegend verändert. Die Möglichkeit der PND löse beivielen Frauen „Angst, Streß und Unsicherheit“415 aus. An-haltspunkte oder unklare Befunde bei Ultraschall-Unter-suchungen, Triple-Test oder Nackenödem-Messungführen zu einer Kaskade von Folgetests und zur Inan-spruchnahme invasiver PND, die als stark belastend emp-funden werden.416 Als

„die eigentliche Zumutung der PND an sie (wird) dieWidersprüchlichkeit der Anforderung, auf der einenSeite, die Schwangerschaft, das Kind zu beschützen,andererseits potentiell – je nach Befund – vor der Ent-scheidung zu stehen, diese Schwangerschaft abzubre-chen. Die potentielle Abhängigkeit der Schwanger-schaft vom Befundergebnis erzwingt geradezu eineschwer erträgliche Distanz zur Schwangerschaft undzum ungeborenen Kind.“417

Eine eigentlich gewünschte Schwangerschaft verwandlesich somit bis in das zweite Schwangerschaftsdrittel hi-nein in eine widerrufbare, wofür der Begriff der „Schwan-gerschaft auf Abruf“418 geprägt wurde. Die Distanz zumFetus äußert sich unter anderem darin, dass viele Frauenvor einem PND-Untersuchungsergebnis Außenstehendennicht ihre Schwangerschaft bekannt geben, keine Um-standskleider kaufen und Kindsbewegungen erst späterwahrnehmen.419 Die Möglichkeit der PND führt zu neuenVerantwortungszuschreibungen an Frauen. In die Ent-scheidung über einen möglichen selektiven Schwanger-schaftsabbruch nach PND kann auch gesellschaftlicherDruck eingehen, da „latente Schuldzuweisungen gegen-über Schwangeren, die PND nicht in Anspruch nehmenund bewußt das Risiko eines behinderten Kindes in Kaufnehmen, in unserer Gesellschaft vorhanden sind“420. EineEntscheidungsfreiheit von Frauen wird allerdings durchTendenzen eingeschränkt, die „Inanspruchnahme derPND als sozial norm-konformes Verhalten in der Schwan-gerschaft zu erwarten“, welche „in unserer Gesellschaft inAnsätzen“421 bereits vorhanden sei. Die Veränderung desSchwangerschaftserlebens durch PND könne jedoch – trotz aller Erleichterung über ein unauffälliges Tester-gebnis – auch einen unsichtbaren Preis haben:

„Ein durch die Technisierung ausgelöster Prozeß desFremdwerdens greift mitunter so nachhaltig in dasLeiberleben (...) ein, daß sich auch über den Schwan-gerschaftsverlauf hinausreichende Konsequenzen zei-gen und zwar auch dann, wenn kein auffälliger Befund

beim Foetus entdeckt wurde: eine Verselbständigungder Distanz, die auch nach der Geburt des Kindes nichtaufgegeben werden kann (...), wie auch ein dauerhaf-ter Verlust in die eigene Leibkompetenz und das Emp-finden von moralischer Verstrickung, dem nunmehrgeborenen Kind gegenüber eine grundlegende mütter-liche Solidarität nicht geleistet und dessen Existenz inFrage gestellt zu haben.“422

1.3.3.4.6 Die „Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten undKrankheitsdispositionen“ derBundesärztekammer von 1998423

Nach den „Empfehlungen zur Pränataldiagnostik“ von1987 gab die Bundesärztekammer 1998 „Richtlinien zurpränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheits-dispositionen“ heraus, die über die Zielbestimmung derPND hinaus besonders die Forderung nach umfassender,dem Prinzip der Nicht-Direktivität folgender ärztlicherInformation und Beratung der Schwangeren vor und nachpränataler Diagnose thematisiert. Dem Umfang von PNDneben der frühzeitigen Erfassung von Risikofaktoren sinddie umfangreichen Abschnitte 3.2 „Risiko-Ermittlung“bzw. 3.3 „Mögliche Gründe für eine gezielte, insbeson-dere invasive pränatale Diagnostik“ gewidmet. Der „Tri-ple-Test“ wird als hilfreiches Beispiel für Methoden derRisikospezifizierung angeführt und erläutert.

Nachsorge, konservative und operative intrauterine The-rapie werden ebenso behandelt wie Qualifikationsnach-weise der Ärztinnen und Ärzte und schließlich ethischebzw. juristische Aspekte der PND. Zu letzteren heißt esbezüglich des zwischen Schwangerer und Ärztin bzw.Arzt durch Übernahme der Schwangerenbetreuung zu-stande gekommenen Behandlungsvertrags: „Dieser be-zieht neben der Betreuung der Mutter die des Ungebore-nen ein. Im Rahmen dieses Behandlungsvertrages ist derArzt verpflichtet, auf die Möglichkeiten hinzuweisen,Schäden der Leibesfrucht zu diagnostizieren. Unterläßtder Arzt diesen Hinweis (...), ist er gegebenenfalls scha-denersatzpflichtig.“

Im Vorwort zur Richtlinie wird die Fortschreibung der„Empfehlungen“ von 1987 wie folgt begründet:

„In den vergangenen zehn Jahren hat eine außerge-wöhnlich erfolgreiche medizinische und medizin-technische Entwicklung stattgefunden. Diese umfaßtim pränataldiagnostischen Bereich eine zunehmendeAnzahl monogener Krankheitsbilder, die Einführungmolekularer Techniken in die Chromosomendiagnos-tik und die hochauflösende Ultraschalldiagnostik sowieim therapeutischen Bereich unter anderem auch die in-trauterine Blutaustausch-Transfusion bei Rh-Inkom-patibilität zwischen Mutter und Fetus.

Die nunmehr vorliegende erste Fortschreibung derEmpfehlungen von 1987 ist notwendig geworden,

415 Nippert 1999, S. 68; vgl. auch Weiß 2000. 416 Vgl. Pieper 1998; Schücking 1994 und 2000; Schneider 2001.417 Nippert 1999, S. 70; vgl. auch Baldus 2001.418 Katz-Rothman 1989.419 Vgl. Katz-Rothman 1989, S.104; Nippert 1999, S. 70; Schindele

1995 und 1998.420 Nippert 1999, S. 77; vgl. auch Katz-Rothman 1989; Griese 1999;

Beck-Gernsheim 1991 und 1996; Rapp 1999 sowie Wolbring 2001.421 Nippert 1999, S. 74; vgl. Nippert/Horst 1994; Graumann 2001b.

422 Pieper 1998, S. 244.423 Bundesärztekammer 1998c.

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Drucksache 14/9020 – 80 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

weil sich nicht nur die ärztlichen Aufgaben stark aus-geweitet und differenziert haben. Auch die juristi-schen und ethischen Rahmenbedingungen habendurch Gesetzesänderungen und höchstrichterliche Ur-teile sowie durch die zunehmende Patientenautono-mie mit der Forderung nach ‚informed consent‘ füralle medizinischen Maßnahmen eine zeitgemäße An-passung erfahren. Somit ist die Schwangerenberatungin das Zentrum der Pränataldiagnostik gerückt.

Sie erfordert neben solider Sachkenntnis zu geneti-schen Fragen und zu den diagnostischen und thera-peutischen Möglichkeiten und Risiken auch eine ver-ständnisvolle Aussprache und eine Erörterung derelterlichen Entscheidungsoptionen. Diese hochsensi-ble Wechselwirkung im Arzt-Patienten-Verhältnis istder Grund, warum aus der ursprünglichen Empfeh-lung in der ersten Fassung dieses Papiers nun eineRichtlinie wurde.“424

Die Bundesärztekammer versteht diese Richtlinie als Er-gänzung der Mutterschafts-Richtlinien.425

1.3.3.5 Kind als SchadenSeit Mitte der 80er-Jahre hat in Deutschland die Geburteines behinderten Kindes als Folge „fehlgeschlagener Fa-milienplanung“ zu Schadensersatzforderungen der Elterngegen den behandelnden Arzt bzw. die behandelnde Ärz-tin geführt.426 Die Schadensersatzforderungen der Elternberuhen darauf, dass infolge fehlerhafter ärztlicher Bera-tung oder Behandlung ein Kind geboren wurde, das nachdem Willen der Eltern überhaupt nicht (fehlgeschlageneSterilisation) oder nicht so (verpasste Abtreibung infolgefehlerhafter Beratung oder Pränataldiagnostik währendder Schwangerschaft oder Geburt eines mit einer erbli-chen Erkrankung belasteten Kindes nach fehlerhafter ge-netischer Beratung vor der Zeugung) geboren werdensollte. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung gewährt indiesen Fällen der Mutter einen Schmerzensgeldanspruchwegen der Schwangerschaft und Geburt und den Elterneinen Schadensersatzanspruch in Form der Erstattung desUnterhaltsaufwandes für das Kind, wenn ein Verstoß ge-gen die Pflichten des ärztlichen Beratungs- oder Behand-lungsvertrages bzw. eine Schlechterfüllung des Vertragesvorgelegen hat.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur fehlerhaftenBeratung oder Pränataldiagnostik während der Schwan-gerschaft bezieht sich bisher auf die bis 1995 geltendeRegelung des § 218a StGB und die darin geregelte kind-liche bzw. embryopathische Indikation oder die Notlagen-indikation als Rechtfertigungsgrund für einen Schwanger-schaftsabbruch. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat alsentscheidend für die Haftung der Ärztin bzw. des Arztesdie Frage angesehen, ob sich der Schutzzweck des Vertra-

ges auch darauf bezieht, durch den Schwangerschaftsab-bruch Vorsorge gegen wirtschaftliche Nachteile durch eineUnterhaltsbelastung der Eltern zu treffen427 und hat diesunter der Geltung des früheren Indikationenmodells in denkonkreten Fällen bejaht. Wie der Bundesgerichtshof auf-grund der Regelung des § 218a neue Fassung entscheidenwürde, ist offen.428 § 218a StGB in der neuen, seit1.10.1995 geltenden Fassung sieht (soweit es sich nichtum rechtswidrige, aber straffreie Abbrüche nach dem Be-ratungsmodell innerhalb der 12-Wochen-Frist handelt, diebei einem Abbruch nach Pränataldiagnostik in der Regelüberschritten sein dürfte) als Rechtfertigungsgrund nebender kriminologischen Indikation nur noch die medizini-sche Indikation vor. Inwieweit hier die haftungsbegrün-denden Anforderungen des BGH, die Vermeidung vonwirtschaftlichen Nachteilen als Schutzzweck des ärztli-chen Vertrages, gegeben sein kann, ist fraglich. Bei dermedizinischen Indikation geht es nicht um die Vermeidungwirtschaftlicher Nachteile, sondern um die Abwendungschwerer Gefahren für die Gesundheit der Schwangeren.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes, der überdie Urteile des BGH in verfassungsrechtlicher Hinsicht zubefinden hatte, hat die Rechtsprechung, nach der die Un-terhaltspflicht für ein Kind bei fehlgeschlagener Sterilisa-tion oder fehlerhafter genetischer Beratung vor der Zeu-gung des Kindes einen zu ersetzenden Schaden darstellenkann, nicht beanstandet.429 Hinsichtlich der ersten Fallge-staltung führt das Gericht aus, dass die Zuerkennung ei-nes Schadensersatzes nicht gegen die Menschenwürdedes Kindes verstoße, denn nicht das Kind sei als Schadenim rechtlichen Sinne zu betrachten, sondern die durch dieplanwidrige und auf eine vertragliche Schlechterfüllungdes Vertrages zurückgehende Geburt ausgelöste Unter-haltsbelastung der Eltern. In Bezug auf die zweite Fallge-staltung (fehlerhafte genetische Beratung) bestätigte derErste Senat des Bundesverfassungsgerichtes die vorange-gangene Entscheidung des BGH. Das Ziel des ärztlichenBeratungs- oder Behandlungsvertrages, die Vermeidungder Zeugung eines erbgeschädigten Kindes, sei recht-mäßig. Nicht einmal moralische Bedenken seien hier an-gebracht, denn der Wunsch der Eltern, die Zeugung einesKindes vom Ergebnis der genetischen Beratung abhängigzu machen, sei in hohem Maße von elterlicher Verant-wortung geprägt. Die Auffassung der Beschwerdeführer,dass Menschen durch die vorangegangenen Urteile desBGH zu Objekten, also zu vertretbaren Größen im Rah-men von vertraglichen oder deliktischen Rechtsbeziehun-gen herabgewürdigt werden, wurde zurückgewiesen. DieAnwendung des Schadensersatzrechtes auf personale Be-ziehungen mache nicht den Menschen als Person oderseine unveräußerlichen Rechte zum Handelsgut. Die per-sonale Anerkennung eines Kindes beruhe nicht auf der

424 Bundesärztekammer 1998c, A 3236.425 Vgl. Bundesärztekammer 1998c, A 3236.426 Vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei Degener 1998b und

Beckmann 1998b.

427 BGH, Urteil vom 15. Februar 2000, BGHZ 143, S. 389–397. 428 Ein Revisionsverfahren über ein Urteil des Oberlandesgerichtes

München – Augsburger Senat (2 U 363/00), welches einen Scha-densersatzanspruch auf den gesamten Unterhaltsbedarf des behin-derten Kindes nebst Schmerzensgeld für die Mutter nach § 218a neueFassung zugesprochen hatte, ist anhängig.

429 BVerfG, Beschluss vom 12. November 1997, BVerfGE 96,S. 375–407.

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Übernahme der Unterhaltspflichten durch die Eltern.Auch nach bürgerlichem Recht sei die Existenz eines Kin-des nur eine tatbestandsmäßige Bedingung für die entste-hende Unterhaltslast. Unterhaltspflicht und Elternschaftkönnten auseinanderfallen.

In seinem Urteil zur Fristenlösung beim Schwanger-schaftsabbruch aus dem Jahr 1993 hatte dagegen derZweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes festge-stellt, dass eine rechtliche Bewertung von Kindern als„Schaden“ mit der Verfassung unvereinbar sei:

„Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kin-des als Schadensquelle kommt (...) von Verfassungswegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht. Die Ver-pflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschenin seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten,verbietet es, die Unterhaltspflicht für ein Kind alsSchaden zu begreifen“.430

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes warbei der Entscheidung des Ersten Senates im Jahr 1997 derMeinung, dass über die unterschiedlichen Auffassungender Senate wegen der grundsätzlichen Bedeutung im Ple-num beider Senate entschieden werden müsse.431 DerErste Senat verschloss sich jedoch einer verfassungsge-richtlichen Plenarentscheidung.

Eine andere Haltung des Ersten Senates in diesem Punkthätte eine größere Rechtssicherheit bei diesem höchstkontrovers diskutierten Thema zur Folge gehabt. Nachwie vor wird unter dem Stichwort „wrongful birth“ in derjuristischen Literatur und in der Öffentlichkeit eine Dis-kussion darüber geführt, inwieweit die modernen Repro-duktionstechnologien und die Möglichkeiten der Präna-taldiagnostik im Zusammenhang mit der Rechtsprechungzur Arzthaftung den Druck auf die Geburt eines gesundenKindes immer mehr erhöhen. So warnt die Humangeneti-kerin Traute Schroeder-Kurth davor, dass die Rechtspre-chung ihre Berufsgruppe dazu zwinge, „direktiv“ zu be-raten. Sie müsse auf die Unterlassung der Zeugungweiterer Kinder bei überdurchschnittlichen Risiken drän-gen, auch wenn sie noch so gering erscheinen.432

Die Entscheidung des Zweiten Senates war zum Gesetzüber die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruchergangen, wohingegen diejenigen des BGH, die der Ent-scheidung des Ersten Senates vorangegangen waren,Fälle fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter ge-netischer Beratung vor der Zeugung betrafen. Problema-tisch sind vor allem die Fälle, in denen es um die ärztli-chen Fehler nach der Zeugung, also während derSchwangerschaft, geht, weil hier der Lebensschutz be-troffen ist. Je mehr die Pränataldiagnostik voranschreitet,um so mehr geraten der Arzt und die Ärztin, aber auch dieFrau unter Druck, alle erreichbaren Erkenntnisse zu nut-zen, um eine Entscheidung über den Schwangerschafts-abbruch zu ermöglichen. Die Frage der Rechtmäßigkeit

der Ziele eines solchen Beratungs- oder Behandlungsver-trages während einer Schwangerschaft und unter der Gel-tung des neuen Rechtes des § 218a StGB ist dabei, andersals bei den Fällen fehlerhaften ärztlichen Handelns vorder Zeugung, offen und zu klären. Fraglich ist auch, obsolche vertraglichen Verpflichtungen nicht wegen Ver-stoßes gegen die guten Sitten unwirksam sind.

Ungeachtet dieser ungeklärten Situation kann die aktuelleRechtslage zum behinderten „Kind als Schaden“ auch alseine der Ursachen für den dramatischen Anstieg der An-wendung der Pränataldiagnostik gesehen werden.433 Ärz-tinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsvorsorge betreiben,fühlen sich unter einem erheblichen Druck, selektive Dia-gnosemöglichkeiten anzubieten, um sich vor späterenSchadensersatzansprüchen zu schützen. Dabei bleibt vielzu häufig die Beratung und Information der Schwangerenauf der Strecke und die selbstverständlich auch im Rahmendes ärztlichen Behandlungsvertrages bestehende Möglich-keit der Schwangeren, auf einzelne Behandlungsmaßnah-men konkret zu verzichten und damit die – oft nach Sach-und Rechtslage ohnehin unbegründete – Sorge der Ärztinbzw. des Arztes vor Haftungsfolgen zu entkräften, ist vielzu wenig bekannt. Viele Schwangere werden bis heutenicht ausreichend darüber aufgeklärt, welcher Sinn undNutzen und welche Risiken mit den verschiedenen Metho-den der Pränataldiagnostik verbunden sind und dass sie dieDurchführung der einzelnen, im Mutterpass vorgesehenenUntersuchungen ablehnen können. Es kann auch nichtübersehen werden, dass vielfach wirtschaftliche Gesichts-punkte zu einer aufgedrängten Pränataldiagnostik führen.

Nach der Rechtsprechung in Deutschland ist ein Scha-densersatzanspruch des Kindes selbst nicht gegeben, weiles kein Recht auf Nichtexistenz geben kann. Diese von derRechtsprechung gesetzte Schranke wird aber nicht mehruneingeschränkt von einem gefestigten Konsens in derRechtswissenschaft getragen.434 Es wird sogar vereinzeltdie Ansicht vertreten, es gebe ein Recht, normal geborenzu werden und bei Verletzung dieses Rechtes müssten demKind Schadensersatzansprüche gewährt werden.435

Gesellschaftlich scheint sich eine Haltung durchzusetzen,die mit der Frage: „Wer will schon ein behindertes Kind?“

430 BVerfG, Urteil vom 28.5.1993, BVerfGE 88, S. 203 (Amtl. Leitsatz14 und S. 296).

431 BVerfG, Beschluss vom 22.11.1997, BVerfGE 96, S. 409–414.432 Vgl. Schroeder-Kurth 1994, S. 398f.

433 Hennen et al. 2001, S. 71; Nippert 2000, S. 135f.434 Vgl. die Nachweise zu dieser Diskussion bei Degener 1998b, S. 45.435 So hatte das oberste französische Berufungsgericht (Cour de cassa-

tion) im Jahr 2000 einem Jungen, dessen schwere Behinderung auf-grund eines ärztlichen Fehlverhaltens während der Schwangerschaftnicht erkannt worden war, Schadensersatz dafür zugesprochen, dasser auf die Welt gekommen war, und dieses Urteil in zwei weiterenFällen bestätigt. Nach Protesten gegen dieses Urteil haben Assem-blée nationale und Senat eine gesetzliche Regelung (Art. 1 GesetzNr. 2002-303 vom 4. März 2002) verabschiedet, welche grundsätz-lich Schadensersatzansprüche einer Person allein aufgrund ihrer Ge-burt ausschließt. Menschen, die mit einer Behinderung geboren wer-den, können Schadensersatz verlangen, wenn ein Behandlungsfehlerwährend der Schwangerschaft die Behinderung unmittelbar verur-sacht, sie verstärkt oder zu ihrer Minderung geeignete Maßnahmenverhindert hat. Eltern können in diesen Fällen für von ihnen selbsterlittene Nachteile Schadensersatz verlangen. Hierzu gehören nachdem Gesetz ausdrücklich nicht die lebenslangen sich aus der Behin-derung des Kindes ergebenden besonderen Belastungen, deren Aus-gleich in die Zuständigkeit der Solidargemeinschaft fällt.

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Drucksache 14/9020 – 82 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

zusammengefasst werden kann. Das Recht auf Nicht-wissen in der Familienplanung lässt sich heute unter derEntwicklung des Arzthaftungsrechtes nur noch schwerrealisieren. Insbesondere Vertreterinnen der Hebammen-verbände bestätigen aus der Praxis die Eigendynamik ei-ner solchen Entwicklung, die bei den schwangeren Frauengeradezu auf eine moralische Pflicht zum Wissen hinaus-läuft. Spätgebärende, die ihr Recht auf Nichtwissen reali-sieren wollen, seien einem erheblichen gesellschaftlichenUnverständnis ausgesetzt. Betroffenen- und Behinderten-verbände befürchten, dass dies der Nährboden für Diskri-minierungen gegen Eltern behinderter Kinder und Men-schen mit Behinderungen selbst ist.

Während die Verhinderung der Geburt eines Kindes beiDurchkreuzung der elterlichen Familienplanung mangelsVermögensschaden sanktionslos bleibt, gilt das Gegenteilfür die Erhaltung des Ungeborenen. Damit hat aus – ver-meintlicher – rechtlicher Notwendigkeit ein lebensfeind-liches Prinzip Eingang in die Praxis des ärztlichen Han-delns gefunden. Eltern, die sich gegen das Leben einesbehinderten oder kranken Kindes entscheiden, werden be-vorzugt, indem sie sich entweder für einen Schwanger-schaftsabbruch entscheiden können oder durch die Haf-tungsinanspruchnahme gegenüber der Ärztin bzw. demArzt von den materiellen Folgen entlasten. Eltern hinge-gen, die sich bewusst für das Leben eines behindertenoder kranken Kindes entscheiden, werden benachteiligt,da sie die behinderungs- oder krankheitsbedingten Belas-tungen für die Pflege ihres Kindes weitgehend selbst tra-gen müssen. Das lebensfeindlich wirkende Haftungsrechtkönnte durch eine andere Konstruktion ersetzt werden,z. B. durch eine an die Patientin gebundene Versicherungoder eine Fondslösung, die die zusätzliche Belastungdurch Krankheit oder Behinderung des Kindes kompen-siert oder diese Aufgabe wird als gesellschaftliche Auf-gabe verstanden, wobei dann die Unterstützung durch dieAllgemeinheit sowohl den Eltern, die diese Belastung be-wusst auf sich nehmen, als auch allen anderen Eltern, diekranke oder behinderte Kinder bekommen, zuteil würde.Die jetzigen Sozialversicherungen kommen dieser Auf-gabe nur unzureichend nach. Denn man darf nicht über-sehen, dass das Motiv der Eltern, die Schadensersatz ein-fordern, in den meisten Fällen allein die berechtigte Sorgeum das Wohlergehen und eine gute materielle Versorgungihres kranken oder behinderten Kindes ist. Würde hier eingerechter Familienlastenausgleich durch den Staat erfol-gen, würde sich das Problem der Haftung für „Unter-haltsschäden“ weniger stellen.436 Auch dies sollte der Ge-setzgeber in seine Überlegungen einbeziehen.

Nach wie vor muss jedoch die Ärztin bzw. der Arzt fürmangelhafte, nicht dem medizinischen Standard entspre-chende Leistungen verantwortlich gemacht werden kön-nen. Die Frage der Sanktion mangelhafter ärztlicherTätigkeit sollte durch eine Bindung der Bezahlung ärztli-cher Leistungen an Qualitätssicherungsmaßnahmen gere-gelt werden. In einem System der Anreize für qualitativ

hochwertige Leistungen könnten umgekehrt auch man-gelhafte Beratungs- und Behandlungsweisen finanziellempfindlich geahndet werden. Dies ist in diesem Zusam-menhang wichtig vor allem für die erforderliche Qualitätder ärztlichen Aufklärung und Beratung vor Pränataldia-gnostik. Dies würde nicht nur einen besseren Schutz fürungeborene Kinder bewirken, sondern auch die Qualitätärztlicher Tätigkeit insgesamt fördern.

Eine gesetzliche Regelung erscheint vor dem Hintergrunddieser rechtlichen und tatsächlichen Situation, jedenfallsim Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik, erforder-lich.

1.3.4 ErgebnisseDie Erfahrungen mit der PND zeigen, dass der Versuchder Begrenzung auf bestimmte Indikationen, der Versuchder Orientierung an der Schwere bestimmter Krankheits-bilder und der Versuch der qualitätsgesicherten Anwen-dung im Rahmen einer Triade aus vorhergehender (hu-mangenetischer) Beratung, Durchführung von PND undnachsorgender (humangenetischer) Beratung gescheitertsind. Die Gründe für dieses Scheitern sind vielschichtig:

– Die Wirksamkeit von Empfehlungen bzw. Richtlinienz. B. der Bundesärztekammer oder von Fachgesell-schaften ist offenbar zu gering, als dass sie wissen-schaftlich-technische Dynamik und ökonomischeZwänge in der ärztlichen Praxis zu steuern vermögen.

– Das deutsche Gesundheitssystem begünstigt sowohldie Ausweitung von Leistungsangeboten von der An-gebots- als auch von der Nachfrageseite.

– Im Fall der PND wurden die beiden entscheidendenQualitätssicherungsprobleme weder durch den Bun-desausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Mutter-schafts-Richtlinien, Mutterpass) noch durch das In-strument der ärztlichen Selbstverwaltung (Richtliniender Bundesärztekammer bzw. Berufsrecht nach Lan-desrecht bzw. Landesärztekammern, Fachgesellschaf-ten) bewältigt:

a) die mangelhafte Beratungsleistung vor und nachPND durch nicht für diese Aufgabe qualifizierteBeraterinnen bzw. Berater einschließlich des Feh-lens der zugehörigen Dokumentation; fehlendeQualitätssicherungsmaßnahmen für Inhalte vonAufklärung und Beratung und die Vernachlässi-gung des informed consent;437

b) das Fehlen eines Zulassungsverfahrens für prädik-tive Testverfahren erst nach ausreichender Prüfungund das Fehlen der Sicherstellung der sachgerech-ten Durchführung und Interpretation von Testver-fahren (siehe Triple-Test).

436 Vgl. Beckmann 1998b, S. 1, 4f.

437 Zum Fragenkomplex der geeigneten Beratung bei prädiktiver gene-tischer Diagnostik siehe C2.3.2.4 Information, Aufklärung und Be-ratung.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 83 – Drucksache 14/9020

– Bei der Einführung der PND waren verschiedene tech-nische, judikative und gesellschaftspolitische Ent-wicklungen438 nicht vorhersehbar, die in ihrer Ge-samtwirkung innerhalb der vergangenen 30 Jahredazu geführt haben, dass PND von der Spezialanwen-dung in konkret begründbaren, risikobehafteten Ein-zelfällen zu einer Routinemaßnahme der allgemeinenRisikofeststellung bzw. -bestätigung geworden ist.

– Es ist nicht auszuschließen, dass auch diese Anwen-dung der PND als „Risikoscreening“ im Verlauf jederärztlich betreuten Schwangerschaft in Zukunft einegrundlegende Umdeutung erfahren wird. PND im All-gemeinen und invasive pränatale genetische Diagnos-tik als ihr nach wie vor zuverlässigstes Instrument imBesonderen, gälte dann nicht mehr als Selektionsin-strument im Sinne der Aufdeckung und Vermeidungeinzelner Merkmalsträger, sondern vor allem auchdazu, dass Schwangere sich auf ein Leben mit einembehinderten Kind vorbereiten können.439

Ob die bisher stattgefundene bzw. noch stattfindende Ent-wicklung und Bedeutungsverschiebung der PND bei-spielsweise durch eine externe, rechtlich verankerte Qua-litätskontrolle seitens einer vom Deutschen Bundestaggeschaffenen Institution, die für Lizenzierung und Über-wachung von Kliniken bzw. Praxen und Testverfahren,für Dokumentation und Evaluierung von Beratungsange-boten, -inhalten und niedrigschwellige Informations- undBeratungszugänge verantwortlich wäre, aufzuhalten ge-wesen wäre, ob eine solche Institution zu einer anderenArt der Schwangerenbegleitung führen würde, muss andieser Stelle offen bleiben.

Selbst wenn bestimmte historische Bedingungen Einflussauf die Entwicklung der PND gehabt haben, die nicht un-mittelbar auf PID und deren Beurteilung übertragbar sind,so kann davon unabhängig festgehalten werden:

– Die zu Beginn der Einführung einer ethisch und/oderjuristisch kontrovers diskutierten Methode gesetztenhohen Qualitätsstandards halten dem „rauhen Alltagder medizinischen Praxis“ nicht stand.440

– Im Verlauf der technischen Weiterentwicklung derMethode wurden neue Indikationen bzw. neue Verfah-ren – ohne ausreichende klinische Überprüfung – inder Praxis sehr schnell angewendet und im Rahmenkulanter Vergütung durch die GKV etabliert.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit pränataler ge-netischer Diagnostik erscheint es als sinnvoll, alle schonheute absehbaren bzw. diskutierten möglichen Anwen-

dungsoptionen der PID, einschließlich des routinemäßi-gen Chromosomen-„screenings“ von Embryonen in vitro,in die Diskussion einzubeziehen und diese nicht, wie imRichtlinien-Entwurf der BÄK zu PID geschehen, auf dieIndikation bei sog. Hochrisikopaaren zu verengen.

1.3.5 Empfehlungen Die Ausbreitung der Pränataldiagnostik (70 bis 80 % derSchwangerschaften werden als Risikoschwangerschaft de-finiert) ist sowohl unter berufsethischen als auch unterfrauenpolitischen und gesundheitsökonomischen Aspek-ten kritisch zu diskutieren. Das Angebot der PND ohnepräventiven oder therapeutischen Nutzen bzw. ohne spezi-fische Indikation soll sowohl durch vorgeschaltete Bera-tung und die Gewährleistung der expliziten informiertenZustimmung als auch durch eine berufsethische Überprü-fung des medizinischen Angebots eingegrenzt werden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt:

1. Als Voraussetzung für alle Maßnahmen im Bereichder Pränataldiagnostik ist sicherzustellen:

– Methoden der Risikospezifizierung (selektivePND) müssen aus der regulären Schwanger-schaftsvorsorge herausgenommen und lediglichals Einzelfallangebot, nicht jedoch als Routine-maßnahme, bereitgehalten werden.

– Die selbstbestimmte und informierte Entschei-dung der Frauen bzw. der Paare durch eine recht-zeitige und umfassende Aufklärung und Beratungvor jeder pränataldiagnostischen Maßnahme, dieder Suche nach Fehlbildungen dient.

– Ein ausreichendes medizinisch-humangenetischesund psychosoziales Beratungsangebot, das übermögliche Konsequenzen des Befundes – sowohl inmedizinischer als auch in psychosozialer Hinsichtvor und gegebenenfalls nach der Diagnostik – in-formiert. Dabei sollen eine Unterscheidung zwi-schen therapierbaren und nicht therapierbarenAuffälligkeiten vorgenommen und Informationenüber konkrete Hilfen durch therapeutische Inter-ventionen, familienentlastende Maßnahmen sowieKontakte zu Selbsthilfegruppen vermittelt werden.

2. Hinsichtlich der Rahmenbedingungen für das Ange-bot der PND ist

– den Organen der Selbstverwaltung im Gesund-heitswesen eine Überarbeitung ihrer Richtlinienim Sinne einer Beschränkung der PND zu emp-fehlen, sowie im Rahmen des Sicherstellungsauf-trages die Qualität und Durchführung einer hu-mangenetischen Beratung zu gewährleisten;

– dem Bundesausschuss sowie dem Koordinie-rungsausschuss die Befassung mit der Praxis derPND hinsichtlich einer Überversorgung zu emp-fehlen.

3. Die folgenden politischen Maßnahmen können zurSchaffung eines gesellschaftlichen Klimas beitragen,

438 So z. B. die Fortschritte auf dem Gebiet der bildgebenden Ultra-schalldiagnostik, die Entwicklung und Kombination von nichtinva-siven Diagnoseinstrumenten mit computergestützten statistischen„Risikoprofilen“ oder die höchstrichterlichen Entscheidungen zurärztlichen Haftung oder die Integration der pränatalen genetischenDiagnostik in die reguläre, kassenfinanzierte Schwangerenbeglei-tung.

439 Vgl. Baldus 2001, S. 46f.440 Nippert 2001c, S. 302.

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Drucksache 14/9020 – 84 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

das es Eltern ermöglicht/erleichtert, auch Kinder mitBehinderung zur Welt zu bringen:

– Die Mutterschafts-Richtlinien sollten überprüftwerden. In einer Präambel sollte ein klärenderHinweis auf die rechtlichen Rahmenbedingungender ärztlichen Betreuung einer Schwangeren imRahmen der Mutterschafts-Richtlinien aufgenom-men werden441;

– Die gesetzliche Krankenversicherung sollte ge-rade in diesem Bereich die Patientinneninfor-mation ausweiten. Im Mutterpass sollten die verschiedenen Optionen der Schwangerschaftsbe-gleitung, beispielsweise durch Hebammen, darge-stellt werden;

– Die Schaffung qualifizierter Beratungskonzeptesowie deren Implementierung in die Schwanger-schaftsvorsorge;

– Die Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung sollte eine breite Informationskampagneüber die Rechte der Patientinnen, die Bedingungender Schwangerschaftsvorsorge sowie die mit PNDverbundenen Risiken initiieren und insbesondereüber den hier erforderlichen informed consent auf-klären;

– Eine gesetzliche Regelung der sog. Spätabbrüche;

– Verstärkte Forschung über therapeutische Inter-ventionen bei Symptomen oder Syndromen, auf-grund derer es nach einer PND am häufigsten zueinem Schwangerschaftsabbruch kommt;

– Die Gleichstellung von Kindern mit Behinderungund das Zusammenleben in den Familien zu unter-stützen;

– Dem Deutschen Bundestag wird empfohlen, ge-setzlich zu regeln, dass Ärztinnen und Ärzte für dieExistenz eines Kindes und die Folgekosten dannnicht haften, wenn die Geburt eines Kindes nichtdurch einen Schwangerschaftsabbruch verhindertwurde und wenn sie pränataldiagnostische Tests,

die mit keinem präventiven oder therapeutischenNutzen für das ungeborene Kind verbunden sind,der Schwangeren nicht von sich aus angebotenoder nicht auf solche Tests hingewiesen haben. Eswird weiter empfohlen, durch eine Versicherungs-lösung oder eine Fondslösung oder durch Verbes-serung der öffentlichen Leistungen für kranke odermit Behinderungen geborene Kinder einen Aus-gleich zu schaffen, damit Eltern unterstützt wer-den, sich für die Geburt eines kranken oder behin-derten Kindes zu entscheiden.

1.4 PräimplantationsdiagnostikDie Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein Verfahren,das In-vitro-Fertilisation (IVF), Gendiagnostik sowie denTransfer des Embryos (Embryotransfer, ET) bzw. seine„Verwerfung“ umfasst. Zur Gendiagnostik gehören alleMaßnahmen, die an den in einer Nährlösung im Laborvorliegenden Embryonen mit dem Ziel durchgeführt wer-den, einzelne Gendefekte und chromosomale Auffällig-keiten festzustellen.

Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird PID als„Preimplantation genetic diagnosis“ (PGD) bezeichnet.

1.4.1 Sachstand

1.4.1.1 Beschreibung der Methode Die Präimplantationsdiagnostik (PID) setzt die Durch-führung einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisa-tion, IVF, siehe 1 IVF und Präimplantationsdiagnostik)voraus.442 Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation werdenregelmäßig mehrere Eizellen gewonnen (laut DeutschemIVF-Register 1999 durchschnittlich ca. neun). Bei derPID werden üblicherweise am dritten Tag nach der Be-fruchtung den einzelnen Embryonen jeweils eine bis zweiZellen entnommen, um diese nach bestimmten geneti-schen bzw. chromosomalen Auffälligkeiten zu untersu-chen. Ziel der Untersuchung ist es, für den Embryotrans-fer diejenigen Embryonen auszuwählen, die dengesuchten genetischen oder chromosomalen Defekt nichtaufweisen.

Auch von Experten wird die PID noch als experimentellangesehen.443 Beispielsweise ist der übliche Laborstan-dard der Validierung der Testergebnisse durch Doppelbe-stimmungen oder Kontrolluntersuchungen bei der PID aneiner Einzelzelle nicht möglich und schränkt daher ihreTreffsicherheit (Sensitivität und Spezifität) ein.

441 Darin sollte klargestellt werden, dass ärztliche Behandlungen in derPränatalmedizin und namentlich pränatale Ultraschalluntersuchun-gen an eine angemessene ärztliche Aufklärung und die erst daraus re-sultierende informierte Einwilligung der Schwangeren in die jewei-lige Untersuchung geknüpft sind; es sollte klargestellt werden, dassdies auch im Anwendungsbereich der Mutterschafts-Richtlinien gilt,die lediglich die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für die ge-setzliche Krankenversicherung regeln und keine Pflicht der Versi-cherten begründen, diese Behandlung durchführen zu lassen. Essollte des Weiteren klargestellt werden, dass die Ärztin bzw. der Arzt,falls die Schwangere nach angemessener Aufklärung ihre Einwilli-gung in Ultraschalluntersuchungen verweigert, grundsätzlich ver-pflichtet ist, die Betreuung der Schwangeren gleichwohl weiterzu-führen, es sei denn, dass das Vertrauensverhältnis zwischen derÄrztin bzw. dem Arzt und der Schwangeren dadurch gestört ist. Dieskann der Fall sein, wenn konkrete medizinische Gründe eine Unter-suchung dringend erforderlich machen, um Gefahren für Leib oderLeben der Schwangeren oder des ungeborenen Kindes abzuwehren,siehe den Vorschlag von Francke/Regenbogen 2001.

442 Die Paare, für welche PID heute vor allem diskutiert wird, sind imUnterschied zur klassischen Indikation bei IVF in der Regel nichtzeugungsunfähig.

443 Schriftliche Mitteilung von Prof. Klaus Diedrich an den Sachver-ständigen Prof. Linus Geisler vom 28. November 2000: „Solangeeine Methode noch durch ein zweites Untersuchungsverfahren(PND) bestätigt werden muss, ist sie noch nicht ausgereift und durch-aus, meiner Meinung nach, als experimentell anzusehen.“

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 85 – Drucksache 14/9020

Die wesentlichen Merkmale der PID in Abgrenzung zurpränatalen Diagnostik sind:

– die zu untersuchenden Embryonen werden im Laborerzeugt;

– die untersuchten Embryonen liegen außerhalb desMutterleibes vor;

– vor der Übertragung in die Gebärmutter wird nachGendiagnostik unter mehreren Embryonen eine Aus-wahl getroffen; bei autosomal-dominanten geneti-schen Defekten ist mit statistischer Wahrscheinlich-keit die Erzeugung von Embryonen mit einembestimmten genetischen Defekt gegeben;

– die für die Diagnostik entnommenen Embryonalzellenkönnen je nach Entnahmezeitpunkt „totipotent“ sein.

1.4.1.1.1 EmbryobiopsieÜblicherweise werden den Embryonen am dritten Ent-wicklungstag (Vier- bis Zehn-Zellstadium) ein bis zweiZellen entnommen.

Als Alternative wird die Entnahme der Zellen im 32- bis64-zelligen Blastozystenstadium vorgeschlagen. Dieshätte den Vorteil, dass eine größere Zahl von Zellen ent-nommen und dadurch die Zuverlässigkeit der Diagnoseverbessert werden könnte und die Zellen höchstwahr-scheinlich nicht mehr totipotent wären.444 Allerdingswaren Versuche, Embryonen erst in diesem Entwick-lungsstadium zu untersuchen, bislang klinisch nicht er-folgreich.

Offensichtlich erfüllt eine Biopsie am dritten Tag nach derInsemination (also im Vier- bis Zehn-Zellstadium) am bes-ten die Anforderungen der Praxis.445

Man geht heute davon aus, dass die Biopsie im Rahmender PID zum Verlust von Embryonen führt.446 Da etwaigeSchädigungen am Embryo in Folge der Biopsie tödlichsein dürften, gelten mögliche Schädigungen bei gebore-nen Kindern hingegen als unwahrscheinlich. Für eine ab-schließende Beurteilung dieser Frage fehlen bislang em-pirische Daten.

1.4.1.1.2 EinzelzelldiagnoseFür die molekulargenetische Diagnostik vor der Übertra-gung der Embryonen werden je nach Fragestellung ent-weder die Polymerasekettenreaktion (engl. „PolymeraseChain Reaction“, PCR) oder die Fluoreszenz-in-situ-Hy-bridisierung (FISH) angewendet. Eine mikroskopischeChromosomenuntersuchung zur allgemeinen Beurteilung

der Chromosomen (Beurteilung des Karyotyps), wie siein der Routine-Pränataldiagnostik durchgeführt wird, istnicht möglich. Das bedeutet, dass immer eine spezifischeFragestellung vorliegen muss.447

Die PCR ermöglicht es, eine spezifische Gensequenz be-reits in einer einzelnen Zelle nachzuweisen, indem dieseGensequenz durch die sog. Amplifizierung etwa tausend-fach vermehrt und anschließend entweder mit Fluores-zenz-Farbstoffen oder radioaktiv markiert wird. Dadurchkönnen einzelne Gene sowie strukturelle Veränderungeneinzelner Gene identifiziert werden.

Die FISH ermöglicht die Untersuchung von chromoso-malen Auffälligkeiten und Einzelgendefekten durch ge-zielte Anlagerung fluoreszierender Gensonden entwederan bestimmte Gensequenzen oder an ganze Chromoso-men. Sie dient auch zur Bestimmung von Geschlechts-chromosomen. Bei gleichzeitiger Verwendung mehrerer,unterschiedlich fluoreszierender Gensonden besteht dieMöglichkeit, bis zu zehn Chromosomen in einer einzigenZelle bzw. in einem Embryo zu untersuchen. Allerdingskönnen dabei Interpretationsprobleme durch Signalüber-lagerungen auftreten.

Biopsie und DNA-Analyse mittels PCR oder FISH kön-nen innerhalb von acht Stunden durchgeführt werden, sodass der Transfer des Embryos in den Uterus der Frau amselben Tag erfolgen kann.

Aussagefähigkeit der diagnostischen Verfahren:

Die PCR kann durch Verunreinigungen der Probe (z. B.durch genetisches Material der Untersucherin bzw. desUntersuchers) und durch den sog. „Allel-Ausfall“448

(engl. „Allelic Drop Out“, ADO, dabei wird eines der bei-den in einem Blastomerenkern vorliegenden Allele nichtamplifiziert) zu fehlerhaften Ergebnissen führen.449

Der Vorteil der FISH gegenüber der PCR ist, dass Verun-reinigungen durch fremde DNA eine geringere Fehler-quelle darstellen. Allerdings kann die bei Embryonen ge-legentlich vorkommende „Mosaikbildung“ dazu führen,dass sich die Chromosomenmuster (Karyotyp) einzelnerEmbryonalzellen (Blastomere) unterscheiden. Somitkann von dem Diagnoseergebnis einer embryonalen Zelleohne Chromosomenstörung nicht mit letzter Sicherheitdarauf geschlossen werden, dass alle anderen Zellenebenfalls keine Chromosomenstörung aufweisen.

444 Die Frage der Totipotenz der entnommen Zellen ist mit Blick auf diejuristische und ethische Beurteilung der Methode bedeutsam, sieheauch C1.4.1.1.6 Totipotenz.

445 Vgl. Kollek 2000, S. 44. 446 Die in einer Studie der European Society of Human Reproduction

(ESHRE) 2000 gemachten Angaben weisen auf einen Verlust vonEmbryonen nach der Biopsie hin. Detaillierte Studien zu diesem Pro-blem sind nicht bekannt. Vgl. hierzu C1.4.1.1.5 Anwendung.

447 Die Untersuchung wird mit spezifischen Gensonden durchgeführt,die nur einzelne Veränderungen erkennen können. Eine Darstellungdes Karyotyps ist damit nicht möglich.

448 Als „Allele“ werden die verschiedenen Ausprägungen eines Gensbezeichnet. Für jedes Gen liegen im Zellkern zwei Allele vor, die ent-weder identisch (homozygot) oder verschieden (heterozygot) seinkönnen.

449 Trotz technischer Vervielfältigung des Materials reicht die verfüg-bare Menge nicht aus, um die Diagnose zu wiederholen und damitdas Ergebnis abzusichern. Wenn zwei Blastomere vorliegen, werdendiese parallel untersucht. Eine anschließende Überprüfung ist man-gels Material nicht möglich. Die Blastomere bzw. die gesamte DNAwerden bei der Gen-Diagnostik „verbraucht“.

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Drucksache 14/9020 – 86 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Qualitätssicherung/Fehldiagnosen:

Die genannten diagnostischen Unsicherheiten und Inter-pretationsschwierigkeiten der Gendiagnostik an einzel-nen Zellen („single cell genetic analysis“) führen zu einerrelativ hohen Rate an Fehldiagnosen. Daher wird das Dia-gnoseergebnis der PID heute in der Regel durch eine Prä-nataldiagnostik überprüft, wenn sich eine Schwanger-schaft etabliert hat.

In der Literatur variieren die Angaben zu den Fehlerratensehr stark. Es werden zwischen 2 % und 21 % für die Ge-schlechtsbestimmung sowie 7 % bis 36 % bei Einzelgen-defekten wie etwa Mukoviszidose oder Sichelzellanämiefür die PCR angegeben.450

Die Untersuchung von zwei Zellen hat offenbar eine sig-nifikante Verbesserung der Aussageverlässlichkeit zurFolge. Für die Untersuchung von zwei Blastomeren wirdals Praxiswert eine Fehlerrate von 2 % bis 5 % angege-ben.451 Es muss folglich davon ausgegangen werden, dassjeder 20. bis 50. Fetus, der nach durchgeführter PID anzwei Blastomeren als genetisch unauffällig gilt, dennochdie als unerwünscht angesehene genetische Anlage trägt.

Mit Blick auf die Gesamtfehlerwahrscheinlichkeit derMethode wird zudem argumentiert, dass die Wahrschein-lichkeit, einen Anlageträger bei der PID nicht zu identifi-zieren, theoretisch ebenso hoch angesetzt werden müssewie die Wahrscheinlichkeit, einen unauffälligen Embryofälschlicherweise für einen Anlageträger zu halten. BeideWahrscheinlichkeiten müssten folglich addiert werden,um eine Vorstellung von der Zuverlässigkeit der Methodezu erhalten. Für das vorgenannte Beispiel hieße dies, dassinsgesamt bei jedem 10. bis 25. Embryo eine falsche Dia-gnose vorliegt.

Sofern nur eine Zelle für die Gendiagnostik zur Verfügungsteht, ist von einer entsprechend höheren Fehlerrate aus-zugehen. Vergleichbare Fehlerquoten wurden auch bei derin C1.4.1.1.4 Alternativen beschriebenen Polkörperdia-gnostik gefunden. Hier ist die Wahrscheinlichkeit einerFehldiagnose signifikant höher, wenn nur ein Polkörperund nicht zwei untersucht werden.

1.4.1.1.3 IndikationenEs lassen sich vier mögliche Zielgruppen für die PID un-terscheiden. Dabei ist die Grundlage für die jeweiligenIndikationen in allen Fällen die Erfüllung des Kinder-wunsches mit Hilfe von IVF und PID, wenn auch aus un-terschiedlichen Gründen:

(a) Paare, die zwar eine normale Fertilität aufweisen, auf-grund deren genetischer Ausstattung jedoch die relativ

hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie ein Kind miteiner schwerwiegenden Erbkrankheit oder erblichenBehinderung bekommen (sog. Hochrisikopaare);

(b) Paare mit einer normalen Fertilität, bei denen auf-grund des höheren Alters der Frau eine statistischhöhere Wahrscheinlichkeit besteht, ein Kind mit einerChromosomenveränderung (vor allem für ein Down-Syndrom) zu bekommen (sog. Altersrisiko);

(c) Paare, die aufgrund einer Fertilitätsstörung IVF in An-spruch nehmen und die Erfolgsaussichten steigernwollen (angestrebte Verbesserung der Erfolgsraten derIVF);

(d) Paare, die ein Kind mit einem gewünschten genetischenMerkmal ohne Krankheitswert bekommen möchten(Diagnose von genetischen Eigenschaften ohneKrankheitswert).

Zu (a) Hochrisikopaare:

Die derzeit häufigste Indikation für die PID ist eine hoheWahrscheinlichkeit für ein Kind mit einer bestimmten ge-netisch bedingten Erkrankung oder Behinderung. In die-sen Fällen wird der hohe Aufwand einer IVF von Befür-worterinnen und Befürwortern der PID als gerechtfertigtangesehen, obwohl diese Paare in der Regel eine normaleFruchtbarkeit aufweisen. Eine hohe Wahrscheinlichkeitfür die Weitergabe einer Genmutation liegt vor, wenn ent-weder beide Partner (bei autosomal-rezessiv vererbtenKrankheiten) Trägerin bzw. Träger sind oder wenn diesesfür einen der Partner (bei autosomal-dominant und X-chro-mosomal vererbten Krankheiten) zutrifft.

Bei autosomal-dominant vererbten Krankheiten ist derbetroffene Partner bzw. die betroffene Partnerin entwederselbst krank oder es liegt eine erst später im Leben auf-tretende Krankheit vor (z. B. Huntington Krankheit) unddie familiäre Belastung ist aufgrund eines betroffenen El-ternteils des Partners bekannt geworden.452

Im Fall von rezessiv vererbten Krankheiten sind die El-tern selbst gesund. Die familiäre Belastung ist in der Re-gel dadurch bekannt, dass eine genetische Krankheit be-reits in der Familie aufgetreten ist. Meist wird diefamiliäre Belastung durch die Geburt eines erkranktenKindes und nachfolgende genetische Untersuchungenfestgestellt. Es besteht daher ein Wiederholungsrisiko fürweitere gemeinsame Kinder.

Im Fall von rezessiv vererbten Krankheiten (z. B. Muko-viszidose453) ist statistisch jedes vierte und im Fall von do-minant vererbten Krankheiten (z. B. Huntington Krank-heit) jedes zweite gemeinsame Kind von der Krankheitbetroffen.

Bei den meisten X-chromosomal vererbten Krankheiten istdie Frau gesunde Überträgerin (z. B. Bluterkrankheit Hä-450 Findley et al. 1995. Weitere Quellen und eine ausführlichere Dis-

kussion bei Kollek 2000, S. 51.451 Gemäß mündlicher Mitteilung von Prof. Dr. Diedrich im Rahmen

der öffentlichen Anhörung am 13. November 2000 handelt es sichum etwa 2 % , gemäß mündlicher Mitteilung von Dr. Henn im Rah-men der öffentlichen Anhörung am 13. November 2000 handelt essich um 1 % bis 5 % .

452 Die meisten dominant vererbten Erkrankungen beruhen auf einerNeumutation. In diesen Fällen liegt kein Wiederholungsrisiko vor.

453 Mukoviszidose wird auch als „Cystische Fibrose“ bezeichnet.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 87 – Drucksache 14/9020

mophilie A). Betroffen ist statistisch gesehen jeder zweiteSohn. Alle Töchter sind gesund. Wenn der Mann die Muta-tion trägt, ist er selbst betroffen; alle seine Söhne sind ge-sund und alle seine Töchter gesunde Überträgerinnen.

Es werden mit der PID also auch gesunde Überträgerin-nen bzw. Überträger einer Genmutation erfasst. Im Fallvon rezessiv vererbten Krankheiten ist das jeder zweiteEmbryo und bei den meisten X-chromosomal vererbtenKrankheiten jeder zweite weibliche Embryo. Soferngenügend Embryonen vorliegen, ist anzunehmen, dassauch solche heterozygote Embryonen vom Embryotrans-fer ausgeschlossen werden.454

Darüber hinaus gibt es erbliche Krankheiten mit einer hohen Vererbungswahrscheinlichkeit, die eine kompli-ziertere Vererbung zeigen (z. B. fragiles X-Syndrom) underbliche Chromosomenstörungen (z. B. Translokations-trisomien), bei denen die Eltern selbst gesund sind.

Genetische Indikationen für die PID sind in der Praxis unteranderem Muskeldystrophie Typ Duchenne, Hämophilie A(Bluterkrankheit), Charcot-Marie-Tooth-Krankheit455,Beta-Thalassämie (Mittelmeeranämie)456, OsteogenesisImperfecta (Glasknochenkrankheit), Retinopathia Pigmen-tosa457, Sichelzellanämie und Mukoviszidose. Diese Krank-heiten zeigen ein hohes Vererbungsrisiko (25 % bis 50 %).

Es können aber auch Veranlagungen für Krankheiten mit-tels PID diagnostiziert werden, bei denen die Wahr-scheinlichkeit, mit der sie zum Ausbruch kommen kön-nen, teilweise erheblich geringer ist. Aus der Feststellungdes BRCA-1-Gens beispielsweise ergibt sich lediglich einim Vergleich zum Durchschnitt der weiblichen Bevöl-kerung erhöhtes Erkrankungsrisiko für erblich (mit-)bedingten Brustkrebs. Die Schwankungsbreite der Litera-turangaben zum Lebenszeitrisiko von BRCA-1-Mu-tationsträgerinnen (zwischen 56 % bis 85 %) und beiBRCA-2-Mutationsträgerinnen (zwischen 37 % bis 84 %)ist ein Hinweis auf die stark eingeschränkte individuelleAussagekraft derartiger genetischer Tests.458

Zu (b) Altersrisiko:

Mit dem Alter der Mutter nimmt die Wahrscheinlichkeitzu, ein Kind mit einer Chromosomenfehlverteilung (vorallem Down-Syndrom) zu bekommen. Als „Normalindi-kation“ für eine PID käme nach ärztlicher Einschätzungwegen der mit IVF verbundenen Belastung der Frauen dasAltersrisiko nicht in Betracht. Die PID könnte aber für äl-tere Frauen in Frage kommen, die sich ohnehin einer IVF-Behandlung unterziehen, weil die PID – abgesehen vongegebenenfalls höherer Hormonstimulierung – keine phy-sische Zusatzbelastung für die Frau darstellt.

Zu (c) Angestrebte Verbesserung der Erfolgsratender In-vitro-Fertilisation:

Chromosomenstörungen kommen bei Embryonen relativhäufig vor und sind in vielen Fällen letal.459 Das diagnos-tische Auffinden von numerischen Chromosomenfehlern,die eine Lebensfähigkeit ausschließen (letale Aneuploi-dien), könnte daher möglicherweise zu einer Verbesse-rung der Erfolgsrate der IVF beitragen. Dieses Angebotwird in vielen US-amerikanischen IVF-Zentren vorgehal-ten. In Großbritannien wird eine dementsprechende Indi-kationsausweitung der PID angestrebt.460

Zu (d) Diagnose von genetischen Merkmalen ohneKrankheitswert:

Die PID wurde bereits für genetische Merkmale ohneKrankheitswert durchgeführt. Im September 2000 wurdeder erste derartige Fall in den USA bekannt. Im Fall„Adam Nash“ wurde aus 16 Embryonen per PID ein Em-bryo ausgewählt, der sich als Blut- und Knochenmarks-spender für seine sechs Jahre ältere, an Fanconi-Anämieleidende Schwester eignete. Dem letztlich erfolgreichenwaren vier erfolglose IVF/PID-Zyklen vorausgegangen,so dass insgesamt etwa 80 bis 100 Embryonen hergestelltwurden, bis es zur Geburt des immunologisch „passen-den“ Kindes kam. In Großbritannien hat ein ähnlich gela-gerter Fall zur Veränderung der Zulassungskriterien durchdie HFEA geführt. In begründeten Ausnahmefällen ist esdort seit August 2001 möglich, eine PID zur Auswahl ei-nes zweckbestimmten Embryos als Blut- oder Gewebe-spender für ein erkranktes Geschwisterkind durchzu-führen.

In Schottland versuchte eine Familie die Erlaubnis ge-richtlich zu erstreiten, per PID ein Mädchen zu bekom-men (Fall „Masterton“). Die Familie hatte vier Söhne undeine Tochter. Nach dem Tod der Tochter wollten sie die„weibliche Dimension“ in der Familie wiederherstellen.

454 Laut einer mündlichen Mitteilung von Dr. Henn im Rahmen der öf-fentlichen Anhörung am 13. November 2000 verwerfen aufgrund dertechnischen Gefahr einer Fehldiagnose bei heterozygoten Embryo-nen einige Zentren im Zweifelsfall diese Embryonen und übertra-genen nur die homozygot gesunden Embryonen.

455 Meist dominant vererbte, chronisch fortschreitende Degenerationperipherer Nervenzellen; teils in der frühen Kindheit, teils im Er-wachsenenalter erkennbar als beidseitige Lähmung distaler Muskel-gruppen mit der Folge von Fehlbildungen an den Gliedmaßen.

456 Entweder homozygot (schwere Verlaufsform) oder heterozygot(milde Verlaufsform) vererbte hämolytische Anämie, d.h. durch ge-störte Globin-Bildung (Bestandteil des für den Sauerstofftransportnotwendigen Hämoglobins der roten Blutkörperchen) ausgelöstesog. Blutarmut. Eine Therapie der milden Verlaufsform ist nicht er-forderlich, bei schwerer Verlaufsform führt die frühzeitige Kno-chenmarktansplantation zu deutlicher Besserung bei 90 % der Pati-entinnen und Patienten.

457 Meist erbliche Degeneration der Netzhautgefäße des Auges mit Ab-lagerung von Farbstoffen und Degeneration des Sehnervs, in derenFolge es zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gesichtsfeldes bishin zur Erblindung kommen kann.

458 Ries et al. 1998.

459 Nach Angaben von Prof. Dr. Karsten Held besteht für Embryonenmit autosomalen Aneuploidien mehrheitlich entweder gar keine Ein-nistungschance in der Gebärmutter oder es kommt zu einem Spon-tanabort in der sechsten bis zwölften Schwangerschaftswoche: „Diesgilt für alle Monosomien und, mit Ausnahme der Chromosomen 13,18 und 21, auch für alle Trisomien. Aber selbst für die Trisomien 13,18 und 21 muss von einer intrauterinen Verlustrate zwischen 60 und80 % ausgegangen werden“ (Held 2001, S. 2).

460 Supp 2002; Striegler 2002a.

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Drucksache 14/9020 – 88 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Diese Indikation wird unter dem Stichwort „family ba-lancing“ in der Fachliteratur diskutiert. Bisher ist die Ge-schlechtswahl per PID in Großbritannien nur im Fall vonX-chromosomal vererblichen Krankheiten zulässig. Inter-national wird die „sex selection“ im Bereich der „familybalancing“ bereits in mindestens drei Kliniken ange-boten.461

Definierte und eindeutig begrenzte Indikationseinschrän-kungen haben sich international für die PID bislang nichtetabliert.

Mögliche zukünftige Indikationen:

In absehbarer Zukunft wird es voraussichtlich zu einerWeiterentwicklung der derzeit verfügbaren Verfahrenkommen. Denkbar sind darüber hinaus Entwicklung undEinsatz von Tests für Erkrankungen, Behinderungen, Be-einträchtigungen oder Dispositionen, die durch mehrereGene und Umweltfaktoren verursacht werden (polygeneund multifaktorielle Krankheiten). Des Weiteren werdenneue Verfahren wie die sog. Genchips die Möglichkeiteröffnen, eine große Anzahl von Erbanlagen parallel zutesten.462 Diese könnten auch im Rahmen der PID An-wendung finden.

Prinzipiell ist – technisch gesehen – mit der PID nicht nureine „negative Abwahl“, sondern auch eine „positive Aus-wahl“ von Embryonen mit erwünschten genetischenMerkmalen als „Indikation“ möglich. Ferner könnten sichauf den Gebieten des Klonens oder der sog. Keim-bahntherapie weitere Anwendungen für die PID erge-ben.463

1.4.1.1.4 AlternativenZum Angebot der Präimplantationsdiagnostik gibt es ver-schiedene Alternativen.

Medizinisch-technische Alternativen

Den sog. Risikopaaren steht das Angebot der Pränataldia-gnostik (Amniozentese und Chorionzottenbiopsie) of-fen.464

Für den Fall, dass ein erhöhtes Risiko der Weitergabe ei-nes genetischen Defektes vom prospektiven Vater ausgeht(dominante Vererbung) oder mit ausgeht (rezessive Ver-

erbung), besteht die ethisch, und für das zu erzeugendeKind sowohl psychisch als auch rechtlich, nicht unpro-blematische Möglichkeit einer heterologen Inseminationunter Verwendung des Spermas eines Spenders, der dengenetischen Defekt nicht trägt465. Damit kann die Weiter-gabe des Gendefekts vom Mann an das zukünftige Kindausgeschlossen und der Frau die Belastung durch die IVFerspart werden.

Für den Fall, dass ein erhöhtes Risiko der Weitergabe ei-nes genetischen Defektes von der prospektiven Mutterausgeht oder mit ausgeht, kann an den Eizellen eine Pol-körperdiagnostik durchgeführt werden. Dies wäre inDeutschland rechtlich möglich, wird aber bislang nichtangeboten. Wie mit der PID ist mit der Polkörperdiagnos-tik die Durchführung einer IVF verbunden. Allerdingswerden dabei die Eizellen der Frau schon vor der Be-fruchtung genetisch untersucht. Bei der Eizelle kommt eskurz vor dem Eisprung zu einer asymmetrischen Reifetei-lung. In deren Folge entsteht neben der reifen Eizelle dersog. erste Polkörper, welcher das gleiche genetische Ma-terial enthält wie der Kern der Eizelle. Dieser Polkörperwird entnommen und genetisch untersucht. Nur Eizellen,die den gesuchten Gendefekt nicht aufweisen, werden fürdie Befruchtung im Labor verwendet. Nachdem dasSpermium in die Eizelle eingedrungen ist, macht die Ei-zelle noch vor dem Verschmelzen von weiblichem undmännlichem Vorkern eine zweite Reifeteilung durch. Da-bei wird der haploide weibliche Kern erst verdoppelt,dann teilt er sich und eine Hälfte wird als zweiter Polkör-per zwischen eigentlicher Eizelle und Eihülle abgelegt.An diesem zweiten Polkörper kann das Ergebnis der Dia-gnose des ersten Polkörpers überprüft werden.466 Damitkönnte die Weitergabe des Gendefekts von der Frau an daszukünftige Kind weitgehend ausgeschlossen werden.Noch 1997 wurden international „über 70 % aller Präim-plantationsdiagnosen an Polkörpern, und nicht an Em-bryonen bzw. embryonalen Zellen durchgeführt.“467 Auchbei der Polkörperdiagnostik ist der Selektionsgedankenicht von der Hand zu weisen, allerdings sind keine Em-bryonen betroffen und somit ethische Fragen nach demStatus des Embryos nicht berührt.468

Soziale Alternativen

Darüber hinaus sind die folgenden sozialen Alternativenzu nennen:

– der Verzicht auf genetisch eigene Kinder;

– Adoption und Pflegschaft;469461 Zur ethischen Bewertung der PID für die Selektion von Stammzell-

spendern vgl. Boyle/Savulescu 2001.462 Ausführlicher dazu C2 Genetische Daten.463 Bei ihren Klonierungsversuchen nach der bei dem Schaf „Dolly“

verwendeten Methode soll laut Eigenaussagen der Raelianer-Sektebei Anhörungen des US-Kongresses dieser Einsatz der PID erfolgen.Vgl. Maak et al. 2001. Zu den weitreichenden Visionen von GregoryStock über PID und Keimbahnmanipulation siehe auch Stock 2001.Zu den biologischen Risiken der Keimbahnmanipulation (z.B. Aneu-ploidie) vgl. Geisler 2001.

464 Siehe auch C1.3 Erfahrungen mit pränataler genetischer Diagnostikim Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik. Die medizinethi-sche und rechtliche Diskussion um den Schwangerschaftsabbruchkann an dieser Stelle nicht dargestellt werden.

465 Siehe auch C1.2.3.4.4 Verfahren bei Störungen der männlichen Fort-pflanzung und C1.2.7.2 Offene Fragen, bei denen weiterer Bera-tungs-, Klärungs- und gegebenenfalls Handlungsbedarf besteht.

466 Vgl. Kollek 2000, S. 31ff.467 Second International Symposium on Preimplantation Genetics 1997,

zit. n. Kollek 2000, S. 32.468 Weiterführende Angaben zum gegenwärtigen Stand der Polkörper-

diagnostik in Buchholz/Clement-Sengewald 2000.469 Bei diesen Alternativen steht allerdings das Kindeswohl im Vorder-

grund.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 89 – Drucksache 14/9020

– die vorbehaltslose Annahme eines Kindes mit seinergenetischen Ausstattung.

1.4.1.1.5 AnwendungWeltweit sind bis Mai 2001 693 Kinder nach Durch-führung einer PID geboren worden.470

Die von der European Society of Human Reproduction(ESHRE)471 im Jahr 2002 veröffentlichte internationaleErhebung der Erfahrungen von PID-Zentren berücksich-tigt zwischen 1994 und 2001 insgesamt 1 561 Paare bzw.Patientinnen, die 2 074 Behandlungszyklen begonnen ha-ben472. Aus 26 783 entnommenen Eizellen entstanden309 Schwangerschaften, die zu 215 Geburten mit279 Kindern führten.

Für die Durchführung einer PID wurden 2001 insbeson-dere folgende Gründe angegeben (Werte in Klammern:2000).473

– Genetisches Risiko und Ablehnung eines Schwanger-schaftsabbruchs 36 % (44 %);

– Genetisches Risiko und vorheriger Schwangerschafts-abbruch 21 % (28 %);

– Genetisches Risiko in Verbindung mit Sub- bzw. In-fertilität 25,6 % (29 %);

– Altersbedingte Aneuploidie 14,2 % (5,4 %).

Etwa 60 % der Patientinnen waren bereits ein- oder mehr-mals schwanger. Etwa ein Fünftel aller Paare hatte min-destens ein gesundes Kind und etwa ein Viertel hatte be-reits ein oder mehrere betroffene Kinder.474

Die wichtigsten Indikationen für die Durchführung einerPID waren 2001 (Werte in Klammern: 2000)475:

– Chromosomenfehler (numerisch und strukturell)41 % (33 %);

– X-gebundene Genveränderung 19 % (25 %);

– autosomal-rezessive Genveränderung 18,5 % (24 %);

– autosomal-dominate Genveränderung 16 % (17 %).

Für 60 % der PID-Untersuchungen (1 197 Zyklen) lag alsIndikation die Feststellung einer einzelgenetischen Er-krankung vor („Hochrisiko“-Indikation). In 40 % derPID-Zyklen (799 Zyklen) war es das Ziel, Chromoso-menfehler zu identifizieren, in der Regel um die Erfolgs-wahrscheinlichkeit der IVF zu erhöhen („Aneuploidie-Screening“). Der Anteil des Aneuploidie-Screenings hatsich im Vergleich zum Vorjahr um 5 % erhöht. Von 1999bis 2000 hatte sich dieser Indikationsbereich bereits ver-doppelt.

Die 309 klinisch diagnostizierten Schwangerschaften un-terteilen sich in 212 Einlings-, 78 Zwillings-, 54 Drillings-und 4 Vierlingsschwangerschaften:

– Am Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels bestan-den noch 266 Schwangerschaften fort, im Verlauf deszweiten Drittels kam es zum Verlust von 10 weiterenSchwangerschaften, 32 Schwangerschaften dauertennoch an und bei 9 fehlen Angaben. Schließlich kam esbei 215 Schwangerschaften zur Geburt von 279 Kin-dern.

470 Diedrich 2002, S. 6.471 European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002. Die im

Folgenden verwendeten Angaben sind dieser Studie entnommen.Darüber hinaus verwendete Angaben aus der Vorjahresstudie Euro-pean Society of Human Reproduction (ESHRE) 2000 sind jeweilsgekennzeichnet.

472 Davon entfielen erstmals im Jahr 2001 78 Zyklen auf die Ge-schlechtsauswahl aus sozialen Gründen („social sexing“). Vgl. Eu-ropean Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002, S. 236(Tabelle VIII), S. 241 (Tabelle XII bzw. XIII).

473 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002,S. 235 (Tabelle II) bzw. European Society of Human Reproduction(ESHRE) 2000, S. 2674 (Tabelle II). Aus den Tabellen geht nicht her-vor, ob Mehrfachnennungen möglich waren; Insgesamt ca. 11 % derGründe waren „Sonstige“ bzw. „Unbekannt“. Schließlich gaben 1 %ein „Genetisches Risiko und Sterilisation“ an.

474 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002S. 235 (Tabelle I). Die Tabelle führt unter anderem 74 Paare mit zweibzw. drei und sogar ein Paar mit fünf gesunden Kindern auf. Außer-dem werden insgesamt 65 Paare mit zwei oder drei betroffenen Kin-dern und wiederum ein Paar mit fünf betroffenen Kindern doku-mentiert.

475 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002,S. 235 (Tabelle III) sowie European Society of Human Reproduction(ESHRE) 2000, S. 2674 (Tabelle III).

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Drucksache 14/9020 – 90 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Grafik 4

Ergebnisse der Anwendung von PID in 25 Zentren weltweit 1994–2001

Quelle: European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002477

476 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002,S. 242 (Tabelle XIV).

477 Mit Ausnahme gesondert ausgewiesener Zahlen vgl. European So-ciety of Human Reproduction (ESHRE) 2002, S. 236 (Tabelle VIII)und S. 241 (Tabelle XII).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 91 – Drucksache 14/9020

– Zur Überprüfung des PID-Ergebnisses wurden 42 %aller Feten vermittels invasiver pränataler Diagnostikdurch eine Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie478

während der Schwangerschaft überprüft. Dabei stell-ten sich 7 Fehldiagnosen heraus, die 4 Schwanger-schaftsabbrüche zur Folge hatten.

– Bei 9 höhergradigen Mehrlingsschwangerschaftenwurden insgesamt 15 selektive Fetozide vorgenom-men.479

– Für 180 von insgesamt 279 lebend geborenen Kindernliegen Gesundheitsdaten vor. Demnach wurden 12 von180 (6,6 %) mit Fehlbildungen geboren, 76 (42 %) hat-ten neonatale Komplikationen, 3 davon mit Todesfolge.

Als Erfolgsraten lassen sich folgende Werte ermitteln:

– Werden klinische Schwangerschaften auf die durch-geführten Embryotransfers bezogen, so ergibt sicheine Erfolgsrate von 8,7 % (309 klinische Schwanger-schaften/3 524 Embryotransfers);480

– Werden die Lebendgeburten auf die Gesamtzahl allerbegonnenen Zyklen bezogen (sog. Baby-take-home-Rate), so ergibt sich ein Wert von 10,7 % (215 Gebur-ten/1 996 Zyklen).481

Im Durchschnitt wurden für jedes geborene Kind etwa 60 Eizellen befruchtet (279/16 809) bzw. etwa 48 Em-bryonen biopsiert (279/13 417) und etwa 12,6 Embryo-nen übertragen (279/3 524).

1.4.1.1.6 TotipotenzDie Frage nach der in den einzelnen Zellen eines frühenEmbryos liegenden Potenzialität spielt insbesondere vordem Hintergrund der rechtlichen Situation in Deutschlandeine wichtige Rolle für die Zulässigkeit der PID.

Insgesamt lassen sich mindestens vier verschiedene Defi-nitionen von Totipotenz unterscheiden482:

– die Fähigkeit von Zellen, sich in alle drei embryona-len Keimblätter zu differenzieren;

– die Fähigkeit von Zellen, sich in alle Zelltypen einesOrganismus zu differenzieren;

– die Fähigkeit von Zellen, bei Injektion in fremde Blas-tozysten die Keimbahn zu besiedeln;

– die Fähigkeit einer einzelnen Zelle, sich zu einem le-bensfähigen Individuum zu entwickeln.

Im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung dürfte nur dievierte Definition einschlägig sein, sie entspricht § 8 ESchG.

Den meisten empirischen Arbeiten liegt allerdings eine derDefinitionen eins bis drei zugrunde. Schon deshalb ist Vor-sicht bei der Bezugnahme auf entsprechende Daten ange-bracht. Darüber hinaus wurden die meisten Befunde mitVersuchen an Mäuse- oder Primatenembryonen gewonnen.Rückschlüsse auf den Menschen sind daher schwierig.

In der Fachliteratur gibt es verschiedene Angaben über denkonkreten Zeitpunkt des Verlusts jeder Form der Totipotenzvon allen Zellen: Häufig zu finden sind Angaben, wonachmit Abschluss des 8-Zellstadiums sicher nicht mehr bei al-len Zellen Totipotenz vorliege. In anderen Arbeiten wirdbetont, dass diese Eigenschaft alle Embryozellen bis hinzum 16- bis 32-Zellstadium aufweisen, also bis zum sog.Morula-Stadium. Erst danach (70- bis 100-Zellstadium)beginne eine gewisse Differenzierung, indem sich aus derhimbeerartigen Morula ein kugelförmiger Körper (Bläs-chenstadium, d. h. Blastozyst) entwickle, dessen Ober-fläche aus Zellen besteht, die nicht mehr totipotent seien,während einzelne der nach innen, im Hohlraum gelagertenZellen möglicherweise noch totipotent sein könnten.483

Definitive Angaben über die Totipotenz der einzelnenZelle können daher derzeit mangels (human-) embryolo-gischen Wissens nicht gemacht werden. Eine empirischeÜberprüfung der Totipotenz an menschlichen Embryonen(im Sinne der Fähigkeit einer einzelnen Zelle, sich zu ei-nem lebensfähigen Individuum zu entwickeln) ist ausrechtlichen und ethischen Gründen nicht möglich.

1.4.1.2 Rechtliche Regelungen national/international

PID wird in Deutschland derzeit nicht angewendet.

Die rechtliche Situation in der Bundesrepublik Deutschlandschließt nach überwiegender Meinung in der Rechtswissen-schaft die Durchführung von PID an Embryonen aus. Im„Gesetz zum Schutz von Embryonen“ (ESchG) vom13. Dezember 1990 wird in § 1 Abs. 1 Nr. 1 verboten, eineEizelle „zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten,als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von derdie Eizelle stammt“. Ferner wird in § 2 Abs. 1 ESchG jedenicht der Erhaltung des extrakorporal erzeugten Embryosdienende Handlung unter Strafe gestellt.484

Detailliert wird auf die juristischen Argumentationen in1.4.2.2 Juristische Diskussion eingegangen.

Ferner wird auf den Exkurs: Ethische Kriterien im Um-gang mit menschlichen Embryonen in vitro verwiesen.485

478 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002,S. 244 (Tabelle XIX). Für weitere Informationen über die verschie-denen Methoden der Pränataldiagnostik siehe 2.2.2 DiagnostischeTechniken.

479 Vgl. European Society of Human Reproduction (ESHRE) 2002,S. 242 (Tabelle XIV).

480 Zum Vergleich: Aus den Angaben des Deutschen IVF-Registers(DIR) 2001 für 2000 ergibt sich ein Wert von über 26 % (sieheC1.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistierten Reproduktion – undwie häufig tritt er ein?).

481 Lebend geboren wurden insgesamt 279 Babys, zusätzlich waren32 Schwangerschaften mit 43 Feten noch nicht abgeschlossen undvon 14 Feten fehlten Daten. Der ermittelte Wert liegt unter jenem,den das DIR 2000 für 1999 angibt (ca. 16 %). Siehe auch C1.3.2.4.3Was ist der Erfolg der assistierten Reproduktion – und wie häufig tritter ein?

482 Badura-Lotter 2000, S. 60.

483 Vgl. Denker 2000a; siehe auch Kollek 2000, S. 64ff.484 Vgl. Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medi-

zin“ 2001a. 485 Siehe Kapitel B Ethische und rechtliche Orientierungspunkte.

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Drucksache 14/9020 – 92 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Tabel le 12

In Europa und den USA derzeit für PID geltende Regelungen486

Land PID zulässig Gesetzliche Regelung Anmerkungen

Belgien Ja Königlicher Erlass von 1994.PID muss durch lokale Ethikkommissionen ge-nehmigt werden, PID-Zentren unterliegen einem Lizenzierungszwang.

Nur bei medizinischer In-dikation (Chromosomen-anomalie und/oder schwere genetische Erkrankung) und nach eingehender Be-ratung; keine zahlenmäßige Begrenzung der zu befruchtender Eizellen.

Dänemark Ja Gesetz von 1997 Nur für Paare, die ein er-hebliches Risiko der Ver-erbung einer schwerwie-genden genetischen Krank-heit haben.

Beratungspflicht, schriftli-che Zustimmung, keine Begrenzung der Anzahl zu befruchtender Eizellen.

Finnland Ja 1999 PID wird bei schweren Erbkrankheiten bereits in einigen Laboratorien durchgeführt.

Frankreich Ja 1994 PID zulässig in lizenzierten Einrichtungen bei Paaren mit nicht behandelbaren, schwerwiegenden geneti-schen erblichen Krank-heitsdispositionen oder bei Chromosomenanomalien.

Derzeit haben 3 Zentren eine Zulassung. Eizellen dürfen nur zum Zwecke der Erzielung einer Schwan-gerschaft befruchtet wer-den, keine zahlenmäßige Begrenzung.

Griechenland Ja Nein. Zentren für PID müssen wie für PND lizenziert werden. Voraussetzungen sind Beratung und infor-mierte Zustimmung.

Großbritannien Ja 1990 (Human Fertilisation and Embryology Act) Zuständig für Genehmi-gung und Aufsicht von PID und Embryonenforschung ist die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA).

PID ist in 4 lizenzierten Zentren erlaubt zur Ent-deckung genetischer oder chromosomaler Abnormali-täten. Keine PID zur nicht medizinisch indizierten Geschlechtswahl.

Irland Nein Nein (Vorgaben in der Ver-fassung)

486 Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg 1999, sowieBundesministerium für Bildung und Forschung 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 93 – Drucksache 14/9020

noch Tabelle 12

Land PID zulässig Gesetzliche Regelung Anmerkungen

Italien Ja Nein (Kein gesetzliches Verbot, berufsrechtliche Regelungen) Von der Abgeordneten-kammer im Mai 1999 ver-abschiedeter, derzeit im Senat beratener Entwurf eines Gesetzes zur Rege-lung der assistierten Fort-pflanzung verhält sich nicht ausdrücklich über die PID, sondern formuliert ein Verbot „jeder Form der Selektion von Embryonen und Gameten zu eugeni-schem Zweck“

Bisher ist kein Fall der PID bekannt geworden.

Niederlande Ja Nein PID wird seit 1995 als For-schungsprojekt an der Uni-versität Maastricht durch-geführt. Gesundheitsministerium plant, PID in maximal zwei akademischen Kranken-häusern und zunächst aus-schließlich im Forschungs-bereich anzubieten.

Es muss eine Indikations-lage für PND bestehen, zu-sätzlich muss eine schwere nicht behandelbare Erb-krankheit zu erwarten sein. Prüfung durch Ethikkom-mission der Regierung (KEMO). Die Biopsie fin-det im 8-Zellstadium statt, mit der dringenden Emp-fehlung zur folgenden PND.

Norwegen Ja 1994 Gesetz muss alle 5 Jahre evaluiert werden. Novellie-rungsvorschlag wird erwar-tet.

PID ist nur bei unheilbaren erblichen Krankheiten er-laubt, wenn Indikation für IVF vorliegt.

Österreich Nein 1992 Das Fortpflanzungsmedi-zingesetz (FmedG) erlaubt die Untersuchung von ent-wicklungsfähigen Zellen nur, insofern dies für die Herbeiführung einer Schwangerschaft erforder-lich ist (§1 Abs. 1).

PID an „entwicklungsfähi-gen Zellen“ ist nicht zuläs-sig; die Untersuchung an „nicht entwicklungsfähigen Zellen“ ist nicht ausdrück-lich verboten. Es dürfen nur so viele Eizellen be-fruchtet werden, wie für ei-ne aussichtsreiche und zu-mutbare medizinisch unter-stützte Fortpflanzung not-wendig sind.

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Drucksache 14/9020 – 94 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

noch Tabelle 12

Land PID zulässig Gesetzliche Regelung Anmerkungen

Portugal ? Nein (Verfassungsauftrag in Art. 67, die Fortpflanzungsme-dizin zu regeln, ein 1999 diskutierter Entwurf sollte die PID erlauben, soweit sie dem Wohle des Kindes zuträglich sei. Derzeit kei-ne Diskussion.)

Schweden Ja 1991Richtlinien des Nationalen Ethikrates

PID nur bei Verdacht auf schwerwiegende Erbkrank-heiten, die zu frühzeitigem Tod führen und für die es keine Behandlung gibt, Ge-schlechtswahl nur bei ge-schlechtsgebundenen un-behandelbaren Erbkrank-heiten.

Schweiz Nein 2001 (Fortpflanzungs-medizingesetz) Zusätzlich verfassungs-rechtl. Bestimmungen.

FmedG regelt in Artikel 5 die Indikationen für Fort-pflanzungsverfahren: „3. Das Ablösen einer oder mehrerer Zellen von einem Embryo in vitro und deren Untersuchung sind ver-boten.“

Spanien Ja 1988Einsatz gentechnologischer Methoden zur pränatalen Diagnose erlaubt, PID ist somit zulässig.

PID nur zur Beurteilung der Lebensfähigkeit oder Erkennung von Erbkrank-heiten mit dem Ziel der Behandlung, wenn mög-lich, oder des Abratens ei-nes Transfers. Genehmi-gung erforderlich.487

Die nicht medizinische Se-lektion ist verboten.

Kanada Nein Nein Moratorium der kanad. Re-gierung

487 Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches StrafrechtFreiburg 2001, S. 7.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 95 – Drucksache 14/9020

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in derSchweiz, in Irland, in Kanada sowie in einzelnen Bun-desstaaten der USA und in Österreich die PID verbotenist. In Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland,Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen,Schweden und Spanien ist die PID derzeit unter be-stimmten Voraussetzungen zulässig. In Großbritannienund Frankreich existieren spezifische Gesetze und Aus-führungsverordnungen durch die zuständigen Behördenzum Umgang mit Embryonen; Embryonenforschung istinnerhalb der ersten 14 Tage nach der Befruchtung imBlick auf die Verbesserung der Reproduktionstechnikenerlaubt, in Großbritannien zusätzlich auch bei Vorliegenhochrangiger Forschungsziele.

Nach Einschätzung von Experten gibt es bisher nur relativwenige explizite Regelungsaussagen; teilweise fehlen auchnoch Ausführungsbestimmungen, die der gegebenen Rege-lung (z. B. in Norwegen) erst Substanz geben würden.

1.4.2 Diskussionstand Im Hinblick auf die ethische und rechtliche Evaluationder PID wurden die folgenden medizinisch-naturwissen-schaftlichen Sachverhalte als problematisch identifiziert:

– die Erzeugung sog. „überzähliger“ Embryonen;

– die Entscheidung darüber, welche Kinder aus der Zeu-gung hervorgehen sollen, vor Etablierung einerSchwangerschaft;

– die Entnahme von möglicherweise totipotenten em-bryonalen Zellen für die Diagnostik;

– die gesundheitlichen Risiken durch die IVF für die be-troffene Frau und das zukünftige Kind;

– die begrenzte Zuverlässigkeit der Diagnostik.

Aus ethischer Sicht ist zwischen individualethischen undsozialethischen Fragen zu unterscheiden.

Aus juristischer Sicht stellen sich sowohl verfassungs-rechtliche als auch strafrechtliche Fragen im Zusammen-hang mit der PID.

1.4.2.1 Ethische Diskussion

1.4.2.1.1 Embryonenschutz und individuelleRechte

1.4.2.1.1.1 Interessen und Rechte derbetroffenen Paare/Frauen

Eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, ist für vieleMenschen wesentlicher Bestandteil eines erfüllten Lebens.

Für die Zulassung der PID wird in diesem Zusammen-hang angeführt, dass sie die Wahlmöglichkeiten in Bezugauf Fortpflanzungsentscheidungen erhöhe und damit dieprokreative Freiheit erweitere.488

Diese Position impliziert, dass potenzielle Eltern die Frei-heit haben sollten, entsprechend ihren eigenen Wertvor-stellungen über die Inanspruchnahme der PID zu ent-scheiden. Vor diesem Hintergrund wären PID und IVF alsAngebote der modernen Medizin zu betrachten, die einemsog. Hochrisikopaar zur Verfügung gestellt werden soll-ten, damit es dieselben reproduktiven Möglichkeiten hatwie Paare ohne erhöhtes Vererbungsrisiko.

noch Tabelle 12

Land PID zulässig Gesetzliche Regelung Anmerkungen

USA Ja z. T. auf einzelstaatl. Ebene verboten.

1996 „Public Health Ser-vice Act“ (Bundesgesetz) Es gibt keine umfassende bundesstaatliche Regelung zur PID. Die PID ist nur in einigen Bundesstaaten ver-boten. In der Mehrheit der Bundesstaaten ist die PID erlaubt und entweder auf medizinische Zwecke be-schränkt oder gänzlich un-geregelt. Dort ist die PID auch zu selektiven Zwe-cken möglich, z. B. hin-sichtlich des Geschlechts, aber auch anderer Eigen-schaften.

6 Labors bieten PID an. Das Ethikkomitee der American Society for Re-productive Medicine (ASRM) hat sich gegen den Gebrauch der PID zu nichtmedizinischen Zwe-cken ausgesprochen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass von den Möglichkei-ten der Selektion Gebrauch gemacht wird, siehe Fall „Adam Nash“.

488 Vgl. Birnbacher 1999; Schöne-Seifert 1999.

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Drucksache 14/9020 – 96 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Auch sei der Wunsch von Paaren, durch medizinisch un-terstützte Fortpflanzung unter Einschluss der PID leiblicheEltern eines Kindes zu werden, nicht als „Anspruch an dieGesellschaft“ zu begreifen. Dies gelte jedenfalls dann,wenn nicht die Bezahlung solcher medizinischer Hilfedurch die gesetzliche Krankenkasse verlangt werde. Des-halb stelle sich auch nicht die Frage, ob die Gesellschaftsolche Möglichkeiten zulässt, sondern fraglich sei vielmehrdie Legitimation eines Verbots. Vor diesem Hintergrund seialso umstritten, ob der Staat das Recht habe, den betroffe-nen Paaren durch eine Verbotsregelung die PID vorzuent-halten. Es erscheine darüber hinaus fragwürdig, ob die Gesellschaft einem Paar zumuten dürfe, auf leibliche El-ternschaft zu verzichten, wenn diese nur unter der Bedin-gung der genetischen Prüfung des Embryos eingegangenwerde. Der Verweis auf Alternativen (die Pflege- oderAdoptivelternschaft oder gar die Fremdinsemination) al-lein sei nicht als Legitimation für ein Verbot der PID zu ver-wenden. Solche Alternativen sollten in der psychosozialenBeratung aufgezeigt werden; dies gelte ebenso für die Be-lastung, welche einem Paar, insbesondere aber der Frau, beider medizinisch unterstützten Fortpflanzung bevorsteht.

Im Namen der betroffenen Paare bzw. Frauen wird für dieZulässigkeit der PID angeführt, Paare mit einer Prädispo-sition für schwerwiegende genetische Krankheiten hättendas gleiche Recht auf medizinische Hilfe wie Paare mitFruchtbarkeitsstörungen, um ihren Kinderwunsch zu er-füllen. Darüber hinaus wäre die PID im Vergleich mit derPND die gesundheitlich und psychisch weniger belas-tende Option. Das ist insbesondere relevant, sofern derAbbruch einer Schwangerschaft im Falle eines vorher-sehbaren Auftretens einer schwerwiegenden Krankheitoder Behinderung für zulässig erachtet wird.489

Gegen die Zulässigkeit der PID wird eingewendet, dasssich die betroffenen Paare nicht in einer ausweglosenKonfliktsituation befänden und der Verzicht auf eigeneKinder in Erwägung gezogen werden müsse. Ein Lebenohne Kinder müsse nicht notwendigerweise ein unerfüll-ter Lebensweg sein. Bei einem unerfüllten Kinderwunschgehe es primär nicht um ein medizinisch zu behandelndesLeiden im üblichen Sinn, sondern um unerfüllte Lebens-vorstellungen, in welche gesellschaftliche und persönlicheWertvorstellungen einfließen. Auch wenn der Kinder-wunsch von „Risikopaaren“ zweifellos sehr erst genom-men werden müsse, sei ein Recht auf ein eigenes (gesun-des bzw. genetisch getestetes) Kind nicht schlüssig zubegründen. Schließlich werde auch anderen Bürgerinnenund Bürgern mit Kinderwunsch (z. B. Alleinstehenden,Homosexuellen oder Personen, deren Partnerin bzw. Part-ner aus welchem Grund auch immer kein Kind wollen)ein solches Anspruchsrecht gegenüber der Gemeinschaftnicht zugestanden.490

Darüber hinaus gebe es alternative Verfahren zur PID wiedie heterologe Insemination (generell bei rezessiv vererb-ten Erkrankungen; bei dominant vererbten Erkrankungen,

sofern der Mann Überträger ist) und die Polkörperunter-suchung der unbefruchteten Eizelle, sowie die jeweilsProbleme des Kindeswohles aufwerfende Adoption undPflegschaft.491

Außerdem sei unter Berücksichtigung der gesundheitli-chen Gefahren durch Hormonstimulation und Eingriffsri-siken, der angesichts relativ geringer Erfolgsraten auchnach wiederholter IVF starken psychischen Belastung bishin zu behandlungsbedürftigen psychischen Folgeschä-den für die Frau, sowie der „Erfolgsüberprüfung“ durcheine PND zweifelhaft, ob die PID im Vergleich zur PNDtatsächlich weniger belastend für die Frau sei.492

Aus dieser Perspektive sind keine Abwehrrechte der El-tern ersichtlich, die den Staat daran hindern könnten, diePID restriktiv zu regulieren. Im Gegenteil hätte der Staatsogar die Pflicht, unter Berücksichtigung der Wünsche,Interessen und Rechte aller von einer Zulassung der PIDBetroffenen, eine Regelung herbeizuführen.493

1.4.2.1.1.2 Interessen und Rechte dergezeugten Kinder

In der internationalen Debatte wird zur Legitimation vonPID und PND häufig auf das Recht auf körperliche Un-versehrtheit des gezeugten Kindes Bezug genommen.Diese Sichtweise spiegelt sich in den US-amerikanischen„wrongful-life“-Gerichtsentscheidungen.494 Grundlegendfür diese Position ist die Annahme, dass die zu erwartendeLebensqualität des Kindes, sofern diese durch PID oderPND bestimmt werden kann, dem Kind gegenüber ge-rechtfertigt werden müsse.495

Allerdings ist zweifelhaft, ob aus der Perspektive des Kin-des die Eltern für seine genetisch bedingte, gesundheitlicheKonstitution verantwortlich gemacht werden können. DasKind würde ja gar nicht existieren, wenn seine Eltern dieEntwicklung eines Kindes mit entsprechender genetischerVeranlagung verhindert hätten. Derartige „Mitleidsargu-mente“ für die Zulassung der PID werden unter Bezug aufdie Einsicht zurückgewiesen, dass jedes Kind und jederMensch darauf angewiesen ist, von seinen Eltern und vonder Gemeinschaft bedingungslos angenommen zu wer-den. Die Berücksichtigung der Perspektive der gezeugtenKinder würde durch die Infragestellung des Anspruchsauf Anerkennung und Fürsorge aller Menschen (Exis-tenzverhinderung) ad absurdum geführt.496 Es ist fraglich,ob das Mitleidsargument in Deutschland ernsthaft vertre-ten werden kann.

Darüber hinaus wird unter Bezug auf die Interessen undRechte des gezeugten Kindes gegen die Zulassung derPID angeführt, dass eine hohe Erwartungshaltung der El-

489 Vgl. Bundesärztekammer 2000a; Ludwig/Diedrich 1999.490 Graumann 1999.

491 Vgl. Kollek 2000.492 Vgl. Deutscher Ärztinnenbund/Ausschuss für Ethikfragen 2001.493 Mieth 1999a.494 Vgl. dazu C1.3.3.5 Kind als Schaden.495 Neidert/Statz 1999.496 Haker 2001.

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tern gegenüber einem nach IVF/PID geborenen Kind dieEltern-Kind-Beziehung problematisch verändern könne.Das Wissen des Kindes darum, dass seine Eltern es nurunter der Bedingung einer bestimmten genetischen Kons-titution annehmen wollten, könne gegebenenfalls zu einerBelastung der Eltern-Kind-Beziehung führen.497

Der weitaus größte Teil (ca. 80 % bis 90 %) aller alsschwer bezeichneten Behinderungen oder Krankheiten istnicht genetisch bedingt, sondern wird verursacht durchSchwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie Er-krankungen oder Unfälle im späteren Leben. Vor diesemHintergrund wird angeführt, dass Paare, die ihre Bereit-schaft zu fürsorglicher Elternschaft von einer Garantie aufein gesundes und nicht behindertes Kind abhängig ma-chen, ihre Motivation und Eignung grundsätzlich prüfensollten. Auch die PID kann kein gesundes und nichtbe-hindertes Kind garantieren.

Ein weiterer Aspekt sind mögliche Schädigungen desKindes, die erst durch PID und IVF herbeigeführt werden.Langzeitfolgen für das Kind durch die Anwendung vonPID (aufgrund der Entnahme von Zellen in sehr frühenEntwicklungsstadien) wurden bislang nicht festgestellt.Allerdings können sie letztlich nicht vollständig ausge-schlossen werden. Dazu kommen mögliche Schädigun-gen durch IVF-Folgen (z. B. bei Mehrlingsschwanger-schaften), die gegenüber dem Kind von elterlicher wievon ärztlicher Seite zu verantworten seien.498

1.4.2.1.1.3 Schutzwürdigkeit des Embryos Der „Verbrauch“ von Embryonen ist aus mehreren Grün-den mit der Durchführung der PID verbunden:499

Im Unterschied zur konventionellen IVF, bei der alle be-fruchteten Eizellen, zumindest sofern sie über das Vor-kernstadium hinaus in Kultur gehalten werden, in die Ge-bärmutter der Frau übertragen werden, ist PID bei sog.Hochrisikopaaren bewusst auf die Selektion und Nicht-transferierung von Embryonen mit genetischen Beein-trächtigungen gerichtet.

Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die Biopsiemöglicherweise zum Verlust von Embryonen führenkann. Deshalb könnte im Zusammenhang mit der Durch-führung einer PID der Bedarf an Embryonen pro IVF-Be-handlung steigen (teilweise werden bis zu zehn befruch-tete Eizellen angegeben, während bei der konventionellenIVF nur ein bis drei Embryonen pro Behandlung benötigtwerden). Sofern die für die Biopsie verwendeten Zellen(je nach dem Entnahmezeitraum) totipotent sind, könnenauch diese als Embryonen betrachtet werden (künstlichherbeigeführte eineiige Zwillinge). Allerdings ist derZeitrahmen des Übergangs von der Toti- zur Pluripotenzwissenschaftlich umstritten.500

Die PID kann damit auf zwei Wegen zum „Verbrauch“von Embryonen führen.501

Ob ein „Verbrauch“ von Embryonen im Zusammenhangmit der PID für ethisch vertretbar gehalten wird, hängt da-von ab, welcher moralische Status dem Embryo jeweilszugesprochen wird. Nicht immer werden derartige nor-mative Grundlagen der unterschiedlichen, in der Debattevertretenen Positionen dargelegt. Diese müssen daherteilweise rekonstruiert werden.502

Philosophische Konzeptionen, die von der Unteilbarkeitder Menschenwürde ausgehen und daraus ein Lebens-recht für alle Menschen von der Befruchtung an ableiten,halten Abwägungen des „Lebensrechts“ des Embryos mitanderen Gütern für nicht möglich. Diese philosophischeKonzeption wird von ihren Vertreterinnen und Vertreternals Grundlage der gültigen Rechtslage in Deutschland be-trachtet. Aus ihr ergebe sich, dass PID nicht zulässig seinkönne, weil keine unveräußerlichen Rechte der zukünfti-gen Eltern auf dem Spiel stehen.503

Ob im Rahmen der PID entsprechende Rechte der Frauähnlich wie bei einem Schwangerschaftskonflikt berührtsein können („antizipierter Schwangerschaftskonflikt“),ist umstritten.504

Auch ein Teil der Befürworterinnen und Befürworter einerPID-Zulassung unter Bedingungen geht von der unteilba-ren und unbedingten Würde aus, die allem menschlichenLeben bereits in seinen frühen Entwicklungsstufen zu-komme. Die Achtung der Menschenwürde und das Grund-recht auf Leben seien jedoch nicht gleichbedeutend. DasLebensrecht sei – im Gegensatz zur Menschenwürde – ei-ner Abwägung mit anderen Rechtsgütern durchaus zu-gänglich, dürfe aber nur für ebenfalls höchstrangigeRechtsgüter eingeschränkt werden. Menschliches Lebendürfe nicht nur nicht verletzt werden, es müsse auch ge-gen Dritte, gegebenenfalls auch gegen die eigenen Elterngeschützt werden.

Das Lebensschutzgebot sei sowohl ein ethisches als auchein rechtliches. Die Schutzpflicht der Rechtsordnunggelte sowohl zugunsten des geborenen als auch des unge-borenen Lebens. Bei dem vorgeburtlichen menschlichenLeben gewinne die Schutzpflicht der Rechtsordnung mitzunehmender Entwicklung an Intensität. In einem sehrfrühen Stadium, zum Beispiel vor der Einnistung bzw. inden ersten Monaten einer Schwangerschaft, könnten dieLebensinteressen der Mutter ein solches Gewicht haben,dass das Gebot zum Lebensschutz dahinter zurücktrete.

Eine weitere Position verbindet ein abgestuftes Lebens-schutzkonzept mit der Vorstellung, dass die Menschen-würde im Laufe der Entwicklung eines Menschen gleich-sam erst nach und nach erworben werde. Auch diese

497 Vgl. Habermas 2001.498 Kollek 2000.499 Schroeder-Kurth 1999.500 Vgl. Denker 2000b; Beier 1999.

501 Vgl. Schroeder-Kurth 1999.502 Siehe B1 Menschenwürde/Menschenrechte, Exkurs Ethische Krite-

rien im Umgang mit menschlichen Embryonen in vitro. 503 Haker 2000.504 Wiesemann 2000.

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Position erlaubt eine Güterabwägung, die unter Umstän-den zu dem Ergebnis kommen kann, dass der Lebens-schutz gegenüber hochrangigen anderen Gütern zurück-treten müsse. Die PID könne demzufolge, sofern denWünschen und Interessen der zukünftigen Eltern ein ent-sprechend hohes Gewicht beigemessen werde, für zulässigerachtet werden (gradualer bzw. relativer Lebensschutz).Eine weitere Position sieht eine Abwägung des Lebens-schutzes gegenüber anderen hochstehenden Rechtsgüterndurch Verfahren vor (prozeduraler Lebensschutz).505

Andere philosophische Ansätze knüpfen die Zuschrei-bung von Rechten und Schutzansprüchen menschlicherIndividuen an empirische Eigenschaften wie Leidens-fähigkeit, Bewusstsein, Selbstbewusstsein oder die Fähig-keit zur Selbstachtung, die Embryonen nicht zukommen.Für derartige Positionen ist die Schutzwürdigkeit vonmenschlichen Embryonen für die Beurteilung der PIDnicht das ausschlaggebende Kriterium.506 Wenn solchePositionen in der deutschen Debatte vertreten werden,wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sie mit derVerfassung nicht vereinbar seien (Personenwürde-Kon-zeption). Außerdem seien derartige Grenzziehungen im-mer mehr oder weniger willkürlich und führten zu weite-ren ethisch problematischen Konsequenzen. Auch andereMenschen, auf die die genannten Eigenschaften nicht zu-treffen, würden aus dem Kreis derer ausgeschlossen, de-nen Menschenwürde zukommt.

Die meisten Vertreterinnen und Vertreter des absolutenbzw. substanziellen Lebensschutzkonzeptes betrachten diePID ungeachtet aller anderen ethischen Erwägungen alsunzulässig, weil sie die Tötung von Embryonen konse-quenterweise gegebenenfalls einschließe. Umgekehrt hal-ten aber nicht alle Vertreterinnen undVertreter anderer Kon-zepte die PID für zulässig. Vertreter des prozeduralen oderrelativen Lebensschutzes kommen teilweise unter Berück-sichtigung anderer Erwägungen zu einer Ablehnung derZulassung der PID.507 Es wäre daher eine unzulässige Eng-führung, die Frage nach der ethischen Legitimität der PIDalleine vor dem Hintergrund der Kontroverse des Umgangsmit menschlichen Embryonen zu behandeln.

1.4.2.1.1.4 Wertungswiderspruch zwischenPräimplantationsdiagnostik undPränataldiagnostik

In der Debatte der PID wird häufig vorgebracht, dass diederzeitige gesellschaftliche Praxis auf einen Wertungs-widerspruch verweise: Eine gesellschaftliche Praxis miteiner breiten Etablierung der PND und von Verhütungs-methoden, welche nach der Befruchtung ansetzen, einer-seits und einem Verbot der PID andererseits, sei inkonsis-tent. Ein grundsätzliches Verbot der PID sei im Hinblickauf einen derartigen Wertungswiderspruch kaum zu recht-fertigen. Diese Inkonsistenz solle angesichts der gesell-

schaftlichen Akzeptanz von Spirale, Pille danach undfrühen Schwangerschaftsabbrüchen zugunsten der Zulas-sung der PID aufgelöst werden.508

Vor allem von frauenpolitischer Seite wurde dagegen im-mer wieder angemahnt, zu berücksichtigen, ob sich derEmbryo in der Petrischale im Labor befindet (wie beiPID) oder im Körper einer Frau (wie bei Spirale, Pille da-nach, Schwangerschaftsabbruch). Die Frau könne eineFürsorgebeziehung zu einem in ihr wachsenden Embryoaufgrund ihres Rechts auf körperliche und psychische In-tegrität und ihres Rechts auf Selbstbestimmung verwei-gern. Durch staatliche Eingriffe könne der Embryo, soferner sich im Körper einer Frau befindet, nur um den Preis ei-nes Gebärzwanges geschützt werden. Im Gegensatz dazusei die Frau im Fall der PID aber noch nicht schwangerund daher nicht unmittelbar in ihrem Recht auf körperli-che Integrität und Selbstbestimmung betroffen. Vor die-sem Hintergrund könne kein Wertungswiderspruch gese-hen werden.509

Dagegen wird für die Zulassung der PID angeführt, dass fürdie PID ein „antizipierter Schwangerschaftskonflikt“ ange-nommen werden müsse. Hierzu wird angeführt, dass dieAnnahme eines medizinisch indizierten Schwangerschafts-konflikts im Falle einer zu erwartenden Behinderung einesKindes ebenfalls eine Prognose über die Situation nach derGeburt verlange. Eine solche Prognose könne jedoch auchschon vor der Implantation eines Embryos vorgenommenwerden. Die Frau könne nicht zur Implantation „geschä-digter“ Embryonen gezwungen werden.510

Gegen den Geltungsanspruch von Argumenten, die einenWertungswiderspruch zwischen PND und PID behaupten,wird generell angeführt, dass vom Schutz des Lebens desEmbryos im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs nuraufgrund der Notlage, in der sich die Schwangere befin-det, abgesehen werden kann. Eine solche Notlage wird fürden Fall der PID aber bestritten. Die gezielte Herstellungvon Embryonen und deren Selektion nach genetischenKriterien unterliege hingegen eher einem rationalen Kal-kül. Der behauptete Konflikt werde durch ärztliches Han-deln (IVF und genetische Diagnostik) erst herbeigeführt.In diesem Sinne sei die Zeugung von Embryonen in vitromit dem Ziel der Selektion eine mit den Rechten der Frauethisch nicht zu rechtfertigende Handlung. Daher sei esunzulässig, von einem „antizipierten Schwangerschafts-konflikt“ zu sprechen.511

1.4.2.1.2 Gesellschaftliche Konsequenzen

1.4.2.1.2.1 Möglichkeiten der Indikations-begrenzung

Die Notwendigkeit einer Indikationsbegrenzung im Falleiner eventuellen Zulassung der PID mit dem Ziel, die ge-

505 Mieth 2000.506 Singer/Dawson 1993.507 Vgl. Düwell 1998.

508 Vgl. Woopen 1999.509 Vgl. Graumann 2002.510 Vgl. Knoepffler et al. 2000.511 Braun 2001a.

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sellschaftliche Etablierung der PID nicht einer Eigendyna-mik mit fragwürdigen gesellschaftlichen Konsequenzenzu überlassen, kann in der deutschen Debatte als Konsensunterstellt werden.

Für eine Indikationsbegrenzung werden mehrere Mög-lichkeiten diskutiert:

– Mit einem durch den Gesetzgeber oder die Ärzteschaftfestgelegten Indikationskatalog könnte die Zulassungder PID auf besonders schwere Fälle genetischer Er-krankungen begrenzt werden. Dieser Vorschlag wirdaber vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfah-rung Deutschlands in Frage gestellt. Ein Indikations-katalog würde der Stigmatisierung von Menschen, dievon den entsprechenden Krankheiten bzw. Behinde-rungen betroffen sind, gleichkommen und die gezielteeugenisch motivierte Selektion zum rechtlich gesi-cherten Bestandteil des ärztlichen Behandlungsauftra-ges machen. Damit erinnere ein Indikationskatalog anfragwürdige „lebensunwert“-Beurteilungen.512

– Eine Generalklausel, etwa unter Bezug auf ein hohes„Risiko“ für eine bekannte, schwerwiegende gene-tisch bedingte Erkrankung, wird ebenfalls als proble-matisch angesehen. Sie eröffnet weite Interpretations-spielräume durch die Ärztin oder den Arzt bzw. dasbetroffene Paar. Aus diesem Grund wird unter ande-rem die Prüfung der Berechtigung einer PID im Ein-zelfall durch eine interdisziplinär besetzte Kommis-sion vorgeschlagen. Dagegen wird eingewendet, dassdies eine kaum zu rechtfertigende paternalistische Be-vormundung des betroffenen Paares bedeuten würde.Eine Generalklausel könne daher die Indikationsaus-weitung auf Dauer nicht wirkungsvoll einschränken.

Die PID ist ein Verfahren, das über sog. Hochrisikopaarehinaus auch für „normale“ Kinderwunsch-Patientinnenund -Patienten relevant ist. Mit Hilfe der PID können dieErfolgsraten der IVF möglicherweise verbessert werden,wenn Embryonen identifiziert und vom Transfer in dieGebärmutter der Frau ausgeschlossen werden, die auf-grund von Chromosomenanomalien nicht entwicklungs-fähig sind.

Zugunsten dieser Indikation der PID könnte angeführtwerden, dass Kinderwunsch-Patentinnen und -Patientendas Recht auf die bestmögliche therapeutische Unterstüt-zung zur Realisierung ihres Kinderwunsches hätten. DerNichttransfer solcher diagnostisch auffälliger Embryonensei moralisch unproblematisch, da die selektierten Em-bryonen ohnehin nicht lebensfähig wären. Ferner sprichthierfür, dass die einzige Intention dieser Indikation für diePID ist, mit höheren Erfolgsaussichten ein Kind zu erzeu-gen und nicht, die Existenz eines behinderten Kindes zuverhindern. Allerdings wird die Anwendung der PID zurErhöhung der Erfolgsraten der IVF in Europa bislang fürgesellschaftlich schwer legitimierbar gehalten. In der deut-schen Debatte wird in diesem Zusammenhang vor einerunkontrollierten Indikationsausweitung der PID gewarnt.

Umgekehrt wird aber auch die Ausweitung der Indikati-onsgrundlage für die IVF durch die PID problematisiert.Die bislang legitimierte Indikation für die IVF sei alleindie Fruchtbarkeitsstörung eines Paares und nicht die Prü-fung der genetischen Ausstattung eines Kindes. Die An-wendung der IVF für die Durchführung der PID sei eigenszu legitimieren.

Die PID kann auch zur Geschlechtswahl eingesetzt wer-den. In der internationalen Debatte wird dem Wunsch vonPaaren, Kinder beiderlei Geschlechts zu haben, teilweiseein hoher Stellenwert beigemessen. Die PID wird in die-sem Zusammenhang (besonders bei spektakulären Fällenwie dem Verlust der einzigen Tochter oder des einzigenSohnes durch Krankheit oder Unfall) teilweise für akzep-tabel gehalten („family balancing“). Wie ein aktueller US-amerikanischer Fall zeigte, kann die PID auch zur Aus-wahl von Embryonen mit dem Ziel dienen, ein Kind zuzeugen, das nach seiner Geburt beispielsweise als Blut-und Knochenmarksspender für ein erkranktes Geschwis-terkind geeignet ist („designer baby“). Derartige Instru-mentalisierungen von Kindern werden in der deutschenDebatte bislang durchgängig abgelehnt.

1.4.2.1.2.2 Ärztlicher BehandlungsauftragIm Hinblick auf die PID stellt sich die Frage nach einer Ver-änderung des ärztlichen Selbstverständnisses. Das ärztlicheHandeln zielt hier auf die Verhinderung der Existenz einesKindes mit der genetischen Veranlagung für eine Krankheitoder Behinderung und nicht auf die Prävention, Linderungoder Heilung der Krankheit dieses Kindes.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang beispielsweisedas im Bericht der Bioethik-Kommission des LandesRheinland-Pfalz vom 20. Juni 1999 aus den Ausnahme-tatbeständen Landesverteidigung und Katastrophen-schutz zur Rechtfertigung der PID abgeleitete Argument,es sei vertretbar, dass die Gemeinschaft „in streng defi-nierten Einzelfällen aus übergeordneten Gründen Einzel-nen den Lebensverzicht zumutet.“513

Dagegen wird angeführt, dass solche Formulierungenebenso wie die „Selektionspraxis“ von PND und PID selbstdaran erinnern, dass deutsche Ärztinnen und Ärzte in insti-tutionalisierter Form schon einmal im Namen von überge-ordneten Werten und Zielen Menschenrechtsverletzungenin einem fatalen Ausmaß begangen haben. Aus dieser his-torischen Erfahrung sei zu lernen, dass die Verhinderungder Existenz von Menschen mit Behinderung mit demärztlichen Heilauftrag nicht in Einklang zu bringen sei.514

Gegen dieses Argument wird eingewendet, dass der ärzt-liche Handlungsauftrag im Fall der Zulassung der PID al-lein gegenüber dem betroffenem Paar bzw. der betroffe-nen Frau bestünde. Nur dessen bzw. deren zu erwartende

512 Müller 1999.

513 Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz 1999, S. 77. 514 Die Verhinderung der Existenz von Menschen mit Behinderungen

reichte im nationalsozialistischen Deutschland von Maßnahmen wieHeiratsverboten (auf Grundlage ärztlicher Gutachten) über Zwangs-sterilisationen bis hin zu als „Euthanasie“ getarnten Ermordungen.

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Belastung durch ein behindertes Kind könne das ärztlicheHandeln legitimieren.515

1.4.2.1.2.3 „Fortpflanzungstourismus“Für die Zulassung der PID wurde auch das Argument an-geführt, bei Nichtzulassung würden betroffene Paare dieBehandlung in Ländern in Anspruch nehmen, in denen diePID etabliert ist.

Gegen dieses Argument werden zwei Einwände vorge-bracht:

– Zum einen lässt die Tatsache, dass medizinische Ver-fahren von deutschen Paaren im Ausland in Anspruchgenommen werden, keinerlei Schluss auf deren ethi-sche Legitimität zu. Mit dem Hinweis auf einen „Fort-pflanzungstourismus“ kann höchstens die Effizienzeines gesetzlichen Verbotes in Frage gestellt werden.

– Zum anderen lassen die verfügbaren empirischen Da-ten bislang keinen „PID-Tourismus“ deutscher Paarein größerem Umfang erkennen. In den vergangenenfünf Jahren sollen demnach etwa 45 deutsche Paare inBrüssel eine PID in Auftrag gegeben haben.516

1.4.2.1.2.4 Entscheidungsfreiheit und neuesoziale Zwänge

Für die PID wird das Argument genannt, durch neueHandlungsoptionen würde die Selbstbestimmung in Be-zug auf die Fortpflanzung zunehmen. Ihre Zulassung seidaher als positive gesellschaftliche Entwicklung zu be-grüßen.

Gegen die PID wird angeführt, sie würde neue sozialeZwänge für werdende Eltern bzw. werdende Mütter mitsich bringen. Angesichts des gesellschaftlichen Perfekti-ons- und Erwartungsdrucks auf werdende Eltern wird dieFrage aufgeworfen, ob die Entscheidung über die Nut-zung reproduktionsmedizinischer Technologien tatsäch-lich selbstbestimmt vollzogen werden kann. Bei einemVerzicht auf zur Verfügung stehende Diagnosemöglich-keiten wäre im Falle der Geburt eines behinderten Kindesmit Reaktionen der Art: „Das ist doch heute nicht mehrnötig!“ zu rechnen. Schon durch die PND habe sich einederartige gesellschaftliche Entwicklung vollzogen. Fallsdie PID im Vergleich zur PND zukünftig als die „mora-lisch bessere“ Alternative (Vermeidung von Schwanger-schaftsabbrüchen) gelten sollte, könne sich der Erwar-tungsdruck auf werdende Eltern und besonders auf„Risikopaare“ verstärken.517

Es wird die Befürchtung geäußert, dass dadurch die Indi-vidualisierung der Verantwortung für ein behindertesKind zunehmen wird.518 Aus sozialethischer Perspektive

sind aber gesellschaftliche Entwicklungen abzulehnen,welche die Möglichkeit einschränken, individuelle selbst-bestimmte und verantwortliche Entscheidungen ange-sichts schwerwiegender moralischer Probleme zu treffen.

1.4.2.1.2.5 Stigmatisierung undDiskriminierung von Menschen mit Behinderungen

Gegen die PID wird vor allem von Seiten der Behinder-tenverbände und der Behindertenselbsthilfebewegung dasArgument vorgebracht, die PID würde zu sozialer Aus-grenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung von Men-schen mit Behinderungen führen bzw. diese befördern.519

Gegen diese Position wird vorgebracht, dass es zwar ver-ständlich sei, dass sich Menschen mit Behinderungen ge-kränkt fühlen, wenn werdende Eltern PND und PID inAnspruch nehmen, um die Geburt eines behinderten Kin-des zu verhindern. Eine kausale Verknüpfung zwischender Nutzung von PND und PID und einer Zunahme derStigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mitBehinderungen sei aber nicht empirisch belegt. Im Ge-genteil habe die Behindertenselbsthilfebewegung in denletzten Jahren ja eine immer bessere gesellschaftliche In-tegration von Menschen mit Behinderungen erreicht, unddas trotz der breiten gesellschaftlichen Etablierung derPND. Daher sei auch im Falle einer Etablierung der PIDin der medizinischen Praxis nicht mit einer Zunahmestigmatisierender und diskriminierender Tendenzen zurechnen.520

Gegen dieses Argument wird wiederum eingewendet,dass die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderun-gen der Praxis von PND und PID inhärent sei. Zwar seiderzeit noch eine Gleichzeitigkeit der Praxis selektiverPND und der Integration von Menschen mit Behinderungfestzustellen, bei einer weiteren Ausweitung durch eineZunahme des PND-Einsatzes und durch Einführung derPID könne sich die Integrationsbereitschaft aber schnellals brüchig erweisen. Schließlich sei es ja das Ziel der ge-netischen Diagnostik im Fall von PND und PID, Men-schen mit Behinderungen zu verhindern. Zudem zeige dieErfahrung mit der PND, dass individuelle Entscheidungeninternalisierte gesellschaftliche „Lebenswertzuschreibun-gen“ ausdrücken können oder sogar unter direktem Druckdes sozialen Umfelds zustande kommen.

Nicht die individuelle Entscheidung eines Paars oder ei-ner Frau für PND und PID sei als diskriminierend zu be-zeichnen, sondern eine gesellschaftliche Werthaltung, diesich im Zusammenspiel vieler individueller Entscheidun-gen, gesellschaftlicher Erwartungshaltungen und damitverbundenen „Lebenswertzuschreibungen“ äußert. Es seizu befürchten, dass es im Zuge dieser gesellschaftlichenWerteveränderung zur gesellschaftlichen Durchsetzungeiner zunehmenden Diskriminierung und Entsolidarisie-rung von Menschen mit Behinderungen und deren Fami-

515 Vgl. Ludwig 2001.516 Mündliche Mitteilung Dr. Giselind Berg im Rahmen der öffentlichen

Anhörung am 13. November 2000.517 Vgl. Mieth 1999b.518 Wegener 2000; Finke 2000.

519 Deutscher Behindertenrat 2001.520 Vgl. Maio 2001.

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lien kommt. Im Namen der davon betroffenen Menschenmit Behinderungen und Familien solle daher von der Zu-lassung der PID Abstand genommen werden.521

Gegen derartige Positionen wird das Argument vorge-bracht, dass diesbezüglich kein relevanter Unterschiedzwischen PND und PID zu erkennen sei und die PNDschließlich etablierte gesellschaftliche Praxis ist. Dass diePND gesellschaftlich etabliert ist, sagt aber noch nichtsdarüber aus, ob sie ethisch gesehen richtig ist. DerartigeSein-Sollens-Fehlschlüsse sollten in der Debatte vermie-den werden.

1.4.2.1.2.6 Positive Eugenik Im Unterschied zur PND wird der PID eine neue Qualitätder genetischen „Selektion“ zugeschrieben.522

Unter mehreren Embryonen könnten mit zunehmendemWissen um genetische Veranlagungen diejenigen ausge-wählt werden, die den Vorstellungen der Eltern am ehestenentsprechen. Dabei könnten Kriterien wie das Geschlecht,aber vielleicht auch andere Veranlagungen in Zukunfteine Rolle spielen.

Durch die Präimplantationsdiagnostik sei damit erstmalseine effektive positive Eugenik möglich. Im Fall der PIDgehe es um eine positive Auswahl zwischen mehreren ge-zielt für diesen Zweck erzeugten Embryonen, während diePND nur auf eine negative Abwahl hinauslaufe. Eine neueQualität von Handlungsoptionen gehe mit einer neuenQualität gesellschaftlicher Wertvorstellungen einher.

1.4.2.1.2.7 Wegbereitung für Embryonen-forschung und Keimbahntherapie

Die PID stellt eine Voraussetzung für die Entwicklung derKeimbahntherapie dar. Außerdem entstehen, wie bereitserwähnt, bei der Durchführung der PID sog. „überzählige“Embryonen. Vor diesem Hintergrund wird gegen die Zu-lassung der PID vorgebracht, sie öffne die Tür zu verbrau-chender Embryonenforschung und Keimbahntherapie.

Gegen solche Slippery-slope-Argumente wird eingewen-det, dass die Etablierung der Praxis der PID nicht mit empi-rischer Notwendigkeit zu bestimmten weiteren Entwicklun-gen (Embryonenforschung, Klonieren, Keimbahntherapie)führen müsse.523

Darüber hinaus könne aus einer möglichen ethischenVerwerflichkeit der weiteren Entwicklung (z. B. Keim-bahntherapie) nicht auf die ethische Verwerflichkeit derhierfür grundlegenden Praxis (hier PID) geschlossenwerden.

Sofern die PID zugelassen wird, habe der Gesetzgeber im-mer noch genügend Entscheidungsspielraum, weitere un-erwünschte Entwicklungen zu verbieten.

Diese Einwände treffen allerdings nicht für komplexereSlippery-slope-Argumente zu. Diese beziehen sich da-rauf, dass sich in der faktischen Möglichkeit weiterer Ent-wicklungen durch die Etablierung der PID in Verbindungmit einer gesellschaftlichen Werteveränderung im Zuge derLegitimierung der Praxis der PID eine bestimmte Entwick-lungsrichtung der biomedizinischen Praxis abzeichne.Diese laufe auf eine Tendenz zur zunehmenden Kontrolleder genetischen Konstitutionen des Nachwuchses und aufeine zunehmende Instrumentalisierung von menschlichemLeben für die Wünsche und Interessen Dritter hinaus. Einesolche Entwicklung sei nicht wünschenswert, fraglich seiaber, ob der Gesetzgeber nach der Etablierung der PIDeine solche Entwicklung noch durch die ihm zur Verfü-gung stehenden Maßnahmen zurückdrängen könne.524

1.4.2.2 Juristische Diskussion In der juristischen Debatte um die Präimplantationsdia-gnostik sind drei Themenkomplexe von Bedeutung:

– die geltende Rechtslage nach dem Embryonenschutz-gesetz (ESchG);

– die Vereinbarkeit einer Zulassung bzw. eines Verbotsder PID mit anderen Bereichen des vorgeburtlichenLebensschutzes („Wertungswiderspruch“) und

– verfassungsrechtliche Fragen.

1.4.2.2.1 Die Rechtslage nach demEmbryonenschutzgesetz

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion besteht Einig-keit darüber, dass das Embryonenschutzgesetz die Ver-wendung totipotenter525 Zellen zur Diagnostik im Rah-men der PID verbietet. Da diese Zellen gemäß § 8 Abs. 1ESchG einem Embryo gleichgestellt sind, fällt ihre Ab-spaltung unter das Klonverbot des § 6 Abs. 1 ESchG, ihr„Verbrauch“ durch die Diagnostik unter § 2 Abs. 1 ESchG(Verwendung zu einem nicht der Erhaltung dienendenZweck). Soweit jedoch nicht mehr totipotente Zellen fürdie genetische Untersuchung verwendet werden, wird dieRechtslage unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird geltend gemacht, dass bei der Verwendungnicht mehr totipotenter Zellen kein Konflikt mit § 1 Abs. 1Nr. 2 ESchG bestehe, da die PID letztlich auf die Her-beiführung einer Schwangerschaft gerichtet sei. Die mög-liche Verwerfung von genetisch auffälligen Embryonen seilediglich eine unerwünschte Nebenwirkung. § 3 ESchG,welcher die Möglichkeit der Geschlechtswahl durch Aus-wahl bestimmter Samenzellen zur Vermeidung einerschweren, geschlechtsgebundenen Krankheit zulässt,zeige auch, dass eine selektive Ausrichtung fortpflan-zungsmedizinischer Maßnahmen nicht von vornherein

521 Vgl. Graumann 2001b.522 Testart/Sèle 1995; 1999.523 Vgl. Maio 2001.

524 Vgl. Graumann 2001c. In diesem Zusammenhang ist auch die in derDiskussion zur Einführung der PID häufig geäußerte Warnung zu be-denken, ein Verbot der PID könne die Keimbahntherapie legitimie-ren. Diskutiert wird ferner die Präimplantationstherapie als Optionim Rahmen der PID.

525 Zum Begriff der Totipotenz siehe auch C1.4.1.1.6 Totipotenz.

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Drucksache 14/9020 – 102 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

ausgeschlossen sei. Ferner wird argumentiert, dass die Be-fruchtung der Eizelle bei der PID durchaus in der Absichterfolge, mit eben dieser Eizelle eine Schwangerschaft her-beizuführen, allerdings unter der Bedingung, dass die ge-netische Untersuchung die befürchtete Schädigung nichtergebe. Eine objektiv bedingte Absicht sei nach den all-gemeinen Regeln des Strafrechts der unbedingten Absichtgleich zu achten. Damit scheide eine Strafbarkeit nach § 1Abs. 1 Nr. 2 ESchG bei PID aus.

Für eine Unvereinbarkeit von PID und Embryonenschutz-gesetz wird dagegen angeführt, dass die Herbeiführung ei-ner Schwangerschaft zum Zeitpunkt der jeweiligen künst-lichen Befruchtung mit gerade diesem erzeugten Embryonicht beabsichtigt sei. Damit liege der von § 1 Abs. 1 Nr. 2ESchG geforderte Zweck nicht vor. Zum Zeitpunkt derkünstlichen Befruchtung existiere eine bestimmte Ver-wendungsabsicht – zur Herbeiführung einer Schwanger-schaft oder zur „Verwerfung“ – gerade nicht (auch nichtals „objektiv bedingte Absicht“). Ob der Embryo einenGendefekt in sich trägt oder nicht, sei noch unbekannt. Vondaher könne sich der Wille der Ärztin bzw. des Arztes we-der auf die eine noch die andere Handlungsalternativerichten. Gerade die beabsichtigte Gendiagnostik zeige,dass die Entscheidung zur Herbeiführung einer Schwan-gerschaft bei der künstlichen Befruchtung noch nicht ge-fallen sei. Denn sonst könnte der Embryo auch ohne Gen-test übertragen werden.

Der vom Gesetzgeber mit dem Embryonenschutzgesetzintendierte Schutz des Lebens beziehe sich eindeutig aufdas einzelne menschliche Leben und damit auf den ein-zelnen Embryo. Das Bundesverfassungsgericht habe auchin seinem Urteil zum Gesetz zur Regelung des Schwan-gerschaftsabbruches vom 28.5.1993526 in seinem Leit-satz 2 festgestellt:

„Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezo-gen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschli-ches Leben allgemein.“

Der Verweis auf § 3 ESchG betreffe nur die Auswahl vonSamenzellen zur Vermeidung der Entstehung genetischbelasteter Embryonen, rechtfertige aber nicht die „Ver-werfung“ bereits entstandener Embryonen.

1.4.2.2.2 Wertungswiderspruch zwischen denNormen des Embryonenschutz-gesetzes und anderen rechtlichenRegelungen

In der Debatte um die PID wird zwischen den umfangrei-chen Schutzbestimmungen des Embryonenschutzgeset-zes und anderen rechtlichen Regelungen für ungeborenesLeben ein Wertungswiderspruch gesehen.

Während das Embryonenschutzgesetz den Umgang mitkünstlich erzeugten Embryonen sehr restriktiv regele, seider Schutzstandard für natürlich entstandene Embryonenim Mutterleib wesentlich geringer. Bis zum Abschluss derNidation bestehe bei natürlich gezeugten Embryonen gar

kein strafrechtlicher Schutz (§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB),während der folgenden Entwicklungswochen ermöglichedie Beratungsregelung in großem Umfang straffreie Ab-treibungen (§ 218a Abs. 1 StGB) und bei genetischen oderanderen vorgeburtlichen Schädigungen seien embryopa-thisch motivierte Schwangerschaftsabbrüche im Rahmender medizinischen Indikation sogar ohne Fristbegrenzungmöglich (§ 218a Abs. 2 StGB). Wenn demnach sehr vielweiter entwickelte Embryonen bzw. Feten vorgeburtlichstraflos oder rechtmäßig getötet werden können, sei einVerbot der PID nicht widerspruchsfrei zu begründen.

Vor allem wird eine Parallele zur Zulässigkeit von em-bryopathisch motivierten Abtreibungen gezogen.

Der insoweit im Rahmen der medizinischen Indikationvorausgesetzte existenzielle Konflikt, mit dem sich dieSchwangere für den Fall der Geburt eines behindertenKindes konfrontiert sieht, könne „antizipiert“ werden undmüsse bei künstlicher Befruchtung bereits vor dem Trans-fer eines genetisch auffälligen Embryos Berücksichtigungfinden.

Die PID sei daher mit einer vorverlagerten Pränataldia-gnostik gleichzusetzen. Soweit die PID als „Zeugung aufProbe“ bezeichnet werde, entspreche dies lediglich der be-reits durch die Pränataldiagnostik in Verbindung mit § 218aAbs. 2 StGB möglichen „Schwangerschaft auf Probe“.

Dieser Argumentation wird entgegengehalten, dass unter-schiedliche Rechtsfolgen in unterschiedlichen Sachzu-sammenhängen gerechtfertigt seien.

Die grundsätzliche Wertung des ungeborenen Lebens inHinblick auf seinen verfassungsrechtlichen Status undseine Schutzwürdigkeit bleibe hiervon unberührt. Währenddie Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch wesentlichdavon geprägt seien, dass eine einzigartige körperlicheVerbindung zwischen Embryo und Frau bestehe (dasBundesverfassungsgericht spricht von der „Zweiheit inEinheit“), fehle diese bei der In-vitro-Fertilisation und da-mit auch bei der PID.

Der Schutz des Embryos könne bei natürlich entstandenerSchwangerschaft nur mit und nicht gegen die Mutter durch-gesetzt werden. Im Rahmen künstlicher Fortpflanzungs-techniken seien die Eingriffsmöglichkeiten zugunsten desEmbryos größer. Insbesondere könne der Staat wirksam,z. B. mit Mitteln des Strafrechts, auf die Ärztin bzw. denArzt einwirken, die In-vitro-Fertilisation mit dem Ziel ei-ner selektiven Diagnostik zu unterlassen.

Zwischen einem bestehenden Schwangerschaftskonfliktund einem „antizipierten“ Konflikt bestehe außerdem einUnterschied. Bei der PID werde nicht auf einen bestehen-den Konflikt reagiert, sondern der Konflikt bewusst ein-kalkuliert und die Konfliktsituation durch die In-vitro-Fertilisation erst herbeigeführt.

Nach der geltenden Rechtslage sei eine „Schwangerschaftauf Probe“ zwar faktisch möglich, sie werde aber recht-lich nicht gebilligt. Der Gesetzgeber habe 1995 die „em-bryopathische Indikation“ im § 218 StGB abgeschafft.Von daher könne es auch keinen Anspruch auf die Zulas-sung der „Zeugung auf Probe“ geben.526 BVerfGE 88, S. 203ff.

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Falls zwischen einem substanziellen Embryonenschutzund den Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch tat-sächlich ein Wertungswiderspruch zu sehen sei, ergebe sichhieraus allein kein Argument für die PID. Denn welchesSchutzniveau im Rahmen der PID verwirklicht werdensolle – das des Embryonenschutzgesetzes oder das desStrafgesetzbuches – bedürfe einer eigenen Begründung.

1.4.2.2.3 Verfassungsrechtliche DiskussionIn der Diskussion der verfassungsrechtlichen Aspekte derPID werden insbesondere folgende Argumente für eineZulassung der PID angeführt:

– Der extrakorporal erzeugte Embryo sei noch nichtTräger der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG); hierzubedürfe es beispielsweise einer gewissen Erkennbar-keit als menschliches Wesen. Aber auch bei Zuerken-nung von Menschenwürde sei fraglich, ob eine Ver-werfung des Embryos nach PID neben dem Eingriff indas Lebensrecht auch einen Eingriff in die Menschen-würde darstelle.

– Der Embryo habe Anspruch auf Schutz seines Lebens(Art 2 Abs. 2 S. 1 GG). Das Recht auf Leben könne je-doch vom Gesetzgeber zugunsten anderer Rechtsbe-lange und Interessen eingeschränkt werden (Art. 2Abs. 2 S. 3 GG). In Hinblick auf die PID gebe esschutzwürdige Rechte Dritter, insbesondere der künf-tigen Eltern, die eine Verwerfung genetisch geschädig-ter Embryonen rechtfertigten. Zumindest sei es nichtzwingend, ein strafrechtliches Verbot auszusprechen.

– Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) – subsidiärauch Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit)– enthalte zudem ein Recht auf Fortpflanzung. Paarenkönne es nicht verwehrt werden, zur Zeugung von ge-netisch geprüften Kindern auch die medizinisch gege-benen Möglichkeiten der PID zu nutzen.

– In Bezug auf Verbotsforderungen gegenüber der PIDmüsse auch die Forschungs- und Wissenschaftsfrei-heit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) bzw. die ärztliche Berufs-freiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beachtet werden.

– Bei der Abwägung zwischen widerstreitenden Grund-rechten sei zu berücksichtigen, dass nicht nur auf Sei-ten des Embryos, sondern auch auf Seiten der Mutterdas Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheitbetroffen sei. Ein möglicher Missbrauch der PID oderdie Gefahr einer Ausweitung über eng begrenzte Indi-kationen hinaus, seien keine Argumente gegen einenzulässigen Gebrauch dieser Technik. Die rechtlicheBegrenzung gehe einem (strafrechtlichen) Verbot vor(Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).

– Als Abwägungsaspekt wird auch vorgetragen, dass dieSchutzwürdigkeit des Embryos im Laufe seiner Ent-wicklung anwachse. In den ersten Entwicklungssta-dien sei die Schutzwürdigkeit des extrakorporal ge-zeugten Embryos gering und könne gegenüberanderen rechtlichen Interessen eher zurückstehen.

– Schließlich müsse beachtet werden, dass über einenEmbryotransfer letztlich nur die Frau entscheiden

könne. Wenn diese Entscheidungsbefugnis (Art. 2Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG) bei der künstlichen Befruchtungakzeptiert werde, müsse dies auch bei der PID gelten.

Gegen eine Zulassung der PID werden folgende Über-legungen angeführt:

– Der menschliche Embryo sei in seinen frühesten Ent-wicklungsstadien von Art. 1 Abs. 1 GG geschützt.Durch die „Zeugung auf Probe“ werde gegen die Men-schenwürdegarantie verstoßen, der menschliche Em-bryo werde nicht als Eigenwert, sondern als Objekt undMittel zum Zweck behandelt. Zumindest werde durchdie PID das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) inungerechtfertigter Weise verletzt. Bei der Verwendungtotipotenter Zellen für die Diagnostik und der Verwer-fung des Embryos werde über menschliches Lebenverfügt. Eine Einschränkung des Rechts auf Leben beiunschuldigen, nicht angreifenden Menschen verstoßegegen die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG).In der Zielsetzung der PID, genetisch belastete Em-bryonen zu erkennen und von einem Embryotransferauszuschließen, liege ferner ein Verstoß gegen Art. 3Abs. 3 S. 2 GG (Selektion und Vernichtung – nicht„Verhinderung“ – erbkranken Nachwuchses) vor.

– Das Recht der betroffenen Paare, sich fortzupflanzen(Art. 6 bzw. 2 Abs. 1 GG), sowie die Forschungs- undWissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) seien keineausreichende Rechtfertigung für die PID. Das Recht,sich fortzupflanzen, umfasse nicht das Recht der ge-netischen Auswahl des Kindes. Die Forschungs- undWissenschaftsfreiheit sei bei der Anwendung der PIDim Rahmen der assistierten Reproduktion nicht be-troffen. Diese Rechte fänden ihre Grenzen am vorran-gigen Recht auf Leben und der Menschenwürde.Wenn der Staat die Möglichkeit zur präimplantativenAussonderung genetisch abweichender Embryonenverbiete, komme er einer verfassungsrechtlichenSchutzpflicht nach.

– Ein Verbot der PID wahre auch den Verhältnismäßig-keitsgrundsatz. Eine Beschränkung der PID nach inder Praxis wirksamen Kriterien auf eine bestimmtePersonengruppe oder bestimmte nicht erwünschteMerkmale sei nicht möglich. Werde die Indikation fürPID generalklauselartig beschrieben, sei eine Begren-zung der Praxis nicht gewährleistet; ein enger Indika-tionenkatalog stigmatisiere bestimmte Merkmale als„lebensunwert“ bzw. „unerwünscht“.

– Ein „zunehmendes Lebensrecht“ sei nicht rational be-gründbar und widerspreche der Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts. Weshalb bestimmte Ent-wicklungsphasen des menschlichen Lebens ein „stär-keres“ Recht auf Leben begründeten als andere, seinicht willkürfrei zu bestimmen. In der Konsequenzkönnte nach dieser Auffassung dann am Ende des Le-bens auch von einem „abnehmenden Lebensrecht“ausgegangen werden.

– Die von den Befürworterinnen und Befürwortern derPID gezogene Parallele zur Ablehnung des Embryo-transfers bei der IVF greife nicht. Im Rahmen der IVF

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stelle die Ablehnung des Transfers einen absolutenAusnahmefall dar, werde rechtlich nicht gebilligt,müsse aber toleriert werden (nicht durchsetzbareRechtspflicht zum Embryotransfer). Bei der PID seidie Verwerfung des Embryos dagegen in hohem Maßwahrscheinlich, von vornherein einkalkuliert und me-thodenimmanent.

– Aber selbst wenn die Tötung von Embryonen im Rah-men einer Abwägung nach Art. 2 Abs. 1 und 2 GG fürzulässig erachtet werden sollte und das Grundrecht auffreie Entfaltung der Persönlichkeit im Falle eines Ver-bots der PID betroffen wäre, müsste dies nicht not-wendigerweise eine Erlaubnis der PID nach sich zie-hen. Die PID müsste auch dann auf dem Wege einesGesetzes verboten oder eingeschränkt werden, soferndies im überwiegenden Allgemeininteresse steht.

– Eine vergleichbare rechtliche Situation liege für dasVerbot der Sterbehilfe vor. § 216 StGB stellt die Tötungauf Verlangen trotz der Straflosigkeit der Selbsttötungund des grundrechtlich verbürgten Selbstbestim-mungsrechts der Patientin bzw. des Patienten unterStrafe. Der Grund hierfür ist, dass eine Freigabe derSterbehilfe dem Allgemeininteresse widerspricht:

„Bei der Zulassung der aktiven Sterbehilfe könnte sich je-der Kranke, der ohne Aussicht auf Besserung eine auf-opfernde und hohe Kosten verursachende Pflegebenötigt, zumindest dem indirekten Druck oder der un-ausgesprochenen Erwartung ausgesetzt sehen, seine An-gehörigen oder die Allgemeinheit oder beide durch dieBitte um die todbringende Medikation zu entlasten.“527

1.4.3 Regelungs- und HandlungsbedarfDas große öffentliche Interesse und die zwischenzeitlichweit über die Fachöffentlichkeit hinaus geführte Debatteüber den Umgang mit der PID in Deutschland weisen aufdie Notwendigkeit einer Regelung hin.

Derzeit wird die PID in Deutschland im Wesentlichen auszwei Gründen nicht durchgeführt:

– Nach herrschender Meinung ist die PID nicht mit demdeutschen Embryonenschutzgesetz vereinbar.

– Zudem wird sowohl von Befürworterinnen und Be-fürwortern als auch von einigen Kritikerinnen undKritikern der PID die Auffassung vertreten, es müssenormative Eindeutigkeit geschaffen werden, um einerechtliche Unsicherheit zu vermeiden.

1.4.4 Regelungsoptionen und -vorschläge Bezüglich der Regelung der PID bestehen grundsätzlichfolgende Optionen, deren Präferenz vor allem davon ab-hängt, welcher rechtliche Status dem menschlichen Embryozuerkannt wird, inwiefern sich bei der PID ein womöglichgesetzlich zu regelnder Interessenkonflikt mit den poten-ziellen Eltern ergibt und welche Regelung der PID demüberwiegenden Allgemeininteresse entspräche.

Dass die PID nur durch den Gesetzgeber geregelt werdenkann, ist in der Enquete-Kommission einhellige Auffas-sung. Die theoretisch bestehende Möglichkeit einer nicht-gesetzlichen Regelung der PID hält die Enquete-Kom-mission nicht für einen gangbaren Weg. Die PID stellt einVerfahren dar, welches zumindest den von der Verfassunggeforderten individuellen Schutz menschlichen Lebens(Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) berührt. Eine Regelung durch denDeutschen Bundestag ist schon deshalb erforderlich, weilnach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts grundrechtsrelevante Fragen durch den Gesetzgeberentschieden werden müssen. Der Staat ist verpflichtet, dieoben angeführten konkurrierenden Grundrechte legislativvoneinander abzugrenzen, miteinander ins Verhältnis zusetzen und gegebenenfalls einander nachzuordnen.

Es ergeben sich somit in Abhängigkeit von der Bewertungdes grundrechtlichen Status des Embryos zwei grundle-gend verschiedene Alternativen:

– Wird dem menschlichen Leben von Anfang an Men-schenwürde zuerkannt, so ergibt sich die gesetzgebe-rische Notwendigkeit des Verbots der PID.

– Wird die Verwerfung eines Embryos zwar als Eingriffin dessen Lebensrecht, nicht jedoch als ein Eingriff indessen Menschenwürde verstanden oder wird ein andem Entwicklungskontinuum des menschlichen Le-bens orientiertes späteres Wirksamwerden der Würde-garantie für möglich gehalten, so ergibt sich zwar diegesetzgeberische Regelungspflicht, gleichzeitig je-doch die Möglichkeit der Abwägung zwischen denverschiedenen betroffenen Grundrechten.

1.4.4.1 Gesetzliches Verbot derPräimplantationsdiagnostik

Da die Menschenwürde „unantastbar“ und damit einerAbwägung mit Freiheitsgrundrechten Dritter nicht zu-gänglich ist, müsste der Gesetzgeber ein Verbot ausspre-chen, wenn der sich entwickelnde menschliche Embryoschon von Beginn an Träger des Menschenwürdeanspru-ches nach Art. 1 Abs. 1 GG ist.

Derzeit liegt in dieser Frage noch keine höchstrichterlicheEntscheidung vor. Die Urteile des Bundesverfassungsge-richtes zur Abtreibungsfrage enthalten keine bindendenAussagen zur Teilhabe des menschlichen Embryos in vitroam Schutzanspruch der Menschenwürde. Allerdings hältdas Bundesverfassungsgericht es für naheliegend, den Be-ginn des menschlichen Lebens auf den Zeitpunkt der Ver-schmelzung von Ei- und Samenzelle festzulegen.528

Die Fähigkeit etwa zur Selbstreflexion und Selbstachtungist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes nichtVoraussetzung dafür, dass menschlichem Leben Würdezukommt.

Aus dem Vorgenannten wird die Verpflichtung des Staa-tes zur Wahrung der Menschenwürde vom Anbeginnmenschlichen Lebens abgeleitet.

527 Kutzer 2001. 528 Vgl. BVerfGE 88, S. 203 (251).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105 – Drucksache 14/9020

Wenn die Verwerfung eines Embryos nicht nur einen Ein-griff in das Lebensrecht des Embryos, sondern gleichzei-tig eine Verletzung seiner Menschenwürde darstellt, er-gibt sich für den Gesetzgeber eine Pflicht, die PID nichtzuzulassen.

Außerdem könnte die PID gesetzlich verboten werden,wenn dies im überwiegenden Allgemeininteresse steht.Im Allgemeininteresse steht zu vermeiden, dass sich wer-dende Eltern einem Zwang ausgesetzt sehen, die Gesund-heit ihres Nachwuchses zu garantieren, und dass sichchronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen inihrer Existenzberechtigung in Frage gestellt sehen.

1.4.4.2 Gesetzliche Zulassung derPräimplantationsdiagnostik

Auch die meisten Befürworterinnen und Befürworter ei-ner gesetzlichen Zulassung gehen von der Annahme aus,dass verfassungsrechtlich zu schützendes menschlichesLeben ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von weibli-chem und männlichem Zellkern vorliege.

Einige von ihnen teilen jedoch nicht die Auffassung, dassden frühesten Entwicklungsstadien menschlichen Lebensbereits Menschenwürde zukomme, sondern halten es fürmöglich, im Stadium vor der Implantation Raum für Ab-wägungsprozesse zu lassen. Im Ergebnis gehen sie von ei-nem abgestuften, mit zunehmender Entwicklung sich ver-stärkenden Schutz der Menschenwürde aus, der insoferneine Modifikation des entwicklungsunabhängigen, „abso-luten“ Schutzes der Menschenwürde darstelle, den dasBundesverfassungsgericht dem Embryo nach der Nida-tion zuspricht.

Bei Diagnosemaßnahmen zur Aufklärung schwerwiegen-der Risiken (z. B. Krankheiten oder Behinderung des sichentwickelnden Embryos oder Gesundheitsrisiken für diepotenzielle Mutter) gehe es nicht um Maßnahmen, welchedie Würde des Embryos als potenzielle „Person“ verlet-zen. Im Vordergrund stehe vielmehr der Eingriff in dasgrundrechtlich geschützte Lebensinteresse der Schwan-geren, was sich auch in der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts zur Zulassung des medizinisch indi-zierten Schwangerschaftsabbruches widerspiegele.529

Insofern besteht für die Vertreterinnen und Vertreter dieserPosition die Möglichkeit einer Abwägung der elterlichenund der ärztlichen Grundrechte gegen das Lebensrecht desEmbryos. Zugleich wird darin eine gesetzgeberische Ver-pflichtung zur Normierung gesehen.

Einige Vertreterinnen und Vertreter dieser Position gehendavon aus, dass die Durchführung von PID unter Verwen-dung von nicht totipotenten Zellen aus der Blastozyste zudiagnostischen Zwecken, die am Ende das Ziel haben soll,eine Schwangerschaft einzuleiten, mit dem Embryonen-schutzgesetz vereinbar sei.530 Andere wiederum sehen bei

der PID einen Verstoß gegen Bestimmungen des Em-bryonenschutzgesetzes.

Ob ein völliges Verbot von PID-Maßnahmen auch bei Inan-spruchnahme von nicht mehr totipotenten Zellen (im Sinnevon § 8 Abs. 1 ESchG) verfassungswidrig wäre, bedürfteaus dieser Perspektive in solchen Fällen der Klärung, in de-nen es um die Aufklärung von Risiken einer Schwanger-schaft für Leben oder körperliche Unversehrtheit der Frauoder womöglich auch um Risiken einer schwerwiegendenKrankheit oder Behinderung für den sich entwickelndenEmbryo geht und alternative Diagnosemöglichkeiten ähnli-cher Wirksamkeit nicht zur Verfügung stehen.

Einige Vertreterinnen und Vertreter einer gesetzlichen Zu-lassung fordern, dass PID auf Paare beschränkt bleibensolle, für deren Nachkommen aufgrund der elterlichen ge-netischen Prädisposition ein hohes Risiko (mindestens25 %) für eine bekannte und schwerwiegende, genetischbedingte Erkrankung besteht.531

Die Verwirklichung etwaiger Interessen an einer gesteuer-ten Wahl des Geschlechts, an der Vermeidung schlicht „un-typischer“ und „unschöner“ Erscheinungsmerkmale oderan der Selektion bestimmter Fähigkeiten könne der Ge-setzgeber im Lebensinteresse des Embryos bei der Durch-führung der PID hingegen ausnahmslos verbieten. Dasgelte auch für spätmanifestierende Krankheiten.

Für die Ausgestaltung einer gesetzlichen Zulassung derPID bestünden wiederum verschiedene Optionen:

– Denkbar wäre eine Zulassung unter restriktiven Bedingungen, die den Zugang, die Indikationen so-wie die praktische Durchführung der PID betreffenkönnen.

– Ebenfalls möglich wäre die Wahl institutioneller Re-gelungen wie etwa die verpflichtende Befassung einerEthikkommission mit jedem Einzelfall, eine Bera-tungspflicht der Paare sowie die Etablierung eines Li-zenzverfahrens für die Durchführung der PID, derenVergabe an objektive und überprüfbare Qualitätskrite-rien gebunden ist.

– Schließlich bestünde die Möglichkeit einer zeit-lichen Befristung der Zulassung mit anschließendererneuter parlamentarischer Beratung aufgrund einesBerichts.

– Eine uneingeschränkte Zulassung der PID könnte nurunter der Voraussetzung gerechtfertigt werden, dassnicht nur die Würde, sondern auch das Lebensrechtdes menschlichen Embryos erst im Verlauf seiner Ent-wicklung zunimmt. Insofern bestünde für den Gesetz-geber in den frühesten Entwicklungsphasen entwederkeine Verpflichtung oder womöglich auch gar keineRechtsgrundlage zur Einschränkung von Elterngrund-rechten.

529 BVerfGE 88, S. 203 (251 ff.). Das vorgetragene Argument entsprichtden Ausführungen von Herdegen 2001.

530 Zur Embryobiopsie siehe auch Abschnitt C1.4.1.1.1 Embryobiopsie.

531 Fachleute gehen von etwa 80 bis 100 Paaren jährlich in Deutschlandaus, vgl. mündliche Mitteilung von Prof. Klaus Diedrich im Rahmender öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission am 13. No-vember 2000.

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Drucksache 14/9020 – 106 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1.4.5 Bewertungen und Empfehlungen

1.4.5.1 Bewertungen

1.4.5.1.1 Interessen, Wünsche und Rechte der Paare

Der Wunsch nach einem genetisch eigenen, möglichst ge-sunden bzw. nicht behinderten Kind ist verständlich undnachvollziehbar. Dem kommt bei einzelnen fortpflan-zungswilligen Paaren offensichtlich eine sehr hohe Prio-rität zu. Aus dieser höchstpersönlichen Lebensentschei-dung folgt aber nicht notwendigerweise eine Pflicht desGesetzgebers, Methoden wie die PID zuzulassen, um die-sen individuellen Wunsch zu erfüllen.

Die präimplantationsdiagnostische Untersuchung desEmbryos ist ein Verfahren, das es Paaren in bestimmtenFällen ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit, ein chronischkrankes oder behindertes Kind zu bekommen, zu verrin-gern.

Die Präimplantationsdiagostik stellt in diesem Sinne fürmanche Paare eine Alternative zur Pränataldiagnostik dar.Als bessere Alternative kann sie wegen der relativ hohenBelastung für die Frau infolge der notwendigen In-vitro-Fertilisation und der ebenfalls relativ hohen Rate iatrogenerSchädigungen der Kinder infolge von Mehrlingsschwan-gerschaften aber nicht gelten. Eine mit der medizinischenIndikation des Schwangerschaftsabbruchs vergleichbareSituation (z. B. Gefahr für Gesundheit und Leben der Frau,die nicht auf anderem Wege abgewendet werden könnte)besteht nicht, weil medizinische und soziale Alternativenzur Verfügung stehen. Allerdings werden diese Alternati-ven nicht von jedem Paar akzeptiert.532

Das „Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Fort-pflanzung“ (Art. 2 Abs. 1 GG) verbietet staatlicheZwangsmaßnahmen, welche geeignet sind, Individuen ander Fortpflanzung zu hindern (z. B. Heiratsverbot,Zwangssterilisation, Nötigung zum Schwangerschaftsab-bruch). Daraus lässt sich jedoch kein Anspruch gegen denGesetzgeber ableiten, alle medizinisch-technischen Mit-tel zur Erfüllung des Wunsches nach einem genetisch ei-genen, möglichst gesunden bzw. nicht behinderten Kindbereitzustellen bzw. deren Bereitstellung durch die ärztli-che Profession zuzulassen.

Ein Kind ist kein Gut, auf das Anspruch erhoben werdenkann, sondern ein Grundrechtsträger, dessen Interessen ineiner besonderen Form der Fürsorgebeziehung zu ge-währleisten sind. Mit dem Verbot der PID wird lediglichdie Möglichkeit versagt, den Kinderwunsch durch Aus-sonderung genetisch abweichender Embryonen nach derZeugung zu verwirklichen. Sowohl auf natürlichem alsauch auf künstlichem Wege (IVF) können sog. Risiko-paare eigene Kinder bekommen.

Die entsexualisierte Zeugung als technische Lösung einesindividuellen Lebensgestaltungswunsches öffnet einekulturelle Dimension, die über die Möglichkeiten gesetz-

geberischen Handelns hinaus reicht. Denn die Realisie-rung dieses individuellen Lebensgestaltungswunsches istnicht mehr die Entscheidung Einzelner oder des Paares inseiner Intimität allein, sondern hat die Einbeziehung Drit-ter zur Voraussetzung (Erweiterung des ärztlichen Be-handlungsauftrages).

Das Selbstbestimmungsrecht kann auch dann einge-schränkt werden, wenn dies im überwiegenden Interesseder Allgemeinheit liegt. Dies könnte beispielsweise derFall sein, wenn auch durch eine restriktive Regelung ge-sellschaftlich unerwünschte Folgewirkungen nicht ver-hindert werden können.533

1.4.5.1.2 Schutzwürdigkeit des Embryos Es besteht Einigkeit unter den Mitgliedern der Enquete-Kommission, dass der Gesetzgeber aufgerufen ist, für denEmbryo in vitro vom Zeitpunkt der Kernverschmelzungbis zum Transfer angemessenen Schutz zu gewährleisten.

1.4.5.1.2.1 Zur Frage des Lebensschutzes des Embryos in vitro

Der menschliche Embryo entwickelt sich von Anfang anals Mensch. Allen Kriterien zur Zuschreibung des Le-bensrechtes, die auf ein späteres Entwicklungsstadium alsden Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelleabstellen, haftet Willkür an.

Eine Unterscheidung nach der Art der Zeugung (natürlichoder in vitro) ist nicht begründbar, weil es sich in allenFällen gleichermaßen um menschliches Leben mit demgleichen Entwicklungspotenzial handelt. Der natürlichgezeugte und der „in vitro“ gezeugte Embryo unterschei-den sich nur in ihrer unterschiedlichen Schutzbedürftig-keit:

– Ein auf natürlichem Weg gezeugter, in der Frau „invivo“ vorliegender Embryo wandert vor der Nidation(Einnistung) in der Gebärmutter ca. sieben bis neunTage durch den Eileiter und ist dabei durch den Leibder Frau von Anfang an geschützt.

– Ein mit reproduktionsmedizinischer Hilfe „erzeug-ter“, im Labor „in vitro“ vorliegender Embryo ist vonAnfang an ungeschützt dem Zugriff Dritter ausgesetzt.

1.4.5.1.2.2 Zur Frage des Würdeschutzes des Embryos in vitro

Der Menschenwürde kommt verfassungsrechtlich immerein höherer Rang und stärkeres Gewicht als jedem ande-ren Schutzgut zu. Die Menschenwürde kann nicht gegenandere Rechtsgüter abgewogen werden. Unter den Mit-gliedern ist die Frage strittig, ob dem menschlichen Em-bryo von Anfang an Menschenwürde zukommt.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung für die PID bestehtkeine Schwangerschaft. Es kann allenfalls von einem an-

532 Vgl. C1.4.1.1.4 Alternativen.533 Vgl. C1.4.1.1.3 Indikationen sowie C1.4.2.2.3 Verfassungsrechtliche

Diskussion.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 107 – Drucksache 14/9020

tizipierten Schwangerschaftskonflikt gesprochen werden,wenn die betreffende Frau anderenfalls gezielt eineSchwangerschaft „auf Probe“ eingehen würde, um diesegegebenenfalls nach einer Pränataldiagnostik bei ärztlichfestgestellter medizinischer Notlage aufgrund eines an-ders nicht abzuwendenden Schadens abbrechen zu lassen.

Die Rechte der Frau auf Wahrung ihrer körperlichen Inte-grität und Achtung ihrer Selbstbestimmung können dahernicht als Argument für die Einschränkung des Schutzesdes menschlichen Embryos herangezogen werden. EineDilemmasituation wie beim Schwangerschaftskonfliktbesteht nicht.

Bei der Präimplantationsdiagnostik liegen Zeugung, Dia-gnostik und gegebenenfalls (Nicht-) Transfer in ärztlicherHand. Sie sind in ihrer Gesamtheit als Gegenstand ethi-scher Erwägungen im Hinblick auf die rechtliche Regu-lierung der PID zu behandeln.

1.4.5.1.3 IndikationsbeschränkungDie Etablierung der PID birgt die Gefahr einer unkon-trollierten Ausweitung ihres Einsatzes. Die diskutiertenInstrumente zur Indikationseinschränkung, wie ein Indi-kationenkatalog oder eine Einzelfallregelung unter berufs-rechtlicher Kontrolle, werden auch bei besten Intentionenaller Beteiligten nur schwer eine Indikationsausweitungder PID verhindern können.

Im Verhältnis zu einem bereits bestehenden Schwanger-schaftskonflikt nach PND geht es bei der PID in wesentlichstärkerem Maße um eine antizipierte Unzumutbarkeit.534

1.4.5.1.4 Ärztlicher Behandlungsauftrag Der Auftrag zur Durchführung der PID widerspricht denZielen eines ärztlichen Behandlungsauftrages.

Der Behandlungsauftrag in der ärztlichen Betreuung vonSchwangeren umfasst die Abwendung von gesundheitli-chen Schäden für die werdende Mutter und ihr zukünftigesKind. Der Behandlungsauftrag in der IVF umfasst dieÜberwindung einer (weiblichen oder männlichen) Sterilitätdurch ärztliche Eingriffe in die körperliche Integrität derFrau mit dem Ziel der Erfüllung eines Kinderwunsches.

Die Durchführung einer PID durch die Ärztin bzw. denArzt wird im Fall einer genetischen Indikation durch denWunsch einer Frau/eines Paares nach einem gesunden,möglichst nicht behinderten Kind ausgelöst. Ärztlicher-seits wird der Eingriff daher mit dem Bestreben durchge-führt, eine von der Frau/dem Paar empfundene Belastungaufgrund eines vergleichsweise hohen Risikos, ein kran-kes oder behindertes Kind zu bekommen, zu vermeiden.

Der Eingriff kann für die untersuchten Embryonen die Tö-tung zur Folge haben. Ein Behandlungsauftrag des Arztesbzw. der Ärztin zugunsten des Embryos liegt nicht vor.Die Antizipation möglicher Wünsche eines möglicher-weise gegen seinen Willen geborenen Kindes übersteigt

die Kompetenzen der Ärztin bzw. des Arztes wie auch dermöglichen Eltern, auf deren Wunsch die Ärztin bzw. derArzt handeln könnte.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass von einem ärztlichen Be-handlungsauftrag bei der PID schwerlich ausgegangenwerden kann.

1.4.5.1.5 Gesellschaftliche Folgen Das Angebot der PID für sog. Hochrisikopaare birgt gege-benenfalls die Gefahr, die unrealistische Erwartungshal-tung einer „Garantie auf ein gesundes Kind“ hervorzuru-fen. Es ist zu befürchten, dass ein gesellschaftlicher Druckbesonders auf „Risikopaare“ entsteht, die Geburt eines be-hinderten Kindes zu verhindern. Eltern behinderter Kinderkönnten unter wachsenden Rechtfertigungsdruck geraten,warum sie von den diagnostischen Möglichkeiten zur Ver-meidung der Geburt keinen Gebrauch gemacht haben, aberdennoch für ihr Kind die Ressourcen der Allgemeinheitbeanspruchen. Es ist zu befürchten, dass Ärztinnen undÄrzte aus Furcht vor einer möglichen Haftung für die Ge-burt eines behinderten Kindes allgemein auf die Möglich-keit der PID hinweisen und damit eine zusätzliche Nach-frage nach PID-Dienstleistungen entsteht.

Die Zulassung der PID birgt die Gefahr, stigmatisierende,ausgrenzende und diskriminierende Tendenzen in der Ge-sellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen undchronisch Kranken zu verstärken.

Als besonders problematisch ist hier die gegenseitige Be-einflussung von individuellen Entscheidungen und ge-sellschaftlichen Werten zu beurteilen, die im Ergebnis zueiner „freiwilligen Eugenik“ führen können.

Die damit verbundenen „Lebenswertzuschreibungen“können insgesamt zur Beförderung von behindertenfeind-lichen Tendenzen führen. Unterstützt wird diese Entwick-lung durch die über die Medien vermittelte, vermeintlicheMöglichkeit der Garantie eines gesunden bzw. nicht be-hinderten Kindes und der Dynamik, welche durch die Pro-blematik des Haftungsrechtes („Kind als Schaden“) undökonomische Entwicklungen entsteht.

1.4.5.2 EmpfehlungenDie Empfehlungen zum Berichtsabschnitt PID hat dieEnquete-Kommission am 25. Februar 2002 beraten.An der Abstimmung der Empfehlungen beteiligtensich an diesem Tag 19 Mitglieder.

1.4.5.2.1 Votum A der Minderheit der Enquete-Kommission zur eingeschränktenZulassung der Präimplantations-diagnostik

Die Minderheit der Enquete-Kommission empfiehlt,eine PID für hilfesuchende Paare mit einem nachweis-bar hohen genetischen Risiko auf Grundlage der nach-folgenden Beschränkungen zuzulassen.

Die Frage, ob Paaren mit hohem genetischen Risiko diePräimplantationsdiagnostik unter eingeschränkten Bedin-gungen ermöglicht werden soll, hängt davon ab, ob die

534 Die detaillierten Vorschläge werden unter C1.4.5.2 Empfehlungenvorgestellt.

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Drucksache 14/9020 – 108 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Rechtsordnung diese Methode verbieten kann bzw. ob siediese verbieten muss. Nach unserer freiheitlichen Verfas-sung ist jedes gesetzliche Verbot legitimationsbedürftig.Es kann nur damit gerechtfertigt werden, dass höherran-gige Rechtsgüter ausschließlich auf diese Weise (Grund-satz der Verhältnismäßigkeit) vor Schaden bewahrt wer-den können. Das Untermaßverbot nötigt den Gesetzgeber,den Rechtsschutz hochrangiger Werte auch mit straf-rechtlichen Mitteln zu bewirken, wenn dies aus Gründender Effektivität erforderlich ist.

Auch die Befürworterinnen und Befürworter einer gesetzli-chen Zulassung der PID gehen davon aus, dass verfas-sungsrechtlich zu schützendes menschliches Leben (Art. 2Abs. 2 GG) ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von weib-lichem und männlichem Vorkern vorliegt. Die Frage, obdem menschlichen Embryo von Anfang an Menschenwürdezukommt, wird unterschiedlich beurteilt. Doch selbst, wennman dies bejaht, gilt es zu berücksichtigen, dass durchausnicht jeder Eingriff in das Lebensrecht automatisch einenEingriff in die Menschenwürde bedeuten muss.

Die Präimplantationsdiagnostik bei der medizinisch un-terstützten Fortpflanzung nimmt in Kauf, dass menschli-che Embryonen erzeugt, nach Untersuchung ihrer geneti-schen Disposition aber verworfen werden. Damit kannmenschliches Leben ausgelöscht werden, weil es den Vor-stellungen und Maßstäben seiner Eltern nicht entspricht.In einer willkürlichen Selektion liegt ein Verstoß gegenein höchstrangiges Recht der Verfassung, nämlich auf je-den Fall gegen das Lebensrecht früher Formen menschli-chen Lebens und u.U. sogar gegen die Menschenwürde.Das kann die Rechtsordnung nicht hinnehmen. Sie musssich stets schützend und fördernd vor menschliches Lebenstellen. Auch strafrechtlicher Schutz ist hier geboten, weileine vorsätzliche Missachtung von Menschenwürde undLebensrecht eine deutliche Missbilligung durch das Rechterfahren muss.

Darum empfiehlt die Kommission eine gesetzliche Rege-lung, die die Präimplantationsdiagnostik als Methode dermedizinisch unterstützten Fortpflanzungsmedizin grund-sätzlich durch ein Strafgesetz verbietet, die aber die Möglichkeit offen lässt, in bestimmten Fällen auf dieDurchsetzung des Strafanspruches zu verzichten. Die Straf-losigkeit kann in diesen Fällen auf verschiedene Weise er-reicht werden. Insoweit erfolgt hier keine Festlegung.

Es besteht ein weitreichender gesellschaftlicher Konsensdarüber, dass es Fälle gibt, in denen es einer Mutter – ins-besondere wegen andernfalls vorhersehbarer Beeinträch-tigung ihrer (psychischen) Gesundheit – nicht in jedemFall zugemutet werden kann, ein Kind mit einer zu er-wartenden schweren Behinderung auszutragen.

Wie die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zeigt, dievor dem Verfassungsgericht Bestand hatte, ist es dem Ge-setzgeber nicht verwehrt, bei grundsätzlicher Anerkennungvon Menschenwürde und Lebensrecht vorgeburtlichenmenschlichen Lebens in Fällen zugespitzter Konfliktlagenden an sich gebotenen Strafanspruch zurücktreten zu lassen.

Die Fragen, ob eine Verwerfung des Embryos nach PIDoder ein späterer Schwangerschaftsabbruch aufgrund ei-ner Konfliktlage, die durch PID schon erkennbar gewesen

wäre, jeweils einen Eingriff in dessen Verfassungsrechtedarstellt, müssen einheitlich beantwortet werden. Dassbei der PID der Umweg über eine IVF erforderlich ist,führt nicht zu einer anderen Beurteilung, da die IVF nachüberwiegender Ansicht etabliert und nicht ethisch ver-werflich ist.

Bereits vor der Implantation eines Embryos können Fälleerkannt werden, in denen absehbar ist, dass es zu einemmedizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch kom-men wird, sobald der Embryo implantiert ist. Dies giltinsbesondere, wenn schon vorher einmal ein Schwanger-schaftsabbruch aus einer entsprechenden Konfliktlage he-raus vorgenommen wurde.

Die Feststellung einer medizinischen Indikation gemäߧ 218a Abs. 2 StGB setzt eine hypothetische Beurteilungder gesundheitlichen Situation der Mutter nach der Ge-burt des Kindes voraus. In den Fällen, in denen einSchwangerschaftsabbruch mit hoher Wahrscheinlichkeitabsehbar ist, dürfte eine Verwerfung des Embryos vor Im-plantation sowohl für den Embryo als auch für die Mutterder Weg sein, der den geringsten Schmerz bedeutet.

Die Zulassung pränataldiagnostischer Maßnahmen stehtmithin in einem Wertungswiderspruch zum Verbot derPID, soweit allein durch die Bekanntgabe diagnostischerErgebnisse eine psychische Zwangslage geschaffen wird,die zu einem Schwangerschaftskonflikt führt.

Es ist nicht zu bestreiten, dass eine Konfliktlage vor Im-plantation des Embryos nicht identisch mit einem Schwan-gerschaftskonflikt ist. Gleichwohl entspricht der Konflikteines Paares, das bei natürlicher Zeugung mit hoher Wahr-scheinlichkeit damit rechnen muss, ein schwerbehinder-tes Kind zur Welt zu bringen, im Hinblick auf seineSchwere einem Schwangerschaftskonflikt. Das Paar stehtvor der Alternative, entweder auf leibliche Elternschaft zuverzichten oder das Risiko der psychischen Belastungdurch die zukünftige Elternschaft für ein behindertesKind einzugehen. Dieses Risiko wiederum kann durcheine PID erheblich gemindert werden – die Gewähr fürein „gesundes Kind“ ist damit nicht verbunden. Eine Vor-enthaltung der Methode der PID bedeutet, betroffenenPaaren die Verwirklichung von Elternschaft erheblich zuerschweren.

Die PID stellt eine zusätzliche Indikation für medizinischunterstützte Fortpflanzung dar. Aus der daraus folgendenAusweitung ihrer Inanspruchnahme – so wird vielfach be-fürchtet – könnten sich für das Paar bzw. für die Gesell-schaft negative Entwicklungen ergeben.

Soweit es sich um Folgen handelt, die das einzelne Paar be-treffen, sollten diese bei der Beratung im Vorfeld einer IVFeine gewichtige Rolle spielen. Die Entscheidung darüber,ob das Paar solche Gefahren auf sich nimmt, um ein ge-meinsames Kind zu haben, trifft jedoch das Paar selbst. DerGesetzgeber hat ihm hier keine Vorschriften zu machen.

Soweit negative Folgen der vermehrten Inanspruchnahmevon IVF zu bedenken sind, so ist es Sache des Gesetzge-bers, ihnen vorzubeugen. Ein Verbot kommt nur dann inBetracht, wenn mildere Mittel der Gefahrenabwehr ab-sehbar nicht greifen.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 109 – Drucksache 14/9020

Insbesondere die Sorge, Präimplantationsdiagnostik werdedie Stellung von Menschen mit Behinderungen in unsererGesellschaft beeinträchtigen, scheint zwar auf den erstenBlick plausibel, ist aber empirisch nicht belegbar. Es gibtkeinerlei Nachweise dafür, dass Menschen mit Behinde-rungen in den Ländern, in denen PID angeboten wird,mehr unter Diskriminierungen zu leiden haben als an-dernorts. Bemerkenswert ist auch, dass in Deutschlandnach nunmehr fast zehn Jahren einer fast flächendecken-den Praxis der pränatalen Diagnostik eine solche Dyna-mik nicht festzustellen ist. Es bleibt ständige Aufgabe desGesetzgebers, weiter für die Verbesserung der Lage vonFamilien mit behinderten Kindern und allgemein vonMenschen mit Behinderungen zu sorgen. So wird bei Zu-nahme von prädiktiver Medizin der Schlechterstellungvon Menschen mit zukünftigen oder bereits manifestenBehinderungen weiter entgegenzuwirken sein.

Dem Gesetzgeber steht es nicht zu, darüber zu urteilen, obder Verzicht auf leibliche Elternschaft als schwere odergeringfügige Belastung anzusehen ist. Er hat sich daran zuorientieren, dass mit Art. 2 und vor allem mit Art. 6 GGeine Grundentscheidung der Verfassung gefallen ist,Menschen die Freiheit zur Familiengründung bzw. Fami-lienerweiterung zuzugestehen. Diese Freiheit ist das ein-zige Grundrecht in der Verfassung, das als „natürliches“bezeichnet wird.

Aus Art. 6 GG ergibt sich kein Anspruch darauf, ein leib-liches Kind zu haben, schon gar nicht ein „gesundesKind“. Freilich darf niemand daran gehindert werden, denWunsch nach leiblicher Elternschaft zu verwirklichen.Der Konflikt von sog. Hochrisikopaaren bei PID ist zwarnicht derselbe wie der Schwangerschaftskonflikt einerFrau, verdient aber, – wie bereits dargelegt – ebenso ernst-genommen zu werden.

Es ist rechtsethisch zweifelhaft, ob Paare mit einem hohengenetischen Risiko zu Normadressaten strafbewehrterVerbote gemacht werden dürfen: Da sie sich in einerhochgradigen Konfliktlage befinden, könnte es zur Über-forderung führen, wenn man sie zusätzlich unter Drucksetzt. Strafrechtliche Verbote, wie sie zum Schutz vonMenschenwürde und Lebensrecht menschlicher Embryo-nen um des Untermaßverbots willen erforderlich sind, si-chern das ethische Minimum in einer Gesellschaft. Alsschärfste Waffe des Staates sind sie auch nur zu diesemZweck einzusetzen, nicht etwa dazu, besondere ethischeLeistungen zu erzwingen.

Ungeachtet weitergehender ethischer Verpflichtungen,die der persönlichen Weltanschauung oder der religiösenÜberzeugung einzelner geschuldet sind, hat das Strafrecht– wie bei § 218 StGB – Opfergrenzen zu beachten, die inAusnahmefällen auch der Durchsetzung des Rechts deut-liche Grenzen setzen. Andernfalls würde der Staat sehen-den Auges in Kauf nehmen, dass in diesen Fällen Rechthäufig gebrochen bzw. ihm bewusst ausgewichen wird.Das Recht hätte dann nur noch symbolische Bedeutungund verlöre die Kraft, die Wirklichkeit zu prägen.

Insofern – aber auch nur insofern – hat der Gesetzgeber zuberücksichtigen, dass Präimplantationsdiagnostik in eini-

gen unserer Nachbarländer erlaubt wird. Gerade beim Er-lass strafrechtlicher Vorschriften ist sorgfältig darauf zuachten, ob ihr Einsatz tatsächlich geeignet ist, für das Ver-halten betroffener Individuen Orientierung zu geben. Esgeht bei dem Blick auf die Rechtsordnungen von Nach-barländern nicht darum, diese einfach zu kopieren, son-dern um die Wahrnehmung der Wirklichkeit, in der dieMenschen heute leben.

Von dem grundsätzlichen Verbot der PID kann nur inschwerwiegenden Ausnahmefällen abgewichen werden.Darüber hinaus darf niemand verpflichtet werden, an ei-ner PID mitzuwirken. Es muss gesetzlich sichergestelltsein, dass die Tatsache, dass ein Embryo im Zusammen-hang mit der Durchführung einer PID nicht verworfen,sondern implantiert wurde, keine Schadensersatzan-sprüche gegen Beteiligte eröffnen kann.

Gleiches gilt für fehlende oder fehlerhafte Beratung überdie Möglichkeit, überhaupt eine PID durchführen zu dür-fen bzw. zu können.

Die Indikation für die hier in Frage stehende Anwendungeiner PID muss im Fall der Zulassung eng auf Fälle be-grenzt werden, in denen es ohne die PID mit hoher Wahr-scheinlichkeit zu einem medizinisch indizierten Schwan-gerschaftsabbruch kommt.

Einem Dammbruch, der die Selektion von Embryonen ohneentsprechende Konfliktsituationen ermöglichen könnte, istunbedingt vorzubeugen. Ebenso ist die Zahl der Embryo-nen, die nach Durchführung der PID möglicherweise ver-worfen werden, auf ein Minimum zu begrenzen.

Nach den Erfahrungen in anderen Ländern mit anderenRechtsordnungen ergeben sich Hinweise darauf, dass esbei der PID zu verstärkten hormonellen Stimulationen derFrauen und zur vermehrten Erzeugung von Embryonenkommen kann.

Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass es auch bei nichtstrafbarer Inanspruchnahme von PID bei der Einhaltungder Regeln des Embryonenschutzgesetzes bleibt. Ohneentsprechende Begrenzungen darf die PID nicht zugelas-sen werden. Das gesetzliche Regelwerk dazu darf auf kei-nen Fall „symbolische“ Gesetzgebung, sondern muss ge-eignet sein, wirkungsvoll die Praxis zu formen. Solangeein solches Regelwerk noch nicht entwickelt wurde, isteine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der PID aufkeinen Fall zu machen, weil die Ausweitung, vergleichbarder Pränataldiagostik, nicht aufzuhalten wäre. Dies aberkönnte mit einer Veränderung der allgemeinen gesell-schaftlichen Haltung zur Werteordnung im Hinblick aufdas Eltern-Kind-Verhältnis verbunden sein. In dem Re-gelwerk, das die Strafdrohung für die PID in Ausnahme-fällen zurücktreten lässt, muss vorgesehen werden, dassdie Auswirkungen regelmäßig überprüft werden.

Auch im Rahmen der PID ist den generellen Risiken der IVF Rechnung zu tragen. Dies gilt unter anderem auchfür die Frage des Umgangs mit sog. „überzähligen“ Em-bryonen.

Die Minderheit der Enquete-Kommission empfiehlt fürdie rechtstechnische Präzisierung der Voraussetzungen,

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unter denen die PID ermöglicht werden soll, weder denWeg einer bloßen Indikationenregelung noch den einerreinen Generalklausel. Eine bloße Indikationenregelungkönnte vor allem den Eindruck erwecken, als sei es einobjektives Ziel des Gesetzgebers, Menschen mit Behin-derungen von bestimmter Schwere nicht in die Gesell-schaft aufnehmen zu müssen. Darüber hinaus würde siedem Erfordernis einer Beurteilung des konkreten Einzel-falls – wie bei medizinisch indizierten Schwangerschafts-abbrüchen – nicht gerecht.

Darüber hinaus empfiehlt die Minderheit der Enquete-Kommission dringend, bei der zu erwartenden Zunahmegenetischer Tests bei Menschen vor und nach der Geburtalle Vorkehrungen sozial-, gesundheits- und rechtspoliti-scher Art zu treffen, um die gesellschaftliche Akzeptanzbehinderter und chronisch kranker Menschen zu stärken.Insbesondere sollte die Drittwirkung des Diskriminie-rungsverbots auf das Verhalten Privater weiter ausgebautwerden, wie dies bereits ansatzweise im privaten Kran-kenversicherungsrecht (für Beihilfeberechtigte) und imMietrecht geschehen ist.

Gesetzlich zu regeln sind Zugang, Durchführung so-wie Überprüfbarkeit der praktischen Auswirkungender PID. Um den genannten Risiken zu begegnen,könnte eine entsprechende Regelung die folgendenElemente enthalten.

A.1 Voraussetzungen für den Zugang zuPräimplantationsdiagnostik

Beratungspflicht

Humangenetische und psychosoziale Beratung müssen injedem Einzelfall und unabhängig von einer die PIDdurchführenden Einrichtung erfolgen. Dabei sind sämtli-che, weniger problematischen Alternativen zu einer PIDabzuklären.

Feststellung der Zugangsberechtigung

Präimplantationsdiagnostik kann nur in verlässlich fest-stellbaren und besonders schwerwiegenden Fällen straflosbleiben. Entscheidend ist, ob die Konfliktlage der Betroffe-nen ähnlich ausweglos erscheint wie diejenige einerSchwangeren, die das Strafrecht nicht zur Austragung ihrerSchwangerschaft zwingen würde. Zur Ermittlung solcherFallkonstellationen kommen zwei Optionen in Betracht:

– Um die Grenzen für solche Fälle eindeutig zu ziehen,könnte man in einem Gesetz sowohl allgemeine alsauch individuelle Zugangsvoraussetzungen festlegen.Dabei sollten die allgemeinen Kriterien aus einem Ka-talog von gravierenden gesundheitlichen Beeinträch-tigungen bestehen, die durch die PID-Methode festge-stellt werden können. Zusätzlich müsste bei denBetroffenen eine konkrete soziale Notlage festgestelltwerden, die mit einem schweren Schwangerschafts-konflikt im Sinne der medizinischen Indikation ver-gleichbar ist.

Der Vorteil einer solchen Regelung liegt einerseitsdarin, dass ein numerus clausus von schweren geneti-

schen Belastungen dazu beitragen könnte, die Inan-spruchnahme der Präimplantationsdiagnostik sichereinzugrenzen. Zum anderen wird durch das Erforder-nis einer konkreten individuellen, psychosozialenNotlage unterstrichen, dass die Straflosigkeit der Prä-implantationsdiagnostik nicht auf der Schädigung deszu erwartenden Kindes, sondern auf der Anerkennungeben dieser Notlage beruht.

Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass eine solcheRegelung auch gewichtige Nachteile aufweist: So isttrotz der Kombination mit einer konkreten Beurtei-lung der individuellen Notlage, in der sich das Eltern-paar befindet, durch den Katalog genetisch bedingterBeeinträchtigungen das Missverständnis naheliegend,die Rechtsordnung billige die PID als eugenische Se-lektion. Außerdem könnte sich eine stigmatisierendeWirkung zu Lasten der Menschen ergeben, die mit ei-ner der benannten Schädigungen leben.

– Eine weitere Option würde deshalb auf einen Katalogvon vererbbaren Behinderungen verzichten. Die not-wendige Eingrenzung könnte durch die Verbindungeiner möglichst präzise formulierten Generalklauselmit einem Beratungs- und Prüfungsverfahren die er-wünschte Grenzziehung erzielen. Dafür lassen sichVorbilder im geltendem Recht finden.

Das Problem einer jeden Generalklausel ist jedoch,dass ihre Ausweitung in der Praxis nicht ausgeschlos-sen erscheint. Das Beispiel der PND, die sich entge-gen der ursprünglichen Absicht inzwischen zur Rou-tine bei der Schwangerschaftsvorsorge entwickelt hat,darf sich nicht wiederholen. Allerdings beruhten diefür die PND damals festgelegten Indikationen nichtauf einem Gesetz, sondern auf Richtlinien der Bundes-ärztekammer. In einem Gesetz ist dafür Sorge zu tra-gen, dass die zu findenden Formulierungen dem ent-gegenwirken.

A.2 Durchführung von Präimplantationsdiagnostik

PID kann nur in dafür lizenzierten Zentren durchgeführtwerden. Die Erlaubnis der Durchführung wird zeitlich be-grenzt und anhand eindeutig zu definierender und vondem Zentrum nachzuweisender Qualitätskriterien erteilt.Eine entsprechende Dokumentationspflicht anhand einesvon der lizenzierenden Stelle vorgegebenen Schemas istTeil der Qualitätssicherungsmaßnahmen.

Jedes Zentrum muss verpflichtet sein, im Hinblick auf dieDurchführung einer PID maximal drei Embryonen je Zy-klus zu erzeugen. Die damit verbundenen Nachteile sindim Lichte eines äußerst schwierigen Abwägungsprozesseszu rechtfertigen.

Es ist sicherzustellen, dass die Durchführung einer PIDauf maximal drei Zyklen begrenzt ist.

Aufgrund der besonderen Sensibilität der durchzufüh-renden molekulargenetischen Diagnosemaßnahmenund der zu erwartenden niedrigen Zahl der Aufträgedürfte es im Sinne höchstmöglicher Diagnosesicherheitangezeigt sein, eine einzige Stelle mit der Diagnostik zubetrauen.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 111 – Drucksache 14/9020

A.3 Überprüfbarkeit der Präimplantations-diagnostik-Praxis

Für die Vergabe und Überwachung der Lizenzen zurDurchführung von PID sollte bei dem zuständigen Bun-desministerium eine geeignete Stelle eingerichtet wer-den. Diese Stelle überwacht und sammelt die von denEthikkommissionen und den Zentren anzufertigendenBerichte. Nach zwei Jahren wird dem Deutschen Bun-destag ein Bericht vorgelegt, der alle notwendigen Anga-ben enthält, um zu beurteilen, ob die praktische Anwen-dung der PID das Ziel des grundgesetzlich gebotenenAuftrages an den Gesetzgeber in geeigneter Weise erfüllthat.

Zur praktischen Umsetzung der genannten Eckpunkte ist– soweit einschlägig – auf detaillierte Vorschläge, z. B. derBundesärztekammer, zurückzugreifen.

Über die unmittelbaren Auswirkungen von PID hinaussollte den gesellschaftspolitischen Wirkungen besondereAufmerksamkeit zuteil werden, weil ihr Potenzial zur Se-lektion eine besondere Herausforderung für alle Men-schen darstellt.

Vor einer möglichen Zulassung hat der Gesetzgeber fest-bzw. sicherzustellen, dass die rechtlichen Regelungen zumedizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchenpraktikabel sind. Bedenken, dass entsprechende Regelun-gen nicht gesetzeskonform angewendet werden, sind vorallem im Zusammenhang mit den sog. Spätabtreibungengeäußert worden. Diesen ist notfalls durch ergänzendeRegelungen abzuhelfen. Ohne wirklich praktikable Rege-lungen wäre einer Zulassung der PID jedenfalls jeglicheGrundlage entzogen.

Dem Gesetzgeber kann es nicht gleichgültig sein, inwie-weit seine Regeln die Wirklichkeit in Deutschlandtatsächlich prägen oder durch die Inanspruchnahme vonbei uns verbotenen Methoden jenseits der Staatsgrenzengerade für die Betroffenen unterlaufen werden. Der Res-pekt vor unserer Wertordnung bleibt nur dann in der Be-völkerung bestehen, wenn unsere Rechtsordnung auchdurchgesetzt wird. Deshalb ist es von hoher Bedeutung,dass für nachfragende Paare PID in den meisten EU-Mit-gliedstaaten zu haben ist – allerdings bei privater Bezah-lung. Das bedeutet keineswegs, dass wir „machen müs-sen, was andere tun“ oder „weil sie es tun“. Vielmehr istdem drohenden Verfall der bei uns anerkannten Wertevorzubeugen und eine Rechtsordnung zu schaffen, dieauch angesichts der leicht zugänglichen Möglichkeitenim europäischen Ausland gesellschaftlich Bestand hat.Die Konsequenz könnte sonst sein, dass sich in der Ge-sellschaft ein zynischer Umgang mit verfassungsrecht-lichen Wertentscheidungen entwickelt.

Diese Konsequenz des Auseinanderfallens von Rechts-ordnung und Rechtswirklichkeit muss der Gesetzgeberverhindern.

Die Kommissionsminderheit setzte sich bei der Ab-stimmung am 25. Februar 2002 zusammen aus:Margot v. Renesse, Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzigund Prof. Dr. Klaus Tanner.

1.4.5.2.2 Votum B der Mehrheit der Enquete-Kommission zur Ablehnung derPräimplantationsdiagnostik

Die Mehrheit der Enquete-Kommission empfiehlt demDeutschen Bundestag, die PID in Deutschland nichtzuzulassen und das im Embryonenschutzgesetz enthal-tene Verbot der In-vitro-Fertilisation zu diagnosti-schen Zwecken ausdrücklich im Hinblick auf die PIDzu präzisieren.

B.1 Schutzwürdigkeit des Embryos

Die Präimplantationsdiagnostik ist mit der in der Men-schenwürde begründeten Schutzwürdigkeit des menschli-chen Embryos nicht zu vereinbaren.535 Im Rahmen derPID werden gezielt menschliche Embryonen unter demVorbehalt in vitro gezeugt, sie zu verwerfen, wenn der ge-netische Test ergibt, dass das unerwünschte genetischeMerkmal vorliegt. Das Verfahren führt daher zum Ver-nichten menschlicher Embryonen, auch wenn die Dia-gnostik an nicht mehr totipotenten Zellen durchgeführtwerden sollte. Soweit totipotente Zellen für die Diagnos-tik verwendet werden, wird ein künstlich hergestellter„Zwilling“ als Diagnosematerial verbraucht. Die Mehr-heit der Enquete-Kommission ist daher der Meinung, dassdie PID die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 und dasRecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzt.

B.2 Rechte der Frau bzw. des Paares

Jedem Paar steht es frei, durch Zeugung von Nachkommeneine Familie zu gründen. Dieses „Recht auf Fortpflan-zung“ ist grundsätzlich im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG(allgemeine Handlungsfreiheit) bzw. Art. 6 Abs. 1 GG(Schutz von Ehe und Familie) anzuerkennen. Hierbeikann auch medizinische Hilfe in Anspruch genommenwerden. Der Staat darf bestimmte Fortpflanzungstechni-ken nicht willkürlich verbieten.

Die Nutzung von In-vitro-Fortpflanzungsmethoden be-rechtigt aber nicht dazu, dass die Eltern nach der Zeugungmit den entstandenen Embryonen beliebig verfahren dürf-ten. Das nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Lebens-recht und die nach Art. 1 Abs. 1 GG bestehende Schutz-pflicht für die Menschenwürde sind auch in Bezug aufEmbryonen zu beachten, die eine Disposition für eineKrankheit oder Behinderung aufweisen. Ergänzend istdas Diskriminierungsverbot zu berücksichtigen (Art. 3Abs. 3 S. 2 GG). Der Staat hat das Recht und die Pflicht,bereits die Erzeugung menschlicher Embryonen in vitrozu verhindern, wenn dies unter dem Vorbehalt geschieht,sie gegebenenfalls nicht für die Herbeiführung einerSchwangerschaft zu verwenden.

Die Selektion vor Implantation in den Uterus der Frau istgrundlegend zu unterscheiden von der Situation bei einerbereits vorliegenden Schwangerschaft. Die Schwanger-schaft ist die intensivste körpergebundene und soziale

535 Vgl. zur Diskussion über den Schutzbereich der Menschenwürdega-rantie B1 Menschenwürde/Menschenrechte, insbesondere B1.4.1Für wen gilt der Menschenwürdeschutz?

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Drucksache 14/9020 – 112 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Beziehung der Frau als werdender Mutter mit dem in ihremKörper wachsenden Kind. Die Rechte der Frau auf Wah-rung ihrer körperlichen Integrität und Achtung ihrer Selbst-bestimmung stehen im Konfliktfall direkt gegen dieSchutzwürdigkeit des Embryos. Die Ausnahmen von derStrafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs betreffen Si-tuationen, unter denen in einem Konflikt zwischen dem Le-bensrecht des Embryos und dem Recht der Schwangerenauf Leben und physische sowie psychische Unversehrtheitentschieden werden muss und anderweitig die Rechtsfolgeeiner Pflicht der Frau zum Gebären gleichkäme.

Bei der PID wird dagegen die Zeugung unter Vorbehaltgeplant und mittels künstlicher Fortpflanzungstechnikenumgesetzt. Gerade unter dem Gesichtspunkt der „Antizi-pation“ der Konfliktlage sollte der Gesetzgeber hier regu-lierend eingreifen und verlangen, dass die Zeugung von„zur Disposition“ stehenden Embryonen von vornhereinunterbleibt.

Auch die Regelung der medizinischen Indikation in§ 218a StGB zeigt, dass die Suche nach zumutbaren Al-ternativen der Vernichtung von Embryonen vorzuziehenist. Ein Schwangerschaftsabbruch ist gemäß § 218aAbs. 2 StGB nur gerechtfertigt, wenn der Konflikt für dieFrau „nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewen-det werden kann“. Es gilt also primär, andere zumutbareAuswege zu finden. Dies ist naturgemäß schwieriger,wenn bereits eine Schwangerschaft besteht und das Kindim Leib der Mutter heranwächst, vor allem bei unmittel-bar auf die Gesundheit der Mutter sich auswirkenden Um-ständen, die im Extremfall bis zur akuten Lebensgefahrreichen können. Bei der PID ist es aber möglich, den Ein-tritt dieser Gefahr bereits dadurch zu vermeiden, dasskeine Embryonen künstlich erzeugt werden.

Daher besteht zwischen der Regelung des Schwanger-schaftsabbruchs und einem Verbot der PID kein Wertungs-widerspruch. Dies gilt auch für die Parallele, die zu der fak-tischen Möglichkeit einer „Schwangerschaft auf Probe“nach PND gezogen wird. Zwar könnte eine Frau mehrfachschwanger werden und möglicherweise jeweils nachPND eine medizinische Indikation wegen der Belastungdurch ein behindertes Kind geltend machen, bis das ge-wünschte Kind ohne Behinderung gezeugt worden ist.Dieses Vorgehen entspricht aber nicht der Intention derRegelung der medizinischen Indikation in der geltendenFassung. Es stellt eine missbräuchliche Ausnutzung derGesetzeslage dar. Auch wenn ein solches – sicher nur sel-ten vorkommendes – Verhalten kaum zu verhindern seindürfte, kann daraus keine positive normative Wirkung zu-gunsten der PID abgeleitet werden.

Der Kinderwunsch von sog. Hochrisikopaaren ist zu ach-ten und im Rahmen der verantwortbaren Möglichkeiten zuunterstützen. Die Mehrheit der Enquete-Kommissionempfiehlt dem Deutschen Bundestag, durch eine gesetz-liche Regelung die Voraussetzungen dafür zu schaffen,dass diesen Paaren vorrangig Zugang zur Beratung überdie Möglichkeiten der Adoption, der Pflegschaft, der he-terologen Insemination oder der Polkörperdiagnostik mitIVF verschafft wird und ihnen Angebote psychologischerBeratung vorrangig zur Verfügung stehen mit dem Ziel,

den Paaren Hilfe bei der Verarbeitung und Bewältigungeines unerfüllten Kinderwunsches zu leisten.

B.3 Rechte des Arztes/der Ärztin

Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) wird durch ein Ver-bot der PID berührt, jedoch nicht in ihrem Kernbereich,dem ärztlichen Heilauftrag. Der ärztliche Heilauftrag um-fasst nicht den Auftrag zur Selektion von in vitro gezeug-ten Embryonen, weil ein „Patient“ im engeren Sinne alsZiel des Heilauftrages bei der PID nicht existiert. Ein Auf-trag zur PID kann allenfalls als Dienstleistungsauftrag derEltern qualifiziert werden. Letztlich ist aber eine Beschrän-kung der ärztlichen Berufsfreiheit zugunsten des Lebens-schutzes für menschliche Embryonen gerechtfertigt.

Die grundgesetzliche Verpflichtung, bei Konflikten zwi-schen unterschiedlichen Grundrechtspositionen nach ei-nem möglichst schonenden Ausgleich zu suchen, bedeu-tet im konkreten Fall, dass dem EmbryonenschutzVorrang einzuräumen ist. Während auf der einen Seite dasLeben als „die vitale Basis der Menschenwürde und dieVoraussetzung aller anderen Grundrechte“536 zur Disposi-tion steht, werden auf der anderen Seite weit weniger exis-tenzielle Grundrechtspositionen tangiert.

Soweit den psychischen Problemen in Zusammenhangmit einem unerfüllten Kinderwunsch Krankheitswert bei-gemessen werden kann, sind diese Beeinträchtigungenden Eltern zugunsten des Embryonenschutzes zumutbar.

Die Berufsausübungsfreiheit der Ärztin bzw. des Arzteswird durch das Verbot der PID nur am Rande berührt undmuss in der konkreten Abwägung mit dem Recht auf Le-ben ebenfalls zurückstehen.

B.4 Gesellschaftspolitische Erwägungen

Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, die Gleichberechtigungzwischen Frau und Mann zu fördern und damit die Stel-lung der Frau in der Gesellschaft zu verbessern (Art. 3Abs. 2 GG). Chronisch kranke oder behinderte Kinderkönnen die Berufschancen verschlechtern und stellen einzusätzliches Armutsrisiko für Frauen dar, weil Frauen inden meisten Fällen die Hauptverantwortung für die Ver-sorgung der Kinder tragen und Ehe und Familie heutekeine ausreichende soziale Absicherung mehr darstellen.Die vermeintliche Vermeidbarkeit behinderter bzw. kran-ker Kinder durch die Präimplantationsdiagnostik birgt je-doch die Gefahr, dass die Individualisierung der Verant-wortung auf die Frauen weiter zunimmt und sozialerDruck ausgeübt wird, diese Technik in Anspruch zu neh-men, um die Geburt eines gesunden Kindes sicherzustel-len. So entsteht eine negative soziale Dynamik. In diesemSinne stellt die Präimplantationsdiagnostik eine techni-sche Lösung für ein gesellschaftlich bedingtes Problemdar, das dadurch zudem weiter verschärft werden könnte.Stattdessen sollte aber der Entlastung von Frauen auf so-zialpolitischem Weg Priorität eingeräumt werden.

536 BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975, BVerfGE 39, S. 1 (42).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 113 – Drucksache 14/9020

Die Gesundheitsrisiken für die Frau durch die bei der PIDnötige IVF sind erheblich und stehen in keinem Verhält-nis zum Einsatz des Verfahrens bei eigentlich fruchtbarenFrauen. In eine gesellschaftspolitische Abwägung einzu-beziehen sind auch die geringen Erfolgsraten der PID mitIVF, eine nicht unerhebliche Zahl von Fehldiagnosen undeine erhöhte Rate von Mehrlingsschwangerschaften mitihren Gefährdungen für Mutter und Kinder.537

Durch das grundrechtlich festgeschriebene Diskriminie-rungsverbot von Menschen mit Behinderungen (Art. 3Abs. 3 Satz 2 GG) wurde ein Verpflichtung für den Ge-setzgeber festgelegt, institutionelle Rahmenbedingungenzu schaffen, welche der Diskriminierung von Menschenmit Behindungen entgegenwirken.

Lässt der Gesetzgeber die Etablierung von Verfahren zur„Aussonderung“ genetisch geschädigter Embryonen inder medizinischen Praxis zu, sind hiervon negative be-wusstseinsformende Auswirkungen in Bezug auf Men-schen mit Behinderungen zu erwarten. Die Zulassung derPID birgt damit die Gefahr, stigmatisierenden, ausgrenzen-den und diskriminierenden Tendenzen in der Gesellschaftgegenüber Menschen mit Behinderungen und chronischKranken Vorschub zu leisten. Durch das medizinische An-gebot vorgeburtlicher selektiver Techniken kann sich dassoziale Klima verändern und eine gesellschaftliche Er-wartungshaltung genährt werden, wonach Menschen mitbestimmten genetischen Risiken nur Kinder bekommensollten, wenn sie von diesen Techniken Gebrauch ma-chen.538 Damit einher gehen latente Schuldzuweisungenund Rechtfertigungszwänge für die Geburt von Kindernmit diesem genetischen Merkmal. Eine Zeugung ohnePID könnte gegenüber Paaren mit „hoher genetischer Be-lastung“ als „fahrlässiges Verhalten“ gebrandmarkt wer-den. Es besteht die Gefahr, dass auf dem Boden solcherWerthaltungen den Betroffenen Leistungen – sei es vonprivaten Versicherungen oder öffentlichen Trägern – ver-wehrt werden und stattdessen auf die „individuelle Ver-antwortung“ verwiesen wird.

Eine Zulassung der PID würde sich aus diesen Gründensowohl für die Stellung der Frau in der Gesellschaft alsauch für die Integration von Menschen mit Behinderun-gen negativ auswirken. Die Mehrheit der Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag, derangesprochenen Gefahr von Armut und beruflicher Be-nachteiligung von Frauen und Männern, die mit Men-schen mit Behinderungen leben und kranke Menschenpflegen, durch angemessene Maßnahmen zur finanziel-len, zeitlichen und psychosozialen Entlastungen zu be-gegnen. Darüber hinaus sind geeignete Maßnahmen zu er-greifen, die ein selbstbestimmtes und eigenständiges

Leben von Menschen mit Behinderungen, Beeinträch-tigungen und chronischen Krankheiten fördern. Die In-tegration und Gleichstellung von Menschen mit Behin-derungen sollte durch ein Antidiskriminierungsgesetzgefördert werden.

B.5 Unmöglichkeit einer präzisen Indikations-beschränkung

Eine unbeschränkte Zulassung der PID wird in der deut-schen Diskussion nur selten gefordert. Dies zeigt, dass essich um eine Technik handelt, die selbst von ihren Befür-worterinnen und Befürwortern nicht als unproblematisch,sondern als begrenzungsbedürftig bewertet wird. Die Vor-schläge für eine „begrenzte Zulassung“ der PID sind aberbei realistischer Betrachtung zum Scheitern verurteilt:

– Eine Beschränkung auf „solche Paare, für deren Nach-kommen ein hohes Risiko für eine bekannte undschwerwiegende, genetisch bedingte Erkrankung be-steht“539, böte keine klare Begrenzung und ließe zugroße Interpretationsspielräume zu. Insbesondere be-steht zu der Frage, was konkret unter einer „schwer-wiegenden“ Erkrankung zu verstehen ist, selbst unterHumangenetikern keine Einigkeit.540 Eine „General-klausel“ zur Umschreibung des Anwendungsbereichsder PID ist daher als ungeeignet für eine Begrenzungder PID anzusehen.

– Das Kriterium der Zumutbarkeit für die betroffeneFrau541 stellt auf eine Analogie zur medizinischen In-dikation im § 218a StGB542 ab. Die Geburt eines Kin-des mit einer bestimmten Beeinträchtigung wird alsunzumutbare Belastung der Eltern und als gesundheit-liche Beeinträchtigung der Frau aufgefasst. Diese „an-tizipierte Unzumutbarkeit“ ist jedoch nicht objektivbeurteilbar, sondern kann letztlich nur in das subjek-tive Ermessen der Frau bzw. des Paares gestellt wer-den. Der Einsatz berufsrechtlicher Prüfkommissionenwäre daher kein geeignetes Mittel zur Eingrenzungdes Indikationenspektrums.

– Ein verbindlicher Indikationenkatalog würde zu einerStigmatisierung bestimmter Krankheitsbilder führen

537 Die neueste internationale Erhebung zur PID dokumentiert1 561 Fälle (Paare), von denen 156 Eltern von Einlingen, 108 Elternvon Zwillingen und 5 Eltern von Drillingen wurden. Demnach be-trägt die Baby-take-home-Rate nur 10,7 % . Darüber hinaus doku-mentiert die Studie 8 Fehldiagnosen, 4 Kinder wurden krank gebo-ren, 4 Schwangerschaften nach PND abgebrochen. Siehe EuropeanSociety of Human Reproduction (ESHRE) 2002, S. 233–246. Sieheauch C1.4.1.1.5 Anwendung.

538 Vgl. z. B. die Ergebnisse von Befragungen in Nippert 1999, S. 78.

539 Vgl. Bundesärztekammer 2000a.540 Siehe Nippert 2001c, S. 299 und 318 (Tab.15).541 Vgl. Bundesärztekammer 2000a.542 § 218a Abs. 2 StGB: „Der mit Einwilligung der Schwangeren von

einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nichtrechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berück-sichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisseder Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eineGefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Be-einträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustan-des der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine an-dere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“ Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdia-gnostik: „Von entscheidender Bedeutung sind dabei der Schwere-grad, die Therapiemöglichkeiten und die Prognose der infrage ste-henden Krankheit. Ausschlaggebend ist, dass diese Erkrankung zueiner schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung derzukünftigen Schwangeren bzw. der Mutter führen könnte“ (Bundes-ärztekammer 2000a, A 526, 2. Indikationsgrundlage).

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Drucksache 14/9020 – 114 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

und „Lebenswertzuschreibungen“ etablieren, die demverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot wi-dersprechen. Gegen einen Indikationenkatalog spre-chen auch historische Gründe.543

Die jedem Modell innewohnenden Probleme könnenauch durch eine Kombination der Zugangsvoraussetzun-gen nicht aufgehoben werden.

In anderen Ländern ist zu beobachten, dass die PID auchals Screening-Methode für chromosomale Auffälligkeitenbei der IVF eingesetzt wird.544 Die diesbezügliche Ex-pansion des Indikationenspektrums wird sich auf längereSicht nicht verhindern lassen, sofern die PID – zunächstin Ausnahmefällen – erlaubt wird. Wenn Paaren mit ei-nem „hohen“ genetischen Risiko die Methode der PID zurVerfügung steht, werden diejenigen Paare, die ohnehineine IVF-Behandlung in Anspruch nehmen und beispiels-weise aufgrund des Alters der Frau ein statistisch erhöh-tes Risiko für ein Kind mit einer Chromosomenstörunghaben, ebenfalls auf eine genetische Untersuchung ihrerEmbryonen drängen. Eine Ausdehnung der PID-Praxisauf eine Screening-Methode im Rahmen der IVF lässtsich nur durch ein völliges Verbot der PID verhindern.

Zu großen Bedenken gibt auch die in einigen Ländern be-reits realisierte Anwendung der PID zur Geschlechtswahlaus sozialen Gründen und zum Zeugen eines Gewebe-spenders für erkrankte Geschwister Anlass.545

Eine dauerhafte Einschränkung der Indikationen der PIDist folglich entweder unwahrscheinlich oder sogar un-möglich; im Falle der Zulassung der PID in Deutschlandwäre eine allmähliche Ausweitung – wie sie sich interna-tional bereits abzeichnet – zu erwarten.

Die quantitativ gesteigerte Möglichkeit einer Auswahlunter mehreren Embryonen kann bei der PID in eine neueQualität umschlagen, da auch soziale oder ästhetischeKriterien bei der Auswahl zwischen den gezeugten Em-bryonen zum Tragen kommen können. Darüber hinauswird es auch keine zwingenden logischen Argumentemehr gegen weitere Nutzungsinteressen an menschlichenEmbryonen (z. B. Keimbahnexperimente, allgemeine ver-brauchende Embryonenforschung) geben, wenn erst ein-mal ein „verbrauchender Umgang“ mit Embryonen zuge-

lassen ist. In diesem Zusammenhang ist die zwangsläu-fige Entstehung von sog. „überzähligen“ Embryonendurch die PID, die gegebenenfalls nicht (mehr) implan-tiert werden, als eine ethisch problematische Entwicklunganzusehen, da sie einer verbrauchenden und fremdnützi-gen Embryonenforschung den Weg ebnen könnte.546

B.6 Bestehendes Verbot derPräimplantationsdiagnostik

Die Mehrheit der Enquete-Kommission ist der Ansicht,dass die PID nach geltendem Recht verboten ist.

Das Embryonenschutzgesetz enthält ein umfassendesSchutzkonzept für den Embryo. Die PID verstößt gegendieses Schutzkonzept, weil die Erzeugung und die Über-tragung des Embryos in die Gebärmutter der Frau an Be-dingungen geknüpft werden. Bei Zulassung der PIDwürde der Embryonenschutz auch gegenüber anderenhochrangigen Rechtsgütern abwägbar. Ein Schwanger-schaftskonflikt ist mit der Entscheidungssituation im Fallvon IVF/PID nicht vergleichbar.

Das Embryonenschutzgesetz trägt „den Wertentscheidun-gen der Verfassung zugunsten der Menschenwürde unddes Lebens Rechnung“.547 Lebensschutz ist aus verfas-sungsrechtlicher Sicht immer auf das jeweils einzelne Le-ben bezogen.548 Bei der PID wird – bezogen auf den ein-zelnen Embryo in vitro – jedoch nicht der Zweck verfolgt,mit genau diesem Embryo eine Schwangerschaft herbei-zuführen, weil dessen genetische Ausstattung noch unbe-kannt ist. Diese Entscheidung fällt erst später, nach derDurchführung des Gentests. Die Entscheidung des Ge-setzgebers, In-vitro-Befruchtungstechniken ausschließ-

543 Vgl. Maranto 1998, S. 109 und S. 119. Das 1933 verabschiedete Ge-setz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses enthielt eine solcheListe.

544 International entfallen auf das sog. Aneuploidie-Screening mittler-weile 14,2 % der Indikationen. Vgl. European Society of Human Re-production (ESHRE) 2002.

545 In Europa bieten bisher mindestens drei Zentren PID zur Ge-schlechtsbestimmung aus sozialen Gründen an. Darüber hinaus wur-den zwei Anfragen für eine PID zur HLA-Typisierung mit dem Ziel,ein Kind zu zeugen, das sich als Blut- und Knochenmarksspender fürein an Fanconi-Anämie erkranktes Geschwisterkind eignet, doku-mentiert. Siehe European Society of Human Reproduction (ESHRE)2002. In Großbritannien wurde von der zuständigen Behörde HFEAmittlerweile der Katalog der zulässigen Kriterien für die Durch-führung der PID um die Zeugung eines immunologisch geeignetenBlut- oder Gewebespenders erweitert. Siehe Human Fertilisation andEmbryology Authority (HFEA) 2001; Supp 2002; Striegler 2002b.

546 Siehe dazu ausführlich Enquete-Kommission „Recht und Ethik dermodernen Medizin“ 2001b, 3.1.1.2 Problematik der Gewinnung aussog. „überzähligen“ Embryonen, S. 42ff. Für die PID werden in derinternationalen Anwendung durchschnittlich sechs bis zehn Em-bryonen durch IVF hergestellt, an denen eine Biopsie vorgenommenwird (vgl. ESHRE 2000). Ein Grund für die Herstellung dieser Zahlvon Embryonen liegt darin, dass sowohl durch die Kultivierung wieauch durch die Biopsie selbst Schädigungen und Verluste an Em-bryonen entstehen können. Außerdem muss davon ausgegangenwerden, dass einige der diagnostizierten Embryonen das uner-wünschte genetische Merkmal aufweisen und daher nicht zum Em-bryotransfer gelangen, sondern verworfen werden. Durch diese Pra-xis steigt allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, dass Embryonenentstehen, die nicht zum Embryotransfer gelangen und (zunächst)kryokonserviert gelagert werden. Falls das Paar sich gegen einenweiteren IVF-Zyklus und die Implantation dieser kryokonserviertenEmbryonen entscheidet, entstehen auf diese Weise sog. „überzähli-ge“ Embryonen. Die embryonale Stammzellforschung beruht da-rauf, solche sog. „überzähligen“ Embryonen zur Gewinnung vonStammzellen zu verwenden. In Deutschland dürfen laut Embryo-nenschutzgesetz nur so viele Embryonen erzeugt werden, wie derFrau in die Gebärmutter implantiert werden, und es dürfen maximaldrei Embryonen übertragen werden. Es ist fraglich, ob bei Vornahmeder PID an drei Embryonen regelmäßig überhaupt noch ein Embryo„übrigbleiben“ und für den Transfer zur Verfügung stehen würde.Daher wird angenommen, dass sich die im Embryonenschutzgesetzfestgelegte Zahl von maximal drei erzeugten Embryonen pro IVF-Zyklus bei Anwendung der PID nicht halten lassen wird.

547 Bundesregierung 1989, S. 6.548 Vgl. BVerfGE 39, S. 1 (58 f.); 88, S. 203 (252).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 115 – Drucksache 14/9020

lich für den Zweck der Herbeiführung einer Schwanger-schaft zu erlauben, ist beizubehalten.

Die PID verstößt daher gegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG.Diese Vorschrift verbietet es „ausnahmslos, menschlicheEizellen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführungeiner Schwangerschaft (...) künstlich zu befruchten“.549

Der Zweck, eine Schwangerschaft herbeiführen zu wol-len, muss gegenüber jedem einzelnen Embryo in vitroverfolgt werden. Eine andere, lediglich auf das möglicheEndergebnis der PID abstellende Interpretation des Ge-setzes entspricht nicht dem von Verfassungs wegen gebo-tenen individuellen Schutz menschlichen Lebens.

Insoweit ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ein Ver-bot der PID unabhängig von der Totipotenz der Zellen, diebei der Biopsie gewonnen und im Rahmen der Diagnoseverbraucht werden.

Es gibt keine dem Schutz des menschlichen Embryos ent-gegenstehenden und diesem vorrangige GrundrechteDritter, die eine Zulassung der PID gebieten.

Die Verpflichtung des Staates, einen Ausgleich zwischensich gegenüberstehenden Grundrechten im Wege „prakti-scher Konkordanz“ zu erreichen, findet ihre Grenze dort,wo einem der beteiligten Grundrechte der Vorrang ein-zuräumen ist. Die Mehrheit der Enquete-Kommission istder Ansicht, dass es die Schutzpflicht des Staates gegen-über dem Embryo verlangt, an dem bestehenden Verbotder PID festzuhalten.

Die Mehrheit der Enquete-Kommission empfiehlt demDeutschen Bundestag, gegebenenfalls im Rahmen einesneuen Fortpflanzungsmedizingesetzes, den inhaltlichenGehalt des Embryonenschutzgesetzes zu bewahren unddas Verbot der PID zu konkretisieren.

B.7 Internationale Vereinbarungen

Das begründete hohe Schutzniveau für menschliche Em-bryonen in Deutschland sollte auch auf europäischerEbene und darüber hinaus Beachtung finden. Die Mehr-heit der Enquete-Kommission empfiehlt daher dem Deut-sche Bundestag darauf hinzuwirken, dass im Rahmen in-ternationaler Vereinbarungen von der Zulassung oderweiteren Nutzung der PID Abstand genommen wird. BeiVerhandlungen auf europäischer und internationalerEbene muss künftig besonderes Augenmerk auf die Suchenach ethisch allgemein akzeptablen Alternativen zur PIDgelegt werden.

Die Kommissionsmehrheit setzte sich bei der Abstim-mung vom 25. Februar 2002 zusammen aus: RainerBeckmann, Prof. Dr. Linus Geisler, Dr. Sigrid Graumann, Hubert Hüppe, Werner Lensing, Prof. Dr. Ernst Luther, Dr. Otmar Kloiber, Helga Kühn-Mengel, Prof. Dr. Johannes Reiter, Ulrike Riedel, RenéRöspel, Dr. Ingrid Schneider, Dr. Ilja Seifert, Dr.Margrit Wetzel, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. MichaelWunder.

2 Genetische Daten

2.1 Sachstand

2.1.1 Wissenschaftlicher Stand

2.1.1.1 Historische Entwicklung,Methodenentwicklung

2.1.1.1.1 BegriffserklärungAls „genetische Daten“ werden im Folgenden alle Infor-mationen über das Erbgut eines Menschen verstanden.

Der Begriff „genetische Untersuchungen“ wird im Fol-genden als Sammelbezeichnung für alle Untersuchungenverwendet, die unmittelbar darauf abzielen, Aufschlussüber die genetische Ausstattung eines Menschen zu erhal-ten. Unter „DNA-Analysen“ bzw. „molekulargenetischenUntersuchungen“ werden Methoden zur Feststellung derStrukturen einzelner Gene verstanden. Vereinfachendwird auch von „Gentests“ gesprochen. „ZytogenetischeUntersuchungen“ sind Untersuchungen zur Abklärungder Zahl und der Struktur der Chromosomen.

Als „Tests, die medizinischen Zwecken dienen“, werdenin diesem Bericht solche Untersuchungen bezeichnet, diein einem Bezug zur medizinischen Praxis stehen.

Davon zu unterscheiden sind solche genetischen Tests,die der Klärung der Abstammung einer Person dienen(Vaterschaftstests), die der Identifizierung von Personendienen (kriminologische Tests) und Tests auf Merkmaleohne jeden Krankheitswert für die betroffene Personund/oder leibliche Verwandte und eventuelle Nachkom-men, die bislang allerdings keine größere Bedeutung be-sitzen. Da solche Tests außerhalb der medizinischen Pra-xis Anwendung finden, sind der Datenschutz, der Schutzder Persönlichkeitsrechte der Betroffenen etc. in dem je-weiligen gesellschaftlichen Feld zu regeln.

Genetische Tests, die medizinischen Zwecken dienen,verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen. Sie sind dies-bezüglich wie folgt zu differenzieren:

– Im engeren Sinne krankheitsbezogene Tests dienender Absicherung einer klinischen Verdachtsdiagnose(z. B. wenn bei einem Neugeborenen der Verdacht aufeine Chromosomenstörung oder auf eine erblicheStoffwechselstörung besteht). Dabei werden aller-dings auch Informationen über die genetischen Anla-gen leiblicher Angehöriger gewonnen.

– Als „prädiktive genetische Untersuchungen“ werdenUntersuchungen bezeichnet, die mit dem Ziel durch-geführt werden, genetische Strukturen zu identifizie-ren, die Aussagen über das Risiko, die Wahrschein-lichkeit oder die Sicherheit einer künftigen Erkrankungoder Behinderung zulassen. Manchmal wird auch von„präsymptomatischen Untersuchungen“ gesprochen.Prädiktive Tests können der Krankheitsprävention die-nen, wenn entsprechende Handlungsmöglichkeiten(Änderung persönlicher Lebensgewohnheiten, präven-tiv-medizinische Behandlung) bestehen. Ein Test, wel-cher allein dazu dient, über die mögliche Verhinderungder Geburt eines Kindes mit einer zu erwartenden 549 Bundesregierung 1989, S. 8.

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Drucksache 14/9020 – 116 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Behinderung zu entscheiden, wird in diesem Sinnenicht als präventiver Test verstanden.

– Pharmakogenetische Tests dienen der Identifizierunggenetisch bedingter Empfindlichkeiten für bestimmteArzneimittelwirkstoffe. Sie werden zukünftig mögli-cherweise eine individuell abgestimmte Medikamen-tendosierung und -auswahl ermöglichen.

– Tests auf die Trägerschaft einer heterozygot vorlie-genden genetischen Veranlagung bei einer selbst nichtvon der Krankheit betroffenen Person werden als He-terozygotentests bezeichnet. Sie können dazu dienen,das Risiko für ein gemeinsames Kind mit einer be-stimmten Krankheit (z. B. Mukoviszidose) eines Paa-res zu bestimmen, und damit die Familienplanung be-einflussen.

– Ein Gentest wird als postnatal bezeichnet, wenn dasfür die genetische Untersuchung gewonnene geneti-sche Material von einem geborenen Menschenstammt.

– Ein Gentest wird als pränatal bezeichnet, wenn er derIdentifizierung genetischer Merkmale eines Embryosoder Fetus während der Schwangerschaft dient.

Diese Differenzierungen machen deutlich, dass geneti-sche Tests den Bereich medizinischen Handelns, der zu-vor auf diagnostische, präventive und therapeutischeMaßnahmen an einem individuellen Patienten beschränktwar, erweitern und damit das die medizinische Praxis lei-tende Krankheitsverständnis verändern.550 Zu berücksich-tigen ist außerdem, dass die hier eingeführten Begriffe inder Fachliteratur nicht einheitlich verwendet werden bzw.die Begriffsbildung im Bereich genetischer Tests nicht ab-geschlossen ist.

2.1.1.1.2 Historische EntwicklungDie „Geburtsstunde“ der Molekularbiologie kann mit der1944 von Avery und Mitarbeitern gemachten Beschrei-bung benannt werden, dass die DNA und nicht das Proteinauf molekularer Ebene der Träger der Erbinformation ist.Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Entdeckungder Doppelhelixstruktur durch Watson und Crick 1953.Entscheidende Impulse für die weitere Entwicklung dermolekularen Medizin und insbesondere auch der geneti-schen Diagnostik werden vom „Human Genome Project“ausgehen, dessen erste Phase mit der Erstellung einer de-taillierten Karte des menschlichen Erbgutes inzwischenabgeschlossen ist.551

Die nachfolgende Tabelle 13 zeigt exemplarisch einigewichtige Entwicklungsschritte der Molekularbiologie undgenetischer Test- und Screening-Verfahren.

Ein grundlegendes Problem der genetischen Diagnostikliegt jedoch darin, dass die Fortschritte in Prävention undTherapie auch nicht annähernd mit den erweiterten Dia-

gnosemöglichkeiten Schritt halten. So gibt es bislang trotzeiniger vielversprechender Ansätze keine Präventions-strategie, die auf der Grundlage einer krankheitsbezogenenGenvariante entwickelt worden wäre, deren Sicherheitund Effektivität wissenschaftlich erwiesen ist.552

2.1.1.2 Anwendung und InanspruchnahmeKenntnisse über die genetische Ausstattung einer Personkönnen (direkt oder indirekt) mit Hilfe verschiedener Untersuchungsmethoden gewonnen werden. Generelllassen sich vier verschiedene Untersuchungsebenen un-terscheiden:

– Phänotyp-Analysen (Erscheinungsbild, einschließlichder Familienanamnese),

– proteinchemische Analysen (Genprodukt-Analysen),

– zytogenetische Analysen (Chromosomen-Analysen)sowie

– DNA-Analysen.

Die Anzahl der durch zytogenetische und molekulargene-tische Untersuchungen diagnostizierbaren Erkrankungenund Erkrankungsdispositionen nimmt ständig zu (sieheGrafik 5).

Zugenommen hat in den zurückliegenden Jahren auch dieZahl der Anbieter und die Inanspruchnahme genetischerDiagnoseleistungen. Beispielsweise hat sich die Zahl derdurchgeführten postnatalen Chromosomenuntersuchun-gen in den Jahren zwischen 1991 und 1997 mehr als ver-doppelt.

Einer Erhebung des Bundesverbandes Medizinische Gene-tik aus dem Jahr 1999 zufolge, bei der insgesamt 104 La-bors erfasst wurden, werden in Deutschland, der Schweizund Österreich derzeit Tests für insgesamt rund 300 krank-heitsbedingende Gen- und Chromosomenveränderungendurchgeführt.553

Für zahlreiche Erkrankungen und Erkrankungsdispositio-nen kann heute eine Chromosomenveränderung bzw. eineVeränderung einzelner Gene und deren Regulation (mit)verantwortlich gemacht werden. Entsprechend wächstauch die Bedeutung zytogenetischer und molekulargene-tischer Untersuchungen, die gegenüber herkömmlichenDiagnoseinstrumenten häufig eine leichtere Diagnosti-zierbarkeit ermöglichen, da die Untersuchung in der Re-gel an einer Blutprobe der Patientin bzw. des Patientendurchgeführt werden kann. Sie erlauben darüber hinausmitunter auch eine – z. B. gegenüber Stammbaumunter-suchungen – präzisere Diagnose, einen genaueren He-terozygotennachweis und eine Feststellung von Disposi-tionen für Erkrankungen.

Zytogenetische und molekulargenetische Untersuchungs-verfahren werden in der Medizin innerhalb und außerhalbder Humangenetik in unterschiedlichen Kontexten und

550 Vgl. Lanzerath 2000a u. 2000b; Lanzerath/Honnefelder 1998. 551 Ausführlicher: Winter 2001, S. 13.

552 Holtzmann/Marteau 2000.553 Zit. n. Hennen et al. 2001, S. 52.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 117 – Drucksache 14/9020

Tabel le 13

Daten aus der historischen Entwicklung der Molekularbiologie und genetischer Test- und Screening-Verfahren

Jahr Entwicklung der Molekularbiologie und genetischer Test- und Screening-Verfahren

1944 Die DNA ist das genetische Material

1948 Ein Gen kodiert für ein Protein

1953 Die DNA ist eine Doppelhelix

1961 Entschlüsselung des (universellen) genetischen Codes

bis 1960 Grundlagen der zytogenetischen Chromosomendiagnostik

1961 Einführung eines bildgebenden Ultraschallverfahrens in der Geburtshilfe

1963 Einführung eines postnatalen Tests auf Phenylketonurie (PKU)

ca. 1965 Einführung der Amniozentese zunächst zur pränatalen Diagnostik der fetalen Erythroblastose

1966 Beginn eines postnatalen PKU-Screening-Programms in den USA mit dem Guthrie-Test

1967/68 Restriktionsenzyme und Ligasen werden von mehreren Forschergruppen entdeckt

1968 Erste Lokalisation eines menschlichen Gens auf einem Autosom

1969 Bandenfärbung zur Identifikation von Chromosomen

ca. 1970 Einführung der Pränataldiagnostik durch Amniozentese und zytologische und biochemische Untersuchung des Fruchtwasserpunktats. Einführung eines Heterozygoten-Screenings bei be-lasteten Minderheiten in den USA

1973 Grundlagen der Rekombinationstechnik (Cohen-Boyer-Patent)

1975 Southern Blot Hybridisierung als Grundlage für molekulare Gendiagnostik

1977 DNA-Sequenzierung

ab 1980 Entwicklung der molekularen Gendiagnostik als Mittel für ein pränatales und postnatales Screening

1981 Sichelzellenanämie kann pränatal durch Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus nach-gewiesen werden

1983 Gen für die Huntington Krankheit kann durch Koppelungsanalyse mit einem DNA-Marker diagnostiziert werden (indirekte Gendiagnostik)

1985 Gen für zystische Fibrose kann durch Koppelungsanalyse mit einem DNA-Marker diagnosti-ziert werden (indirekte Gendiagnostik)

1986 Identifikation eines Gens für muskuläre Dystrophie Typ Duchenne (direkte Gendiagnostik)

1989 Identifikation des Gens für zystische Fibrose (direkte Gendiagnostik)

1993 Identifikation des Gens für die Huntington Krankheit (direkte Gendiagnostik)

1995 Etwa 400 genetische Krankheiten können durch direkte Analyse des Gens (direkte Gendiagnos-tik) diagnostiziert werden

1999 DNA-Sequenz von Chromosom 22 des Menschen

2001 Detaillierte Karte des menschlichen Erbgutes

Quelle: Kröner 1997, S. 36f.; Winter 2001, S. 19.

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mit verschiedenen Zielsetzungen durchgeführt (sieheGrafik 6). Dazu gehören insbesondere die

– Diagnosesicherung bei einer bereits klinisch manifes-ten erblichen Erkrankung (diagnostische Gentests),

– Diagnostik von Dispositionen für eine Erkrankung vorderen Ausbruch (prädiktive Gentests),

– vorgeburtliche Diagnose chromosomaler Auffällig-keiten und spezifischer Einzelgenveränderungen, ausdenen Rückschlüsse für mögliche Behinderungenoder Erkrankungen des zu erwartenden Kindes abge-leitet werden (genetische pränatale Diagnostik),

– Diagnostik von spezifischen chromosomalen und mo-lekulargenetischen Auffälligkeiten an in vitro erzeug-ten Embryonen vor der Übertragung des Embryos indie Gebärmutter (Präimplantationsdiagnostik),

– Untersuchung von weiblichen Keimzellen vor der Be-fruchtung (präkonzeptionelle Diagnostik),

– Untersuchung nicht nur von einzelnen Personen, son-dern der Gesamtbevölkerung oder von Bevölkerungs-gruppen (genetisches Screening),

– Erfassung genetisch bedingter Unterschiede in der Re-aktion von Patientinnen und Patienten auf pharmazeu-tische Wirkstoffe (pharmakogenetische Diagnostik).

2.1.1.2.1 Individuelle Gentests zu diagnos-tischen und prädiktiven Zwecken

2.1.1.2.1.1 Zytogenetische und molekular-genetische Testmethoden

Chromosomen-Analysen werden an teilungsfähigen Zel-len, z. B. weißen Blutkörperchen, Bindegewebs-, Kno-chenmarks- oder Fruchtwasserzellen, durchgeführt. Dabeikönnen numerische oder strukturelle Chromosomenverän-derungen festgestellt werden. Hierzu gehören beispiels-weise Chromosomenverluste (Monosomien), überzähligvorliegende Chromosomen (Trisomien) oder Stückaustau-sche (Chromosomentranslokationen). Insbesondere fürdie Diagnostik von Chromosomentranslokationen, diesehr klein und schwer erkennbar sein können, stehen heuteIn-situ-Hybridisierungsmethoden wie die FISH-Technik(Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) zur Verfügung, dieschon nach wenigen Stunden einen diagnostischen Befundermöglichen.

Bestimmte Chromosomenveränderungen werden mitKrankheiten oder Behinderungen assoziiert. Zum Bei-spiel führt die Trisomie 21, bei der das Chromosom 21drei- statt zweimal vorhanden ist, zum Erscheinungsbilddes Downsyndroms. Allerdings sind nicht alle Chromo-somenveränderungen für deren Trägerin bzw. deren Trä-ger von Bedeutung.

Drucksache 14/9020 – 118 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Grafik 5

Zahl der Einträge in „Mendelian Inheritance in Man“ (McKusick-Katalog)

Quelle: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/Omim/Stats/mimstats.html

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 119 – Drucksache 14/9020

Zytogenetische Untersuchungen werden in der pränatalenDiagnostik bereits seit Jahren angewendet. Eine Aussageüber den voraussichtlichen Ausprägungsgrad einer Er-krankung ist aufgrund einer Chromosomenanalyse in derRegel nur bedingt möglich.

Bei molekulargenetischen Untersuchungen kann zwi-schen einem direkten und einem indirekten Gentest un-terschieden werden.

Direkte Gentests setzen voraus, dass das für das Auftreteneiner Krankheit (mit)verantwortliche Gen bekannt ist unddirekt untersucht werden kann. Mit Hilfe verschiedenerTechniken (DNA-Sequenzierung, Polymerase-Kettenre-aktion, Southern-Blot-Verfahren, der in der Entwicklungbefindlichen DNA-Chip-Technologie) lassen sich Abwei-chungen eines Gens vom Normalzustand im molekularenBereich erfassen, bei denen es sich um Stückverluste (De-letionen), um Einschübe (Insertionen) oder auch um einenAustausch einzelner Bausteine handeln kann (Punktmuta-tionen). Für zahlreiche monogene Erbkrankheiten – und inzunehmendem Maße auch für erbliche Krankheitsdisposi-

tionen – ist eine solche direkte Mutationsanalyse heutemöglich.554

Auf einen indirekten Gentest muss zurückgegriffen wer-den, wenn nur die ungefähre chromosomale Position einesfür eine Erkrankung (mit)verantwortlichen Gendefekts be-kannt ist, dieser selbst jedoch (noch) nicht identifiziertwerden konnte. Hierbei macht man sich ein Verfahren zu-nutze, das auch als Koppelungsanalyse bezeichnet wird.Gendefekte treten häufig mit einem bestimmten DNA-Polymorphismus gemeinsam auf und werden dann weiter-vererbt. Beide liegen auf dem DNA-Strang im Chromo-som relativ dicht nebeneinander und können daher als ge-netischer Marker für den gesuchten Gendefekt genutztwerden. Der Nachweis gelingt um so sicherer, je dichterder Markerpolymorphismus am Gendefekt liegt. Die Anwendung eines indirekten Gentests setzt immer dieUntersuchung mehrerer Familienangehöriger voraus, da

Tabel le 14

Humangenetische Leistungen in Westdeutschland (ab 1995 inkl. Ost-Berlin)

Zahl der Leistungen Dienstleistungen Jahre alle Leistungs-

erbringerniedergelassene

Ärzte

Anteil der niedergel. an allen Ärzten

(in %)

Amniozentese o. Chorionbiopsie (GO-Ziffer 115) 1991 42 745 23 957 56,0

1992 49 233 30 666 52,31993 56 598 36 778 65,01994 58 499 40 797 69,71995 61 794 44 374 71,81997 68 267 52 386 76,7

Chromosomen aus Blutunter-suchungen (GO-Ziffer 4872/4972) 1991 12 981 4 093 31,5

1992 13 385 5 471 40,91993 14 583 6 150 42,21994 16 317 8 343 51,11995 27 601 19 076 69,11997 30 786 20 447 66,4

Genetische Beratung (GO-Ziffer 173) 1991 21 830 5 985 27,4

1992 24 172 9 519 39,41993 26 872 12 845 47,81994 29 226 17 804 60,81995 32 777 19 094 58,31997 40 561 25 910 63,9

Quelle Hennen et al. 2001, S. 51

554 Schmidtke 2001b, S. 412f.

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Drucksache 14/9020 – 120 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

sichergestellt werden muss, dass die Koppelung eines be-stimmten Markerpolymorphismus mit dem gesuchtenGendefekt auch für die betroffene Familie gilt.

2.1.1.2.1.2 Diagnostische versus prädiktive Tests

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen diagnostischenund prädiktiven Tests. Diagnostische Tests dienen derDiagnosesicherung. Mit Hilfe diagnostischer Tests ver-sucht man die Ursachen einer bereits klinisch manifestenErkrankung auf der Ebene der Keimbahn oder auf soma-tischer Ebene aufzuklären. Im ersten Fall ist die Verände-rung nach den Mendelschen Gesetzmäßigkeiten erblich,im zweiten Fall ist sie, wie bei der Mehrzahl der bösarti-gen Tumoren, nicht erblich. Molekulargenetische Unter-suchungen zum Zweck der Diagnosesicherung könnenherkömmliche Diagnoseinstrumente ersetzen oder als er-gänzende Untersuchungen hinzugezogen werden. Bei ei-nigen genetisch heterogenen Erkrankungen ist es nur mitHilfe molekulargenetischer Methoden möglich, die zu-grunde liegende Ursache zu erkennen.555 Diagnostische

Tests haben immer auch eine prädiktive Komponente imHinblick auf Familienmitglieder.

Prädiktive Tests zielen darauf ab, genetische Veränderun-gen zu identifizieren, die zu einem späteren Zeitpunkt imLeben der getesteten Person mit erhöhter oder mit an Si-cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Erkran-kung führen werden.

Eine besondere Problematik prädiktiver Diagnostik liegtdarin, dass auch unter der Voraussetzung, dass Genverän-derungen identifiziert werden können, die nachweislichmit bestimmten Krankheiten assoziiert sind, oft nicht mitSicherheit vorhergesagt werden kann, ob die Erkrankungim späteren Leben der betroffenen Person überhaupt auf-treten wird bzw. wann und mit welchem Schweregrad sieauftreten wird.556 Eine linearkausale Beziehung zwischeneiner genetischen Veränderung und der Ausprägung einesbestimmten Merkmalsbildes wird heute aus wissen-schaftstheoretischen Gründen vielfach bestritten.557

Grafik 6

Typen medizinischer genetischer Diagnostik

GENTESTS

KRANKHEITSGENETIK

Tests zur Krankheitsdiagnose/-prognose

PHARMAKOGENETIK

Tests zur Optimierung derArzneimitteltherapie

SELTENE ERBKRANKHEITEN

Präimplantations-diagnostik

pränatale Diagnostik

postnatale Diagnostik

VERBREITETE KOMPLEXE

ERKRANKUNGEN

genetischeRisikobestimmung

diagnostische Tests

TESTS ZUM ARZNEIMITTEL-STOFFWECHSEL/ZUR

ARZNEIMITTELWIRKUNG

Tests zum Nachweis vonStoffwechselgenen

SNP-Profile zur Prognosedes Arzneistoffwechsels/der Arzneimittelwirkung

(nach: Cope/Border 2001, S. 48)

555 Friedl/Lamberti 1997, S. 83f.

556 Feuerstein/Kollek (2001, S. 27) weisen darauf hin, dass beispiels-weise 3 % bis 5 % der reinerbigen Merkmalsträgerinnen und Merk-malsträger des Gens für Mukoviszidose die Krankheit überhauptnicht entwickeln.

557 Wolf 1997.

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Tests, mit denen Genveränderungen diagnostiziert wer-den, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeitim späteren Leben zum Auftreten einer Erkrankungführen, werden manchmal auch prädiktiv-deterministischeTests genannt. Ein Beispiel für eine Erbkrankheit mit ei-ner sog. vollständigen Penetranz ist die Huntington-Krankheit. Die Penetranz gibt die Wahrscheinlichkeit an,mit der eine Genveränderung in einer Population zur Aus-prägung eines Krankheitsphänotyps führt. Allerdings be-ruht auch die maximale Vorhersagbarkeit der Huntington-Krankheit bislang nur auf statistischen Daten, da derkausale Wirkungszusammenhang dieser Erkrankung bisheute nicht aufgeklärt ist.558 Prädiktiv-probabilistischeTests identifizieren demgegenüber genetische Veränderun-gen mit – teilweise weit – geringerer Penetranz. Prädiktiv-probabilistische Tests erlauben daher auch nur individuellePrognosen über die mehr oder minder große Wahrschein-lichkeit des Auftretens einer Erkrankung im späteren Leben.Grundsätzlich gilt dabei, dass die Prognose um so unge-nauer ausfallen wird, je komplizierter die vorherzusagendeEigenschaft ist.

Die besondere Problematik prädiktiver Gentests lässt sich exemplarisch an der Brustkrebs-Diagnostik verdeut-lichen:

„Diese Krebserkrankung ist in Deutschland bei Frauendie häufigste mit oft letalem Ausgang. Bis zum 75. Le-bensjahr beträgt das kumulative Risiko etwa 7 %, jähr-lich erkranken 43 000 Frauen (Bundesärztekammer1998a). Etwa 5 % der Brustkrebsfälle sind vermutlichauf eine erbliche Mutation zurückzuführen. Sie sinddurch ein relativ frühes Erkrankungsalter charakteri-siert. Als disponierende Gene wurde die beiden Tu-morsuppressorgene BRCA1 und BRCA2 beschrieben.Frauen mit einer ererbten Mutation im BRCA1-Genbesitzen ein stark erhöhtes Erkrankungsrisiko (bis hinzu 85 % bis zum Alter von 70 Jahren sowie ein bis zu60 %-iges Risiko für Ovarialkrebs), dessen Höhe vonder Art der Mutation abhängig ist. Im BRCA1-Gen sindüber 450 verschiedene Mutationen beschrieben wor-den, im BRCA2-Gen über 250 (Meindl/Golla 1998).Die Analyse der BRCA-Gene, die seit 1996 in den USAkommerziell angeboten und auch in Deutschlanddurchgeführt wird, kann den getesteten Frauen Auf-schluss darüber geben, ob sie Anlageträger sind odernicht. Eine individuelle Erkrankungswahrscheinlich-keit kann bislang nur mit großen Unsicherheitsfakto-ren (bzw. in einem weiten Streuungsbereich) bestimmtwerden, weil es noch keine verlässlichen klinischenund epidemiologischen Daten gibt. Da außer häufige-ren Vorsorgeuntersuchungen als mögliche prophylak-tische Maßnahme praktisch nur die äußerst belastendeBrustamputation infrage kommt (die zudem auch kei-nen absoluten Schutz bietet), ist eine Genanalyse sehrproblematisch und wird von der Ärzteschaft bislangmit großer Vorsicht angewendet und gleichzeitig in-tensiv diskutiert. Eine große multizentrische For-

schungsstudie zur Brustkrebsdiagnostik wird seit1997 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft fi-nanziert (Wagenmann 2000).“559

Von den derzeit bekannten Krankheiten werden relativwenige vorwiegend oder ausschließlich durch genetischeStörungen verursacht. So erkranken nur ungefähr 3 % bis5 % der erwachsenen Bevölkerung an einer spätmanifes-tierenden, monogenen Erbkrankheit (siehe Tabelle 15).Dabei handelt es sich im Wesentlichen um den familiärenBrustkrebs, den familiären Darmkrebs und bestimmteFormen der Alzheimerschen Erkrankung, die zusammenbereits rund 2,5 % der Erkrankungen ausmachen. Dieweitaus überwiegende Zahl von Krankheiten wird poly-gen oder multifaktoriell verursacht (siehe Tabelle 16).

Von polygen vererbten Krankheitsursachen spricht man,wenn man von einer Wirkung mehrerer Gene ausgeht, dienicht einzeln voneinander abgrenzbar ist; wenn der Aus-bruch einer Erkrankung also durch das „Zusammenspiel“mehrerer Genveränderungen verursacht ist. Von multifak-toriellen Krankheitsursachen spricht man, wenn ein Zu-sammenwirken von mehreren Genen mit Umweltfaktorenfür das Auftreten einer Krankheit als ursächlich angenom-men werden kann. Allerdings ist mit den Begriffen „mono-gene Krankheit“, „polygene Krankheit“ und „multifaktori-elle Krankheit“ lediglich ein vereinfachendes Modell derKrankheitsgenese bezeichnet. Es kann heute nicht mehr da-von ausgegangen werden, dass Gene von einer übergeord-neten Ebene aus Krankheiten „kontrollieren“. Die Entste-hung von Krankheiten umfasst immer verschiedene,genetische und nichtgenetische, Faktoren. Dabei kannkeine Hierarchie festgestellt werden, die es zulassen würde,den Genen eine „privilegierte“ Stellung zuzuschreiben,auch wenn es Fälle gibt, in denen spezielle Gene offen-sichtlich eine sehr dominante Ausprägekraft zeigen.560

Insbesondere die Durchführung prädiktiver Gentests istmit einer Reihe von Risiken verbunden, die um so mehrGewicht haben, je größer die Differenz zwischen wach-sendem Wissen einerseits und begrenzten Handlungs-möglichkeiten andererseits wird.561 Hierzu gehören nebenmedizinischen Risiken (teilweise, wie beispielsweise beider Brustkrebsdiagnostik, gravierende Auswirkungenprophylaktischer Interventionen, deren Sinn nicht hinrei-chend bewiesen ist), vor allem auch psychische und so-ziale Risiken. Insbesondere der prognostische Charaktergenetischer Informationen ist „dazu angetan, die Betrof-fenen mit zu viel und interpretationsbedürftigem Wissenzu belasten und zu verunsichern“562. So können Test-ergebnisse bei den Betroffenen gravierende psychischeProbleme wie Ängste und Depressionen auslösen undweitreichende Auswirkungen auf deren Lebensstil undLebensplanung haben.563

558 Bartram et al. 2000, S. 41.

559 Hennen et al. 2001, S. 39.560 Wolf 1997.561 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 5f.562 Hennen et al. 1996, S. 42.563 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 5.

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2.1.1.2.1.3 Pränatale Tests

Zytogenetische und molekulargenetische Untersuchun-gen können grundsätzlich sowohl in der nachgeburtlichen(postnatalen) als auch in der vorgeburtlichen (pränatalen)Diagnostik eingesetzt werden. Insbesondere in der präna-talen Diagnostik hat die Zahl der durchgeführten zytoge-netischen und molekulargenetischen Tests in den zurück-liegenden Jahren in erheblichem Umfang zugenommen:

„Während 1990 auf 1 000 Lebendgeburten 49,6 Chro-mosomenuntersuchungen nach Amniozentese bzw.Chorionzottenbiopsie durchgeführt wurden, waren es1993 bereits 78,8. Im Jahre 1996 stieg die Rate auf85,7 und 1998 auf 95,7 Chromosomenanalysen proLebendgeburten. Innerhalb der letzten zehn Jahre hatsich die Frequenz der Inanspruchnahme der Pränatal-diagnostik also annähernd verdoppelt. Bei 785 034 Le-bendgeburten und 75 255 fetalen Chromosomenanaly-

Drucksache 14/9020 – 122 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Tabel le 15

Häufige monogene Störungen (Auswahl)

Störung Häufigkeit Erbgang Stichwort zur Erkrankung Farbenblindheit (mehrere Formen) 1 : 12 • • X-chro-

mosomal (X-chr.)

Farbsehstörungen unterschiedlichen Ausmaßes

Alzheimersche Erkrankung (meh-rere familiäre Formen)

1 : 100 autosomal-dominant (a.-d.)

Präsenile Demenz

Erblicher Brustkrebs 1 : 200 • • a.-d. Brustkrebs, oft vor der Menopause, z. T. auch Eier-stockkrebs

Erblicher nichtpolypöser Dick-darmkrebs

1 : 200 a.-d. Krebs des Dickdarms und anderer Organe

Thrombopholie (Faktor-V-Mangel)

1 : 200 a.-d. Venenthrombose, Thromboembolien

Ichthyosis vulgaris 1 : 300 a.-d. Fischschuppenkrankheit Diabetes, juvenile Form 1 : 400 a.-d. Zuckerkrankheit wegen gestörter Insulinausschüt-

tung Familiäre Hypercholesterinämie 1 : 500 a.-d. Atherosklerose, koronare Herzerkrankung Zystische Fibrose 1 : 2 500 autosomal-

rezessiv (a.-r.)

Bildung eines zähen Schleims in Lunge, Bauch-speicheldrüse u. a. Drüsen, Funktionsausfall dieser Organe

Muskeldystrophie Typ Duchenne 1 : 3 500 • • X-chr, Muskelschwund Hämochromatose 1 : 5 000 a.-r. Eisenablagerung in inneren Organen Familiäre Dickdarmpolyposis 1 : 6 000 a.-d. Dickdarmpolypen, Tendenz zu malignen Tumoren Adrenogenitaes Syndrom 1 : 10 000–

1 : 18 000 a.-r. Störung des Wasser-Salz-Haushalts, Virilisierung

Marfan Syndrom 1 : 10 000– 1 : 20 000

a.-d. Fehlentwicklung des Bindegewebes

Chorea Huntington 1 : 10 000– 1 : 12 000

a.-d. Unwillkürliche Bewegungsstörungen, Persönlich-keitsabbau

Phenylketonurie 1 : 10 000– 1 : 20 000

a.-r. Geistige Retardierung, Krampfneigung

Retinoblastom 1 : 14 000– 1 : 20 000

a.-d. Netzhauttumor, Knochentumoren

Quelle: Schmidtke 1997, S. 198ff. (gekürzt)

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123 – Drucksache 14/9020

sen im Jahre 1998 bedeutet dies, dass praktisch in je-der 10. Schwangerschaft eine invasive Untersuchungdes Ungeborenen vorgenommen wurde.“564

Unterscheiden kann man zwischen invasiven und nichtin-vasiven Verfahren der pränatalen Diagnostik.565 Andersals die nichtinvasiven Verfahren, bei denen man sich überbildgebende oder indirekte Methoden Aufschluss übermögliche Behinderungen oder Erkrankungen des werden-den Kindes verschafft, sind invasive Methoden der präna-talen Diagnostik mit einem körperlichen Eingriff verbun-den, der dazu dient, Gewebematerial fetalen Ursprungs zugewinnen.566 Sie stellen daher immer ein gesundheitlichesRisiko für die Schwangere und das werdende Kind dar.

Zu den nichtinvasiven Verfahren gehört – neben beispiels-weise dem Ultraschall – auch der sog. Triple-Test. DieserTest beruht auf der Beobachtung, dass bestimmte Eiweißeim Blut schwangerer Frauen, deren Feten Chromoso-menanomalien (vor allem Trisomie 21) aufweisen, imVergleich zu Schwangerschaften mit Feten, die einen nor-malen Chromosomenbefund aufweisen, Abweichungenzeigen. Zur Durchführung dieses Tests ist lediglich eineBlutentnahme bei der Schwangeren erforderlich, die zwi-schen der 6. und 8. Schwangerschaftswoche erfolgt. NachAngaben von Jörg Schmidtke wird bei 25 % bis 50 % aller

Schwangerschaften ein Triple-Test vorgenommen.567 DerTriple-Test ist kein Diagnoseinstrument, sondern dient le-diglich der Risikospezifizierung. Einer Veröffentlichungvon Sancken und Bartens zufolge werden

„[u]nter optimalen Laborbedingungen sowie unter Be-achtung der vom Frauenarzt zu erbringenden Angabenzum Körpergewicht der Schwangeren v. a. des nachsorgfältigem Ultraschall ermittelten Schwanger-schaftsalters (...) bei einem Risikogrenzwert von 1 : 380(Altersrisiko einer 35jährigen Schwangeren für einKind mit Down-Syndrom) etwa ¾ aller Feten mit ei-ner Trisomie 21 bei einer Falsch-Positiv-Rate von ca. 8 % entdeckt. Diese Angaben beziehen sich auf die durchschnittliche deutsche Altersverteilung derSchwangeren. Die Detektions- und Falsch-Positiv-Raten variieren jedoch erheblich in Abhängigkeit vomAlter der Schwangeren (Detektionsraten von unter50 % bei 20-jährigen bis fast 100 % bei über 40-jähri-gen Schwangeren; Falsch-Positiv-Raten von unter 4 %bei 20-jährigen bis mehr als 60 % bei über 40-jährigenSchwangeren.“568

Die Interpretation der Testergebnisse ist mitunter sehrschwierig und nur schwer vermittelbar. Selbst unter An-bietern des Tests herrscht vielfach Unklarheit über dieKomplexität und die Interpretation des Tests.569 Es istgängige Praxis, dass eine Unklarheit im Triple-Test bei-nahe automatisch zu einer invasiven Pränataldiagnostikführt.570 Die Gesellschaft für Humangenetik, der Berufs-verband Medizinische Genetik, die Deutsche Gesellschaft

Tabel le 16

Häufige multifaktoriell bedingte Störungen (Auswahl)

Erkrankung Häufigkeit

Angeborene Fehlbildungen

Neuralrohrverschlussstörung (Spina bifida = offener Rücken) 1 : 200 bis 1 : 1 000

Pylorusstenose (Verschluss des Magenausgangs) 1 : 300

Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte 1 : 500 bis 1 : 1 000

Andere Störungen

Koronare Herzerkrankung, Schlaganfall 1 : 3 bis 1 : 5

Krebs 1 : 3

Diabetes Typ II (Altersdiabetes) 1 : 20

Katarakt (Linsentrübung) 1 : 250

Diabetes Typ I („kindlicher Diabetes“) 1 : 500

Quelle: Schmidtke 1997, S. 214 (gekürzt)

564 Feuerstein et al. (im Erscheinen); dort weitere Belege. Feuerstein etal weisen darauf hin, dass über die Anzahl molekulargenetischer Un-tersuchungen im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik keine Aus-sagen getroffen werden können, da diese nicht separat erfasst werden.

565 Vgl. zum Folgenden auch Schüler/Zerres 1998.566 Schmidtke 1997, S. 108.567 Mündliche Mitteilung Prof. Jörg Schmidtke im Rahmen der nicht-

öffentlichen Anhörung am 26. März 2000.

568 Sancken/Bartels 1999, 283.569 Schmidtke 1997, S. 119.570 Zerres, zit. n. Hennen et al. 2001, S. 73.

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Drucksache 14/9020 – 124 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die DeutscheGesellschaft für Perinatale Medizin haben bereits 1992ein Moratorium zum Triple-Screening gefordert; unteranderen aus dem Grund, dass aufgrund unzureichenderAufklärung „in vielen Fällen“ Testbefunde von den Be-troffenen „unzutreffenderweise in Richtung einer drama-tischen Risikoerhöhung interpretiert“ würden, wodurch„erhebliche Unruhe unter den Schwangeren“ entstehe.571

Zu den invasiven Methoden in der pränatalen Diagnos-tik gehören insbesondere die Chorionzottenbiopsie und die Amniozentese. Bei der Chorionzottenbiopsie wird ei-ner Schwangeren – in der Regel zwischen der 9. und12. Schwangerschaftswoche – Choriongewebe entnom-men. Da die Chorionzotten embryonale Zellen sind, kön-nen bei der Analyse Chromosomen mikroskopisch auf nu-merische oder strukturelle Veränderungen untersuchtwerden. Darüber hinaus können Chorionzellen auch bio-chemisch und molekulargenetisch untersucht werden.Auf diese Weise lassen sich spezielle Stoffwechselkrank-heiten und Erbkrankheiten wie beispielsweise die Muko-viszidose oder die Bluterkrankheit feststellen. Für mole-kulargenetische Untersuchungen ist die Chorionbiopsiebesser geeignet als die Amniozentese.572

Bei der Amniozentese wird – in der Regel zwischen der 15. und 17. Schwangerschaftswoche – durch eine Punktionder Gebärmutterhöhle bei Schwangeren Fruchtwasser ent-nommen. Die aus dem Fruchtwasser gewonnenen Zellenstammen überwiegend von der Eihaut (Amniozellen), teil-weise auch von der äußeren Haut und den Schleimhäutendes Fetus (fetale Zellen). Die nach Entnahme kultiviertenfetalen Zellen können biochemisch, zytogenetisch und mo-lekulargenetisch untersucht werden. Die zytogenetischeUntersuchung gibt Aufschluss über chromosomale Auffäl-ligkeiten (z. B. Trisomien 13, 18 und 21, gröbere Chromo-somenverluste etc.), die biochemische Untersuchung Auf-schluss über Neuralrohrverschlussdefekte (Spina bifida).Hierauf ist die „Routine“-Diagnostik beschränkt. Soferndas Risiko einer spezifischen, von den Eltern möglicher-weise ererbten Veränderung auf molekulargenetischer oderchromosomaler Ebene bekannt ist (z. B. Mukoviszidose),kann außerdem eine entsprechende molekulargenetischeDiagnostik vorgenommen werden. Dies wird nur getan,wenn eine spezifische Fragestellung vorliegt.

Während es sich bei Chorionbiopsie und Amniozentesemehr oder weniger um Tests handelt, die heute routi-nemäßig durchgeführt werden, werden die Nabelschnur-punktion, die ab etwa der 19. Schwangerschaftswochedurchgeführt werden kann und bei der fetale Blutzellengewonnen werden, und die Fetale Hautbiopsie, die zwi-schen der 18. und 20. Schwangerschaftswoche durchge-führt werden kann, nur im Einzelfall angewendet.573

Invasive Methoden der pränatalen Diagnostik bergennicht nur gesundheitliche Risiken für die Schwangeren

selbst (Blutungen, wehenartige Schmerzen, Infektionen),sondern auch ein Verletzungsrisiko für den Fetus und sindmit einem eingriffsbedingten Fehlgeburtsrisiko verbun-den, das bei der Amniozentese mit rund 0,5 %, bei derChorionbiopsie mit 2 bis 4 % angegeben wird.

2.1.1.2.2 Genetische Reihenuntersuchungen(Screening)

Als genetische Reihenuntersuchungen (Screening) wer-den solche genetischen Tests bezeichnet, die systematischmit dem Ziel der Früherkennung oder dem Ausschluss ge-netisch bedingter Erkrankungen, der Identifizierung vonPrädispositionen oder Resistenzen gegenüber genetischbedingten Erkrankungen oder der Identifizierung von An-lageträgerschaften zu einer genetisch bedingten Erkran-kung durchgeführt werden.574 Eine andere gebräuchlicheDefinition von genetischen Reihenuntersuchungen lautet:„Suche nach Genotypen in einer symptomfreien Bevöl-kerung, die zu erhöhten Risiken für genetisch bedingte Er-krankungen bei deren Trägern oder deren Nachkommenführen.“575

Im Unterschied zu individuellen Testangeboten geht dieInitiative zur Durchführung von Tests bei genetischenReihenuntersuchungen nicht von einem Rat suchendenIndividuum, sondern vom Gesundheitssystem aus. Gene-tische Screenings können sich dabei auf die Gesamtbe-völkerung oder auf spezifische Bevölkerungsgruppen be-ziehen. Im letzteren Fall werden Menschen mit einemTestangebot konfrontiert, obwohl bei ihnen keine indivi-duelle Indikation vorliegt, sie jedoch ein gegenüber derGesamtbevölkerung statistisch erhöhtes Risiko für einegenetisch bedingte Erkrankung tragen.

Wie aus einem Test ein Screening-Angebot wird, hängtvor allem auch von der Organisationsform des jeweiligenGesundheitswesens ab. Anders als im Rahmen eines staat-lichen Gesundheitswesens, in dem Screening-Programmevon den zuständigen Institutionen gezielt etabliert werdenkönnen, kann ein Screening-Angebot auch gleichsam„einsickern“.576 Das zeigt die Erfahrung der genetischenpränatalen Diagnostik in Deutschland, die sich de facto zueiner Art Screening-Angebot entwickelt hat.

Grundsätzlich lassen sich verschiedene Typen und Ver-fahren von Screening-Maßnahmen unterscheiden.

Zu den neonatalen genetischen Screenings, die gegen-wärtig vor allem diskutiert werden, gehören die Untersu-chung von Neugeborenen auf Zystische Fibrose, wozu esPilotprojekte in Frankreich, Großbritannien und Italiengibt, sowie neonatale Tests auf Duchenne Muskeldystro-phie. Für letztere Erkrankung stehen derzeit therapeuti-sche Optionen nicht zur Verfügung, so dass die Durch-führung des Tests nicht im Interesse des Kindes liegt,

571 Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Ge-sellschaft für Humangenetik 1992.

572 Schmidtke 1997, S. 111.573 Stengel-Rutkowski 1997, S. 58f.

574 European Society of Human Genetics/Public and Professional Poli-cy Committee 2000a.

575 National Academy of Sciences, USA, 1975, zit. n. Schmidtke 1997,S. 231.

576 Schmidtke 2001a.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 125 – Drucksache 14/9020

sondern allein der weiteren Familienplanung dient. ImHinblick auf Tests, die im Erwachsenenalter durchgeführtwerden, sind gegenwärtig Screenings auf familiäre Hy-percholesterinämie und Hämochromatose sowie Tests aufAnlageträgerschaft für das Fragile-X-Syndrom, ZystischeFibrose und andere rezessive Störungen in der Diskus-sion. Eine Reihe von Screening-Maßnahmen werden ge-genwärtig in Form von Pilotstudien durchgeführt.578

In einer Reihe von Ländern, darunter Israel, Australienund die USA, werden Screening-Programme bereits seitJahren durchgeführt. Es handelt sich dabei um Anlageträ-gertests auf bestimmte Krankheiten, die innerhalb ethni-scher Gruppen besonders häufig auftreten, und die beiSchwangeren bzw. präkonzeptionell zum Teil flächen-deckend angeboten werden (siehe Tabelle 18).

In Deutschland wird derzeit in einem von der Kaufmänni-schen Krankenkasse Hannover (KKH) und der Medizini-schen Hochschule Hannover (MHH) gestarteten Modell-versuch ein genetisches Screening auf Hämochromatosedurchgeführt. Es handelt sich dabei um das erste inDeutschland auf molekulargenetischer Basis durchge-führte Screening bei Erwachsenen überhaupt.

Für die Durchführung eines Hämochromatose-Screeningswerden nicht nur medizinische Gründe, sondern auchökonomische Gesichtspunkte geltend gemacht:

„Zum einen gehört die Hämochromatose mit einerPrävalenz von 1:400 zu den häufigsten monogenenStoffwechselerkrankungen in Europa. Sie ist einfachund sicher diagnostizierbar, durchläuft eine ausge-

prägt lange asymptomatische Phase und lässt sich ef-fektiv und nebenwirkungsfrei behandeln. Es herrschtKonsens darüber, dass sich homozygote Anlageträgerbei Auftreten erster klinischer Krankheitserscheinun-gen einer regelmäßigen Aderlasstherapie unterziehensollten. Diese ist nicht nur besonders preiswert, da siegänzlich ohne Pharmaka auskommt, sondern stiftetzusätzlich volkswirtschaftlichen Nutzen, weil die Ader-lässe in aller Regel als Blutspenden verwendet werdenkönnen. Der finanzielle Aufwand für die Durch-führung eines Hämochromatose-Screenings bei nichtselektionierten Probandengruppen wurde erst kürzlichim Rahmen einer gesundheitsökonomischen For-schungsarbeit berechnet und auf rund 8 900 DM progewonnenem Lebensjahr geschätzt. Im Vergleich zuanderen Untersuchungen, für die ebenfalls Kostenef-fektivitätsstudien vorliegen, ist dies ein ausgespro-chen guter Wert.“579

Die Hämochromatose ist mit einer Prävalenz von etwa2,5:1000 in Nord- und Mitteleuropa eine sehr häufigeStoffwechselkrankheit mit autosomal-rezessivem Erb-gang. Bei den Betroffenen kann es durch eine erhöhte gas-trointestinale Absorption von Eisen aus der Nahrung mitzunehmendem Lebensalter zu einer unphysiologischenEisenüberlagerung des Organismus (insbesondere Leber,Pankreas, Herz und Haut) kommen. Im Verlauf von Jah-ren können sich unbehandelt eine Reihe von Organschä-digungen entwickeln, die häufig zum vorzeitigen Tod derPatienten führen. 1996 konnte die krankheitsverursa-chende Mutation im HFE-Gen auf dem Chromosom 6identifiziert werden, und seitdem steht ein direkter Gen-test zur Verfügung. Der direkte Gentest ermöglicht eine

Tabel le 17

Typen und Verfahren von Screening-Maßnahmen

Zeitpunkt Typ/Verfahren Ziele

vor der Geburt – Fetale Zellen im Blut der Schwan-geren577

– Serummarker im Blut der Schwan-geren

– Ultraschall-Screening – Fetale Karyotypisierung – Präimplantationsdiagnostik

Erkennung genetisch (und nicht ge-netisch) bedingter Störungen in der frühen Schwangerschaft; Behand-lung in utero; Verbesserung des perinatalen Managements; Entschei-dungshilfe bezüglich Schwanger-schaftsabbruch

nach der Geburt – Screening von Neugeborenen – Screening von Erwachsenen – Carrier-Screening bei bestehender

Schwangerschaft oder präkonzep-tionell

Aufdeckung oder Ausschluss von genetischen Merkmalen, die gesund-heitliche Bedeutung für die Testper-son selbst haben; Aufdeckung oder Ausschluss von genetischen Risiken bei den Nachkommen der Testperson

Quelle: European Society of Human Genetics/Public and Professional Policy Committee 2000b

577 Diese Technik ist nicht anwendungsreif (Anm. d. Kommission).578 Ein Überblick findet sich in: European Society of Human Gene-

tics/Public and Professional Policy Committee 2000b. 579 Galas 2001, S. 70.

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Drucksache 14/9020 – 126 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

präsymptomatische Diagnostik und Prävention der Er-krankung mittels Aderlasstherapie. Durch diese einfacheregelmäßige Behandlung kann das Auftreten von Sympto-men verhindert werden bzw. der Erkrankungsverlauf einerbereits klinisch manifesten Hämochromatose wirksam po-sitiv beeinflusst werden. Bei Patienten mit Verdachtsdia-gnose kann auf die Durchführung invasiver Methoden zurDiagnosesicherung (Leberpunktion) verzichtet werden.

Im Rahmen des Modellvorhabens der MedizinischenHochschule Hannover (MHH) in Kooperation mit derKaufmännischen Krankenkasse (KKH) sollen 10 000 Ver-sicherte der KKH untersucht werden (Mindestalter:18 Jahre). Von der MHH erhalten Interessierte ein Infor-mationsschreiben sowie ein Filterpapier, das als Trägerder Blutprobe dient. Dazu genügt es, dass der Hausarzt ei-nige Tropfen des Kapillarblutes auf das Filterpapier gibtund die Probe zur Auswertung an die MHH schickt. NachAuswertung der Blutprobe im Labor informiert die MHHden Hausarzt schriftlich über das Ergebnis. IdentifiziertenAnlageträgern werden eine humangenetische Beratungund eine klinische Untersuchung angeboten. Daneben sollauch eine ausführliche Befragung der Probanden zur Eva-luierung der psychosozialen Auswirkungen des Scree-nings erfolgen. Kritikerinnen und Kritiker weisen vor allem auf folgende problematische Aspekte des Modell-versuchs hin:

– Die Aufklärung der Teilnehmerinnen und Teilnehmeram Modellvorhaben erfolgt nicht obligatorisch durchein humangenetisches Beratungsgespräch vor bzw.nach dem Test, sondern u. U. nur mittels zugeschick-tem Aufklärungsbogen. Kann hierdurch ein informedconsent ausreichend gewährleistet werden?

– Ein womöglich großer Teil der positiv genetisch Ge-testeten könnte unnötig beunruhigt werden, da er even-tuell nie phänotypisch betroffen gewesen wäre.

– Wie geht man mit den zwangsläufig über Verwandteanfallenden Daten um?

– Ein Gentest auf Hämochromatose werde wissenschaft-lich international kontrovers diskutiert, weil seine Aus-sagekraft unklar ist. Ein derartiges Screening seiethisch problematisch, weil damit zu viele Personen

erfasst würden, die gesund sind und möglicherweiseerst in einigen Jahrzehnten oder auch ohne medizini-sche Intervention gar keine klinisch relevanten Or-ganschäden ausbilden würden. Dabei werde auch dasZweckmäßigkeitsgebot des SGB V unterlaufen.580

Der Einsatz genetischer Screening-Programme ist zumgegenwärtigen Zeitpunkt durch knappe technische undmaterielle Ressourcen beschränkt. Zum einen sind gegen-wärtig nur relativ wenige Erbkrankheiten und Risikofak-toren durch genetische Untersuchungen detektierbar; zumanderen sind Screening-Maßnahmen durch den hohenAufwand, den eine Mutationsanalyse mit konventionellenmolekulargenetischen Techniken darstellt, enge finanzi-elle Grenzen gesetzt.581

2.1.1.2.3 Pharmakogenetische DiagnostikDie Pharmakogenetik beschreibt genetisch bedingte Fakto-ren als Ursache individueller Unterschiede in der Reaktionvon Patientinnen und Patienten auf die Gabe von Arznei-mitteln. Ihr wesentliches Ziel besteht darin, die Sicherheitund Wirksamkeit von Arzneimitteln dadurch zu erhöhen,dass diese an die genetische Konstitution der Patientinnenund Patienten „angepasst“ werden. Während sich die Phar-makogenetik auf bestimmte pharmakologisch interessanteGene bezieht, umfasst die Pharmakogenomik die Gesamt-heit aller unterschiedlichen Abfolgen in den Genen. In denUSA gilt die Pharmakogenomik vielfach als neue „Wun-derdroge“ im Bereich der Medikamentenherstellung. Sosieht laut einer Studie der internationalen Unternehmens-beratung Frost & Sullivan der US-amerikanische Markt fürPharmakogenomik einem enormen Wachstum entgegen.Im Jahr 2000 erwirtschafteten die gen-basierte Diagnostik,der Servicebereich der Pharmakogenomik und die sog.Orphan Drugs rund 1,7 Milliarden US-Dollar; nachSchätzungen der Unternehmensberatung könnte der Um-satz bis zum Jahr 2005 auf über sechs Milliarden US-Dollar steigen.582

Tabel le 18

Heterozygotentests

Krankheit Ethnische Gruppen Testverfahren

Thalassämie Bevölkerungen der Mittelmeerländer Hämoglobin-Untersuchungen; moleku-largenetische Tests

Tay-Sachs-Erkrankung Aschkenasim-Juden Biochemischer Test

Sichelzellenanämie Bevölkerungen afrikanischer Gruppen Hämoglobin-Untersuchungen; moleku-largenetische Tests

Zystische Fibrose Bevölkerungen europäischer Herkunft Molekulargenetischer Test

Quelle: Schmidtke 1997, S. 247

580 Steindor 2001; 2002.581 Henn 1998, S. 130.582 Frost & Sullivan 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 127 – Drucksache 14/9020

Die pharmakogenetische Forschung steht derzeit noch amAnfang. Pharmakogenetische Untersuchungen dienenderzeit „mehrheitlich der anwendungsorientierten Grund-lagenforschung“.583 Gleichwohl werden teilweise großeHoffnungen in sie gesetzt: Die Implementierung pharma-kogenetischer Methoden in die Arzneimittelentwicklungund die therapeutische Praxis soll zu größerer Sicherheitbei der Anwendung von Medikamenten beitragen, dieMedikamentenwirksamkeit erhöhen und nicht zuletztauch positive ökonomische Auswirkungen haben.584 Bro-der und Venter halten es sogar für wahrscheinlich, dassPharmakologie, Toxikologie, Bioinformatik und Geno-mik langfristig zu einer neuen Sparte der medizinischenWissenschaft verschmelzen, die sich der Erforschung undEntwicklung von Pharmazeutika vom Molekül bis zumKrankenbett widmet.585

Im Einzelnen bestehen die Ziele pharmakogenetischerForschung vor allem darin,

– die individuelle Wirksamkeit von Medikamenten zuoptimieren,

– die Dosierung von Medikamenten möglichst indivi-duell anzupassen,

– durch die Einnahme von Medikamenten verursachteunerwünschte Reaktionen zu vermeiden und

– die Aktivität von Medikamenten im Organismus bes-ser steuern zu können.

Man weiß heute, dass die individuell fehlende Wirksam-keit von Medikamenten ebenso wie das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen – neben Umwelt-bedingungen, der compliance der Patientinnen und Pati-enten und weiteren Faktoren – auch durch genetische Fak-toren bedingt sind, wobei die genetische Komponenteallerdings von Fall zu Fall unterschiedlich stark ausge-prägt sein kann.

Grundsätzlich kann man drei Mechanismen unterschei-den, wie Arzneimittelwirkungen durch pharmakogeneti-sche Faktoren beeinflusst werden können:

– Veränderungen in Genen, die die Synthese arzneimit-telabbauender Enzyme kontrollieren;

– Mutationen, die die Bindung an Zielstrukturen derZelloberfläche oder in der Zelle beeinflussen;

– Mutationen, die eine herabgesetzte Expression vonTransporterproteinen zur Folge haben oder derenTransportfunktion beeinflussen.586

Um Gene zu identifizieren, die für die Aufnahme, Wirk-samkeit und den Abbau von Wirkstoffen im menschlichenOrganismus verantwortlich sind, sind derzeit noch um-

fangreiche Forschungsvorhaben erforderlich. Dabei be-dient man sich molekularbiologischer Erkenntnisse undverschiedener genetischer Verfahren und Werkzeuge wiez. B. Genkarten, Populationsanalysen, Familienstamm-bäumen oder Expressionsstudien. Eine wichtige Rollespielen dabei Suchverfahren, die auf sog. SNPs (SingleNucleotide Polymorphisms) zurückgreifen.

SNPs sind die häufigste genetische Variation, bei der eineinzelner DNA-Baustein (ein Nukleotid, bestehend auseinem Zucker-, einem Phosphorsäuremolekül und einerBase) verändert ist. 99,9 % aller Nukleotid-Paare immenschlichen Genom sind bei allen Menschen gleich. Dieverbleibenden 0,1 % sind vermutlich für die Unterschiedezwischen den Menschen verantwortlich. Eine Verände-rung einer einzelnen Base – also ein SNP – tritt vermutlichbei jeder 1 000. Base auf. SNPs treten überall im Erbgutauf. Derzeit geht man davon aus, dass es ca. 3 MillionenSNPs gibt, von denen jedoch vermutlich nur 15 000 bis20 000 eine funktionelle Bedeutung haben.

1999 haben sich führende Pharmaunternehmen, univer-sitäre Forschungslabors und die Stiftung Wellcome Trustzu einem „SNP-Konsortium“ zusammengeschlossen. DasSNP-Konsortium verfolgt das Ziel, SNPs zu sequenzierenund sie in einer Datenbank zu publizieren.587 Die Kennt-nis von SNP-Markern soll systematische genomweite As-soziationsstudien ermöglichen:

„Somit können SNP-Profile der Zielpopulation – z. B.Patienten, die an einer bestimmten Krankheit leidenoder schlecht auf ein bestimmtes Präparat ansprechen –mit SNP-Profilen nicht beeinträchtigter Populationenverglichen werden, um genetische Abweichungen zuermitteln, die nur in der betroffenen Gruppe auftreten.Bei diesen Assoziationsstudien könnten krankheits-spezifische Gene identifiziert werden, aus denen sichneuartige Therapiemöglichkeiten, ja sogar maßge-schneiderte Therapien entwickeln dürften.“588

Es wird erwartet, dass „in der näheren Zukunft immermehr Medikamente in Kombination mit Testkits zur dif-ferentiellen Genotypisierung von Patientenpopulationenauf den Markt kommen werden“589. Bei diesen, auch„prognostics“ genannten Test-Kits geht es nicht um diePrädiktion von Krankheiten, sondern um die Prognose destherapeutischen Erfolgs eines Präparates. Ein Beispiel fürdie Möglichkeit pharmakogenetischer Behandlungsstra-tegien ist der Einsatz von Herceptin, einem Medikament,das nur bei einer ganz bestimmten Form des Mammakar-zinoms wirksam ist. Diese Form entsteht durch eine gene-tisch bedingte Überproduktion bestimmter Wachstumsre-gulatoren. Mit Hilfe eines Tests lässt sich daher ermitteln,ob das zuständige Gen, das den Einsatz von Herceptin erstsinnvoll macht, nachgewiesen werden kann. Die US Food

583 Verband Forschender Arzneimittelhersteller 2001.584 Bayertz et al. 2001, S. 287ff; Feuerstein et al. (im Erscheinen); Kurth

2000, S. 224.585 Broder/Venter 2000, S. 97.586 Eichelbaum 2001.

587 Am 15. Februar 2001 wurde in Nature eine Karte mit 1,4 Mio. SNPspubliziert.

588 Pressemitteilung des SNP-Konsortiums vom 15. April 1999, zit. n.Bayertz et al. 2001, S. 287 (Übersetzung).

589 Bayertz et al. 2001, S. 289; Feuerstein et al. (im Erscheinen); Wolfet al. 2000, S. 988.

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Drucksache 14/9020 – 128 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

and Drug Administration (FDA) macht den Einsatz vonHerceptin von der vorherigen Durchführung des Tests ab-hängig und hat die pharmakogenetische Diagnostik damitin die klinischen Prüfpläne integriert.

Herceptin ist das erste Medikament zur Behandlung vonBrustkrebs, das auf Ergebnissen der Genomforschung ba-siert, zielspezifisch ist, ein defektes Signalsystem angreiftund bei einer definierten Patientinnengruppe (individuali-sierte Therapie) eingesetzt wird. „Diese Aufsplitterung inimmer feiner abgestimmte Therapien wird weitergehen“,prognostiziert Prof. Axel Ullrich vom Max-Planck-Insti-tut für Biochemie in Martinsried bei München.590 Solltedies zutreffen, stellt sich allerdings das Problem, wer diesbezahlen soll. Denn je weniger Patientinnen und Patien-ten es mit derselben Krebserkrankung gibt, desto höher istder Preis pro Medikament. Die Gesundheitssysteme derIndustrieländer wären dann mehr als bisher mit der Fragekonfrontiert, wie künftig eine gerechte Allokation medi-zinischer Leistungen gewährleistet werden kann.

2.1.1.3 Erwartete zukünftige Entwicklungen

2.1.1.3.1 Ausweitung der Testpraxis

Der Zuwachs an genetischem Wissen – insbesondere imZuge des Humangenom-Projektes – und technische Ent-wicklungen werden in den kommenden Jahren dazu führen,dass DNA-Tests für sehr viel mehr krankheitsrelevante Mu-tationen und genetische Polymorphismen zur Verfügungstehen werden als zurzeit. Zugleich werden die Testver-fahren zunehmend leistungsfähiger, einfacher handhab-bar und billiger. Beide Entwicklungen werden zu einerAusweitung der Testpraxis führen.591

Vor allem werden in Zukunft immer mehr Gene, die an derVerursachung autosomal rezessiver und autosomal domi-nanter Erkrankungen beteiligt sind, identifiziert werdenund zur Entwicklung diagnostischer und prädiktiver ge-netischer Testverfahren für diese Erkrankungen führen.Mit einer Ausweitung genetischer Testverfahren im Be-

Verschreibungs Empfehlung

Pharmakogenetik

Kandidatengene:

gibt es Polymorphismen

Screening auf Einzelnukleotid-

Polymorphismus oder andere

Polymorphismen

Ermittlung pharmakologischer Targets

Ermittlung der über die

Veranlagung für bestimmte

Krankheiten entscheidenden Loci

Ermittlung der funktionellen

Bedeutung der Polymorphismen

DNA-basierte Tests

-

Quelle: Wolf et al. 2000, S. 989 (Übersetzung)

590 Zitiert nach Koch 2001b, S. 65. 591 Bayertz et al. 2001, S. 271; Feuerstein et al. (im Erscheinen), Kap. 1.3.

Grafik 7

Pharmakogenetik

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 129 – Drucksache 14/9020

reich chronischer Erkrankungen ist für eine Untergruppedieser Erkrankungen, für die prädisponierende Gene mithoher Penetranz bekannt sind, zu rechnen. Dazu gehörenbeispielsweise Brustkrebs (BRCA 1/2), Darmkrebs (FAP,HNPCC), Diabetes Typ II, Alzheimer (APOE, ADP, PS1,PS2). Allerdings hat diese Untergruppe nur einen Anteilvon weniger als 5 % an allen erkrankten Fällen.592

2.1.1.3.2 Schere zwischen Diagnose-möglichkeiten und Therapieoptionen

Die Entwicklung effektiver Behandlungsverfahren fürdiese Erkrankungen wird mit dieser Entwicklung voraus-sichtlich nicht Schritt halten, so dass sich die Schere zwi-schen Diagnosemöglichkeiten und Therapieoptionen wei-ter öffnen wird.593

Zumindest in einigen Bereichen werden sich für dienähere Zukunft voraussichtlich jedoch – etwa bei der The-rapiewahl und Arzneimitteldosierung – auch Möglichkei-ten zu einer engeren Kombination von genetischer Dia-gnose und Therapie ergeben. Dies gilt z. B. für erblicheTumoren, bestimmte Autoimmunkrankheiten, Endokri-nopathien oder rheumatoide Erkrankungen.594

Es wurden ursprünglich große Hoffnungen in die somati-sche Gentherapie für genetisch bedingte Krankheiten ge-setzt. Allerdings haben die Erfahrungen im klinischenVersuch, aber auch in der Grundlagenforschung gezeigt,dass die Idee, genetisch bedingte Krankheiten durch eineArt „Genkorrektur“ heilen zu können, wissenschaftlich zunaiv war.595

2.1.1.3.3 DNA-Chip-TechnologieIm Hinblick auf neue technische Möglichkeiten der Dia-gnostik wird sich in Zukunft voraussichtlich die Entwick-lung von DNA-Chips als besonders bedeutsam erweisen.Der Anwendungsbereich für die Chiptechnologie geht„weit über den humangenetischen Bereich“ hinaus.596

Das gegenwärtig diskutierte Einsatzspektrum für DNA-Chips reicht von der Forschung über die Landwirtschaft,die Lebensmittelkotrolle, die Umweltforschung, die me-dizinische Diagnostik bis hin zur Pharmaproduktion oderdie Überprüfung genetischer Fingerabdrücke in der Fo-rensik.597

Die DNA-Chip-Technologie eignet sich zum raschen undbilligen Nachweis von Gensequenzen. Neben dem Ein-satz zur Grobsequenzierung von Genen, zur Analyse vonExpressionsmustern (Forschung, Überwachung von The-

rapieverläufen, Kontrolle von Stoffwechselreaktionen,medizinische Prognostik) oder zum Nachweis von Mi-kroorganismen und Umwelt- und Lebensmittelanalytikeignen sich DNA-Chips auch für eine Anwendung in derklinischen Forschung und Diagnose (Nachweis von erbli-chen Erkrankungen, Polymorphismen, Markern, Krank-heitserregern).598

Die Verknüpfung von Molekulargenetik und Computer-technologie ermöglicht eine drastische Beschleunigungder Probenauswertung, bei der eine parallele Analyse ei-ner sehr großen Zahl genetischer Informationen möglichist. Dies wird gegenüber den heute verfügbaren Methodender DNA-Diagnostik eine ganz erhebliche Beschleuni-gung bedeuten, die nicht nur für die Genomforschungselbst, sondern auch für die klinische genetische Diagnos-tik bedeutsam sein wird. Auch wenn die Einführung derMikroarray-Analyse konstitutioneller Genmutationen inder medizinischen Praxis erst noch bevorsteht,

„so lassen doch bereits im wissenschaftlichen Labor-maßstab existierende Diagnostikchips für Gene wieBRCA1 oder CFTR keinen Zweifel daran, dass bin-nen weniger Jahre DNA-Mutationschips in großemMaßstab einsetzbar werden. Dadurch werden sich diebereits begonnenen Entwicklungen in Richtung aufParametervermehrung, Kostensenkung und Automati-sierung weiter beschleunigen.“599

Die Einführung der DNA-Chiptechnologie wird nachAuffassung von Expertinnen und Experten auch im Hin-blick auf die humangenetische Diagnostik gravierendeVeränderungen mit sich bringen. Wolfram Henn beispiels-weise geht davon aus,

„dass in fünf oder zehn Jahren Techniken verfügbarsein werden, die jedes beliebige medizinische Laborin die Lage versetzen, aus einer Blut- oder Cho-rionzottenprobe eine nahezu beliebige Zahl von Ge-nomabschnitten auf Abweichungen von DNA-Stan-dardsequenzen zu überprüfen, und dies zu einemBruchteil heutiger Analysekosten. Eine eigene hu-mangenetische Methodenkompetenz des Untersu-chers wird dank integrierter Verfahren von der auto-matischen DNA-Extraktion bis zum Online-Abgleichmit als normal definierten Sequenzen nicht mehr er-forderlich sein.“600

In welchem Ausmaß und in welchen Bereichen DNA-Chips zukünftig zum Einsatz kommen werden, ist, wie esin einer Publikation des Bundesministeriums für Bildungund Forschung heißt, „von sehr vielen Faktoren wie zumBeispiel den Patienteninteressen, dem wirtschaftlichenNutzen für Anbieter und Anwender und der gesellschaft-lichen Akzeptanz bestimmter Anwendungen abhängigund daher nicht vorhersehbar“601.592 Nippert 2001b. Nach Feuerstein et al. ist mit der Erschließung poly-

gen und multifaktoriell bedingter Erkrankungen ein „explodierenderMarkt für genetische Diagnostik“ zu erwarten (Feuerstein et al. (imErscheinen)).

593 Nippert 2001b.594 Bayertz et al. 2001, S. 275.595 Graumann 2000.596 Toder 2000, S. 19.597 Schwerin 2000, S. 16.

598 Weß 1998, S. 4; Feuerstein et al. (im Erscheinen).599 Henn 2000, S. 342.600 Henn 2000, S. 342.601 Bundesministerium für Bildung und Forschung 2000.

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Drucksache 14/9020 – 130 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international)

In Deutschland gibt es derzeit keine spezifischen gesetz-lichen Regelungen, die sich mit der genetischen Beratungund Diagnostik befassen.

Das 1990 erlassene, 1993 novellierte Gentechnikgesetzregelt die Anwendung gentechnischer Verfahren an Pflan-zen, Tieren und Mikroorganismen sowie die Sicherheits-vorkehrungen beim Umgang mit gentechnisch veränder-ten Organismen in Laboren und Produktionsstätten. DieAnwendung gentechnischer Methoden am Menschen unddie Humangenetik sind aus dem Anwendungsbereich desGesetzes ausgeklammert. Eine einzelgesetzliche Rege-lung existiert bislang lediglich mit dem Strafverfah-rensänderungsgesetz von 1997, in dem der Einsatz mole-kulargenetischer Untersuchungen in Strafverfolgung undStrafprozess geregelt wird.

Indirekte rechtliche Regelungen erfolgten in Deutschlandzur Pränataldiagnostik und Beratung bruchstückhaftdurch Rechtsprechung und Richtlinien im Krankenversi-cherungsrecht und im Arzthaftungsrecht. So wurden prä-natale Diagnosetechniken wie die Amniozentese Anfangder 70er Jahre in den Leistungskatalog der GesetzlichenKrankenkassen aufgenommen. Seit Anfang der 80er Jahregibt es in Deutschland die sog. „Kind als Schaden“-Recht-sprechung, wonach Ärztinnen und Ärzte wegen Verletzungdes Beratungs- und Behandlungsvertrages schadensersatz-pflichtig sein können, wenn Kinder mit Behinderungennach fehlerhafter genetischer Beratung oder verhinderteroder fehlerhafter Pränataldiagnostik geboren werden.602

Im Strafprozessrecht wurde die Nutzung des „genetischenFingerabdrucks“ zur Beweiserhebung im strafrechtlichenErmittlungsverfahren 1997 durch das Strafverfahrensän-derungsgesetz (§ 81e StPO) gesetzlich geregelt. Im Ar-beitsrecht erging im Jahr 2001 die erste höhergerichtlicheEntscheidung zum Einsatz von DNA-Analysen.603

In-vitro-Diagnostika, die vom Hersteller dazu bestimmtsind, zur Analytik von Genen angewendet zu werden, un-terliegen dem europäischen und somit auch dem deut-schen Medizinprodukterecht.604 Die Europäische Richt-linie des Europäischen Parlaments und des Rates vom27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (RL 98/79/EG)gilt für In-vitro-Diagnostika und ihr Zubehör. Danach istein In-vitro-Diagnostikum ein Medizinprodukt, das alsReagenz, Kontrollsubstanz oder -vorrichtung nach der vomHersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Un-tersuchung von aus dem menschlichen Körper stammen-den Proben verwendet wird und allein oder hauptsächlichdazu dient, Informationen über physiologische Zuständeoder Krankheits- und Gesundheitszustände oder angebo-

rene Anomalien zu liefern. Gendiagnostika und genetischeTest-Kits werden in der Regel von dieser EU-Richtlinie er-fasst. In Deutschland erfolgte die Umsetzung dieser Richt-linie durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene ZweiteMedizinprodukteänderungsgesetz. Nach den Bestimmun-gen der EU-Richtlinie und des Umsetzungsgesetzes sindin Deutschland alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen,damit die Produkte nur in Verkehr gebracht werden, wennsie mit der sog. CE-Kennzeichnung („conformité eu-ropéenne“) versehen sind. Produkte müssen demnach soausgelegt und hergestellt sein, dass ihre Anwendung we-der den klinischen Zustand noch die Sicherheit der Pati-entin oder des Patienten direkt oder indirekt gefährdet,wenn sie zu den vorgesehenen Zwecken eingesetzt wer-den. Wie der Name bereits sagt, bezieht sich das (novel-lierte) Medizinproduktegesetz (MPG) ausschließlich aufKriterien der Produktsicherheit und -güte. In Bezug aufden Gentest bedeutet dies, dass Fragen des Arztvorbehaltsoder der Bindung der Durchführung von Gentests an me-dizinische Zwecke nicht von diesem Gesetz erfasst wer-den.605 Hier kann der nationale Gesetzgeber also ein eige-nes Regelwerk verabschieden.

Anders als in Deutschland existiert in Österreich mit demGentechnikgesetz von 1994 eine gesetzliche Regelungdes Bereichs der genetischen Diagnostik.606 In derSchweiz liegt ein „Vorentwurf für ein Bundesgesetz übergenetische Untersuchungen am Menschen“ vor.607

Auf europäischer Ebene widmet das „Übereinkommenzum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürdeim Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medi-zin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedi-zin“608 des Europarates der Frage des Schutzes des huma-nen Genoms ein eigenes Kapitel. Das Übereinkommenbehandelt in Art. 11 die Frage der Diskriminierung einerPerson aufgrund ihres genetischen Erbes und stellt fest:

Art. 11: Nichtdiskriminierung

„Jede Form von Diskriminierung einer Person wegenihres genetischen Erbes ist verboten.“

In Art. 12 befasst sie sich mit prädiktiven genetischen Testsvon Krankheiten und bindet ihre Vornahme an das Vorlie-

602 Degener 1998b. Die Rechtsprechung zur Haftung nach verpasstemSchwangerschaftsabbruch bzw. nach fehlerhafter Pränataldiagnostikbezieht sich allerdings nur auf die Indikationen des bis 1995 gelten-den § 218. Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen im BerichtsteilPräimplantationsdiagnostik.

603 Vgl. C2.2.1.3 Prinzip der Freiwilligkeit.604 Schorn 2001.

605 In zwei Punkten geht die In-vitro-Diagnostika-Richtlinie über dieRegelung der Produktsicherheit und -güte hinaus: Nach Art. 1 Abs. 4unterliegt die Entnahme, Sammlung und Verwendung von Gewebe,Zellen und Stoffen menschlichen Ursprungs in ethischer Hinsichtden Grundsätzen des Übereinkommens des Europarates zum Schutzder Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf dieAnwendung der Biologie und der Medizin und den einschlägigenRegelungen der Mitgliedstaaten. Nach Art. 1 Abs. 6 der Richtliniewerden nationale Rechtsvorschriften, nach denen Produkte auf ärzt-liches Rezept geliefert werden, von der Richtlinie nicht berührt. Diein § 37 MPG geregelte Verordnungsermächtigung für das Bundes-ministerium für Gesundheit sieht die Möglichkeit vor, für bestimmte Medizinprodukte eine Verschreibungspflicht oder beson-dere Vertriebswege vorzuschreiben, jedoch nur, soweit dies aus Grün-den des unmittelbaren oder mittelbaren Gesundheitsschutzes oder zurSicherheit des Patienten, Anwenders oder Dritter geboten ist.

606 Gentechnikgesetz (GTG) der Republik Österreich 1994. 607 Bundesamt für Justiz (Schweiz) 1998a.608 Europarat 1997.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131 – Drucksache 14/9020

gen von „Gesundheitszwecken“ und an genetische Bera-tung; wobei die beiden Kriterien „Gesundheitszweck“ und„genetische Beratung“ nicht näher expliziert sind:

Art. 12: Prädiktive genetische Tests

„Untersuchungen, die es ermöglichen, genetischeKrankheiten vorherzusagen oder bei einer Person ent-weder das Vorhandensein eines für eine Krankheit ver-antwortlichen Gens festzustellen oder eine genetischePrädisposition oder Anfälligkeit für eine Krankheit zuerkennen, dürfen nur für Gesundheitszwecke oder fürgesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschungund nur unter der Voraussetzung einer angemessenengenetischen Beratung vorgenommen werden.“

Diese Bestimmungen bilden den Ausgangspunkt für eingegenwärtig in Vorbereitung befindliches Protokoll zurHumangenetik, das sich u. a. mit Fragen der genetischenDiagnostik befasst. Auch sind Richtlinien zum Umgangmit humanbiologischem Material und persönlichen Datenin Vorbereitung, in deren Zusammenhang es auch um denUmgang mit genetischen Daten geht.

In der deutschen Diskussion ist die Regelung in Art. 12wegen der Interpretations- und Präzisionsbedürftigkeitdes Begriffs „Gesundheitszwecke“ (health purposes) kon-trovers beurteilt worden. Die Bundesregierung hat dasÜbereinkommen wegen der noch nicht abgeschlossenenDebatte in Deutschland bislang noch nicht unterzeichnet.

Auch die UNESCO-Deklaration zum Schutz des mensch-lichen Genoms von 1997 beinhaltet ein Verbot der Dis-kriminierung von Menschen aufgrund genetischer Eigen-schaften und schreibt in mehreren Artikeln grundlegendePrinzipien und Rechte für den Umgang mit genetischenUntersuchungen zu Forschungs- und Diagnosezweckenfest.609

Die Chancen und Risiken der Anwendung gendiagnosti-scher Verfahren am Menschen werden in Deutschland seitden 1980er Jahren in zahlreichen von Bundes- und Lan-desregierungen eingerichteten Kommissionen und Ar-beitsgruppen intensiv diskutiert. So hat sich beispiels-weise 1985 eine gemeinsame Arbeitsgruppe zwischendem damaligen Bundesministerium für Forschung undTechnologie und dem Bundesministerium für Justiz, diesog. Benda-Kommission, mit Fragen der In-vitro-Fertili-sation, der Genomanalyse und der Gentherapie auseinan-dergesetzt.610 1987 hat die Enquete-Kommission „Chan-cen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. DeutschenBundestages ihren Bericht vorgelegt611, 1990 die Bund-Länder Arbeitsgruppe „Genomanalyse“612. Im November2000 hat der Ethik-Beirat beim Bundesministerium fürGesundheit ein Eckpunktepapier für eine ethische und

rechtliche Orientierung im Umgang mit prädiktiven Gen-tests vorgelegt.613

Der Weltärztebund, die Bundesärztekammer, Landesärz-tekammern und Fachgesellschaften haben sich in Positi-onspapieren, Stellungnahmen und Richtlinien teilweiseumfangreich zu grundlegenden Prinzipien im Umgangmit genetischen Diagnoseverfahren und verschiedenenkonkreten Problembereichen geäußert.614

2.2 Diskussionsstand und Bewertung

2.2.1 Allgemeine Aspekte

2.2.1.1 Besonderheiten genetischerInformationen

Informationen aus molekulargenetischen Untersuchun-gen weisen eine Reihe von Besonderheiten auf, die ihreSonderstellung in der Medizin gegenüber Informationen,die aus konventionellen medizinischen Untersuchungenstammen, begründen.

Genetische Information

– birgt gegenüber anderen medizinischen Informationenein deutlich höheres prädiktives Potenzial,

– ermöglicht präsymptomatisch Aussagen über Erkran-kungen bzw. Krankheitsdispositionen,

– behält ihre Voraussagekraft über lange Zeiträume,

– ist von großer Bedeutung für reproduktive Entschei-dungen,

– stellt Verbindungen zu Ethnizität her und birgt damitdas Potenzial rassistischer Diskriminierung,

– hat Implikationen über das getestete Individuum hi-naus auch für Familienangehörige,

– ist in der Regel mit prognostischer Unsicherheit imHinblick auf den Ausbruch bzw. den Krankheitswerteiner Erkrankung behaftet,

– kann einen Vorwand für soziale Stigmatisierungschaffen (Arbeitsplatz, Versicherungswesen, Partner-schaftsanbahnung),

– kann zu erheblicher psychischer Verunsicherung, zuÄngsten und Depressionen der Trägerin bzw. des Trä-gers führen. Personen, die gesund sind und es mögli-cherweise auch bleiben, können sich als krank oder alsgefährdet ansehen,615

– birgt das Potenzial eugenischer Diskriminierung616.

Die grundlegende Differenz zwischen konventionellenund molekulargenetischen Tests liegt jedoch nicht so sehr

609 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization(UNESCO) 1997.

610 Bundesministerium für Forschung und Technologie und Bundesmi-nisterium der Justiz 1985.

611 Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987.

612 Bundesministerium der Justiz 1990.

613 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000.614 Weltärztebund 1964/2000; 2000a; 2000b; Bundesärztekammer

1998a; Berufsverband Medizinische Genetik e.V. & Deutsche Ge-sellschaft für Humangenetik e.V. 1998.

615 Feuerstein/Kollek 2001, S. 28f.; Scholz 1995, S. 48.616 Bartram et. al. 2000; Feuerstein/Kollek 2000; Schmidtke 2001b,

S. 422. Vgl. auch Rose 2000.

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an einzelnen Eigenschaften der DNA-Analyse, sondernim Zusammenspiel ihrer Anwendungsbedingungen unddem Gültigkeitsbereich ihrer Ergebnisse.617 GenetischeDaten müssen aufgrund dessen als „identitätsrelevante“Daten von besonderer Sensibilität angesehen werden, fürdie ein entsprechend hohes Schutzniveau erforderlich ist.

Eine weitere „Eigenschaft“ oder Besonderheit geneti-scher Informationen besteht darin, dass diese häufig in ih-rer Aussagekraft weit überschätzt werden.618 Dies hathäufig eine Verzerrung in der Wahrnehmung multifakto-rieller Zusammenhänge zur Folge, da durch die vermeint-liche Prägnanz des genetischen Datums andere, nicht we-niger wichtige, möglicherweise aber weniger leicht zuermittelnde Aspekte des Gesamtkontextes ausgeblendetwerden.619 Es besteht damit die Gefahr, dass psychischeund soziale Faktoren bei der Erklärung der Entstehungvon Krankheiten oder sogar Charaktereigenschaften vonMenschen in den Hintergrund treten und die Komplexitätvon Menschen bzw. ihren Erkrankungen auf das bloße ge-netische Substrat reduziert werden.620 Manche Autorin-nen und Autoren sprechen sogar von einem Prozess der„Genetifizierung“ der Gesellschaft:

„Als ein Aspekt des noch umfassenderen Prozesses derMedikalisierung bedeutet dieser Prozess eine Neu-definition des Individuums in Begriffen des DNA-Codes, eine neue Sprache, die menschliches Lebenund Verhalten in einem genetischen Vokabular vonCodes, Entwürfen, Merkmalen, Dispositionen und ge-netischer Beschaffenheit beschreibt und interpretiert,und eine genetische Konzeption von Krankheit, Ge-sundheit und dem menschlichen Körper.“621

Prädiktive Tests liefern Aussagen über die sichere oderwahrscheinliche zukünftige Erkrankung von noch gesun-den Personen. Durch dieses Wissen entsteht eine neuePersonengruppe, die der „gesunden Kranken“.622 In derDiskussion um die genetische Diagnostik wird daher viel-fach die Gefahr betont, dass prädiktive genetische Testszu einer Individualisierung von Verantwortung und einemAbbau gesellschaftlicher Solidarität führen könnten.623 Eswird befürchtet, dass sich die Erwartung durchsetzenkönnte, dass „genetisch belastete“ Personen ihre Lebens-weise auf ihre genetische Konstitution ausrichten, um ihreLeistungsfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten, derSolidargemeinschaft möglichst wenig Kosten aufzubür-den und womöglich dafür Sorge zu tragen, keine Kindermit der selben „genetischen Belastung“ zu bekommen.624

Darüber hinaus könnte ein sozialer Druck entstehen, ei-nen prädiktiven Test durchzuführen, genetische Daten zu

offenbaren oder sich an Screening-Programmen zu betei-ligen, indem dies als gesellschaftlich verantwortlichesHandeln definiert wird.625 Die Gefahr des sozialen Druckskönnte selbst dann entstehen, wenn formal-rechtlich dasPrinzip der Freiwilligkeit festgeschrieben ist.626

2.2.1.2 Recht auf Wissen und Recht auf Nichtwissen

Aus den Grundrechten, insbesondere der Menschenwür-degarantie und dem Recht auf freie Entfaltung der Per-sönlichkeit (Art. 1 und 2 GG), ergeben sich das Recht aufWissen bzw. Nichtwissen, das Prinzip der Freiwilligkeit,der Schutz vor Diskriminierung sowie das Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung.627

Insbesondere ergibt sich aus den genannten Normen dasRecht eines Menschen, ihn selbst betreffende Informatio-nen über seinen Gesundheitszustand zu kennen und da-rüber zu verfügen, welche weiteren Personen darüberKenntnis erhalten. Er hat das Recht, in Kenntnis dieser In-formationen Handlungs- bzw. Lebenspläne zu entwerfen,zu verfolgen oder zu verwerfen. Dies gilt auch für Infor-mationen über die eigene genetische Konstitution, die alsGrundlage für die eigene Lebensgestaltung oder die Fa-milienplanung für den Einzelnen von großer Bedeutungsein können. Einschränkungen dieses Rechts auf Wissensind grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig. Es findetseine Grenzen insbesondere dort, wo Persönlichkeits-rechte anderer berührt werden.628

Dem Recht auf Wissen steht ein, ebenfalls aus dem allge-meinen Persönlichkeitsrecht folgendes, Recht auf Nichtwis-sen gegenüber.629 Auch Eingriffe in das Recht auf Nicht-wissen bedürfen einer Rechtfertigung. Dieses Recht schütztdie Einzelne bzw. den Einzelnen vor Informationen überihre bzw. seine gesundheitliche Situation, die sie bzw. ernicht zu erlangen bzw. zu besitzen wünscht. Dem Rechtauf Nichtwissen kommt aufgrund der Besonderheiten vorallem prädiktiver Tests eine besondere Bedeutung zu, dadiese eine präsymptomatische Diagnostik und in der Re-gel nur probabilistische Aussagen ermöglichen.

„Vor diesem Hintergrund kann nur ein Recht auf Nicht-wissen dem drohenden Verlust der Unbefangenheit,Offenheit und letztlich Freiheit gegenüber der eigenenZukunft zuvorkommen. (...) Das eigenverantwortete

617 Scholz 1995, S. 37.618 Vgl. auch Rehmann-Sutter 1998.619 Bartram et al. 2000, Kap. 2.620 Bayertz 2000, S. 452.621 ten Have 2000, S. 334.622 Scholz 1995, 48.623 Mündliche Mitteilung Prof. Hillary Rose im Rahmen der öffent-

lichen Anhörung am 16. Oktober 2000.624 Feuerstein/Kollek 2001; Lemke 2001.

625 Damm 1999, S. 448.626 Neuer-Miebach 1997.627 Konkrete Gefahren für die im Folgenden angesprochenen Grundrech-

te des Rechts auf Wissen und Rechts auf Nichtwissen (Art. 1 Abs. 1und Art. 2 Abs. 1 GG), das Recht auf Freiwilligkeit und Datenschutz(Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht auf Schutz vor Diskriminierung(Art. 3 GG) können nur im Hinblick auf konkrete Anwendungskon-texte genetischer Diagnostik identifiziert werden. Die Rechtspre-chung zum „Kind als Schaden“ (wrongful birth) kann als ein konkre-tes Beispiel für Grundrechtsgefährdung durch Haftungsrecht imZusammenhang mit der Anwendung genetischer Tests im Rahmender Pränataldiagnostik gesehen werden. Vgl. die diesbezüglichenAusführungen in C1.3.3.5 Kind als Schaden.

628 Chadwick 1997a.629 Chadwick 1997a; 1997b; Taupitz 1998.

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Recht, sich für ein Nichtwissen zu entscheiden, stehtdem Betroffenen unbeschadet möglicher gesundheit-licher Nachteile zu.“630

Genetische Untersuchungsmethoden weisen allerdingszusätzlich die weitere Besonderheit auf, nicht auf das ge-testete Individuum beschränkt zu sein, sondern sich auchauf Familienangehörige zu erstrecken. Zum einen müssenbei manchen Untersuchungen Familienangehörige mit indie Untersuchung einbezogen werden. Dies ist z. B. beiindirekten Gentests immer der Fall. Zum anderen offen-baren die Ergebnisse einer genetischen Untersuchunghäufig auch Informationen über den genetischen Statusnicht untersuchter Familienmitglieder. Beide Situationenführen im Hinblick auf das Recht auf Nichtwissen zu be-sonderen Problemen.

Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn eine genetischeUntersuchung gewünscht wird, deren Ergebnis unmittel-bar eine Aussage auch über den genetischen Status einesweiteren Angehörigen erlaubt. Wünscht etwa eine jungeerwachsene Person, deren Großmutter väterlicherseits ander Huntington-Krankheit erkrankt war, zum Zwecke ih-rer eigenen Lebensplanung einen prädiktiven Test, so im-pliziert ein positives Testergebnis unweigerlich auch dendiesbezüglichen genetischen Status des Vaters. Das Rechtauf Wissen konfligiert in diesem Fall mit dem Recht aufNichtwissen eines anderen Menschen.631

Das Recht auf Nichtwissen ist darüber hinaus durch denUmstand tangiert, dass genetische Daten grundsätzlichauch andere und weitere Informationen implizieren kön-nen, als zum Zeitpunkt der Durchführung des Tests be-kannt war.

Ein besonderes Problem stellen auch Daten aus Gentestsaus dem Nabelschnurblut Neugeborener dar, wie sie übli-cherweise anfallen, wenn dieses Blut zur Entnahme vonStammzellen genutzt wird. Die Mutter bzw. die Elternmüssen sich insbesondere bei einer heterologen Verwen-dung nicht nur entscheiden, ob sie genetische Untersu-chungen, die über die für eine Übertragung notwendigenUntersuchungen hinausgehen, zustimmen, sondern auch,ob sie die Ergebnisse dieser Untersuchung mitgeteilt be-kommen wollen. Darüber hinaus müssen sie sich ent-scheiden, ob sie solche Untersuchungsergebnisse auchdann mitgeteilt bekommen wollen, wenn die Untersu-chungen zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. zum Zeit-punkt der Verwendung, unternommen werden. Das Rechtauf Wissen bzw. Nichtwissen könnte in diesen Fällen ab-gestuft in Anspruch genommen werden, indem die Elternes beispielsweise auf die erhobenen Befunde bis zu einembestimmten Zeitraum oder auf bestimmte Diagnoseberei-che beschränken.

2.2.1.3 Prinzip der FreiwilligkeitDie Durchführung eines Gentests stellt einen Eingriff indie Integrität der getesteten Person dar. Diesem Eingriff

muss eine nach umfassender Aufklärung erfolgte persön-liche Zustimmung vorausgehen. Er ist in der Regel nurdurch diese gerechtfertigt. Ausnahmen von diesem Prin-zip darf es nur in engen gesetzlichen Grenzen geben undwenn dadurch die Würde der Testperson nicht verletztwird. Die Inanspruchnahme von Gentests darf insbeson-dere weder durch direkten noch durch indirekten Zwangherbeigeführt werden.

Das wichtigste Instrument, um die Freiwilligkeit der Inan-spruchnahme von Gentests nach Möglichkeit zu garantie-ren, ist das medizinethische Prinzip des informed consent.An diesen sind im Zusammenhang genetischer Diagnostikbesondere ethische Anforderungen zu stellen.

Ein instruktives Beispiel für ethische Richtlinien zur Ge-währleistung des informed consent im Zusammenhanggenetischer Diagnostik findet sich in einem Dokumentder Weltgesundheitsorganisation (WHO):

„Vorgeschlagene ethische Leitlinien in Bezug aufSelbstbestimmung sowie Einwilligung und Aufklärung(‚Informed Consent‘)

A. Auf die klinische Praxis anwendbar:

Gentests sollten in der klinischen Praxis freiwillig imRahmen eines umfassenden genetischen Beratungs-angebots mit einem validen Prozess der Einwilli-gung und Erläuterung in Bezug auf folgende Punkteerfolgen:

– Ziel des Tests,

– Wahrscheinlichkeit einer zutreffenden Prognose,

– Auswirkungen der Testergebnisse auf den Einzel-nen und die Angehörigen,

– Optionen und Alternativen für die getestete Per-son,

– potenzielle Vorteile und Risiken des Tests (auchsozialer und psychischer Art),

– soziale Risiken der Diskriminierung durch Versi-cherer und Arbeitgeber (auch wenn diese mögli-cherweise gesetzwidrig ist) und

– keine Gefährdung der Versorgung der Einzelnenund ihrer Angehörigen unabhängig von ihrer Ent-scheidung.

B. Auf die Forschung und die Qualitätskontrolleanwendbar:

Zu einem validen Prozess des ‚Informed Consent‘gehört die Erläuterung folgender Punkte:

Versuchscharakter und Zielsetzung der Studie,

– Grund für die Aufforderung des Betreffenden zurTeilnahme und Hinweis auf die Freiwilligkeit,

– Verfahren,

– Unannehmlichkeiten und (eventuelle) Risiken desTests für den Einzelnen wie für die Angehörigen,

630 Simon 2001, S. 115.631 Schäfer 1998, S. 211.

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– Unsicherheit der Testergebnisse im Hinblick aufihren Vorhersagewert und eine zutreffende geneti-sche Beratung,

– mögliche Vorteile für andere Menschen und für dieWissenschaft,

– Vertraulichkeit der Unterlagen über die Identitätdes Versuchsteilnehmers,

– Kontaktperson für Fragen zu der Studie oder beieiner studienbedingten Schädigung,

– Recht des einzelnen Teilnehmers, jederzeit aus derStudie auszuscheiden,

– Recht des einzelnen Teilnehmers und seiner An-gehörigen auf eine uneingeschränkte Gesundheits-versorgung auch nach seinem Ausscheiden.“632

Im Hinblick auf eine Reihe von Anwendungsbereichengenetischer Diagnostik reicht das Prinzip der Einwilligungnach Aufklärung (informed consent) als Steuerungsele-ment zur Gewährleistung der Freiwilligkeit der Inan-spruchnahme genetischer Diagnostik unter Umständen je-doch nicht aus. Wo in der Gesellschaft tatsächlicheMacht-Ungleichgewichte die Vertragsfreiheit und dieFreiwilligkeit einer Einwilligung faktisch konterkarieren,müssen betroffene Personen vor einer mehr oder wenigerabgenötigten „Selbstaufgabe“ ihres informationellenSchutzes bewahrt werden. Dies gilt besonders für Arbeits-und Versicherungsverhältnisse.633 Hier sind möglicher-weise vorbeugende Maßnahmen erforderlich, die dazu ge-eignet sind, das Entstehen eines indirekten Zwangs zurInanspruchnahme von Gentests möglichst zu verhindern.

Als besonderes Problem muss in diesem Zusammenhangdie Möglichkeit der Erhebung einer DNA-Analyse ohneKenntnis und Einwilligung der bzw. des Betroffenen ge-sehen werden. In einem Fall, den der Verwaltungsge-richtshof (VGH) Baden-Württemberg im Februar 2001veröffentlicht hat, ging es um die außerordentliche Ent-lassung eines Bankangestellten. Der Mann war beim Vor-stand der Bank in Verdacht geraten, der Verfasser einesanonymen Schreibens zu sein, durch den sich die Spitzedes Instituts beleidigt sah. Um diesem Verdacht nachzu-gehen, lud man den Mann zu einer Dienstbesprechung mitBewirtung. Die dabei angefallenen DNA-Reste wurdendann ohne Wissen des Mitarbeiters zur rechtsmedizini-schen Auswertung weitergeleitet. Auf der Grundlage die-ser Daten erhielt der Mann die fristlose Kündigung vomArbeitgeber. Das Verwaltungsgericht Stuttgart sowie derVGH Baden-Württemberg als Beschwerdeinstanz sahendie Anforderungen an eine Verdachtskündigung nicht er-füllt und stuften sie in diesem Fall daher als rechtswidrigein. In seiner Entscheidung vom 28. November 2000 hatder Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg klarge-stellt, dass das Ergebnis einer ohne Kenntnis und Einwil-ligung des Betroffenen erhobenen DNA-Analyse für eine

außerordentliche Verdachtskündigung, die wegen derVerbreitung anonymer Schreiben mit beleidigendem In-halt in einer Dienststelle ausgesprochen werden soll, nichtverwertet werden kann. DNA-Tests ohne Einwilligungdes Betroffenen – so die Richter – seien nur zur Auf-klärung schwerer Straftaten zulässig. Der hier erfolgteheimliche DNA-Test an dem Mitarbeiter stelle dagegeneinen unzulässigen Eingriff in das geschützte Persönlich-keitsrecht dar.634

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länderfordern in einer auf ihrer 62. Konferenz verabschiedetenEntschließung unter anderem

„eine grundlegende Strafnorm im Strafgesetzbuch, umGentests ohne gesetzliche Ermächtigung oder ohnedie grundsätzlich nur für Zwecke der medizinischenBehandlung oder Forschung wirksame Einwilligungder betroffenen Person zu unterbinden.“635

2.2.1.4 Schutz vor Diskriminierung Unter „genetischer Diskriminierung“ ist eine ungerecht-fertigte Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ih-rer genetischen Ausstattung zu verstehen. GenetischeDiskriminierung bezieht sich auf tatsächliche oder ver-mutete genetische Unterschiede von Einzelpersonen undderen Angehörigen, die gesund sind oder nur milde, durchihre genetische Konstitution bedingte Symptome zeigen,so dass ihre Gesundheit und Funktionstüchtigkeit nichteingeschränkt ist.636

Der Ausdruck „genetische Diskriminierung“ fasst eineUngleichbehandlung von Personen bzw. deren Angehöri-gen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen ge-notypischen Eigenschaften zusammen und hebt sich inso-fern von einem Begriff der Diskriminierung ab, der aufphänotypische Unterschiede referiert, die die Leistungs-und Funktionsfähigkeit von Menschen verändern kön-nen.637 Genetische Diskriminierung weist jedoch verschie-dene Gemeinsamkeiten mit Diskriminierung von Men-schen mit Behinderungen auf, insbesondere den Aspekt der„Medizinisierung“ von sozialen Problemen. Im Kontextder Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderungist darunter das Vorurteil zu verstehen, eine Behinderungführe zwangsläufig zu Funktions- und Leistungseinschrän-kungen, die ihre Ursache in körperlichen Eigenschaften derbehinderten Person hätten. Hierin wird dann ein sachlichgerechtfertigter Grund für die Ungleichbehandlung vonMenschen mit Behinderung gesehen. Als Beispiel gilt derAusschluss von Menschen mit Behinderung von öffentli-chen Plätzen, Gebäuden, Verkehrs- oder Kommunikati-onsmitteln oder der Ausschluss vom Wohnen in normalen

632 World Health Organization (WHO) 1997 (Übersetzung).633 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.

634 Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württembergvom 20. Februar 2001.

635 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001.636 Boyle 1995. Unterschieden werden kann zwischen direkter und in-

direkter Diskriminierung (vgl. dazu Kapitel B2.2.2.5 Gleichberech-tigung und Diskriminierung).

637 Geller et al. 1996.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 135 – Drucksache 14/9020

Wohnquartieren. Die Verweigerung der gleichberechtig-ten Teilhabe an diesen gesellschaftlichen Einrichtungenwurde lange Zeit mit der individuell schicksalhaften Un-fähigkeit, Treppen zu steigen, schwere Türen zu öffnen,Schwarzschrift zu lesen, auditive Kommunikation zu be-treiben oder die Kulturtechniken Rechnen, Schreiben undLesen zu beherrschen, gerechtfertigt. Heute hat sich in-ternational die Einsicht durchgesetzt, dass die Teilhabevon Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichenLeben kein medizinisches, sondern ein soziales Problemist, dem nur mit vielfältigen Strukturmaßnahmen zur In-tegration und mit Antidiskriminierungsgesetzen beizu-kommen ist.638

Welche Formen von Ungleichbehandlung als „ungerecht-fertigt“ gelten müssen, kann dabei nur im Hinblick aufspezifische Anwendungskontexte expliziert werden. Imarbeitsmedizinischen Kontext beispielsweise kann es alsgenetische Diskriminierung bezeichnet werden, wennvon einer bestimmten genetischen Disposition einer Ar-beitnehmerin bzw. eines Arbeitnehmers generell auf ihrebzw. seine Leistungs- und Funktionsfähigkeit geschlos-sen wird.

Eine Diskriminierung und Stigmatisierung kann auftretenbei

– der Generierung von Wissen und Erkenntnissen,

– der Bewertung und Nutzung von Wissen und

– der Verteilung von Leistungen und Zugangsmöglich-keiten.639

Daten, die im Rahmen der prädiktiven genetischen Dia-gnostik erhoben werden, können sowohl die individuelleEbene (Feststellung eines individuellen genetischen Er-krankungsrisikos) als auch die Ebene von Populationen be-treffen (Screening von Risikogruppen bzw. ganzer Popula-tionen). Entsprechend können sowohl einzelne Personenals auch Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer genetischenAusstattung Opfer einer „genetischen Diskriminierung“werden.

Stigmatisierende oder diskriminierende Einstellungen undHandlungen können sich sowohl gegen Personen richten,die an einer Erbkrankheit leiden bzw. für eine solche dis-poniert sind, als auch gegen solche Personen, die ein here-ditäres oder somatisches Erkrankungsrisiko (z. B. fürBrustkrebs) tragen. Genetisch diskriminierend können da-rüber hinaus nicht nur die Dritten zugänglich gemachten In-formationen über genetische Defekte (die zu bestimmtenKrankheiten disponieren) wirken, sondern auch Informa-tionen über Anlageträgerschaften, genetische „Normab-weichungen“ oder genetisch bedingte Empfindlichkeitengegenüber bestimmten Stoffen oder Medikamenten.

Patienten und Patientinnen bzw. Nutzern und Nutzerinnengenanalytischer Untersuchungsmethoden ganz allgemeindroht daher – insbesondere bei einigen wenigen spezifi-

schen Erkrankungen bzw. Testergebnissen – die Gefahreiner „genetischen Diskriminierung“, die z. B. im Aus-schluss der betroffenen Personen von bestimmten berufli-chen Tätigkeiten, Versicherungsleistungen oder in einersozialen Stigmatisierung bestehen kann. VerschiedeneBeispiele einer genetischen Diskriminierung durch Versi-cherungsunternehmen, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeberoder Adoptionsagenturen in den USA und in Großbritan-nien belegen, dass es sich dabei durchaus um reale Ge-fahren handelt.640 Bei einer Umfrage unter Personen miteinem erhöhten Risiko für eine genetisch bedingte Er-krankung konnten in den USA 1996 beispielsweise bei917 Personen, von denen eine Rückantwort einging, über200 Fälle einer genetischen Diskriminierung durch Versi-cherungen, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder an-dere Institutionen identifiziert werden.641

In verschiedenen Staaten, darunter z. B. Österreich und Bel-gien, ist eine genetische Diskriminierung von Menschen ge-setzlich verboten. In den USA ist genetische Diskriminie-rung teilweise vom American Disabilities Act (ADA) miterfasst. Weitere gesetzliche Regelungen zum Verbot einergenetischen Diskriminierung werden derzeit erarbeitet.Darüber hinaus wird ein Verbot genetischer Diskriminie-rung auch in verschiedenen internationalen Dokumentengefordert. Zum Beispiel wird in Artikel 11 des Men-schenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europa-rates die Diskriminierung einer Person wegen ihres gene-tischen Erbes verboten.642

Auch die Allgemeine Erklärung der UNESCO über dasmenschliche Genom und Menschenrechte verbietet in Ar-tikel 7 eine Diskriminierung von Menschen aufgrund ih-rer genetischen Eigenschaften:

Artikel 7

„Niemand darf einer Diskriminierung aufgrund geneti-scher Eigenschaften ausgesetzt werden, die darauf ab-zielt, Menschenrechte, Grundfreiheiten oder Men-schenwürde zu verletzen, oder dies zur Folge hat.“

2.2.1.5 DatenschutzZiel und Zweck des Datenschutzes ist der Schutz vonMenschen vor Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechtesowie ihrer Grundrechte, indem eine unzulässige Bear-beitung von Personendaten verhindert oder zumindest be-grenzt wird. Der Ausdruck „Datenschutz“ ist insofern ir-reführend. Datenschutz dient in erster Linie dem Schutzder Persönlichkeit von Menschen, deren Daten bearbeitetwerden, und ist insofern „Persönlichkeits- und Grund-rechtsschutz bei der Bearbeitung von Personendaten.“643

Genetische Daten besitzen eine Reihe von Eigenschaften,die dazu führen, dass ihr Schutz vor missbräuchlicher Ver-wendung besonders schwierig, gleichzeitig aber auch in

638 Degener/Quinn 2000.639 Neuer-Miebach 2001, S. 55.

640 Vgl. dazu die Nachweise bei Wolbring 2001.641 National Human Genome Research Institute 1998.642 Vgl. C2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international).643 Grand/Atia-Off 2001, S. 530.

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besonderer Weise erforderlich ist, um Persönlichkeits-rechtsverletzungen – von der Stigmatisierung bis hin zumAusschluss von Arbeitsverhältnissen oder Versicherungs-möglichkeiten – zu verhindern.644 Zu diesen Eigenschaf-ten gehören u. a. die Folgenden645:

– Genetische Daten sind besonders sensibel, weil ihrInformationsgehalt der Trägerin bzw. dem Träger oftselbst nicht bekannt ist. Die genetische Ausstattungeines Menschen tangiert seine Persönlichkeit undIdentität, die durch das Grundrecht auf informatio-nelle Selbstbestimmung geschützt werden. Dazugehört, selbst zu entscheiden, was, wem, zu welchemZweck und unter welchen Umständen offenbart wer-den soll. Die Entscheidung, genetische Daten zu of-fenbaren, bedeutet oft, selbst nicht zu wissen, was of-fenbar wird.

– Genetische Daten sind leicht zu gewinnen. Ein abso-luter Schutz genetischer Daten vor dem unberechtig-ten Zugriff durch Dritte ist aus prinzipiellen Gründennicht möglich, da mit genanalytischen Methodentheoretisch genetische Daten einer Person erhobenwerden können, ohne dass diese davon weiß. Da dasErbgut eines Menschen in jeder Zelle abgespeichertist, enthält prinzipiell alles biologische Material einesMenschen, von einem beim Frisör liegen gebliebenenHaar bis zum Speichelrest auf einer Briefmarke, die ge-netischen Informationen eines Menschen und könnteprinzipiell auf alle möglichen Eigenschaften hin unter-sucht werden.

– Genetische Daten werden in Zukunft an einer immergrößeren Zahl von Stellen ohnehin anfallen. Geneti-sche Daten werden in Zukunft in immer größeremUmfang bei verschiedenen Stellen und Institutionenvorliegen, gesammelt und gespeichert. Dies ist unteranderem deshalb problematisch, weil vorliegende Da-ten auch für anderweitige Zwecke ausgewertet werdenkönnen. Es besteht also, mit anderen Worten, die Ge-fahr einer Zweitauswertung von genetischen Daten zuZwecken, denen die getestete Person nicht zuge-stimmt hat.646

– Genetische Daten sind darüber hinaus unter Umstän-den auch für Dritte von Interesse. Genetische Informa-tionen sind unter Umständen nicht nur für die Person,von der sie stammen, sondern auch für eine Vielzahlvon anderen Personen und Institutionen (Familienan-gehörige, privatwirtschaftliche Unternehmen, Arbeit-geber, Versicherungen, Strafverfolgungsbehörden,Bundeswehr, wissenschaftliche Einrichtungen u. a.)interessant.

Im deutschen Recht gibt es – mit Ausnahme der DNA-Regelungen in der Strafprozessordnung – keine bereichs-spezifischen Datenschutzregelungen für den Umgang mitpersonenbezogenen genetischen Daten. Bereits die En-quete-Kommission „Chancen und Risken der Gentechno-logie“ hatte dem Deutschen Bundestag 1987 empfohlen„sicherzustellen, dass die datenschutzrechtlichen Rege-lungen den bei der genetischen Beratung und pränatalenDiagnostik erhobenen genetischen Daten einen ausrei-chenden Schutz bieten“647.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Ländenhaben sich in den zurückliegenden Jahren mehrfach zurFrage datenschutzrechtlicher Konsequenzen genetischerUntersuchungen geäußert und erklärt, dass es im Hinblickauf eine Reihe verschiedener Aspekte gesetzgeberischenHandlungsbedarf gebe.648 In einer Stellungnahme einerAd-hoc-Arbeitsgruppe zum Thema Datenschutz der Da-tenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wirddie Notwendigkeit einer eigenständigen datenschutz-rechtlichen Regelung für den Umgang mit genetischenDaten bejaht:

„Nach derzeitiger Erkenntnis ist ein einheitliches ‚Gen-datenschutzgesetz‘ möglich und sinnvoll, weil für alleBereiche des Umgangs mit genetischen Daten eineausreichende Anzahl gemeinsamer, den verfassungs-rechtlichen Erfordernissen entsprechender Grundsätzeund Regelungen formuliert werden kann und sollte,die – ähnlich wie im Bundesdatenschutzgesetz – durchnur wenige Sondervorschriften für Einzelbereiche er-gänzt werden. Ein solches Gesetz ist auch einer stan-desrechtlichen Regelung über die Satzungsgewalt derÄrztekammern vorzuziehen. Gerade vor dem Hinter-grund sich im Ausland abzeichnender Entwicklungeneiner Kommerzialisierung von Gendaten (...) er-scheint ein solches formelles ‚Gendatenschutzgesetz‘geboten. Es ist insbesondere dort von Vorteil, wo dieeinzelnen Anwendungsbereiche sich überschneidenoder ineinander übergehen und so Unsicherheitenüber die anwendbaren Normen vermieden werdenkönnen. Ein eigenständiges Gesetz würde auch derÜbersichtlichkeit dienen und den Stellenwert desGrundrechts auf informationelle Selbstbestimmungbesser verdeutlichen können als ein ‚Artikelgesetz‘.Ein solches ‚Gendatenschutzgesetz‘ könnte allerdingsauch Teil eines umfassenderen ‚Gendiagnostikgeset-zes‘ sein.“649

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länderhaben auf ihrer 62. Konferenz im Oktober 2001 im Hin-blick auf eine gesetzliche Regelung umfangreiche „Vor-schläge zur Sicherung der Selbstbestimmung bei geneti-

644 Rodotà 2000.645 Vgl. zum Folgenden auch Bayertz et al. 2001, S. 300f.646 Dass diese Gefahr durchaus real ist, zeigt das Beispiel einer Firma in

den USA, die solche erneuten Auswertungen gespeicherter Gense-quenzen Privatpersonen sogar direkt anbietet, damit diese sich überin ihrem persönlichen Erbgut neuentdeckte Gene und mögliche Gen-defekte informieren lassen können (vgl. dazu Bayertz et al. 2001,S. 301).

647 Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987, S. 153.

648 Vgl. beispielsweise Entschließung über Genomanalyse und infor-mationelle Selbstbestimmung 1989; Gentechnologie und Daten-schutz 1997; Datenschutzrechtliche Konsequenzen aus der Ent-schlüsselung des menschlichen Genoms 2000.

649 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 137 – Drucksache 14/9020

schen Untersuchungen“ vorgelegt, die insbesondere Re-gelungen zur Zulässigkeit genetischer Untersuchungenbeim Menschen, zum Umgang mit Proben und zur Erhe-bung, Verarbeitung und Nutzung genetischer Daten zumGegenstand haben.650

Von Seiten der Datenschutzbeauftragten werden insbe-sondere Verbesserungen gegenüber den bislang bestehen-den Kontrollmöglichkeiten gefordert. Zwar mangele esnicht an Kontrollinstanzen; diese müssten jedoch von denrelevanten Gendaten-Verarbeitungen durch die unterschied-lichen Einrichtungen Kenntnis erlangen, den notwendigengentechnischen Sachverstand mobilisieren, klare rechtlicheMaßstäbe für die Kontrolle und Beratung erhalten undauch personell in der Lage sein, die Umsetzung der Vor-schriften vor Ort zu prüfen und durchzusetzen. Es sei da-her beispielweise zu überlegen, ob Forschungsanträge, diean Ethik-Kommissionen gerichtet werden, parallel auchden unabhängigen datenschutzrechtlichen Kontrollinstan-zen vorgelegt werden, wie dies von Ethik-Kommissionenteilweise bereits heute verlangt werde. Gegenwärtig isteine Beteiligung der Datenschutz-Kontrollinstanzen fürForschungsprojekte, die auf Einwilligungen basieren,durch die Datenschutzgesetze nicht vorgesehen. Auchseien die datenschutzrechtlichen Kontrollmöglichkeitenhinsichtlich des Umgangs mit den biologischen Informati-onsträgern (Blutproben, Haarwurzeln, aber auch isolierteDNA) nicht geklärt. Schließlich sollten die Datenschutz-Kontrollinstanzen nach Auffassung der Datenschutzbe-auftragten bei der Zulassung bzw. Genehmigung von Gen-labors für Analysen an menschlichem Erbmaterial beteiligtwerden, um die notwendigen technischen und organisa-torischen Maßnahmen der Datensicherheit zu gewähr-leisten.651

Zu den zentralen Schutzvorrichtungen des Datenschutzesgehört das Recht des bzw. der Einzelnen auf informatio-nelle Selbstbestimmung. Dieses Recht gewährleistet dieBefugnis des Einzelnen – mit Ausnahme wohldefinierterTeilbereiche –, über die Preisgabe und Verwendung seinerpersönlichen Daten selbst zu bestimmen.652 Das grundle-gende Prinzip einer rechtlichen Regelung muss daher lau-ten, dass kein Dritter bzw. keine Dritte Zugriff auf identi-fizierende DNA-Proben oder genetische Informationeneines Menschen haben darf, solange die oder der Betrof-fene die Gewinnung der Probe zum Zwecke der geneti-schen Analyse und die Analyse selbst nicht ausdrücklich(schriftlich) autorisiert hat und nicht sichergestellt ist, dasssie bzw. er Zugang und Kontrolle über die Nutzung und dieWeitergabe dieser Information besitzt. Dies schließt ein,dass genetische Daten nicht ohne die spezifische freie undselbstbestimmte Entscheidung der Betroffenen zu kom-merziellen Zwecken verwendet werden dürfen. Die Frage,wie diesem Grundsatz gesellschaftliche Realität verschafftwerden kann, muss im Hinblick auf konkrete, bereichs-spezifische Regelungen diskutiert werden.

2.2.2 Spezifische Anwendungsfelder und Problembereiche

2.2.2.1 Genetische Diagnostik und Arbeitsmedizin

2.2.2.1.1 Arbeitsmedizinische UntersuchungenArbeitsmedizinische Untersuchungen bei Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern werden (in- und außerhalb derArbeitsschutzgesetzgebung) aus unterschiedlichen Anläs-sen durchgeführt (Einstellungs- und Eignungsuntersu-chungen, spezielle und allgemeine arbeitsmedizinischeUntersuchungen, Drogen-Screening, Begutachtung u. a.).Grundsätzlich sind dabei arbeitsmedizinische Untersu-chungen nach dem Arbeitsschutzgesetz, die dazu dienen,im Zusammenhang mit bestimmten Belastungen und Ge-fährdungen im Betrieb bzw. am Arbeitsplatz eine arbeits-bedingte Erkrankung bei Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeit-nehmern frühzeitig erkennen und damit spezifischeSchutzmaßnahmen ergreifen zu können, von anderen Ar-beitnehmerinnen- bzw. Arbeitnehmeruntersuchungen wiebeispielsweise Einstellungsuntersuchungen zu unterschei-den, die in der Regel keine präventiven Ziele verfolgen.Hinzu kommen Untersuchungen, die dem Nachweis amArbeitsplatz erworbener Schädigungen dienen.

2.2.2.1.2 Einsatz genetischer Untersuchungenin der Arbeitsmedizin

DNA-analytische Verfahren werden – soweit bekannt – inder Arbeitsmedizin in Deutschland gegenwärtig nicht ein-gesetzt. Es gibt derzeit so gut wie keine Hinweise darauf,dass die Vorlage bzw. die Durchführung eines Gentestsvon Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgebern zur Vorbedin-gung für die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnissesgemacht oder während der Dauer eines Beschäftigungs-verhältnisses verlangt würden.653 Ebenso wenig gibt esHinweise darauf, dass Arbeitsuchende versuchen könn-ten, sich durch Vorlage eines Gentests beim prospektivenArbeitgeber bezüglich der Vergabe eines Arbeitsplatzeseinen Vorteil zu verschaffen. Auch im Zusammenhang mitBegutachtungsverfahren finden gendiagnostische Verfah-ren bislang – soweit bekannt – keine Anwendung.

Dieser Befund deckt sich mit internationalen Erfahrun-gen. So stellt beispielsweise auch die britische HumanGenetics Advisory Commission (HGAC) in ihrem Be-richt „The Implications of Genetic Testing for Employ-ment“ fest, es gebe in der Praxis bislang keine Anhalts-punkte dafür, dass Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgeber dieErgebnisse von Gentests von Arbeitnehmerinnen bzw. Ar-beitnehmern nutzen. Die einzige Ausnahme stelle das bri-tische Verteidigungsministerium dar. Dieses macht eineAufnahme in den Dienst der Luftwaffe von negativen Testergebnissen u. a. im Hinblick auf das Vorliegen von Sichelzellenanämie abhängig.654 Aus den USA gibt es

650 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001b.651 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.652 Grand/Atia-Off 2001, 532f.

653 Eine Ausnahme stellt ein Fall dar, in dem ein junger Polizist in Bay-ern nicht in den Polizeidienst übernommen worden sein soll, weil ernicht bereit war, sich auf die Mutation im Gen für die Huntington-Krankheit untersuchen zu lassen (Engel 2001, S. 293).

654 Human Genetics Advisory Commission 1999.

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demgegenüber mehrere Berichte über eine genetischeDiskriminierung am Arbeitsplatz. Beispielsweise konntenbei einer Befragung von in der genetischen Diagnostiktätigen Beraterinnen und Beratern 550 Personen identifi-ziert werden, denen aufgrund ihrer genetischen Disposi-tion für eine Erkrankung ein Versicherungsvertrag bzw.ein Arbeitsvertrag verweigert worden war.655 Nach bun-desrechtlichen Voraussetzungen ist die Verwendung vonGentests im Arbeitsbereich in den USA grundsätzlichzulässig.

Nach Aussage von Expertinnen und Experten sind derzeitkeine genetischen Untersuchungsverfahren bekannt, diefür prädiktive Zwecke eingesetzt werden könnten.656 Ob eseinen Gentest gibt, der sinnvoll eingesetzt werden kann,um Dritte vor einem erheblichen Schaden zu bewahren, istzumindest fraglich. Die wesentliche Ursache dafür, dassGentests in der Arbeitsmedizin gegenwärtig nicht zumEinsatz kommen, besteht darin, dass molekulargenetischeoder zytogenetische Untersuchungen gegenwärtig gegen-über anderen Untersuchungsmethoden in der Arbeitsmedi-zin keine Vorteile bieten. Arbeitsmedizinisch relevantwären vor allem Tests, die eine Disposition für solche Er-krankungen diagnostizieren können, die multifaktoriellbedingt sind, d. h. von mehreren Genen und zusätzlich vonverschiedenen Umweltfaktoren verursacht werden. Fürderen Abklärung stehen valide und praktikable Tests, diesich für eine routinemäßige Untersuchung eignen, bislangjedoch nicht zur Verfügung.657 Es bedarf offenbar nochgroßer Fortschritte hinsichtlich des Verständnisses weitverbreiteter Erkrankungen und der genetischen Testver-fahren selbst, bevor der Einsatz DNA-analytischer Unter-suchungen in der Arbeitsmedizin zu einem größeren prak-tischen Problem werden könnte.

Anders als Diagnosen auf DNA-Ebene zählen eine Reihevon Untersuchungsmethoden auf der Genprodukt- undder Chromosomenebene heute bereits zum arbeitsmedizi-nischen Standard. Mehrheitlich dienen solche Untersu-chungen bzw. entsprechende Forschungsprojekte demNachweis von erworbenen Chromosomenveränderungenbzw. Genmutationen. Solche Expositionsanalysen kön-nen beispielsweise als arbeitsplatzbegleitende Untersu-chungen (Bioeffektmonitoring) sowie als nachträglicheAnalyse zur kausalen Aufklärung von Krankheiten (Ex-post-Analysen) eingesetzt werden.

Arbeitsmedizinische Untersuchungen und Screening-Tests haben in den zurückliegenden Jahren zwar in erheb-lichem Umfang zugenommen. Grundsätzlich stehen derArbeitsmedizin genetische Untersuchungen auf allen vierUntersuchungsebenen (Phänotyp-Analysen, proteinche-mische Analysen, zytogenetische Analysen und DNA-Analysen) sowie die jeweils entwickelten Analysemetho-den zur Diagnostik anlagebedingter wie auch später imLeben auftretender, d. h. erworbener genetischer Verände-rungen zur Verfügung. Bisher werden genetisch bedingte,

individuelle Risiken und Empfindlichkeiten weit über-wiegend jedoch durch klinische Verfahren wie Anamneseund ärztliche Untersuchungen diagnostiziert. Bei 80 % bis90 % aller gegenwärtig durchgeführten arbeitsmedizini-schen Untersuchungen handelt es sich um Phänotyp-Ana-lysen. Insgesamt ist die Frage, in welchem Umfang dieunterschiedlichen Untersuchungsmethoden in der Ar-beitsmedizin jeweils zum Einsatz kommen, gegenwärtigjedoch schwer zu beantworten, da entsprechende Zahlenfehlen. Dies gilt insbesondere für arbeitsmedizinischeEinstellungsuntersuchungen, die von der Arbeitgeberinbzw. vom Arbeitsgeber vor Abschluss eines Arbeitsver-trages verlangt werden können.

2.2.2.1.3 Rechtliche RegelungenIn Deutschland unterliegt die Anwendung genetischerVerfahren in der Arbeitsmedizin – mit wenigen Ausnah-men – keiner gesetzlichen Regelung.658 Für arbeitsmedi-zinische Untersuchungen allgemein gelten verschiedeneRechtsnormen in Abhängigkeit von Zeitpunkt, Anlass undZweck der Untersuchung. Insbesondere bestehen derzeitkeine gesetzlichen Grundlagen für die Anwendung gene-tischer Tests in Pflichtuntersuchungen im Rahmen ar-beitsmedizinischer Vorsorge.659

Im Ausland wird die Problematik des Einsatzes genana-lytischer Untersuchungsmethoden in der Arbeitsmedi-zin unterschiedlich beurteilt. Spezifische Regelungenexistieren bislang nur in einigen wenigen Staaten. InÖsterreich beispielsweise ist es Arbeitgeberinnen bzw.Arbeitgebern nach § 67 des Gentechnik-Gesetzes gene-rell verboten, Ergebnisse von Gentests von ihren Ar-beitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern oder Arbeits-suchenden zu erheben, zu verlangen, anzunehmen odersonst zu verwerten. In der Schweiz befindet sich einGendiagnostik-Gesetz in Vorbereitung, das auch denEinsatz genanalytischer Untersuchungen in der Arbeits-medizin erfasst. In den Niederlanden wird der Einsatzvon Gentests durch das „Gesetz über Gesundheitsprü-fungen“ (Wet op de medische keuningen) geregelt, dassich auf medizinische Informationen generell beziehtund genetische Informationen als speziellen Unterfallmedizinischer Informationen betrachtet. Das 1997 ver-abschiedete Gesetz schränkt medizinische Untersu-chungen im Zusammenhang von Einstellungen generellauf Situationen ein, in denen „die Erfüllung der Auf-gabe, auf die sich das Arbeitsverhältnis oder die Ein-stellung im öffentlichen Dienst bezieht, besondere An-forderungen in Bezug auf die gesundheitliche Eignunggestellt werden müssen.“

„Medizinische Eignung für die Aufgabe“ im Sinne diesesGesetzes bezieht sich auf den Schutz der Gesundheit undder Sicherheit der bzw. des zu Untersuchenden und vonDritten bei der Ausführung der betreffenden Arbeit.

655 National Human Genome Research Institute 1998.656 Bayertz et al. 1999, S. 180ff.657 Hennen et al. 2001, S. 103.

658 Die Ausnahmen beziehen sich auf die von den Berufsgenossen-schaften vorgeschriebenen speziellen Vorsorgeuntersuchungen unddas Biomonitoring im Rahmen der Gefahrstoffverordnung.

659 Kohte 2000.

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Grundsätzlich ausgeschlossen sind laut Artikel 3 des Ge-setzes Untersuchungen

– bei denen das Interesse des Auftraggebers die damitverbundenen Risiken für den zu Untersuchenden nichtübersteigt. Hierzu gehören Untersuchungen, die ge-zielt auf die Erlangung von Kenntnissen über dieMöglichkeit einer schweren Erkrankung gerichtetsind, für die keine Heilungsmöglichkeit vorhanden istoder deren Entwicklung nicht durch medizinischesEingreifen verhindert oder aufgehalten werden kannoder von Kenntnissen über eine bestehende, nicht be-handelbare schwere Erkrankung, die voraussichtlicherst nach längerer Zeit manifest werden wird;

– die aus anderen Gründen eine unverhältnismäßigschwere Belastung für den zu Untersuchenden mitsich bringen.

Auf europäischer Ebene haben die beigetretenen Mit-gliedstaaten im „Übereinkommen zum Schutz der Men-schenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf dieAnwendung von Biologie und Medizin“ vom 4. April1997 die Zulassung von prädiktiven genetischen Testsvon Krankheiten an das Vorliegen von Gesundheits-zwecken und an genetische Beratung geknüpft.660

2.2.2.1.4 UntersuchungszweckeDer Nutzen genetischer Befunde in der Arbeitsmedizin istambivalent. Einerseits verbindet sich mit dem Einsatz ge-netischer Untersuchungsverfahren an Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern die Hoffnung auf eine Verbesserungder Prävention und der arbeitsmedizinischen Versorgung.Andererseits wird jedoch befürchtet, dass diese Verfahrenzum Zweck der Auslese von Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern missbraucht werden und zu einer Aushöh-lung des Gesundheitsschutzes für Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer führen könnten.

Wie auch bei anderen Untersuchungen in der Arbeitsmedi-zin ist es im Hinblick auf die Beurteilung von genetischenUntersuchungsverfahren erforderlich, danach zu fragen,wer die Untersuchungen veranlasst, zu welchen Zweckensie durchgeführt werden und welche weiteren Verwen-dungsmöglichkeiten der Testergebnisse damit möglicher-weise verbunden sind. Darüber hinaus sind allerdings auchdie möglichen spezifischen weiteren Folgen und Risikender Anwendung genanalytischer Verfahren zu bedenken.

Untersuchungen von einzelnen Genen mit dem Ziel derErkennung von einzelnen vererbten Merkmalen könntenim Rahmen arbeitsmedizinischer Untersuchungen ausmehreren Gründen von (erheblichem) Interesse sein. Test-ergebnisse könnten unter Umständen beispielsweise In-formationen offenbaren über

– ein genetisches Merkmal oder eine Prädisposition ei-nes Individuums, die zu einer erhöhten Rate krank-heitsbedingter Fehlzeiten führen könnte,

– ein genetisches Merkmal, das bei der Arbeitnehmerinbzw. dem Arbeitnehmer Fehlleistungen am Arbeits-platz zur Folge haben könnte und dadurch diese bzw.diesen selbst oder Dritte einem Risiko am Arbeitsplatzaussetzen könnte, oder

– eine erhöhte Anfälligkeit eines Individuums gegen-über toxischen oder anderweitig gesundheitsgefähr-denden Arbeitsstoffen oder anderen arbeitsplatzspezi-fischen Umständen.

Molekulargenetische Untersuchungen ebenso wie andereUntersuchungsmethoden in der Arbeitsmedizin könnendabei grundsätzlich auf Veranlassung bzw. zum Schutzund im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern, auf Veranlassung von Arbeitgeberinnen bzw. Ar-beitgebern bzw. im betrieblichen Interesse sowie zumSchutz dritter Personen eingesetzt werden.

2.2.2.1.4.1 Molekulargenetische Unter-suchungen auf Veranlassung von Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern

Genetische Tests können unter Umständen einer Arbeit-nehmerin oder einem Arbeitnehmer darüber Aufschlussgeben, ob bzw. welche Schutzmaßnahmen bezüglich ei-nes bestimmten Arbeitsplatzes ergriffen werden müssenoder ob ein bestimmter Arbeitsplatz für sie oder ihn imEinzelfall möglicherweise nicht geeignet ist. Die frühzei-tige Bestimmung eines individuellen Risikos würde dieMöglichkeit eröffnen, eine Bewerberin bzw. einen Be-werber um einen Arbeitsplatz oder eine Arbeitnehmerinbzw. einen Arbeitnehmer präventiv vor einer Expositiongegenüber gefährlichen Arbeitsstoffen, für die sie bzw. erbesonders empfindlich ist, zu bewahren bzw. rechtzeitigentsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Entspre-chende Gentests eröffneten z. B. die Möglichkeit einer ge-netischen Vorabklärung bestehender Neigungen zu Aller-gien (Maurerekzem, Bäckerasthma). Bekannt ist auch,dass Personen mit alpha-1-Antitrypsin-Mangel, wenn sieschadstoffbelasteter Luft ausgesetzt sind, oft frühzeitigein Lungenemphysem entwickeln. Die Kenntnis desAcetyliererstatus einer Arbeitsplatzbewerberin bzw. einesArbeitsplatzbewerbers oder einer Arbeitnehmerin bzw.eines Arbeitnehmers könnte helfen, viele Fälle von Harn-blasenkrebs zu verhindern.

Grundsätzlich könnten mit Hilfe molekulargenetischerUntersuchungsmethoden auch im Zusammenhang mit derAusübung einer Tätigkeit erworbene Schädigungen fest-gestellt werden. Die Arbeitsmedizin könnte auf dieseWeise beispielsweise mehr als bisher zur Kompensationeingetretener Schäden im Rahmen von Entschädigungs-regelungen beitragen, da sich neue Möglichkeiten für dieretrospektive Expositionsbeurteilung ergeben.

Eine verbesserte Feststellung interindividueller geneti-scher Differenzen hinsichtlich der Suszeptibilität für be-stimmte Substanzen und eine erhöhte Validität der indivi-duellen Risikoabschätzung könnte darüber hinaus auch zupräventiven Zwecken genutzt werden. So ließen sich unterUmständen beispielsweise neue Arbeitsstoffe rechtzeitig660 Vgl. C2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international).

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als für bestimmte Personengruppen gesundheitsgefährlicherkennen und gegebenenfalls eliminieren oder neutralisie-ren. Möglicherweise könnten durch ein verbessertes Ver-ständnis der pathogenen Mechanismen auch bislang unbe-kannte Arbeitsplatzrisiken erkennbar werden.661

2.2.2.1.4.2 Molekulargenetische Unter-suchungen auf Veranlassung vonArbeitgeberinnen und Arbeitgebern

Zu den wichtigsten von der Arbeitgeberin bzw. vom Ar-beitgeber veranlassten Untersuchungen gehören die Ein-stellungsuntersuchungen. Hier besteht ein klares Span-nungsverhältnis, weil die hier erzeugten Daten nichtvorrangig der Verbesserung des Arbeitsplatzes, sondern derPersonalauswahl dienen.662 Insgesamt können prognos-tische Tests aus Sicht von Arbeitgeberinnen und Arbeitge-bern betrieblichen Interessen dienen, indem beispielsweiseArbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei Einstellungs- und/oder Vorsorgeuntersuchungen Arbeitnehmerinnen bzw. Ar-beitnehmer mit genetisch bedingten Empfindlichkeiten ge-genüber bestimmten Gefahrenstoffen zu identifizieren oderfestzustellen versuchen, ob eine Arbeitnehmerin oder einArbeitnehmer fähig ist, besondere gesundheitsbelastendeAnforderungen des Arbeitsplatzes auszuhalten. PrädiktiveGentests könnten von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebernim Rahmen von Einstellungsuntersuchungen aber auchdazu genutzt werden, Aufschlüsse über die Leistungsfähig-keit einer Arbeitsplatzbewerberin bzw. eines Arbeitsplatz-bewerbers oder ihre bzw. seine Einsetzbarkeit an bestimm-ten, belastenden Arbeitsplätzen zu erhalten oder vorAbschluss eines Arbeitsvertrages festzustellen, ob die Ar-beitsplatzbewerberin bzw. der Arbeitsplatzbewerber einegenetisch bedingte Veranlagung hat, die zu einer erhöhtenRate krankheitsbedingter Fehlzeiten führen könnte, umetwa entstehende Kosten durch Entgeltfortzahlung oder füreine Ersatzkraft bei krankheitsbedingtem Ausfall einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters zu vermeiden.Schließlich liegt es möglicherweise auch im Interesse einerArbeitgeberin bzw. eines Arbeitgebers vor Abschluss einesArbeitsvertrages zu prüfen, ob eine Arbeitsplatzbewerberinbzw. ein Arbeitsplatzbewerber Trägerin bzw. Träger einesgenetischen Merkmals ist, das Fehlleistungen am Arbeits-platz zur Folge haben könnte, die andere Personen (etwaKolleginnen bzw. Kollegen oder Kundinnen bzw. Kunden)in Gefahr bringen könnte.

Insgesamt ist jedoch zu beachten, dass der Einsatz gene-tischer Tests nicht zu einem genetischen Determinismusin der Arbeitsmedizin führen darf, aus dem folgt, dass vongenetischen Informationen über einen Menschen aufseine Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Ge-fährdung für andere Menschen geschlossen werden wird,denn der ganze Mensch ist mehr als seine Gene. Hier lassen sich wieder Vergleiche zur Medizinisierung vonBehinderung ziehen. Informationen über vorhandene Be-hinderungen dürfen allein nicht zu medizinischen Rück-

schlüssen über die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnenoder Arbeitnehmern verwendet werden. Der Arbeitneh-mer oder die Arbeitnehmerin mit einer Behinderung müs-sen individuell und konkret bewertet werden. Das giltselbst für sog. gefährliche Behinderungen und Krankhei-ten, wie etwa Epilepsie.

Das US-amerikanische Antidiskriminierungsrecht ist hierwiederum wegweisend:

„Ein Arbeitgeber kann verlangen, dass eine Personkeine unmittelbare Gefährdung ihrer eigenen Gesund-heit und Sicherheit oder der anderer Personen am Ar-beitsplatz darstellt. Allerdings muss der Arbeitgebernach dem ADA (American Disabilities Act) sehr spe-zifische und strenge Anforderungen erfüllen, um dasVorliegen einer unmittelbaren Gefährdung feststellenzu können. Der Begriff der „unmittelbaren Gefähr-dung“ bezeichnet ein signifikantes Risiko einer be-trächtlichen Schädigung der Gesundheit oder Sicher-heit des Einzelnen oder anderer Personen, das sichnicht durch eine vertretbare Anpassungsmaßnahmebeseitigen oder mindern lässt. (...) Die bloße Mög-lichkeit künftiger Invalidität kann nicht die Entschei-dung begründen, der Einzelne stelle eine Gefährdungdar. (...) Einem Arbeitgeber ist es nicht erlaubt, einemBehinderten allein wegen eines leicht erhöhten Risi-kos oder eines rein spekulativen oder sehr unwahr-scheinlichen Risikos einen Arbeitsplatz zu verwei-gern. (...) [Z]eigt eine medizinische Untersuchung,dass eine Person an Epilepsie leidet, jedoch anfallsfreiist oder einen bevorstehenden Anfall rechtzeitig spürt,so wäre es rechtswidrig, dieser Person aus der Be-fürchtung oder Spekulation heraus, sie könne für sichselbst oder andere ein Risiko bedeuten, einen Arbeits-platz an einer Maschine zu verweigern.“663

2.2.2.1.4.3 Molekulargenetische Unter-suchungen zum Schutz Dritter

Diskutiert wird auch der Einsatz molekulargenetischerUntersuchungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mern zum Schutz Dritter. Dieser Ansatz geht davon aus,dass es mit Hilfe eines prädiktiven Gentests möglichwäre, bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmerden Ausbruch einer Erkrankung vorherzusagen, die eineplötzlich auftretende Fehlleistung zur Folge haben könnteund von der insofern eine erhebliche Gefährdung dritterPersonen ausginge. Als Beispiele werden genannt Perso-nen mit Anfallsleiden aus neurologischer oder kreislauf-bedingter Ursache, die von der Beschäftigung in sicher-heitsrelevanten Bereichen ferngehalten werden sollen(z. B. Flugzeugpiloten). Gentests sind aus technischenGründen gegenwärtig und auf absehbare Zeit jedoch nichtin der Lage, Erkrankungen, die eine plötzlich auftretendeFehlleistung zur Folge haben könnten und von denen in-sofern eine erhebliche Gefahr für Dritte ausgehen könnte,mit hinreichender Sicherheit bezüglich des Auftrittszeit-raums und des Schweregrades vorherzusagen.

661 Bayertz et al. 1999, S. 200.662 Kohte 2000. 663 Golden et al. 1993 (Übersetzung).

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2.2.2.1.5 EntwicklungsperspektivenDa nach gängiger arbeitsmedizinischer Auffassung beiden ärztlichen Untersuchungen im Rahmen des Untersu-chungsauftrags prinzipiell alle Diagnoseverfahren zur An-wendung kommen sollen und da es bislang keine Rege-lungen hinsichtlich gentechnischer Verfahren gibt, mussgrundsätzlich davon ausgegangen werden, dass künftigalle auf den Markt kommenden Labortests, mithin auchDNA-Tests, bei Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-untersuchungen eingesetzt werden können. Dabei istgrundsätzlich auch zu bedenken, dass im Zusammenhangpharmakogenetischer Forschungen beobachtete Effektehäufig auch am Arbeitsplatz relevant sein können. Umfangund Art der künftigen praktischen Anwendung von Gen-tests in der Arbeitsmedizin hängen wesentlich vom Fort-gang der einschlägigen wissenschaftlichen Forschungund technischen Entwicklung ab. In welchen Zeiträumenpraxisreife Test zur validen Vorhersage individuellerKrankheitsrisiken und Suszeptibilitäten (Anfälligkeiten)zur Verfügung stehen werden, ist gegenwärtig nur schwerabschätzbar. Neben der immer besseren Kenntnis des hu-manen Genoms spielen für die Entwicklung neuer Anwen-dungsoptionen vor allem auch neue Testtechnologien(DNA-Chiptechnologie, Sequenzierautomaten) eine wich-tige Rolle.664 Grundsätzlich muss damit gerechnet wer-den, dass die bereits heute weit auseinander klaffendeSchere zwischen Diagnosemöglichkeiten einerseits undArbeitsschutzmöglichkeiten andererseits künftig durchdie Möglichkeit des Einsatzes gendiagnostischer Verfah-ren voraussichtlich noch weiter auseinander gehen wird.

2.2.2.1.6 Grundlegende Schutzziele

2.2.2.1.6.1 Prinzip der FreiwilligkeitIm Hinblick auf den Einsatz genanalytischer Untersu-chungsmethoden in der Arbeitsmedizin könnte eine Ge-fahr für das Prinzip der Freiwilligkeit vor allem darin lie-gen, dass Arbeitssuchende versuchen könnten, sich durchVorlage eines Gentests bei der prospektiven Arbeitgebe-rin bzw. beim prospektiven Arbeitgeber bezüglich derVergabe eines Arbeitsplatzes Vorteile gegenüber Mitbe-werberinnen bzw. Mitbewerbern zu verschaffen. DerGrundsatz der Einwilligung nach Aufklärung (informedconsent) reicht für diesen Fall als Steuerungselementnicht aus.

2.2.2.1.6.2 Objektiver Arbeitsschutz versusArbeitnehmerauslese

Der Nachweis von genetisch bedingten Empfindlichkei-ten gegenüber Gefahrstoffen am Arbeitsplatz bzw. von imZusammenhang der Ausübung einer Tätigkeit erworbenerSchädigungen kann für Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeit-nehmer hinsichtlich der Wahl eines Arbeitsplatzes, des(individuellen) Gesundheitsschutzes oder der Sicherungvon Entschädigungsansprüchen einerseits ein wichtigesund wirksames Instrument des Gesundheitsschutzes sein.

Diesem möglichen Nutzen steht andererseits jedoch dieGefahr einer Aushöhlung des objektiven Arbeitsschutzesgegenüber. Molekulargenetische Untersuchungsmetho-den könnten von Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgebern bei-spielsweise dazu genutzt werden, statt Gesundheitsge-fährdungen am Arbeitsplatz zu reduzieren, besondersgefährdete Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer nichteinzustellen bzw. aus bereits bestehenden Beschäfti-gungsverhältnissen zu entlassen oder Arbeitsplatzbewer-berinnen bzw. -bewerber generell im Hinblick auf derengenetische Konstitution auszuwählen, was praktisch ei-nen Ausschluss von Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitneh-mern von Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund ihrergenetischen Konstitution bedeuten kann. Es muss daherdurch spezifische Regelungen sichergestellt werden, dassdie primäre Funktion der Arbeitsmedizin, die Verbesse-rung des objektiven Arbeitsschutzes, nicht gegenüber dendurch die Anwendung genanalytischer Untersuchungs-methoden eröffneten Möglichkeiten eines subjektiven Ar-beitsschutzes in den Hintergrund tritt. Präventive Maß-nahmen in objektiv-technischer Hinsicht müssen Vorrangvor individuellen Maßnahmen haben. Sonst wäre diewahrscheinliche Folge, dass zwischen den Arbeitnehme-rinnen bzw. Arbeitnehmern eine verstärkte Auslese statt-findet, ohne dass die betreffenden Gesundheitsschädigun-gen behoben werden müssten.665

Gleichzeitig ist damit die Gefahr verbunden, dass zuge-lassene Grenzwerte für gefährliche Arbeitsstoffe und ge-sundheitsschädliche Arbeitsbedingungen gelockert wer-den. Die Risiken könnten zunehmend auf die individuelleArbeitnehmerin bzw. den individuellen Arbeitnehmer ab-gewälzt werden. Genetische Tests dürfen daher nur dannin der Arbeitsmedizin eingesetzt werden, wenn sicherge-stellt ist, dass wichtige arbeitsschutzrechtliche Prinzipiennicht in Frage gestellt werden. So ist insbesondere daranfestzuhalten, dass derjenige, der durch die Errichtung ei-nes Geschäftsbetriebes eine Gefahr setzt, für die damitverbundenen gesundheitsgefährdenden Risiken einzuste-hen hat. Die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber ist nichtnur aufgrund öffentlich rechtlicher Normen zum Gesund-heitsschutz am Arbeitsplatz verpflichtet. Auch privatrecht-lich schuldet die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber derArbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer individuellenGesundheitsschutz (§ 618 BGB). Diese individuelle Ge-sundheitsschutzpflicht darf nicht durch die Einführunggenetischer Diagnostik in der Arbeitsmedizin aufge-weicht werden. Eine entsprechende Klarstellung in § 618BGB bzw. im Arbeitsschutzgesetz von 1996 böte sich an.

2.2.2.1.6.3 DiskriminierungsschutzEin Arbeitsplatz ist in unserer Gesellschaft für die meistenMenschen von existentieller Bedeutung. Wird einer Per-son wegen ihrer genetischen Veranlagung der Zugang zueiner Erwerbsarbeit versagt, so wird sie gravierend inihren persönlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsmög-lichkeiten eingeschränkt. Die Anwendung molekularge-netischer Untersuchungsmethoden in der Arbeitsmedizin

664 Hennen et al. 2001, S. 105. 665 Hennen et. al. 1996, S.182.

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birgt daher die besondere Gefahr eines Missbrauchs die-ser Verfahren zum Zwecke der Auslese von Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern. Eine negative Prognosekönnte für die potenzielle Arbeitnehmerin und den poten-ziellen Arbeitnehmer das Risiko nach sich ziehen, nichteingestellt zu werden bzw. bei bereits beschäftigten Ar-beitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern das Risiko einerEntlassung.

Im arbeitsmedizinischen Kontext besteht insbesondereauch die Gefahr, dass Menschen von Arbeitsverhältnissenausgeschlossen werden oder bleiben, weil von einer be-stimmten genetischen Disposition, die sie besitzen, gene-rell auf ihre Leistungs- und Funktionsfähigkeit geschlos-sen wird.

Zur Vermeidung dieser und ähnlicher Nachteile ist imAmericans with Disabilities Act, dem US-amerikanischenAntidiskriminierungsgesetz in Bezug auf Menschen mitBehinderungen, ein mehrstufiges Fragerecht des Arbeit-gebers bzw. der Arbeitgeberin festgeschrieben:

„Nach dem ADA wird das Recht eines Arbeitgebers, inVerbindung mit einer Behinderung Ermittlungen anzu-stellen oder eine ärztliche Untersuchung zu verlangen,in drei Phasen geprüft: vor dem Angebot, nach demAngebot und während der Beschäftigung. In der erstenPhase (vor dem Arbeitsangebot) untersagt das ADAalle behinderungsbezogenen Ermittlungen und ärztli-chen Untersuchungen, selbst wenn sie sich auf den Ar-beitsplatz beziehen. In der zweiten Phase (nachdemein Bewerber ein befristetes Arbeitsangebot erhal-ten hat, aber bevor er die Arbeit aufgenommen hat)kann ein Arbeitgeber in Verbindung mit einer Behin-derung Ermittlungen anstellen und ärztliche Untersu-chungen durchführen lassen, ob sie nun mit dem Ar-beitsplatz in Zusammenhang stehen oder nicht, solangedies bei allen neu eingestellten Beschäftigten der glei-chen beruflichen Kategorie geschieht. In der drittenPhase (nach Aufnahme der Beschäftigung) darf einArbeitgeber nur dann in Verbindung mit einer Behin-derung Ermittlungen anstellen und ärztliche Untersu-chungen verlangen, wenn sie mit dem Arbeitsplatz inZusammenhang stehen und einer geschäftlichen Not-wendigkeit entsprechen.“666

Es ist zu prüfen, inwieweit Elemente des ADA auf diedeutsche Situation übertragbar sind.

2.2.2.1.6.4 DatenschutzGenetische Daten sind besonders sensible Daten und be-dürfen eines besonderen Schutzes. Dies gilt insbesondereauch im Hinblick auf die Nutzung von Gentests in der Ar-beitsmedizin, da genetische Daten innerhalb und außer-halb des Betriebes missbraucht und beispielsweise vonArbeitgeberinnen bzw. Arbeitgebern zu Zwecken der Ar-beitnehmerinnen- bzw. Arbeitnehmer-Auslese verwendetwerden können. Die Gewährleistung der Einhaltung da-

tenschutzrechtlicher Regelungen ist im Arbeitsbereich da-her von besonderer Bedeutung.

Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bun-des und der Länder kommt hier sogar eine Einschränkungder Verwendung genetischer Daten durch die betroffenenIndividuen selbst in Betracht:

„Angesichts der Besonderheit genetischer Daten (...)sollte ein Bewerber um einen Arbeitsplatz z. B. davorgeschützt werden, dass er sich mit oder ohne ‚Anre-gung‘ des Arbeitgebers zur Verbesserung seiner Chan-cen einem ‚freiwilligen‘ Gentest unterzieht. Ein klaresVerbot für Arbeitgeber, Gentests von Bewerbern zuverlangen und entgegenzunehmen, könnte dem Rech-nung tragen.“667

In ihren „Vorschlägen zur Sicherung der Selbstbestim-mung bei genetischen Untersuchungen“ schlagen die Da-tenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder daherfolgenden „Grundsatz“ vor:

„Arbeitgebern und Versicherern ist es verboten, als Vo-raussetzung für einen Vertragsabschluss oder währenddes Vertragsverhältnisses prädiktive genetische Unter-suchungen an betroffenen Arbeits- oder Versiche-rungsvertragsbewerbern oder Vertragspartnern durch-zuführen oder zu veranlassen oder Ergebnisse vongenetischen Untersuchungen zu verlangen, entgegen-zunehmen oder sonst zu nutzen. Aus einer wahrheits-widrigen Beantwortung können Arbeitgeber oder Ver-sicherer grundsätzlich keine Rechte ableiten.“668

Darüber hinaus schlagen die Datenschutzbeauftragtenfolgende Regelung vor:

„Bleibt der Arbeitsplatz trotz vorrangiger Arbeits-schutzmaßnahmen mit einer erhöhten Erkrankungs-oder Unfallgefahr verbunden, für deren Eintritt nachdem Stand der Wissenschaft eine bestimmte Gen-struktur der Betroffenen von Bedeutung ist, ist eineArbeitsplatzbewerberin oder ein Arbeitsplatzbewer-ber hierauf hinzuweisen. Die Betriebsärztin oder derBetriebsarzt soll die betroffene Person hinsichtlich ei-ner geeigneten genetischen Untersuchung beraten undihr dafür zugelassene Ärztinnen oder Ärzte benen-nen.“669

2.2.2.2 Genetische Diagnostik undVersicherungen

Bereits seit mehreren Jahren wird auch der Einsatz genanalytischer Untersuchungsmethoden im Versiche-rungsbereich diskutiert. Private Versicherer könnten dieErgebnisse von Gentests vor dem Abschluss eines Versi-cherungsvertrages für eine verbesserte Risikoselektionbzw. zur Abwehr von Antiselektionsgefahren nutzen. Diegenetische Konstitution einer Versicherungsnehmerin

666 U.S. Equal Employment Opportunity Commission 2000, S. 3 (Über-setzung).

667 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.668 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001b.669 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001b.

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bzw. eines Versicherungsnehmers können hier insbeson-dere in den Bereichen der Lebens-, der Berufsunfähig-keits- und der Krankenversicherungen interessant sein.Darüber hinaus könnten genanalytische Untersuchungenauch nach Versicherungsabschluss eine Rolle spielen.Denkbar wäre beispielsweise eine Verpflichtung zurDurchführung von Gentests im Rahmen von Früherken-nungsuntersuchungen oder im Hinblick auf eine indivi-duell abgestimmte Betreuung und Therapie.

2.2.2.2.1 Gentests und RisikoprüfungIn der Bundesrepublik Deutschland sind zwei Grundty-pen von Versicherungen zu unterscheiden, die gesund-heitliche Risiken versichern: Sozialversicherungen undprivate Versicherungen. Bei Sozialversicherungen ent-steht ein Versicherungsverhältnis kraft Gesetzes und ohnePrüfung eines individuellen Risikos. Sie dienen der Absi-cherung elementarer Lebensrisiken unter Wahrung dersozialen Gerechtigkeit. Bei Privatversicherungen dage-gen kommt das Versicherungsverhältnis ohne rechtlichenZwang zustande und wird durch einen Vertrag begründet.Sie sind risikobezogene Versicherungen und von einer Ri-sikoprüfung abhängig.

Grundlage der Prämienkalkulation in der Privatversiche-rung ist das individuelle Risiko der Versicherungsnehme-rinnen und -nehmer. Private Versicherungen führen daher,anders als Sozialversicherungen, vor Eintritt der Versiche-rungsinteressentin bzw. des Versicherungsinteressenteneine Risikoprüfung durch. Beiträge zur Privatversicherungwerden entsprechend nach der Höhe des Risikos gestaffelt,die das Versicherungsunternehmen eingeht. Die Risiko-prüfung „hat den Zweck sicherzustellen, dass die Risiko-übernahmen den von den Versicherern in ihren Geschäfts-betrieb aufgestellten geschäftsplanmäßigen Vorgabenentsprechen und die Leistungskraft der Unternehmen nichtübersteigen. Sie dient damit auch dazu, die dauernde Er-füllbarkeit der gegenüber den Versicherungsnehmern ein-gegangenen Verpflichtungen zu gewährleisten.“670

Der Einsatz genanalytischer Untersuchungsmethodenkönnte insbesondere für private Versicherer interessantsein. Schöffski hält es allerdings für möglich, dass auchim Bereich der Sozialversicherungen die dort kodifizierteMitwirkungspflicht irgendwann als Verpflichtung zurDurchführung von Gentests ausgelegt werden könnte.671

Private Kranken- oder Lebensversicherer könnten die Er-gebnisse von Gentests vor einem Vertragsabschluss alsGrundlage für eine verbesserte Risikoprüfung nutzen.Diese könnte sowohl einer risikoadäquateren Prämienkal-kulation als auch der Risikoselektion dienen. Ein weiteresInteresse von Versicherungsunternehmen an der Nutzung

genanalytischer Verfahren könnte in der Abwehr einerAntiselektionsgefahr bestehen, die möglicherweise dannentsteht, wenn sich potenzielle Versicherungsnehmerin-nen und -nehmer in größerem Umfang einen „genetischenInformationsvorsprung“ vor dem Versicherungsunterneh-men verschaffen und diesen gezielt gegen das Versiche-rungsunternehmen einsetzen. De facto verzichtet diedeutsche Versicherungswirtschaft zum gegenwärtigenZeitpunkt nicht nur auf den Einsatz genanalytischer Un-tersuchungsmethoden zur Risikospezifizierung, sondernweitgehend auch auf andere diagnostische Möglichkei-ten, die dazu geeignet wären, risikoerhebliche Befunde zuerheben. Für die Risikoeinschätzung maßgeblich sind inder Regel die Angaben der Antragstellerin bzw. des An-tragstellers. Im Bereich der Lebensversicherungen wer-den in Deutschland zurzeit rund 99 % aller Abschlüsseohne eine vorherige ärztliche Untersuchung abgeschlos-sen. Allerdings haben die Versicherungen ein Anfech-tungsrecht, wenn sich im Versicherungsfall herausstellt,dass der Versicherungsnehmer bzw. die Versicherungs-nehmerin eine entsprechende Diagnose verschwiegen hat.

2.2.2.2.2 Einsatz genanalytischer Verfahren imVersicherungsbereich

Gegenwärtig spielen genanalytische Verfahren im Versi-cherungsbereich weltweit keine erwähnenswerte Rolle.Bei einer internationalen Umfrage aus dem Jahr 1997 sind„lediglich vereinzelte Vorlagen mit molekulargenetischenUntersuchungsergebnissen (am häufigsten Chorea Hun-tington) genannt worden“672.

In Deutschland kommen DNA-analytische Diagnosever-fahren im Versicherungsbereich – soweit bekannt – nichtzum Einsatz. Weder verlangen private Versicherungsun-ternehmen die Vorlage eines Gentests im Rahmen der Ri-sikoprüfung als Vorausbedingung für den Abschluss eines Versicherungsvertrages, noch wird im Rahmen der Risi-koprüfung explizit nach anderweitig bereits vorliegendenErgebnissen von genanalytischen Untersuchungen ge-fragt.673 Ende 2001 haben sich die Mitgliedsunternehmendes Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirt-schaft (GDV) freiwillig selbst dazu verpflichtet, „dieDurchführung von prädiktiven Gentests nicht zur Voraus-setzung eines Vertragsabschlusses zu machen.“ Sie er-klärten weiter,

„für private Krankenversicherungen und für alle Artenvon Lebensversicherungen einschließlich Berufsun-fähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits-, Unfall- und Pflege-rentenversicherung bis zu einer Versicherungssummevon weniger als 250 000 Euro bzw. einer Jahresrentevon weniger als 30 000 Euro auch nicht von ihren Kun-den zu verlangen, aus anderen Gründen freiwilligdurchgeführte prädiktive Gentests dem Versicherungs-unternehmen vor dem Vertragsabschluss vorzulegen.In diesen Grenzen verzichten die Versicherer auf die im

670 Lorenz 2000, S. 21.671 Schöffski 2001, S. 546. Grundsätzlich könnten genanalytische Ver-

fahren im Versicherungsbereich auch nach Vertragsabschluss zumBeispiel im Hinblick auf die Übernahme diagnostischer oder thera-peutischer Leistungen durch Krankenversicherungen oder im Hin-blick auf ihren Einsatz in der Prävention oder auf Prämienzuschlägefür riskante Lebensstile etc. eine Rolle spielen. Dieser Aspekt bleibtbei den folgenden Überlegungen unberücksichtigt.

672 Regenauer 1997, S. 630.673 Bayertz et al. 1999, S. 29 u. 234ff.; Hennen et al. 2001; Gesamtver-

band der Deutschen Versicherungswirtschaft 2001.

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Versicherungsvertragsgesetz verankerte vorvertragli-che Anzeigepflicht gefahrenerheblicher Umstände.“674

Die Mitgliedsunternehmen im GDV erklären darüber hi-naus, in diesen Fällen von den Kunden dennoch vorge-legte Befunde nicht zu verwerten. Die Selbstverpflich-tung der GDV ist bis zum 31. Dezember 2006 befristet.

Für die Zurückhaltung von Versicherungsunternehmen,genanalytische Verfahren anzuwenden, werden nebenrechtlichen Gründen, die in verschiedenen Staaten eineRolle spielen, vor allem technische und versicherungs-mathematische Gründe genannt. Gegenwärtig gibt es nurwenige prädiktive Gentests die eine eindeutige Aussageliefern. Diese Tests betreffen seltene (monogene) Erb-krankheiten mit einer geringen Prävalenz in der Bevöl-kerung.675 Im Hinblick auf in der Bevölkerung weit verbreitete Erkrankungen, deren Diagnostik aus versi-cherungsmathematischen Gründen interessant wäre, ste-hen zuverlässige gendiagnostische Verfahren derzeit da-mit nicht zur Verfügung.676 Zu einem ähnlichen Ergebnisgelangte 1997 auch die britische Human Genetics Advi-sory Commission (HGAC):

„Bei bestimmten Einzelgen-Erkrankungen (monoge-nen Erbkrankheiten) bestehen bekanntermaßen versi-cherungsmathematisch signifikante Zusammenhängezwischen genetischen Faktoren und spezifischenKrankheiten oder einem vorzeitigen Tod. (...) Außer-dem gibt es einige im späteren Lebensalter auftretendemonogene Erkrankungen wie z. B. die Chorea Hun-tington, bei denen die Ergebnisse von Gentests alsGrundlage für eine relativ genaue Prognose dienen kön-nen. Allerdings lassen sich das Lebensalter, in dem dieKrankheit ausbricht, und ihr wahrscheinlicher Schwe-regrad nicht genau vorhersagen. (...) Bei der großenMehrheit der Krankheitsfälle ist über die Wechselwir-kung zwischen verschiedenen Genen, zwischen Genenund der Umwelt oder Genen und Lifestyle-Faktorenjedoch nicht genug bekannt. Kenntnisse darüber dürf-ten auch auf absehbare Zeit nicht vorliegen. Eines dergrundlegenden Missverständnisse in der Genetik istdie Vorstellung, es werde hier zu einer sofortigen Zu-nahme der allgemeinen Prognosemöglichkeiten kom-men. Diese Erwartungen erscheinen unrealistisch undzu hoch gesteckt, und in der überschaubaren Zukunftdürften Gentests für Versicherungszwecke – außer beieinigen wenigen recht seltenen Krankheiten – nur ei-nen geringen wirklichen Vorhersagewert besitzen.“677

Darüber hinaus wird geltend gemacht, dass die Verfüg-barkeit von Gentests tatsächlich nicht zu einer risikoad-äquateren Prämienkalkulation bzw. einer optimierten Ri-sikoselektion beitrage, da eine allzu genaue Kenntnis derErkrankungswahrscheinlichkeit des Einzelnen und eineentsprechende „Aufsplitterung der Versichertengemein-

schaft nach unterschiedlichen Risikomerkmalen“ das„,Gesetz der großen Zahl‘ unanwendbar mache und denVersicherungsgedanken letztlich aus den Angeln“ hebe.678

Auch trage eine zu starke Risikodifferenzierung dazu bei,dass im Ergebnis nur noch diejenigen Menschen Versi-cherungsschutz suchen würden, „die mit Krankheiten zurechnen haben; diesen aber müßte ein umsichtig kalkulie-render Versicherer Prämien in solcher Höhe berechnen,daß die Betroffenen im Ergebnis ihre eigenen Krankhei-ten zu finanzieren hätten.“679 Vor allem die beiden zuletztgenannten versicherungsmathematischen Gründe für dieZurückhaltung von Versicherungsunternehmen sind aller-dings auch in der Versicherungswirtschaft selbst umstrit-ten.680

2.2.2.2.3 Rechtliche RegelungenIn Deutschland gibt es keine speziellen rechtlichen Rege-lungen, die die Möglichkeiten von Versicherungsunterneh-men einschränken, bei der Kalkulation von Risiken auchauf Ergebnisse aus genanalytischen Verfahren zurückzu-greifen.681 Von verschiedenen Seiten wird daher gesetz-geberischer Handlungsbedarf gesehen (z. B. Bericht derEnquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentech-nologie“ (1987)682; Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Genom-analyse“ (1990); Entschließung des Bundesrates gegen dieVerwertung von Genomanalysen in der Privatversicherung(November 2000); Ethik-Beirat beim Bundesministeriumfür Gesundheit (November 2000)).

Versicherungsunternehmen machen zwar – soweit be-kannt – in Deutschland von der Möglichkeit des Einsatzesgenetischer Analysen keinen Gebrauch, halten jedoch ander vorvertraglichen Anzeigepflicht fest. Versicherungs-interessentinnen und -interessenten sind nach § 16 desVersicherungsvertragsgesetzes (VVG) verpflichtet, „alleGefahrenumstände anzuzeigen, die geeignet sind, denEntschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oderzu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, zu beeinflus-

674 Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft 2001.675 Regenauer 1997, S. 630.676 Hennen et al. 2001, S. 118.677 Human Genetics Advisory Commission 1997, S. 10f. (Übersetzung)

678 Sahmer 1995, S. 7f.679 Sahmer 1995, S. 7.680 Vgl. die Darstellung bei Bayertz et al. 1999, S. 237f.681 Nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen haben allerdings

Neugeborene, bei denen ein Elternteil mindestens drei Monate ver-sichert ist, bei Anmeldung binnen zwei Monaten nach der Geburt ei-nen Anspruch auf den gleichen Versicherungsschutz wie jener, ohnedass ein Prämienzuschlag z.B. bei Behinderung erhoben werden darf(Sahmer 1995).

682 Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987. Die Enquete-Kommission hatte dem Bundestagempfohlen, „die Bundesregierung aufzufordern, darauf hinzuwirken,dass die von der Versicherungswirtschaft gegenwärtig geübte Zurück-haltung bei der Anwendung genetischer Analysen auch in Zukunfteingehalten wird. Zum Schutz der Antragsteller vor einer die gutenSitten verletzenden genetischen Ausforschung soll sie im Wege derVersicherungsaufsicht geschäftsplanmäßige Erklärungen der Versi-cherungsunternehmen herbeiführen, die den von der Enquetekom-mission (...) entwickelten Grundsätzen Rechnung tragen. Läßt sichauf diesem Wege eine Begrenzung der Anwendung genetischer Ana-lysen nicht erreichen, so ist eine Änderung des Versicherungsver-tragsgesetzes in Betracht zu ziehen.“ (Bericht der Enquete-Kommis-sion „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ 1987, S. 175)

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sen“. In seiner derzeitigen Fassung unterscheidet das Ver-sicherungsvertragsgesetz nicht zwischen Prädiktoren, dieauf Phänotyp- bzw. auf Genotyp-Ebene erhoben werden;ob bzw. welche Ergebnisse aus genanalytischen Untersu-chungen als gefahrenerheblich gelten, ist umstritten.683

Im Ausland ist die Anwendung genanalytischer Verfahrenim Versicherungsbereich rechtlich unterschiedlich gere-gelt.684 Hierbei ist zu beachten, dass die Möglichkeit der Ri-sikoselektion mit Hilfe von Gendiagnostika in Solidarsyste-men von den Verantwortlichen weniger nachgefragt wird alsin wettbewerblich organisierten Versicherungssystemen. Soist die Verwendung von Ergebnissen von Gentests im Versi-cherungsbereich in Dänemark, Frankreich und Österreichgesetzlich verboten. In Österreich beispielsweise legt Arti-kel 67 des Gentechnikgesetzes von 1994 fest:

„§ 67. Arbeitgebern und Versicherern ist es verboten,Ergebnisse von Genanalysen von ihren Arbeitneh-mern, Arbeitssuchenden oder Versicherungsnehmernoder Versicherungswerbern zu erheben, zu verlangen,anzunehmen oder sonst zu verwerten.“

Im Ergebnis ähnlich restriktiv sind die Bestimmungen,die im Vorentwurf für ein Bundesgesetz über genetischeUntersuchungen in der Schweiz formuliert wurden:

„Art. 22 Grundsätze1 Versicherungseinrichtungen dürfen von der an-

tragstellenden Person keine präsymptomatischeoder pränatale Untersuchung als Voraussetzungfür die Begründung eines Versicherungsverhält-nisses verlangen.

2 Sie dürfen von der antragstellenden Person bei derBegründung eines Versicherungsverhältnisses we-der die Offenlegung von Ergebnissen aus früherenpräsymptomatischen oder pränatalen Untersu-chungen oder von Untersuchungen im Hinblickauf die Familienplanung verlangen noch solcheErgebnisse verwerten.

3 Der antragstellenden Person ist es untersagt, derVersicherungseinrichtung von sich aus Ergebnisseaus früheren präsympotmatischen oder pränatalenUntersuchungen mitzuteilen.

Art. 23 Ausnahmen1 Die antragstellende Person darf der Versicherungs-

einrichtung Ergebnisse aus früheren präsymp-tomatischen oder pränatalen Untersuchungen mit-teilen, wenn sie damit darlegen will, dass sie zuUnrecht in eine Gruppe mit erhöhtem Risiko ein-gereiht worden ist.

2 Auf begründeten Antrag der Versicherungsver-bände oder einer Versicherungseinrichtung legt das

vom Bundesrat bestimmte zuständige Bundesamtfür bestimmte nichtobligatorische Versicherungsar-ten die präsymptomatischen Untersuchungen fest,nach deren Ergebnissen sich Versicherungseinrich-tungen bei der antragstellenden Person erkundigendürfen. Es kann die Pflicht zur Beantwortung ent-sprechender Fragen einer Vertrauensärztin oder ei-nes Vertrauensarztes vorsehen, wenn:

die Untersuchung nach Feststellung der eidgenös-sischen Kommission für genetische Untersuchun-gen zuverlässig ist; und

der wissenschaftliche Wert der Untersuchungser-gebnisse für die Prämienberechnung nachgewie-sen ist.

3 Die Vertrauensärztin oder der Vertrauensarzt teiltder Versicherungseinrichtung lediglich mit, ob dieantragstellende Person in eine besondere Risiko-gruppe einzureihen ist.

4 Absatz 2 gilt nicht für Einrichtungen der berufli-chen Vorsorge sowie für Versicherungen betref-fend der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oderbei Mutterschaft.“

In den Niederlanden verbietet das 1997 verabschiedete„Gesetz über Gesundheitsprüfungen“ (Wet op de medi-sche keuningen) bei der Risikoprüfung alle Fragen, dieeinen unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre der zuversichernden Person darstellen. Unter keinen Umstän-den dürfen ärztliche Untersuchungen durchgeführt wer-den, bei denen der für das Versicherungsunternehmen zuerwartende Aussagewert unverhältnismäßig im Vergleichzu den für den Untersuchenden daraus erwachsenden Ri-siken sind. Diese Einschränkungen gelten jedoch nur biszu bestimmten „Fragegrenzen“, die sich nach derHöchstsumme der Versicherung richten. Die Fragegrenzebei Lebensversicherungen liegt momentan bei HFL300 000, wobei diese Fragegrenze alle drei Jahre an denIndex der Lebenshaltungskosten angepasst wird. Diefreiwillige Durchführung eines Gentests und die an-schließende Vorlage des Ergebnisses bei einem Versiche-rungsunternehmen sind durch das Gesetz nicht untersagt.In verschiedenen anderen Ländern wie z. B. Italien, Spa-nien, Portugal oder Schweden gibt es keine gesetzlichenRegelungen.

In Großbritannien wird die Verwendung von Ergebnissenaus Gentests vor allem durch das Verbandsrecht geregelt.Nach dem „Genetic Code of Practice“685 der Associationof British Insurers (ABI) dürfen Ergebnisse von Gentestsunter Beachtung der Empfehlungen des Genetics and In-surance Committee (GAIC) der britischen Regierung ge-nutzt werden, wenn der Test zuverlässig und relevant fürden Versicherungsvertrag ist. Das GAIC hat im Oktober2000 mit einem Gentest für die Huntington-Krankheit denersten Test für zuverlässig und relevant erklärt.686

683 Präve 1992; Sahmer 1995; Schmidtke 1998.684 Umfassende Übersichten finden sich bei Berberich 1998, Simon

2001 und European Society of Human Genetics/Public and Profes-sional Policy Committee 2001.

685 Association of British Insurers 1999.686 Genetics and Insurance Committee 2000.

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In einer „Government Response to the Report from theHouse of Commons Science and Technology Committee:Genetics and Insurance“ hat das britische Department ofHealth im Oktober 2001 angeregt, über die Zusammen-setzung der GAIC neu nachzudenken und gleichzeitigempfohlen,

„dass die reformierte GAIC vor der Veröffentlichungnochmals die Entscheidung, die Nutzung des Gen-tests für Chorea Huntington durch Versicherer zuzu-lassen, überprüfe, zusammen mit ausführlicher Ex-pertenbegutachtung sowohl der von den Versicherernangegebenen Daten als auch seiner eigenen Entschei-dung.“687

Ebenfalls im Oktober 2001 hat sich die Association ofBritish Insurers mit der britischen Regierung auf ein fünf-jähriges Moratorium verständigt. Die Vereinbarung bein-haltet:

– „ein fünfjähriges Moratorium bezüglich der generel-len Nutzung der Resultate von DNA-Tests durch Ver-sicherer, beginnend am 1. November 2001, mit Aus-nahme der unten angeführten Umstände;

– die fortlaufende Nutzung der Resultate von Gentestsdurch Versicherer nur wenn diese vom Genetics andInsurance Committee (GAIC) der Regierung autori-siert sind, bei Lebensversicherungen für Summenüber £ 500 000, oder bei anderen Versicherungspoli-cen über £ 300 000;

– eine Überprüfung dieser finanziellen Grenzen nachdrei Jahren;

– einen unparteiischen und unabhängigen Mechanismuszur Behandlung von Beschwerden;

– Überwachung der compliance der Firmen mit demCode und dem Moratorium des ABI durch die ABI,

mit einer jährlichen Veröffentlichung des ABI compli-ance Berichts.“688

Auf europäischer Ebene legt das „Übereinkommen überMenschenrechte und Biomedizin“ des Europarates von1997 in Artikel 12 fest, dass Untersuchungen, die eine Vor-hersage von genetischen Krankheiten oder die Feststellungeines für eine Krankheit verantwortlichen Gens bzw. einergenetischer Prädisposition oder Anfälligkeit für eineKrankheit ermöglichen, nur für Gesundheitszwecke oderfür gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschungund nach Vornahme einer genetischen Beratung vorge-nommen werden dürfen.689 Ein Verbot der Anwendunggenanalytischer Verfahren im Versicherungsbereich lässtsich aus dieser Formulierung nach herrschender Auffas-sung nicht ableiten.690 Andere Einschätzungen gehen da-von aus, dass der eindeutigen Tendenz des Abkommensnach davon ausgegangen werden müsse, dass der Ab-schluss eines Versicherungsvertrages nicht von der Vor-nahme eines prädiktiven Gentests abhängig gemacht wer-den soll.691

2.2.2.2.4 EntwicklungsperspektivenOb genanalytische Verfahren im Versicherungsbereich inabsehbarer Zukunft eine größere Rolle spielen werden, istzum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum absehbar. Dies hängtvon mehreren Faktoren ab, unter anderem von der

– „Anzahl zur Verfügung stehender genetischer Testsauf relevante genetische Dispositionen,

– Möglichkeit, genetische Tests anonym durchführen zulassen, z. B. durch eine anonyme Bezugsmöglichkeit

Tabel le 19

Aufstellung von Krankheitsbildern und Gentests, die von der ABI als für Versicherungszwecke relevant empfohlen werden

Krankheitsbild Getestete Gene

Huntington-Krankheit HD

Früh ausbrechende familiäre Alzheimer-Krankheit APP, PS1 and PS2

Hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom BRCA1 and BRCA2

Dystrophische Myotonie MDPK

Familiäre adenomatöse Polypose APC

Multiple endokrine Neoplasie RET

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie PMP22

Quelle: House of Commons 2001, S. 14 (Übersetzung)

687 Department of Health 2001, S. 10 (Übersetzung).

688 Association of British Insurers 2001 (Übersetzung).689 Vgl. C2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international).690 Degener 1998a; Simon 2001, S. 81; Rudloff-Schäfer 1999, S. 36.

Abweichend: Spranger 2000.691 Simon 2001, S. 82.

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verbunden mit einer Selbsttestung zu Hause mittels sogenannter Home-Test-Kits oder durch die anonymeTestung in Privatlabors,

– Bereitschaft in der Bevölkerung, sich überhaupt testenzu lassen.“692

Während die beiden zuletzt genannten Aspekte vor allemdie Gefahr einer Antiselektion zu Ungunsten von Versiche-rungsunternehmen erhöhen könnten, die ihrerseits durchdie Nutzung von Ergebnissen aus Gentests versuchenkönnten, das „genetische Informationsgleichgewicht“ wie-der herzustellen, könnte die Entwicklung einer Vielfalt vonneuen Testverfahren und insbesondere von Tests für poly-genetisch bzw. multifaktoriell vererbte Erkrankungen mithoher Aussagekraft auch zur Nutzung von Gentests füreine risikoadäquatere Prämienkalkulation bzw. eine effi-zientere Risikoselektion durch Versicherungsunterneh-men führen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bürofür Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundes-tag in seinem Bericht zur Gendiagnostik:

„Insgesamt gesehen ist (...) eine Entwicklung nicht aus-zuschließen, in der sich zum einen ein Wettbewerbs-druck in der Versicherungswirtschaft aufbaut, weileinzelne Versicherer versuchen, durch den Einsatzgendiagnostischer Verfahren eine adäquatere Prä-mienkalkulation bei unterschiedlichen Risikogruppenvorzunehmen und sich auf diese Weise einen Markt-vorteil zu verschaffen. Zum anderen ist vorstellbar,dass die Nutzung von Gentests durch Versicherungs-interessenten die Versicherungswirtschaft zwingenkönnte, genanalytische Verfahren zur Vermeidung vondaraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteilen zunutzen. Beide Trends könnten sich gegenseitig ver-stärken und einen weit verbreiteten Einsatz von Gen-tests in der Versicherungswirtschaft befördern.“693

Seit der Einführung des Wettbewerbs für die GesetzlicheKrankenversicherung besteht ein vermehrter Anreiz fürdie einzelnen Krankenkassen, Versicherte mit geringemRisiko zu betreuen. Diesem „Rosinenpicken“ versuchteder Gesetzgeber im Rahmen des Gesundheitsstrukturge-setzes von 1992 durch die Einführung eines Risikostruk-turausgleichs (RSA) Rechnung zu tragen. Dieser RSA bil-dete die Morbidität der Versicherten jedoch nur indirekt(Alter, Geschlecht, Einkommen) ab. Die Krankenkassenkonnten schon bisher Morbiditätsprofile ihrer Versicher-ten nutzen (Diagnose, verordnete Medikamente), um sichim Wettbewerb günstig zu positionieren. Der Gesetzgeberplant zurzeit, mit einem verbesserten RSA dieser Ent-wicklung Rechnung zu tragen; angestrebt wird eine mög-lichst genaue Abbildung der Morbiditätsrisiken alsGrundlage für einen finanziellen Ausgleich zwischen denKassen. In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr,dass die Risikoabschätzung mit Hilfe genetischer Datenauch für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversiche-rung relevant wird. Das bisherige Solidaritätsprinzipkönnte durch die Zuweisung individueller Morbiditäts-

risiken ad absurdum geführt werden. Für die spezifischeProblematik genetischer Daten gilt deshalb insbesondere,dass im Rahmen der Einführung eines morbiditätsorien-tierten RSA sicherzustellen ist, dass genetische Datennicht in individualisierbarer Form vorliegen bzw. erhobenoder verwendet werden dürfen.

2.2.2.2.5 Folgen einer verbreiteten Nutzungvon Gentests im Versicherungs-bereich

2.2.2.2.5.1 Recht auf informationelle Selbst-bestimmung und Recht aufNichtwissen

Das Hauptproblem einer Nutzung genetischer Testverfah-ren durch Versicherer wird häufig darin gesehen, dasshierdurch das Recht auf Nichtwissen von Versicherungs-interessentinnen und Versicherungsinteressenten und ihrRecht auf informationelle Selbstbestimmung verletztwerde. Bereits die Enquete-Kommission „Chancen undRisiken der Gentechnologie“ hatte in ihrem Bericht von1987 festgestellt:

„Die Freiheit, genetische Informationen über die eigeneZukunft gar nicht erst erheben zu lassen, ist ein we-sentliches Moment der Selbstbestimmung der Person.Sie ist vermutlich jenem Kernbereich der Persönlich-keit zuzurechnen, der nach der Formel des Bundes-verfassungsgerichts als ‚unantastbarer Bereich priva-ter Lebensgestaltung‘ der Einwirkung der öffentlichenGewalt schlechthin entzogen ist. Dieser Bereich sollteauch im Rahmen privater Vertragsgestaltung nichtohne weiteres zur Disposition stehen.“694

Hierbei muss zwischen zwei Situationen unterschiedenwerden: Ob das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung einer Versicherungsinteressentin bzw. eines Versi-cherungsinteressenten dann tangiert ist, wenn sie bzw. erzur Offenlegung bereits vorliegender Ergebnisse von an-derweitig durchgeführten Gentests verpflichtet werden,wird kontrovers diskutiert.695 Einerseits wird eine Versi-cherungsinteressentin bzw. ein Versicherungsinteressentin diesem Fall lediglich dazu genötigt, ein Wissen, überdas sie bzw. er bereits verfügt, zu aktualisieren. Insofernliegt keine Verletzung ihres bzw. seines Rechts auf Nicht-wissen vor. Demgegenüber lässt sich andererseits einwen-den, dass die Offenlegungspflicht mit dem Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung in Widerspruch steht, dasie das Recht einer Person, über die Verwendung ihrer per-sonenbezogenen Daten selbst zu bestimmen, verletzt.696

Informationelle Selbstbestimmung bedeutet auch, be-stimmen zu können, wem ich etwas offenbare.

Eine andere Situation entsteht dann, wenn Versicherungs-unternehmen den Abschluss eines Versicherungsvertrages

692 Berberich 2001, S. 313.693 Hennen et al. 2001, S. 122f.

694 Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987, S. 174.

695 Vgl. zu dieser Diskussion Berberich 1998, S. 184.696 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen 2001, S. 15; Simon

2001, S. 116.

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von der Durchführung eines Gentests abhängig machen.Versicherungsinteressentinnen und Versicherungsinteres-senten könnten sich in dieser Situation vor die Wahl ge-stellt sehen, entweder einen Gentest durchführen zu lassenund auf diese Weise Kenntnisse über die eigene genetischeKonstitution zu erlangen, die sie möglicherweise nichtwünschen, oder auf einen Versicherungsschutz zu ver-zichten. Hiergegen wird mitunter eingewendet, dass privateVersicherungsverträge in der Regel freiwillig eingegangenwerden und nicht der individuellen Daseinsvorsorge, son-dern der „Wohlseinsfürsorge“ dienen.697 Es gibt jedochFälle, in denen einer Versicherungsinteressentin bzw. ei-nem Versicherungsinteressenten der Zugang zur Sozialver-sicherung versperrt ist. Für Lebensversicherungen ist zu-dem zu berücksichtigen, dass diese essenzieller Bestandteilder privaten Absicherung (Schutz der Familie, Altersvor-sorge, Erwerb von Wohneigentum) und ein zentrales Instrument zur finanziellen Bewältigung von Alterslastensind.698 Dies gilt zumal nach der Neuordnung der Alters-versorgung durch den Gesetzgeber mit der obligatorischenEinbeziehung privatrechtlicher Elemente. Grundsätzlichgilt, dass der Druck auf die Erhebung und Offenlegungprädiktiver Daten desto mehr Züge von Zwang annimmt,je weniger die Versicherungsinteressentin bzw. der Versi-cherungsinteressent frei ist, auf eine angebotene Versi-cherung zu verzichten.

2.2.2.2.5.2 Genetische DiskriminierungTeilweise wird auch befürchtet, dass die Nutzung von ge-netischen Testverfahren im Versicherungswesen zu einer„genetischen Diskriminierung“ von Versicherungsinte-ressentinnen und Versicherungsinteressenten aufgrund ih-res genetischen Status führen könne. Unter Umständenkönnten sich Versicherungsinteressentinnen und Versi-cherungsinteressenten im Falle eines ungünstigen Befun-des aus einem Gentest möglicherweise nur noch zu er-höhten Prämien versichern oder würden möglicherweiseüberhaupt als unversicherbar gelten. Verschiedene Unter-suchungen belegen das Vorkommen solcher Formen einer„genetischen Diskriminierung“ in den USA.699

Für den Fall, dass ein Gentest für die Versicherungsinte-ressentin bzw. den Versicherungsinteressenten negativeErgebnisse hervorbringt, müsste die Person unter Um-ständen mit weiteren Diskriminierungen rechnen, da inDeutschland Versicherungsunternehmen zur Übermittlungvon Daten an einen vergleichsweise großen Personen-kreis berechtigt sind (z. B. Versicherungsvermittler, Rück-versicherer, andere Versicherungsunternehmen, Fachver-bände).700

Gegen den Vorwurf, die Nutzung genanalytischer Verfah-ren durch Versicherungsunternehmen könne zu „geneti-scher Diskriminierung“ führen, wird allerdings einge-

wandt, dass der Tatbestand der Diskriminierung im recht-lichen Sinne nur dann erfüllt sei, wenn jemand ohne anerkennenswerten sachlichen Grund anders behandeltwerde als andere. Eine gefahrenerhebliche genetischeDisposition stelle aber gerade einen solchen sachlichenDifferenzierungsgrund dar.701

Klare Fälle einer „genetischen Diskriminierung“ liegendann vor, wenn Versicherungsprämien im Hinblick auf be-stimmte Risikofaktoren in einer Größenordnung erhöhtwürden, die durch das Risiko selbst nicht gerechtfertigt ist,oder wenn der Versicherungsschutz für bestimmte Risiko-faktoren in einem Maße abgesenkt würde, das durch dasRisiko selbst nicht abgedeckt ist. Grund für eine „geneti-sche Diskriminierung“ kann darüber hinaus auch eine un-sachgemäße Anwendung genetischer Tests und eine un-sachgemäße Interpretation von deren Ergebnissen durchVersicherungsunternehmen sein.702 Ein besonderes Pro-blem stellt auch die Frage einer „genetischen Diskriminie-rung“ von Menschen dar, die eine Genveränderung besit-zen, die für eine Krankheit (mit)verantwortlich ist, jedochvollständig symptomfrei sind, und deren „Abnormalität“lediglich in ihrem Genotyp liegt.703 Billings et al. sprechenhier von „asymptomatisch Kranken“.704 Diesen Menschenkeinen oder nur einen Versicherungsschutz zu erschwertenBedingungen zu gewähren, stellt einen klassischen Fall„genetischer Diskriminierung“ dar, denn es fehlt an einemsachlichen Grund für die Ungleichbehandlung.

2.2.2.2.5.3 Auswirkungen auf die TestpraxisBefürchtet wird auch, dass eine Nutzung genanalytischerUntersuchungsmethoden durch Versicherungen negativeAuswirkungen auf die Testpraxis haben könnte. Sokönnte die Angst, dass ein ungünstiges Testergebnis nach-teilige Folgen für die Betroffenen haben könnte, dazuführen, dass die Bereitschaft, sich einem genetischen Testzu unterziehen, auch in solchen Fällen abnimmt, in denenein Test medizinisch sinnvoll wäre. Beispielsweise könn-ten Menschen, die ein erhöhtes Risiko für eine erblicheTumorerkrankung haben, aus Angst vor etwaigen späte-ren Nachteilen auf einen Test verzichten.705 Dass dieseBefürchtung weit geteilt wird, ist durch verschiedene Un-tersuchungen belegt. Beispielsweise erklärten anlässlich ei-ner 1997 in Großbritannien durchgeführten Telefonum-frage, in die 1 000 Personen einbezogen waren, immerhin63 % der Befragten, sie würden auf die Durchführung vonGentests verzichten, falls Versicherungsunternehmen oderArbeitgeberinnen und Arbeitgeber Zugriff auf die Ergeb-nisse erhielten.706 In der genetischen Diagnostik tätigeBeraterinnen und Berater sowie verschiedene Selbsthilfe-gruppen empfehlen schon heute, „die Versicherungen be-reits vor dem Test geregelt zu haben“.707

697 Lorenz 2000, S. 28; Taupitz 2000, S. 24f.698 Schmidtke 1997, S. 147. Anders: Taupitz 2000, S. 23ff.; Lorenz

2000, S. 28.699 Vgl. die Belege bei Simon 2001; Wolbring 2001.700 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen 2001, S. 11.

701 Taupitz 2000, S. 31.702 Berberich 1998, S. 129f.703 Berberich 1998, S. 127f.704 Billings et al. 1992.705 Human Genetics Advisory Commission 1997, S. 7.706 National Human Genome Research Institute 1998.707 Ärzte-Zeitung vom 22. Mai 1997, zit. n. Hennen et al. 2001, S. 126.

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Zudem besteht die Gefahr, dass Betroffene zur Vermei-dung von Nachteilen, die aus einem ungünstigen Gen-Test-Ergebnis resultieren könnten, vermehrt von anony-men Testmöglichkeiten Gebrauch machen könnten. Diesist um so wahrscheinlicher, je mehr private Diagnosela-bors entsprechende Dienstleistungen anbieten bzw. jemehr Testmöglichkeiten angeboten werden, die über dasInternet oder „über den Ladentisch“ frei verkäuflich sind(home-test-kits). Dies würde insbesondere Probleme imHinblick auf eine fehlende Beratung aufwerfen.708

2.2.2.2.5.4 Auswirkungen auf dieSozialversicherung

Negative Folgen einer Nutzung von Gentests durch die pri-vate Versicherungswirtschaft werden schließlich auch fürdie Sozialversicherung diskutiert. Während private Versi-cherer Gentests zu einer Risikosegmentierung nutzen undin der Folge versuchen könnten, sog. „gute Risiken“ an sichzu binden, wären die Gesetzlichen Krankenkassen mögli-cherweise dazu gezwungen, die „schlechten Risiken“ auf-zunehmen. Dies könnte zu einer Kumulation schlechter Ri-siken in der Sozialversicherung mit der Folge einer„Klassenmedizin“709 oder sogar einer Gefährdung des Fort-bestands des Sozialversicherungssystems führen.710

2.2.2.2.5.5 Gefahr der AntiselektionDie zentrale Befürchtung der Versicherungswirtschaft hin-sichtlich der Nutzung gendiagnostischer Methoden richtetsich auf die Gefahr einer Antiselektion (auch: adversen Se-lektion oder Gegenauslese), also die Gefahr, „daß Versi-cherungsinteressenten in Kenntnis ihrer gefahrenerhebli-chen genetischen Disposition und gerade deswegenPersonenversicherungsverträge abschließen, um sich odervon ihnen bestimmten Bezugsberechtigten ungerechtfer-tigten Versicherungsschutz zu verschaffen“711. Versiche-rungsinteressentinnen und Versicherungsinteressentenkönnten versuchen, sich testen zu lassen, dem Versiche-rungsunternehmen ungünstige Testergebnisse zu ver-schweigen und einen Versicherungsschutz zu besserenKonditionen zu erwerben, als es ihrer individuellen Risi-kosituation entspricht. Die Folgen für Versicherungsunter-nehmen wären „ein verstärkter Zugang höherer Risiken,ein Anstieg des Beitragsniveaus, verringerte Nachfragevon Personen mit normalem Risiko – ein sich wiederho-lender und in seinen Wirkungen stetig verstärkender Pro-zeß.“712 Hier muss allerdings noch einmal zwischen demBereich der Lebensversicherung und dem Bereich der(privaten) Krankenversicherung unterschieden werden.Lebensversicherungen werden, anders als Krankenversi-cherungen, die als Schadensversicherungen abgeschlossenwerden, als Summenversicherungen abgeschlossen.713 Sie

können daher grundsätzlich in beliebiger Höhe abge-schlossen werden, so dass hier die Gefahr einer Antise-lektion ungleich größer ist.

2.2.2.2.5.6 Aktuarische versus moralische Fairness

Zusammenfassend kommen Bayertz et al. aus den ge-nannten Gründen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis,dass eine extensive Nutzung gendiagnostischer Verfahrenin der Versicherungswirtschaft – insbesondere unter derVoraussetzung einer asymmetrischen Information – gra-vierende Probleme aufwerfen würde und gegen die Prin-zipien der aktuarischen Fairness einerseits und der mora-lischen Fairness andererseits verstoßen würde:

„Eine extensive Nutzung genanalytischer Diagnosever-fahren durch Versicherer würde schwerwiegende ethi-sche Probleme aufwerfen und im Ergebnis moralischunfair sein, da sie grundlegende moralische Rechte wiezum Beispiel das Recht auf informationelle Selbstbe-stimmung verletzt. Andererseits könnte eine intensi-vierte Nutzung von Genanalysen durch Versicherungs-interessenten den Versicherungsgedanken aushebelnund gegen das Prinzip der actuarial fairness verstoßen.Die angesprochenen Folgen treten insbesondere dannauf, wenn es zwischen Versicherungsunternehmen ei-nerseits und Versicherungsnehmern bzw. -interessen-ten andererseits ein genetisches Informationsungleich-gewicht gibt. Das grundsätzliche Problem scheintdaher darin zu liegen, daß der ‚Schleier des geneti-schen Nichtwissens‘ nicht einseitig gelüftet werdenkann, ohne daß dies gravierende und im Ergebnis füralle Beteiligten nicht wünschbare Folgen hätte.“714

Hierbei muss allerdings noch einmal zwischen Kranken-und Lebensversicherungen unterschieden werden. DieAbsicherung gegen individuelle Erkrankungsrisiken imRahmen einer Krankenversicherung stellt – anders als dieAbsicherung von Lebensrisiken – für die Betroffenen einexistenzielles Gut dar und garantiert den Versicherungs-nehmerinnen und Versicherungsnehmern einen existenzi-ellen Grundbedarf an Sicherheit. Sie ist zentrales Instru-ment der Daseinsvorsorge der bzw. des Einzelnen. Diesgilt für Lebensversicherungsverträge gegenwärtig nur ineingeschränkter Weise. Die Bedeutung von Lebensversi-cherungen für die individuelle Vorsorge wächst allerdingsin dem Maße, in dem spezifische Leistungen, etwa im Be-reich der Rentenversicherungen, aus dem Solidarbereichausgegliedert und in die Verantwortung der bzw. des Ein-zelnen gegeben werden.

2.2.2.2.6 RegelungsoptionenIm Hinblick auf eine Regelung des Einsatzes genanalyti-scher Untersuchungsmethoden im Versicherungsbereichwerden drei Regelungsoptionen diskutiert:

– „Die erste Option besteht darin, die Nutzung gen-analytischer Untersuchungen im Versicherungswesen

708 Hennen et al. 2001, S. 126.709 Schmidtke 1997, S. 147.710 Feuerstein et al. (im Erscheinen); Uhlemann 2000.711 Lorenz 2000, S. 34f.; Vgl. auch Gesamtverband der deutschen Ver-

sicherungswirtschaft 2000.712 Rupprecht 1999, S. 98.713 Simon 2001, S. 25. 714 Bayertz et al. 1999, S. 266f.

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zuzulassen und es Versicherungsunternehmen zu er-möglichen, die Durchführung eines Gentests vom An-tragsteller vor Versicherungsabschluss zu verlangenbzw. einen solchen vor Vertragsabschluss routi-nemäßig selbst durchzuführen.

– Eine zweite Option würde Versicherungsunternehmennicht nur verbieten, vor Vertragsabschluss einen Gen-test zu verlangen, sondern auch ausschließen, dass einVersicherungsinteressent die Resultate aus einem an-derweitig gemachten Test der Versicherung gegenüberoffen legen darf.

– Die dritte Option sieht eine eingeschränkte Nutzunggenetischer Informationen, die von Gentests stam-men, durch Versicherer und Versicherungsinteressen-ten vor.“715

Letztgenanntes Modell ließe sich unter Umständen imSinne einer Festlegung von Versicherungssummen modifi-zieren, ab denen der Einsatz von genetischen Testverfahrenzur Risikoselektion zulässig ist oder einer Differenzierungdes Versicherungsschutzes aufgrund von Ergebnissen ausgenomanalytischen Untersuchungen.716

Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hatin einer Stellungnahme kürzlich eine Regelung abgelehnt,die es Versicherungsunternehmen erlauben würde, vonVersicherungsinteressentinnen und Versicherungsinteres-senten vor Vertragsabschluss einen Gentest zu verlangen,und ein Annahme- und Verwertungsverbot empfohlen.Grundsätzlich müsse jedoch an der vorvertraglichen An-zeigepflicht festgehalten werden:

„Wurde im Vorfeld ein freiwilliger Test durchgeführt,hat der Versicherungsinteressent (...) unbestreitbar ei-nen Informationsvorsprung, der es ihm ermöglicht, die-sen in unfairer Weise gegen den Versicherer auszunut-zen. Diese Antiselektionsgefahr ist nicht von der Handzu weisen und auch nicht zu unterschätzen. Im vorlie-genden Zusammenhang – aber auch nur hier – ist auchnoch das aus Artikel 12 und 14 des Grundgesetzes ab-leitbare Recht der Versicherer auf unternehmerischeGestaltungs- und Betätigungsfreiheit zu sehen.717“

Das Bundesaufsichtsamt schlägt daher vor, dass Versiche-rer dazu übergehen müssen, im Rahmen der vorvertragli-chen Anzeigepflicht nach Ergebnissen anderweitig frei-willig durchgeführter Gentests ausdrücklich zu fragen.Hierfür wird die folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Haben Sie oder die versicherte Person in den letzten5 Jahren einen Gentest vornehmen lassen oder selbstdurchgeführt, bei dem bereits vorhandene Krankhei-ten oder genetische Dispositionen festgestellt wordensind, die in nächster Zukunft mit Sicherheit zu einemKrankheitsausbruch oder zum vorzeitigen Todeführen werden?“718

Eine weitere verschiedentlich diskutierte Option bestündein der Einführung einer nach dem Solidaritätsprinzip or-ganisierten Einheitsversicherung, die einen einheitlichenVersicherungsschutz unabhängig von einer Risikoprü-fung und entsprechend unabhängig auch vom genetischenStatus der Versicherungsinteressentin bzw. des Versiche-rungsinteressenten garantiert.719 Auf Basis dieser gewähr-leisteten Basisversorgung wären private Zusatzversiche-rungen denkbar, für deren Erwerb auch die Offenlegungder Ergebnisse anderweitig durchgeführter Gentests bzw.die Durchführung von Gentests zugelassen werdenkönnte. Vergleichbares wäre auch für den Bereich derLebensversicherung denkbar, wie z. B. die Einführung ei-nes Kontrahierungszwanges bis zu einer gewissen Versi-cherungssumme bei gleichzeitigem Verbot von Mehr-fachversicherungen.720 Gegen ein solches zweistufigesVersicherungssystem spricht, dass es die Problematik dergenetischen Diskriminierung nicht ausschließt, sondernlediglich auf die attraktiven Zusatzversicherungen be-schränkt. Genetisch belastete Personen wären in Bezugauf die Zusatzversicherung strukturell gegenüber gene-tisch unbelasteten Personen benachteiligt.

2.2.2.3 Forschung mit humangenetischemMaterial

Nach dem mit der erfolgreichen Sequenzierung eines Basis- bzw. Referenzgenoms des Menschen erfolgten Ab-schluss der ersten Phase des Humangenomprojektes wer-den Untersuchungen zu krankheitsrelevanten Genverän-derungen in den kommenden Jahren stark an Bedeutunggewinnen. Derartige Untersuchungen werden in naherZukunft voraussichtlich fester Bestandteil pharmakoge-netischer Studien und zahlreicher klinischer Studien sein.

Beispielsweise wird im Herzzentrum Ludwigshafen seit1997 eine Datenbank aufgebaut, in der detaillierte Anga-ben über Patientinnen und Patienten gesammelt werden,die hierzu ihre Einwilligung erteilt haben. Im Auf-klärungsschreiben zur Einverständniserklärung wird zu-gesichert, dass außerhalb der Klinik niemand in der Lagesei, die anonymisierten Daten mit Personalien zu ver-knüpfen. In einem umfangreichen Fragebogen werdenAnamnesedaten erhoben. Dann werden die Patientinnenund Patienten genau untersucht. Pro Person werden bis zu1 600 Angaben und Messwerte gesammelt. Die Datenenthalten Angaben zu Krankheiten der Eltern, aber auchDetails über den Zustand der Herzkranzgefäße. Der Groß-teil stammt aus Gen-Bestimmungen und Labormessun-gen: Blutwerte, Hormonspiegel, Merkmale von Abwehr-zellen usw. Es ist geplant, die Testpersonen nach einemund nach fünf Jahren erneut zu kontaktieren. Für den Zu-griff auf die Daten der inzwischen ca. 3 500 Patientinnenund Patienten zahlt das Pharmaunternehmen Aventis6,2 Mio. DM (1 800 Mark pro Person). Teil der LACORMgenannten Kooperation zwischen Aventis und dem Herz-

715 Hennen et al. 2001, S. 129.716 Hennen et al. 2001, S. 129.717 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen 2001, S. 15.718 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen 2001, S. 17.

719 Angedeutet wird diese Möglichkeit auch in der Studie von Bartramet al. 2000, S. 187.

720 Hennen et al. 2001, S. 133.

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zentrum Ludwigshafen ist, dass das Pharmaunternehmendie Datenbank durch eigene Untersuchungen erweitert.Eingefrorene Blut- und Zellproben werden von den Fir-menwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mit eige-nen Fragestellungen genetisch untersucht. Diese Datensollen dann in die Datenbank wieder einfließen. Aventisverspricht sich von dem Register, früher als bisher dieMöglichkeit abschätzen zu können, für welche Patienten-gruppe sich ein neues Medikament lohnen könnte.721

Grundsätzlich lassen sich grob zwei unterschiedliche For-schungsansätze unterscheiden: Die Untersuchungen kön-nen sich entweder punktuell auf die Analyse von Probenvon erkrankten Personen beziehen oder im Sinne eines„Datenfischzuges“ auf eine möglichst große Menge angenetischen Informationen, mit dem Ziel, die gewonne-nen Daten möglichst multivalent auszuwerten und statis-tisch relevante Zusammenhänge festzustellen.722

Ein Beispiel für letzteres Verfahren ist ein in Island derzeitdurchgeführtes Vorhaben, Gesundheitsdaten, genetischeund genealogische Daten in einer Datenbank zusammen-zuführen. Im Rahmen des Projekts sollen die genetischenDaten einzelner Personen, die medizinischen Unterlagenund Register des isländischen Gesundheitssystems sowiedie Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse vonlebenden wie verstorbenen Isländerinnen und Isländernzusammengeführt werden. Das Ziel des Vorhabens bestehtdarin, die isländische Bevölkerung möglichst in ihrer Ge-samtheit auf diese Weise zu erfassen. Die Daten sollen fürForschungen verwendet werden, die die Entwicklung vonKrankheitsdiagnosen und therapeutischen Optionen er-leichtern bzw. erst ermöglichen und die Qualität der ge-sundheitlichen Versorgung der isländischen Bevölkerungverbessern sollen. Für Aufbau, Verwaltung und Nutzungdieser Datenbank, hat die isländische Regierung der FirmadeCODE Genetics eine Lizenz für die Dauer von zwölfJahren erteilt. Ein von deCODE Genetics ihrerseits mitdem Pharma-Unternehmen Hoffmann LaRoche vereinbar-ter Kooperationsvertrag erlaubt es letzterem Unterneh-men, anhand der Gesundheitsdaten der isländischen Be-völkerung nach genetischen Ursachen für zwölfweitverbreitete Krankheiten zu forschen, und räumt ihmdie Verwertungsrechte für daraus hervorgehende Patente,Diagnostika und Medikamente ein.723 Bisher ist allerdingsnoch nicht absehbar, ob die geplante Datenbank überhauptmedizinische oder wirtschaftliche Erträge bringen wird.724

Ein ähnliches Projekt wird derzeit auch in Estland durch-geführt. Während allerdings in Island die Zustimmung zurNutzung und Speicherung der genetischen Daten automa-tisch vorausgesetzt wird („presumed consent“), muss sie inEstland erst eingeholt werden („informed consent“).

Bei diesen und ähnlichen Forschungen werden großeMengen an genetischen Daten erhoben, verarbeitet, zu-

sammengeführt und – in der Regel in pseudonymisierterForm – gespeichert. Gespeicherte DNA ist, ein bestimm-tes Zusatzwissen vorausgesetzt, immer als personenbe-ziehbar, wenn auch nicht als unmittelbar personenbezo-gen zu betrachten.725 Das macht einen besonderen Schutzgenetischer Daten im Zusammenhang wissenschaftlicherForschungsvorhaben erforderlich.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre daher beispiels-weise zu prüfen, ob es sinnvoll ist,

– ein mehrstufiges Pseudonymisierungsverfahren, mög-licherweise mit Verwahrung von Schlüsselbrücken beiTreuhänderinnen bzw. Treuhändern, als Standard fürForschungen mit humangenetischem Material vorzu-schreiben,

– das Recht von Betroffenen, eine überprüfbare Lö-schung bzw. Vernichtung ihrer bzw. seiner Proben undanderen Daten zu verlagen, durch Pseudonymisierungzu sichern,

– eine maximale Aufbewahrungsdauer für Proben recht-lich festzuschreiben und

– forschende Unternehmen dazu zu verpflichten, beientdeckten Auffälligkeiten die Depseudonymisie-rungswege zu nutzen, um die Betroffenen auch nachlängeren Zeiträumen noch über Entdeckungen, dieEinfluss auf ihren persönlichen Gesundheitszustandhaben können, zu informieren.726

Das datenschutzrechtliche Kernproblem dieser For-schung ist – neben der Anonymisierung bzw. Pseu-donymisierung der Proben und der Ergebnisse – dieTragweite der Einwilligung.727 Im Unterschied zu kon-ventionellen Formen der Datenerhebung ist für die Be-troffenen bei Forschungen mit humangenetischem Ma-terial häufig nicht überschaubar, welche Daten mitwelchem Inhalt vorliegen und von der Forscherin bzw.dem Forscher verwendet werden. Dies stellt besondereAnforderungen an den informed consent der Probandin-nen und Probanden. Damit eine Probandin bzw. ein Pro-band in eine Teilnahme an einem Forschungsvorhabennach Aufklärung einwilligen kann, muss sie bzw. ernicht nur über die Erhebung selbst, sondern auch über je-den weiteren beabsichtigten Verarbeitungszweck kon-kret informiert werden. Probandinnen und Probandenmüssen die Möglichkeit haben, die Nutzung ihrer Pro-ben zu jedem einzelnen (weiteren) Forschungszweck zuverweigern. Darüber hinaus müssen sie auch ihre infor-mierte Zustimmung zur Speicherung oder Verwertungnicht intendierter Ergebnisse geben oder verweigernkönnen.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länderschlagen in ihren „Vorschlägen zur Sicherung der Selbst-bestimmung bei genetischen Untersuchungen“ vor, dass

721 Schriftliche Mitteilung des Klinikums der Stadt Ludwigshafen amRhein gGmbH vom 26. November 2001.

722 Metschke 2001.723 Wagenmann 1999.724 Sigurdsson 2001.

725 Metschke 2001.726 Metschke 2001.727 Metschke/Wellbrock 2000, S. 47.

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eine Person vor ihrer Einwilligung zu genetischen For-schungsvorhaben insbesondere aufgeklärt werden mussüber

– „den verantwortlichen Träger des Forschungsvorha-bens oder der Sammlung,

– das Ziel der Forschung oder bei Sammlungen diemöglichen Forschungsrichtungen,

– ihre Rechte bei Patentanmeldungen und gewerblichenNutzungen,

– die Dauer der Aufbewahrung von Proben und derSpeicherung der genetischen Daten,

– Zeitpunkt und Art der Pseudonymisierung von Probenund genetischen Daten, sowie über die mögliche Wie-derherstellung der Zuordnung zur betroffenen Person,

– ihr Recht – vorbehaltlich der pseudonymisierten Ver-arbeitung nach Beendigung des Forschungsvorhabens(...) – die Vernichtung der Probe und die Löschung dergenetischen Daten oder die Aufhebung der Zuord-nungsmöglichkeit zu verlangen, wenn sie die Einwil-ligung widerruft,

– ihr Recht, Ergebnisse von Untersuchungen nicht zurKenntnis zu nehmen oder unter Nutzung eines darzu-stellenden Ent-Pseudonymisierungsverfahrens zu er-fahren,

– ihr Recht, Auskunft über die zu ihr gespeicherten ge-netischen Daten zu verlangen.

– Die Aufklärung hat schriftlich und mündlich zu erfol-gen.“728

Dieser Vorschlag scheint den Mitgliedern der Kommis-sion richtungsweisend.

Dies gilt in besonderer Weise für Forschungsvorhaben anbereits erkrankten Menschen. Auch diese Forschung istaus wissenschaftlicher Sicht erforderlich, da die Untersu-chung zahlreicher genetischer Erkrankungen eine Einbe-ziehung von Patientinnen und Patienten sowie deren Fa-milienangehörigen erfordert. Bereits erkrankte Menschenfühlen sich erfahrungsgemäß häufig jedoch viel stärkerals nicht erkrankte Menschen zu einer Teilnahme an For-schungsvorhaben verpflichtet, von denen sie selbst nichtprofitieren.729

Besonders problematisch sind in Hinsicht auf den erfor-derlichen informed consent genetische Untersuchungen,bei denen gleichzeitig mehrere genetische Merkmale ge-testet werden. Medizinische Laien können in aller Regeldurch ein Aufklärungsgespräch (oder eine schriftlicheAufklärung) die ganze Reichweite der erteilten Einwilli-gung nicht erfassen, wenn ihre Probe für viele Testsgleichzeitig genutzt werden soll. Nach derzeitiger daten-schutzrechtlicher Auffassung wäre eine Einwilligung, diesich auf eine unbegrenzte Anzahl künftiger Forschungs-vorhaben oder auf nicht konkretisierte Forschungsvorha-

ben bezieht, über die sich die Betroffenen noch keine Vor-stellung machen können, daher unzulässig.730

Zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestim-mung von Probandinnen und Probanden ist im Zusammen-hang von Forschungen mit humangenetischem Materialdarüber hinaus eine strikte Einhaltung der Zweckbindunggenanalytischer Untersuchungen von großer Bedeutung.Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil wissenschaftli-che Erkenntnisfortschritte und neue Fragestellungen dieVersuchung zur Erhebung von Überschussinformationenund zur zweckverändernden Nutzung von Proben undGendaten erhöhen. Nach der Erfahrung der Datenschutz-beauftragten sind die einschlägigen diesbezüglichen da-tenschutzrechtlichen Regelungen im Forschungsbereichnicht immer bekannt und bereiten zum Teil Probleme beider Umsetzung.731

Insbesondere die Kontrollmöglichkeiten der Datenschutz-beauftragten reichen derzeit nicht aus, um unzulässigeZweitauswertungen genetischer Daten oder ihre Deano-nymisierung durch den Vergleich mit anderen Daten zuverhindern oder sicherzustellen, dass Daten auf Wunschder Probandin bzw. des Probanden wirklich gelöscht wer-den. Eine effektive Kontrolle scheitert vor allem daran,dass den Datenschützern eine Verarbeitung von Gendatenhäufig gar nicht zur Kenntnis gelangt. GendatenbezogeneForschungsvorhaben müssen den zuständigen Daten-schutzbeauftragten zurzeit nicht vorgelegt werden.732 VonDatenschutzbeauftragten wird daher gefordert, dass ent-sprechende Forschungsvorhaben regelmäßig den zustän-digen Datenschutzinstitutionen vorgelegt werden sollten.

Ein besonderes Problem der Forschung mit humangeneti-schem Material schließlich betrifft die Frage der Beratung.Grundsätzlich gilt, dass eine Beratung vor Testdurch-führung um so dringlicher erforderlich ist, je gravierenderdie möglichen Auswirkungen eines Testergebnisses fürdie bzw. den Betroffenen sein können. Es gehört aber ge-rade zu den Kennzeichen wissenschaftlicher Forschung,dass sich zu Beginn des Vorhabens nicht abschätzen lässt,ob überhaupt bzw. in welcher Intensität dessen Ergebnissefür die Probandinnen und Probanden von Bedeutung sind.

2.2.2.4 Gentests an einwillungsunfähigenPersonen

Ein besonderes Problem stellen Gentests an Personen dar,die ihre Zustimmung zur Durchführung eines Gentestsnicht selbst erteilen können. Hierzu gehören sowohlnichteinwilligungsfähige erwachsene Personen als auchnichteinwilligungsfähige Kinder. Die Durchführung einesGentests stellt einen Eingriff in die Integrität der geteste-ten Person dar, dem eine nach umfassender Aufklärungerfolgte persönliche Zustimmung vorausgehen muss undder in der Regel nur durch diese gerechtfertigt ist. Einesolche persönliche Zustimmung ist bei nichteinwilli-gungsfähigen Personen aber gerade nicht möglich.

728 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001b.729 Metschke/Wellbrock 2000, S. 47f.

730 Metschke/Wellbrock 2000, S. 29.731 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.732 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 153 – Drucksache 14/9020

Eine genetische Untersuchung kann unter Umständen je-doch zum Wohl des Betroffenen erforderlich sein, wenndadurch der Gesundheitszustand positiv beeinflusst wer-den kann, weil sich aus ihr präventive, prophylaktischeoder therapeutische Konsequenzen ableiten lassen.

In verschiedenen Dokumenten wird daher gefordert, gene-tische Tests bei nichteinwilligungsfähigen Personen zwarnicht grundsätzlich auszuschließen, aber an einschrän-kende Voraussetzungen zu binden. Beispielsweise hat derEthik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit inseinem Eckpunktepapier empfohlen, die Durchführungvon prädiktiven Gentests an nichteinwilligungsfähigen Er-wachsenen von der Einwilligung eines gegebenenfalls zubestellenden Betreuers abhängig zu machen und nur zuzu-lassen unter der Voraussetzung, dass:

– „der oder dem Betreffenden ohne eine solche Unter-suchung Leiden oder gesundheitliche Nachteile dro-hen, und

– wirksame präventive oder prophylaktische Maßnah-men zur Verfügung stehen, und nach nachweislich ge-sicherter Erkenntnis für die oder den Betreffende/n einekonkrete Heilungsaussicht besteht (Heilversuch), und

– die Risiken des dafür notwendigen gendiagnostischenEingriffs geringer sind als der erwartete Nutzen für dieoder den Betroffene/n selber, und

– der Betreuer beraten worden ist (hier gelten die unterPunkt 5 formulierten Anforderungen).“733

In den USA wurden von den Autorinnen und Autoren desGenetic Privacy Act ebenfalls Empfehlungen für geneti-sche Untersuchungen an Minderjährigen und nichtein-willigungsfähigen Erwachsenen formuliert. Von Minder-jährigen unter 16 Jahren dürfen dem Entwurf zufolgekeine identifizierenden DNA-Proben gewonnen oder ana-lysiert werden, die die Existenz eines Gens nachweisensollen, das nach medizinischem Urteil voraussichtlichkeine Krankheitszeichen oder -symptome hervorrufenwird, bevor die bzw. der Betroffene 16 Jahre alt gewordenist. Ausnahmen sollen nur unter der Voraussetzung zuläs-sig sein, dass eine effektive Interventionsmöglichkeit exis-tiert, die dazu geeignet ist, den Ausbruch einer Krankheitzu verhindern oder zu verzögern bzw. deren Schweregradabzumildern, und die greift, bevor die betroffene Person16 Jahre alt geworden ist.

Im Hinblick auf genetische Untersuchungen bei nichtein-willigungsfähigen Erwachsenen empfiehlt der GeneticPrivacy Act, solche Untersuchungen nur für folgendeZwecke zuzulassen:

(A) „Diagnose der Ursache der Inkompetenz oder

(B) Diagnose eines genetisch bedingten Zustands-bilds, das nach sachkundigem ärztlichem Urteilnur so lange wirksam gebessert, verhütet oderbehandelt werden kann, wie die Probenquelle in-kompetent ist oder

(C) Diagnose einer Erbkrankheit eines Elternteils,Geschwisters, Kindes oder Enkelkindes der Pro-benquelle, soweit die Krankheit nach sachkundi-gem ärztlichem Urteil wirksam gebessert, verhü-tet oder behandelt werden kann.“734

Die Untersuchung, der eine Vertreterin bzw. ein Vertreterder betroffenen Person vorab nach Aufklärung zuge-stimmt haben muss, soll dem Entwurf zufolge auf jeneAspekte beschränkt bleiben, die für die Diagnose erfor-derlich sind.

Gentests an nichteinwilligungsfähigen Personen, die aus-schließlich dem Wohle Dritter dienen, werden überwie-gend abgelehnt. Ausnahmen von diesem Prinzip sieht derschweizerische Entwurf für ein Bundesgesetz über geneti-sche Untersuchungen beim Menschen vor. Die gesetzlicheVertreterin bzw. der gesetzliche Vertreter der betroffenenPerson kann dem Entwurf zufolge einer genetischen Un-tersuchung im Drittinteresse auch dann zustimmen, wenneine schwere Erbkrankheit in der Familie sich auf eineandere Weise nicht abklären lässt. Eine solche Untersu-chung im Drittinteresse soll jedoch immer dann unzuläs-sig sein, wenn der betroffenen Person damit Risiken auf-gebürdet würden, die nicht als geringfügig zu bewertensind, also über eine bloße Speichel- oder Blutentnahmehinausgehen.735

Als besonders problematisch werden allgemein auch Un-tersuchungen an Minderjährigen auf spätmanifestierendeErkrankungen wie die Huntington-Krankheit angesehen,für die keine anerkannten, auf die Gesundheit der Betrof-fenen bezogenen medizinischen Interventionsmöglich-keiten zur Verfügung stehen. Eine solche Untersuchungverstößt in der Regel gegen das Recht auf Nichtwissen derbetroffenen minderjährigen Person. Der Respekt vor derindividuellen Entscheidungsautonomie der betroffenenPerson muss daher gegenüber eventuellen WünschenDritter Vorrang haben. In diesem Sinne empfiehlt bei-spielsweise auch die Kommission für Öffentlichkeitsarbeitund ethische Fragen der Gesellschaft für Humangenetik,dass solche Tests so lange zurückgestellt werden sollten,bis die betroffene Person nicht nur den genetischen Sach-verhalt, sondern auch die emotionalen und sozialen Kon-sequenzen der verschiedenen möglichen Untersuchungs-ergebnisse verstehen kann. Ein solches Verständnis sei inder Regel erst ab dem 18. Lebensjahr gegeben.736

Anders als andere Felder der medizinischen Forschunggreift die genetische Forschung weniger in die physischeIntegrität und mehr in die psychische Integrität von Pati-enten und Probanden ein. Nicht immer zeigen die for-schenden Ärztinnen und Ärzte hierfür eine angemesseneSensibilität. Bei der Prüfung genetischer Forschungsvor-haben durch die zuständige Ethikkommission sollten dieAntragsteller daher grundsätzlich verpflichtet werdendarzulegen, mit welchen Maßnahmen der Schutz der

733 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 11.

734 Annas et al. 1995, part E., sec. 144 (Übersetzung).735 Bundesamt für Justiz (Schweiz) 1998b, S. 28.736 Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Ge-

sellschaft für Humangenetik 1995.

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Drucksache 14/9020 – 154 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Persönlichkeitsrechte in dem Forschungsvorhaben ge-wahrt werden soll.

Ein besonderes Problem stellt die Erforschung von ge-netischen Ursachen von Behinderungen dar, wenn die be-troffenen Personen in Heimen oder anderen geschlossenenInstitutionen leben. Die Erfahrung mit der unerlaubten ge-netischen Forschung von Seiten des Instituts für Human-genetik der Universität Würzburg in einem nahegelegenenHeim für geistig Behinderte hat gezeigt, dass auf der Seiteder forschenden Ärztinnen und Ärzte offensichtlich ein geringes Problembewusstsein, was Eingriffe in die Per-sönlichkeitsrechte von Menschen mit geistigen Behinde-rungen angeht, bestand. Dem Schutz der Persönlichkeits-rechte von Menschen mit geistigen Behinderungen undvon Menschen, die in Heimen und anderen Institutionenleben, sollte daher in Bezug auf die genetische Forschungbesondere Beachtung geschenkt werden.737

2.2.2.5 Genetische Reihenuntersuchungen(Screening)

2.2.2.5.1 Chancen und Risiken genetischerReihenuntersuchungen

Der Nutzen genetischer Reihenuntersuchungen für dieTestpersonen und für die Gesellschaft, sowie die mit Scre-enings verbundenen Risiken werden kontrovers disku-tiert. Die Befürworterinnen und Befürworter genetischerReihenuntersuchungen sehen deren Nutzen vor allem in

– der präsymptomatischen Entdeckung von Erkrankun-gen oder Krankheitsdispositionen mit dem Ziel derPrävention, der frühen Diagnose, der Versorgung undder Behandlung,

– der Auffindung von genetischen Empfindlichkeitengegenüber Umweltfaktoren mit dem Ziel der Vermei-dung von Schädigungen und

– der Entdeckung von Anlageträgerschaften mit demZiel der Ermöglichung von Reproduktions- und Le-bensstil-Entscheidungen.

Als mögliche negative Folgen der Durchführung von ge-netischen Screenings werden vor allem genannt:

– die bei den Testpersonen möglicherweise durch Infor-mationen, die ihnen keine persönliche Wahlmöglich-keiten im Hinblick auf therapeutische Optionen oderpräventive Maßnahmen lassen oder die nur sehrschwer zu verstehen und zu interpretieren sind, her-vorgerufene Angst,

– unzulässiger Druck auf die Testpersonen,

– soziale Stigmatisierung von Personen mit einem er-höhten genetischen Risiko,

– soziale Stigmatisierung von Personen, die sich derTeilnahme an einer Screening-Maßnahme verweigern,

– Enthüllung von Informationen über Familienan-gehörige, die einer Testung nicht zugestimmt haben,

– Missbrauch der Information und Diskriminierung auf-grund der Testergebnisse durch Dritte, z. B. Versiche-rungsunternehmen und Arbeitgeberinnen oder Arbeit-geber.738

Die Durchführung von genetischen Reihenuntersuchun-gen in der Gesamtbevölkerung oder in spezifischen Be-völkerungsgruppen ist daher als äußerst problematischanzusehen und bedürfte einer sorgfältigen Vorbereitung.Sie muss an die Einhaltung grundlegender ethischer Stan-dards geknüpft werden, sollen die von Reihenuntersu-chungen ausgehenden Risiken ihren möglichen Nutzennicht überwiegen.

Den Empfehlungen der European Society for Human Ge-netics (ESHG) zufolge sind genetische Screenings nur un-ter den folgenden Voraussetzungen gerechtfertigt:

„III. Kriterien für die Einführung genetischer Scree-ning-Programme

III-1. Ein Screening-Programm sollte nur erwogenwerden, wenn sowohl aus der Sicht der Fach-leute als auch nach Auffassung der Patientenund der breiten Öffentlichkeit allgemeineÜbereinstimmung über die von dem Pro-gramm erwarteten Vorteile besteht, im Hin-blick auf die Zahl der betroffenen Menschenoder den Schweregrad ein bedeutsames Ge-sundheitsproblem gegeben ist, der gescreen-ten Person je nach den Testergebnissentatsächlich ein Eingriff bevorsteht oder vonihr eine Entscheidung zu treffen ist und eingeeigneter Test mit bekanntem Vorhersage-wert verfügbar ist.

III-2. Da mit einem genetischen Screening potenzi-elle Schädigungen verbunden sind, sollte einProgramm nur erwogen werden, wenn die Vor-teile den Schaden eindeutig überwiegen. DerVorteil und der Schaden für die gescreente Per-son ist zuerst zu prüfen, bevor an die Verwand-ten gedacht wird, insbesondere beim Screeningvon Neugeborenen und Kindern. Vorteile undSchäden sollten im Rahmen von Pilotprogram-men und unter Berücksichtigung ihrer kultu-rellen Dimension evaluiert und interpretiertworden sein.

III-3. Vor der Einleitung breit angelegter Screening-Programme müssen alle Alternativen geprüftwerden.“739

2.2.2.5.2 Einschränkung auf Tests, diemedizinischen Zwecken dienen

Angesichts der besonderen, mit der Durchführung vonScreening-Maßnahmen verbundenen Risiken und der be-

737 Dörner/Spielmann 2001; Dörner 2001b.

738 Vgl. European Society of Human Genetics/Public and ProfessionalPolicy Committee 2000a (Übersetzung).

739 European Society of Human Genetics/Public and Professional Po-licy Committee 2000a (Übersetzung).

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sonderen Sensibilität genetischer Daten wird allgemeindie Auffassung vertreten, dass genetische Reihenuntersu-chungen nur unter der Voraussetzung als gerechtfertigtangesehen werden können, dass sie – zumindest auch – imgesundheitlichen Eigeninteresse der Testperson liegen.Insbesondere werden solche Screening-Maßnahmen ab-gelehnt, die mit eugenischen Zielsetzungen verbundensind und auf eine „Verbesserung“ der genetischen Aus-stattung der Bevölkerung zielen.

Begründet wird die Einschränkung genetischer Reihen-untersuchungen auf krankheitsrelevante Merkmale, fürdie eine präventive oder therapeutische Handlungsoptionzur Verfügung steht, auch damit, dass allein die Möglich-keit einer gezielten Krankheitsprävention es rechtfertigenkönne, eine Gruppe von Menschen, für die keine indivi-duelle Testindikation vorliegt, aktiv mit einem Gentest-Angebot zu konfrontieren.740

2.2.2.5.3 Aufklärung und BeratungGeht man davon aus, dass es sich bei den Teilnehmerin-nen und Teilnehmern an genetischen Reihenuntersuchun-gen um Menschen handelt, für die keine individuelle In-dikation zur Untersuchung vorliegt, und folgt man demGrundsatz, dass die Anforderungen an die Aufklärung undBeratung um so höher sind, je weniger eine Maßnahme in-diziert ist, so müssen an die Aufklärung und Beratung imHinblick auf genetische Reihenuntersuchungen entspre-chend besonders hohe Anforderungen gestellt werden.

Die Komplexität genetischer Zusammenhänge, die ehergeringen Kenntnisse über diese in der Öffentlichkeit unddie begrenzten Kapazitäten der Informationsvermittlungund der Beratung geben jedoch Anlass zur Skepsis, ob diein der Regel zur Verfügung gestellten Informationentatsächlich ausreichen, um die Betroffenen in die Lage zuversetzen, der Maßnahme informiert zuzustimmen, bzw.ob eine umfassende Aufklärung überhaupt gewährleistetwerden kann. Vorliegende Erfahrungen mit Screening-Angeboten zeigen jedenfalls nicht nur, dass die Bereit-schaft zur Teilnahme vom Umfang und der Qualität dervorausgehenden Beratung abhängen, sondern auch, dasseine angemessene Aufklärung und Beratung in vielen Fäl-len nicht gewährleistet ist:

„Informationsgebung allein reicht nicht aus; es mußvielmehr auch gewährleistet sein, daß die Informationverstanden wird und Entscheidungen aus dem persön-lichen biographischen Kontext, dem individuellen Lebensentwurf heraus getroffen werden können. Allegenetischen Screening-Programme kranken an derTatsache, daß sie mit unzureichenden Beratungsange-boten einhergehen.“741

Insbesondere von Seiten der Datenschutzbeauftragtenwerden unterschiedliche Aufklärungsstandards zwischenRoutineuntersuchungen und (diagnostischen bzw. prädik-tiven) Einzeluntersuchungen jedoch abgelehnt. Für die

betroffene Person sei es unerheblich, wie häufig der Gen-test (routinemäßig) auch bei anderen Personen durchge-führt werde, da er seine potenziell einschneidende Wir-kung für jedes einzelne Individuum unabhängig davonbehalte. Die Aufklärung habe sich allerdings auf den je-weiligen Testgegenstand zu beziehen, der von unterschied-licher Bedeutung für die Probandinnen und Probanden seinkönne. Auch könne die Aufklärung bei Routineuntersu-chungen – zusätzlich – auf standardisierte Merkblätter undHinweise gestützt werden, die bei Einzeluntersuchungenkaum in Betracht kämen. Der Informationsstandard dürfedabei jedoch nicht herabgesetzt und das Verständnis derProbandinnen und Probanden müsse in jedem Falle si-chergestellt werden.742

Die grundlegende Bedeutung einer qualifizierten Auf-klärung und Beratung vor der Durchführung eines geneti-schen Screenings wird durch die Tatsache unterstrichen,dass die Akzeptanzrate und damit die Mitwirkungsbereit-schaft in nicht geringem Umfang auch von der Art der In-formationsvermittlung abhängt. Die Akzeptanzraten sind,wie vorliegende Erfahrungen mit Reihenuntersuchungengezeigt haben, um so höher, „je größer der Nachdruck ist,mit dem die Testanbieter ihr Programm anbieten, und jedürftiger die Informationen sind, die begleitend gegebenwerden.“743

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Screening-Ver-fahren stellt die Tatsache, dass davon ausgegangen wer-den muss, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nichtoptimal aufgeklärt werden (können), eine besondereRechtfertigungshürde dar. Die angedeuteten Problemewerden häufig als zusätzliches Argument dafür angeführt,genetische Reihenuntersuchungen auf solche Screening-Angebote zu beschränken, die mit einem großen und klarerkennbaren benefit für die getesteten Personen verbun-den sind.744

Unter Datenschutzaspekten ergibt sich das Problem, dassdurch Screening-Verfahren umfassende Proben- undGendatenbanken mit personenbezogenen Daten aufge-baut werden könnten. Die Datenschutzbeauftragten desBundes und der Länder empfehlen, diese Möglichkeit ge-setzlich zu untersagen.

2.2.2.5.4 HeterozygotenscreeningGleiches gilt in besonderem Maße auch für solche Ange-bote, bei denen gleichzeitig auf mehrere Merkmale getes-tet werden soll, oder für Gruppenuntersuchungen zurIdentifikation von heterozygoten Überträgerinnen bzw.Überträgern rezessiver Krankheitsallele. In beiden Fällenist eine zuverlässige Aufklärung kaum zu gewährleisten.Aus diesem Grund lehnt beispielsweise auch die Gesell-schaft für Humangenetik e.V. (GfH) die Durchführungvon Heterozygotenscreenings in ihrem Positionspapier

740 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 12.741 Schmidtke 1997, S. 250f.

742 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder 2001a.743 Schmidtke 1997, S. 249.744 Mündliche Mitteilung Prof. Jörg Schmidtke im Rahmen der nicht-

öffentlichen Anhörung am 26. März 2001.

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von 1996 unter den derzeit gegebenen Rahmenbedingun-gen ab:

„Voraussetzung für ein Bevölkerungsscreening wäreneben der umfassenden und sachgerechten Auf-klärung der Bevölkerung die Sicherstellung der Frei-willigkeit der Teilnahme an einer Untersuchung unddie Einsichtsfähigkeit der zu untersuchenden Perso-nen in die Tragweite ihrer Entscheidung sowie die Si-cherstellung der Qualifikation der für die Beratungund Untersuchung Verantwortlichen und eine vorher-gehende Evaluation eventueller Risiken. Die GfHlehnt ein solches Bevölkerungsscreening zum jetzigenZeitpunkt deshalb ab, weil die Rahmenbedingungenhierfür nicht gegeben sind. Dies betrifft sowohl dieAufklärung der Öffentlichkeit, als auch die Sicherstel-lung der erforderlichen qualifizierten Beratung unddie Durchführung wissenschaftlicher Projekte, auf de-ren Grundlage weitere Entscheidungen gefällt werdenkönnten.“745

Darüber hinaus wird gegen Screening-Untersuchungenauf heterozygote Krankheitsallele, die bei der Trägerinbzw. dem Träger selbst nicht zu einer Erkrankung führen,geltend gemacht, dass es sich hierbei nicht um Tests han-dele, die der Vermeidung einer Krankheit bei der geteste-ten Person dienen.746

Zu bedenken ist weiterhin, dass genetische Reihenunter-suchungen auf nichtbehandelbare Krankheiten in der Fol-gegeneration immer auch eine eugenische Komponentehaben, insofern sie auf das gesellschaftliche Ziel gerich-tet sind, dass Menschen ihre Familienplanung u. a. nachgenetischen Testergebnissen ausrichten.747

2.2.2.6 Pharmakogenetische DiagnostikDie Therapie mit Arzneimitteln stellt einen essenziellenBestandteil der ärztlichen Tätigkeit dar. Im Durchschnittverordnet jede Allgemeinärztin und jeder Allgemeinarztjährlich ca. 12 000 Arzneimittel. Dabei verschreiben niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in etwa 400 bis 600 verschiedene Arzneistoffe.

Die Arzneimitteltherapie steht insbesondere vor zweigroßen Problemen: Für alle Arzneimittelgruppen ist festzu-stellen, dass trotz exakter Diagnose, richtiger Indikations-stellung und korrekter Dosierung bei einem Teil der Pa-tientinnen und Patienten keine therapeutische Wirkungerzielt werden kann. So sprechen z. B. 15 bis 20 % der Pa-tientinnen und Patienten nicht auf eine Behandlung mit Be-tarezeptorblockern an. Das zweite Problem stellen uner-wünschte Arzneimittelwirkungen dar. Ca. 6 % bis 7 % allerKrankenhausaufnahmen gehen auf solche unerwünschtenWirkungen zurück; in der Todesursachenstatistik stehenunerwünschte Arzneimittelwirkungen an sechster bis vier-ter Stelle. Eine Untersuchung aus Großbritannien kommt

zu dem Ergebnis, dass eine von 15 Krankenhaus-Einwei-sungen auf unerwünschte Nebenwirkungen von Medika-menten zurückzuführen ist. Einer US-amerikanischenStudie zufolge sterben in den USA jährlich 106 000 Pati-entinnen und Patienten aufgrund adverser Reaktionennach der Gabe von Arzneimitteln, rund 2,2 Millionen Pa-tientinnen und Patienten werden dadurch verletzt.748 Häu-fig sind unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamen-ten auf eine Über- bzw. Unterdosierung zurückzuführen,da die Patientinnen und Patienten in der Regel eine Stan-darddosierung mit geringer Variabilität erhalten. GenaueAussagen darüber, in welchem Umfang pharmakogeneti-sche Effekte bei unerwünschten Arzneimittelwirkungentatsächlich eine Rolle spielen, können zum gegenwärtigenZeitpunkt nicht getroffen werden.749

Durch die Implementierung pharmakogenetischer Metho-den in die Arzneimittelentwicklung und die therapeutischePraxis soll die Behandlung von Patientinnen und Patien-ten, indem sie individualisiert und risikoadaptiert erfolgt,insgesamt sicherer, effektiver und verträglicher gemachtwerden. So könnten beispielsweise Patientinnen und Pa-tienten, die für Nebenwirkungen von Arzneimitteln emp-findlich sind, frühzeitig informiert und geschützt werden.Eine hohe Wirksamkeit therapeutischer Interventionenkönnte möglicherweise bereits zu Beginn der Behandlungerreicht werden, indem für Patientinnen und Patientenfrühzeitig das richtige Arzneimittel in der optimalen Do-sierung gefunden werden kann. Monitoring-Maßnahmenauf mögliche toxische Wirkungen verabreichter Arznei-mittel könnten unter Umständen erheblich reduziert wer-den. Kosten, die durch die Verschreibung ineffektiver Arz-neimittel entstehen (sowie durch die Behandlung dadurchhervorgerufener Nebenwirkungen), ließen sich möglicher-weise vermeiden. Die erforderliche Anzahl an Arztbesu-chen könnte möglicherweise reduziert werden.750

Von Seiten der Zulassungsbehörden und auch der phar-mazeutischen Industrie könnte zukünftig, wie bereits jetztbei Herceptin, die Vorgabe gemacht werden, dass die Ver-schreibung eines Arzneimittels nur zulässig ist, wenn aufder Grundlage einer entsprechenden molekulargenetischenDiagnostik die Therapie erfolgversprechend erscheint. Sogenannte „Blockbuster“-Arzneimittel könnten auf dieseWeise an Bedeutung verlieren, die Zielgruppen für be-stimmte Arzneimittel könnten kleiner werden.

Dieser Entwicklung stehen jedoch große ökonomischePotenziale gegenüber, die die Entwicklung von „maßge-schneiderten Medikamenten“ für die pharmazeutische In-dustrie attraktiv macht:

– „Teilweise extrem teure Fehlschläge bei der Medika-mentenentwicklung in der klinischen Prüfungsphase IIIkönnten vorhergesehen und damit vermieden werden.

– Bei einer früheren klinischen Prüfung durchgefalleneMedikamente könnten ‚gerettet‘ werden, wenn ihre

745 Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Ge-sellschaft für Humangenetik e.V. 1996.

746 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 12.747 Vgl. Schmidtke 1997, S. 247.

748 Vgl. die Belege bei Wolf et al. 2000.749 Eichelbaum 2001.750 Bayertz et al. 2001, S. 289; Feuerstein et al. (im Erscheinen).

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Eignung für bestimmte Patienten pharmakogenetischnachgewiesen würde.

– Eventuell könnten ‚alte‘, patentschutzfreie Medika-mente mit einer pharmakogenetisch spezifiziertenWirkungsbeschreibung ‚wiederbelebt‘ werden.

– Die Entwicklung von Medikamenten für kleine Pati-entenkollektive könnte vereinfacht und damit ökono-misch erst rentabel werden. Bei ethnisch korreliertenEmpfindlichkeitsunterschieden könnten davon zumeinen Bevölkerungsminderheiten profitieren, zum an-deren würde eine Zulassung des Medikaments für dasPharmaunternehmen in weiteren Ländern – mit ent-sprechender Mehrheitsbevölkerung – leichter zu er-langen sein.“751

Wie weit diese Erwartungen realistisch sind, ist derzeitnoch schwer einzuschätzen.

Den erhofften positiven Effekten der Pharmakogenetikstehen jedoch eine Reihe von Problemen und Risiken ge-genüber. Diese beziehen sich vor allem auf die Sicherheitder mit Hilfe pharmakogenetischer Methoden entwickel-ten Arzneimittel, die Sicherstellung des informed consentvon getesteten Personen, Probleme des Daten- und Per-sönlichkeitsschutzes, die Gefahr einer Stigmatisierung undDiskriminierung von Menschen. Feuerstein et al. bemän-geln allerdings ein derzeit bestehendes „dramatisches De-fizit an der Erforschung und Bearbeitung der möglichenImplikationen“ der Pharmakogenetik. Es gebe bislang„praktisch keine Untersuchungen (...), in denen die spezi-fischen Konsequenzen der Erfassung und Nutzung indi-vidueller pharmakogenetisch relevanter Unterschiede inMedizin und Gesundheitswesen genauer analysiert wer-den.“752 Die Enquete-Kommission sieht hier erheblichenKlärungsbedarf.

2.2.2.6.1 SicherheitDie Implementierung der Pharmakogenetik in die Arznei-mittelforschung und -entwicklung könnte, wie Expertinnenund Experten hoffen, zu einer Beschleunigung klinischerStudien und zu einer Verringerung der Anzahl an für klini-sche Studien rekrutierten Probandinnen und Probandenführen, indem jene Menschen ausgeschlossen werden, de-ren Gentest einen Hinweis darauf gibt, dass bei ihnen mitunerwünschten Nebenwirkungen bzw. mit einem negativenBehandlungserfolg zu rechnen ist. Dies würde nicht nurdazu führen, dass klinische Studien kleiner, schneller undkostengünstiger werden könnten, sondern auch die für Pro-bandinnen und Probanden mit der Teilnahme an klinischenStudien verbundenen Risiken minimieren.

Die Verringerung der Anzahl der für klinische Studien er-forderlichen Probandinnen und Probanden könnte ande-rerseits jedoch dazu führen, dass sehr seltene uner-wünschte Reaktionen auf Medikamente, die erst dannauftreten, wenn das Arzneimittel einer großen Zahl vonPatientinnen und Patienten verabreicht wird, „unsichtbar“

bleiben. Die im Rahmen eines pharmacogenetic profilingerfolgende Differenzierung in diagnostische Subgruppenkönnte die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung solcherunerwünschten Nebenwirkungen in klinischen Studienreduzieren und damit die Gefahr erhöhen, dass Medika-mente auf den Markt kommen, die seltene, aber mögli-cherweise gefährliche Nebenwirkungen aufweisen.753

2.2.2.6.2 Freiwilligkeit und informed consentBei pharmakogenetischen Untersuchungen muss sicher-gestellt sein, dass die Probenspenderin bzw. der Proben-spender der Gewinnung und Verwendung der genetischenInformation vorausgehend nach Aufklärung zugestimmthat. Dieser informed consent muss die in C2.2.1.3 Prinzipder Freiwilligkeit genannten Bedingungen für genetischeTests erfüllen.

Dies gilt derzeit vor allem für die Teilnahme an pharma-kologisch-epidemiologischen Studien, die dazu dienen,Gene zu identifizieren, die für die Aufnahme, Wirksamkeitund den Abbau von Wirkstoffen im menschlichen Orga-nismus verantwortlich sind. Hier stellt sich beispielsweisedie Frage, wie „eng“ oder „weit“ eine gültige Zustimmungformuliert sein muss. Zu klären ist auch die Frage, ob ohneausdrückliche Einwilligung der Betroffenen deren DNAauf neue Gene bzw. Mutationen untersucht werden darf.Dieses Problem stellt sich insofern, als im Rahmen dieserForschung umfangreiche DNA-Gewebebanken angelegtwerden. In der Regel geben deutsche Ethikkommissionenihre Zustimmung zu Studien jedoch nur unter der Bedin-gung, dass definierte Gene untersucht werden. Da bisherjedoch nur ein Teil der Gene hinsichtlich ihrer Funktionenund Mutationen bekannt bzw. untersucht worden ist, kannauf existierende Banken nicht zurückgegriffen werden.Dies bedeutet nach Auffassung mancher Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler eine erhebliche Verschwen-dung von Ressourcen. Insbesondere bei sehr seltenen Er-krankungen sei es darüber hinaus häufig sehr schwierig,entsprechende Untersuchungsmaterialien zu gewinnen.754

Bei der Anwendung pharmakologischer Diagnostik inder medizinischen Praxis müssen, wie bei allen anderenDNA-analytischen Untersuchungen auch, die Freiwillig-keit der Teilnahme sowie eine informierte Zustimmungzur Testdurchführung durch die Betroffenen gewährleis-tet sein. Dies setzt voraus, dass sowohl die Anbieterinnenund Anbieter als auch die Nutzerinnen und Nutzer phar-makogenetischer Tests (zumindest) grundlegende Kennt-nisse über den Gebrauch, die Interpretation und die Im-plikationen pharmakogenetischer Tests haben müssen. Inder Praxis könnte dies zu Problemen führen, wenn phar-makologische Tests in großer Zahl routinemäßig in Arzt-praxen oder auch Apotheken durchgeführt werden. Eineangemessene Aufklärung über komplexe genetische Zu-sammenhänge kann dann möglicherweise bereits auspragmatischen Gründen nicht mehr sichergestellt wer-den. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn es

751 Hennen et al. 2001, S. 44.752 Feuerstein et al. (im Erscheinen).

753 Parliamentary Office of Science and Technology 2000, S. 72.754 Eichelbaum 2001.

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gelänge, pharmakogenetische DNA-Chips zu ent-wickeln, mit denen eine Vielzahl pharmakologisch inte-ressanter Informationen gleichzeitig gewonnen werdenkönnen.

2.2.2.6.3 Daten- und PersönlichkeitsschutzProbleme des Daten- und Persönlichkeitsschutzes ergebensich durch die Pharmakogenetik sowohl im Zusammen-hang der Forschung als auch der Anwendung. Im Zusam-menhang pharmako- und toxigenomischer bzw. pharma-kogenetisch-epidemiologischer Forschung werdenumfangreiche DNA-Gewebebanken angelegt und großeMengen an genetischen Daten produziert. Hierbei handeltes sich in der Regel um faktisch anonymisierte Daten, diekeinen Rückbezug zu sonstigen Daten der Probenspende-rin bzw. des Probenspenders ermöglichen. Dabei sindgrundlegende Erfordernisse des Datenschutzes zu beach-ten: Beispielsweise muss sichergestellt sein, dass kein füreine Reidentifikation ausreichendes Zusatzwissen (undkeine Möglichkeit zu einer Referenzanalyse) besteht.Nach Auffassung des Verbandes Forschender Arzneimit-telhersteller besteht hier auf „europäischer und internatio-naler Ebene (...) noch erheblicher Harmonisierungsbedarf,da es derzeit in den einzelnen Staaten sehr unterschiedli-che und sich zum Teil auch widersprechende Vorschriftenoder Empfehlungen gibt.“755

Die Implementierung pharmakologischer Diagnostikwürde zu einer massiven Ausweitung der Testpraxis undebenfalls dazu führen, dass große Mengen an geneti-schen Daten produziert werden. Dies wäre insbesonderedann der Fall, wenn die Gabe eines Arzneimittels, wiebei Herceptin, bereits im Zulassungsverfahren an dievorausgehende Durchführung eines Gentests geknüpftwird. Bei den auf diese Weise gewonnenen Informatio-nen handelt es sich um personenbezogene Daten, dieAufschluss über die für die Medikamentenwirkung rele-vanten Polymorphismen der getesteten Person geben.Die Verfügbarkeit dieser Daten wirft die Frage nach denZugriffsmöglichkeiten auf, da die durch pharmakogene-tische Diagnostik erhobenen Daten gleichzeitig auchdurch Informationen zu genetisch bedingten Krankheits-dispositionen überlagert sein können. z. B. sind bei arz-neimittelabbauenden Enzymen und Transportern be-stimmte Mutationen bei entsprechender Expositiongegenüber kanzerogenen Stoffen mit einem erhöhtenKrebsrisiko verbunden.756 Informationen aus pharmako-genetischer Diagnostik sind daher unter Umständenauch für Dritte (Versicherungsunternehmen, Arbeitgebe-rinnen und Arbeitgeber) von Interesse. Beispielsweisestellt sich die Frage, ob bestimmte Ergebnisse pharma-kogenetischer Tests, die z. B. auch Hinweise auf eine er-höhte Krankheitsanfälligkeit enthalten können, unter dievorvertragliche Anzeigepflicht in der Lebens- oderKrankenversicherung fallen könnten. In diesem Fallewäre die Durchführung eines Tests für die Betroffenen

zwar in einem Bereich, z. B. der Arbeitswelt, von Vorteil,in einem anderen, z. B. der Versicherung, aber mögli-cherweise mit gravierenden Nachteilen verknüpft. Zu-sätzlich verschärft würden die Datenschutz-Problemeim Zusammenhang pharmakogenetischer Diagnostikdurch die Entwicklung von Test-Kits, mit denen mehrereMerkmale gleichzeitig getestet werden können.

2.2.2.6.4 Stigmatisierung und DiskriminierungDie Implementierung pharmakogenetischer Methoden indie therapeutische Praxis birgt darüber hinaus die Gefahreiner Stigmatisierung und Diskriminierung von Bevölke-rungsgruppen. Zum einen, weil sich im Hinblick auf dieGenfrequenz ethnische Unterschiede identifizieren las-sen, die aus pharmakogenetischer Perspektive relevantsein könnten. Zum anderen besteht die Gefahr, dass mit„genetisch bedingten Therapieversagern“ eine neue Risi-kogruppe entsteht. Im Zuge der Anwendung und Etablie-rung der Pharmakogenetik könnten

„sich Normalstandards der Therapieverträglichkeit he-rausbilden und Grenzwerte der Therapierbarkeit defi-niert werden, auf deren Grundlagen bestimmte Pati-enten (sog. ‚poor metabolizer‘) zum allgemeinenProblemfall der Medizin werden – und zwar alleindurch eine genetische Konstitution, die sich wohlge-merkt im Bereich nichtkrankheitsrelevanter geneti-scher Variabilität bewegt. Vergleichbar mit der Situa-tion bei genetisch bedingten Erkrankungsrisiken kannauch bei genetischen Polymorphismen eine Patholo-gisierung einsetzen und zum Ausgangspunkt sozialerDiskriminierung werden.“757

Feuerstein et al. vermuten beispielsweise, dass Prognosenaus pharmakogenetischen Tests „für Krankenversiche-rungen nicht weniger Relevanz besitzen werden als Er-kenntnisse, die auf prädiktiven Gentests zum Erkran-kungsrisiko beruhen“758.

2.2.2.6.5 VerteilungsgerechtigkeitKritikerinnen und Kritiker befürchten darüber hinaus,dass zum Ersten die pharmakogenetische Forschunglangfristig Medikamente vor allem für Menschen ent-wickeln wird, deren genetische Dispositionen entwederdem „Mainstream“ entsprechen oder die sich eine gene-tisch individualisierte Behandlung leisten können. Esentstünde ein soziales Problem der ungleichen Zugäng-lichkeit zu Leistungen. Zum Zweiten bestehe die Gefahr,dass die Logik der Arzneimittelforschung gewisser-maßen umgedreht werde: „Während bisher nach richti-gen Medikamenten für viele Menschen gesucht wird,könnte in Zukunft der genetisch ‚richtige‘ Mensch für einMedikament gesucht werden.“759 Dies könnte im Ergeb-nis zu einer neuen Form einer „Zwei-Klassen-Medizin“führen.

755 Verband Forschender Arzneimittelhersteller 2001.756 Eichelbaum 2001.

757 Feuerstein et al. o.J., S. 12.758 Feuerstein et al. (im Erscheinen).759 Riewenherm 2001, S. 7.

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2.3 Regelungsbedarf, Regelungs-möglichkeiten und Regelungs-vorschläge

2.3.1 Regelungs- und HandlungsbedarfOb es gelingen kann, die sich aus den Möglichkeiten dergenetischen Diagnostik ergebenden Chancen zu nutzen undgleichzeitig die mit ihr verbundenen Risiken und Gefahrenzu minimieren, hängt entscheidend von den ethischen, ge-sellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ab.

Spezifische rechtliche Regelungen, die sich mit der gene-tischen Beratung und Diagnostik befassen, gibt es, mitAusnahme der in C2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international) angeführten Regelungen, in Deutschlandderzeit nicht.

Der Bereich der genetischen Diagnostik ist von einer sehrgroßen Entwicklungsdynamik geprägt. Diese lässt es zu-mindest als fraglich erscheinen, ob die existierenden In-strumente der berufsrechtlichen Selbstregulierung ausrei-chen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Außerdemgebietet der Vorbehalt des Gesetzes als Ausfluss desRechtsstaatsprinzips, dass der Gesetzgeber wichtige Ent-scheidungen selber trifft.

Im Hinblick auf eine Reihe von Anwendungsbereichenund Anwendungsproblemen genetischer Diagnostik be-steht aktueller Handlungs- und Regelungsbedarf:

– Es bestehen seit Jahren erhebliche quantitative undteilweise auch qualitative Defizite im Hinblick aufeine fachkompetente vorhergehende ebenso wienachsorgende humangenetische und psychosozialeBeratung. Dies gilt sowohl für pränatale wie für post-natale genetische Diagnostik. In der Praxis ist der Zu-gang zu qualifizierter Information und Beratung inDeutschland gegenwärtig nur bedingt gegeben.

– Die Gewährleistung eines qualifizierten Angebots ge-netischer Tests ist Bedingung für einen sinnvollen undverantwortlichen Umgang mit genetischer Diagnos-tik. Erforderlich ist daher eine Entwicklung und Im-plementierung von Instrumenten der Qualitätssi-cherung und Qualitätskontrolle, um

– eine vorschnelle Einführung von Gentests, derenSicherheit, Wirksamkeit und Nutzen nicht gewähr-leistet sind, zu verhindern,

– die Qualität von Laborleistungen sicherzustellenund

– zu gewährleisten, dass die Interpretation von Test-ergebnissen und deren Mitteilung gemäß dem je-weiligen Stand des wissenschaftlich-technischenWissens erfolgen.

– Um den Schutz der Persönlichkeit von Menschen, deren genetische Daten bearbeitet werden, sicherzu-stellen, sind einheitliche datenschutzrechtliche Re-gelungen sowie wirksame Datenschutz-Kontroll-möglichkeiten unerlässlich. Diese sollten in einemeinheitlichen „Gendatenschutzgesetz“ bzw. im Rah-men eines umfassenderen „Gendiagnostik-Gesetz“formuliert bzw. geregelt werden.

– Im Hinblick auf die Forschung mit humangeneti-schem Material sind zum Schutz des Rechts auf in-formationelle Selbstbestimmung von Probandinnenund Probanden klare Regelungen zu Einwilligung undZweckbindung (Erhebung, Überschussinformationen,Zweitauswertung bzw. zweckverändernde Nutzungvon Proben) zu treffen.

Es zeichnen sich Einsatzmöglichkeiten ab, die eine vorsor-gende Regelung sinnvoll erscheinen lassen. Die Tatsache,dass z. B. genetische Untersuchungen an Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern bzw. im Versicherungsbereich inder Praxis bisher noch kaum Anwendung gefunden haben,ermöglicht es dem Gesetzgeber normativ steuernd einzu-greifen, statt den Sachzwängen der Praxis zu folgen. Demoftmals beklagten Problem des Hinterherhinkens desRechts hinter der Technologieentwicklung und -anwen-dung könnte in diesem Bereich damit durch rechtzeitige ge-setzgeberische Aktivität vorgebeugt werden. Das kann undsollte als rechtspolitische Chance begriffen werden.

– Hinsichtlich der Anwendung gendiagnostischerVerfahren in der Arbeitsmedizin sind Regelungenzu formulieren, die es ermöglichen, den möglichenpräventiven Nutzen genanalytischer Untersuchungs-methoden in diesem Bereich wahrzunehmen, ohnedass sich Befürchtungen hinsichtlich einer Arbeitneh-merinnen- und Arbeitnehmerselektion, der Diskrimi-nierung und der Aushöhlung des objektiven Arbeits-schutzes einstellen.

– Bezüglich der möglichen Nutzung genanalytischerVerfahren im Versicherungsbereich sind Vorkeh-rungen zu treffen, die einerseits eine Verletzung desRechts auf informationelle Selbstbestimmung vonVersicherungsinteressentinnen und Versicherungsin-teressenten und eine genetische Diskriminierung vonMenschen verhindern, andererseits die aus einerasymmetrischen Information möglicherweise fol-gende Gefahr einer Antiselektion vermeiden.

– Die Durchführung humangenetischer Reihenun-tersuchungen und der Bereich der pharmakogene-tischen Diagnostik sollten gesetzlich geregelt wer-den. Hier sind insbesondere Regelungen erforderlich,die die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie eine ange-messene vorhergehende Aufklärung und Beratung si-cherstellen, die Möglichkeit einer Stigmatisierungbzw. Diskriminierung von Menschen ausschließen so-wie den Daten- und Persönlichkeitsschutz der Betrof-fenen garantieren.

– Erforderlich ist schließlich auch eine internationaleDiskussion über eine Regulierung der Internet-Ver-marktung von Gentests.

Die mit der Forschung an und Entwicklung von Gentestsverbundenen forschungsethischen und forschungspoliti-schen Fragen sowie die mit einer breiten Anwendung ge-netischer Diagnoseverfahren verbundenen gesellschaftli-chen Herausforderungen induzieren einen erheblichengesellschaftlichen Diskussions- und Verständigungs-bedarf. Hierfür sollten geeignete Instrumente entwickeltund implementiert werden.

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2.3.2 Regelungsmöglichkeiten undInstrumente zur sozialenImplementierung

2.3.2.1 Qualitätssicherung Die Gewährleistung der Qualität des Angebots geneti-scher Tests ist eine wichtige Vorbedingung für einen sinn-vollen und verantwortlichen Umgang mit genetischerDiagnostik. Von der Validität der Testmethoden, der Qua-lifikation der die Tests durchführenden Personen, der Ver-lässlichkeit (Reliabilität) des Testergebnisses, auch unterden alltäglichen Anwendungsbedingungen der Praxis, derGüte der Interpretation der Testergebnisse und der ange-messenen Einbindung der Testpraxis in die (human)gene-tische Beratung hängt entscheidend ab, ob die Durch-führung eines genetischen Tests medizinisch sinnvoll und ethisch akzeptabel ist.760 Qualitätssicherung ist da-her auch ein wesentlicher Bezugspunkt rechtlicher Rege-lungen.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Qualitätssiche-rung des Produkts (des Gentests) und der Qualitätssiche-rung des Prozesses (Bedingungen und Regeln der Anwen-dung des Tests).761 Werden Gentests in professionellemund kommerziellem Rahmen zum Zwecke der medizini-schen Analyse hergestellt und verwendet oder in den Ver-kehr gebracht, bestimmen sich die Qualitätsanforderungendes Produktes nach der In-vitro-Diagnostika-Richtlinie.762

Gentests, die in Laboratorien von Gesundheitseinrichtun-gen zur Verwendung im selben Umfeld hergestellt undnicht in Verkehr gebracht werden, sind von der Richtliniejedoch nicht erfasst.763 Soweit es sich um die Qualitätssi-cherung des Prozesses, die Festlegung der Voraussetzun-gen und des Verfahrens der Anwendung von Gentestshandelt, ist der nationale Gesetzgeber frei.

Die Vielfalt der Anbieter und das breite Spektrum geneti-scher Testverfahren machen die Situation, wie die Deut-sche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihrer Stellung-nahme zur Humangenomforschung feststellt, bereits jetzt„unübersichtlich“764: Genetische Tests werden in Labo-ratorien von Kliniken, Arztpraxen, niedergelassenen Laborärztinnen und -ärzten und privaten Firmen durchge-führt. Es steht eine Vielzahl von genetischen Testverfah-ren zur Verfügung, die sich bezüglich ihrer Ziele, ihrerGenauigkeit, ihrer Aussagekraft, ihren Anwendungsmög-lichkeiten, ihrer Zuverlässigkeit und dem mit der Testungverbundenen Aufwand unterscheiden. Viele der derzeitexistierenden Testmöglichkeiten sind noch mit erhebli-chen methodischen Unsicherheiten belastet. Der Anwen-dungsbereich molekulargenetischer Tests erweitert sich

zunehmend über den „klassischen“ Anwendungsbereichder Humangenetik hinaus.

Im Einzelnen sind Maßnahmen zur Qualitätskontrolle er-forderlich, um

– eine vorschnelle Einführung von Gentests, deren Si-cherheit, Wirksamkeit und deren Nutzen nicht ge-währleistet sind, zu verhindern,

– die Qualität von Laborleistungen sicherzustellen,

– zu gewährleisten, dass die Interpretation von Tester-gebnissen und deren Mitteilung gemäß dem jeweili-gen Stand des wissenschaftlich-technischen Wissenserfolgen.765

2.3.2.1.1 Zulassung neuer genetischer TestsDie Forschung an und die Entwicklung von Gentests ber-gen eine Reihe von medizinischen, gesellschaftlichen undethischen Risiken. Die Auffassung, es könne im Bereichder Erforschung genetischer Untersuchungsmethoden soetwas wie eine „reine“ Forschung geben, ist illusionär.Insbesondere wäre beispielsweise die Entwicklung vonGentests, die rassistischen Zwecken dienen sollen bzw.die dazu angetan sind, ein biologisches Rassen-Konstruktzu revitalisieren, abzulehnen. Die wissenschaftliche For-schung und die Entwicklung von Gentests implizieren da-her gravierende forschungsethische und forschungspoliti-sche Fragen und induzieren gesellschaftlichenDiskussions- und Verständigungsbedarf.

Die große Dynamik, mit der technische Innovationen imBereich genanalytischer Untersuchungsmethoden auftre-ten, und die mit ihr verbundene wachsende Unübersicht-lichkeit können jedoch nicht nur im Bereich der For-schung selbst, sondern vor allem bei der Implementierungneuer Verfahren in die klinische Praxis zu Problemenführen. Um dies zu vermeiden, wäre eine umfassendePrüfung der Ziele, der Leistungsfähigkeit, der Wirkungenund Risiken und der ethischen Verträglichkeit erforder-lich.

Als paradigmatisches Negativbeispiel für eine vor-schnelle Einführung und ungeregelte Diffusion einesTests in die Praxis kann, auch wenn es sich dabei nicht umeinen Gentest handelt, der sog. Triple-Test gelten. Dieser– nur der Risikospezifizierung dienende – pränatal durch-geführte Test wird in der Praxis, wie Untersuchungen zei-gen, häufig als diagnostischer Test missverstanden undhat nicht nur zu Verunsicherungen bei Schwangeren bei-getragen, sondern auch zu einer Ausweitung der Inan-spruchnahme von Amniozentese und Chorionzottenbiop-sie.766 Anhand der Einführung des Triple-Testes in diepränatale Diagnostik, so Nippert, lässt sich zeigen,

„dass in den meisten Fällen die Frauen weder gefragtwurden, ob sie den Test überhaupt wollten, noch wur-den sie ausreichend über die Implikationen des Testes

760 Feuerstein et al. (im Erscheinen), Kap. 1.4; Bayertz et al. 1999,S. 132.

761 Ethikbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S. 4.762 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Par-

lamentes und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Dia-gnostika.

763 Erwägungsgrund 10 der vorgenannten Richtlinie.764 Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999, S. 19.

765 Vgl. dazu für die USA auch Holtzman/Watson 1997, S. 7.766 Hennen et al. 2001, S. 73; vgl. auch Neuer-Miebach 1999, S. 75f.

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vor dem Test und nach dem Vorliegen des Testergeb-nisses aufgeklärt. Die Folge war eine dramatische Be-unruhigung und Verunsicherung von Schwangerennach positivem Befund, die oftmals nur durch die In-anspruchnahme einer primär von ihnen nicht gewoll-ten Amniozentese behoben werden konnte. An derschnellen Diffundierung des Triple-Tests in die Praxisa) ohne irgendeine vorhergehende klinische Prüfungder Reabilität und Validität und b) gegen die Empfeh-lungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaftenzeigt sich, wie stark die Interessenlagen der Anbieterdie Durchsetzung von Tests ohne die Berücksichti-gung des ‚informed consent‘ oder die Entscheidungs-autonomie der Patienten beeinflussen können.“767

Der Triple-Test ist gleichzeitig auch ein Beispiel dafür, wieschwierig es ist, ein auf den Markt gelangtes Testangeboteinzuschränken – selbst wenn es von Fachleuten und Fach-gesellschaften als problematisch oder gar als medizinischnicht sinnvoll erachtet wird. Eine bereits 1992 von der Ge-sellschaft für Humangenetik, dem Berufsverband Medizi-nische Genetik, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkolo-gie und Geburtshilfe sowie der Deutschen Gesellschaft fürPerinatale Medizin erhobene Forderung nach einem „Mo-ratorium zum Triple-Screening fetaler Chromosomenaber-rationen aus mütterlichem Serum“768 ist letzten Endesohne durchgreifenden Erfolg geblieben.769

Insbesondere im Bereich der pränatalen genetischen Dia-gnostik hat sich Nippert zufolge in der Vergangenheit ge-zeigt,

„dass die zu Beginn der Einführung einer neuen, ethischkontroversen Methode stehenden hohen Qualitätsstan-dards dem rauhen Alltag der medizinischen Praxisnicht standhalten, dass die Durchsetzung von Richtli-nien und Empfehlungen nicht immer gewährleistet ist,dass qualitätssichernde Maßnahmen und Basisdoku-mentation noch nicht selbstverständlich geübte Praxissind. Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass neue Ver-fahren ohne ausreichende klinische Evaluation relativleicht ihren Weg in die Praxis finden, insbesonderedann, wenn sie auf dem Kulanzweg der GKV getragenwerden oder wenn ausreichend viele Nutzer vorhandensind, die bereit sind, sie zu bezahlen.“770

Um die aus einer Einführung unausgereifter, unzuverläs-siger oder überflüssiger Tests resultierenden Gefahren zuverringern und Fehlentwicklungen wie beim Triple-Testzu vermeiden, wird von verschiedenen Seiten die Ent-wicklung und Anwendung von schrittweisen, der Ein-führung genetischer Testverfahren vorgeschalteten Eva-luations- und Assessment-Strategien gefordert.771

Zu den Voraussetzungen, die ein Test erfüllen muss, bevorer in der klinischen Praxis zur Anwendung gelangen darf,könnten beispielsweise die von der Task Force on Gene-tic Testing des National Institute of Health-Department ofEnergy Working Group on Ethical, Legal, and Social Im-plications of Human Genome Research in ihrem Bericht„Promoting Safe and Effective Genetic Testing in the Uni-ted States“ erarbeiten Kriterien gehören:

Tabel le 20

Einführung genetischer Testverfahren (nach Nippert)

Evidenzbasiertes Modell Ad-hoc-Einführung

– Klinische Studien/Pilotstudien – Evaluation der Studien – Evaluation normativer Kriterien

° Ziele der Maßnahmen ° Prioritäten im Bezug zu anderen Maß-

nahmen ° Informationsinhalte

– Qualitätsstandards werden in Übereinstim-mung mit der Ärzteschaft und der „Öffent-lichkeit“ geschaffen

– Qualitätsstandards bestimmen die Kosten-erstattung und die Inanspruchnahme

versus

– Marktmechanismen – Rechtsprechung – Interessen der Anbieter

– Nachfrageverhalten

° bestimmen die Einführung

– Qualitätsstandards werden durch die Kosten- erstattung und die Inanspruchnahme be- stimmt

Quelle: Nippert 2001c, S. 321

767 Nippert 2001a, S. 692.768 Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Ge-

sellschaft für Humangenetik 1992.769 Vgl. Kapitel C1.3.3.4.5 Erweitertes Angebot – Induzierte Nachfrage:

Ultraschall, Triple-Test und die Folgen.

770 Nippert 2001c, S. 302.771 Vgl. beispielsweise Nippert 2001a, S. 689.

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Drucksache 14/9020 – 162 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

„Die Task Force empfiehlt nachdrücklich die Erfüllungfolgender Kriterien:

(1) Die durch einen Gentest nachzuweisenden Geno-typen müssen durch wissenschaftlich unanfecht-bare Methoden mit dem Auftreten einer Krankheitin Verbindung gebracht werden können. Die Be-obachtungen müssen von unabhängiger Seite be-stätigt und einem Peer Review unterzogen werden.

(2) Ermittlung der analytischen Empfindlichkeit undSpezifität eines Gentests vor seiner Bereitstellungfür die klinische Praxis.

(3) Daten zur Ermittlung der klinischen Validität vonGentests (klinische Empfindlichkeit, Spezifität undVorhersagewert) müssen im Rahmen der Prüfpro-tokolle erfasst werden. Bei der klinischen Validie-rung muss die Studienprobe bei einer Probanden-gruppe gewonnen werden, die für die Populationrepräsentativ ist, an die bei dem Test gedacht wird.Für jede beabsichtigte Anwendung eines Gentestsist eine förmliche Validierung erforderlich.

(4) Bevor ein Gentest in der klinischen Praxis allge-mein eingeführt werden kann, müssen Daten ge-sammelt werden, um die mit positiven und negati-ven Ergebnissen verbundenen Vorteile und Risikendeutlich zu machen.“772

2.3.2.1.2 Qualitätssicherung bei derDurchführung, Interpretation und Befundmitteilung

Die Teilnahme von Labors an Maßnahmen zur Qualitätssi-cherung molekulargenetischer Untersuchungen erfolgt inDeutschland gegenwärtig ausschließlich auf freiwilligerBasis. Auch mit dem zweiten Medizinprodukteänderungs-gesetz werden nur standardisierte Test-Kits verbindlichenQualitätssicherungsmaßnahmen unterworfen.773 Über-prüft wird die Qualität von gendiagnostischen Laborleis-tungen derzeit durch von der Gesellschaft für Humange-netik regelmäßig durchgeführte Ringversuche. Hiervonwerden nahezu alle Labors erfasst, die im Berufsverbandmedizinische Genetik vertreten sind. Die Laborleistungender Ringversuchsteilnehmer werden unterschiedlich ein-geschätzt. Expertinnen und Experten berichten über – teil-weise gravierende – Mängel.774

Anders als bei den an humangenetischen Instituten ange-siedelten Labors können in privaten Labors und von nie-dergelassenen Laborärztinnen und -ärzten erbrachte mole-kulargenetische Laborleistungen derzeit kaum überprüftwerden. Vor diesem Hintergrund wird von Expertinnenund Experten die Notwendigkeit der Erarbeitung und Im-plementierung umfassender und effektiver Qualitätssi-cherungs- und Qualitätskontrollsysteme betont.

Die systematische Überprüfung von Laborkompetenzenund Laborleistungen ist insbesondere dort notwendig, woTests zum Nachweis von Risiken für seltene Erkrankun-gen (sog. orphan diseases) verwendet werden, da solcheTests nicht handelsüblich sind und ihre Durchführungeine besondere Geschicklichkeit seitens des Labors erfor-derlich macht.

Verschiedentlich wird von Expertinnen und Expertenauch von Problemen bei der Interpretation von Testergeb-nissen und der Mitteilung von Testbefunden berichtet.775

So unterbleibt beispielsweise nicht selten der Hinweis aufdie Limitation des durchgeführten Tests, etwa dann, wennbei einem Normalbefund die Verdachtsprognose als defi-nitiv ausgeschlossen bezeichnet wird.776

Im schweizerischen Vorentwurf für ein Gendiagnostik-Gesetz wird die Durchführung von zytogenetischen undmolekulargenetischen Untersuchungen von der Bewilli-gung durch das zuständige Bundesamt abhängig gemacht,bei der auch der Aspekt der Qualitätssicherung eine zen-trale Rolle spielt:

„Art. 6 Bewilligung zur Durchführung genetischer Un-tersuchungen1 Wer zytogenetische oder molekulargenetische Un-

tersuchungen durchführen will, benötigt eine Be-willigung des zuständigen Bundesamts.

2 Die Bewilligung wird Laboratorien sowie Ärztin-nen und Ärzten erteilt, wenn Gewähr besteht für:

a. eine sorgfältige und gesetzeskonforme Tätig-keit;

b. die Durchführung der Untersuchung nach demStand von Wissenschaft und Technik;

c. die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen.3 Der Bundesrat kann für weitere genetische Unter-

suchungen eine Bewilligungspflicht vorsehen,wenn diese gleiche Anforderungen an die Qua-litätssicherung und die Interpretation stellen wiezyto- und molekulargenetische Untersuchungen.

4 Er kann bestimmte genetische Untersuchungen,deren Durchführung keine besonderen Anforde-rungen stellt, von der Bewilligungspflicht ausneh-men und für Laboratorien sowie für Ärztinnen undÄrzte freigeben.

5 Er erlässt die Ausführungsvorschriften über Ertei-lung und Entzug der Bewilligung sowie über dieAufsicht.

Art. 7 Tests für genetische Untersuchungen1 Der Vertrieb genetischer Tests für den allgemeinen

Gebrauch ist verboten.2 Wer genetische Tests für Laboratorien oder Ärz-

tinnen und Ärzte einführen oder in Verkehr brin-772 Holtzman/Watson 1997, S. 9 (Übersetzung); vgl. auch Nippert

2001b.773 Vgl. C2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international).774 Vgl. die Diskussion bei Bayertz et al. 1999, S. 146.

775 Bayertz et al. 1999, S. 146.776 Vgl. Müller-Reible 1997, S. 43f.

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gen will, benötigt eine Bewilligung des vom Bun-desrat bestimmten zuständigen Bundesamts.

3 Die Bewilligung wird nach Anhörung der eid-genössischen Kommission für genetische Untersu-chungen erteilt, wenn nachgewiesen ist, dass derTest zuverlässige und klar interpretierbare Ergeb-nisse liefert.

4 Der Bundesrat erlässt die Ausführungsbestimmun-gen.“

Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang auch eineAkkreditierung bzw. Zertifizierung von Labors gefordert,in denen genetische Untersuchungen durchgeführt werden,um die fachgesellschaftliche Selbstkontrolle durch das Set-zen von gesetzlich definierten Rahmenbedingungen zu un-terstützen. In Deutschland ist eine Akkreditierung bzw.Zertifizierung medizinischer Labors generell gesetzlichnicht gefordert.777

2.3.2.2 Bindung an medizinische ZweckeIn zahlreichen nationalen und internationalen Dokumen-ten und Stellungnahmen wird eine Einschränkung geneti-scher Untersuchungen auf sog. gesundheitliche oder auchmedizinische Zwecke gefordert. Artikel 12 des Men-schenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europa-rates beispielsweise legt fest, dass prädiktive genetischeTests von Krankheiten „nur für Gesundheitszwecke oderfür gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung“vorgenommen werden dürfen. Dabei werden allerdingsdie Begriffe „Gesundheitszwecke“ und „gesundheitsbe-zogen“ nicht klar definiert.778

Für eine Einschränkung auf gesundheitliche Zwecke wur-den eine Reihe von Gründen geltend gemacht, wie sie un-ter C2.2.1.1 Besonderheiten genetischer Informationenbereits dargestellt wurden, insbesondere die Punkte 6, 8,9 und 10. Dabei stellt sich die Frage, ob und inwieweit esprädiktive Tests gibt, welche die dort genannten Gefahrennicht implizieren.

Unter dem Begriff „gesundheitsrelevant“, „gesundheitsbe-zogen“ oder „medizinischen Zwecken dienend“ werdenhäufig auch Ziele verstanden, die über den Präventions-und Therapiebezug der betroffenen Person hinausgehen. Sowerden beispielsweise im schweizerischen Vorentwurf fürein Gendiagnostik-Gesetz auch Tests, die für die Lebens-gestaltung bzw. für die Familienplanung der bzw. des Be-troffenen relevant sind, als medizinische Tests bezeichnet.

Ein solcher weiter Begriff „gesundheitsbezogener“ oder„gesundheitsrelevanter“ Ziele birgt jedoch gravierendeProbleme:

– Er macht eine angemessen trennscharfe Unter-scheidung zwischen krankheitsbezogenen und nicht

krankheitsbezogenen genetischen Untersuchungenschwierig,

– vermischt die Begriffe „Krankheit“ und „Behinde-rung“; Menschen mit Behinderungen werden als„krank“ definiert und damit stigmatisiert,

– ist nicht dazu geeignet, genetische Tests, die mit derAbsicht einer „Verbesserung“ (enhancement) desMenschen unternommen werden, zu verhindern,

– birgt insbesondere im Zusammenhang pränataler gene-tischer Untersuchungen die Gefahr, dass diese zu se-lektiven bzw. eugenischen Zwecken eingesetzt werden,

– führt dazu, dass der ärztlichen Profession unter der Vo-raussetzung, dass medizinische Gentests an einenArztvorbehalt geknüpft werden, von der Gesellschafteine weitgehende Deutungsmacht darüber überlassenbleibt, was medizinische Zwecke sind

– und trägt in problematischer Weise zu einer Medikali-sierung von Lebensphänomenen und Lebensberei-chen bei. Verbunden damit ist die Gefahr, dass die Me-dizin ein Standesinteresse an der Ausweitung derTestpraxis entwickeln und diese daher immer weitervorantreiben könnte.

Eine Bindung von Gentests an „gesundheitliche Zwecke“ist somit kein effizientes Mittel, um einer beliebigen Aus-weitung der Testpraxis vorzubeugen. Der Gesundheitsbe-griff ist grenzenlos ausweitbar. Es besteht daher die Ge-fahr, dass die Gesellschaft und das Gesundheitssystemmit einem Überangebot von Gentests konfrontiert wer-den, welches nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit des Ge-sundheitssystems überfordern würde. Statt einer Bindungan „gesundheitliche Zwecke“ wird hier daher eine Bin-dung an „medizinische Zwecke“ vorgeschlagen. Tests,die „medizinischen Zwecken“ dienen779, sind solche, die

– im engeren Sinne krankheitsbezogen sind,

– mit dem Ziel durchgeführt werden, genetische Struk-turen zu identifizieren, die Aussagen über das Risiko,die Wahrscheinlichkeit oder die Sicherheit einer künf-tigen Erkrankung oder Behinderung zulassen,

– der Identifizierung genetisch bedingter Empfindlich-keiten für bestimmte Arzneimittelwirkstoffe dienen,

– der Identifizierung einer heterozygot vorliegenden ge-netischen Veranlagung zu einer Krankheit dienen.

Der Begriff der „medizinischen Zwecke“ wird hier also inder einen oder anderen Weise an den Krankheitsbegriffgebunden. Nichtmedizinische Tests sind demnach nebenTests zur Feststellung der Abstammung oder der Identitäteiner Person auch sog. Life-style-Tests, d. h. Tests aufMerkmale, die ohne jeden Krankheitswert sind.

2.3.2.3 ArztvorbehaltUm die Qualität von Beratung und Diagnose zu sichern,wird von verschiedenen Seiten ein Arztvorbehalt für die

777 Hennen et al. 2001, S. 99.778 Vgl. zu dieser Diskussion Lanzerath 2000a; 2000b; Lanzerath/Hon-

nefelder 1998. 779 Vgl. C2.1.1.1.1 Begriffserklärung.

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Drucksache 14/9020 – 164 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Durchführung genetischer Diagnostik gefordert. Bei-spielsweise hält es die Senatskommission der DeutschenForschungsgemeinschaft in ihrer Stellungnahme zur Hu-mangenomforschung für erforderlich, die Durchführungvon genetischen Testverfahren nicht nur an medizinischeZwecke, sondern auch an ein Arzt-Patient-Verhältnis zubinden.780

Die Autoren einer an der Europäischen Akademie zur Er-forschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Ent-wicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler entstandenenStudie zur humangenetischen Diagnostik fordern den Ge-setzgeber auf, einen beschränkten Arztvorbehalt für denFall einzuführen, dass „sich (etwa auch im Rahmen inter-nationaler Entwicklungen) abzeichnet, dass die Gefahrengenetischer Tests durch freiwillige Selbstbeschränkungaller Beteiligten nicht beherrscht werden können“, undschlagen dafür die folgende Formulierung vor:

„Tests, die es ermöglichen oder mit der Zielrichtung an-geboten werden, genetisch bedingte Krankheiten,Körperschäden oder Leiden vorherzusagen oder beieiner Person entweder das Vorhandensein eines füreine Krankheit, einen Körperschaden oder ein Leidenverantwortliches Gen festzustellen oder eine geneti-sche Prädisposition oder Anfälligkeit für eine Krank-heit, einen Körperschaden oder ein Leiden zu erken-nen (Maßnahmen genetischer Diagnostik), dürfen zupersonenbezogenen prophylaktischen, diagnostischenoder therapeutischen Zwecken berufs- oder gewerbs-mäßig nur von einem Arzt veranlasst, interpretiert undvon den Ergebnissen her vermittelt werden.“781

Laut § 65 des österreichischen Gentechnikgesetzes dürfenGenanalysen zu medizinischen Zwecken nur „auf Veran-lassung eines in Humangenetik ausgebildeten Arztes odereines für das betreffende Indikationsgebiet zuständigenFacharztes“ durchgeführt werden. Auch der schweizeri-sche Gesetzentwurf zur Gendiagnostik sieht einen Arzt-vorbehalt für genetische Untersuchungen zu medizini-schen Zwecken vor. Präsymptomatische Untersuchungen,Untersuchungen im Hinblick auf die Familienplanungund pränatale Untersuchungen sollen dem Gesetzentwurfzufolge nur von Fachärztinnen und Fachärzten mit ent-sprechender Ausbildung veranlasst werden dürfen.

2.3.2.3.1 Allgemeiner und beschränkterArztvorbehalt, Facharztvorbehalt

Grundsätzlich lassen sich im Hinblick auf die Forderungnach einem Arztvorbehalt drei verschiedene Optionen un-terscheiden: Die Veranlassung bzw. die Durchführungvon Gentests kann unter einen allgemeinen oder umfas-senden Arztvorbehalt, einen beschränkten Arztvorbehaltoder unter einen Facharztvorbehalt gestellt werden. Gen-tests einem allgemeinen Arztvorbehalt zu unterstellen be-deutet, dass ausschließlich Ärztinnen und Ärzte im Rah-men der ärztlichen Zielsetzung zur Veranlassung jeglicher

Art von zytogenetischen und molekulargenetischen Un-tersuchungen berechtigt sind.

Gentests einem beschränkten Arztvorbehalt zu unterstel-len dagegen bedeutet, nur bestimmte Untersuchungen anein Arzt-Patient-Verhältnis zu knüpfen. Hierfür wird gel-tend gemacht, dass genetische Analysen nicht per se ge-fährlich seien und nicht jede Aussage über die genetischeKonstitution eines Menschen einen komplizierten Test er-fordere.

Gentests an einen Facharztvorbehalt zu knüpfen heißt, dieBefugnis zur Veranlassung bzw. Durchführung bestimm-ter oder jeglicher Art von Gentests auf Fachärztinnen undFachärzte mit entsprechender Ausbildung zu beschrän-ken. Für einen Facharztvorbehalt für – zumindest einige –Gentests lässt sich geltend machen, dass nicht jede Ärztinbzw. jeder Arzt zur Indikationsstellung und Interpretationaller genetischen Tests qualifiziert ist.

2.3.2.3.2 Argumente für und wider einenArztvorbehalt

Gegen die Bindung von Gentests an einen Arztvorbehaltwerden eine Reihe von Einwänden erhoben:

– Die Einführung eines Arztvorbehalts bedeute einenEingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht derje-nigen, die einen Test an sich selbst durchführen lassenwollen. Ein solcher Eingriff sei begründungspflichtig.

– Sofern der Arztvorbehalt, wie beispielsweise in derStellungnahme der Deutschen Forschungsgemein-schaft, mit einer Beschränkung der Durchführung vongenetischen Testverfahren auf medizinische Zweckegekoppelt werde, stelle sich die Frage, welche morali-sche bzw. rechtliche Legitimation es dafür gebenkönne, Menschen in der Ausübung ihres Rechts aufWissen einzuschränken, indem ihnen der Zugang zuLife-style-Tests verwehrt wird.

– Die Bindung an Arztvorbehalt und medizinischeZwecke könne darüber hinaus dazu führen, dass Life-style-Tests als medizinische Tests deklariert werden,um sie veranlassen bzw. anwenden zu können. Damitwäre eine höchst problematische Entgrenzung desKrankheitsbegriffs und des ärztlichen Handlungsauf-trages verbunden.

– Besteht eine solche Koppelung nicht – sind die Ärztinbzw. der Arzt also dazu berechtigt, auch medizinischirrelevante Befunde zu erheben –, so stellt sich dieFrage, warum nur Ärztinnen und Ärzte dazu berech-tigt sein sollten, Befunde zu erheben, die per defini-tionem medizinisch irrelevant sind.

– Die Einführung eines Arztvorbehaltes bezogen aufGentests bedeute darüber hinaus auch eine Einschrän-kung der Berufsfreiheit derjenigen, die genetischeAnalysen einschließlich Beratung durchführen wol-len, ohne als Ärztin oder als Arzt approbiert zu sein.

Diesen Einwänden gegen die Bindung der Veranlassungund Durchführung von Gentests an einen Arztvorbehaltstehen allerdings wichtige Vorteile gegenüber: So könnte

780 Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999, S. 12.781 Bartram et al. 2000, S. 187.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165 – Drucksache 14/9020

die Durchführung von Gentests durch die Einführung ei-nes Arztvorbehalts auf das etablierte System der medizi-nischen Versorgung beschränkt bleiben und unterläge denberufsrechtlichen Bestimmungen. Dies würde nicht zu-letzt auch die Entstehung eines „freien Testmarktes“, aufdem genetische Diagnoseleistungen nach rein kommerzi-ellen Gesichtspunkten angeboten würden, weitgehendausschließen.782

Ein Arztvorbehalt schafft auch für eine kompetenteDurchführung der Tests durch geschultes Personal undeine angemessene Beratung günstige Voraussetzungen.Die Einführung eines Arztvorbehalts stellt daher einwichtiges Instrument zur Abwehr von Gefahren dar, dieaus genetischen Tests erwachsen können, da eine fehler-hafte Befunderstellung, -interpretation oder -bewertunggenauso schwerwiegende Probleme bereiten kann wieeine falsche Therapie. Dies gilt insbesondere auch in Be-zug auf den erforderlichen Schutz von Verwandten derPerson, die sich einem genetischen Test unterzieht. DieEinschränkung der Berufsfreiheit derjenigen, die geneti-sche Analysen durchführen wollen, ohne Arzt oder Ärztinzu sein, ist daher gerechtfertigt.

Der Selbstbestimmung des Individuums kommt auf die-sem Wege ein höheres Maß an Unterstützung zu, als esohne die Maßnahme des Arztvorbehalts der Fall seinwürde. Genetische Informationen zeichnen sich durch ei-nen Grad an Komplexität aus, der von Laien in der Regelnicht adäquat verstanden wird, und durch ein großes Ge-fahrenpotenzial, das von Laien häufig nicht hinreichenderkannt wird. Die Einführung eines Arztvorbehaltsschützt den Einzelnen insofern möglicherweise davor, mitErkenntnissen aus genanalytischen Untersuchungen un-sachgemäß umzugehen.

Schließlich würden von Ärztinnen und Ärzten (oder unterihrer Leitung) durchgeführte Diagnosen unter das Arztge-heimnis fallen. Dies böte einen relativ hohen Standardbeim Datenschutz.

2.3.2.3.3 Regelungsvorschläge der Enquete-Kommission zum Arztvorbehalt

Nicht bei allen heute und in Zukunft möglicherweise zurVerfügung stehenden Gentests kann davon ausgegangenwerden, dass sie medizinischen Zwecken dienen. Tests zurFeststellung der Abstammung oder der Identität einer Per-son sowie mögliche zukünftige Life-style-Tests sind nichtals Tests zu begreifen, die medizinischen Zwecken dienen.

Die Einführung eines allgemeinen Arztvorbehalts, dersich auf jegliche Art von Gentests bezieht, würde daherdazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte auch eine Funktionübernehmen würden, die nicht zu den genuin ärztlichenTätigkeiten gehört. Bei Einführung eines allgemeinenArztvorbehalts würde „der Arzt (...) auch solche Informa-tionen nach seinen eigenen Regeln ‚zuzuteilen‘ haben, diedie allgemeine Lebensführung oder Lebensgestaltungauch unabhängig von medizinischen Fragen betreffen.

Das übersteigt das jedenfalls derzeit akzeptierte Tätig-keitsmonopol des Arztes.“783

2.3.2.3.4 Arztvorbehalt und pränatalegenetische Tests

Eine besondere Problematik ist mit pränatalen Gentestsverbunden. Es ist vorstellbar, dass in Zukunft Tests ent-wickelt werden, mit denen bestimmte Merkmale oder Dis-positionen des zukünftigen Kindes festgestellt werdenkönnen, die ohne jeden Krankheitswert sind. Bisher fälltlediglich die Feststellung des Geschlechts unter diese Ka-tegorie, sofern diese Feststellung nicht für die Diagnose ei-ner geschlechtsgebundenen Krankheit relevant ist. Auchim Falle pränataler Tests ließe sich argumentieren, dass eseine Einschränkung des Persönlichkeitsrechts bedeutet,wenn schwangeren Frauen der Zugang zu dieser Art vonWissen versperrt wird, indem pränatale Tests generell un-ter Arztvorbehalt gestellt und an medizinische Zwecke ge-koppelt werden. Aber anders als im Falle postnataler Testsist im Falle pränataler Tests immer auch das Ungeboreneinvolviert. Die Folge dieses Tests kann auch ein Schwan-gerschaftsabbruch sein. Insbesondere kann auch nicht aus-geschlossen werden, dass ein unbeschränktes Angebotnichtmedizinischer pränataler Tests in Zukunft einer posi-tiven Eugenik den Weg bereitet, d. h. der Auswahl künfti-ger Kinder aufgrund erwünschter Merkmale. Die Gefahrfür das Ungeborene sowie die Gefahr einer möglichen po-sitiven Eugenik rechtfertigen es, dass pränatale genetischeTests generell nur von Ärztinnen und Ärzten veranlasstund daher mit der entsprechenden Aufklärungspflicht so-wie einem Beratungsangebot verbunden werden.784

Eine weitere Frage, die sich speziell im Zusammenhangpränataler Gentests stellt, ist, ob die Solidargemeinschaftauch für solche Tests aufkommen sollte, deren Ergebniskeine Chance auf Heilung oder Prävention eröffnet. Heuteist es Routine in der Schwangerschaftsvorsorge, dassSchwangeren Tests angeboten werden, die keine andere Op-tion als die des Schwangerschaftsabbruchs eröffnen (bei-spielsweise Tests auf Trisomie 21 oder „offenen Rücken“).Das routinemäßige Angebot sowie die Übernahme derKosten durch die gesetzlichen Krankenversicherungenlassen diese Tests als normale Vorsorgemaßnahmen er-scheinen. Bei den schwangeren Frauen wird dadurch derEindruck erweckt, es entspreche einem verantwortungs-bewussten Verhalten werdender Eltern, alle entsprechen-den Testangebote wahrzunehmen. Vielfach wird denFrauen nicht deutlich, dass diese Maßnahmen ihremzukünftigen Kind gar nicht helfen können, sondern imGegenteil dessen Existenz zur Disposition stellen.

Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken,bestünde darin, das Angebot solcher pränatalen Tests ausdem Regelangebot innerhalb der Schwangerschaftsvor-sorge herauszunehmen.785 Ärztinnen und Ärzte sollten

782 Ethikbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit, insbes. S. 7f.

783 Bartram et al. 2000, S. 157.784 Vgl. C2.3.2.4.1 Information, Aufklärung und informed consent.785 Kirchner-Asbrock 2001.

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Drucksache 14/9020 – 166 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

diese Tests den schwangeren Frauen nicht von sich aus an-bieten, sondern nur auf explizite Nachfrage der Frau tätigwerden. Notwendig ist in jedem Falle aber die expliziteZustimmung der Frau.786

Eine weitere Begrenzungsmöglichkeit bestünde darin,Tests, die keine Therapie- oder Präventionschancen eröff-nen, aus der Finanzierung durch die Krankenkassen heraus-zunehmen. Sie müssten dann privat von den Anwenderin-nen bezahlt werden. Dafür spricht außer der Signalwirkung,die von der jetzigen Kostenübernahme ausgeht (s. o.), einweiteres Argument: Da diese Tests den Zweck haben, dieGeburt von Menschen mit bestimmten Merkmalen undEigenschaften verhindern zu können, fühlen sich vieleAngehörige solcher Gruppen durch die Testpraxis mittel-bar diskriminiert, da Tests ihnen signalisieren, dass ihreExistenz eigentlich unerwünscht ist. Auch diejenigen Per-sonen jedoch, die sich durch den Test diskriminiert fühlen,sind, sofern sie Mitglied der Solidargemeinschaft sind, ver-pflichtet, die Testpraxis mitzubezahlen. Sie haben keineMöglichkeit, sich der Beteiligung an einer als diskrimi-nierend empfundenen Praxis zu entziehen.

Gegen den Ausschluss aus der Kassenfinanzierungspricht, dass damit ein Schritt in Richtung einer „Zwei-Klassen-Medizin“ getan wäre. Der Effekt könnte darinbestehen, dass gutsituierte Frauen die Tests weiterhin nut-zen, so dass eine Einschränkung nur in einkommens-schwächeren Schichten erzielt würde.

Gegen diesen Gegeneinwand wiederum kann geltend ge-macht werden, dass die Signalwirkung dieser Maßnahmenicht zu unterschätzen sei. Bereits das Signal, dass dieVerhinderung eines behinderten Kindes keine Gemein-schaftsaufgabe ist, könnte eine begrenzende Wirkung aufdie Testpraxis haben.

Ärztinnen und Ärzte werden im Rahmen der Heilkundetätig. Welche Maßnahmen in diesem Rahmen von der So-lidargemeinschaft finanziert werden, wird durch den Bun-desausschuss der Ärzte und Krankenkassen bestimmt.Eine generelle Regelung von Gentests in diesem Rahmenhätte den Vorteil, dass bereits bestehende institutionelleStrukturen genutzt werden könnten. Sie hat allerdings denNachteil, dass diese für die Bürgerinnen und Bürger kaumeinsehbar sind.

Um eine bessere Transparenz zu erreichen, wäre es wün-schenswert, gesetzlich zu regeln, welche Tests unter Arzt-vorbehalt stehen, z. B. in einem zukünftigen Gendiagnos-tik-Gesetz. Dieses Gesetz müsste exakt die Kriterienangeben, nach denen ein Test unter Arztvorbehalt zu stel-len ist. Nach Überzeugung der Enquete-Kommission soll-ten dies folgende Kriterien sein:

– Tests, die medizinischen Zwecken dienen,

– pränatale Tests,

– Test, von denen eine Gefahr für die betroffene Personausgehen kann.

Der Großteil der heute und in Zukunft zugelassenen Gen-tests würde demnach unter Arztvorbehalt stehen. Es mussjedoch damit gerechnet werden, dass in Zukunft auch ei-nige Life-style-Tests auf den Markt kommen. Ein straf-rechtliches Verbot solcher Tests erscheint zumindest imFalle postnataler Tests verfassungsrechtlich kaum mög-lich, insofern es das grundgesetzlich geschützte Recht auffreie Lebensgestaltung einschränken würde. Es kann daherin Zukunft auch Tests geben, die nicht unter Arztvorbehaltstehen. Auch diese Test müssen jedoch aus Verbraucher-schutzgründen ein gesetzlich festgelegtes Zulassungsver-fahren durchlaufen haben und auf ihre Produktqualität ge-prüft worden sein.787 Ein mögliches Gendiagnostik-Gesetzkönnte zudem für solche Tests einen gesonderten Be-triebsweg oder eine Apothekenpflicht festschreiben.

Um zu verhindern, dass sich langfristig eine Praxis ein-schleicht, Life-style-Tests als medizinische Tests zu dekla-rieren und damit das Gesundheitssystem zu überfordern,sollte ein Monitoring für die Verschreibungspraxis vonGentests entwickelt werden. Diese Aufgabe könnte einerzukünftigen Gendiagnostik-Kommission übertragen wer-den. Sie sollte beobachten, welche Tests in welchem Aus-maß veranlasst, durchgeführt und verschrieben werden undwelche gesellschaftlichen Auswirkungen gegebenenfallsmit dieser Praxis verbunden sind. Sie sollte der Öffentlich-keit darüber regelmäßig Bericht erstatten. Um diese Auf-gabe wahrnehmen zu können, müsste die Kommissionmultidisziplinär und ausgewogen zusammengesetzt sein.Insbesondere müsste sozialwissenschaftliche, philoso-phisch- und theologisch-ethische sowie juristische Kompe-tenz in ihr vertreten sein. Da sie die Aufgabe hätte, die me-dizinische Profession zu kontrollieren, sollte sie nichtmehrheitlich aus Medizinerinnen und Medizinern zusam-mengesetzt sein. Sie sollte transparent arbeiten und die Öf-fentlichkeit in geeigneter Weise (z. B. Anhörungen, Dis-kussionsveranstaltungen, Petitionsannahme) einbeziehen.

2.3.2.4 Information, Aufklärung und BeratungIn der wissenschaftlichen und politischen Diskussionwird häufig nicht ausdrücklich zwischen Information,Aufklärung, humangenetischer und psychosozialer Bera-tung unterschieden. Vielmehr wird meistens der Begriff„Beratung“ oder auch „genetische Beratung“ als allge-meiner Oberbegriff verwendet.788

Beratung, in diesem allgemeinen Sinne, wird von einigen– zumindest mit Blick auf prädiktive und pränatale Test-angebote – vor und nach Inanspruchnahme des Tests fürunerlässlich gehalten.789 So sehen die Fachgesellschaften(national wie international) eine ausführliche genetische

786 Vgl. dazu auch Kapitel C1.3.5 Empfehlungen.

787 Vgl.C2.3.2.1 Qualitätssicherung.788 In diesem Sinne erklärt beispielsweise der Bundesverband Medizi-

nische Genetik, die genetische Beratung „soll einem Einzelnen odereiner Familie helfen, medizinisch-genetische Fakten zu verstehen,Entscheidungsalternativen zu bedenken und individuell angemes-sene Verhaltensweisen zu wählen.“ (Bundesverband MedizinischeGenetik 1996).

789 Ethikbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 167 – Drucksache 14/9020

Beratung vor und nach einem Gentest als unerlässlichenBestandteil humangenetischer Dienstleistungen an undfür die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik ist Bera-tung ein „verpflichtender Rahmen für jede Art genetischerDiagnostik“.790 Auch das Menschenrechtsübereinkom-men zur Biomedizin des Europarates macht in Artikel 12eine angemessene genetische Beratung zur Voraussetzungder Durchführung prädiktiver Gentests, verlangt jedochkeine Beratung nach Testung.791

Präziser wäre es jedoch, zwischen Information, Auf-klärung, humangenetischer und psychosozialer Beratungzu unterscheiden.

2.3.2.4.1 Information, Aufklärung und informed consent

Unter „Information“ wird hier die Bereitstellung und Wei-tergabe von sachbezogenen Informationen verstanden, un-ter „Aufklärung“ die Bereitstellung eines Rahmens, dereine eigene Auseinandersetzung und Bewertung ermög-licht. Information und Aufklärung über die genetischenund medizinischen Aspekte der Diagnostik sind unerläss-liche Voraussetzung für die Sicherstellung der freiwilligenund informierten Zustimmung der betroffenen Person. Siemüssen vor jedem Test von fachkompetenter Seite durch-geführt werden, da andernfalls die Bedingungen für deninformed consent nicht erfüllt sind. Um diesen Bedingun-gen genügen zu können, muss die veranlassende Ärztinbzw. der veranlassende Arzt die Testperson vor dem Testmindestens aufklären über Art, Inhalt und Ziel des Testssowie dessen Zuverlässigkeit, Aussagekraft, Fehlerquoteund Risiken, außerdem über mögliche Konsequenzen undHandlungsoptionen, die sich aus ihm ergeben. Auch übermögliche Handlungsalternativen gegenüber der Test-durchführung muss aufgeklärt werden. Zudem gehören zuden Voraussetzungen einer informierten Entscheidung derHinweis auf mögliche psychische Konflikte und Belastun-gen, die sich aus dem Testergebnis ergeben könnten, sowiedas Angebot einer psychosozialen Beratung bzw. die In-formation über ein zugängliches Beratungsangebot.

Besondere Anforderungen an Information und Auf-klärung stellen sich in Bezug auf Gentests an nichteinwil-ligungsfähigen Personen und an Minderjährigen. Prädik-tive Tests an Minderjährigen sollten generell nur dann

eingesetzt werden, wenn sie schon in diesem Alter not-wendig sind, um Therapie- oder Präventionschancen fürdas betroffene Kind zu eröffnen. In Einzelfällen kann esallenfalls Tests geben, die andere, für das Kind sehr belas-tende Diagnosemethoden ersetzen.792 Die Entscheidungdes Kindes sollte dabei entsprechend seinem Entwick-lungsstand Berücksichtigung finden.

Prädiktive Tests an erwachsenen nichteinwilligungsfähi-gen Personen sollten nur dann durchgeführt werden dür-fen, wenn der Test notwendig ist, um Therapie- oderPräventionsmöglichkeiten zu eröffnen, oder wenn der be-troffenen Person ohne den Test gesundheitliche Nachteileoder Leiden drohen. Information, Aufklärung und Bera-tung sind in diesem Falle der betreuenden Person anzu-bieten. Die informierte Zustimmung der betreuenden Per-son ist zu dokumentieren. Dabei ist auch darzulegen,inwiefern die oben genannten Anforderung an die Not-wendigkeit des Tests erfüllt sind.

Im Falle pränataler Tests muss das Aufklärungsgesprächdarüber hinaus darauf aufmerksam machen, dass es keineBehandlungsoptionen gibt und nur die Wahl zwischen ei-nem Austragen des Kindes und einem Schwangerschaftsab-bruch besteht. Auch auf die Art des Abbruchs (eingeleiteteGeburt) muss hingewiesen werden sowie gegebenenfallsauf die – zwar geringe, aber existente – Möglichkeit, dassdas Kind den Abbruch in einem fortgeschrittenen Schwan-gerschaftsstadium überlebt. Ebenso muss über möglicheRisiken des Testverfahrens für das Ungeborene aufgeklärtwerden. Besonders wichtig ist im Falle pränataler Tests dieAufklärung über deren begrenzten Aussagewert; die Ärz-tin bzw. der Arzt müssen deutlich machen, dass auf diesemWege lediglich bestimmte Dispositionen, Erkrankungenund Behinderungen (mit einer gewissen Sicherheit) aus-geschlossen werden können, nicht aber positiv die Garan-tie für ein gesundes und nichtbehindertes Kind gegebenwerden kann.

Im Falle besonders problematischer prädiktiver Tests, de-ren Ergebnis die Testperson extrem belasten kann, könnteargumentiert werden, dass die Voraussetzungen des infor-med consent eine gewisse Bedenkzeit von einigen Tagenzwischen dem Aufklärungsgespräch und der Durch-führung des Tests erfordern, um sicherzustellen, dass dieerhaltene Information in Ruhe überdacht werden kann.Gleiches gilt für pränatale Tests, die allein die Handlungs-möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs eröffnen.

Zu erwägen ist auch, ob ein Test auf eine Anlageträger-schaft, der dem Zweck der Familienplanung dient, nur imRahmen einer humangenetischen Beratung durchgeführtwerden sollte, da die Interpretation solcher Testergebnisseeine spezifische Qualifikation erfordert.

Information und Aufklärung müssen sowohl für die ver-anlassende Ärztin bzw. den veranlassenden Arzt als auchfür die zu testende Person verbindlich sein. Es sollte in je-dem Einzelfall dokumentiert werden, inwiefern die Be-dingungen des informed consent erfüllt sind.

790 Vgl. z. B. Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragender Gesellschaft für Humangenetik 1996.

791 Bereits im Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risikender Gentechnologie“ von 1987 war dem Deutschen Bundestag emp-fohlen worden, „die Regierungen von Bund und Ländern sowie dieStandesorganisationen der Ärzte aufzufordern, durch geeigneteMaßnahmen die Beratungspraxis den erweiterten Möglichkeiten dergenetischen Analyse anzupassen, die personelle und technische Ka-pazität sowie die Anzahl der genetischen Beratungs- und Diagnose-stellen zu vergrößern und die Qualifikation der Mitarbeiter in diesenStellen – soweit erforderlich – zu verbessern. Die heute geltendenPrinzipien der genetischen Beratung sollen auch in Zukunft zur An-wendung kommen, insbesondere wenn die genetische Analyse aufder DNA-Ebene in der pränatalen Diagnostik verstärkt genutzt wird“(Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987, S. 152f.). 792 Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit 2000, S.10.

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Information und Aufklärung müssen non-direktiv sein,um eine wirklich freie informierte Entscheidung zu er-möglichen.793

2.3.2.4.2 Humangenetische BeratungVon der Aufklärung im engeren Sinne zu unterscheiden istdie „humangenetische Beratung“. Sie umfasst Risikobe-rechnung, die Anamnese, Stammbaumanalyse und gegebe-nenfalls die klinische Untersuchung. Sie bezieht nicht nurdie ratsuchende Person, sondern gegebenenfalls auch derenFamilie mit ein. Wenn beispielsweise anzunehmen ist, dassVerwandte der beratenen Person Träger einer genetischenVeranlagung sind, für die es Therapie- oder Präventions-möglichkeiten gibt, sollte die humangenetische Beratungauch die Empfehlung umfassen, diese Verwandten auf dieMöglichkeit der Testung aufmerksam zu machen.

Auch die humangenetische Beratung muss immer non-di-rektiv erfolgen. Non-Direktivität stellt jedoch in der Pra-xis hohe Anforderungen an das Reflektionsvermögen derBeratungsperson. Sie muss sich jeder expliziten und auchimpliziten Bewertung enthalten, auf jeden noch so subti-len Steuerungsversuch verzichten und in der Lage sein,zwischen eigenen Meinungen und Werten und denen derTestperson präzise zu unterscheiden. Um das notwendigeReflektionsvermögen auszubilden, wäre eine gezielte(Weiter-)Qualifikation der Beratenden erforderlich.

Um die Non-Direktivität der Beratung zu sichern, wäre essinnvoll, sie institutionell von der Durchführung des Testszu trennen. Wer eine humangenetische Beratung anbietet,sollte nicht anschließend auch den Test durchführen kön-nen, da sonst die Gefahr besteht, dass ein ökonomischerDruck auf die Berater entsteht, in Richtung Testdurch-führung zu beraten.

2.3.2.4.3 Psychosoziale BeratungDavon zu unterscheiden ist die „psychosoziale Beratung“.Sie setzt an konkreten psychischen Konflikten an und be-zieht die Lebenssituation und Lebensplanung der Betrof-fenen mit ein. Sie dient dazu, die ratsuchende Person beieiner emotionalen Einordnung ihrer Situation und ihrerjeweiligen Entscheidungsfindung zu unterstützen.794

Um eine qualifizierte psychosoziale Beratung anbieten zukönnen, welche die emotionale, soziale, familiäre undpartnerschaftliche Situation der Betroffenen einbeziehtund sie auf diesem Hintergrund zu einer für sie richtigen

persönlichen Entscheidung befähigt, sind nicht medizini-sche oder genetische, sondern psychologische Kompeten-zen gefordert. Sie sollte daher nur von Personen mit einerentsprechenden Ausbildung durchgeführt werden. SofernÄrztinnen und Ärzte selber eine psychosoziale Beratunganbieten wollen, sollten sie über eine entsprechende Zu-satzausbildung verfügen.

Die psychosoziale Beratung unterscheidet sich auch da-durch von Information und Aufklärung, dass die Freiwil-ligkeit auf Seiten der Ratsuchenden zu ihrem Gelingenunabdingbar ist. Psychosoziale Beratung muss daher frei-willig in Anspruch genommen werden und kann im Un-terschied zu Information und Aufklärung keinen Pflicht-charakter haben.

Sofern nicht aus klinischen Gründen ein unmittelbarerHandlungsdruck besteht, sollte die psychosoziale Bera-tung, wenn die betroffene Person sie in Anspruch nehmenmöchte, vor der Diagnostik einsetzen, um die Bedingungeneiner freien und informierten Entscheidung zu verbessern.

Die Erfahrungen mit Gentests wie BRCA 1/2 und Hun-tington-Krankheit zeigen, dass diese Tests im Falle einespositiven Befundes extrem belastend für die betroffenenPersonen sind. Aufgrund dieser Erfahrungen ist zu erwä-gen, ob solche Tests nur zusammen mit integrierter psy-chologischer Betreuung durchgeführt werden sollten.

2.3.2.4.4 Zusammenhang von Information,Aufklärung und Beratung undTestinanspruchnahme

Die grundlegende Bedeutung einer qualifizierten geneti-schen Information, Aufklärung und Beratung wird durchden Umstand unterstrichen, dass ein Zusammenhang zwi-schen deren Bereitstellung und der Inanspruchnahme vonTestangeboten besteht. Gut informierte Personen entschei-den sich, wie empirische Untersuchungen belegen, ehergegen bestimmte genetische Testangebote als weniger gutinformierte. Zum Beispiel zeigen Untersuchungen zurEinführung des Tests auf Anlageträgerschaft für ZystischeFibrose, dass, je nachdem wie der Test angeboten wird, dieInanspruchnahmeraten steigen bzw. fallen. Geringe Auf-klärung, verbunden mit sofortigem Angebot, ließen die In-anspruchnahme in England auf über 80 % steigen, umfas-sende Aufklärung, verbunden mit Bedenkzeit, ließen dieRate auf unter 10 % sinken. In Deutschland variieren dieInanspruchnahmeraten in unterschiedlichen Einrichtun-gen und Angebotsformen zwischen 99,8 % und 15,5 %.795

In eine ähnliche Richtung weisen vorläufige Ergebnisseaus einer zurzeit in Deutschland laufenden multizentrischenEvaluationsstudie zur prädiktiven Testung von BRCA 1/2.Diese Ergebnisse zeigen, dass

„nach strikter Einhaltung festgelegter formaler ‚infor-med consent‘ Verfahren, die die intensive Aufklärungüber die Aussagereichweiten und Grenzen des Tests,über die zurzeit zur Verfügung stehenden Therapiemög-

793 Die große Mehrheit der Humangenetikerinnen und Humangenetikerin Deutschland fühlt sich dem Konzept einer non-direktiven Auf-klärung und Beratung verpflichtet. Einer Umfrage zufolge haltenüber 91,4 % aller befragten Humangenetikerinnen und Humangene-tiker Non-Direktivität für einen notwendigen ethischen Standard, für79,1 % ist sie ein tragfähiges Konzept für einen verantwortungsvol-len Umgang mit genetischem Wissen, 81,8 % sind der Meinung, dasskeine Ärztin und kein Arzt ohne eine entsprechende Beraterqualifi-kation in der genetischen Beratung tätig werden sollte (Nippert/Wolff, zit. n. Wolff 1998, S. 174.).

794 Vgl. zu diesen Unterscheidungen Pränataldiagnostik und Beratung1999, S. 4f. 795 Nippert 2001a, S. 693.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 169 – Drucksache 14/9020

lichkeiten und Bedenkzeiten beinhalten, sich mehr als50 % der bisher beratenen Frauen gegen den Test ent-scheiden (Inanspruchsnahme 40 %). Diese vorläufi-gen Daten stimmen mit den Ergebnissen anderer Stu-dien im Ausland zur Inanspruchnahme von BRCA1/2Testangeboten überein.“796

2.3.2.4.5 Fehlende KapazitätenIn der Praxis sind qualifizierte Information, Aufklärungund Beratung in Deutschland heute nur bedingt gegeben.Beispielsweise fanden 1997 rund 40 % aller genetischenDiagnosen ohne genetische Beratung statt.797 Auch mussderzeit davon ausgegangen werden, dass die Mehrheitderjenigen, die genetische Testverfahren in Anspruch neh-men, aufgrund mangelnder Qualifikation von Ärztinnenund Ärzten nur begrenzt Zugang zu „State-of-art“-Infor-mationen gemäß den Empfehlungen der Deutschen Ge-sellschaft für Humangenetik (DGfH) haben.798 Zusätzlichverschärfen könnte sich die Problematik der Sicherstel-lung informierter und selbstbestimmter Entscheidungs-findung in Zukunft mit der Ausbreitung genetischer Testangebote, insbesondere mit der Einführung chip-ba-sierter „Multiplex“-Verfahren.799

Ein systematischer Überblick darüber, in welchem Um-fang eine kompetente psychosoziale Beratung zur Unter-stützung einer persönlichen Entscheidungsfindung ange-boten wird und in welchem Maße dieses Angebotwahrgenommen wird, existiert gegenwärtig nicht. Derzeitwird von verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern sowie von Verbänden der psychosozialenArbeit über die Konzeption neuer Beratungsstrukturenaußerhalb der Humangenetik nachgedacht.800 Einzelnesolcher Projekte, wie die Beratungsstelle Cara in Bremenoder die Evangelische Konferenz für Familien- und Le-

bensplanung e.V. in Berlin, die Beratung zu Pränataldia-gnostik anbieten, existieren bereits.

Die Defizite an einer vorhergehenden oder nachsorgen-den fachkompetenten Information, Aufklärung und Bera-tung betreffen insbesondere den Bereich der pränatalengenetischen Diagnostik. Die pränatale genetische Dia-gnostik hat in den zurückliegenden Jahren eine massiveAusweitung erfahren und befindet sich auf dem Weg, einroutinemäßig durchgeführtes Verfahren zu werden. Damitnimmt auch die Gefahr zu, dass Frauen in die pränataleDiagnostik „hineinschlittern“, ohne diese bzw. derenmögliche Folgen zuvor ausreichend reflektiert zu haben.Gerade mit Blick auf die Pränataldiagnostik besteht dieGefahr einer „angebotsinduzierten“ Nachfrage nach ge-netischen Testangeboten.801

Die Qualität von Information, Aufklärung und Beratungvor und nach der Durchführung genetischer pränatalerDiagnostik ist seit Jahren Gegenstand anhaltender Dis-kussionen.802 Auch derzeit jedoch sind offenkundig wedereine fachliche genetische und medizinische Beratung überdie Häufigkeit von genetischen Abweichungen, Krank-heitsbildern und Risiken der genetischen pränatalen Dia-gnostik noch eine psychosoziale Beratung der Frauen inder schwierigen Entscheidung für oder gegen eine Präna-taldiagnostik ausreichend gewährleistet. Die meistenSchwangeren, die pränatale Diagnoseverfahren in An-spruch nehmen, werden vor Inanspruchnahme des Testsnicht aufgeklärt und beraten.803 Das Erfordernis des in-formed consent ist daher in der Praxis oft nicht erfüllt.Nach einer Untersuchung des Bundesministeriums fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend sind schwangereFrauen nur selten darüber informiert, dass und wo sieaußerhalb des medizinischen Kontextes eine psychoso-ziale Beratung im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik

796 Nippert 2001a, S. 693.797 Hennen et al. 2001, S. 54.798 Nippert 2001b, S. 695; mündliche Mitteilung von Prof. Klaus Zerres

im Rahmen der öffentlichen Anhörung am 16. Oktober 2000.799 Nippert 2001a, S. 145.800 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2001;

Haker 1998; Heinkel 2000; Dederich 2000.

Tabel le 21

Durch geregelte Weiterbildung humangenetisch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte in Deutschland

Bezeichnung berufstätig davon:

ambulant stationär Behörden/ Körper-schaften.

Sonstige Bereiche

Facharzt für Humangenetik 181 52 97 16 16

Zusatzbezeichnung Medizini-sche Genetik 292 135 123 16 18

Quelle: Bundesärztekammer 2001

801 Nippert 2000, S. 144.802 Vgl. beispielsweise Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und

Risiken der Gentechnologie“ 1987, S. 147ff. Einen aktuellenÜberblick über den Diskussionsstand zu Beratung im Zusammen-hang pränataler Diagnostik gibt Baldus 2001.

803 Nippert 2001b.

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Drucksache 14/9020 – 170 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

bekommen können. In Kliniken und bei niedergelassenenGynäkologinnen und Gynäkologen werden sie derzeit nurausnahmsweise auf solche Angebote hingewiesen.804

Verschiedene Untersuchungsergebnisse belegen, dass ins-besondere bei Ärztinnen und Ärzten, die keine humange-netische Zusatzausbildung haben, häufig Defizite im Hin-blick auf ein fachkompetentes Angebot an Informationund Aufklärung besteht:

– Eine Untersuchung zum Aufklärungsverhalten undzur Informationskompetenz niedergelassener Ärzte,die genetische Tests bei kommerziellen Laboren zurUntersuchung auf Genträgerschaft für das APC-Gen(Polyposis coli/Darmkrebs) in Auftrag gaben – 88 %der getesteten Personen waren asymptomatisch fürDarmkrebs – ergab, dass in 17 % der Fälle eine Indi-kation zum Testen nicht gegeben war, nur in 16,9 %aller Fälle eine schriftliche Einverständniserklärungvorlag und in 31,6 % der Fälle die vom Arzt erbeteneInterpretation des Testergebnisses falsch war.805

– Untersuchungen von Geller zur Einführung der prä-diktiven Testung auf familiär bedingten Brustkrebszeigen, dass nur 5 % der befragten Frauen, die alle ausHochrisikofamilien kamen, einen informed consentvor der Testung für nicht wichtig hielten. Dagegen hiel-ten 28 % der befragten männlichen Ärzte einen infor-med consent vor Testung für nicht wichtig. Währendnur 6 % der befragten Frauen angaben, bei positivemBefund eine prophylaktische Mastektomie in Betrachtzu ziehen, würden 28 % der Ärzte diesen Eingriff vonvornherein nach positivem Testergebnis empfehlen,nach Fachgebiet aufgeschlüsselt lag der Anteil derempfehlenden Ärzte bei den Chirurgen bei 50 %.806

– Eine Untersuchung in Großbritannien ergab, dass ins-besondere humangenetisch nicht qualifizierte Ärzte Be-ratung und informed consent vor der Durchführung vonpränatalen Diagnoseverfahren nicht wichtig fanden.807

– Eine Befragung unter niedergelassenen Ärzten fürAllgemeinmedizin in den USA ergab, dass die Mehr-heit der Befragten annahm, dass eine „Trisomie 52“(eine Chromosomenstörung, die es nicht gibt, da eskein menschliches Chromosom 52 gibt) durch die prä-natale Diagnostik erkannt werden kann.808

– Daten aus dem BIOMED 2-Projekt „Decision-makingafter the diagnosis of a fetal abnormality“ (DADA) be-legen, dass die Schwangerschaftsabbruchsraten beipositivem Befund einer klinisch meist nicht besondersschweren Chromosomenstörung (47, XXY) nach prä-nataler Diagnostik in verschiedenen Zentren zwischen0 % und 76,9 % variieren. Schwangere, die über dasTestergebnis von einem humangenetisch qualifizier-

ten Arzt beraten werden, brechen in 35,5 % der Fälledie Schwangerschaft ab, Schwangere, die von einemanders qualifizierten Arzt beraten werden, brechen in71,9 % der Fälle die Schwangerschaft ab. Die Wahr-scheinlichkeit, eine Schwangerschaft fortzusetzen, ist2,4-fach höher, wenn ein in der genetischen Beratungqualifizierter Arzt nach Befund berät. Diese Unter-schiede sind wahrscheinlich auf unterschiedliche Auf-klärungsstile und unterschiedliche Kenntnis des Syn-droms beim informierenden Arzt zurückzuführen. Siebelegen die Abhängigkeit der Entscheidungsfindungder Schwangeren, wenn sie selbst die Störung aus ei-gener Anschauung nicht kennt, von akkurater undqualifizierter Information.809

Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass die Vo-raussetzungen für eine freie und informierte Entscheidungder betroffenen Person in der Praxis häufig nicht gewähr-leistet sind.

In Deutschland besteht gegenwärtig ein Mangel an Ärz-tinnen und Ärzten, die über eine qualifizierte genetischeAusbildung mit entsprechenden Fachkenntnissen und ei-ner Beratungsqualifikation verfügen. Es gibt zurzeit nurwenige Hundert Ärzte, die für die Erbringung komplexergenetischer Information und Aufklärung qualifiziert sind,wobei ungeklärt ist, wie viele davon über eine Beratungs-qualifikation verfügen. Dies bedeutet, dass die Mehrzahlgenetischer Tests auch zukünftig von Ärztinnen und Ärz-ten, die außerhalb der Humangenetik tätig sind, veranlasstund interpretiert wird. Die Deutsche Gesellschaft für Hu-mangenetik (DGfH) hält, um den laufenden Beratungsbe-darf abdecken zu können, rund 450 zusätzliche Fachärz-tinnen und Fachärzte für Humangenetik für erforderlich,wobei ein allgemeiner, nicht zwischen Information/Auf-klärung und psychosozialer Beratung differenzierenderBegriff genetischer Beratung verwendet wird.810

Als ein weiterer wichtiger Grund für die insgesamt wenigzufriedenstellende Situation wird von Expertinnen undExperten neben dem Mangel an personellen Kapazitätenauch der Umstand genannt, dass eine genetische Beratung– wiederum im allgemeinen Sinne – gegenwärtig für dieberatende Person aufgrund der bestehenden Abrech-nungsmöglichkeiten ökonomisch wenig attraktiv ist.811

2.3.2.4.6 Qualität von Information, Aufklärung und Beratung

Den „Leitlinien zur Genetischen Beratung“ des Bundes-verbands Medizinische Genetik von 1996 folgend um-fasst ein genetisches Beratungsgespräch

„5.1 Informationsgebung über

– medizinische Zusammenhänge angeboreneroder spätmanifestierender genetisch beding-

804 Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend2001, S. 32 u. 40.

805 Holtzman/Watson 1997, zit. n. Nippert 2001a, S. 693.806 Geller 1997, zit. n. Nippert 2001a, S. 694.807 Dodds 1997, zit. n. Nippert 2001b.808 Wertz 1997, zit. n. Nippert 2001a, S. 694.

809 Marteau et al. 2001, zit. n. Nippert 2001b.810 Wolff 2001; mündliche Mitteilung Prof. Klaus Zerres im Rahmen

der öffentlichen Anhörung am 16. Oktober 2000.811 Mündliche Mitteilung Prof. Gerhard Wolff im Rahmen der nicht-

öffentlichen Anhörung am 5. März 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171 – Drucksache 14/9020

ter bzw. mitbedingter Erkrankungen und Behinderungen unter Einschluß von Ätiolo-gie, Prognose, Therapie bzw. Prävention so-wie prä- und postnatale Diagnostik und ihreGrenzen;

– die Bedeutung genetischer Faktoren bei derKrankheitsentstehung und deren Auswirkun-gen auf die Erkrankungswahrscheinlichkei-ten für Angehörige bzw. die/den zu Bera-tende(n) selbst. Wenn möglich, muss eineBerechnung der Erkrankungsrisiken erfol-gen. In anderen Fällen muss eine Abschät-zung der Höhe von Erkrankungsrisiken ver-sucht werden;

– im Falle exogener Belastungen möglicheWirkungsmechanismen, teratogene und/odermutagene Risiken sowie Möglichkeiten vonPrävention bzw. Therapie und pränatalerDiagnostik.

5.2 Hilfe bei einer individuellen Entscheidungsfin-dung unter Berücksichtigung der jeweiligenpersönlichen bzw. familiären Situation. Eine be-sondere Bedeutung kommt dabei der Beachtungund Respektierung der individuellen Werthal-tungen einschließlich religiöser Einstellungensowie der psychosozialen Situation der Ratsu-chenden zu.

5.3 Hilfe bei der Bewältigung bestehender bzw.durch genetische Diagnostik neu entstandenerProbleme.“812

Ergebnisoffenheit ist die unverzichtbare Bedingung fürAufklärung und Beratung, vor allem dann, wenn sie sichauf Erkrankungen und Störungen bezieht, die nicht be-handelbar oder vermeidbar und die für die Lebens- undFamilienplanung bedeutsam sind.813

Das Konzept der non-direktiven Beratung, bei dem es sichnicht im eigentlichen Sinn um eine Beratungsmethodehandelt, ist in den zurückliegenden Jahren durch eine pa-tienten- und klientenorientierte Beratung bis hin zu einer„erlebensorientierten Beratung“ weiterentwickelt wor-den, bei der sich die Beraterin bzw. der Berater im We-sentlichen von den gemeinsam erarbeiteten Beratungszie-len und von den Bedürfnissen der Patientinnen undPatienten bzw. der Klientinnen und Klienten leiten lässt.Dies impliziert auch neue Anforderungen an die Qualifi-kation der in der Gendiagnostik tätigen Beraterinnen undBerater sowie neue Anforderungen an die Qualitätssiche-rung genetischer Beratung.

Insbesondere für den Bereich der genetischen pränatalenDiagnostik wird seit einigen Jahren – ergänzend zur hu-mangenetischen Beratung – eine verbesserte psychoso-ziale Beratung gefordert, da aus dem Diagnoseangebot fürFrauen und Paare nicht selten schwerwiegende Entschei-

dungskonflikte resultieren. Durch psychosoziale Bera-tungsangebote sollen Frauen in ihrer schwierigen Ent-scheidung für oder wider die Inanspruchnahme geneti-scher Pränataldiagnostik und – bei positivem Befund – inihrer Entscheidung für oder gegen einen Schwanger-schaftsabbruch unterstützt werden. Psychosoziale Bera-tung im Kontext pränataler Diagnostik beinhaltet auch In-formation und Aufklärung, geht aber über diese hinaus.Sie bietet Hilfe beim Umgang mit der Diagnostik undsorgt für Unterstützung bei der Entscheidungsfindung vonFrauen und Paaren. Psychosoziale Beratung ist eine Be-ratung nicht nur über die Maßnahme selbst, sondern auchüber deren psychische, soziale und ethische Dimension.Sie thematisiert auch das Schwangerschaftserleben derRat suchenden Frauen und deren Vorstellungen und Sicht-weisen sowie die Problematik der Verantwortungsüber-nahme und versucht auch, bei Rat suchenden Frauen undPaaren neue Sichtweisen und Perspektiven (etwa im Hin-blick auf die Wahrnehmung von Behinderung) zu eröff-nen. Von manchen Befürworterinnen und Befürworterneiner psychosozialen Beratung wird betont, dass dieseauch die Selbstverständlichkeit einer selektiven Diagnos-tik hinterfragen solle.814

Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend geförderten Modellprojekts„Entwicklung von Beratungskriterien für die BeratungSchwangerer bei zu erwartender Behinderung des Kin-des“ wurden von Beraterinnen beispielsweise unter ande-ren die folgenden übergeordneten Zielsetzungen des Be-ratungsprozesses formuliert:

„1. Herstellen einer Beziehung zwischen Klientinund Beraterin.

2. Stärkung der Eigenkompetenz der vorhandenenRessourcen.

3. Umfassende Information und Aufklärung zu PD[Pränataldiagnostik]. Ermöglichung einer kriti-schen Haltung.

4. Zeit, Raum und evtl. auch Sprache dafür geben,dass die Ängste, Phantasien und Befürchtungen be-wusst werden und angesprochen werden können.

5. Aufzeigen von Wegen (Ermutigung) zur An-nahme des Kindes in seinem So-Sein.

6. Krisenintervention in Bezug auf aktuellen Kon-flikt.

7. Hilfestellung bei Wahrnehmung und dem Akzep-tieren persönlicher Gefühle.

8. Begleitung in Trauer und bei einem Neuanfang.

9. Frauenspezifische Beratung.

10. Einbeziehung des Partners.“815

812 Bundesverband Medizinische Genetik 1996.813 Wolff 2001; vgl. auch Wolff 1998; Hartog/Wolff 1997.

814 Mündliche Mitteilung Ebba Kirchner-Asbrock im Rahmen dernichtöffentlichen Anhörung am 5. März 2001.

815 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend2001.

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Drucksache 14/9020 – 172 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2.3.2.4.7 Wer soll Information, Aufklärungund/oder Beratung durchführen?Erforderliche Qualifikationen undinstitutionelle Strukturen

An der Beratung bzw. der Information und Aufklärung inmedizinischen Kontexten wird – insbesondere von Frau-engesundheitszentren und anderen Organisationen – de-ren Verkürzung auf medizinische Informationen und denRisikoaspekt kritisiert. Sie wird darüber hinaus als nichtneutral wahrgenommen. Zum einen gebe es in der hu-mangenetischen Beratung eine Tendenz in Richtung aufeine Inanspruchnahme von Testangeboten, zum anderenwerde die mit der genetischen pränatalen Diagnostik ver-bundene selektive Praxis nicht in Frage gestellt. Unter an-derem deshalb wird von manchen eine unabhängige psy-chosoziale Beratung außerhalb der Medizin bzw. außerhalbder Humangenetik als wünschenswert angesehen.816

Gegen diesen Vorschlag einer institutionellen Trennungzwischen genetischer Diagnose und Beratung wird gel-tend gemacht, dass eine ergebnisoffene, qualifizierte Be-ratung innerhalb der Humangenetik nicht unbedingt zurAusweitung der genetischen Diagnostik oder der Inan-spruchnahme genetischer Testangebote führe. Untersu-chungen zeigten vielmehr, wie schwer Anbieter dieNachfrage nach genetischen Testangeboten mit einemfraglichen Nutzen stimulieren können, wenn qualifizierteAufklärung bzw. Beratung dem Testangebot vorgeschal-tet werde. Insbesondere sei es sinnvoll, dass eine hoheExpertise in der kritischen Bewertung vorhandener gene-tischer Testangebote zur Verfügung stehe. Die erforderli-che Expertise sei derzeit oft jedoch nur bei qualifiziertenFachleuten, die auch die Diagnostik handhaben könnten,vorhanden.

Diese Gründe sprechen nach Auffassung der Enquete-Kommission für eine geregelte Kooperation von Diagnose,Information und Aufklärung, jedoch nicht unmittelbar füreine Anbindung der Beratung an den institutionellen Kon-text der Humangenetik. Eine spezifische Qualifikation undKompetenz im Bereich humangenetischen Fachwissensschließt nicht per se eine Qualifikation und Kompetenzhinsichtlich psychosozialer Beratung ein und umgekehrt.Einiges spricht dafür, ein Angebot an psychosozialer Be-ratung auch außerhalb der Humangenetik bereitzustellen,für das nicht humangenetische oder medizinische, son-dern sozialpädagogische oder psychologische Kompeten-zen gefordert wären. Die Kompetenz zur psychosozialenBeratung muss unabhängig davon durch eine darauf be-zogene spezielle Ausbildung erworben werden.

Information und Aufklärung könnten grundsätzlich außervon Fachärztinnen und Fachärzten für Humangenetik un-ter der Voraussetzung, dass sie über eine qualifizierte Zu-satzausbildung verfügen, auch von Ärztinnen bzw. Ärztenmit unterschiedlichen Gebietsbezeichnungen fachkompe-

tent geleistet werden. Ebenso könnten Nichtmedizinerin-nen und Nichtmediziner, die über eine qualifizierte Aus-bildung verfügen, Information und Aufklärung über gene-tische Tests durchführen, z. B. Fachhumangenetikerinnenund Fachhumangenetiker oder Personen mit einem Master-Abschluss in Genetic Counselling (USA/Großbritannien,in Deutschland nicht angeboten). In Großbritannien bera-ten darüber hinaus speziell ausgebildete „genetic nurses“und Hebammen mit genetischer Zusatzqualifikation.

Auf der anderen Seite wäre es wünschenswert, dass die-jenigen Personen, die den Test durchführen, seien es Me-dizinerinnen und Mediziner oder Angehörige anderer Be-rufe, auch eine entsprechende (Weiter-)Qualifikation imHinblick auf psychosoziale Beratung aufweisen. Wenndies nicht gegeben ist, sollte für Ratsuchende eine andereAdresse zur Verfügung stehen, bei der sie eine kompe-tente Beratung erhalten können.

Derzeit laufen in Deutschland einige Projekte, die eineVerbesserung des Angebots psychosozialer Versorgungfür Schwangere im Zusammenhang mit Pränataldiagnos-tik zum Ziel haben. Insbesondere werden Konzepte zurKooperation verschiedener Berufsgruppen (z. B. Hebam-men, Beraterinnen und Berater, Seelsorgerinnen und Seel-sorger, Gynäkologinnen und Gynäkologen) entwickelt,die zum Ziel haben, schwangere Frauen besser über exis-tierende psychosoziale Beratungsangebote zu informie-ren.817

2.3.2.4.8 Qualitätskontrolle von Information,Aufklärung und Beratung

Bislang gibt es weder eindeutig festgelegte Kriterien zurQualitätsbewertung von Information, Aufklärung und Be-ratung noch ausformulierte Modelle zur Qualitätssiche-rung. Die Qualitätskontrolle erfolgt gegenwärtig vor al-lem durch die Weiter- und Fortbildung sowie durchSupervision. Eine gewisse zusätzliche Qualitätskontrollewird in der humangenetischen Beratung durch die Doku-mentationspflicht sowie die Verpflichtung gewährleistet,von jeder Beratung verständliche, schriftliche Zusam-menfassungen zu erstellen.

Um ein Instrument der Qualitätskontrolle zu implemen-tieren, wird verschiedentlich vorgeschlagen, in Analogiezu den Ringversuchen bei der zytogenetischen und mole-kulargenetischen Diagnostik auch bei humangenetischenBeratungsstellen Qualitätszirkel zu organisieren unddiese an Monitorings teilnehmen zu lassen. Auf dieseWeise könnte der gesamte Prozess von Leistungen nachdem Prinzip der kontinuierlichen Qualitätsverbesserungüberprüft werden. Entsprechende Qualitätssicherungs-modelle müssten jedoch erst noch erarbeitet werden. Fürsinnvoll wird dabei auch ein stichprobenartiges Follow-up der Entscheidungen der Ratsuchenden einschließlichmedizinischer und sozialer Komponenten gehalten.818

816 Mündliche Mitteilung Ebba Kirchner-Asbrock im Rahmen dernichtöffentlichen Anhörung am 5. März 2001; Pränataldiagnostikund Beratung 1998.

817 Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend2001.

818 Nippert 2001b; Wolff 2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173 – Drucksache 14/9020

2.3.2.4.9 Pflichtberatung versusBeratungspflicht

Die Frage, ob humangenetische bzw. psychosoziale Be-ratung (im Unterschied zur obligaten Information und Aufklärung) zur verpflichtenden Voraussetzung vor derDurchführung eines Gentests gemacht werden soll(Pflichtberatung) oder aber von Testanbieterinnen und -anbietern verpflichtend als Beratungsangebot vorgehal-ten werden muss, ohne dass dieses von der betroffenenPerson in Anspruch genommen werden muss (Beratungs-pflicht), wird kontrovers diskutiert.

Die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken derGentechnologie“ des Deutschen Bundestags hat einePflichtberatung zumindest für den Bereich der pränatalenDiagnostik empfohlen. Eine genetische Beratung solltedemnach

„verpflichtende Voraussetzung für eine pränatale Dia-gnostik sein und einige Tage vor der Zellentnahme fürdie Durchführung einer pränatalen Diagnose erfolgen.Damit sollen den Eltern Informationen und Zeit gege-ben werden, das Risiko der Zellentnahme für Embryound Mutter und den möglichen Entscheidungskonfliktnach der Erhebung der genetischen Daten zu überden-ken.“819

Das Gentechnikgesetz in Österreich macht die Durch-führung einer Genanalyse zur Feststellung einer Veranla-gung für eine Erbkrankheit oder zur Feststellung einesÜberträgerstatus von einer ausführlichen Beratung durchden die Untersuchung veranlassenden Arzt bzw. die ver-anlassende Ärztin abhängig. Auch der schweizerischeVorentwurf eines Bundesgesetzes über genetische Unter-suchungen beim Menschen sieht in Artikel 12 vor, dasspräsymptomatische und pränatale Untersuchungen sowieUntersuchungen im Hinblick auf die Familienplanungvor, während und nach ihrer Durchführung von einer non-direktiven genetischen Beratung begleitet sein müssen.

Gegen eine Pflichtberatung wird allerdings geltend ge-macht, dass die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme einerBeratung vom fachlichen Standpunkt aus eine notwendigeVoraussetzung zur Offenheit der Beratung sei. Eingewen-det wird gegen eine Pflichtberatung darüber hinaus, dassdiese einen rechtfertigungspflichtigen Eingriff in dieSelbstbestimmung der Betroffenen darstelle. Statt einerRegelung, die die Individuen in einen (Beratungs-)Zwangbringe, sei eine Verpflichtung der Anbieterinnen und An-bieter von pränataler Diagnostik in dem Sinne erforder-lich, dass sie keine Tests anbieten bzw. durchführen dür-fen, ohne dass vorausgehend und umfassend beraten wird.Dies könne z. B. dadurch geschehen, dass Anbieterinnenund Anbieter dazu verpflichtet werden, Gebühren an denStaat abzuführen, die dann für die Bereitstellung unabhän-giger Beratungsstellen verwendet werden könnten.820

Information und Aufklärung müssten allerdings durchausverpflichtenden Charakter für beide Seiten haben, da

sonst die Voraussetzungen der freien und informierten Zu-stimmung oder Ablehnung nicht gegeben sind.

2.3.2.4.10 Gesellschaftlicher Informations-und Aufklärungsbedarf

Von verschiedenen Seiten wird auch eine bessere Infor-mation und Aufklärung der Öffentlichkeit über die (be-grenzte) Leistungsfähigkeit genetischer Diagnostik für er-forderlich gehalten. Bereits eine zwischen 1988 und 1990im Auftrag des Büros für Technikfolgen-Abschätzungbeim Deutschen Bundestag durchgeführte Umfrage hatteeinen „Mangel an Informiertheit über genomanalytischeMethoden und deren ethische und soziale Problematik“diagnostiziert.821 Es ist nicht davon auszugehen, dass sichdie Situation seither wesentlich verbessert hat. Geneti-sches Wissen ist in der Bevölkerung weiterhin nur unzu-reichend vorhanden.

Unterstützt wird diese Beobachtung auch durch empiri-sche Untersuchungen über Übereinstimmungen und Un-terschiede in den Einstellungen von Humangenetikerinnenbzw. Humangenetikern und Patientinnen bzw. Patienten.Diese Untersuchungen zeigen, dass auf Seiten von Hu-mangenetikerinnen und Humangenetikern in der Regelein höheres Maß an Sensibilität für die ethischen und so-zialen Voraussetzungen und Folgen genetischer Diagnos-tik vorausgesetzt werden kann als in der Bevölkerung. Sosind beispielsweise Patientinnen und Patienten in wesent-lich höherem Maße als Humangenetikerinnen und Hu-mangenetikern zur Durchführung eines Tests auf spätma-nifestierende Erkrankungen bei Kindern bereit. Gleichesgilt – mit Ausnahme der Geschlechtsselektion – auch fürdie Nutzung genetischer Diagnostik für nichtkrankheits-bezogene Zwecke. Und auch die Idee einer „verantwort-lichen Elternschaft“ trifft bei Patientinnen und Patientenin höherem Maß auf Resonanz als bei Humangenetikerin-nen und Humangenetikern.822 Dabei ist allerdings zuberücksichtigen, dass die Kontrollgruppe aus Patientin-nen bestand, die sich bereits für pränatale Diagnostik ent-schieden hatten und somit eine gewisse Auswahl inner-halb der Bevölkerung darstellen.

Im Hinblick auf Information, Aufklärung und Beratung,insbesondere im Kontext pränataler Diagnostik, ist dieserBefund aus verschiedenen Gründen von Bedeutung:

– Sowohl eine bewusste Entscheidung für, als auch einebewusste Entscheidung gegen genetische pränataleDiagnostik setzen auf Seiten der Betroffenen eine aus-reichende Information und Aufklärung voraus. Auchim Falle einer Ablehnung müssen die betroffenenFrauen wissen, wogegen sie sich wenden.

819 Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ 1987, S. 153.

820 Neuer-Miebach 1999, S. 90f.

821 Hennen et al. 1996, S. 257.822 Nippert/Wolff 1999, S. 106. Unter „verantwortlich“ wird hier die in-

dividuelle Verantwortung für die genetische Ausstattung der zu-künftigen Kinder verstanden. Dieser Begriff von „verantwortlicherElternschaft” ist kritisiert worden; Haker hat dem einen anderen Be-griff von „verantwortlicher Elternschaft“ entgegengesetzt, demzu-folge diese in einer bedingungslosen Annahme von Kindern durchihre Eltern bestehe (Haker 2001).

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– Information und Aufklärung über die grundlegendenProbleme der genetischen Diagnostik kommen häufigzu spät, erfolgen sie erst dann, wenn Ratsuchende einehumangenetische Beratungsstelle aufsuchen. Zumin-dest für die pränatale Diagnostik ist festzustellen, dasseine Schwangerschaft kein optimaler Zeitpunkt ist,um sich mit der gesamten Problematik auseinander zusetzen.

– Patientinnen und Patienten sind in ihrer Entschei-dungsfindung in hohem Maße abhängig von akkuraterInformation. Mangelhafte Information und Auf-klärung auf Seiten der Anbieterinnen und Anbietervereiteln bei Patientinnen und Patienten die Möglich-keit einer informierten Entscheidung. Während Pati-entinnen und Patienten Meinungen wie „ich würdedies empfehlen“ erkennen und bewerten können, sindsie nicht in der Lage, inkorrekte Informationen als sol-che zu erkennen. Daraus resultiert eine höhere Inan-spruchnahme von Tests und es erhöht sich z. B. dieWahrscheinlichkeit von Schwangerschaftsabbrüchenbei eher banalen Befunden.823

– Es besteht die Gefahr, dass Tests – bei mangelnder ge-sellschaftlicher Diskussion ihrer Problematik – alleinnach dem „Image“ (Schwere, Verbreitung, Schicksal-haftigkeit) der Krankheit beurteilt werden, für die sie– begründet oder nicht – medizinische Hilfe verspre-chen.824

Sachgerechte und non-direktive Information und Auf-klärung bilden daher die Mindestvoraussetzung für einefreie und informierte Entscheidung über die Annahmeoder Ablehnung eines Testangebots. Eine nicht nur for-mell, sondern im umfassenden Sinne freie Entscheidungwäre aber erst dann gegeben, wenn die soziale Diskrimi-nierung und kulturelle Stigmatisierung von Kindern, dienicht der Norm entsprechen, abgebaut wären und Frauenkeinem wie auch immer subtilen oder indirekten Druckausgesetzt wären, „normale“ Kinder zu bekommen.

2.3.3 Gendiagnostik-KommissionZur Gewährleistung der Kontrolle von Einrichtungen, andenen genetische Untersuchungen durchgeführt werden,zur Formulierung verbindlicher Standards für die Zulas-sung von Tests oder zur Beratung von mit diesen Aufga-ben beauftragten Behörden sind in verschiedenen Staatenzentrale Kommissionen (Gentechnikkommission, Gen-diagnostik-Kommission) eingerichtet worden.

Zum Beispiel schreibt § 80 des österreichischen Gentech-nikgesetzes (GTG) die Einrichtung einer Gentechnikkom-mission vor, der neben Vertreterinnen und Vertretern ver-schiedener Ministerien auch Vertreterinnen und Vertretergesellschaftlicher Gruppen sowie mehrere Sachverständigemit einschlägiger Expertise angehören sollen. Vom zustän-digen Ministerium sind von Gesetzes wegen mehrere wis-senschaftliche Ausschüsse der Kommission einzurichten,

darunter ein Ausschuss für Genanalyse und Gentherapieam Menschen. Diesem Ausschuss obliegt die Begutach-tung von Anträgen auf Durchführung genanalytischer Un-tersuchungen. Der Ausschuss ist somit befugt, auch überdie Zulässigkeit neuer Tests zu befinden. Er hat sich bishervorwiegend mit der Bewertung solcher Tests befasst, diebereits in der medizinischen Praxis etabliert sind.825

Die Einrichtung einer Kommission für genetische Unter-suchungen ist auch im schweizerischen Vorentwurf fürein Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beimMenschen vom September 1998 vorgesehen. Die Aufga-ben der Kommission, in der „die massgeblichen wissen-schaftlichen Fachrichtungen und die Praxis angemessenvertreten sein“ müssen, werden in Artikel 33 des Ent-wurfstextes wie folgt beschrieben:

„Art. 33 Aufgaben

Die Kommission hat die Aufgabe:

a. Massstäbe für die Qualitätskontrolle von Labora-torien im Hinblick auf die Bewilligungserteilungund die Aufsicht (Art. 6) zu erarbeiten;

b. auf Anträge der Bewilligungsbehörde zu konkre-ten Bewilligungsgesuchen Stellung zu nehmen;

c. im Auftrag der Bewilligungsbehörde bei Inspek-tionen von Laboratorien mitzuwirken;

d. Empfehlungen zur Durchführung von Reihenun-tersuchungen (Art. 10) abzugeben;

e. die zuständige Behörde bei Gesuchen um Entbin-dung vom Berufsgeheimnis nach Artikel 15 Ab-satz 3 auf Anfrage zu beraten;

f. die Zuverlässigkeitsprüfung für genetische Testsund Untersuchungen nach den Artikeln 7, 19, und23 vorzunehmen;

g. die wissenschaftliche und praktische Entwicklungder genetischen Untersuchungen zu verfolgen,Empfehlungen dazu abzugeben und Lücken in derGesetzgebung aufzuzeigen;

h. zusammen mit der nationalen Ethikkommissionzur Klärung ethischer Fragen in bezug auf geneti-sche Untersuchungen beizutragen;

i. die eidgenössischen Räte, den Bundesrat und dieKantone auf Anfrage zu beraten.“

Die Mitglieder der in der Schweiz vorgesehenen Kom-mission für genetische Untersuchungen sollen nach ihrerfachlichen Kompetenz auf dem vorliegenden medizi-nisch-naturwissenschaftlichen Gebiet ausgewählt wer-den. Das Schwergewicht der Tätigkeit der Kommissionsoll in einer Überprüfung aus (natur)wissenschaftlicherSicht bestehen. Neben ihren wissenschaftlichen Aufgabensoll die Kommission freilich auch mit „gewissen Aufga-ben der Politikberatung“826 betraut werden. Sie ist – im

823 Nippert 2001a, S. 695. 824 Hennen et al. 1996, S. 257.

825 Hennen et al. 2001, S. 146.826 Bundesamt für Justiz (Schweiz) 1998b, S. 62.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 175 – Drucksache 14/9020

Unterschied beispielsweise zur nationalen Ethikkommis-sion der Schweiz – als ein reines Sachverständigengre-mium konzipiert, in dem Laien kein Mitspracherecht ha-ben, und selbst nicht direkt mit ethischen Fragen befasst.

„Zwischen den Bereichen ‚Wissenschaft‘ und ‚Ethik‘besteht freilich keine strenge Grenzlinie. Liefert einegenetische Untersuchung z. B. keine zuverlässigen Er-gebnisse, besteht auch keine ethische Rechtfertigung,sie vorzunehmen (‚bad science is bad ethics‘).“827

Bereits 1993 war auch vom Nuffield Council on Bioethicsin Großbritannien in seinem Bericht über die ethischenund sozialen Aspekte genetischer Testverfahren die Ein-richtung eines zentralen Gremiums empfohlen worden,das genetische Screening-Programme beurteilen und ihreDurchführung kontrollieren sollte. 1996 hat die britischeRegierung zwei Kommissionen einberufen, die sich mitder Bewertung neuer Verfahren in der Humangenetik be-fassen sollen: Die Aufgabe der Human Genetics AdvisoryCommission (HGAC) besteht darin, die Entwicklungenauf den Gebieten der medizinischen Genetik bzw. Hu-mangenetik zu beobachten und ihre sozialen und ethi-schen Implikationen, d. h. vor allem ihre Auswirkungenauf das öffentliche Gesundheitswesen, auf die beruflicheSphäre sowie auf das Versicherungs- und Patentwesen zubewerten. Die Kommission ist dem Gesundheits- unddem Handelsministerium gegenüber berichtspflichtig. Zuden Aufgaben des Advisory Committee on GeneticTesting (ACGT) zählt die fachliche Beratung der Minis-terien sowie die Erarbeitung von Richtlinien, die eine si-chere Anwendung genetischer Testverfahren garantierensollen.828

Die medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die Ab-schätzung der sozialen Folgen der vorhandenen und abseh-bar verfügbaren Gentests und die damit einhergehendenFragen der Zulassung, des Arztvorbehalts, der Evaluation,des Monitorings und der Kontrolle bedürfen der Klärung.Die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen sinddazu nicht in der Lage.

2.3.4 Gendiagnostik-GesetzAnders als beispielsweise in Österreich sind molekular-genetische Untersuchungen am Menschen in Deutschlandnicht durch ein spezielles Gesetz geregelt. In der Schweizist ein Bundesgesetz über genetische Untersuchungen amMenschen in Vorbereitung.

Die Chancen und Risiken der Anwendung gendiagnosti-scher Verfahren am Menschen werden in Deutschland seitden 1980er Jahren in zahlreichen von Bundes- und Lan-desregierungen eingerichteten Kommissionen und Ar-beitsgruppen intensiv diskutiert. Von diesen Kommissio-nen wurde mehrfach betont, eine Regelung des Einsatzesgenetischer Diagnostik habe sich an der Herstellung vonRahmenbedingungen zur Gewährleistung individueller,informierter und autonomer Entscheidungen für oder ge-

gen die Durchführung genetischer Diagnostik zu orientie-ren. Eindeutige Empfehlungen für oder gegen eine gesetz-geberische Intervention wurden nicht ausgesprochen.829

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sich1999 in ihrer Stellungnahme zur Humangenomforschungund zu prädiktiven genetischen Gentests gegen neue ge-setzgeberische Maßnahmen ausgesprochen und empfoh-len, die Einhaltung wissenschaftlicher und ethischer Stan-dards in der Verantwortung der Wissenschaft und derjeweiligen Berufsverbände zu belassen.830

Mittlerweile mehren sich jedoch auch in DeutschlandStimmen, die eine möglichst umfassende gesetzlicheRegelung genetischer Untersuchungen am Menschen for-dern. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im DeutschenBundestag hat in der 14. Legislaturperiode einen eigenen„Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Analysen desmenschlichen Erbgutes (Gentest-Gesetz)“ vorgelegt.831

Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat ebenfalls inder 14. Legislaturperiode einen Antrag in den DeutschenBundestag eingebracht, mit dem die Bundesregierungaufgefordert werden soll, einen Gesetzentwurf zur „An-wendung von Gentests in Medizin und Versicherung“ inden Deutschen Bundestag einzubringen, der sich an – imAntrag der CDU/CSU formulierten – Eckpunkten orien-tieren solle.832

Für eine umfassende gesetzliche Regelung genetischerUntersuchungen lassen sich insbesondere drei Argumentegeltend machen:

– Es ist angesichts der großen Entwicklungsdynamik imBereich der genetischen Diagnostik und einer weiter zuerwartenden Ausweitung der Testpraxis fraglich, obdie Instrumente der berufsrechtlichen Selbstregulie-rung ausreichen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden.Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits jetzt beo-bachtbare Fehlentwicklungen und Probleme wie z. B.unzureichende Beratung oder der Einsatz fragwürdi-ger Diagnostika wie dem Triple-Test innerhalb desetablierten Medizinsystems aufgetreten sind.

– Des weiteren ist zu bedenken, dass Empfehlungen vonBerufsorganisationen zur Durchführung von geneti-scher Beratung und Diagnostik keinen verbindlichenCharakter haben, solange sie nicht in die ärztliche Be-rufsordnung übernommen werden. Auch unter dieserVoraussetzung freilich binden sie ausschließlich diedie Beratung und Diagnostik Durchführenden; sieschreiben jedoch nicht die Ansprüche und Rechte vonBetroffenen fest.

– Schließlich muss für die nähere Zukunft mit einer Dif-fusion genetischer Diagnostik in zahlreiche unterschied-liche Anwendungsfelder gerechnet werden. Dazu gehörtauch die Zunahme nichtmedizinischer Tests, die außer-halb des etablierten Medizinsystems angeboten werden.

827 Bundesamt für Justiz (Schweiz) 1998b, S. 62.828 Rohdewohld 1997, S. 496f.

829 Hennen 2001, S. 140.830 Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999.831 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag 2000.832 Antrag der Abgeordneten Reiche et al. 2001.

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Drucksache 14/9020 – 176 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2.4 Bewertungen und EmpfehlungenDie Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, genetische Untersuchungen am Menschendurch ein umfassendes Gendiagnostik-Gesetz zu re-geln, das sich an den nachstehenden Empfehlungenorientiert.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, das Recht des Einzelnen auf informatio-nelle Selbstbestimmung im Bereich der Gendiagnostikdurch rechtliche Regeln im Rahmen eines Gendia-gPnostik-Gesetzes und andere hierzu geeignete Maß-nahmen sicherzustellen. Zum Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung gehören sowohl das Rechteiner Person, die eigenen genetischen Befunde zu ken-nen (Recht auf Wissen) als auch das Recht, diese nichtzu kennen (Recht auf Nichtwissen). Im Hinblick auf Gentests an Minderjährigen und nichteinwilligungs-fähigen Menschen sind hier besonders hohe Schutz-standards erforderlich. Die Durchführung von aus-schließlich dem Wohl Dritter dienender Gentests annichteinwilligungsfähigen Personen sowie genetischeUntersuchungen an Minderjährigen auf spätmanifes-tierende Erkrankungen sollten, sofern sie nicht in die-sem Lebensabschnitt notwendig sind, um therapeuti-sche oder präventive Konsequenzen ziehen zu können,gesetzlich untersagt werden.

Kommentar: Die Durchführung eines Gentests istgrundsätzlich nur bei Vorliegen der freien und informier-ten Zustimmung der Person, die getestet werden soll,zulässig. Grundlegendes Ziel aller einschlägigen Rege-lungen muss es daher sein, das Recht auf informationelleSelbstbestimmung zu sichern, nach dem die bzw. der Ein-zelne grundsätzlich selbst entscheidet, wann und inner-halb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalteoffenbart werden.

Die Enquete-Kommission fordert den Deutschen Bun-destag auf, eine Verletzung des persönlichen Lebens-und Geheimnisbereichs durch heimliche Gentests un-ter Strafe zu stellen.

Kommentar: Die Erhebung oder Verwertung von Ergeb-nissen einer DNA-Analyse, die ohne Kenntnis und Ein-willigung der bzw. des Betroffenen durchgeführt wurde,sollte gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt wer-den. Eine Regelung im Fünfzehnten Abschnitt des StGB(§§ 201ff) böte sich an.

Die Enquete-Kommission fordert den Deutschen Bun-destag auf, durch geeignete Maßnahmen wie eine Er-gänzung des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundge-setzes um den Begriff der „genetischen Merkmale“und ein effektives Diskriminierungsverbot auf ein-fachgesetzlicher Ebene einer Stigmatisierung oderDiskriminierung von Menschen aufgrund ihrer gene-tischen Ausstattung entgegenzuwirken.

Kommentar: Dies bedeutet insbesondere auch, dass Men-schen, die genetische Untersuchungsmethoden – aus wel-chen Gründen auch immer – nicht in Anspruch nehmenwollen, vor jeder Form von Stigmatisierung geschütztwerden müssen.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, Versicherungsunternehmen im Rahmeneiner gesetzlichen Regelung zu untersagen, die Ergeb-nisse prädiktiver Gentests zu verlangen, anzunehmenoder zu verwerten.

Kommentar: Eine Ausnahme könnte lediglich sein, dassVersicherungsnehmerinnen und -nehmer, die ihren prädik-tiven Gentestbefund kennen, das Testergebnis auf Nach-frage mitteilen müssen, wenn sie den Abschluss einer Le-bensversicherung mit einer ungewöhnlich hohen Summebeantragen. Diese Grenze wäre gesetzlich zu regeln.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, eine rechtliche Regelung zu treffen, die dieUnternehmen verpflichtet, alle Vorkehrungen zu tref-fen, die genetische Risiken und Schädigungen am Ar-beitsplatz ausschließen. Arbeitgeberinnen und Arbeit-gebern sollte im Rahmen einer gesetzlichen Regelunguntersagt werden, im Zusammenhang mit Einstel-lungsuntersuchungen oder während der Dauer einesBeschäftigungsverhältnisses von Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern die Durchführung eines moleku-largenetischen oder zytogenetischen Tests zu verlan-gen oder nach früher durchgeführten Gentests zu fra-gen bzw. von deren Ergebnissen Gebrauch zu machen.Darüber hinaus wird empfohlen, Arbeitnehmerinnenbzw. Arbeitnehmern gesetzlich zu verbieten, im Zu-sammenhang von Einstellungsuntersuchungen bzw.während eines Beschäftigungsverhältnisses einer Ar-beitgeberin bzw. einem Arbeitgeber die Ergebnisse ei-nes früher durchgeführten Gentests mitzuteilen.

Kommentar: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kanndie Möglichkeit, sich zum eigenen Schutz vor arbeitsplatz-bedingten Risiken freiwillig einem Gentest zu unterziehen,nicht verwehrt werden. Entsprechende Untersuchungensollten jedoch außerhalb der Arbeitsmedizin stattfinden.Erwägenswert ist die Einrichtung interdisziplinär zusam-mengesetzter Teams in der humangenetischen Beratungunter Einbeziehung arbeitsmedizinischer Expertise. Be-werberinnen und Bewerber um einen Arbeitsplatz solltenvor Aufnahme der Beschäftigung über mögliche mit demArbeitsplatz verbundene Risiken informiert und auf dieMöglichkeit hingewiesen werden, sich außerhalb des Ar-beitsverhältnisses einer diesbezüglichen molekulargeneti-schen oder zytogenetischen Untersuchung zu unterziehen.Die Beratung sollte Angebotscharakter haben, sie darfkeine Verpflichtung darstellen. Die Pflicht zum individuel-len Gesundheitsschutz darf nicht durch die Einführung ge-netischer Diagnostik in der Arbeitsmedizin aufgeweichtwerden. Die Enquete-Kommission empfiehlt eine entspre-chende Klarstellung in § 618 BGB bzw. im Arbeitsschutz-gesetz von 1996.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, die Durchführung von genetischen Rei-henuntersuchungen gesetzlich zu regeln. Darüberhinaus wird empfohlen, die Durchführung von Grup-penuntersuchungen zur Identifikation von heterozy-goten Anlageträgern und Anlageträgerinnen sowieAngebote, bei denen gleichzeitig auf mehrere Merk-male getestet werden soll, gesetzlich zu untersagen.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177 – Drucksache 14/9020

Kommentar: Genetische Reihenuntersuchungen solltengrundsätzlich nur unter der Voraussetzung zulässig sein,dass die Freiwilligkeit der Teilnahme bzw. Nichtteil-nahme gewährleistet ist, die Untersuchung durch einengroßen und klar erkennbaren Beitrag zum gesundheitli-chen Wohlergehen der getesteten Person durch die Eröff-nung präventiver und/oder therapeutischer Optionen ge-rechtfertigt ist, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vordem Test angemessen informiert und aufgeklärt wordensind und den Erfordernissen des Datenschutzes Rech-nung getragen wird. Genetische Reihenuntersuchungensollten nur von Ärztinnen und Ärzten veranlasst werdenkönnen und nur dann, wenn sie vorher von den zuständi-gen Datenschutzinstitutionen gebilligt worden sind. IhreDurchführung sollte von der Bewilligung durch eine zen-tralen Gendiagnostik-Kommission abhängig gemachtwerden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, pränatale Gentests sowie Gentests, die me-dizinischen Zwecken dienen und Gentests, von derenErgebnis eine mögliche Gefahr für die betroffene Per-son ausgehen kann, unter einen gesetzlichen Arztvor-behalt zu stellen.

Kommentar: Pränatale Gentests sollten aufgrund dermittelbar damit verbundenen Gefahr für das Ungeborenegenerell unter Arztvorbehalt gestellt werden. Die Krite-rien zur Bindung von Gentests an den Arztvorbehalt soll-ten gesetzlich geregelt werden. Gentests, die unter Arzt-vorbehalt stehen, sollten nur von Ärztinnen und Ärztendurchgeführt werden, die eine entsprechende Qualifika-tion nachweisen und kontinuierlich an spezifischen Qua-litätssicherungsmaßnahmen teilnehmen.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, die veranlassende Ärztin bzw. den Arzt ge-setzlich zu verpflichten, vor jedem prädiktiven, prä-natalen oder der Familienplanung dienenden geneti-schen Test die Bedingungen für eine freie informierteEntscheidung sicherzustellen.

Kommentar: Testpersonen sind vor, während und nachInanspruchnahme eines pränatalen oder postnatalenGentests, der unter Arztvorbehalt steht, durch die veran-lassende Ärztin bzw. den veranlassenden Arzt umfassendaufzuklären. Insbesondere sollte der veranlassende Arztbzw. die Ärztin verpflichtet werden, die betroffene Personvor Durchführung des Tests über Zuverlässigkeit, Aussa-gekraft, Fehlerquote, Risiken des Tests sowie möglicheKonsequenzen und Handlungsoptionen, die sich aus demTest ergeben, und mögliche Alternativen zum Test aufzu-klären. Weiterhin sollte die veranlassende Ärztin bzw. derArzt verpflichtet sein, vor jedem Test sowie nach einemproblematischen Befund eine humangenetische oder psy-chosoziale Beratung anzubieten oder ausdrücklich überein entsprechendes Beratungsangebot zu informieren.Das Recht auf Nichtwissen der betroffenen Person mussrespektiert werden. Die Erfüllung der Bedingungen desinformed consent ist zu dokumentieren. Im Falle pränata-ler Tests sollte eventuell eine Bedenkzeit von einigen Ta-gen zwischen dem Aufklärungsgespräch und der Durch-führung des Tests liegen.

Die Enquete-Kommission fordert den Deutschen Bundestag auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Etablie-rung eines flächendeckenden, wohnortnahen, niedrig-schwelligen, umfassenden und qualitativ hochstehen-den Angebots an humangenetischer und psychosozialerBeratung in Deutschland rechtlich und finanziell sichergestellt wird.

Kommentar: Der Ärztin bzw. dem Arzt obliegt es, auf dieMöglichkeit einer qualifizierten humangenetischenund/oder psychosozialen Beratung hinzuweisen. Dieskann entweder dadurch geschehen, dass eine Ärztin bzw.ein Arzt, die bzw. der die Untersuchung veranlasst, nach-weist, dass sie bzw. er über die erforderliche Qualifikationzur humangenetischen oder psychosozialen Beratung ver-fügt oder aber dadurch, dass die zu testende Person aufeine hierfür qualifizierte Beratungseinrichtung hingewie-sen wird. Die Wahrnehmung des Beratungsangebotes istfür die ratsuchende Person freiwillig. Im Falle eines po-sitiven Ergebnisses sollte der betroffenen Person auchnach Mitteilung des Ergebnisses eine psychosoziale Be-ratung angeboten werden. Die Finanzierung des Bera-tungsnetzes könnte z. T. über eine Pflichtabgabe derTesthersteller sichergestellt werden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, durch geeignete Maßnahmen dazu beizu-tragen, dass genetische Testangebote, die mit keinempräventiven oder therapeutischen Nutzen für die ge-testete Person verbunden sind, aus der Regelfinanzie-rung der gesetzlichen Krankenversicherung heraus-genommen werden.

Kommentar: Nichtkrankheitsbezogene genetische Unter-suchungen, die mit keinem präventiven oder therapeuti-schen Nutzen für die untersuchte Person verbunden sind,sollten aus der Regelfinanzierung herausgenommen undderen Finanzierung von den betroffenen Personen selbstübernommen werden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, die Zulassung von Gentests und dieDurchführung von zytogenetischen und molekularge-netischen Untersuchungen gesetzlich zu regeln. An dieZulassung von DNA-Chips müssen dabei besondershohe Anforderungen gestellt werden. Dabei ist insbe-sondere vorzusehen, dass mit Hilfe von DNA-Chipsnur diejenigen genetischen Veränderungen untersuchtwerden dürfen, die für ein spezifisches Krankheitsbildund dessen Behandlung von Bedeutung sind. BeiDNA-Chips mit der Möglichkeit der Erfassung meh-rerer Krankheitsbilder müssen die Anforderungen imHinblick auf Information, Aufklärung, Beratung undDatenschutz wie bei Einzeltests für jedes einzelneKrankheitsbild erfüllt sein.

Kommentar: Ungeprüfte Gentests dürfen nicht auf denMarkt gelangen. Über die grundlegenden Anforderun-gen an In-vitro-Diagnostika (Sicherheit, Qualität, Leis-tung, Kennzeichnung etc.) hinaus sollte zu den Prüfkri-terien beispielsweise der Nachweis gehören, dass derTest zuverlässige und klar interpretierbare Ergebnisseliefert, nicht mehr Daten offenbart, als versprochen, undklar erkennbaren Nutzen für die Testperson erbringt.

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Drucksache 14/9020 – 178 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Eine solche Qualitätskontrolle sollte in regelmäßigenAbständen wiederholt werden. Bei der Zulassung vonGentests sollte gleichzeitig festgelegt werden, welche„Beratungsintensität“ im Hinblick auf das jeweilige An-gebot erforderlich ist. Zulassungsfähig sollten nur sol-che Tests sein, deren Hersteller bzw. Anbieter einen an-gemessenen Anteil des Erlöses in einen einzurichtenden„Beratungsfonds“ einzahlen. Die Bewilligung zurDurchführung von zytogenetischen und molekulargene-tischen Tests sollte nur dafür akkreditierten bzw. zertifi-zierten Labors erteilt werden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, den Umgang mit genetischen Daten in ei-ner eigenständigen datenschutzrechtlichen Regelungzu normieren, die eine missbräuchliche Verwendunggenetischer Daten verhindert.

Kommentar: Eine solche Regelung sollte Teil des Gen-diagnostik-Gesetzes sein. Dabei ist insbesondere auchsicherzustellen, dass Personen, die, ohne Ärztinnen oderÄrzte zu sein, Gentests durchführen oder interpretieren,z. B. Beraterinnen und Berater oder Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter in Diagnoselabors, die damit beruflichbefasst sind, in den im § 203 StGB aufgeführten Perso-nenkreis aufgenommen werden, die ein Zeugnisverwei-gerungsrecht und einen Beschlagnahmeschutz in An-spruch nehmen können. Ebenso müssen auch diesePersonen einer Schweigepflicht unterstellt werden. Beider Umsetzung dieser Empfehlung sollten die Institutio-nen und Erfahrungen der bestehenden Datenschutzein-richtungen genutzt und deren Kompetenzen gestärktwerden.

Die Speicherung von genetischen Daten auf Patientin-nen- und Patienten-Chipkarten birgt ein erheblichesMissbrauchspotenzial. Sollten Patientinnen- und Pati-enten-Chipkarten trotz dieser erheblichen Bedenkeneingeführt werden, empfiehlt die Enquete-Kommis-sion dem Deutschen Bundestag, Art und Umfang derSpeicherung insbesondere genetischer Daten im Detailgesetzlich zu regeln, um Missbrauch zu verhindern.

Kommentar: Es darf keine „entmündigende Information“geben. Es ist daher generell sicherzustellen, dass krank-heitsbezogene Daten und damit auch krankheitsbezogenegenetische Daten nicht in einer Form abgespeichert wer-den, die der Patientin bzw. dem Patienten nicht verständ-lich sind.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag die Einberufung einer zentralen Gendia-gnostik-Kommission.

Kommentar: Die Mitglieder der zentralen Gendiagnostik-Kommission sollten sich aus Vertreterinnen und Vertreternder einschlägigen wissenschaftlichen Fachrichtungen zu-sammensetzen. Die Unabhängigkeit der Mitglieder sowiedie Interdisziplinarität und Pluralität der Zusammenset-zung sind zu gewährleisten. Die Gendiagnostik-Kommis-sion sollte insbesondere folgende Aufgaben übernehmen:

– Entwicklung verbindlicher Standards für die Zulas-sung von Gentests und Kriterien für ihre Unterstel-lung unter einen Arztvorbehalt;

– Entwicklung verbindlicher Standards zur Angebotsge-staltung und Durchführung von Gentests sowie daraufbezogener Maßnahmen der Qualitätssicherung;

– Entwicklung von Maßstäben für die Zulassung vonReihenuntersuchungen;

– Entwicklung von Kriterien für die Zulassung von La-boratorien und deren Qualitätskontrolle;

– Evaluation der Angebots- und Nachfrageentwicklungund der weitergehenden gesellschaftlichen Folgen;

– Sammlung und Dokumentation von Fällen geneti-scher Stigmatisierung und Diskriminierung.

Die Kommission sollte zu regelmäßiger Berichterstattungan den Deutschen Bundestag verpflichtet werden.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, umden gesellschaftlichen Diskurs über die mit der An-wendung genetischer Diagnoseverfahren verbundenenethischen, sozialen und kulturellen Fragen zu fördern.

Kommentar: Die mit der Entwicklung und Anwendungvon Gentests verbundenen ethischen, sozialen und kultu-rellen Fragen induzieren einen erheblichen gesellschaft-lichen Diskussions- und Verständigungsbedarf. Hierfürmüssen geeignete Instrumente entwickelt und implemen-tiert sowie bereits vorhandene Ansätze gestärkt werden.Ein wichtiges Ziel dieser Diskussions- und Verständi-gungsprozesse sollte in einer Zurückweisung der Vorstel-lung eines „genetischen Determinismus“ und der Sensi-bilisierung für die mit einer möglichen „Genetifizierung“der Medizin und des Menschenbildes verbundenen Pro-bleme bestehen.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179 – Drucksache 14/9020

1 Demokratische AnsprücheDie Entwicklungen der modernen Medizin stellen die her-kömmlichen Institutionen des demokratischen Verfas-sungsstaates vor eine Reihe neuer Herausforderungen undProbleme.

Diese Probleme ergeben sich insbesondere aus

– der hohen Geschwindigkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts: Die sachgerechte Problem-beschreibung und Lösungsfindung erfordern häufigein hochspezialisiertes Wissen, das auf der Höhe derwissenschaftlich-technischen Entwicklung ist. EineBewertung der Risiken und Gefahren, der möglichenErfolge, Misserfolge und Nebenwirkungen neuer me-dizinischer Entwicklungen setzt ein hohes Maß anFachwissen unterschiedlicher Disziplinen voraus. Wiestabil sind beispielsweise embryonale Stammzellli-nien? Sind sie wirklich, einmal etabliert, eine unend-liche Quelle neuer Zellen? Welches medizinische Po-tenzial bergen adulte Stammzellen? Um diese undähnliche Fragen zu klären, sind Politikerinnen und Po-litiker auf die Beratung kompetenter Expertinnen undExperten angewiesen.

– der Komplexität des wissenschaftlich-technischen Fort-schritts: Die Entwicklungen der modernen Medizingehören zu den komplexen wissenschaftlichen Ent-wicklungen, die in viele Bereiche der Gesellschafthineinwirken. Sie können gesundheitliche, soziale,ökonomische, kulturelle, ethische, rechtliche und mög-licherweise auch ökologische Folgen haben. Aufgrundder Wechselwirkung zwischen diesen Wirkungsfel-dern, die nicht immer zu überschauen sind, kann es zuunbeabsichtigten Folgen und Nebenwirkungen kom-men, die auch für Expertinnen und Experten nicht un-bedingt vorhersehbar sind.

– der umwälzenden Neuartigkeit vieler Ergebnisse dermedizinischen Entwicklung: Viele der neueren Ent-wicklungen sind mit den bisherigen Kategorien unse-rer Sprache und unseres Denkens kaum zu fassen,müssen aber dennoch in Worte gefasst und moralischbewertet werden. Dies gilt z. B. für menschliche Em-bryonen in vitro: Haben sie „Eltern“ und „Geschwis-ter“? Oder sollen wir lieber von „Samenspendern“ und„Eizellspenderinnen“ oder „Gametenurhebern“ spre-chen? Was ist der Embryo in vitro: ein „Zellhaufen“oder ein „Mensch“? Hier gilt es eine Sprache zu ent-wickeln, die den neuen Entwicklungen angemessenist. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass esfast nie objektive Begriffe gibt, sondern diese immernormativ aufgeladen oder in der Diskussion mit be-stimmten Beiklängen und Bedeutungen versehen sind.

– der Wertevielfalt und dem ethischen Dissens in derBevölkerung in Bezug auf Fragen der modernen Me-

dizin.833 In einer modernen Gesellschaft, die nicht zu-letzt durch kulturelle Vielfalt und religiöse Toleranzgekennzeichnet ist, kann nicht vorab ein für alle ver-bindliches, geschlossenes Gefüge von Normen undWerten vorausgesetzt werden. Schon das Verständnisder Probleme und Konflikte ist unterschiedlich.834

Geht es um Chancen- und Risiken-Abwägung oderum moralische Tabus? Um Standortargumente oderunhintergehbare moralische Grenzen? Um individu-elle Wahlfreiheit oder um den sozialen Zusammen-halt? Auch das Verständnis des Menschseins und desguten Lebens sind vielfältig. Wohl kann und muss inForm des Rechts ein Rahmen von verbindlichen Nor-men vorausgesetzt werden, durch die das Zusammen-leben geregelt ist. Aber wie diese Normen ausgefülltund im Einzelfall interpretiert werden, hängt stark vonkulturellen und moralischen Orientierungen ab. DiePolitik kann diese Orientierungen nicht verordnen,sondern muss mit ihnen umgehen. Allerdings kann siedurch die Förderung einer demokratischen Diskussi-onskultur dazu beitragen, dass sich in der Bevölke-rung eine tragfähige kulturelle Basis für Grundsätzedes demokratischen Rechtsstaates entwickelt. Geradeim Blick auf die ethischen und rechtlichen Problemeder modernen Medizin ist die Politik gefordert, neueFormen der Diskussionskultur zu entwickeln, um imRahmen der Verfassung zu möglichst tragfähigenrechtsethischen Entscheidungen zu gelangen.

Für die Politik ergibt sich durch die genannten Besonder-heiten der modernen Medizin ein erhöhter Beratungsbe-darf, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen entstehtein Bedarf danach, sich Rat von Personen zu holen, dieüber das geforderte Wissen verfügen. Dies ist die traditio-nelle Form der Politikberatung, bei der Expertinnen undExperten Politikerinnen und Politikern ihr Wissen zurVerfügung stellen. Zum anderen entsteht jedoch auch einBedarf an gemeinsamer Beratschlagung. Insbesonderedie Probleme der möglichen unbeabsichtigten Nebenfol-gen, aber noch stärker die Situation des Wertepluralismusund des ethischen Dissenses, lassen es angezeigt erschei-nen, in intensive gemeinsame Verständigungsprozesseeinzutreten. Die klassische Institution, die für solche Ver-ständigungsprozesse vorgesehen ist, ist das Parlament.Aber andererseits sollten solche Diskussions- und Ver-ständigungsprozesse nach Überzeugung vieler nicht aufdie Institutionen der etablierten Politik beschränkt wer-den. Viele Bürgerinnen und Bürger beanspruchen eineTeilnahme an diesen Diskussions- und Verständigungs-prozessen. Was alle angeht, so die Begründung, müssen

D Diskurs und Partizipation

833 Vgl. z. B. Düwell 2000; Gill 1997; Honnefelder/Rager 1994; Bay-ertz 1994.

834 Vgl. Braun 2000a.

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Drucksache 14/9020 – 180 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

auch alle entscheiden. Dass die sozialen und ethischenImplikationen der modernen Medizin die Gesamtheit derBürgerinnen und Bürger angeht, sei nahezu unbestreitbar.Ethische Bewertungen seien gerade nicht an Expertinnenund Experten zu delegieren, sondern vielmehr die Ange-legenheit der Bürgerinnen und Bürger selbst. Neben demBedarf an sachkundiger Politikberatung durch Expertin-nen und Experten hat sich daher in der Öffentlichkeit einBedarf nach gemeinsamer Beratung der Bürgerinnen undBürger entwickelt.

Demokratische Politik sollte nach Überzeugung der En-quete-Kommission beiden Ansprüchen Rechnung tragen:Sie sollte kompetenten Rat von Expertinnen und Experteneinholen und die Prozesse der Diskussion und Verständi-gung unter Politikerinnen und Politikern, Bürgerinnenund Bürgern sowie zwischen diesen nach Möglichkeitausbauen und unterstützen.

Die Enquete-Kommission hält die Fortführung der Ge-spräche zwischen Parlamentarierinnen und Parlamenta-riern einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseitsin öffentlichen Anhörungen (vgl. die Themen Schwanger-schaftsabbruch, Transplantationsmedizin, Stammzellfor-schung) für wesentlich, um die Kompetenz von Betroffe-nen zu nutzen. Gleiches gilt künftig in noch stärkeremMaße für die Nutzung des Internets für den Diskurs und diePartizipation besonders junger Menschen. Von wesentli-cher Bedeutung ist die Einbeziehung kollektiver Stand-punkte kirchlicher Kreise, von Verbänden und Selbsthilfe-gruppen.

In vielen demokratischen Ländern haben sich vor diesemHintergrund vielfältige Initiativen und Institutionen ent-wickelt, um dem doppelten Beratungsbedarf gerecht zuwerden. Seit den 1980er-Jahren wurden insbesondere inEuropa und Nordamerika zahlreiche neue Institutionengeschaffen, deren Aufgabe es ist, Willensbildungs- undEntscheidungsfindungsprozesse im rechtlichen und poli-tischen Umgang mit den neuen Herausforderungen derMedizin zu unterstützen. Struktur und Zusammensetzung,Aufgabenstellung und Kompetenzbereich, Art und Aus-maß ihrer demokratischen Legitimation und nicht zuletztihre Gestaltungskraft sind äußerst unterschiedlich.

Im Großen kann man zwischen Institutionen mit engerAnbindung an die politischen Entscheidungsträger undsolchen, die in der Zivilgesellschaft verortet sind undkeine oder wenig Anbindung an die Entscheidungsinsti-tutionen haben, unterscheiden. Dazwischen gibt es aller-dings verschiedene Zwischenformen und Kombinatio-nen.

Eine engere Anbindung an die politischen Entscheidungs-träger, d. h. maßgeblich an Regierung und Parlament, wei-sen in der Regel die nationalen Ethikräte oder -kommis-sionen auf.835 Sie wurden durch ein Verfassungsorgan derLegislative oder Exekutive eingesetzt zu dem Zweck, diepolitischen Entscheidungsträger zu beraten. Man kann hier

noch einmal zwischen Ad-hoc-Kommissionen und ständi-gen Gremien unterscheiden.

Ad hoc eingesetzte Kommissionen werden aus einemmehr oder weniger bestimmten Anlass für einen gewissenZeitraum eingesetzt. Zuweilen haben sie auch einen klarumrissenen inhaltlichen Auftrag, wie z.B. konkrete Ge-setze vorzubereiten. Berühmte Beispiele sind die NationalCommission for the Protection of Biomedical and Beha-vioral Research, die 1974 in den USA eingesetzt wurdeund sich mit Fragen der Forschungsethik befasste. Mitdem Problembereich der Fortpflanzungsmedizin setztesich das 1982 in Großbritannien eingerichtete Committeeof Inquiry into Human Fertilisation and Embryology aus-einander, besser bekannt unter dem Namen ihrer Vorsit-zenden Dame Mary Warnock als Warnock-Kommission.Beispiele aus Deutschland sind die 1984 eingerichtete,nach ihrem Vorsitzenden Prof. Ernst Benda benannteBenda-Kommission, die sich mit In-vitro-Fertilisation,Genomanalyse und Gentherapie beschäftigte, und die imselben Jahr eingesetzte Enquete-Kommission des Deut-schen Bundestages zu „Chancen und Risiken der Gen-technologie“. Auch die Enquete-Kommission „Recht undEthik der modernen Medizin“ ist als eine solche Ad-hoc-Kommission zu begreifen. Die Arbeit solcher Ad-hoc-Kommissionen ist oft direkt oder indirekt in wichtige politische Entscheidungen eingegangen, z. B. in ministe-rielle Empfehlungen zur Forschungsethik wie im Falleder National Commission for the Protection of Biomedi-cal and Behavioral Research. Der Bericht des Warnock-Comittees wurde in weiten Teilen in den Human Fertili-sation and Embryology Act von 1990 übernommen.

Einen anderen Untertypus bilden ständige nationale Ethik-komittees oder -räte (vgl. Tabelle 22). Das erste Gremiumdieser Art war das 1983 in Frankreich eingerichtete Co-mité Consultatif National d´Ethique pour les Sciences dela Vie et la Santé. Ihm folgten ähnliche Einrichtungen inSchweden, Dänemark, Luxemburg, Italien, Norwegen,Portugal, Großbritannien, Belgien, der Schweiz und eini-gen außereuropäischen Ländern.

Von den Ad-hoc-Kommissionen unterscheiden sich dau-erhafte nationale Ethikräte und -kommissionen nicht nurdadurch, dass sie ein breites Mandat haben und damit einebreitere Palette von Themen behandeln können. Oft sindsie auch gegenüber den mit einem klaren Auftrag ausge-statteten Ad-hoc-Kommissionen freier in ihrer Themen-setzung. Sie können z. T. nicht nur von Verfassungsorga-nen, sondern auch von Privatpersonen und -einrichtungenangefragt werden. Sie sind in der Regel bei hohen Verfas-sungsorganen wie dem Staatspräsidenten, dem Regie-rungschef oder einem Bundesministerium, in Ausnahme-fällen jedoch auch bei einem nationalen Forschungs-institut (Frankreich) angesiedelt oder als private Stiftung(Großbritannien) organisiert. Die Initiative und Ernen-nung erfolgt manchmal durch das Parlament (Schweden),die Regierung oder einzelne Minister bzw. Ministerinnen (Luxemburg, Norwegen), meistens jedoch gemeinsamdurch den Regierungschef, das Parlament und/oder an-dere Verfassungsorgane (Frankreich, Dänemark, Italien).Auch Körperschaften und Verbände sind in einzelnen

835 Einen Überblick über diesen Typus von Institutionen gibt Fuchs2001.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 181 – Drucksache 14/9020

Tabel le 22

Übersicht zur Entstehungsgeschichte nationaler Ethikräte außerhalb Deutschlands

Quelle: Fuchs 2001

Jahr Land Kommission Institutionelle Zuordnung

1983 Frankreich Comité Consultatif National d’Éthique pour les Sciences de la Vie et de la Santé

Initiative des Präsidenten, gesetzlich verankert seit 1994, Ernennungsgewalt bei allen wichtigen Verfassungsorganen, Ansiedlung beim nationalen Forschungsinstitut INSERM

1985 Schweden Statens Medicins-Etiska Råd (SMER)

Initiative des Parlamentes, Ernennungsgewalt teilweise beim Parlament

1987 Dänemark Etiske Råd Initiative von Parlament und Regierung, Ernennungsgewalt bei Parlament und Gesundheitsministerium, Ansiedlung beim Gesundheitsministerium

1988 Luxemburg Commission Consultative Nationale d’Éthique pour les Sciences de la Vie et de la Santé

Regierungsinitiative

1990 Italien Comitato Nazionale per la Bioetica

Erste Initiative beim Parlament, Ernennungsgewalt und Ansiedlung beim Regierungschef

1990 Norwegen Den nasjonale forskningsetiske komité for medisin

Initiative und Ansiedlung beim Forschungsminister

1990 Portugal Conselho National de Ética para as Ciências da Vida

Gründung durch Gesetz, Ernennungsgewalt beim Regierungschef, bei einigen Ministern und bei Körperschaften und Verbänden, Ansiedlung beim Regierungschef

1991 UK Nuffield Council on Bioethics Initiative privater Stiftungen

1992 Australien National Health and Medical Research Council

Durch Gesetz errichtet, Ernennungsgewalt bei den Gesundheitsressorts von Commonwealth, Staaten und Territorien sowie bei anderen Körperschaften und einer Kommission der Aboriginees

1995 Belgien Comité consultatif de Bioéthique Durch Gesetz errichtet, Ernennungsgewalt nur teilweise bei König und Regierungen

1995 Kanada National Council on Ethics in Human Research

Gemeinsame Initiative von Ärzteschaft, Gesundheitsministerium und Forschungsräten

1995 USA National Bioethics Advisory Commission

Initiative und Ernennung der Mitglieder durch den Präsidenten

1996 Indien Central Ethical Committee of the Indian Council of Medical Research

Initiative und Ernennung der Mitglieder durch den Medizinforschungsrat

1998 Schweiz Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich (EKAH)

Eingesetzt durch den Bundesrat; administrativ dem Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft zugeordnet

2001 Schweiz Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE)

Eingesetzt durch den Bundesrat; administrativ dem Bundesamt für Gesundheit zugeordnet

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Drucksache 14/9020 – 182 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Ländern an der Ernennung beteiligt (Portugal, Australien,Kanada). In vielen Fällen beruhen die ständigen Ethikräteund -kommissionen auf einer gesetzlichen Grundlage.Der Nationale Ethikrat in Deutschland ist neben der Na-tional Bioethics Advisory Commission in den USA daseinzige nationale Ethikgremium, bei dem Initiative undErnennung ausschließlich beim Regierungschef konzen-triert sind. Dies ist besonders deshalb bemerkenswert,weil ähnliche Beratungsgremien der Bundesregierung üb-licherweise als Sachverständigenräte geführt und nichtmit dem gewichtigen Adjektiv „national“ hervorgehobenwerden.

Bei der Zusammensetzung der ständigen Kommissionenund Räte wird in vielen Ländern Wert auf Pluralität ge-legt. Dänemark schreibt eine geschlechtsbezogene Quo-tierung vor, Belgien quotiert die Repräsentation der Re-gionen und Sprachgemeinschaften, Frankreich legt fest,dass verschiedene genau benannte Religionsgemein-schaften und Weltanschauungen vertreten sein müssen.Allgemein wird eine pluralistische Zusammensetzung fürnotwendig und erstrebenswert gehalten.

Einen anderen Typus bilden die im zivilgesellschaftlichenRaum angesiedelten Institutionen, die allenfalls eine loseAnbindung an die politischen Entscheidungsträger auf-weisen.837 Hierzu gehören vor allem Konsensus- oderBürgerkonferenzen, Bürgerdialoge oder Bürgerpanel.838

Themen der Biomedizin waren Gegenstand dieses Typsvon Veranstaltungen in Dänemark, den Niederlanden undder Schweiz.

Die „Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik“, die imJahr 2001 in Dresden stattgefunden hat, ist ein deutschesBeispiel für dieses Modell.839 Auch Bürger- oder Konsen-suskonferenzen können durch öffentliche oder staatlicheInstanzen initiiert, durchgeführt und gefördert werden. Sieunterscheiden sich aber insofern von den nationalen Bera-tungskommissionen, als hier nicht der explizite Auftrag derPolitikberatung ergeht. Zwar können auch die politischenEntscheidungsträger Adressaten von Konsensuskonferen-zen oder Bürgerdialogen sein, aber eine mindestens ebensowichtige Rolle als Adressat spielt die allgemeine Öffent-lichkeit. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass Bürger-oder Konsensuskonferenzen ausdrücklich auf Laien- bzw.Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung abzielen. Ihr Zweck istnicht so sehr, wenngleich dies durchaus ein erwünschter Ne-beneffekt sein kann, die politischen Entscheidungsträgermit Wissen zu versorgen, sondern den Bürgerinnen und Bür-gern Gelegenheit zur vertieften Diskussion eines Problem-feldes zu geben. Sie dienen somit der Kompetenzerweite-rung und Willensbildung von Bürgerinnen und Bürgern.

Ob solche auf Bürgerbeteiligung basierenden Diskursmo-delle tatsächlich in konkrete politische Gestaltungspro-zesse Eingang gefunden haben, ist fraglich. Als Beispielfür eine Veranstaltung, die in diesem Sinne erfolgreichwar, wird die dänische Konsensuskonferenz zur Kartie-rung des menschlichen Genoms (1989) genannt. Sie hat inDänemark eine intensive Parlamentsdebatte entfacht undführte schließlich mit dazu, dass es Unternehmen heute inDänemark gesetzlich untersagt ist, ein genetisches Ge-sundheitsprofil von Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitneh-mern und Stellenbewerberinnen und -bewerbern zu ver-langen.840 Ein Überblick über die gesamte Palette vonKonsensus-, Bürgerkonferenzen oder Bürgerdialogen

Tabel le 23

Ethikkommissionen und -räte auf nationaler Ebene in Deutschland836

Jahr Kommission Institutionelle Zuordnung

1994 Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO)

Gründung am 18.3.1994 durch die Bundesärztekammer; Ernennung der Mitglieder auf Vorschlag von gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Institutionen

1995/ 1999

Ethik-Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit

1995 eingerichtet; Wiedereinsetzung per neuem Erlass und Ernennung der Mitglieder durch die Bundesgesundheitsministerin am 15.11.1999

2000 Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“

Einsetzung durch Parlamentsbeschluss vom 24.3.2000; die Mitglieder werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt und vom Bundestagspräsidenten berufen

2001 Nationaler Ethikrat Einsetzung durch Beschluss der Bundesregierung vom 2.5.2001; Ernennung der Mitglieder durch den Bundeskanzler

836 Stand vom 31. Dezember 2001. 837 Vgl. Fuchs 2001 sowie Gill/Dreyer 2001.838 Vgl. Gill/Dreyer 2001, S. 11ff.; Koch/Zahle 2000; Fischer 2000;

Ammon 1998; Grundahl et al. 1996; Joss/Durant 1995.

839 www.buergerkonferenz.de (19.2.2002).840 Andersen/Jaeger 1999, zit. n. Gill/Dreyer 2001, S. 35.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183 – Drucksache 14/9020

zeigt allerdings, dass ihr unmittelbarer Einfluss auf poli-tische Entscheidungen eher gering einzuschätzen ist.841

Ihre demokratische Wirkung ist eher in der Entwicklungvon gesellschaftlichen Diskussions- und Bewusstseinsbil-dungsprozessen zu sehen.

Als dritter Typus wären jene Modelle zu erwähnen, dienicht an der Beteiligung unvoreingenommener Bürger in-teressiert sind, sondern an der diskursiven Austragung wis-senschafts- und technologiepolitischer Konflikte zwischenGruppen, die zuvor schon als Konfliktparteien in Erschei-nung getreten sind. Die Teilnehmerschaft wird hier durchsog. „Stakeholder“ gebildet, d.h. durch Akteure, die mitihren eigenen, oft gruppenspezifischen Interessen undZielsetzungen im Konflikt mit anderen Gruppen liegen.Ziel ist es, auf der Basis eines möglichst rationalen Dis-kurses eine Einigung zwischen den Konfliktparteien her-beizuführen. Im Bereich der partizipativen Technikfolgen-abschätzung sind eine Reihe von Verfahren und Modellendieses Typs eingesetzt worden, z.B. Mediationsverfahren,Planungszellen oder Zukunftswerkstätten.832 Allerdingswurde dieses Modell bisher nicht auf Fragen der Medizinangewendet, sondern vorwiegend auf Konflikte im Be-reich der „grünen Gentechnik“.843

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen darüber, was vonInstitutionen der Politikberatung zu den Fragen und Pro-blemen der modernen Medizin erwartet werden kann. Ei-nige versprechen sich einen Zugewinn an Rationalität undeine Hilfestellung zur Strukturierung der bioethischen Dis-kussion844, andere die Entwicklung neuer Sensoren derBürgergesellschaft für sensible Problemzonen845. Danebenbesteht die Erwartung, einen vorausschauenden Blick aufdie zukünftige Entwicklung von Wissenschaft und Techno-logie zu werfen, um noch rechtzeitig Empfehlungen abge-

ben zu können.846 Es wurden jedoch auch Bedenken undBefürchtungen geäußert. So wird häufig auf die Gefahr ei-ner neuen Expertokratie hingewiesen.847 Es wird befürch-tet, dass Expertengremien sich zu einer Art informellem„Neben-Parlament“ entwickeln könnten. Zuweilen wirdauch befürchtet, dass die öffentliche Auseinandersetzungdurch die Delegation moralischer Fragen an die Autoritätvon Expertinnen und Experten ausgehebelt werden könnteoder dass ethische Diskurse von Lobbyisten funktionali-siert werden.848 Eine noch weitergehende Befürchtung gehtdahin, dass das moralische Empfinden zugunsten einer ver-wissenschaftlichten moralphilosophischen Betrachtungs-weise zurückgedrängt werden könnte.849

Angesichts der Vielfalt der dargestellten Institutionen undder Unübersichtlichkeit der Erfahrungen, die mit ihnengemacht wurden, ist es schwierig, daraus direkte Lehrenfür die deutsche Politik abzuleiten. Vielmehr wäre es sinn-voll, zunächst einige grundlegende konzeptionelle Über-legungen darüber anzustellen, welche Zwecke möglicheInstitutionen der Politikberatung verfolgen können undwelche Ansprüche aus demokratischer Perspektive andiese zu richten sind.

Die Enquete-Kommission schlägt vor, im Wesentlichenzwischen drei möglichen Zielsetzungen zu unterscheiden:

a) Bereitstellung von Wissen und Fachkompetenz für dieEntscheidungsträgerinnen und -träger, um diesen einesachgerechtere Entscheidung zu ermöglichen (Exper-tenmodell),

b) Bereitstellung eines institutionellen Rahmens für dieAustragung von Gruppen- bzw. Interessenskonfliktenmit dem Ziel der Einigung (Stakeholder-Modell),

c) Bereitstellung eines institutionellen Rahmens für diegemeinsame Willensbildung von Bürgerinnen und

Tabel le 24

Praxisbeispiele von Bürgerdialogen zu biomedizinischen Themen nach Ländern

Dänemark Konsensuskonferenzen: Kartierung des menschlichen Genoms (1989); Transgene Tiere

(1992); Behandlung von Unfruchtbarkeit (1993); Gentherapie (1995)

Niederlande Konsensuskonferenzen: Transgene Tiere (1993); Forschung zur Humangenetik (1995);Paralleles Bürgerpanel: Klonen (1998)

Schweiz Öffentlicher Dialog: Dialog zur Gendiagnostik (1998);

Konsensuskonferenz: PubliForum Transplantationsmedizin (2000)

Großbritannien Citizens´ Juries: Planung im öffentlichen Gesundheitsdienst (1996)

Deutschland Konsensuskonferenz: Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik (2001)

USA Citizens´ Jury: Organtransplantation (1986); Reform des US-Gesundheitssystems (1993)

841 Gill/Dreyer 2001.842 Saretzki 1997.843 Vgl. van den Daele et al. 1996; Evangelische Akademie Loccum

1996.844 Catenhusen 1997, S. 2f.845 Kettner 2000, S. 7.

846 Lenoir 1997, S. 11. 847 Kettner 2000, S. 7f.848 Düwell 2000, S. 105.849 Kymlicka 2000.

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Drucksache 14/9020 – 184 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bürgern zum Zwecke der Entwicklung gemeinsamerVorstellungen des Gemeinwohls bzw. des guten Le-bens (republikanisches Modell).

Zwischen diesen Grundformen sind verschiedene Zwi-schenformen und Kombinationen vorstellbar. Um Klar-heit zu gewinnen, sollen jene hier jedoch zunächst einzelnbetrachtet werden. Unter dem Aspekt der Demokratieweisen sie jeweils spezifische Stärken und Schwächenauf. Es wird als erstrebenswert angesehen, die Stärkenmöglichst zu nutzen und die Schwächen durch geeigneteVorsichts- und Gegenmaßnahmen zu kontrollieren.

a) Das Expertenmodell

Die Stärke dieses Modells liegt darin, dass es am besten ge-eignet ist, die Ressourcen Wissen und Kompetenz zu nut-zen. Es dient dazu, eine komplexe Problematik aus inter-disziplinärer Perspektive zu analysieren, die verschiedenenzu beachtenden Sachgesichtspunkte herauszuarbeiten unddarauf basierende Entscheidungen zu ermöglichen. Insbe-sondere in einem Bereich rasanter wissenschaftlicher undtechnologischer Entwicklungen einerseits und komplexerWirkungszusammenhänge andererseits kann auf die Be-reitstellung von solchem Wissen nicht verzichtet werden.Ein weiterer Vorteil des Expertenmodells liegt darin, dasses zumindest formell klar zwischen den Beratenden undden demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern un-terscheidet. Entscheidungsträger bleiben die eigens dazulegitimierten Verfassungsorgane Regierung und Parlament.Dadurch ist – zumindest formell – eine klare demokratischeLegitimation der Entscheidung gegeben.

Die Probleme des Expertenmodells liegen zum einendarin, dass diese Unterscheidung de facto nicht unbedingtso klar ist wie de jure. Es kann zu einer informellen Ex-pertokratie kommen, in der die legitimierten demokrati-schen Organe in ihren Entscheidungen von den nicht de-mokratisch legitimierten Expertinnen und Expertenabhängig werden. Das wäre insbesondere deshalb proble-matisch, weil davon ausgegangen werden muss, dass Ex-pertinnen und Experten nicht einfach neutrale, objektiveBeobachterinnen und Beobachter sind, sondern dass sieauch eigene Gruppeninteressen haben können. Dahermuss mit der Gefahr gerechnet werden, dass sich diese ei-genen Gruppeninteressen bestimmter Expertengruppenim Gewand vermeintlich allgemeiner, neutraler Empfeh-lungen durchsetzen. Und schließlich liegt eine Schwächedieses Modells darin, dass es Bürgerinnen- und Bürger-beteiligung ausschließt. Das wiederum birgt die Gefahr,dass Entscheidungen getroffen werden, die an den Be-dürfnissen oder Überzeugungen der Bürgerinnen undBürger vorbeigehen und daher dauerhaft keine tragfähigeBasis haben.

Gegen diese Gefahren können jedoch verschiedene Vor-sichtsmaßnahmen ergriffen werden: Wichtig wäre zumeinen die klare Trennung zwischen Beratungs- und Ent-scheidungskompetenz. Hier kommt es vor allem auf diedemokratisch legitimierten Entscheidungsträgerinnenund -träger an. Sie dürfen sich in ihrer Urteilsbildungnicht auf die Expertinnen und Experten allein verlassen,

sondern müssen deren Empfehlungen einer eigenständi-gen kritischen Bewertung unterziehen.

Eine weitere, entscheidende Gegenmaßnahme ist Trans-parenz. Zwar erfolgt die Auswahl der Expertinnen undExperten durch die demokratisch legitimierten Verfas-sungsorgane, sprich Regierung oder Parlament. Dennochist es wünschenswert, dass die Öffentlichkeit eine gewisseKontrollfunktion wahrnehmen, d. h. kritisch beurteilenkann, ob die Zusammensetzung eventuell interessengelei-tet ist. Es müsste via Presse oder Internet dargestellt wer-den, wer wen ausgewählt hat. Die auswählenden Instan-zen müssten zu jedem ausgewählten Mitglied die Gründefür seine oder ihre Auswahl angeben. Auf der anderenSeite hätten die Mitglieder alle ihre Positionen und Funk-tionen offenzulegen, die möglicherweise zu Bevorteilung,Voreingenommenheit oder Befangenheit in der Arbeit desGremiums führen könnten, wie beispielsweise Unterneh-mens- oder Aktienbeteiligungen, Aufsichtsratspositionen,Patentanträge u. a. m. Erst die so erzielte Transparenzwürde es der Öffentlichkeit zum einen ermöglichen, dieAutorität der Expertinnen und Experten kritisch zu be-werten, und zum anderen, auf mögliche Interessenskon-flikte zu verweisen.

Des Weiteren ist an die Politikberatung durch Expertinnenund Experten der Anspruch zu stellen, dass Dissense of-fengelegt werden und auch Minderheiten die Chance ha-ben, ihre Argumente darzulegen. Auch diese Maßnahmedient der Transparenz und der kritischen Bewertung durchdie Öffentlichkeit.

Um die Gefahr zu verringern, dass die Expertinnen undExperten ihre Position zur Durchsetzung eigener Grup-peninteressen funktionalisieren, sollte darauf geachtetwerden, dass die Zusammensetzung nicht zu homogen ist.Multidisziplinarität ist dazu eine wichtige Voraussetzung,d. h. die Expertinnen und Experten sollten aus verschiede-nen akademischen Disziplinen kommen, beispielsweiseaus Philosophie, Natur- und Technikwissenschaften, So-zialwissenschaften, Rechtswissenschaften, Medizin, Pfle-gewissenschaft, Psychologie, Theologie, Geschichtswis-senschaft u. a. Der Expertinnen- und Expertenstatus mussnicht ausschließlich durch wissenschaftliche Leistung be-gründet sein, sondern kann auch auf einschlägigen Berufs-oder anderen Praxiserfahrungen basieren. Allerdings soll-ten die Expertinnen und Experten durch ihre individuelle,auf Wissen und/oder Erfahrung basierende Kompetenzausgewiesen sein; der Expertinnen- bzw. Expertenstatussollte nicht aus der bloßen Zugehörigkeit zu bestimmtengesellschaftlichen Gruppen, Institutionen oder Organisa-tionen erwachsen.

Auch die bewusste Beteiligung verschiedener Sichtwei-sen auf einen Problembereich kann dazu beitragen, eineFunktionalisierung des Gremiums durch Interessenpolitikzu verhindern.

Je umfassender der Auftrag eines solchen Gremiums ist,desto höhere Anforderungen sind an seine demokratischeLegitimation zu stellen. In dem Maße, in dem neben derBeratung eines konkreten Verfassungsorgans, beispiels-weise der Regierung, auch Aufgaben der Initiierung und

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Durchführung öffentlicher Diskussionen oder etwa derVertretung deutscher Positionen im internationalen Raumhinzukommen, ist es auch verfassungspolitisch bedenk-lich850, die Initiative der Regierung und die Berufung derMitglieder dem Regierungschef zu überlassen. Erst rechtaus demokratischer Perspektive wäre es erforderlich, dieAuswahl der Mitglieder dem am direktesten legitimiertenVerfassungsorgan, dem Parlament, zu übertragen. ImFalle offenkundiger Interessenskonflikte sollte das Parla-ment auch die Möglichkeit haben, einzelne Mitglieder ab-zuberufen.

Um die Schwäche der mangelnden Bürgerinnen- und Bür-gerbeteiligung auszugleichen, sollte das Expertenmodellmit Formen des republikanischen Modells kombiniertwerden.

b) Das Stakeholder-Modell

Eine demokratische Stärke des Stakeholder-Modells liegtdarin, dass es gegenüber dem Expertenmodell eine brei-tere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichtund stärker in zivilgesellschaftliche Institutionen hinein-wirkt. Auf dem Gebiet der Medizin wären beispielsweisefolgende Stakeholder denkbar: Ärztinnen und Ärzte, be-stimmte Patientinnen- und Patientengruppen, Pflegende,Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige,Forscherinnen und Forscher, Angehörige der Beratungs-berufe, Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassenund Versicherungswirtschaft, der pharmazeutischen In-dustrie, der Kirchen u. a. m. Dadurch, dass die jeweiligenMitglieder die Interessen und Bedürfnisse einer bestimm-ten gesellschaftlichen Gruppe vertreten, müssen sie vondieser Gruppe legitimiert sein. Das wiederum ermöglichtes den anderen Gruppenmitgliedern, mittelbar an der Wil-lensbildung teilzunehmen. Auf diese Weise könnte eineEntscheidung möglicherweise auf eine breitere gesell-schaftliche Grundlage gestellt werden, als es im reinen Ex-pertenmodell möglich ist.

Das Stakeholder-Modell hat jedoch auch gravierendeSchwächen. Das schwerwiegendste Problem in Bezug aufRecht und Ethik der Medizin liegt darin, dass Ethik undMoral nicht verhandelbar sind. Moralische Bewertungenkönnen schlechterdings nicht zum Gegenstand von Inte-resseninteraktion gemacht werden, ohne ihren spezifischmoralischen Charakter zu verlieren. Interesseninteraktio-nen sind dadurch gekennzeichnet, dass Kräfteverhältnissegemessen werden und aufgrund dieser die Vor- und Nach-teile der beteiligten Akteure ausgehandelt werden. EineVerhandlungsseite kann beispielsweise Kompensationenfür bestimmte Nachteile erreichen und auf diese oder an-dere Weise können Kompromisse erzielt werden. Das be-deutet, dass die Verhandlungsgegenstände in gewissemMaße gegeneinander austauschbar sind; Nachteil A kanngegen Vorteil B getauscht werden. Moralische Fragen da-gegen unterscheiden sich grundlegend von Interessens-fragen. In moralischen Kontroversen geht es meistens umÜberzeugungen und Intuitionen, die tief mit der Identitätund dem Selbstverständnis der beteiligten Personen ver-

bunden sind. Damit hängt zusammen, dass bestimmteNormen, Werte und Vorstellungen des guten Lebens nichteinfach wie Vor- und Nachteile gegeneinander ausge-tauscht oder abgewogen werden können. Allenfalls kannes darum gehen, die eigenen Gründe und Sichtweisen ein-zubringen und die anderen Gesprächspartner mit ihrerHilfe zu überzeugen. Moralische Fragen werden ihremBegriff nach gerade nicht durch Kräfteverhältnisse ent-schieden. Darin ist vermutlich auch der Grund zu sehen,warum das Stakeholder-Modell bisher noch nicht auf dieethischen Fragen und Probleme im Bereich der Medizinangewendet worden ist.

Eine weitere Schwäche liegt darin, dass es für gut organi-sierte, machtvolle und gut ausgestattete Interessengruppeneinfacher ist, ihre Anliegen einzubringen und durchzuset-zen, als für Gruppen, die gesellschaftlich eher schwachsind. Das kann dazu führen, dass starke Gruppen durch dasStakeholder-Modell noch stärker werden, ohnehin schwa-che Gruppen aber, die gerade die demokratische Beteili-gung am meisten brauchten, eher noch schwächer.

In gewissem Maße kann diesen Gefahren durch einige Ge-genmaßnahmen begegnet werden. So wäre es erforderlich,soziale Gruppen, die zwar von bestimmten Entwicklungender Medizin besonders betroffen sein könnten, die aber re-lativ machtlos und vergleichsweise schlecht mit Ressourcenausgestattet sind, besonders zu unterstützen. Ihre gesell-schaftliche Schwächerstellung müsste durch Bereitstellungzusätzlicher Ressourcen (z. B. Veröffentlichungsmöglich-keiten, finanzielle Unterstützung für eigene Tagungen undTreffen zur internen Meinungsbildung etc.) ausgeglichenwerden.

Auch hier ist Transparenz dringend geboten. Es müsstefür die Öffentlichkeit einsehbar sein, welche Gruppe vonwem und warum für die Teilnahme ausgewählt wordenist, welche eventuell nicht und warum nicht. Weiterhinmüsste, wie auch im Expertenmodell, offengelegt wer-den, welche Vorteile die jeweiligen Gruppen von einerTeilnahme haben könnten.

Dennoch sollte das Stakeholder-Modell nur in solchenFragen angewendet werden, in denen es nicht um ethischeGrundsatzfragen geht. Sein Einsatzbereich in Bezug aufRecht und Ethik der modernen Medizin ist daher be-grenzt. Sinnvoll wäre es, Ad-hoc-Diskussionen zwischenStakeholdern zu bestimmten, genau umrissenen Fragenzu fördern. Aber ein ständiges Gremium der Ethikbe-ratung mit Repräsentantinnen und Repräsentanten vonStakeholdern zu besetzen, wäre der Natur ethischer Pro-bleme nicht angemessen.

c) Das republikanische Modell

Die Stärke des republikanischen Modells liegt vor allem imFaktum der Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung. Dabeiwird davon ausgegangen, dass politische Partizipationschon in sich selbst einen Wert darstellt. Darüber hinaussprechen weitere schwerwiegende Gründe für das republi-kanische Modell: Es kann dazu beitragen, mehr Kompetenzin der Bürgerinnen- und Bürgerschaft in Bezug auf die ethi-schen und rechtlichen Probleme der modernen Medizin zuentwickeln. Auch hierin ist ein Wert in sich selbst zu sehen.Das republikanische Modell kann weiterhin dazu beitragen,850 Bedenken dieser Art werden erhoben von M. Schröder 2001.

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die Bürgerinnen und Bürger, indem es ihnen die Auseinan-dersetzung mit den Argumenten und Sichtweisen andererermöglicht, zur versuchsweisen Übernahme anderer Sicht-weisen, zum Perspektivenwechsel, anzuregen. Im Idealfallkommt es dabei zu dem, was Hannah Arendt im Anschlussan Kant die „erweiterte Denkungsart“ genannt hat. Das re-publikanische Modell hat daher auch eine erzieherische Di-mension. Und schließlich könnte es dazu beitragen, eine aufVerständigung basierende Diskussionskultur herauszubil-den, in welcher sich Empathie und Gemeinwohlüberlegun-gen entwickeln können.

Das republikanische Modell hat jedoch auch Schwächen.So ergeben sich z.B. große Umsetzungprobleme. Es wirdnicht machbar sein, jeder Bürgerin und jedem Bürger zujedem ethischen Aspekt der Medizin genügend Experten-wissen, Zeit und Gehör zur Verfügung zu stellen. Das re-publikanische Modell basiert daher unvermeidlich auf ei-ner Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Esbesteht die Gefahr, dass ein Anspruch der Repräsentati-vität erhoben wird, der nicht wirklich einlösbar ist. Auchhier stellt sich somit das Problem eines möglichen infor-mellen und nicht wirklich demokratisch legitimierten„Neben-Parlaments“. Das Verhältnis dieses Modells zuFormen der direkten Kritik (wie Bürgervotum, Bürger-entscheid, Volksbegehren) wird dahin gehend diskutiert,dass diese eine wichtige Funktion zur Verstärkung der öf-fentlichen Diskussion einnehmen könnten.

Diskussions- und Beratungsprozesse im Rahmen des re-publikanischen Modells sind außerdem hochgradig„pfadabhängig“, d.h. wer über die Auswahl der Teilneh-merinnen und Teilnehmer, die Auswahl der Expertinnenund Experten und nicht zuletzt über die Agenda entschei-det, beeinflusst maßgeblich die Ergebnisse. Selbst wenndie Initiatorinnen und Initiatoren versuchen, sich so weitwie möglich zurückzuhalten, gibt es strukturelle Bedin-gungen, die ein gewisses Ungleichgewicht unter den Teil-nehmenden zur Folge haben können. Denn für politischeBeteiligung braucht man Zeit. Selbständige, beruflichstark eingespannte Personen, berufstätige Frauen mit klei-nen Kindern oder Menschen mit pflegebedürftigen An-gehörigen, um nur einige Gruppen zu nennen, haben er-fahrungsgemäß äußerst wenig Zeit. Sie werden sichvermutlich an solchen Modellen weniger beteiligen kön-nen als andere soziale Gruppen.

Eine weitere Gefahr des partizipatorischen Modells liegtin informellen Machtverhältnissen, die als solche auch fürdie Beteiligten oft undurchschaubar und schwer zu beein-flussen sind. In diesem Modell ist sprachliches Aus-drucksvermögen eine entscheidende Ressource. Wer sichbesser ausdrücken kann, findet vermutlich auch mehrGehör. Sprachliches Ausdrucksvermögen ist jedoch un-gleich verteilt. Angehörige der Mittel- und Oberklassekönnen sich in der Regel besser ausdrücken als An-gehörige der Unterschicht, Männer trauen sich in einerKommunikationssituation oft mehr zu als Frauen, Mi-grantinnen und Migranten beherrschen das Deutsche häu-fig nicht so gut wie Angehörige von Familien, die bereitsseit mehreren Generationen in Deutschland leben.

Werden diese Gefahren gesehen, kann besser gegenge-steuert werden. Vor allem darf nicht der Anspruch eines

Neben- oder gar Ersatz-Parlamentes erhoben werden. Esmuss immer klar sein, dass jede Form des republikani-schen Diskurses den Status eines Zwischenergebnisseshat, dass er niemals vollständig repräsentativ ist und nie-mals einen Abschluss der Diskussion erzielen kann. Derrepublikanische Diskurs ist immer ein unabgeschlosse-ner Prozess, er kann keine legitimierte, abschließendeEntscheidung hervorbringen. Wenn man sich über diesenUmstand im Klaren ist, relativiert sich auch das Problemder strukturellen Bevorzugung bestimmter sozialerGruppen, die vor allem durch den ungleichen Zugang zurRessource freier Zeit gegeben ist. Denn wo kein An-spruch auf Repräsentativität und abschließende Ent-scheidung erhoben wird, richtet ein gewisses strukturellbedingtes Ungleichgewicht keinen verheerenden Scha-den an.

Der Gefahr informeller Machtverhältnisse kann nur da-durch begegnet werden, dass sich die Teilnehmenden die-ser Gefahr bewusst sind. Dieses Bewusstsein kann aller-dings selbst das Ergebnis eines Lernprozesses sein, derdurch den republikanischen Diskurs initiiert wird.

Das republikanische Modell kann daher keinesfalls diedemokratisch legitimierte Entscheidung im Parlament er-setzen. Republikanische Diskussionen können aber einedemokratische Ergänzung des Expertenmodells darstel-len und dazu beitragen, dessen demokratische Schwächensinnvoll auszugleichen.

2 EmpfehlungenDie Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, sich dafür einzusetzen, dass

– die demokratische öffentliche Diskussion über dieethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragender modernen Medizin gefördert wird;

– insbesondere öffentliche Diskussionsverfahren, dieauf der aktiven Teilnahme von Bürgerinnen- und Bür-gern basieren, gefördert und unterstützt werden;

– sowohl ständige als auch zeitweise eingesetzte Gre-mien der Politikberatung zu den ethischen, rechtlichenund gesellschaftlichen Fragen der modernen Medizinauf nationaler wie auf Landesebene eine für alle Bür-gerinnen und Bürger nachvollziehbare Rechtsgrund-lage erhalten;

– dieser Rechtsgrundlage eine wohl überlegte Konzep-tion in Bezug auf die Aufgaben und Zwecke der Gre-mien zugrunde liegt, so dass sie nicht auf wider-sprüchlichen oder unklaren Zwecksetzungen beruhen;

– diese Rechtsgrundlage insbesondere die Pflicht zurHerstellung von Transparenz in Bezug auf Arbeits-weise, Struktur und Zusammensetzung der Gremienenthält;

– diesen Gremien die rechtliche Möglichkeit gegebenwird, ihre Arbeit jederzeit öffentlich zu machen;

– ihnen die rechtliche Möglichkeit und der Auftrag ge-geben werden, die Öffentlichkeit in geeigneter undinsbesondere auch dialogischer Form einzubeziehen;

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– bei der Beteiligung der Öffentlichkeit darauf geachtetwird, dass auch weniger einflussreiche und ressour-censtarke Gruppen Stimme und Gehör erhalten;

– diese Gremien multidisziplinär und ausgewogen zu-sammengesetzt sind und die Dominanz eines Ge-schlechts, einer Berufsgruppe, Fachrichtung oderWeltanschauung vermieden wird;

– das Parlament bei der Besetzung von nationalen Gre-mien der Politikberatung beteiligt wird, sofern derenAuftrag über die Beratung von Regierungsorganenhinausgeht und z.B. die Vertretung der Bundesrepu-blik in internationalen Organisationen oder die Förde-rung der öffentlichen Diskussion einschließt;

– diese Gremien beim Parlament oder beim Bundesprä-sidenten angesiedelt sind;

– alle Gremien der Politikberatung sowie auch die durchVerfassungsorgane geförderten Modelle und Institu-tionen, Bürgerdialoge oder -konferenzen ihre Arbeit inangemessener Weise öffentlich machen;

– sie dabei ihre Ergebnisse nachvollziehbar begründen,auf Gegenargumente eingehen und gegebenenfallsDissens offenlegen;

– Fragen, die alle Bürgerinnen und Bürger grundlegendbetreffen, weder formell noch informell von Instanzenentschieden werden, die dazu verfassungsgemäß nichtlegitimiert sind.

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Die Enquete-Kommission hat nicht alle ihr aufgegebenenThemen ausführlich behandeln bzw. abschließend beratenkönnen. Dazu gehören insbesondere das Problem der Or-gantransplantation und die gesellschaftliche Wahrneh-mung von Gesundheit, Krankheit, Behinderung. Grundhierfür war in erster Linie die zu knapp bemessene Zeit indieser Legislaturperiode. Außerdem sind in den letztenzwei Jahren Entwicklungen in Biotechnologie und Medi-zin festzustellen, die erkennbar in naher Zukunft zu ver-stärktem ethischen Klärungs- und rechtlichen Regelungs-bedarf führen werden. Einige der nicht mehr behandeltenProbleme sind nachfolgend teils als Desiderate teils imAnhang als Namensbeiträge beschrieben, andere konntenauch hier nicht mehr dargestellt werden.

1 Regelungsfelder1.1 Allokation

1.1.1 ProblemaufrissDie Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesengehört zu einer der zentralen ethischen Fragen der mo-dernen Medizin und der gegenwärtigen Gesundheitspoli-tik. Unter Ressourcen sind dabei sowohl humane und wis-senschaftliche als auch strukturelle und wirtschaftlicheRessourcen zu verstehen. Kostenerwägungen dominierendabei mehr und mehr die medizinische Versorgung, dieärztliche Handlungsfreiheit wird – mit bedenklichen Fol-gen für das Arzt-Patient-Verhältnis – durch restriktiveMaßnahmen zunehmend eingeschränkt.

Obgleich die Entwicklungen der modernen Medizin nichtin allen Bereichen automatisch zu Kostensteigerungenführen, ist die Allokationsproblematik doch die notwen-dige Begleiterscheinung einer innovationsorientierten,hochleistungsfähigen Medizin. Ihre eigentliche Schärfeerhält sie dadurch, dass der Gesundheitssektor aufgrundsozialer und ökonomischer Entwicklungen von Vermin-derungen auf der Einnahmenseite betroffen ist.851 Aus derKombination beider Faktoren ergibt sich ein starker Ver-änderungsdruck für das gegenwärtig bestehende Systemder Allokation von Gesundheitsleistungen.

Speziellerer Handlungsbedarf entsteht zudem im Pflege-bereich. Da aufgrund des demographischen Wandels inZukunft eine erhebliche Steigerung des Bedarfs an Pfle-geleistungen zu erwarten ist, müssen hier dringend Struk-turen für eine bedarfsgerechte und patientenorientierte Al-lokation erarbeitet werden.

Der individuellen Prävention wird in Zukunft einegrößere Rolle zukommen.852 Außerdem ist davon auszu-

gehen, dass auch die Entwicklung der prädiktiven Dia-gnostik zu einem größeren Gewicht der individuellenPrävention führen wird. Damit taucht einerseits die Frageauf, wie die Ressourcenverteilung zwischen den Berei-chen der klassischen „reaktiven“ und einer eher „präven-tiv“ orientierten Medizin zu regeln sein wird. Andererseitsstellt sich die Frage, was die Möglichkeiten der Ermitt-lung immer individuellerer Krankheits- und Morbiditäts-risiken für das Gesundheitswesen insgesamt bedeutet, dadas gegenwärtige System des Risikostrukturausgleichswesentlich auf der Abschätzung von Morbiditätsrisikenbestimmter Gruppen beruht.

1.1.2 Menschenbild undGesundheitsverständnis

Die Bedeutung des Gutes „Gesundheit“ wird häufig daringesehen, dass es eine unerlässliche Voraussetzung zurRealisierung anderer Zwecke bzw. zur Erlangung andererGüter ist (Konditionalgut).853 Diese Überlegung ist aller-dings verkürzend, da sie Gesundheit einseitig als Mittelzur Erlangung von Zwecken thematisiert und nicht mehrals ein eigenständiges Gut in den Blick nimmt, das – alswichtiger Bestandteil des guten Lebens – um seiner selbstwillen angestrebt wird.

In jedem Fall kommt dem Gut „Gesundheit“ offensicht-lich eine unmittelbare existenzielle Bedeutung zu, wie dasbei vielen anderen Gütern nicht der Fall ist. Damit stelltsich bei Gesundheitsleistungen die Frage nach der Vertei-lungsgerechtigkeit auch drängender als bei der Verteilungder meisten anderen Leistungen oder Güter.

Nicht wenige der derzeit diskutierten Rationierungsmodellearbeiten zur Lösung des Problems der Verteilungsgerechtig-keit mit „Kosten-Nutzen“-Kalkülen. Solche Modelle sindproblematisch, wenn Faktoren wie Lebensqualität und vo-raussichtlich verbleibende Lebenszeit herangezogen wer-den, um den „Nutzen“ einer Leistung zu bestimmen und mitden finanziellen Kosten verrechenbar zu machen. Da dieZuweisung der Gesundheitsleistungen auf diese Weise vonKriterien wie Alter oder persönlichem Wohlbefinden ab-hängig gemacht würde, birgt das die Gefahr in sich, dass dasDiskriminierungsverbot, das aus der Garantie der Men-schenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG folgt, unterlaufen wird.

Allokation impliziert unter den Bedingungen der Ressour-cenknappheit gleichwohl Prioritätensetzung. Dabei musssich die Bestimmung der Prioritäten aus Wertentscheidun-gen darüber ergeben, ob bestimmte Phänomene überhauptals Krankheit zu beurteilen sind und als wie schwerwiegendsie dann gegebenenfalls eingestuft werden. Allein an sol-chen Bewertungen können Prioritätensetzungen in ethisch

E Desiderate

851 Vgl. dazu Kühn 2001.852 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswe-

sen 2001. 853 So auch Eibach 1999.

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und rechtlich vertretbarer Weise orientiert werden. Ihnenliegt natürlich notwendigerweise immer ein bestimmtesVerständnis von Gesundheit und Krankheit zugrunde.

Es wäre damit eine wichtige Aufgabe, die Diskussion überdas Verständnis von Gesundheit und Krankheit für die Al-lokationsproblematik fruchtbar zu machen. In die Defini-tion von Gesundheitszielen müsste diese Reflexion je-denfalls eingehen.

1.1.3 Technologiefolgenabschätzung/Technologiebewertung

Es ist in der Diskussion weitgehend unbestritten, dass einvernünftiger Umgang mit der Problematik der Ressour-cen-Allokation sich eher am Grundsatz der Rationalisie-rung als an dem der Rationierung orientieren sollte. AlsEntscheidungsgrundlage für Rationalisierungsmaßnah-men werden aber Instrumente benötigt, die eine nachvoll-ziehbare Evaluation der Effektivität eingesetzter medizi-nischer Technologien ermöglichen.854

Die Einführung und Bewertung neuer Technologien undVerfahren findet im Gesundheitswesen zurzeit noch aufder Basis der Durchsetzung von Partikularinteressen statt.Mit der Einführung eines „Koordinierungs-“ und „Kran-kenhausausschusses“, der den für die ambulante Versor-gung zuständigen Ausschuss Ärzte und Krankenkassenergänzen soll, sowie den Auftrag des Gesetzgebers an dasDeutsche Institut für medizinische Dokumentation undInformation (DIMDI), ein datenbankgestütztes Informati-onssystem für die Bewertung der Wirksamkeit oder derEffektivität sowie der Kosten medizinischer Verfahrenund Technologien zu schaffen und Forschungsaufträgezur Bewertung medizinischer Verfahren und Technolo-gien zu erteilen, hat der Gesetzgeber eine erste Maßnahmezur Gegensteuerung und eine den Zielen des Sozialge-setzbuches V folgende Technologiebewertung („HealthTechnology Assessment“, HTA) institutionalisiert.

Um den Herausforderungen an die gesundheitliche Versor-gung gerecht zu werden und die Folgen medizinischer Ver-fahren beurteilen zu können, muss allerdings darüber hinauseine umfassende Technologiefolgenabschätzung vorge-nommen werden. Sie muss über den im Health TechnologyAssessment üblichen Effizienznachweis hinaus in stärke-rem Maße die Fragen der ethischen, rechtlichen, sozialenund – über das Gesundheitswesen hinaus – gesamtökono-mischen Wirkungen untersuchen.

Die systematische Analyse des gesundheitlichen Nutzenseinzelner Technologien oder Verfahren ist ein Versuchdem stetig wachsenden Ressourcenbedarf des Gesund-heitswesens mit Rationalität zu begegnen. Dabei sollennichtwirksame oder ineffiziente Technologien oder Ver-fahren identifiziert und damit als im Rahmen der gesetz-lichen Krankenversicherung nicht anwendbar dokumen-tiert werden.

Das Health Technology Assessment bedarf aber genau wiedie evidenzbasierte Medizin eines Wissens über Anwen-

dung, Einsatz und Ergebnis der infrage stehenden Techni-ken oder Verfahren, weshalb eine Beurteilung erst mit einernennenswerten Verzögerung von mehreren Jahren nach derEinführung erfolgen kann. Eine wesentliche, bisher nichtbeantwortete Frage zielt daher auf die Gültigkeit der Werk-zeuge und Maßstäbe des Health Technology Assessment,mit denen Beurteilungen vorgenommen werden.

Darüber hinaus erfasst das Health Technology Assessmentin der Regel nur kurzfristige Wirkungen (oder Wirkungslo-sigkeiten) einer Technologie oder eines Verfahrens. Die überGenerationen auftretenden Folgen, die ethischen und recht-lichen Dimensionen sind meist ausgeblendet. Auch eine ge-samtökonomische Betrachtung wird in der Regel nichtdurchgeführt. Besonders bei neuen Technologien könnenEntwicklungspotenziale leicht übersehen oder unterschätztwerden, weshalb ein Health Technology Assessment eindurchaus fehlerbelastetes und für die technologische Ent-wicklung problematisches Verfahren sein kann. Umgekehrtblendet die rein effizienz-orientierte Betrachtung sowohl dieethische als auch die soziale Dimension neuer Technologienaus. Die Beschränkung der Bewertung neuer Technologienauf Effizienz – meist unter ökonomischen Bedingungen be-trachtet – kann daher zu einer Machbarkeitsmechanikführen, die eine Betrachtung von gesellschaftlichen Wertenunberücksichtigt lässt.

Eine Technologiefolgenabschätzung in Bezug auf dienächsten Generationen findet so gut wie nicht statt. DieAuswirkungen der modernen Medizin haben aber nichtnur in Bezug auf die Reproduktionsmedizin im engerenSinne Generationen übergreifende Wirkungen, sondernauch durch die Verlängerung des Lebensalters, die Ver-schiebung der Reproduktionsperiode, die veränderten An-forderungen an die Gesundheit von Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern oder die gesellschaftliche Wahrneh-mung von Gesundheit, Krankheit und Behinderung, umnur einige Beispiele zu nennen. Die Analyse der Wirkungmedizinischen Handelns darf also nicht auf die Bewer-tung einer medizinischen Effizienz beschränkt bleiben,genauso wie umgekehrt gesellschaftliche Änderungen inimmer stärkerem Maße auf ihre gesundheitlichen Aus-wirkungen geprüft werden müssen.

1.1.4 Strukturen des GesundheitssystemsNeben der Bewertung der Effektivität eingesetzter Tech-nologien betrifft ein weiterer Gesichtspunkt der Alloka-tionsproblematik die Frage nach der Strukturierung desGesundheitswesens, insbesondere im Hinblick auf dieGestaltung des Wettbewerbs im Bereich der gesetzlichenKrankenversicherung.

Die veränderten Anforderungen an das Gesundheitswesen(veränderte Demographie, neues Erkrankungsspektrum),aber auch das veränderte Leistungsspektrum der Medizin(technologisch-wissenschaftliche Entwicklung) machenhier eine ständige Anpassung notwendig. Die gegenwär-tige Entwicklung erscheint aber mehr von ökonomischenModellen oder Wunschvorstellungen als durch gesund-heitliche Ziele gesteuert.

Zur Sicherstellung einer gerechten und effizienten Versor-gung sind Strukturen notwendig, die diesen Zielen gerecht854 Feuerstein/Kuhlmann 1998, darin vor allem Höfling 1998.

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werden können. Sollen Solidarität und Subsidiarität tra-gende Prinzipien des Gesundheitswesens bleiben, werdenauch in Zukunft für das Gesundheitswesen eigenständige,vom Marktgeschehen abgetrennte Strukuren notwendigsein. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre hat mit einerZuspitzung auf die Einführung von wettbewerblichen Elementen in das Gesundheitswesen zu Verwerfungen beider gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere beimWettbewerb um gesunde Versicherte, geführt. Die Be-mühungen um den Risikostrukturausgleich stellen ledig-lich die Spitze einer Entwicklung dar, die eine permanenteKrise der gesetzlichen Krankenversicherung markiert.

Die Wettbewerbssituation der Krankenkassen, aber auchprozedurale Fragen wie z. B. die so genannten „Friedens-wahlen“855, haben zu einer steten Entfremdung der Kran-kenkassen von ihren Mitgliedern geführt. Der Gedankeeiner Selbstverwaltung ist stark in den Hintergrund getre-ten, Versicherte fühlen sich in den Aufsichtsgremien derKrankenkassen nicht vertreten, Krankenkassen sprechenzunehmend von „Kunden“ anstatt von „Mitgliedern“.

Dieser Tendenz entgegenwirkend versucht eine neueRichtung der Gesundheitspolitik den Wettbewerb von denKrankenkassen auf die Leistungserbringer zu verlagern.Die korporatistischen Strukturen der Selbstverwaltungsollen aufgelöst und durch selektive Vertragsstrukturenzwischen den Krankenkassen und den Leistungserbrin-gern ersetzt werden. Als Ziel werden integrierte Versor-gungsstrukturen856 angegeben. Die Gefahr wird jedochdiskutiert, dass die negativen Effekte des Wettbewerbs umGeld, wie die Risikoselektion oder die massive Ausga-bensteigerung für Marketing durch die Krankenkassenauch auf der Leistungserbringerseite eintreten und dort zuähnlich schweren Verwerfungen führen könnten.

Vermehrt wird deshalb der Wettbewerb um Geld als einungeeignetes Instrument für das Gesundheitswesen angese-hen, stattdessen wird ein Wettbewerb um Qualität verlangt.Für jegliche Form des Wettbewerbs müssen allerdings Än-derungen der bestehenden Institutionen und Organisations-formen vorgenommen werden. Dabei wird die wesentli-che Frage sein, ob das Prinzip der Subsidiarität und damitder Selbstverwaltung bestehen bleiben soll oder ob Orga-nisationsformen des Marktes in Zukunft zum Tragenkommen sollen.

Die Frage der Anpassung des Gesundheitswesens an dieHerausforderungen der modernen Medizin ist damit aucheine Frage nach der Organisation und den Strukturen desGesundheitswesens selbst.

1.1.5 Zusammenfassende FragestellungenIn der Literatur werden drei, manchmal auch vier ver-schiedene Verantwortungsebenen der Allokation differen-ziert857:

– die obere Makroebene, auf der darüber entschiedenwird, welche Ressourcen dem Gesundheitswesen ins-gesamt zugewiesen werden,

– die untere Makroebene, auf der über die Verteilung derRessourcen auf die verschiedenen Bereiche wiePrävention, Therapie, Ausbildung etc. innerhalb desGesundheitswesens entschieden wird,

– die Mesoebene, auf der über die Ressourcenverteilunghinsichtlich bestimmter Indikationen oder Patienten-gruppen entschieden wird, und

– die Mikroebene, auf der Allokationsentscheidungenhinsichtlich einzelner Patientinnen und Patienten ge-troffen werden.

Für jede außer der „oberen Makroebene“ stellt sich letzt-lich die Frage, nach welchen Maßstäben die Definition vonGesundheitszielen bzw. die Festlegung von Sollwerten er-folgt, und wer jeweils die Definitionsmacht dafür besitzt.

Besonders hinsichtlich der „unteren Makroebene“ weistdas deutsche Gesundheitssystem ein Defizit auf, da – imGegensatz etwa zu Frankreich – kein Gremium existiert,das bestimmt, welche Ziele das Gesundheitssystem ei-gentlich im Ganzen verfolgt. Die Kompetenzen verteilensich auf Bund, Länder und die Organe der Selbstverwal-tung des Gesundheitswesens. Der Bundesausschuss Ärzteund Krankenkassen, der als Organ der Selbstverwaltungder Ärztinnen und Ärzte sowie der Krankenkassen nachden gesetzlichen Vorschriften für die Allokation zuständigist, ist nicht an Zielvorgaben des Gesetzgebers gebunden.Da Sollwerte fehlen, ist auch keine einheitliche Evalua-tion von erbrachten Gesundheitsleitungen möglich.

Eine wichtige Aufgabe bestünde also darin, zu klären, auf welche Weise eine transparente, demokratische und all-gemein akzeptierte Bestimmung von Gesundheitszielen erfolgen und umgesetzt werden kann. Eine solche Bestim-mung von allgemeinen Gesundheitszielen mit entsprechen-der Evaluation, die deren Erreichen überprüfbar macht,würde sich in der Meso- und Mikroebene auswirken. Diedort getroffenen Entscheidungen würden damit für Bürge-rinnen und Bürger auch nachvollziehbarer und transparen-ter. Ferner ließen sich aus allgemeinverbindlichen Zielenbegründet konkrete Bestimmungen herleiten; damit könntedas „Theorie-Defizit“ des gegenwärtigen Systems ausgegli-chen werden.858

Sodann müsste darüber nachgedacht werden, welcheStrukturen auf der Meso- und Mikroebene notwendig sind,um eine sinnvolle, gerechte und effiziente Allokation zu

857 Entsprechende Differenzierungsmodelle etwa bei Engelhardt 1988,S. 35.

858 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswe-sen 2001.

855 Das Sozialrecht lässt es bei den Sozialwahlen zu, „dass die vor-schlagsberechtigten Organisationen sowie einzelne Wahlberechtigte,die selbst Wahlvorschläge machen möchten, sich auf eine Vor-schlagsliste einigen oder zwar mehrere Vorschlagslisten einreichen,darin aber in allseitigem Einvernehmen insgesamt nicht mehr Be-werber aufführen, als nach der Satzung des Versicherungsträgers Or-ganmitglieder zu wählen sind. Geschieht dies, gelten die vorge-schlagenen Bewerber ohne weiteres als gewählt (§ 46 Abs. 3 SGBIV). Dieser Umstand wird als ‚Friedenswahl‘ bezeichnet.“ (Plate1998)

856 So lautet die Formulierung des SGB V.

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ermöglichen. Wie im vorigen Kapitel umrissen, gehörtdazu nicht zuletzt die Frage, in welcher Weise der Wett-bewerb im Gesundheitswesen zu strukturieren wäre.

1.2 Forschung an nichteinwilligungs-fähigen Menschen

Der Themenbereich Forschung an nichteinwilligungs-fähigen Menschen ist in den letzten Jahren Gegenstandheftiger öffentlichen Kontroversen. Entzündet hatten diesesich Mitte der 90er-Jahre an den entsprechenden Passagendes „Übereinkommens über Menschenrechte und Biome-dizin“ des Europarates.859 Es sind nicht zuletzt diese Kon-troversen, die dazu geführt haben, dass die Bundesrepu-blik das Übereinkommen bislang nicht unterzeichnet hat.Seit Sommer 2001 liegt zudem ein Entwurf für ein ent-sprechendes Zusatzprotokoll vor.

Die Enquete-Kommission kann an dieser Stelle lediglichden Stand der Debatte und den politischen Handlungsbe-darf darstellen.

1.2.1 Zulässigkeitsvoraussetzungenmedizinischer Forschung

Nach herrschender Rechtsauffassung ist der informedconsent der Patientin oder des Patienten bzw. der Proban-din oder des Probanden Voraussetzung für die Zulässig-keit eines Forschungseingriffs und die mit ihm verbunde-nen Belastungen und Risiken. Unter informed consentwird dabei die freiwillige Einwilligung der Patientin oderdes Patienten bzw. der Probandin oder des Probanden ver-standen, die nach umfassender Information über den Cha-rakter des Versuchs, seine Dauer, seine Ziele, seine Risi-ken und die bestehenden Abbruchmöglichkeiten währenddes Versuchs erfolgt.

Darüber hinaus muss der Versuchszweck in angemesse-nem Verhältnis zum Versuchsrisiko stehen und darf nichtfundamentalen Verfassungswerten widersprechen.

Medizinische Versuche nach erfolgtem informed consenteiner einwilligungsfähigen Patientin oder eines einwilli-gungsfähigen Patienten bzw. der Probandin oder des Pro-banden und nach erfolgter positiver Nutzen-Risiko-Ab-wägung werden als verfassungsrechtlich unbedenklicheingestuft.

Offene Fragen bestehen in den Bereichen der Informati-onsgestaltung und der Nutzen-Risiko-Abwägung. Strittigwird insbesondere die Zulässigkeit medizinischer For-schung bei nicht oder beschränkt einwilligungsfähigenMenschen diskutiert.

1.2.2 Offene Fragen im Bereich derInformationsgestaltung

Im Bereich der Informationsgestaltung bereiten folgendePunkte in der Praxis immer wieder erhebliche Schwierig-keiten und sollten hinsichtlich einer gesetzlichen Rah-menregelung überprüft werden:

– Wie ausführlich müssen Risiken und Belastungen dar-gestellt werden?

– Muss die Information nur gegeben werden, oder mussdie Informationsgeberin bzw. der Informationsgeberdafür Sorge tragen, dass sie auch verstanden wird?

– Inwieweit müssen während und nach dem Versuchneue Erkenntnisse über Risiken und Belastungen zeit-nah an die Probandinnen und Probanden weitergege-ben werden?

– Wie genau müssen bzw. können Probandinnen und Pro-banden im Bereich von Blind- und Doppel-Blind-Stu-dien über das Forschungsdesign aufgeklärt werden?

– Wie wird die Informationsübermittlung dokumen-tiert?

– Wie weit reicht der informed consent der Probandinbzw. des Probanden? Inwieweit dürfen Befunde, die imRahmen eines Forschungsvorhabens erhoben wurden,oder Körpermaterialien, die im Rahmen eines For-schungsvorhabens entnommen wurden, zum Zecke derNutzung für andere Forschungsvorhaben weitergege-ben werden?

1.2.3 Offene Fragen bei der Nutzen-Risiko-Abwägung

Die Darlegung und Bewertung der Nutzen-Risiko-Abwä-gung muss nach geltendem Berufsrecht der Ärztinnen undÄrzte in dafür gebildeten Ethikkommissionen erfolgen.Dabei zeigen sich in der Praxis erhebliche Unterschiededer Arbeitsweisen der Ethikkommissionen.

Diskutiert wird die Forderung, die Arbeit der Ethikkom-missionen auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Fol-gende Bereiche bedürfen dabei einer Überprüfung hin-sichtlich einer gesetzlichen Rahmenregelung:

– Kriterien für die Zustimmungsbedürftigkeit der Ethik-Kommission;

– Standardisierung der von der Untersucherin oder vomUntersucher einzubringenden Unterlagen zur Bewer-tung des Forschungsvorhabens, insbesondere Nach-weis der Notwendigkeit des Vorhabens und der Nicht-Ersetzbarkeit durch andere Forschungsmaßnahmen;

– Regelungen der Berufung, der Zusammensetzung, desArbeitsauftrages und der Arbeitsweise der Ethikkom-missionen;

– Klärung der Verbindlichkeit des Votums der Ethik-kommission.

1.2.4 Zulässigkeit medizinischer Forschungan nichteinwilligungsfähigenMenschen

1.2.4.1 Begriffsbestimmung In der Debatte um die Zulässigkeit von medizinischer For-schung, insbesondere im Hinblick auf nicht- oder nichtmehr einwilligungsfähige Menschen und die Wirksamkeitdes informed consent Dritter, ist bisher die mit der Deklara-859 Europarat 1997.

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tion von Helsinki der World Medical Association von 1964eingeführte Unterscheidung in clinical research (Heilver-such) und non-therapeutic clinical research (fremdnützigeForschung, Wissensversuch) allgemein anerkannt.860

Dabei werden in der Literatur häufig noch weitere Diffe-renzierungen vorgenommen und die clinical research inHeilversuch und klinischer Versuch unterteilt und dienon-therapeutic clinical research in gruppennützliche For-schung und nicht gruppennützliche Wissensversuche.861

Ein Heilversuch liegt vor, wenn ein noch nicht etabliertesVerfahren angewandt wird, das für die bzw. den Betroffe-nen eine unmittelbare Aussicht auf Heilung, Besserungoder einen sonstigen Nutzen enthält, ohne dass gleichzei-tig Maßnahmen zur Gewinnung verallgemeinerbarer Er-kenntnisse getroffen werden. Ein klinischer Versuch liegtvor, wenn solche Maßnahmen zur Gewinnung verallge-meinerbarer Erkenntnisse getroffen werden und die Aus-sicht auf Heilung oder Besserung der Probandin bzw. desProbanden im Wesentlichen auch erst nach Auswertungdes Versuchs realisierbar ist und der Nutzen für die bzw.den Betroffenen damit nur mittelbar.

Im Bereich der non-therapeutic clinical research wird häu-fig unterschieden in Versuche, deren Ergebnisse Patientin-nen und Patienten der gleichen Diagnosegruppe oder Al-tersgruppe, denen die Probandinnen und Probanden ent-stammen, nutzen sollen (Gruppennützlichkeit), und solcheForschungen, deren Nützlichkeit auf keine konkrete Patien-tengruppe beziehbar ist, wie beispielsweise bei reinen Wis-sensversuchen und Grundlagenforschung.862

1.2.4.2 Heilversuch und klinischer Versuch annichteinwilligungsfähigen Menschen

Bedenken der Zulässigkeit medizinischer Forschung annicht- oder nicht mehr einwilligungsfähigen Menschenergeben sich aus dem Instrumentalisierungsverbot. Für dieZulässigkeit der Forschung wird andererseits die Fürsorge-pflicht für die in Betracht stehende Gruppe angeführt: Oftkönne nur durch die Einbeziehung der Betroffenen eineneue oder bessere Behandlung für diese Gruppe entwickeltwerden.

Dabei wird die Wirksamkeit des Einverständnisses seitensder gesetzlichen Vertreterin oder des gesetzlichen Vertre-ters bzw. der Betreuerein oder des Betreuers unterschied-lich beurteilt und meist in Abhängigkeit des unmittelbarenoder mittelbaren Nutzens der medizinischen Forschungfür die betroffene Versuchsperson bewertet.

Unstrittig wird die Zulässigkeit eines Heilversuches, ein-schließlich der dafür erforderlichen Diagnostik, bei Nicht-einwilligungsfähigen durch die Zustimmung der gesetzli-chen Vertreterin bzw. des gesetzlichen Vertreters oder derBetreuerin bzw. Betreuers beurteilt. Da der Versuch auf dieHeilung oder die Besserung des Zustandes der Probandinbzw. des Probanden zielt und damit unmittelbar zu ihremoder seinem Nutzen erfolgt, wird davon ausgegangen, dasskeine Verletzung des Instrumentalisierungsverbotes vorliegtund die Probandin oder der Proband nicht zum bloßen Ob-jekt der Forschung degradiert wird.

Im Falle von Minderjährigen ist bei einem Heilversuch indiesem Sinne die Zustimmung der Erziehungsberechtigtenmaßgeblich, im Falle nichteinwilligungsfähiger Erwach-sener die der gesetzlichen Betreuerin oder des gesetzlichenBetreuers. Ausschlaggebend ist hierfür die Abwägung, obder Heilversuch im überwiegenden Eigeninteresse der bzw.des Betroffenen durchgeführt wird, wobei die tatsächlicheBefürwortung oder Ablehnung durch die minderjährigebzw. volljährige nichteinwilligungsfähige Patientin oderden minderjährigen bzw. volljährigen nichteinwilligungs-fähigen Patienten selbst jeweils zu berücksichtigen ist.

Davon zu unterscheiden ist die Frage der Ersetzbarkeit derpersönlichen Zustimmung im Falle klinischer Versuche,bei denen im Gegensatz zum Heilversuch Maßnahmen zursystematischen Auswertung und dem Erhalt neuer verall-gemeinerungsfähiger Erkenntnisse einschließlich Maß-nahmen zum Vergleich mit bereits bestehenden etabliertenVerfahren getroffen werden und für die Probandinnen undProbanden nur ein mittelbarer Nutzen durch die in Aus-sicht gestellte Anwendung der Erkenntnisse zu einem spä-teren Zeitpunkt besteht.

Inwieweit hier die einfache Zustimmung der Erziehungsbe-rechtigten bzw. der gesetzlichen Betreuerin oder des gesetz-lichen Betreuers ausreicht wird unterschiedlich beurteilt.Zwar gilt auch hier die Abwägung, ob die Einbeziehung derProbandin oder des Probanden in den klinischen Versuch

860 In der Neufassung der Deklaration von Helsinki in Edinburgh im Ok-tober 2000 wurde die Unterscheidung zwischen klinischer For-schung und nichttherapeutischer Forschung aufgegeben. Begründetwurde dies in der Debatte damit, die Begriffe „klinische“ oder „the-rapeutische Forschung“ als Abgrenzung zur „nichtklinischer“ oder„nichttherapeutischer Forschung“ weder in den Versuchsprotokollennoch in der tatsächlichen Bedeutung für die Patientin bzw. den Pati-enten die angebliche Trennschärfe besitzen. So können zum BeispielPatientinnen und Patienten in einem „klinischen“ Versuch in eineKontrollgruppe (durch Zufallsentscheid) eingeteilt werden und des-halb keinen direkten Effekt einer neuen Behandlung erfahren. Ande-rerseits können die Ergebnisse nichtklinischer oder nichttherapeuti-scher Versuche sehr wohl zur direkten Verbesserung ihrer Behandlungführen. Darüber hinaus werden immer mehr Forschungen mit Datenvon Patientinnen und Patienten oder in Zukunft an virtuellen Patien-tinnen bzw. Patienten gemacht, die aus Daten wirklicher Menschensimuliert werden. Der reine „klinische Versuch“ steht demnach nurselten dem „nichtklinischen Versuch“ trennbar gegenüber, in der Re-gel hat ein und das gleiche Versuchsprotokoll Züge der klinischenund nichtklinischen Forschung. Fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen soll möglich sein, wenn die gesetz-liche Vertreterin bzw. der gesetzliche Vertreter zugestimmt hat unddie Erforderlichkeit der Forschung nachgewiesen ist. Eine Ein-schränkung auf ein „minimales Risiko“ oder eine „minimale Belas-tung“ sieht die Deklaration nicht vor. Umgekehrt werden aber der in-dividuelle Heilversuch oder der klinische therapeutische Versuchohne Ausnahme an die persönliche Zustimmung der Patientin bzw.des Patienten gebunden. Nichteinwilligungsfähige werden nach Auf-fassung von Taupitz somit im Widerspruch zur bisherigen Rechts-lage in Deutschland und zur bisher international verbreiteten Praxisvon Heilversuchen ausgeschlossen (Taupitz 2001).

861 Vgl. Fre und/Heubel 1997.862 Vollmann 2000. Vollmann unterscheidet hier zwischen Forschungsun-

tersuchungen, die einen potenziellen Nutzen für spätere Patientinnen

oder Patienten derselben Krankheits- bzw. Altersgruppe haben, undnichtklinischer medizinischer Forschung (Grundlagenforschung), dienicht mit der Erkrankung der Versuchsperson in Zusammenhang steht.

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überwiegend in ihrem bzw. seinem eigenen Interesse ist.Uneinigkeit besteht aber darüber, inwieweit ein Nachteil,der der oder dem Betroffenen durch das Forschungsdesignentstehen könnte, durch die Einwilligung Dritter legitimier-bar ist. Dies kann der Fall sein, wenn der Forschungsaufbaudazu führt, dass der Probandin bzw. dem Probanden ein eta-bliertes Verfahren vorenthalten wird, dessen Nützlichkeitgegen die eines neuen Verfahrens geprüft werden soll.863

1.2.4.3 Fremdnützige Forschung annichteinwilligungsfähigen Menschen

Kontrovers wird diskutiert, inwieweit die Zustimmung zumedizinischer Forschung, die für die Probandin oder denProbanden selbst keinen unmittelbaren oder mittelbarenNutzen hat, höchstpersönlich sein muss oder unter be-stimmten Voraussetzungen durch die Zustimmung Dritterersetzt werden kann.

1.2.4.4 Regelung des Übereinkommens überMenschenrechte und Biomedizin desEuroparates von 1997

In Artikel 17.2 des Übereinkommens über Menschenrechteund Biomedizin des Europarates wird fremdnützige For-schung an nichteinwilligungsfähigen Menschen, zugelas-sen, wenn

– Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit an einwil-ligungsfähigen Personen nicht möglich ist,

– nur ein „minimales Risiko“ und eine „minimale Be-lastung“ für die Versuchsperson besteht,

– der erwartete Nutzen für dieselbe Altersgruppe oderMenschen mit derselben Krankheit, Störung oderdemselben Zustand groß ist,

– die oder der Betroffene selbst nicht ablehnt und

– wenn die gesetzliche Betreuerin bzw. der gesetzlicheBetreuer zustimmt.

1.2.4.4.1 Kontroverse Diskussion der Zulässig-keit fremdnütziger Forschung annichteinwilligungsfähigen Menschen

Als wesentliche Argumente für eine solche Regelungwerden ins Feld geführt:

– Forschungseingriffe an Personen, die selbst nicht ein-willigen können, seien ethisch dann gerechtfertigt,wenn Menschen, die an derselben Krankheit leidenoder derselben Altersgruppe zugehören, nur durchForschung an diesem Personenkreis eine Chance auf

Heilung oder Besserung hätten und somit ein unab-weisbar hoher Bedarf an dieser Forschung, der ander-weitig nicht zu decken sei, bestehe.864

– Eine Forschungsmaßnahme mit einem „minimalenRisiko“ und einer „minimalen Belastung“, der die gesetzliche Betreuerin bzw. der gesetzliche Betreuerzugestimmt habe, berühre nicht im Kern die nichtein-willigungsfähige Person und sei deshalb mit der Men-schenwürde vereinbar.865

– Eine Abwägung zwischen den Bedürfnissen zukünfti-ger Patientinnen und Patienten und den Schutzrechteneines bzw. einer heute Betroffenen durch die gesetzli-che Betreuerin bzw. den gesetzlichen Betreuer könnerechtlich zulässig sein, wenn dies im Rahmen einerumfassenden gesetzlichen Stellvertretung in gesund-heitlichen Angelegenheiten geschehe, in deren Rah-men die Betreuerin oder der Betreuer auch ermächtigtsei, Gemeinwohlaspekte in ihre bzw. seine Entschei-dung einfließen zu lassen.866

– Darüber hinaus wird von einigen auch eine „Sozial-pflichtigkeit“867 für nichteinwilligungsfähige Men-schen, sich fremdnütziger Forschung zur Verfügung zustellen, diskutiert, sowie eine „Jedermannspflicht zurmedizinischen Forschung“868, die einwilligungsfähigeund nichteinwilligungsfähige Menschen in gleicherWeise betreffen würde.

Eine Übereinstimmung besteht auch mit den seit länge-rem vertretenen Ansätzen in der medizinrechtlichen Lite-ratur, die vorschlagen, die Zulässigkeit einer fremdnützi-gen Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschenaus der Relation von Krankheit und Einwilligungsfähig-keit, Nutzen-Risiko-Abwägung und Schutz des Krankenzu bestimmen.869

Eine Befürwortung liegt u. a. von der „Zentralen Ethik-kommission bei der Bundesärztekammer“ vor, verbundenmit dem Vorschlag einer individuellen Überprüfung desVorliegens einer Einwilligungsunfähigkeit und der Kop-pelung des Verfahrens an die Zustimmung einer Ethik-kommission.870

Als wesentliche Argumente gegen eine solche Regelungwerden ins Feld geführt:

– Forschungseingriffe an Personen, die selbst nicht ein-willigen können und die für die betroffene Person kei-nen unmittelbaren oder mittelbaren Nutzen haben,würden gegen das Instrumentalisierungsverbot ver-stoßen und den Menschen zum Objekt der Forschungdegradieren; sie würden deshalb gegen Art. 1 Abs. 1

864 Vgl. u. a. Helmchen/Lauter 1995.865 Bundesministerium der Justiz 1998, S. 18.866 Elzer 1998.867 Wolfslast, zit. n. Spranger 2001.868 Picker 2000; sowie Wunder 2001c.869 Eser 1978; Helmchen et al. 1989.870 Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer 1997.

863 Freund/Heubel (1997) schlagen vor, nichteinwilligungsfähige oder be-schränkt einwilligungsfähige Menschen nur dann an der Kontroll-gruppe einer klinischen Vergleichsstudie teilnehmen zu lassen, wenndie Aussichten auf den Nutzen des neuen Verfahrens überwiegen; in al-len Zweifelsfällen sollten nicht- oder nur beschränkt einwilligungs-fähige Menschen in einem vergleichenden klinischen Versuch zumin-dest die etablierte Behandlung erhalten und damit der Kontrollgruppezugewiesen werden. Eine Ungleichbehandlung mit Einwilligungsfähi-gen würde aber dann vorliegen, wenn das neue Verfahren außerhalb derStudie nicht verwehrt werden könnte.

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GG verstoßen. Auch einem hohen Bedarf käme keinRechtfertigungsgrund zu.871 Eine solche, die Persön-lichkeitsrechte einschränkende Sonderregelung fürEinwilligungsunfähige sei verfassungsrechtlich nichtvertretbar. Mit guten Gründen werde bei Humanexpe-rimenten und nichttherapeutischer Forschung die freiepersönliche Einwilligung vorausgesetzt.

– Die Begriffe „minimales Risiko“ und „minimale Be-lastung“ seien in hohem Maße interpretationsoffen undkönnten eine Vielzahl von Eingriffen legitimieren, desweiteren beträfen sie das subjektive Erleben. Insbe-sondere könnten Maßnahmen, die gemeinhin als ge-ring belastend angesehen werden, von den Betroffe-nen, die häufig Situationen intuitiv wahrnehmenwürden, als stark belastend und angstauslösend erlebtwerden und somit durchaus den Kern ihrer Person unddamit ihre Menschenwürde berühren.872

– Eine ersatzweise Einwilligung der gesetzlichen Be-treuerin bzw. des gesetzlichen Betreuers sei durch dasBetreuungsrecht ausgeschlossen, da diese Entschei-dung immer zum persönlichen Wohl der oder des Be-treuten und nicht zum Allgemeinwohl zu treffen sei.873

– Die Ablehnung der bzw. des Betroffenen sei eine zu ge-ringe Sicherheit vor fremdnütziger Forschung, die ge-gen den Willen der oder des Betroffenen durchgeführtwird, da gerade nicht- oder beschränkt einwilligungs-fähige Menschen eine für Außenstehende oft schwerverständliche Kommunikation hätten und ihre eigeneGeschwindigkeit, so dass sie oft überfordert seien, inder Situation selbst schon eine Reaktion zu zeigen.

Unter Wahrung der Schutzrechte der Probandinnen undProbanden, aber im Hinblick auf die Notwendigkeit derForschung wird diskutiert, das Instrument der Vorabein-willigung im Bereich progredient verlaufender Erkran-kungen einzusetzen. Kritisch wird diskutiert, die Mitnut-zung von Körpersubstanzen oder die Mitauswertung vonDiagnoseverfahren für fremdnützige Zwecke durch dieEinwilligung der gesetzlichen Betreuerin bzw. des ge-setzlichen Betreuers zu erlauben, sofern diese Maßnah-men im Rahmen einer Heilbehandlung sowieso durchge-führt werden mussten.874

Im „Entwurf eines Zusatzprotokolls zum Übereinkommenüber Menschenrechte und Biomedizin über biomedizini-sche Forschung“ vom 18. Juli 2001 wird die Zulassungfremdnütziger Forschung bei nichteinwilligungsfähigenMenschen durch die Einwilligung des gesetzlichen Be-treuers oder der gesetzlichen Betreuerin unter den oben re-ferierten Bedingungen fortgeschrieben. Aufgrund der Kri-tik wird aber eine graduelle Einbeziehung der betroffenenPersonen, soweit sie dazu in der Lage sind, nach dem Gradihrer individuellen Einwilligungsfähigkeit und die Über-

prüfung der jeweils subjektiv vorliegenden Belastungdurch unabhängige Personen im Zusatzprotokoll vorgese-hen. Hier sind aber praktische Bedenken anzuführen, wiedie gesetzliche Betreuerin bzw. der gesetzliche Betreuerim Laufe der Forschungsmaßnahmen möglicherweise ent-stehenden Gegenwillen feststellen kann.

1.2.5 ArzneimittelrechtDas deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) wird in der De-batte häufig als Beleg dafür angeführt, dass derzeit inDeutschland die fremdnützige Forschung an Minderjähri-gen sogar über die im Übereinkommen über Menschen-rechte und Biomedizin festgelegte Einschränkung des„minimalen Risikos“ und der „minimalen Belastung“ hi-naus bereits gesetzlich für den Teilbereich der Arzneimit-telprüfung zugelassen ist. Dies entspricht jedoch nichtdem Wortlaut der diesbezüglichen Regelung.

Für den Bereich der Minderjährigen werden im AMG kli-nische Prüfungen bei vorausgesetzter Relation von Nut-zen und Risiko durch Zustimmung der Erziehungsbe-rechtigten für zulässig erklärt, wenn das Arzneimittel zumErkennen und Verhüten von Krankheiten bestimmt unddie Anwendung angezeigt ist, um bei dem MinderjährigenKrankheiten zu erkennen und ihn vor Krankheiten zuschützen. (§ 40 Abs. 4 Nr. 1–4 AMG). Umstritten ist aber,ob diese Formulierung einen Probandenstatus Minder-jähriger, also eine Einbeziehung Minderjähriger in eineArzneimittelerprobung ohne Nutzen für diese selbst überden Fall einer vorbeugenden Maßnahme, wie zum Bei-spiel der Impfstofferprobung, hinaus, ausschließt.875

Auch § 41 AMG hebt bei der Zulässigkeit der klinischenPrüfung eines Arzneimittels an Kranken auf den therapeu-tischen Erfolg bei der Probandin bzw. dem Probanden ab.

Nur scheinbar verhindern die Grundsätze der gesetzlichenVertretung durch Eltern oder rechtliche Betreuerinnenund Betreuer die Einbeziehung Minderjähriger oderNichteinwilligungsfähiger in ausschließlich fremdnützigeForschungsvorhaben. Die Praxis geht oft mit vielfachenlegitimierenden Begründungen andere Wege. Es bestehteine erhebliche Grauzone.

Vor dem Hintergrund drängender Probleme in der Praxiswerden von einer Reihe von Autorinnen und Autoren ge-setzliche Klarstellungen gefordert, die der Tatsache Rech-nung tragen, dass ein Wissensgewinn in der Kinderheil-kunde auf klinische Studien auch ohne Nutzen für diejeweils beteiligten Minderjährigen angewiesen sei.

Vorgeschlagen werden hierzu strenge Regelungen

– der vorherigen Risikobestimmung und der Risikomi-nimierung,

– der schrittweisen Einbeziehung der Entscheidungs-fähigkeit der Minderjährigen selbst,

– eine Hierarchisierung der Vorgehensweise von zu-nächst älteren Minderjährigen zu jüngeren, sofern diesder Untersuchungsgegenstand zulässt,

871 U. a. Spranger 2001; zum Rahmen möglicher Ausnahmeregelungenvgl. Höfling/Demel 1999.

872 Wunder 2000b.873 Vgl. u. a. Jürgens 1998.874 Schröder/Taupitz 1991; Dörner 2001b. 875 Vgl. u. a. Taupitz/Fröhlich 1997; Walter-Sack/Haeferli 2001.

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Drucksache 14/9020 – 196 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– die Kontrolle durch Ethikkommissionen und

– des Nachweises, dass die jeweiligen wissenschaftli-chen Fragen tatsächlich nur in dieser Betroffenen-gruppe untersucht werden können.876

Die „Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlamentsüber die Anwendung der Guten klinischen Praxis bei derDurchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarz-neimitteln“ vom 4. April 2001 bindet die Arzneimittel-prüfung im Bereich nichteinwilligungsfähiger Menschennicht an einen Nutzen für diese, sondern erlaubt sie unterder Maßgabe der Risiko- und Belastungsminimierung beiEinhaltung folgender Schutzvorschriften:

– Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin oder des ge-setzlichen Vertreters unter Beachtung des mutmaßli-chen Willens der bzw. des Minderjährigen oder derbzw. des Nichteinwilligungsfähigen;

– jederzeitige Abbruchmöglichkeit der Erprobung;

– Ausschluss finanzieller Anreize oder Vergünstigungen;

– Nachweis der Erforderlichkeit der Forschung und derunumgänglichen Notwendigkeit der Forschung in die-ser Betroffenengruppe.

Die Richtlinie berührt keine Maßnahmen in den Mit-gliedstaaten, die höhere Schutzstandards für Probandenvorsehen (Art. 3 Satz 1). Inwieweit durch sie aber ein politischer Druck entstehen wird, das deutsche AMG an-zugleichen, bleibt abzuwarten.

1.2.6 Schlussfolgerungen

Vor dem hier dargestellten Hintergrund und in Anbetrachtder Tatsache, dass die Debatte um die Unterzeichnung desÜbereinkommens über Menschenrechte und Biomedizindes Europarates noch nicht abgeschlossen ist und in An-betracht der Unklarheiten in der Anwendung der Rege-lungen des Arzneimittelgesetzes betreffend Minder-jährige, ist es dringend erforderlich, dass sich derDeutsche Bundestag mit dem Thema der Forschung annichteinwilligungsfähigen Menschen intensiv befasst.Zusätzlicher Diskussions- und Handlungsbedarf könnteaufgrund der Richtlinie 2001/20/EG des EuropäischenParlaments über die Anwendung der Guten klinischenPraxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungenmit Humanarzneimitteln entstehen.

Entsprechend der Darstellung im vorangehenden Pro-blemaufriss sollten insbesondere die folgenden Themen-felder behandelt und gegebenenfalls einer gesetzlichenRegulierung zugeführt werden:

– Gestaltung der Informationsvermittlung im Rahmendes informed consent;

– Definition der Begriffe „nichteinwilligungsfähig“ und„einwilligungsfähig“;

– das Konzept der Nutzen-Risiko-Abwägung und dieGrenzen seiner Anwendung;

– Rahmenregelungen für Ethikkommissionen;

– Zulässigkeit der fremdnützigen medizinischen For-schung an nichteinwilligungsfähigen Menschen;

– Zulässigkeit fremdnütziger klinischer Prüfungen vonArzneimitteln durch eine Klarstellung zum AMG.

1.3 Sterbebegleitung und SterbehilfeDas Thema Sterbebegleitung und Sterbehilfe ist in derPraxis des modernen Gesundheitswesens ein Gebiet stän-diger Auseinandersetzungen. Seit Mitte des 20. Jahrhun-derts haben sich die Fragen, die sich zum Thema Sterbenund Tod stellen, durch die Fortschritte der Medizin grund-legend geändert. Dies betrifft

– den Zeitpunkt des Todeseintritts, der durch die Mög-lichkeiten der Reanimation und der künstlichen Le-bensverlängerung dem medizinischen Handeln unddamit der verantwortbaren Entscheidung unterliegt,

– den Ort des Sterbens, der überwiegend das Kranken-haus als Ort professioneller Rettungsmöglichkeitenoder das Pflegeheim geworden ist,

– und die Bedingungen des Sterbens, die in zunehmen-dem Maße von Fremdbestimmtheit durch eine über-mächtige Medizin und sozialer Isolation bedroht sind.

Eine Zuspitzung der Debatte erfolgt vor dem Hintergrundwachsender Möglichkeiten der Intensivmedizin bei gleich-zeitiger Abnahme paternalistischer Konzepte in der Medi-zinethik und einer stärkeren Betonung der Selbstbestim-mung der Patientin bzw. des Patienten. Vor dem Hintergrundder Entwicklungen in den Niederlanden wird wieder ver-stärkt über die Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe)diskutiert. Dies wiederum ruft Warnungen vor dem Hinter-grund der geschichtlichen Erfahrungen hervor, dass die Ideeder selbstbestimmten Tötung schwerstkranker Menschenauf deren Verlangen untrennbar mit der fremdbestimmten Tötung von Menschen mit einer Behinderung und andererfür „lebensunwert“ gehaltener Menschen verbunden sei.Hinzu kommen die Debatte über die Defizite in der pflege-rischen Versorgung und Probleme der Isolation Pflegebe-dürftiger in den Heimen sowie die Frage der Therapiebe-grenzung bei Schwerstpflegebedürftigen und unheilbarKranken, insbesondere Wach-Koma-Patientinnen und -Pa-tienten.

Auch lässt sich ein zunehmender Konflikt zwischen demwachsenden Anspruch auf humanes Sterben, die Intimitätwahrende Sterbebegleitung und dem Verständnis des Ster-bens als Teil des Lebens auf der einen Seite und den Bedar-fen der Transplantationsmedizin nach Explantation vonmehr Organen als bisher und den damit erforderlichen me-dizinischen Maßnahmen der künstlichen Weitererhaltungvon Vitalfunktionen auf der anderen Seite ausmachen.

Die Enquete-Kommission hat sich nicht in ausreichen-dem Maße mit der Vielzahl von psychologischen, sozia-len, ethischen, medizinischen, rechtlichen und politischenFragen, die mit dem Thema Sterbebegleitung und Sterbe-876 Vgl. u. a. Koch/Klug 1998.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197 – Drucksache 14/9020

hilfe verbunden sind, befassen können. Deshalb erfolgthier nur eine kurze Zusammenstellung der wesentlichenThemengebiete und des Handlungsbedarfes.

1.3.1 Fragen der SterbebegleitungEs kann als anerkanntes gesellschaftliches Ziel betrachtetwerden, sterbenden Menschen einen würdigen Lebens-raum zu schaffen und eine bessere Orientierung an derenWünschen und Bedürfnissen zu erreichen. Dem überwie-gend geäußerten Wunsch in gewohnter, häuslicher Umge-bung zu sterben, nicht allein gelassen zu werden und nichtunter Schmerzen leiden zu müssen877, steht aber die Rea-lität gegenüber. Der überwiegende Teil der Menschenstirbt heute in Krankenhäusern und Pflegeheimen878, diediese Wünsche trotz vielerorts erkennbarer Bemühungenkaum erfüllen können. Die Zahl der Hospizangebote unddas Ausmaß der schmerztherapeutischen Versorgungmüssen trotz Fortschritten in den letzten Jahren immernoch als unzureichend angesehen werden.879

Die Folge sind nachvollziehbare Ängste der meistenMenschen, wie

– die Angst vor Schmerzen und einem schmerzvollenSterben,

– die Angst, nicht würdevoll behandelt zu werden,

– die Angst, allein gelassen zu werden, und

– die Angst vor einer nicht mehr loslassenden Medizin.

Überwiegend wird ein Zusammenhang gesehen zwischender auf die Wünsche Sterbender zu wenig eingehenden Pra-xis und den sich daraus ergebenden Ängsten der meistenMenschen auf der einen Seite und der seit Jahrzehnten fest-zustellenden hohen Zustimmungsbereitschaft zur Legali-sierung der aktiven Sterbehilfe auf der anderen Seite.880

Wesentliche Beiträge zur Verbesserung der Situation Ster-bender und zur nachhaltigen Zurückdrängung des Wunschsnach aktiver Sterbehilfe werden in den nachfolgend aufge-führten Bereichen diskutiert, wobei neben allen adminis-

trativen, gesetzlichen und strukturellen Maßnahmen vonvielen auch ein Einstellungs- und Wertewandel in Teilender modernen Medizin und ihrer naturwissenschaftlich-technischen Sichtweise eingefordert wird.881

1.3.1.1 Verbesserung der Sterbebegleitung inden Krankenhäusern und Heimen

Hier werden strukturelle Verbesserungen diskutiert, wiedie Fort- und Weiterbildung des Personals, die stärkereEinbeziehung der Sterbebegleitung in die Pflege und de-ren Berücksichtigung in den Stellenschlüsseln, kontro-vers auch die stärkere Einbeziehung ehrenamtlicherHospizdienste. Für die Sterbebegleitung in den Kran-kenhäusern werden bessere finanzielle Absicherungengefordert, wie Tagesbudgets für Schwerkranke und Ster-bende und eine angemessene Finanzierung der Palliativ-medizin.

1.3.1.2 Ausbau der Palliativmedizin Die diskutierten Maßnahmen reichen von der Verbesse-rung der palliativmedizinischen Aus- und Weiterbildungvon Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften und der Einrich-tung von Lehrstühlen der Palliativmedizin bis zum Aufbauund der besseren finanziellen Absicherung weiterer Pallia-tivstationen und ambulanter palliativmedizinischer Ange-bote, was bisher weder durch die Pflegeversicherung nochdurch die Krankenversicherung in ausreichendem Maßegewährleistet wird.

1.3.1.3 Verbesserung der ambulanten PflegeDiskutiert werden hier finanzielle Verbesserungen für dieGewährleistung einer erhöhten und flexiblen häuslichenPflege in der letzten Lebensphase.882

1.3.1.4 Verbesserung der Zusammenarbeit der Dienste

Vorgeschlagen wird hier, dass Krankenhäuser, Alten- undPflegeheime, aber auch Sozialstationen, niedergelasseneÄrztinnen und Ärzte und ehrenamtliche Hospizdienste je-derzeit Unterstützung und Kompetenz ambulanter Pallia-tivpflegedienste und palliativmedizinischer Konsiliar-dienste abrufen können sollen.

1.3.1.5 Erweiterung der familiären und ehrenamtlichen Hilfen

Diskutiert werden hier Wege der arbeitsrechtlich möglichenBeurlaubung zur Sterbebegleitung von Familienangehöri-gen883, unabhängig davon, ob stationäre oder ambulanteVersorgung vorliegt, die Förderung von Selbsthilfegruppen

881 Vgl. Student 1989; Hahn/Thom 1983.882 Vorbild könnten hier Regelungen aus den USA sein, die einen be-

sonderen Pflege- und Betreuungsaufwand für Patientinnen und Pati-enten in der finalen Phase anerkennen. Vgl. auch Busse et al. 1997.

883 Vorbild hierfür könnte das französische Gesetz Nr. 99-477, „Ge-währleistung des Rechts auf palliativmedizinische Leistungen“ vom9. Juni 1999 sein.

877 Vgl. u. a. Hausmann 2001.878 Vgl. Bickel 1998. Danach sterben 70% der Menschen in Deutsch-

land in Kliniken, Heimen und ähnlichen Institutionen. S. auchBrockmann 1999.

879 Nach einer Aufstellung der BAG Hospiz von 2001 gibt es inDeutschland 927 ambulante Hospizangebote, 96 stationäre Hospize,75 stationäre Palliativeinrichtungen und 23 ambulante Palliativdiens-te. Nach Verlautbarung der Deutschen Hospizstiftung entspricht dies8 Hospizbetten pro 1 Mio. Einwohner bei einem geschätzten Bedarfvon 20-30 Hospizbetten pro 1 Mio. und 7 Palliativbetten pro 1 Mio.Einwohner bei einem geschätzten Bedarf von 30 Palliativbetten pro1 Mio.

880 Die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe variiert allerdings beträcht-lich in Abhängigkeit von Art und zum Umfeld der Befragung. Sowird in der Gesundheitsberichtserstattung des Bundes von 2001 eineFORSA-Umfrage von 2000 zitiert, die im Auftrag der Deutschen Ge-sellschaft für humanes Sterben durchgeführt wurde und in der eineRate von 81% Zustimmung ermittelt wurde, wohingegen eine EM-NID-Umfrage im Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung im glei-chen Jahr nur eine Zustimmung von 35,4% ermittelte. (StatistischesBundesamt/Robert-Koch-Institut 2001).

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Drucksache 14/9020 – 198 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

„Pflegender Angehöriger“ sowie Regelungen zur Anlei-tung, Begleitung und Fortbildung der Arbeit von Ehrenamt-lichen.

1.3.1.6 Weiterer Ausbau der HospizarbeitDie gesetzlichen Vorgaben zur Finanzierung der sta-tionären und der ambulanten Hospizhilfe haben wesentli-che Voraussetzungen geschaffen. Allerdings besteht dieGefahr, dass die bisherigen freiwilligen Förderprogrammeauf der Ebene der Länder und Kommunen vielerorts nichtweitergeführt werden. Die Vielfalt der Hospizinitiativenkann jedoch nur erhalten werden, wenn diese freiwilligenProgramme der Länder und Kommunen erhalten bleiben.

1.3.2 Fragen der Sterbehilfe

1.3.2.1 Rechtliche Situation und ethische Beurteilung

Die Unterlassung oder der Abbruch lebenserhaltenderMaßnahmen bei Sterbenden (passive Sterbehilfe) und dieAnwendung leidensmindernder Maßnahmen, auch wenndiese zu einem schnelleren Eintritt des Todes führen (in-direkte Sterbehilfe), sind in Deutschland nach den berufs-rechtlichen Regelungen der Ärzteschaft und nach derhöchstrichterlichen Rechtsprechung884 zulässig. Eine ge-setzliche Regelung besteht dagegen für den Bereich derTötung auf Verlangen (direkte Sterbehilfe), die durch § 216 StGB verboten ist. Im Bereich der ärztlichen Bei-hilfe zur Selbsttötung bestehen keine gesetzlichen Rege-lungen. Es kann aber zu Abgrenzungsproblemen zumStraftatbestand der Tötung auf Verlangen und der unter-lassenen Hilfeleistung § 323c StGB kommen.885

Ein Großteil der Diskussion bezieht sich immer wiederauf die Frage einer gesetzlichen Regelungen der passivenund indirekten Sterbehilfe sowie einer Neufassung des § 216 StGB mit dem Ziel, die Tötung auf Verlangen inDeutschland gesetzlich zu erlauben.886

Gegen eine gesetzliche Regelung der Bereiche der passi-ven und indirekten Sterbehilfe spricht, dass sich nach demUrteil der Ärzteschaft die bisherige berufsrechtliche Rege-lung und Verantwortung hinsichtlich einer praxisnahenWeiterentwicklung im Wesentlichen bewährt hat, wenn-gleich aus der Praxis immer wieder als Missstand berich-tet wird, dass therapiebegrenzende Entscheidungen ohneausreichende Einbeziehung des Patientinnen bzw. Patien-ten und ihrer bzw. seiner Angehörigen gefällt wurden.

Gegen eine Änderung des § 216 StGB werden grundsätz-liche Einwände erhoben. Diese beziehen sich auf den his-torisch begründeten und grundgesetzlich verankertenSchutz des Lebens, die mit einer Einführung der aktivenSterbehilfe verbundene Verkehrung des ärztlichen Be-handlungsauftrages, die unausweichliche Rechtsunsicher-

heit im Bereich der indirekten oder mutmaßlichen Verlan-gensbekundung, die damit verbundenen Gefahren derAusweitung und des Missbrauchs und die Folgen für diePraxis.887 Befürchtet wird, dass eine einseitige Betonungder Patienten- bzw. Patientinnenautonomie zur Vernach-lässigung der ärztlichen Fürsorgepflicht führen könnte.888

Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen wirdzudem befürchtet, dass die Zulassung der aktiven Sterbe-hilfe zu einem Erwartungsdruck für schwer Kranke, Men-schen mit Behinderung oder alte Menschen führen könnteund zu einer erneuten Belebung der Diskussion um „le-benswert“ und „lebensunwert“.889

Eine Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangenwird von wichtigen gesellschaftlichen Gruppen abge-lehnt.890 Gleichwohl ergeben sich unterhalb der Zulas-sung der aktiven Tötung eine Reihe von Fragen im Be-reich der Gestaltung des Abbruchs oder der Unterlassunglebenserhaltender Maßnahmen, insbesondere im Hinblickauf nicht sterbende unheilbar kranke Patientinnen und Pa-tienten und im Bereich des Behandlungsabbruchs bei Pa-tientinnen und Patienten, die sich nicht oder nicht mehräußern können. Besondere Bedeutung kommt dabei derberufsrechtlichen Regelung der Ärzteschaft zu.

1.3.2.2 Grundsätze der Bundesärztekammer Vor dem Hintergrund zunehmender Diskussion in der Ärz-teschaft hat die Bundesärztekammer 1998 neue „Grund-sätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“891 vorgelegt. Damitsollte auf die seit Erlass der entsprechenden Richtlinien von1993 eingetretenen Änderungen der Rechtsprechung, diemedizinisch-technische Entwicklung und auf die zuneh-mend aus der Ärzteschaft selbst kommenden Fragen zur Be-handlungsbegrenzung schwer kranker, aber nicht sterbenderMenschen eingegangen werden.

Die Grundsätze lehnen unmissverständlich die Tötung aufVerlangen ab, heben aber auch hervor, dass in bestimmtenSituationen bei Sterbenden oder Patientinnen und Patientenmit infauster Prognose trotz der Pflicht der Ärztin bzw. desArztes zur Lebenserhaltung Maßnahmen zur Lebenserhal-tung nicht mehr angebracht sind. Statt eines Behandlungs-abbruchs soll in diesen Fällen das Therapieziel in Richtungeiner palliativmedizinischen Maßnahme geändert werden.Dies umfasst auch das Unterlassen bzw. die Nichtfort-führung von lebenserhaltenden Maßnahmen bei schwerst-geschädigten Neugeborenen (von einigen als „Früheutha-nasie“ bezeichnet) im Einvernehmen mit den Eltern.

Die Grundsätze billigen jeder Patientin und jedem Patien-ten unabhängig von ihrem bzw. seinem Zustand eine Ba-sisbetreuung zu, die menschenwürdige Unterbringung,

887 Wunder 2000a; Kutzer 2001, S. 77 ff. mit weiteren Nachweisen. 888 Dörner 1993; 2001.889 Süssmuth 1994.890 Hierin stimmen wichtige gesellschaftliche Gruppen wie die beiden

großen christlichen Kirchen, der Deutsche Behindertenrat, die Bun-desarbeitsgemeinschaft Hospiz, die Deutsche Hospiz Stiftung unddie Deutsche Ärztekammer und viele andere überein.

891 Bundesärztekammer 1998d.

884 Kutzer 2001, S. 77 ff.885 Eser/Koch 1991; Vollmann 2000.886 Vgl. u.a. Baumann, J. et al. 1986, sowie zahlreiche Veröffentlichun-

gen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 199 – Drucksache 14/9020

Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen,Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger undDurst umfasst. Die Grundsätze betonen das Selbstbestim-mungsrecht der Patientin bzw. des Patienten. Ihr bzw. seinWille soll über den Wechsel von lebenserhaltenden zu pal-liativmedizinischen Maßnahmen entscheiden. Sind diePatientin bzw. der Patient aber nicht mehr aktuell zustim-mungsfähig, soll ihr bzw. sein mutmaßlicher Wille ent-scheidend sein, wobei eine eventuell ausgestellte Patien-tenverfügung als wesentliche Hilfe betrachtet wird.

Kritisch beurteilt werden die „Grundsätze“ hinsichtlich derEinbeziehung nicht sterbender schwerkranker Menschenund des Rückgriffs auf den mutmaßlichen Willen für dieseGruppe.892 Insbesondere für schwerstgeschädigte Neugebo-rene, die keinen eigenen Willen bilden konnten, kann dieRechtsfigur „mutmaßlicher Wille“ nicht verwendet werden.

Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei Patientin-nen und Patienten mit infauster Prognose oder sonstigenlebensbedrohlichen Schädigungen sei nicht gleichzuset-zen mit dem Abbruch solcher Maßnahmen bei Sterbenden.Die Nicht-Verlängerung des Sterbeprozesses Sterbendersei ethisch wie rechtlich zu unterscheiden von einer Ab-kürzung des Lebensprozesses schwer Kranker. Das Abhe-ben auf die Prognose bei diesem Patientenkreis sei ris-kant, da diese in der Praxis meist sehr unterschiedlicheingeschätzt würde. Dies treffe insbesondere im BereichNeugeborener mit schwersten Fehlbildungen oder schwe-ren Stoffwechselstörungen zu.893

Kritisiert wird auch der Rückgriff auf den mutmaßlichenWillen zur Vorenthaltung oder zum Abbruch lebenserhal-tender Maßnahmen bei nicht sterbenden Patientinnen undPatienten, wie den Wach-Koma-Patientinnen und -Patien-ten, und der Verweis darauf, dass für die Gruppe der nicht-einwilligungsfähigen Menschen von der gesetzlichen Betreuerin bzw. dem gesetzlichen Betreuer eine vor-mundschaftsgerichtliche Genehmigung für die Beendi-gung lebenserhaltender Maßnahmen „im Vorfeld der Ster-bephase“ eingeholt werden sollte.894 Damit würden dasUrteil des Bundesgerichtshofs von 1994895, das von einemGrenzfall sprach und einem „ausnahmsweise zulässigenSterbenlassen“, und das umstrittene Urteil des OLGFrankfurt von 1998896 so extrapoliert, dass daraus ein Re-gelfall für eine ganze Gruppe von Betroffenen würde.

Insgesamt bestünde die Gefahr, dass durch die Einbezie-hung der nicht sterbenden unheilbar kranken Patientinnenund Patienten und den Rückgriff auf den mutmaßlichenWillen auch für diesen Personenkreis die Grenzen zwi-schen passiver und aktiver Sterbehilfe entgegen der Inten-tion der „Grundsätze“ unkenntlich würden. Eine Evalua-tion der Praxis in den Krankenhäusern und der ambulantenVersorgung seit Verabschiedung der „Grundsätze“ könntehier Klarheit schaffen und zu einer möglichen Überarbei-tung und Präzisierung der Aussagen führen.

1.3.2.3 PatientenverfügungenUnstrittig ist, dass der Wille der Patientin bzw. des Patientenfür die behandelnde Ärztin bzw. den behandelnden Arztmaßgeblich ist. In diesem Zusammenhang wird diskutiert,dem Patientenwillen im Bereich der Unterlassung oder desAbbruchs lebenserhaltender Maßnahmen durch Patienten-verfügungen ein größeres Gewicht beizumessen.897 Frag-lich ist, ob Patientenverfügungen in jedem Fall diesen aktu-ellen Willen repräsentieren. Dabei gibt es erheblicheUnterschiede in der Ausgestaltung, der Handhabung unddes Umfangs der verfügten Nichtbehandlung und der Indi-kationsstellungen dazu. Des weiteren bestehen Unter-schiede zwischen einer Verfügung, die als zeitlich versetz-ter persönlicher Wille der oder des Betroffenen zu bewertenist, und Vorsorgevollmachten oder Betreuungsverfügungen,mit denen ein oder mehrere Personen bevollmächtigt wer-den, in der Situation, in der die bzw. der Betroffene nichtmehr einwilligungsfähig ist, ihren bzw. seinen Wünschenund Werten entsprechend Entscheidungen zu treffen.898

Kritisch wird der Idee der Patientenverfügung gegenübereingewendet, dass diese oft eine Überforderung für dieBetroffenen darstelle, es unüberprüfbar sei, in welchen Si-tuationen sie entstanden sei, die Arzt-Patient-Beziehungdurch eine weitere Verrechtlichung aushöhle und einerSelbstschädigung aufgrund antizipierter kostenkalkulato-rischer Pflichten Vorschub leiste.899

Aufgrund der kontroversen Beurteilung haben Patienten-verfügungen bisher keine streng bindende Wirkung für dieÄrztin bzw. den Arzt. Auch die „Handreichungen für Ärztezum Umgang mit Patientenverfügungen“900 legen fest, dassPatientenverfügungen dahin gehend von der behandelndenÄrztin bzw. vom behandelnden Arzt überprüft werden sol-len, ob der darin zum Ausdruck kommende Wille dem ak-tuellen Willen der Patientin bzw. des Patienten entspricht.Die berufsrechtliche Umsetzung dieses Punktes durch ent-sprechende Regelungen der Landesärztekammern ist aller-dings noch weitgehend offen.901 Ebenso fehlen verbindliche892 Wunder 2000a, S. 264.

893 Vgl. Zimmermann et al. 1997.894 Vgl. Kutzer 2002.895 BGH, Urteil vom 13. September 1994, BGH St 40, S. 257-272, sog.

„Kemptener Fall“, bei dem der BGH die Einstellung der künstlichenErnährung bei einer Wach-Koma-Patientin aufgrund des mutmaßli-chen Willens für Rechtens erklärte.

896 OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Juli 1998, NJW 1998, S. 2747-2749, sog. „Frankfurter Fall“, bei dem das OLG Frankfurt den Ab-bruch der Sondenernährung bei einer „irreversibel komatösen“, alsonicht sterbenden Patientin durch eine vormundschaftsgerichtlich be-stätigte Betreuerentscheidung für zulässig erklärte. Nachfolgeurteilebestreiten eine solche Kompetenz der Vormundschaftsgerichte je-doch, z.B. LG München I, Beschluss vom 18. Februar 1999, NJW1999, S. 1788-1789.

897 Vgl. u. a. Klie/Student 2001; Luther 1999; Vollmann/Knöchler-Schiffer 1998.

898 Nach einer EMNID-Umfrage von 1999 befürworten 88% der Be-fragten, eine Willenserklärung vorab abzufassen, in der Praxis habenaber nur 8 % tatsächlich ein solches Dokument angefertigt. Vgl. Sta-tistisches Bundesamt/Robert Koch Institut 2001.

899 Dörner et al. 2002.900 Bundesärztekammer 1999.901 1998 hat die Ärztekammer Berlin als bisher einzige Landesärzte-

kammer in ihrer Berufsordnung Patientenverfügungen im Vorfelddes Todes unter bestimmten Bedingungen für verbindlich erklärt.

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Drucksache 14/9020 – 200 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Richtlinien zur Dokumentation, wie der Patientenwille beider Entscheidungsfindung im Bereich der Unterlassungoder des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen einbezo-gen wurde. Die Orientierung am Patientenwillen gebietetdie Beachtung des Patientenverfügung. Sollten Gründe ge-geben sein, ihre aktuelle Verbindlichkeit zu bezweifeln, istauf den mutmaßlichen Willen der Patientin bzw. des Patien-ten zurückzugreifen, bei dessen Ermittlung das gemeinsameGespräch mit den Angehörigen eine wichtige Rolle spielt.

1.3.2.4 Bericht des EuroparatesVor dem Hintergrund der internationalen Debatte und derdrohenden Ausweitungen im Bereich der Sterbehilfe setztder „Bericht zum Schutz der Menschenrechte und derWürde todkranker und sterbender Menschen“ des Euro-parates von 1999902 deutlich kritische Akzente. So wirddie Selbstbestimmung des Individuums betont, gleichzei-tig werden die Mitgliedstaaten aber aufgefordert, das fun-damentale Recht des Individuums auf den Schutz vor Tö-tung zu wahren. Das Recht auf Selbstbestimmung undeinen würdevollen Tod umfasse nicht das Recht, getötetzu werden. Empfohlen wird den Mitgliedstaaten darüberhinaus, dafür Sorge zu tragen, dass die Palliativmedizingefördert wird, insbesondere ihre Etablierung in der me-dizinischen Ausbildung und den Ausbildungen aller an-deren betroffenen Berufsgruppen.

1.3.3 Schlussfolgerungen/Empfehlungen Die Enquete-Kommission hält eine intensive Bearbeitungdes Themas Sterbebegleitung und Sterbehilfe durch denDeutschen Bundestag für notwendig.

Entsprechend dem hier dargestellten Problemaufriss soll-ten dabei insbesondere folgende Themenfelder behandeltwerden:

– Verbesserung der Sterbesituation in den Krankenhäu-sern und Heimen durch strukturelle Maßnahmen;

– Maßnahmen zum Ausbau der palliativmedizinischenVersorgung;

– Verbesserung der ambulanten Pflege in der letztenPhase des Lebens;

– Verbesserung der Zusammenarbeit der stationärenund ambulanten Dienste;

– Verbesserungen der familiären und ehrenamtlichenHilfen;

– weiterer Ausbau der Hospizarbeit;

– Klarstellung zum Betreuungsgesetz, wonach einevormundschaftsgerichtliche Entscheidung zur Be-handlungsbegrenzung nur mit strenger Begrenzungauf Sterbende, dem Bestehen einer Vertrauensbezie-hung zwischen Betreuter bzw. Betreutem und Be-treuerin bzw. Betreuer und dem Vorliegen eines ein-

deutigen Willens der bzw. des Betreuten erfolgensollte.

Die Enquete-Kommission sieht keinen Bedarf für einegesetzliche Regelung zur Unterlassung oder zum Abbruchlebenserhaltender Maßnahmen oder für eine Gesetzesän-derung in den Bereichen ärztliche Beihilfe zur Selbsttö-tung oder Tötung auf Verlangen.

Wohl aber wird der Bedarf einer verstärkten kritischenparlamentarischen und öffentlichen Diskussion gesehen.In diesem Zusammenhang wird auch die Forderung nachEinrichtung einer Enquete-Kommission des DeutschenBundestages zur Untersuchung der Situation in den Hei-men unterstützt.

Eine parlamentarische und öffentliche Debatte könnteauch den Prozess der Weiterentwicklung der berufsrecht-lichen Regelungen zur ärztlichen Sterbebegleitung undSterbehilfe unterstützen. Die Weiterentwicklung sollte so-wohl die Feststellung besonderer Einwilligungsstandardsim Bereich der Behandlungsbegrenzung nicht sterbenderunheilbar Kranker betreffen als auch die Entwicklung vonQualitätsstandards zur Einbeziehung der Patientinnen undPatienten bzw. des Patientenwillens bei allen Entschei-dungen am Lebensende.

Insbesondere sollten Maßnahmen unterstützt werden, dieklinische Praxis der Sterbebegleitung und der Sterbehilfezu evaluieren und damit Grundlagen für die Weiterent-wicklung der „Grundsätze“ und ihre Umsetzung in Be-rufsrecht bereitzustellen.

1.4 TransplantationsmedizinNach einer langen, kontrovers geführten politischenund gesellschaftlichen Diskussion ist am 1. Dezember1997 das Transplantationsgesetz (TPG) in Kraft getre-ten. Das Ziel des Transplantationsgesetzes war eineRegelung der wesentlichen rechtlichen Aspekte derTransplantationsmedizin: Todeszeitpunkt, Zustimmungzur Organentnahme, Gewinnung und Verteilung der Or-gane sowie Regulierung der Lebendspende.

Bei der Transplantationsmedizin handelt es sich um einebreit angewandte medizinische Hochtechnologie, diesich gleichzeitig jedoch in einer schnellen Entwicklungder wissenschaftlichen Grundlagen und klinischen An-wendungsmöglichkeiten befindet. Die gesetzliche Rege-lung in Gestalt des Transplantationsgesetzes verdient be-sondere Beachtung, da aus der Frage seiner Bewährungoder auch seiner Anpassungsfähigkeit an entsprechendemedizinische Weiterentwicklungen Schlussfolgerungenzu ziehen wären, wie in Zukunft in vergleichbaren Be-reichen biomedizinischer Technologien eine gesetzlicheRegelung bei bestehendem gesellschaftlichen Dissensüber grundsätzliche ethische Fragen getroffen werdenkann.

Im Mittelpunkt einer ausführlichen Befassung müsstendeshalb die Fragen stehen, inwieweit sich die gesetzli-che Regelung angesichts der medizinischen und gesell-schaftlichen Entwicklungen bewährt hat und welchenicht beabsichtigten Folgen durch die gesetzliche Rege-902 Council of Europe 1999.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201 – Drucksache 14/9020

lung möglicherweise eingetreten sind. Besonders auf-merksam verfolgt werden muss dabei die Tendenz zurAusweitung der Lebendspende. Fragen der Ressourcen-knappheit und der damit verbundenen Themen der Ver-teilungsgerechtigkeit, der Transparenz der Verteilungund der Suche nach medizinischen Alternativen er-schienen dabei ebenso wichtig für die Abschätzungmöglicher Probleme bei der Einführung anderer neuermedizinischer Hochtechnologien wie Fragen der Infor-mation und Aufklärung der Bevölkerung und des ge-sellschaftlichen Umgangs mit einem ethischen Dissens,wie er sich im Falle der Transplantationsmedizin in denBereichen Hirntod und Zustimmungslösung offenbarthat.

Bei einer solchen Befassung wäre der Tatsache Rech-nung zu tragen, dass das Transplantationsgesetz bei al-lem weiter bestehenden Dissens Rechtssicherheit ge-schaffen und eine tragfähige Regelung für die Praxis derOrgantransplantation ermöglicht hat. Insofern könntedie Erfahrung auf dem Gebiet der Transplantationsme-dizin und des Transplantationsgesetzes auch als maß-geblich für zukünftig zu regelnde Gebiete der modernenMedizin gelten, in denen vielfältige Dissense in der Ge-sellschaft bestehen, der Gesetzgeber aber durch aus-gleichende und zugleich pragmatische GesetzgebungRechtssicherheit für die Praxis schafft und gleichzeitigder bzw. dem Einzelnen noch die Möglichkeit lässt,ihren bzw. seinen eigenen Werten entsprechend zu han-deln.

Insofern verdient die Regelung der Transplantationsmedi-zin besondere Aufmerksamkeit, weil der Gesetzgeber hieranhand eines konkreten Beispiels die Wirkung von Ge-setzgebung vor dem Hintergrund eines ethischen Dissen-ses überprüfen kann.

2 Querschnittsthema2.1 Arzt-Patient-Verhältnis903

Dem Arzt-Patient-Verhältnis kommt für die Entwicklungder modernen Medizin und der modernen Medizinethikeine Schlüsselrolle zu. Es reflektiert sowohl die Änderun-gen des Rollenverständnisses von Patientin bzw. Patientund Ärztin bzw. Arzt als auch die veränderten Möglich-keiten der medizinischen Behandlung. Es stellt das ärztli-che Handeln unter verbindliche ethische Ziele und mar-kiert darüber hinaus den Schutzraum, den medizinischeBehandlung braucht, um erfolgreich zu sein. Mit demArzt-Patient-Verhältnis sind deshalb die ärztliche Schwei-gepflicht, aber auch die Therapiefreiheit eng verknüpft.

Die Fortschritte der Medizin, aber auch der demographi-sche Wandel und die Betonung der Selbstbestimmungwirken auf die tradierte Struktur des Arzt-Patient-Verhält-

nisses und die Formen des Umgangs von Ärztin bzw. Arztund Patientin bzw. Patient miteinander ein.

Der Erfolg einer medizinischen Behandlung ist in starkemMaße abhängig vom Vertrauen zwischen der behandeln-den Therapeutin bzw. dem behandelnden Therapeutenund der Patientin bzw. dem Patienten. Dies ist in der Re-gel eine Ärztin bzw. ein Arzt oder eine Psychotherapeutinbzw. ein Psychotherapeut, und – in oft abgestuftem Ver-hältnis – gilt dies auch für Krankenschwestern, Pflegerund andere Therapeutinnen und Therapeuten. Meist ist esauch ein Behandlungsteam, welches mit der Patientinbzw. dem Patienten in Beziehung steht. Die folgende Be-trachtung ist in etlichen Aspekten deshalb auch auf andereHeil- und medizinische Fachberufe auszudehnen.

Das Arzt-Patient-Verhältnis ist in der Regel von einemstarken Informations- und Kompetenzunterschied ge-prägt. Die Patientin bzw. der Patient ist vom Wissen undKönnen der bzw. des Behandelnden abhängig und hat inder Regel nur beschränkte Möglichkeiten, Entscheidun-gen der bzw. des Behandelnden in Hinsicht auf ihre Rich-tigkeit und Qualität zu überprüfen. Hinzu kommt, dassganz besonders in schweren Erkrankungsfällen, die Ent-scheidungsfähigkeit der Patientin bzw. des Patienten ein-geschränkt ist, weil Schmerzen oder Bewusstseinsstörun-gen eine Entscheidung der Patientin bzw. des Patientenerschweren oder unmöglich machen.

Ähnliches gilt für Kinder, psychisch kranke oder dementePatientinnen und Patienten, die ebenfalls oft nur beschränktoder gar nicht in der Lage sind, Entscheidungen über ihreBehandlung zu treffen.

Die ärztliche Therapiefreiheit kann, genauso wie dieSchweigepflicht, als ein abgeleitetes Recht der Patientinbzw. des Patienten interpretiert werden. Sie dienen dazu,der Patientin bzw. dem Patienten und ihrer bzw. seinerBehandlung in der Beziehung zu ihrer oder seiner Ärztinbzw. zu ihrer oder seinem Arzt einen Schutzraum zu ge-ben, in dem die Patientin bzw. der Patient sicher sein kann,dass die Ärztin bzw. der Arzt ihre bzw. seine Problemeund Sorgen nicht verrät und gleichzeitig die für sie bzw.ihn am besten geeignete Behandlungsform auswählt.Tatsächlich wird die Entscheidung über die Behandlungaber nicht von der Ärztin oder vom Arzt alleine gefällt,sondern sie wird eine in der Regel geteilte oder gemein-same Entscheidung sein.

Der Grad der Patientenbeteiligung hat sich dabei aus ver-schiedenen Gründen geändert:

– Der Selbstbestimmung wird heute ein wesentlichgrößeres Gewicht beigemessen als noch vor einer Ge-neration. An die Stelle eines „benevolenten Paternalis-mus“ ist die Patientenautonomie getreten, die sugge-riert, die Entscheidungsmacht liege alleine bei denPatientinnen und Patienten. Wenn dies auch objektivnicht zutrifft, da noch immer die Ärztin bzw. der Arztdie Entscheidung über die zu unternehmende Behand-lung trifft, diese nur der Zustimmung der Patientinnenbzw. Patienten bedarf, so wird die Patientenbeteiligungjedenfalls heute von einem Großteil der Patientinnenbzw. Patienten subjektiv als wichtig empfunden.

903 Vgl. zum Folgenden beispielsweise: Dörner 2001a; Francke/Hart1999; Luban-Plozza et al. 1998; von Reibnitz et al. 2001.Vgl. darü-ber hinaus die Beiträge zur öffentlichen Dialogveranstaltungen derEnquete-Kommission zum Thema in Bielefeld-Bethel und Jena:Geisler 2000; Kloiber 2001; Luther 2001a; Tanner 2001; Wunder2000c; 2001a.

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Drucksache 14/9020 – 202 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– Eine höhere und breitere Bildung erlaubt eine tiefereEinsicht in Behandlungsnotwendigkeit und -abläufe.

– Eine größere Verbreitung und Verfügbarkeit von me-dizinischen Informationen erlaubt einerseits eine bes-sere und eigene Information der Patientinnen und Pa-tienten, kann aber auch das Arzt-Patient-Verhältnisbelasten, wenn Informationen falsch waren, falschübermittelt oder falsch verstanden wurden.

Durch die Spezialisierung der Medizin in verschiedeneFachdisziplinen hat das ärztliche Handeln eine Arbeitstei-ligkeit angenommen, die die Arzt-Patient-Beziehung aus-weitet und die Orientierung der Patientinnen und Patien-ten erschwert.

Gleichzeitig hat sich auch das Rollenverständnis der Ärz-tin bzw. des Arztes – zumindest in Randbereichen derärztlichen Tätigkeiten – geändert. Aus dem freien Berufder niedergelassenen Ärztin bzw. des niedergelassenenArztes wird in der gesellschaftlichen Wahrnehmung in zu-nehmendem Maße eine Dinstleisterin bzw. ein Dienstlei-ster, die bzw. der gegen Honorar Kundenwünsche erfüllt.Das betrifft auch eine zunehmende Medikalisierung derallgemeinen Lebensführung. Diese Tendenz wird durcheine Verlagerung oder Ausdehnung des ärztlichen Tätig-keitsspektrums auf die Behandlung von Befindlichkeits-störungen, kosmetische Probleme und Lifestyle-Wünschebestärkt. Auch große Teile der Reproduktionsmedizin unddie medizinisch assistierte Leistungssteigerung im Sportgehören zu den Ausweitungen des Tätigkeitsspektrums,die mit dem traditionellen ärztliche Auftrag des Vorbeu-gens, Heilens und Linderns von Leiden, nicht oder nurschwer vereinbar sind.

Mit den legitimen Interessen an Rechtssicherheit ist zu-dem eine Verrechtlichung des Arzt-Patient-Verhältnissesverbunden, die die Beziehung zwischen Ärztin bzw. Arztund Patientin bzw. Patient belasten und zu anderen nega-tiven Auswirkungen wie der Entwicklung einer Defensiv-medizin führen können.

Parallel dazu führt die ständig fortschreitende Ökonomi-sierung der Medizin ebenfalls zu einer marktwirtschaft-lichen Betrachtung der Medizin und des Arzt-Patient-Ver-hältnisses, die die Kunden-/Dienstleister-Perspektive stär-ker betont. Auch Ärztinnen und Ärzte folgen irrtümlichoder bewusst unter Aufgabe ihres traditionellen Berufs-verständnisses diesem Trend.

Neue Behandlungsverfahren am Anfang und Ende desLebens stellen weitere Herausforderungen an das Ver-ständnis des Arzt-Patient-Verhältnisses. In der Diagnostikvon ungeborenen Kindern ist die Erkenntnis, dass es sichbeim Fetus selbst um einen Patienten handeln könnte, kei-neswegs Gemeingut. Am Ende des Lebens werden Be-handlungsentscheidungen mitunter vom Todeswunschder Patientin bzw. des Patienten überlagert – eine Eu-thanasie oder Hilfe zum Selbstmord ist aber mit dem ärzt-lichen Handlungsauftrag unvereinbar.

In wohl kaum einem Bereich hat die Patientenautonomiedie Behandlung und auch das Arzt-Patient-Verhältnis soverändert wie in der Psychiatrie. Der Wandel von einer

geschlossenen, aufbewahrenden zu einer offenen, aktivie-renden Psychiatrie hat für viele Patientinnen und Patien-ten ein Leben in Unabhängigkeit erbracht, viele aber auchin ihrer Existenz gefährdet, weil sie mit ihrer Krankheit al-lein gelassen wurden und der Verwahrlosung ausgesetztsind. Das Modell der autonomen Patientin bzw. des auto-nomen Patienten, die bzw. der selbst eine Entscheidungtrifft, wenn sie bzw. er eine Ärztin bzw. einen Arzt aufsucht,kann hierbei nicht in allen Fällen greifen.

Aber auch bei den Patientinnen bzw. Patienten, die gegenihren Willen in Verwahrung sind, z.B. in der forensischenPsychiatrie, in Haft, in Einrichtungen für Asylsuchendeoder aber auch während einer Abschiebung, steht dasArzt-Patient-Verhältnis auf dem Prüfstand. Die Frage, obärztliches Handeln und medizinische EntscheidungenWeisungen von Behörden unterzuordnen sind, wird durch-aus kontrovers diskutiert.

Die rasche Entwicklung genetischer Tests stellt ebenfallseine Herausforderung an die Definition und Begrenzungdes Arzt-Patient-Verhältnisses dar, da bei genetischenTests meist personen- und generationenübergreifendeDiagnosen getroffen werden, womit der eng umschrie-bene Raum des interindividuellen Arzt-Patient-Verhält-nisses verlassen wird.

Wegen des zentralen Charakters der Arzt-Patient-Bezie-hung haben ihre Veränderungen oder Einflüsse auf sie einenauch politisch relevanten Stellenwert. Daher ergeben sichverschiedene Fragen, die auch politisch bedeutend sind:

– Wie können die ökonomischen und rechtlichen Rah-menbedingungen so gestaltet werden, dass das Ver-trauensverhältnis zwischen Arzt bzw. Ärztin und Pati-ent bzw. Patientin nicht ausgehöhlt wird?

– Kann das für die Behandlung wichtige Arzt-Patient-Verhältnis von äußeren, z.B. ökonomischen Einflüs-sen, freigehalten und organisatorisch geschützt wer-den oder ist es dazu bereits zu spät?

– Würde das Arzt-Patient-Verhältnis verbessert werdenkönnen, wenn die Bezahlung der Ärztinnen und Ärzteanders gestaltet würde, z.B. durch eine Abkehr von derEinzelleistungsvergütung?

– Wie kann das Arzt-Patient-Verhältnis bei solchenKontakten geschützt oder verbessert werden, in denendie Patientin bzw. der Patient nicht freiwillig oder ent-scheidungsfähig zur Ärztin bzw. zum Arzt kommt,z.B. in einzelnen Abteilungen der Psychiatrie, bei un-geborenen oder kleinen Kindern?

– Welche Konsequenzen ergeben sich aus der demogra-phischen Entwicklung für das Arzt-Patient-Verhältnisim Hinblick auf chronisch kranke und speziell de-mente Menschen, z. B. in Heimen?

– Wie kann die Ausbildung von Medizinerinnen undMedizinern so verbessert werden, dass die kommuni-kative Kompetenz, die Fähigkeit im Gespräch zwi-schen Ärztin bzw. Arzt und Patientin bzw. Patient Ver-trauen zu schaffen, und die psychosoziale Kompetenzgestärkt werden?

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 203 – Drucksache 14/9020

– Muss – und, gegebenenfalls, wie kann – die ärztlicheBeziehung zu Menschen mit Behinderung „entmedi-kalisiert“ werden?

– Welche Rolle spielen die Berufskörperschaften undVerbände in Bezug auf das Arzt-Patient-Verhältnis?

– Die Einflüsse der Technik und die Tendenz zur öko-nomischen Verwertung sind geeignet, das traditionelleSelbstverständnis der Ärztin bzw. der Arztes als An-wältin bzw. als Anwalt der Patientinnen und Patientenzu verändern und Ärztinnen oder Ärzte zu „Verkäufe-rinnen“ und „Verkäufern“, Patientinnen und Patientenzu ihren „Kundinnen“ und „Kunden“ zu machen. Solldiese Entwicklung reguliert und kontrolliert werdenund wenn ja, wie soll das geschehen?

– Wer vertritt die Interessen der Patientinnen und Pati-enten ansonsten?

– Wie sollen Patientenverfügungen, Betreuungs- und Vor-sorgevollmachten ausgestaltet werden, damit sie einevertrauensfördernde Rolle spielen können?

– Wie ist die Partizipation der Patientinnen und Patien-ten am Gesundheitssystem zu verbessern?

– Welchen Beitrag kann dabei eine kodifizierte Patien-tenrechtscharta, etwa entsprechend der 1999 von der72. Konferenz der Gesundheitsminister des Bundesund der Länder vorgelegte Dokumentation „Patien-tenrechte in Deutschland“, leisten?

– Wie sind Rechte und Pflichten von informierten Pati-entinnen und Patienten nebeneinander zu gewichten?Wie ist ein entsprechendes Patienten- bzw. Patientin-nenethos zu entwickeln? Welche Möglichkeiten gibtes, dies zu befördern?

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205 – Drucksache 14/9020

Um gemäß ihrem Auftrag die Fragen und Probleme zu un-tersuchen und darzustellen, die mit dem Fortschritt der mo-dernen Medizin verbunden sind, und um Empfehlungen fürdie ethische Bewertung, den gesellschaftlichen Umgang mitdiesen Fragen und das gesetzgeberische und administrativeHandeln zu geben, bildete die Enquete-Kommission „Rechtund Ethik der modernen Medizin“ eine Schnittstelle zwi-schen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Gesetzgeber. Dabeikonnte die Kommission Erfahrungen sammeln, aus denenim Wesentlichen in drei Punkten allgemeine Empfehlungenzu formulieren sind. Sie betreffen:

– Arbeitsweise und Verfahren;

– Dialog mit der Öffentlichkeit;

– Struktur der Ethikdebatte in Deutschland und im Aus-land.

1 Arbeitsweise und VerfahrenBei der Begleitung der anstehenden aktuellen Gesetzge-bungs- und Entscheidungsverfahren und der Erarbeitungvon Empfehlungen zur ethischen Bewertung und zum ge-setzgeberischen Umgang mit den kontroversen Fragen,erwies es sich aufgrund institutioneller Bedingungen alsbesonders schwierig,

– die nötigen Stellungnahmen aktuell und zeitnah vor-zulegen und

– diejenigen Punkte darzustellen, bei deren ethischerBewertung kein Konsens unter den Mitgliedern derKommission hergestellt werden konnte.

1.1 Begleitung von Gesetzgebungs- undEntscheidungsverfahren

Um eine zeitnahe Stellungnahme zu aktuellen Fragen zuerreichen, nutzte die Kommission das Instrument desZwischenberichts und die Möglichkeit der Abgabe vongutachtlichen Stellungnahmen an den federführendenAusschuss für ein Gesetzgebungsverfahren.

Zwischenberichte wurden zu den Themen „Schutz desgeistigen Eigentums in der Biotechnologie“ und „Stamm-zellforschung“ veröffentlicht. Der Berichtsteil zur Grund-rechte-Charta der Europäischen Union wurde den deut-schen Vertretern im Konvent zugänglich gemacht und mitihnen diskutiert.

Die Gefahr, den Abschlussbericht durch Publikation vonZwischenberichten zu schmälern, wurde von der Kommis-sion diskutiert, aber in Kauf genommen, um die relevantenArbeiten der Kommission für die aktuellen Gesetzge-bungs- und Entscheidungsverfahren voll nutzen zu können.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem DeutschenBundestag, das Konzept der zeitnahen Begleitung von

Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren weiter aus-zubauen und gegebenenfalls die dafür notwendigen insti-tutionellen und rechtlichen Bedingungen zu schaffen.

1.2 Abstimmungs- undDarstellungsverfahren beikontroversen Themen

Eine besondere Schwierigkeit stellte der Umgang mitThemen dar, bei deren Bewertung bis zuletzt kein Kon-sens unter den Mitgliedern der Kommission hergestelltwerden konnte. Dies betraf drei Themen:

– den Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechno-logie (Biopatentierung);

– die Stammzellforschung/den Import embryonalerStammzellen;

– die Präimplantationsdiagnostik.

Die Kommission hat es in allen Bereichen trotz der beste-henden Spannungen in den Bewertungspositionen er-reicht, dass die Diskussion in einem fairen Austausch derArgumente und ohne Gesprächsabbruch oder verblei-bende Gräben geführt wurde. Als wichtige Erfahrungsieht die Kommission es auch an, dass „Grenzen des Dis-senses“ bzw. allgemein geteilte Befürchtungen zu Miss-brauchstendenzen festgestellt und die jeweiligen Rahmendafür abgesteckt wurden, was rechtlich verlangt undethisch nicht unterschritten werden darf. Die Gemein-samkeiten und die Gründe für die verbleibenden grundle-genden Wertungsdifferenzen wurden in den Texten ange-messen dargestellt. Problematisch blieb jedoch, aufwelche Weise die Tatsache und der Umfang des unter denMitgliedern der Kommission verbleibenden Dissensesdargestellt werden sollten.

Die Kommission wählte dazu verschiedene Wege: dieMöglichkeit eines abweichenden Minderheitsvotums(Biopatentierung), die Vorlage einer „Gabelempfehlung“(Import embryonaler Stammzellen) und die Abgabe vonVoten zu zwei verschiedenen Positionen (Präimplantati-onsdiagnostik).

Die Enquete-Kommission empfiehlt daher dem Deut-schen Bundestag, darüber zu beraten, ob und inwieweitauf dieser Grundlage geeignete Darstellungsverfahrenfür Fälle entwickelt und genutzt werden können, in denenein ethischer Dissens nicht ausgeräumt werden kann.

2 Dialog mit der ÖffentlichkeitDa politische Entscheidungen in den kontroversen Fragender Medizin- und Bioethik nicht ohne eine starke Partizipa-tion der Öffentlichkeit getroffen werden können und derBundestag von der Kommission Empfehlungen für den ge-sellschaftlichen Umgang mit diesen Fragen erwartet, hat die

F Allgemeine Empfehlungen zur Weiterführung der Ethikdebatte

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Drucksache 14/9020 – 206 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Kommission es als eine wichtige Aufgabe betrachtet, denöffentlichen Diskurs zu den genannten Fragen zu fördernund zu qualifizieren. Die Kommission nahm dabei einer-seits Themen aus der öffentlichen Debatte auf und gab an-dererseits Anstöße, die die weitere Debatte förderten. Auchdazu wurden verschiedene Formen benutzt. Dabei zeigtesich, dass die Offenheit der Diskussion in der Kommissionund die Art ihrer Meinungsbildung auf starke Resonanz inder Öffentlichkeit stieß.

Aus der Erfahrung in der Nutzung dieser Formen emp-fiehlt die Kommission dem Bundestag, für den notwendi-gen Dialog mit der Öffentlichkeit folgende Instrumenteaufzugreifen oder auszubauen:

– die aktuelle Unterrichtung der Öffentlichkeit durchBerichte, Gutachten, Stellungnahmen u.Ä. unter Nut-zung der Möglichkeiten des Internets;

– Dialogveranstaltungen und öffentliche Anhörungen;

– Kooperation mit Gremien und Institutionen außerhalbdes Parlaments;

– Förderung von Möglichkeiten des Dialogs innerhalbder Gesellschaft mit Hilfe des Internets (Online-Forenund -Konferenzen u.Ä.);

– intensive Zusammenarbeit mit den Medien.

3 Struktur der Ethikdebatte inDeutschland und im Ausland

Um sich einen Eindruck von den Strukturen der Mei-nungsbildung zu medizin- und bioethischen Fragen in deneuropäischen Nachbarländern zu verschaffen, hat die En-quete-Kommission in einer öffentlichen Anhörung denAustausch mit Vertreterinnen und Vertretern von Ethik-Gremien aus Großbritannien, den Niederlanden, Däne-mark, der Tschechischen Republik, Frankreich, Polen undder Schweiz gesucht. Dabei zeigte sich ein breites Spek-trum von Möglichkeiten, die von der Behandlung medi-zin- und bioethischer Fragen durch staatliche Institutio-nen über die Erörterung durch zuständige Gremien derberuflichen Selbstverwaltung bis zur Beförderung derMeinungs- und Urteilsbildung durch freie gesellschaft-liche Gruppen und Institutionen reicht.

Aus den eigenen Erfahrungen der Kommission und derAuswertung der genannten öffentlichen Anhörung istdeutlich geworden, dass die in der Medizin- und Bioethikanstehenden Probleme besondere Formen der Meinungs-und Urteilsbildung erfordern. Diese betreffen

– den Problemstand: Er ist in der Regel komplex undselbst für den einzelnen fachlich Kundigen nicht über-sehbar. Hier muss der Sachstand erhoben, auf seineverschiedenen Seiten hin untersucht und das Ergebnisin einer allen Entscheidungsträgern verständlichenForm dargestellt werden. Dazu ist der Austausch mit den Experten (Beitrag der Wissenschaften), derBlick auf die europäische und internationale Entwick-lung (europäischer und internationaler Austausch) unddie Übersetzung in eine allen verständliche Sprache

(öffentliches Verständnis) erforderlich. Die Aktualitätist dabei besonders wichtig und macht eine kontinu-ierliche Erhebung und Vermittlung notwendig.

– die ethische Bewertung: Da diese in wichtigen Fragenkontrovers ist, müssen die Kriterien der Bewertungdargestellt, Gemeinsamkeiten und Differenzen festge-stellt und Möglichkeiten der Verständigung gesuchtwerden. Hier ist über die Hinzuziehung von Sachver-stand (Ethik und Recht) hinaus das Gespräch mit denrelevanten gesellschaftlichen Gruppen und das Ge-spräch dieser Gruppen untereinander erforderlich(Dialog mit der Öffentlichkeit).

– die rechtliche Regelung und die politische Entschei-dung: Da in der Regel verschiedene Optionen möglichsind und übergreifende Regelungsinstanzen auf euro-päischer und internationaler Ebene eine Rolle spielen,ist eine Debatte um die der Sachproblematik ange-messene und den eigenen ethischen und rechtlichenWertüberzeugungen entsprechende Regelung erfor-derlich. Auch hier ist über den Sachverstand (Recht)hinaus eine Debatte der Beteiligten erforderlich, damitauf der maßgeblichen Entscheidungsebene des Parla-ments eine konsensfähige Lösung gefunden werdenkann. Dabei ist zu beachten, dass sich die verschiede-nen Positionen und Optionen vielfach nicht mit derParteizugehörigkeit decken.

Um die genannten Ziele zu erreichen und die politischeEntscheidung angemessen vorzubereiten, sind nach Er-fahrung der Kommission von besonderer Wichtigkeit:

– die frühzeitige Identifikation und Herausarbeitungder Problemfelder im Dialog zwischen Öffentlich-keit, Wissenschaft und politischen Entscheidungsträ-gern;

– die Vermittlung der Problemfelder durch verständli-che Information der Öffentlichkeit, der Entschei-dungsträger und der Wissenschaft in Zusammenarbeitmit den Medien und unter Nutzung des Internets;

– die Anregung und Förderung der öffentlichen Debatte;

– die Aufarbeitung und Darstellung der öffentlichen De-batte für die Entscheidungsträger;

– die problemfeldbezogene Beratung der politisch ent-scheidenden Instanzen und die Vorbereitung gesetzge-berischer und administrativer Entscheidungen;

– die dazu erforderliche Erarbeitung von Vorschlägenfür einen partiellen Konsens bei ethisch strittigenFragen und das Aufzeigen von unüberbrückbarenDissensen;

– der permanente europäische sowie internationale Aus-tausch und die Partizipation an den europäisch bzw.international zu treffenden Regelungen und deren Vor-bereitung.

Bei der Wahrnehmung der genannten Aufgaben und Erfor-dernisse, wie sie zur Vorbereitung der maßgeblichen politi-schen Entscheidungen erforderlich sind, bestehen nach denErfahrungen der Kommission ungeachtet der vorhandenen

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 207 – Drucksache 14/9020

Institutionalisierung in Deutschland904 noch Defizite. Sie er-geben sich aus unterschiedlichen Gründen, zu denen be-grenzte Zuständigkeit, mangelnde demokratische Legitima-tion, mangelnde Kompetenzen, unnötige Verdopplung,mangelnde Zuordnung und Kooperation sowie fehlende Institutionalisierung gehören.

Die Enquete-Kommission empfiehlt daher dem Bundes-tag, sich mit der Frage der Kultur der Ethikdebatte inDeutschland und ihrer adäquaten Förderung und Organi-sierung zu befassen und eine geeignete Institution zuschaffen, die im Dialog mit der Öffentlichkeit die parla-mentarische Debatte und Entscheidung in medizin- undbioethischen Fragen angemessen vorbereitet und beglei-tet. Dies sollte in der Arbeitsweise einer Enquetek-Kom-

mission oder in Form einer ständigen Kommission ge-schehen. Es ist darauf zu achten, dass– die erforderliche demokratische Legitimation durch

Beschluss des Bundestages gewährleistet ist;– die sachliche Kompetenz vorhanden ist;– die Unabhängigkeit der Arbeit gewährleistet ist. Er-

wägenswert ist eine Ansiedlung beim Bundespräsi-denten oder beim Deutschen Bundestag;

– die Gefahr einer Delegation der parlamentarisch zutreffenden Entscheidungen vermieden wird (keinStellvertreter-Gremium für die Volksvertreterinnenund Volksvertreter);

– ein angemessener Austausch mit dem Parlament statt-findet;

– die Beratungsprozesse, die Positionen der beteiligtenAkteure und die Arbeitsergebnisse transparent ge-macht werden;

– die Vernetzung mit der öffentlichen Debatte und dengesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, mit derwissenschaftlichen Entwicklung und den Institutionender Wissenschaft, den Gremien der beruflichenSelbstverwaltung und den bereits bestehenden Ein-richtungen im Bereich der Medizin- und Bioethik an-gemessen hergestellt wird und

– die notwendige Partizipation an der europäischen undinternationalen Debatte und Entscheidungsfindung er-folgt.

904 Als derzeit bestehende Institutionalisierung im Bereich der Medizin-und Bioethik sind auf Bundesebene zu nennen– als beratende Gremien auf politischer Ebene und auf der Ebene

der ärztlichen Selbstverwaltung: Enquete-Kommission „Rechtund Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages;Nationaler Ethikrat beim Bundeskanzler; Ethik-Beirat beim Bun-desministerium für Gesundheit (aufgelöst am 10. April 2002);Zentrale Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer

– als institutionalisierte Service-Einrichtungen der Meinungs- undUrteilsbildung: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Bio-wissenschaften (DRZE); Büro für Technikfolgenabschätzungbeim Deutschen Bundestag (TAB)

– auf der Ebene der gesellschaftlichen Meinungs- und Urteilsbil-dung: Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik (Dresden 2001,als Experiment).

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209 – Drucksache 14/9020

1 Sondervoten

1.1 Sondervotum derKommissionsmitglieder RainerBeckmann, Prof. Dr. LudgerHonnefelder, Hubert Hüppe, Dr. OtmarKloiber, Werner Lensing, Prof. Dr.Johannes Reiter und Dr. GerhardScheu zu B1 Menschenwürde/Menschenrechte, letzter Satz

Wir stimmen der Aussage im Bericht der Enquete-Kom-mission, es sei „mit dem Würdestatus des Embryos nichtunvereinbar, im Schwangerschaftskonflikt die Austragungeiner Schwangerschaft nicht gegen die Frau durchzuset-zen, so dass es dazu kommen kann, dass die Würde unddie Rechte der Frau nicht anders als durch die Beendi-gung der Schwangerschaft gewahrt werden können“ (TeilB1, letzter Satz), nicht zu.

Die Enquete-Kommission betont zu Recht, dass alle Men-schen unabhängig von ihren individuellen MerkmalenTräger von Menschenwürde sind (B1.3) und ausgehendvon einem solchen umfassenden Verständnis „menschli-che Embryonen vom Menschenwürdeschutz nicht ausge-schlossen werden“ können (B1.4.1). Ferner besteht Ei-nigkeit, dass die Würde des Menschen „einer Abwägungmit anderen Rechtsgütern nicht zugänglich ist“ (B1.3)und ihr „der absolute Vorrang“ gebührt (B1.4.3).

Wenn dies richtig ist, kann die eingangs zitierte Aussage sonicht aufrecht erhalten bleiben. Sie erweckt an prominen-ter Stelle – dem Schlussabsatz des Kapitels „Menschen-würde/Menschenrechte“ – den Eindruck, dass Schwanger-schaftsabbrüche in einem nicht näher beschriebenenUmfang unter Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG legitimiertwerden könnten. Überträgt man aber die genannte Formu-lierung auf den Würdeträger Embryo, ergibt sich das ge-naue Gegenteil. Demnach wäre es mit dem Würdestatusder Frau „nicht unvereinbar“ (also vereinbar), die Würdedes Embryos durch die Verpflichtung zur Austragung derSchwangerschaft zu wahren.

Da beide Aussagen mit der im Kapitel B dargelegten Auf-fassung von der Würde des Menschen begründet werdenkönnen, ist es nicht richtig, wenn die Kommission nur zumAusdruck bringt, dass eine Verletzung der Menschen-würde des Embryos durch seine Tötung („Beendigung derSchwangerschaft“) nicht vorliege. Die Enquete-Kommis-sion hätte vielmehr entweder das Spannungsverhältnis vondiametral entgegengesetzten Folgerungen aus dem Kapitel„Menschenwürde/Menschenrechte“ auflösen oder eineeinseitige, die Würde des Embryos vernachlässigendeAussage unterlassen müssen.

Zu der kritisierten Formulierung des Berichts bestandkein Anlass, da die Problematik des Schwangerschaftsab-

bruchs als solche nicht zur Themenstellung der Kommis-sion gehörte und von ihr auch nicht in Bezug auf die ge-gebene verfassungsrechtliche Konfliktlage diskutiertworden ist.

1.2 Sondervotum des Kommissions-mitglieds Werner Lensing zu C1.4.5.2Empfehlungen im AbschnittPräimplantationsdiagnostik

Nach wirklich reiflicher Überlegung kann ich mich letzt-endlich keiner der beiden Empfehlungen der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“zur Präimplantationsdiagnostik (PID) auf der Basis einerzweifelsfreien und ethisch eindeutigen Überzeugung voll-kommen anschließen.

Ausgehend von der Beurteilung, dass die PID nach der ak-tuellen deutschen Rechtslage verboten ist, bedarf es in derTat gewichtiger Gründe, um eine Zulassung der PID –selbst in sehr engen Grenzen – rechtfertigen zu können,wobei es gleichzeitig gilt, die denkbaren Folgen einermöglichen Zulassung zu berücksichtigen.

Grundsätzlich sehe ich entsprechende Gründe vor allemim Hinblick auf die Regelungen zum Schwangerschafts-abbruch nach medizinischer Indikation. Meiner Ansichtnach besteht sehr wohl ein unüberbrückbarer Wertungs-widerspruch zwischen der derzeitigen Zulassung einesmedizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs nachPränataldiagnostik auf der einen und einem rigorosenVerbot der PID auf der anderen Seite.

Insofern teile ich die Position der Befürworter einer re-striktiv geregelten Zulassung der PID für sog. „Hochrisi-kopaare“.

Meine tiefen Zweifel richten sich jedoch gegen die Ansicht derer, die meinen, diesen Widerspruch verant-wortungsvoll durch eine bedingte Zulassung der PIDauflösen zu dürfen und somit verbindlich regeln zu kön-nen.

Glaube ich doch, dass es nicht gelingen wird, die Anwen-dung der PID dauerhaft auf die Fälle beschränken zu kön-nen, in denen objektiv eine schwerwiegende Konfliktlagebetroffener Frauen bzw. Paare vorliegt, die wiederumzweifelsfrei eine Anwendung der PID rechtfertigt.

Hierbei beziehe ich mich auf die Erfahrungen mit derpraktischen Handhabung der medizinischen Indikationnach Pränataldiagnostik. Vor diesem Hintergrund er-scheint es mir unvermeidbar, dass bei der Präimplantati-onsdiagnos-tik eine objektive Beurteilung, in welchenFällen tatsächlich eine unzumutbare Beeinträchtigungder Mutter bzw. des Paares zu befürchten ist, auf Dauernicht sichergestellt werden kann.

G Anhang

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Drucksache 14/9020 – 210 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die objektive Einschätzung, ob tatsächlich

– eine Behinderung oder die Krankheit des Kindesdroht, die als besonders schwer zu qualifizieren ist und

– die Frau/das Paar durch die Sorge für dieses Kindüberfordert ist,

wird meines Erachtens in einem überschaubaren Zeitraummit Sicherheit von einer rein subjektiven Beurteilungder Frau/des Paares abgelöst, welche Beeinträchtigun-gen man hinzunehmen bereit ist.

Dass eine Generalklausel nicht geeignet ist, eine dauer-hafte Begrenzung sicherzustellen, zeigt sich schon amBeispiel der medizinischen Indikation eines Schwanger-schaftsabbruchs. Ob eine Verlagerung der Beurteilungs-kompetenz auf ein Gremium hieran etwas ändert, er-scheint mir eher zweifelhaft, da das Fehlen sichererEntscheidungskriterien auch in diesem Fall offensichtlichist. Die Vielzahl der bisher bekannt gewordenen unter-schiedlichen Einschätzungen durch die Ärzteschaft, wasdenn unter einer begründeten Konfliktlage konkret zuverstehen sei, lässt darauf schließen, dass die Festlegungvon Kriterien zur Bestimmung einer Konfliktlage in ers-ter Linie von der jeweiligen personellen Besetzung desGremiums abhängig sein dürfte.

Vor diesem Hintergrund ist es zur sicheren Grenzziehungunerlässlich, in einem Gesetz sowohl allgemeine als auchindividuelle Zugangsvoraussetzungen eindeutig zu regeln.Dabei sollten die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen auseinem Katalog von gravierenden gesundheitlichen Beein-trächtigungen bestehen, die durch die Präimplantationsdia-gnostik festgestellt werden können. Zusätzlich müsste beiden Betroffenen eine konkrete Notlage nachweisbar sein,die im Sinne der medizinischen Indikation mit einemschweren Schwangerschaftskonflikt vergleichbar wäre.

Jedoch dürfte gerade eine solche Normierung auf der Ba-sis eines Katalogs keinerlei gesellschaftliche Akzeptanzfinden und überdies weder eine ethisch noch medizinischvertretbare Lösung darstellen.

Angesichts der hieraus folgenden Unmöglichkeit einerdauerhaften Begrenzung auf objektiv tatsächlich schwer-wiegende Fälle, kann ich einer Zulassung der PID – auchwenn eine enge Begrenzung intendiert ist – nicht zustim-men.

Die ebenfalls zu befürchtende und abzulehnende Aus-weitung der PID auf andere Anwendungsbereiche, z.B.als Routineverfahren im Rahmen der IVF, bedarf insofernkeiner weiteren Erörterung.

Zusammenfassend erkenne ich an, dass sich auch die Be-fürworter einer bedingten Zulassung der PID in der En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Me-dizin“ gegen die Selektion menschlichen Lebenseinsetzen, weil für sie das Ziel bestimmend ist, betroffe-nen Paaren die Verwirklichung des Wunsches nach einemKind zu ermöglichen.

Ich möchte aber nicht, dass der verständliche „Wunschnach einem Kind“ zu einem „Kind nach Wunsch“ per-vertiert.

1.3 Sondervotum des Kommissions-mitglieds Monika Knoche zumGesamtbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik dermodernen Medizin“

Einleitung

Im vorgelegten Bericht spiegelt sich der in der Enquete-Kommission gefundene Konsens wider. Mitunter wurdeaus politisch pragmatischen Gründen auf abweichendeVoten verzichtet. Dennoch reichten Meinungen undStandpunkte teilweise beträchtlich über die vorgestelltenAbhandlungen hinaus. Dem Wunsch, die Thematik kul-turhistorisch einzubinden, auf internationale Aspekte unddie wertedifferenten gesellschaftlichen Gegebenheiten ineinzelnen Staaten und Kulturen hinzuweisen, konntenicht entsprochen werden.

Viel Klarheit und mehr Erkenntnis und Bewertungsmög-lichkeiten wären zu erzielen gewesen, wenn stärker aufdie ökonomischen Interessen, die hinter mancher For-schung stecken, hätte eingegangen werden können. Beiden Patenten aus den Ergebnissen der Grundlagenfor-schung, dem „Patent auf Leben“, wird das beispielhaftdeutlich. Ich möchte in meinem Sondervotum Überlegun-gen anderer Art darlegen.

Als eine Initiatorin dieser Enquete-Kommission bewerte ichdie Einsetzung der Kommission als parlamentarischen Er-folg. Erst in der Mitte der 14. Legislaturperiode wurde dieKonstituierung vorgenommen. Das gibt Zeugnis, wie heftigumstritten die Kommission war. Dies hat, wie auch die dif-ferierenden Interessen von Fraktionen und Regierung, aufdas gesetzgebende Parlament eingewirkt. Das Gesetz fürStammzellimport zeigt, dass die Entscheidung des Souve-räns durch seine Expertinnen- bzw. Expertengremien wenigbeeinflusst werden kann. Entgegen der zu Beginn der inne-ren Konstituierungsphase der Enquete-Kommission selbstgesetzten Maximen, die politische und fachliche Komple-xität des zu behandelnden Gegenstandes unter den Kriteriendes Gender-mainst-reamings zu erfassen, hat man währendder Arbeit nahezu ganz darauf verzichtet.

Philosophische, feministische Überlegungen zum Leib-lichkeitskonzept der Menschenrechte im Zeitalter der Leib-grenzen überwindenden Biomedizin und der körpermani-pulierenden Gentechnik am Menschen stießen auf wenigGegenliebe. Diesen Suprathemen wurden gleichfalls keineGutachten gewidmet.

Hat schon in der französischen Revolution Olympe deGonges gefordert:

Ziel und Zweck des Politischen müssen sein, der Frau ihrenatürlichen Rechte sicherzustellen, so ist sicher, dass im 21. Jahrhundert nicht mehr sicher ist, auf was sich dieSelbstbestimmung der Frau als leiblich anderer Menschals der männliche Mensch richten soll. Die Überhöhungder Frau und zugleich Reduzierung der Frau auf die Rolleals Mutter, als Kontrolleurin der Qualität ihrer Leibes-frucht, aber auch die kulturelle Stellung ihrer lebengeben-den Kraft, die durch die Entnahme ihrer reifen „Vor-

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211 – Drucksache 14/9020

frucht“ die Ressource der bio-genetischen Forschung undProduktion ist, all das gehört in einen zeitgemäßen Dis-kurs über „Bioethik“.

Die Sexualität von der Zeugung zu befreien, das war undist ein „Emanzipationsthema“ der Frau. War es früher eineFrage der Verhütung und des Rechts auf Selbstbestim-mung über die Schwangerschaft, so greift die Entsexuali-sierung und die Entleiblichung der Fortpflanzung vermit-tels neuer reproduktionsmedizinischer Techniken in einerKulturdimension, deren Abmessungen und Begrenzun-gen sich die heutige Gesellschaft kaum vergewissert.

Die Kunst, die Literatur, die Philosophie – aber kaum dieNaturwissenschaft selbst – nehmen sich der Bedeutung undsozialen gesellschaftlichen Folgen des Menschenmöglichenan. Auch in der Enquete-Kommission zeigte sich, dass mansich mit den Frauen- und Kulturfragen, die der Menschen-rechtsfrage innewohnen, wenig befasst hat. Dem Anspruch,den „Stand des Wissens“ in den Empfehlungen der Enquete-Kommission darzustellen, konnte auf diesem Gebiet nichtgenügend Rechnung getragen werden.

Es erscheint mir wichtig, ergänzend darzulegen, wasüber das im Bericht Dargestellte hinaus unter den Mit-gliedern der Enquete-Kommission noch so alles gedachtund mit dem Anspruch auf Beachtlichkeit gesagt wurde.

Ergänzendes zum Kapitel Pränataldiagnostik –prädiktive Tests, Gendiagnostik

Die Diagnostik zur Identifizierung der genetischen Be-schaffenheit des Fetus hat sich zu einer Routineuntersu-chung entwickelt, bei der die aufgezeigten Anforderungendes informed consent in der Regel nicht erfüllt zu seinscheinen. Obwohl in der medizinischen Praxis die Stan-dards der Einwilligung nach erfolgter Aufklärung über diegetesteten Merkmale, die Aussagesicherheit des Tests, seintherapeutischer Gewinn, die bei einem positiven Tester-gebnis bestehenden Handlungsmöglichkeiten und das Ri-siko iatrogener Schäden Voraussetzung für die Durch-führung eines Gentests sind, um die Verwirklichung einerKörperverletzung auszuschließen, spricht vieles dafür, dassdiese bei schwangeren Frauen nicht eingehalten werden.

Die in europäischen Nachbarstaaten vollzogene strikteBegrenzung des Indikationskatalogs für PND basiert aufLeistungsvoraussetzungen, die grundsätzlich mit dendeutschen nicht vergleichbar sind.

In Deutschland besteht ein bürgerrechtlich-freiheitliches,staatlichen Eingriffen weitgehend entzogenes Arzt-Pati-ent-Verhältnis. Im SGB V werden keine Indikationskata-loge festgelegt. Der Staat kann unerwünschte Fehlalloka-tionen nur über mittelbar wirkende Steuerungselemente,nicht jedoch über Verbote verhindern.

Dem Grundsatz folgend, dass nur die ärztliche Indikationzur medizinischen Intervention im Rahmen des ärztlichenBehandlungsauftrages eine Finanzierungspflicht derLeistung seitens der GKV auslöst, müssen die Empfeh-lungen für eine medizinisch-ethische vertretbare Indikati-onsbegrenzung im Rahmen der Selbstverwaltung und derärztlichen Berufsethik gelöst werden.

Eine Befassung durch den Gesundheitsausschuss des Bun-destages, die Überarbeitung der Mutterschaftsrichlinienund die Befassung mit den Früherkennungsmaßnahmendurch den Koordinierungsausschuss der Selbstverwal-tungsparteien im Gesundheitswesen können dazu beitra-gen, die konstatierte Fehlallokation abzubauen.

Ergänzende Überlegungen zum KapitelPräimplantationsdiagnostik

Ich lehne die Zulassung der Präimplantationsdiagnostikab. Sie ist Eugenik ohne Schwangerschaft. In Ergänzungzu den im Bericht aufgeführten Argumenten erfolgt meineAblehnung der eugenischen Selektion auch aus folgendenÜberlegungen.

Mit der Präimplantationsdiagnostik würde ein paradig-matischer Wechsel im ärztlichen Behandlungs- und Hei-lungsauftrag vollzogen. Bislang ist die IVF auf infertilePaare begrenzt. Die künstliche Befruchtung findet ihreRechtfertigung durch den Anspruch auf Gleichstellung,den sie zwischen zeugungswilligen infertilen und fertilenPaaren einlösen soll.

Würde die Präimplantationsdiagnostik erlaubt, so müsstesie allen fortpflanzungswilligen Paaren zugänglich sein.Die In-vitro-Fertilisation müsste demnach aus der engenIndikation herausgelöst und zu einem allgemeinen An-spruch auf Erfüllung einer selbstgewählten Fortpflan-zungsart (medizintechnisch assistiert) erweitert werden.Dies wäre deshalb erforderlich, respektive nicht abweisbar,weil aufgrund des Gebots der Gleichbehandlung auch fer-tilen Paaren die eugenische Selektion ihres Nachwuchsesermöglicht werden müsste, und zwar bevor eine Schwan-gerschaft eintritt, und diese Möglichkeit nicht allein infer-tilen Paaren vorbehalten sein könnte.

Bliebe die Präimplantationsdiagnostik in Verbindung mitder – ihr zwingend vorausgehenden – In-vitro-Fertilisa-tion nur sog. Risikopaaren vorbehalten, so haftete dieserBegrenzung Willkür an.

Schließlich ist zu beachten: Sind „risikobelastete“ Paarezeugungsfähig, so ist ein exklusiver Leistungsanspruchauf Präimplantationsdiagnostik, der auf bestimmte Risi-ken begrenzt bliebe, nicht vertretbar. Vielmehr müsste dieWahlfreiheit der Fortpflanzungsart konsequent als neuesSelbstbestimmungsrecht herausgebildet werden.

Dennoch würden sich dann in Verbindung mit der eu-genischen Selektion via Präimplantationsdiagnostik alsneues „vorgelagertes Fürsorgerecht“ nichtschwangererFrauen gegenüber nichtinkorporierten Embryonen bei derso gedachten Erweiterung der Selbstbestimmung erhebli-che rechtslogische Probleme auftun.

Für die Durchführung der Präimplantationsdiagnostikfehlt ein ärztlicher Behandlungsauftrag am Embryo invitro. Im vorliegenden Fall kann er sich naturgemäß nurauf den Embryo selbst beziehen. Da keine Schwanger-schaft besteht, kann die Präimplantationsdiagnostik, ins-besondere was die mögliche Verwerfung des Embryos an-geht, nur fremdnützig sein. Es müsste also konstatiertwerden, dass der Merkmalsträger selbst, also der Embryo

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Drucksache 14/9020 – 212 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

in vitro, die Identifikation seiner genetischen Beschaffen-heit und, bei fremdgesetzter Nichterwünschtheit dieserBeschaffenheit, seine Vernichtung im eigenen Interessewünschte und folglich das Handeln des Arztes bzw. derÄrztin nicht gemäß den Vorschriften z.B. des Embryo-nenschutzgesetzes strafbar wäre. Denn als von der Eizell-geberin Beauftragter kann der Arzt oder die Ärztin in demgenannten Kontext nicht gelten. Mit dem Geist undZweck des Embryonenschutzgesetzes hätte diese em-bryopathische Indikation erkennbar nichts zu tun.

Meines Erachtens kann für das Umgehen mit dem Embryonicht das subjektive und prospektive Ermessen einer nicht-schwangeren Frau als Kriterium zur Verwerfung des Em-bryos herangezogen werden. Im Weiteren gilt, dass dieFrau im In-vitro-Fertilisationsverfahren ungleich privile-gierter wäre, ihr eugenisches Interesse im Reproduktions-prozess zu realisieren, als das einer Frau zuerkannt wird,die aufgrund eines Geschlechtsaktes schwanger gewordenist und für die die Strafnormen des § 218 StGB gelten.

Da der reformierte § 218 StGB ausdrücklich keine embryo-pathische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch aner-kennt, die PID indes eine explizite Form der embryopati-schen Indikation darstellt, ist vor dem Hintergrund dergültigen Rechtslage im § 218 StGB kein Bewertungswider-spruch zu konstatieren. Vielmehr ist der Lebensschutz desEmbryos in vivo aufgrund seiner besonderen Beziehung inder Schwangerschaft, die „Zweiheit in der Einheit“, vor dasSelbstbestimmungrecht der Frau gestellt. Die Praxis desSchwangerschaftsabbruchs nach Gendiagnostik – die medi-zinischen Notlage der Frau als Folge der Diagnostik nach in-formed consent vor Durchführung dieser – greift bislangnach der 12. Schwangerschaftswoche. Bei diesem Stadiumder Entwicklung ist nach dem gültigen § 218 StGB von ei-ner abzuwägenden Grundrechtskonfliktlage nicht mehr dieRede. Nur eine von Arzt oder Ärztin diagnostizierte medi-zinische Indikation, die auf die Frau gerichtet ist, rechtfer-tigt die ärztliche Handlung. Von Selbstbestimmung der Fraunach PND kann daher vor dem Hintergrund der Verfas-sungsrechtsprechung keine Rede sein.

Sollte es jedoch allein in das subjektive Ermessen derFrau gestellt werden, die prospektive Konfliktlage ihrerselbst definieren zu dürfen, sind die diagnostischen Maß-nahmen am Embryo sowie gegebenenfalls seine Verwer-fung nicht in den ärztlichen Behandlungsauftrag gegen-über der eizellgebenden Frau integrierbar. Es müsste eineigenständiger Behandlungsauftrag des Arztes bzw. derÄrztin gegenüber dem Embryo in vitro etabliert werden,der seine vermeintliche Nichterwünschtheit nach gendia-gnostischem Ergebnis zur rechtssicheren Basis für dieVernichtung seiner Existenz erhebt.

Wenn häufig das Selbstbestimmungsargument herange-zogen wird, um für die Präimplantationsdiagnostik zu wer-ben, so geschieht dies meines Erachtens fälschlicherweise.Letztlich läuft diese Argumentation darauf hinaus, dass esbezüglich der reproduktiven Autonomie in Verbindung mitder Sicherstellung des eigenen „erbgesunden Nachwuch-ses“ am besten wäre, ganz und gar auf die neuen Mög-lichkeiten der künstlichen Befruchtung zu setzen und aufdie sexuelle Fortpflanzung zu verzichten, besonders wennder § 218 StGB so bleibt, wie er ist.

Selbst wenn man diese Form der eugenischen Selektionals legitimierbares Interesse voraussetzt, bleibt dennochfestzuhalten, dass auch exzessive Selbstbestimmung überdie Nachkommenschaft hier und im Sinne des Menschen-rechts nicht greifen kann. Die Selbstbestimmung findet inder eigenen Leibgrenze ihre Begrenzung und kann sichnicht auf andere erstrecken. Da der Embryo in vitro aberbereits als Ungeborener in der Welt ist und sich, mit einemEigenrecht ausgestattet, in der sozialen Gemeinschaft derMenschen befindet, muss er dem fremdnützigen ZugriffDritter verschlossen bleiben.

Ich sehe mich veranlasst, auf die prinzipielle Neuheit der„Eugenik ohne Schwangerschaft“ hinzuweisen, die diePräimplantationsdiagnostik darstellt.

Mir erscheint es umso dringlicher, auf der einheitlichenFestlegung des grundrechtlichen Status des Embryos zuinsistieren, je mehr Fremdinteressen an ihm zerren.

Ich meine: Es ist egal, ob der Embryo in vivo oder in vitroexistiert, ob er qua seines Existenzumfeldes getestet wer-den kann oder nicht und wer welche Konsequenzen füroder gegen ihn daraus ziehen möchte: auf seinen grund-rechtlichen Status kann das keinen Einfluss haben.

Ergänzende Überlegungen zum Status des Embryos

Erst durch die IVF ist es möglich, dass ein auf diesem Wegerzeugter Embryo einem anderen als seinem Selbstzweckzugeführt werden könnte. Verfassungsrechtlich ist dieserfrühe Seinszustand außerhalb des Körpers der Mutter bis-lang nicht erfasst. Der Status des Embryos ist im als Straf-recht angelegten Embryonenschutzgesetz nicht festgelegt.Eine Analogdefinition zur Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts zum § 218 StGB ist indes nur sehr be-grenzt geeignet, die Gattungsfrage, die durch das Lebenohne Schwangerschaft und Geburt aufgekommen ist, men-schenrechtsdogmatisch stimmig zu beantworten, insbe-sondere da lediglich die Rechtswidrigkeit des Schwanger-schaftsabbruchs Gegenstand der verfassungsrechtlichenAuslegung war.

Der konstatierte Grundrechtskonflikt zwischen dem Em-bryo im Uterus der Frau und der Autonomie der Frau imZustand der Schwangerschaft wurde nach dem § 218StGB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts einer Lösungzugeführt.

Der natürliche Vorgang der Befruchtung durch Zeugungsowie die Gebundenheit der Entwicklungschancen desEmbryos an den weiblichen Körper wurden bei der Be-wertung der Strafbarkeit und Rechtswidrigkeit der Abtrei-bung beachtet.

Anders als diesen der Naturgesetzlichkeit unterliegendenBedingungen der Entstehung menschlichen Lebens durchSexualität zweier Individuen unterschiedlichen Geschlechtsunterliegt der Embryo in vitro aufgrund seiner entsexuali-sierten Entstehungsart nicht den Bedingungen der körper-lichen Gebundenheit an eine Frau. Seine Voraussetzungenzur Eigenexistenz hängen von Anfang an direkt von Hand-lungen Dritter ab. Diesem prinzipiellen Unterschied zum

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213 – Drucksache 14/9020

Embryo in vivo ist bislang in der verfassungsrechtlichenBetrachtung nicht explizit Rechnung getragen worden.

Es bestehen daher neue logische und sachliche Pro-bleme. In Anlehnung an oder in Ableitung aus dem § 218StGB-Urteil die Statusfrage des Embryos als solchenklären zu wollen, bleibt insofern unzulänglich, als derStatus des Embryos in der Vornidationsphase im Bun-desverfassungsgerichtsurteil nicht zu entscheiden gewe-sen ist. Für die Statusfrage des Embryos in vitro ist je-doch gerade seine Vornidationsexistenz von verfassungs-rechtlich entscheidender Bedeutung. Zwar wird beimEmbryo in utero die eigenständige Grundrechtsträger-schaft zugrunde gelegt. Daraus aber lässt sich die Men-schenwürde des Embryos in vitro nicht zwingend be-gründen.

Hier muss eine eigenständige grundrechtsdogmatischeEinordnung erfolgen. Orientierung hierfür gibt die Defi-nition des Bundesverfassungsgerichts, nach der der Be-ginn menschlichen Lebens mit der Verschmelzung vonEi- und Samenzelle sich vollzogen hat.

Die bloße Verweis-Analogie-Argumentation auf das§ 218 StGB-Urteil ist deshalb jedoch auch hier problema-tisch, da sie die im menschenrechtlichen Verständnisgrundsätzlich inkompatible biologistische Argumentationaufnimmt, wonach sich die Menschenwürde des Embryosin vivo nur dadurch konstituiert – dann konstituieren kann –wenn er die Gebärmutter erreicht hat. Folgt man dieserAnnahme, wonach die Nidation des Embryos erst seineMenschenwürde konstituiere und danach erst der Grund-rechtskonflikt „Zweiheit in Einheit“ entstehe, bliebe manletztlich auf die Biologistik der Gebärmuttergebundenheitdes Menschenrechts beschränkt.

Das gänzlich neue aber, dass gerade auf die Gebärmutter-gebundenheit nicht zwingend rekurriert wird und dass esmöglich geworden ist, den Embryo in vitro ohne die Frauals Mutter in die Welt zu bringen und sich ihn entwickelnzu lassen, stellt das in der Menschheitsgeschichte unver-gleichlich Andere dar.

Mit dem extrakorporalen und im Weiteren auf Dauer oderbefristet extrauterinen oder uterus-substituierten Seinszu-stand des erzeugten Embryos hat man sich meines Erach-tens bisher zu unterkomplex befasst. Dass der Status desEmbryos von seiner Entstehungsart und von seinen pro-spektiven Entwicklungs- und Lebenschancen, die dezi-diert auf den Entscheidungen Dritter beruhen würden, ab-hängig gemacht, oder der Status daraus abgeleitet werdenkann, das ist verfassungsrechtlich sicher äußerst unge-wöhnlich, womöglich unstatthaft. Die Menschenrechts-frage, die es zu klären gilt, für die das bekannte Bundes-verfassungsgerichtsurteil zum Status des Embryos nachNidation keine ausreichende Antwort gibt, lautet: Ist derMensch ein Mensch, auch wenn er nicht geboren wird undsich nicht im Uterus einer Frau entwickeln soll?

Das intrinsische Potenzial, sich als Mensch zu entwickeln,besitzen Embryonen in vitro in gleichem Maße wie Em-bryonen in vivo. Sie unterscheiden sich jedoch grundsätz-lich in Entstehungsort und Umgebung.

Auch das Unterscheidungsmerkmal in vitro/in utero nachder „14-Tage-Frist“ verflüchtigt sich im Lichte neuer re-produktionstechnischer Fortschritte und in dem Maße,wie der Transfer in den Uterus zur Nutzung seiner intrin-sischen Potenziale nicht erforderlich wäre. So ist festzu-stellen, dass im Gegensatz zum gezeugten der erzeugteEmbryo in seinem schutzlosesten Zustand in der Welt ist.

Der Embryo in vitro ist durch Menschenhand in die Ge-meinschaft der Menschen gekommen. Er ist ohne Geburtexistent, er hat sich körperlich noch nicht als Mensch aus-gebildet. Dass er deshalb als Gattungswesen Mensch vomGültigkeitsbereich der universellen Menschenwürde aus-geschlossen werden kann, ist vor dem Hintergrund des zuwahrenden ganzheitlichen Menschenbildes keine konsis-tente Argumentation. Vielmehr spricht dies dafür, denEmbryo in vitro als vom Gültigkeitsbereich der Men-schenwürde erfasst zu betrachten.

Allen Versuchen, ein gestuftes Lebensschutzkonzept fürden Embryo in vitro zu etablieren, ist eigen, dass sie vonseiner prinzipiellen Zugänglichkeit und deshalb zu erlau-benden Zugriffen auf ihn durch andere ausgehen.

Ein gestuftes Lebensschutzgesetz für den im Gegensatzzum Embryo in vivo schutzlosen Embryo in vitro läßt sichaufgrund der prinzipiellen Verfügbarkeit des durch künst-liche Befruchtung erzeugten Embryos mit InteressenDritter an ihm nicht begründen.

Ergänzende Überlegungen zur strafrechtlichenSituation „Embryonenschutzgesetz“ und Importembryonaler Stammzellen

Aus dem Umstand, dass im ESchG der Import embryona-ler Stammzellen nicht explizit geregelt ist, kann man nichtschließen, dass dies eine Legalisierung/Erlaubnis des Im-ports embryonaler Stammzellen bedeutet. Diese Schluss-folgerung wäre nur gerechtfertigt, wenn es sich bei der feh-lenden Regelung um eine bewusste statt eine unplanbareRegelungslücke handelt. Vielmehr war zum Zeitpunkt derGesetzgebung die biotechnologische Entwicklung nochnicht absehbar, noch waren die Methoden zur Gewinnungvon embryonalen Stammzellen damals bekannt.

Aus der Gesamtheit des Regelungsgehalts des ESchGaber ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit Erlass diesesGesetzes einen umfassenden Schutz für Embryonen er-reichen wollte und deren Erzeugung in vitro einzig und al-lein zu Reproduktionszwecken in einem eng begrenztenMaße ermöglicht werden sollte (vgl. insbesondere §§1,2ESchG).

Die Gewinnung von ES-Zellen ist gem. § 1 Abs. 2 ESchGunter Strafe gestellt.

Dass der Gesetzgeber den Import embryonaler Stammzel-len bewusst von dem Geltungsbereich des ESchG ausge-schlossen habe, um eine mögliche zukünftige Vernutzungdes Embryos nicht zu verhindern, ist ebenso ausgeschlos-sen, da alle Handlungen am Embryo, die nicht dem Re-produktionszweck dienen, in völligem Widerspruch zumSinn und Zweck des Gesetzes stehen. Die fehlende Rege-lung bezüglich des Imports embryonaler Stammzellen ist

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Drucksache 14/9020 – 214 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

hingegen allein darauf zurückzuführen, dass der Gesetz-geber zur Zeit des Erlasses des ESchG nicht mit der Mög-lichkeiten gerechnet hat, dass es zum Handel oder zu nichtreproduktiven, kommerziellen Verwendungszwecken mitaus Embryonen entstandenen Produkten kommen könnte.

Es ist lohnenswert, auf das Transplantationsgesetz hinzu-weisen. Demnach dürfen in Deutschland solche Organe,die nicht nach den hier geltenden Explatationsbestim-mungen („Hirntod“) entnommen wurden, unter Strafenicht verwendet werden. Diese Regelung zeigt, dass dieim Bereich Schutz der Menschenwürde und des Lebens-rechts in Deutschland getroffenen Regelungen als sowichtig angesehen werden, dass ihr Aussagegehalt unab-hängig von Staatsgrenzen Geltung beansprucht.

Ergänzende Überlegungen zum Importverbotembryonaler Stammzellen

Als Befürworterin des vollständigen Importverbots möchteich unterstreichen:

Eine Billigung des Imports von embryonalen Stammzellenist, selbst wenn dieser strengsten Auflagen unterliegt, mitdem Normierungsgehalt und dem Gesetzeszweck des Em-bryonenschutzgesetzes, dessen Regelungsgehalt der Schutzdes Embryos bei In-vitro-Befruchtung im Kontext ärztli-chen Handelns ist, nicht vereinbar. Den Import embryona-ler Stammzellen, deren Herstellung unter den Strafnormendes ESchG in Deutschland illegal wäre, durch konditio-nierte Regelungen zuzulassen, wäre inkonsistent.

Ein vollständiges Import-Verbot könnte über eine Novel-lierung in das Embryonenschutzgesetz aufgenommenwerden. Eine begrenzte Tolerierung oder Bewilligung desImports von – nach dem Embryonenschutzgesetz inDeutschland legal nicht zu gewinnenden – embryonalenStammzellen würde den ordre public unterlaufen und im-plizit das ESchG in einen neuen Anwendungsbereich uti-litaristisch definieren.

Sollte durch konditionierte Tolerierung der Import legali-siert und die Forschung damit als dem öffentlichen Inte-resse und der Forschungsfreiheit geschuldet bewertetwerden, könnte das im Embryonenschutzgesetz ausge-drückte Verzweckungsverbot seinen Normierungsgehaltund Gesetzeszweck schwerlich auf Dauer behaupten.

Ergänzende Überlegungen zu Gentests

Generell können Gentests nur im ärztlichen Behand-lungsauftrag ihre Erlaubnis finden. Er sichert die Schwei-gepflicht, die Gewährleistung des informed consent unddie verifizierbare medizinische Indikationsstellung zurTestung.

Genetische Daten offenbaren intimste Informationen. Siemüssen aufgrund des Grundrechts auf informationelleSelbstbestimmung effektivstem Datenschutz unterliegen.Mit dem Recht auf Wissen allein kann eine allgemeineZugänglichkeit oder Verordnungsfähigkeit von Gentestsnicht begründet werden. Das via Gentests erlangte Wissenüber genetische Bedingungen bleibt nicht auf die Getes-teten beschränkt, da immer auch Informationen über erb-

verwandte Dritte erlangt wird. Damit ist deren Recht aufSelbstbestimmung berührt. Diese besondere Art derGrundrechtskollision setzt dem individuellen Recht aufWissen enge Grenzen.

Über die notwendigen rechtlichen Regelungen hinaus be-einflusst dieses neue genetische Wissen die sozialen Be-ziehungen der Menschen und das individuelle und gesell-schaftliche Verständnis von einem „gelungenen“ Leben.

Da Gesellschaft und Medizin für dieses menschheitsge-schichtlich und kulturell völlig neue Phänomen nochkeine adäquaten ethischen und moralischen Normen ent-wickelt haben, kann nur mit einer restriktiven Handha-bung der Gendiagnostik reagiert werden.

Überlegungen zur Europäischen Charta derGrundrechte

Ziel aller EU-Mitgliedstaaten war es, eine Grundrechte-Charta für die Europäische Union zu entwickeln. Die EU-Institutionen, aber auch die Mitgliedstaaten sollen, so dieAbsicht, bei der Umsetzung und Anwendung europäischenRechts an einen gemeinsamen Grundrechtsstandard ge-bunden werden. Die Ausarbeitungen des Konvents zur Eu-ropäischen Grundrechte-Charta spiegeln einerseits denProzess postnationaler Konstellation wider. Andererseitssollen sie einen Konsens über gemeinsame Werte wieder-geben. Die normative Definitionskraft der Menschen-würdegarantie im Zeitalter der Bio- und Gentechnologieist hier angesprochen.

Die Biomedizin und die Forschung greifen vielfach überdas individuelle Subjekt hinaus auf die Verfasstheit desMenschen schlechthin. Die Grundrechte-Charta mussauch die unantastbare Würde des Menschen als Gattungs-wesen garantieren.

Angesichts der unvergleichlichen Gefährdungslage sinddie Werte, auf denen unsere Kultur beruht, nur wachs-tumsfähig, wenn diese Normen nicht verlassen werden.

Die Prämisse deutschen Grundrechtsverständnisses ver-langt von uns, unbedingt Sorge dafür zu tragen, dass dasbestehende Verbot eugenischer Praktiken zwingend aufdie eugenische Selektion durch Präimplantationsdiagnos-tik ausgeweitet wird, das Klonen menschlicher Embryo-nen verboten wird. Es darf nichts getan werden, was denje entstehenden Individuen unmöglich macht, sich alsGattungswesen Mensch zu verstehen.

Die Frage nach dem Subjekt Mensch, das zugleich Objektdieser Technik ist, ist auf neue Art aufgeworfen. Ab wann,wie lange ist der Mensch Subjekt des Menschenrechts?Diese Festlegung steht im Mittelpunkt des Interesses,wenn von der universellen Menschenwürde nach unsererVerfassung die Rede ist.

Welcher Schutzstandard kommt dem nationalen Verfas-sungsrecht und der gesetzgeberischen Ausgestaltung vonMenschenrechtsgarantien künftig noch zu, wenn der Be-zugspunkt für europäische Rechtsprechung die Europä-ische Grundrechte-Charta ist oder eine europäische Ver-fassung?

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 215 – Drucksache 14/9020

Kann und darf die Europäische Grundrechte-Charta das un-terschiedliche, ja teilweise gegensätzliche Menschenbildund die Grundrechtstradition, die in Deutschland durch diebewusste Nichtzeichnung der Biomedizin-Konvention desEuroparates zum Ausdruck kam, überhaupt vereinheit-lichen? Diese Fragen waren und sind im Nach-Nizza-Ge-schehen weiterhin aktuell.

Offen ist die Frage, wodurch die unüberbrückbaren Ge-gensätze des angelsächsischen zum explizit nicht utilitari-stischen Lebensbegriff in Grundrechtsgarantien auf euro-päischer und nationaler Ebene „gewahrt“ werden können,um nicht kulturgründige, tiefgehende Wertebindungendurch supranationale Gerichtsbarkeit, Grundrechtskatalogund künftige Verfassung auszuhöhlen.

Allgemeine Empfehlungen

Entgegen der Empfehlung der Enquete-Kommission rateich dazu, in der nächsten Legislaturperiode erneut eineEnquete-Kommission „Recht und Ethik der modernenMedizin“ einzusetzen.

Im Rahmen der bei gesetzesrelevanten Fragen vorgege-benen demokratischen Legitimationsverfahren bilden En-quete-Kommissionen geeignete Gremien, um den parla-mentarischen Entscheidungsprozess vorzubereiten und zubegleiten. Zweifelsohne besteht zu den Fragen, die mitneuen Techniken der Biomedizin in Verbindung mit derGentechnik aufgeworfen sind, ein weiterer Beratungsbe-darf über die 14. Legislaturperiode hinaus.

Es sind Menschenrechtsfragen der Moderne. In vielfälti-ger Weise und insbesondere bezüglich der Partizipations-möglichkeiten der gesamten Gesellschaft hat sich diedurch die parlamentarisch-repräsentative Demokratie er-möglichte Art des Diskurses als herausragend erwiesen.Sie zeitigt besondere Vorteile gegenüber Präsidialsyste-men anderer Staaten.

Eine Einrichtung eines dem Nationalen Ethikrat ähnli-chen Gremiums sollte sich nicht wiederholen. Demokra-tiepolitisch lassen sich darin nämlich Tendenzen zur Ent-demokratisierung und Delegitimierung des Parlamenteserkennen. Nur die vom Volk gewählten Vertreterinnenund Vertreter sind der Souverän. Sich mit den neuen Men-schenrechtsfragen umfassend auseinanderzusetzen unddie fachliche und politische Kompetenz durch Hinzuzie-hung externer Sachverständiger zu steigern, gehört zu denoriginären Aufgaben der Parlamentarierinnen und Parla-mentarier.

Befruchtend wirken ihre Kenntnisse und Empfehlungenüber die eigenen Fraktionen in die Fachausschüsse desDeutschen Bundestages hinein. Keinem anderen Gremiumsteht der Zugang zum Stand des Wissens so uneinge-schränkt zur Verfügung wie es beim Deutschen Bundestagder Fall ist. Das wird für die rechtliche Normgebung ge-nutzt, für die gesellschaftliche Selbstvergewisserung auchgebraucht.

Über diesen Bereich hinaus wird von den gewähltenVolksvertreterinnen und Volksvertretern die Diskussionin den Wahlkreisen, bei öffentlichen Veranstaltungen mit

der Bevölkerung geführt. Auch über diesen Weg beste-hen gute Möglichkeiten, die Bevölkerung in den Prozessder Information und Meinungsbildung einzubeziehen.

Anders als bei jedem anderen Gremium werden die Ent-scheidungsträgerinnen bzw. Entscheidungsträger durchallgemeine demokratische Wahlen bestimmt. Die Parteienbeziehen Position zu Grundsatzfragen dieser Art. Auchdarüber ist die Motivation der Bürgerinnen und Bürger,sich selbst eine Meinung zu bilden, groß.

Die herausragenden Debatten des Bundestages etwa zumStammzellimport, zur Präimplantationsdiagnostik, zurUmsetzung der Biopatentrichtlinie und anderen biopoliti-schen Themen haben gezeigt, dass Abgeordnete andersals viele Expertinnen und Experten die Kunst beherr-schen, komplexe Zusammenhänge zu vermitteln und dassdarüber geistige Partizipation der Bevölkerung an denkulturprägenden Fragen erreicht werden kann.

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestageskonnte aufgrund besonderer Umstände erst in der Mitte der14. Legislaturperiode etabliert werden. Trotz eines extre-men Zeitdrucks und hoher Erwartungen des Parlaments undder Öffentlichkeit wurde diese Enquete-Kommission raschzu einem Begriff für kompetente und politisch repräsenta-tive Arbeit an hoch komplexen Fragestellungen unsererZeit. Sie gibt Zeugnis über die Diskursqualität und setzteStandards im Umgang mit derartigen Fragen der Moderne.

Die Enquete-Kommission nutzte die Möglichkeit derDurchführung von Dialogveranstaltungen, öffentlichenSitzungen, öffentlichen Anhörungen und Expertenge-sprächen sowie Online-Konferenzen im Internet und kamin intensiven Kontakt zu den Menschen, die sich für dieseThemen interessieren.

Durch die Nutzung der neuen Medien gelang es, den Be-ratungsprozess einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zumachen.

Nicht nur der Austausch mit der eigenen Bevölkerung,auch der Austausch mit Parlamentarierinnen und Parla-mentariern anderer Staaten erwies sich als nützlich und aufschlussreich. Das dadurch erreichte Einfließen unter-schiedlicher kultureller Hintergründe beeinflusste den bio-politischen Diskurs. Darüber hinaus ist es sinnvoll, denDialog unter Parlamentarierinnen und Parlamentariern an-derer Parlamente weiter zu entwickeln, die Anbindung andie Entscheidungsprozesse des Europäischen Parlamentsund der Europäischen Kommission zu verbessern.

Es ist meines Erachtens unabdingbar, zu einem völker-rechtlichen Verbot des Klonens menschlicher Embryonenzu kommen. Dafür müssen noch in der 14. Legislaturperi-ode parlamentarische Initiativen ergriffen werden. Nur einweltweites völkerrechtliches Verbot der Erzeugung vonmenschlichen Klon-Embryonen, ein Verbot für jedwedeZwecke, kann eine Mauer gegen den gentechnischenMissbrauch am Menschen bilden. Nur ein internationalesVerbot kann in allen Kulturen und Staaten die Einhaltungeiner einheitlichen moralischen und ethischen Grenze gegen Menschenrechtsverletzungen in der modernen Bio-medizin garantieren.

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Drucksache 14/9020 – 216 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Das generelle Verbot des Klonens von menschlichen Em-bryonen sollte daher in die Menschenrechtscharta des 21. Jahrhunderts aufgenommen werden. Der vereinzelteRuf nach einem Verbot reproduktiven Klonens reicht ab-solut nicht mehr aus. Im Deutschen Bundestag bestehtbislang großer Konsens darüber, das Verbot des Klonenszu erreichen. Die UNO-Generalversammlung möge defi-nitiv die Verhandlung zu einem weltweiten Klonverbotaufnehmen.

All diese Erfordernisse und Gegebenheiten sprechendafür, in der nächsten Legislatur erneut eine Enquete-Kommission einzusetzen.

2 Beiträge einzelnerKommissionsmitglieder

2.1 Prof. Dr. Linus Geisler: Arzt-Patient-Beziehung im Wandel – Stärkung desdialogischen Prinzips

Der Wandel

Medizinverständnis und Arzt-Patient-Beziehung befin-den sich seit den 70er-Jahren des zwanzigsten Jahrhun-derts im Wandel1, wobei neben technologischen Errun-genschaften gesellschaftliche Einflüsse und ökonomischeRahmenbedingungen als interferierende Elemente be-deutsam sind.

Dem tradierten, überwiegend paternalistisch bestimmtenRollenverständnis von Arzt und Patient2 treten kontra-punktische Entwicklungen entgegen, in denen der klassi-sche Heilauftrag (Heilen, Lindern, Vorbeugen) immermehr zugunsten einer Kunden-Leistungserbringer-Kon-stellation aufgeweicht wird. In Extremfällen ist ein „Pati-ent“ im engeren Sinne, wie z.B. bei der Präimplantations-diagnostik, nicht mehr auszumachen3 und ergo auch keinHeilauftrag gegeben4.

Das alte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientwird teilweise abgelöst von einem Vertragsverhältnis mitgenau definiertem Leistungsumfang. Der Patient wird zumKunden, der Arzt zum Dienstleister, Praxis und Kranken-haus zum „Profit-Center“.5 Der Umgang miteinander ent-spricht dann häufig dem von misstrauischen Geschäfts-partnern.

Das Spannungsfeld zwischen Kundendienst, Wissen-schaftlichkeit und Kostendämpfung, in dem die Medizinzunehmend agieren muss, erschwert die Identitätsfindungder Beteiligten („Trilemma der modernen Medizin“6).

Die geforderten Leistungen sind nicht selten eher der Ka-tegorie Lifestyle-Medizin zuzuordnen als dass sie auf me-dizinische Probleme ausgerichtet sind. Der Gesundheits-begriff umfasst nunmehr auch Befindenskategorien wie„Beauty“ und „Wellness“. Neue Leitbegriffe wie „Lebens-qualität“, „Normalität“ und „Optimierung“ werden fürPatientenansprüche und ärztliches Handeln zunehmendmitbestimmend.

„Anthropotechniken“ treten an die Stelle eines angeblichausgedienten Humanismus.7 Manipulative Eingriffe indie Keimbahn werden von amerikanischen Wissenschaft-lern (Gregory Stock8) in imperativer Form gefordert, ob-wohl die propagierten Methoden (z. B. Einfügen künstli-cher Chromosomen) schon aus biologischen Gründen alsproblematisch zu bewerten sind. 9

Wie die augenblickliche biopolitische Debatte zeigt, gera-ten gesellschaftlich akzeptierbare Begriffe von Gesundheit,Krankheit und Behinderung in eine Art definitorischenSchwebezustand. Die Subjektivität des Krankseins, das inhohem Maße von der „Selbstauslegung“10 des Patientenbestimmt wird, und immer auch eine Störung der vertrau-ten Wirklichkeit zur Grundlage hat11, gerät in Widerspruchzu anderen Wirklichkeitskonstruktionen (Gesellschaft,Wissenschaft).12

Es finden sich simultan konkurrierende Transfermethodenwissenschaftlicher Erkenntnisse in ärztliches Handeln,wie zum Beispiel EBM13, Metaanalysen14, computer-basierte Entscheidungen15 oder Managed Care-Kon-

6 Bauer, A. W. (2001) Das Trilemma der Medizin zwischen Wissen-schaftlichkeit, Kostendämpfung und Kundendienst. In: Engelhardt,D. von; Loewenich, V. von; Simon, A. (Hrsg.) Die Heilberufe auf derSuche nach ihrer Identität. Jahrestagung der Akademie für Ethik inder Medizin e.V. Frankfurt 2000. Münster u.a., S. 94–106.

7 Sloterdijk, P. (1999) Regeln für den Menschenpark. Ein Antwort-schreiben zum Brief über den Humanismus. Suhrkamp Verlag,Frankfurt a. M.

8 Stock, G. (2001) Unvermeidbare Designer-Babys. Financial TimesDeutschland, 6. Dezember 2001.

9 Geisler, L. S. (2001b) Designer-Babys ohne Rücknahmegarantie. Fi-nancial Times Deutschland, 18. Dezember 2001

10 Lanzerath, D. (2000) Krankheit und ärztliches Handeln. Zur Funk-tion des Krankheitsbegriffs in der medizinischen Ethik. Freiburg/München. Vgl. hierzu S. 256–263.

11 Pflanz, E. (1993) Krankheit als Störung einer vertrauten Wirklich-keit. Deutsches Ärzteblatt, 90(19), B-1023.

12 Berger, P. L. & Luckmann, T. (1969) Die gesellschaftliche Kon-struktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie.Frankfurt a.M.

13 Bock, K. D. (2001) Die Evidenz (in) der Evidence-Based Medicine.Medizin und Klinik, 96, S. 300–304.

14 Maumann, M. (1999) Metaanalyse klinischer Studien: Stein der Weisen oder Stein des Anstoßes? Medizin und Klinik, 94, Suppl II, S.17–20.

15 Mazoué, J. G. (1990) Diagnosis without doctors. The Journal of Me-dicine and Philosophy, 15(6), S. 559–579.

1 Kerschensteiner, H., zit. n. Wittern, R. (1991) Kontinuität und Wan-del des Arztbildes im Abendland. In: Geßler, U., Pilgrim, R. &Gmelin, B. (Hrsg.) Der Arzt. München-Deisenhofen.

2 Geisler, L. S. (1993) Arzt und Patient – Begegnung im Gespräch,3. Auflage. Frankfurt a.M.

3 Geisler, L. S. (2001a) Kinder auf Bestellung. Frankfurter Rundschau,10. Mai 2001.

4 Siehe C1 Präimplantationsdiagnostik des Abschlussberichtes der En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“.

5 Kloiber, O. (2001) Der Patient als Kunde – Der Arzt als Dienstlei-ster. Beitrag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der Enquete-Kom-mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ in Jena am 2. Juli2001. http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217 – Drucksache 14/9020

zepte16. Sie erheben häufig den Anspruch, einzige – auchrechtlich relevante – Richtschnur für ärztliches Entschei-den und Handeln zu sein. Im außeruniversitären Bereich,vor allem aber in der ärztlichen Praxis spielt jedoch wei-terhin die intuitive und erfahrungsgestützte Entschei-dungsfindung eine beachtliche Rolle. Der „klinischeBlick“, der überwiegend auf „weichen“, nicht quantifi-zierbaren Daten basiert, überspielt häufig den Einfluss sog.„harter“ Daten. Auch heute ist Medizin nach wie vor imWesentlichen eine Erfahrungswissenschaft.

Patientenentscheidungen ihrerseits basieren keineswegsnur auf beratungsgestützten Einflüssen oder sog. Auf-klärungsgesprächen (informed-consent-Entscheidungen),sondern in nicht unbeträchtlichem Maße auf außerrationa-len Urteilen. Aus diesem Beziehungsgeflecht zwischenArzt und Patient resultieren ärztliche Entscheidungen undHandlungen, die alles in allem weniger auf rationalenGrundlagen beruhen als allgemein angenommen. Sie sinddas Ergebnis zirkulärer Prozesse zwischen Arzt und Pati-ent. Solche gegenseitigen zirkulären Einflussnahmen sindim Übrigen für die gesamte Arzt-Patient-Beziehung be-stimmend. Intendierte Änderungen dieser Beziehung sinddaher auch nur ausnahmsweise durch isolierte Einwirkun-gen auf der einen oder anderen Seite zu erreichen. Im We-sentlichen sind sie das Resultat dialogischer Ansätze.

Paternalismus – Autonomie –Neopaternalismus

Peter Kampits definiert die Arzt-Patient-Beziehung als einebesondere, wenn nicht extreme Form der zwischenmensch-lichen Beziehung, in der nicht nur ein hohes Maß an Inti-mität und Ausgesetztsein existieren, sondern mit der auchEingriffe und Veränderungen in die Existenz des Menschenverbunden sein können, bei denen es im Extremfall buch-stäblich um Leben und Tod geht.17

Diese Beziehung ist meist in eine wechselnde Kontextua-lität eingebettet, so dass ein stabiles Kräfteverhältnis zwi-schen Arzt und Patient nicht zu erwarten ist, sondern ein„Floaten“, das kaum mit einer einzigen Modalität des ge-genseitigen Umgangs durchgängig bewältigt werdenkann. Eine einseitige Präferenz von Paternalismus bzw.Autonomie kann daher keineswegs der jeweilige „Königs-weg“ in der Beziehung zwischen Arzt und Patient sein.

Paternalismus wird allgemein als Eingriff in die Freiheit desPatienten verstanden. Für G. Dworkin ist Paternalismuseine „zwingende Einmischung in die Handlungsfreiheit ei-nes anderen, die sich ausschließlich auf das Gute für einenanderen“18 beruft. T. Pinkard versteht Paternalismus als„Eingriff in die Freiheit der Person, der durch einen Appellan das Wohl der betreffenden Person gerechtfertigt wird“.19

Klaus Dörner beschreibt die paternalistische Haltung mitden Worten: „Ich als Arzt-Subjekt unterwerfe Dich mir undmache Dich zu meinem Patienten-Objekt, da Du auf dieseWeise am schnellsten wieder Subjekt werden kannst.“20

Das Amerikanische bedient sich gelegentlich der saloppenFormulierung der „father knows best“-Autorität. Zwi-schen sog. „starkem“ und „schwachem“ Paternalismusliegt zweifelsohne eine gewisse Grauzone. Auf weitereUnterscheidungen, wie zwischen aufgefordertem und un-aufgefordertem Paternalismus (sollicited und unsollicitedpaternalism), soll hier nicht näher eingegangen werden.

Die Auffassung von Autonomie als Selbstbestimmung desMenschen wurzelt in der Aufklärung. So wie die politischeAutonomie den Staat erst zum Staat macht, macht imSinne der Philosophie Immanuel Kants die Autonomie desMenschen als Willensfreiheit diesen erst zur Person. Derautonome Wille steht dabei für die von jeder äußeren undinneren Fremdbestimmung (Heteronomie) befreite Ver-nunft. Kant erblickte in der Autonomie „den Grund derWürde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“.21

Die ins Extrem getriebene Autonomie des Patienten fin-det ihre Grenze dort, wo sie jenseits aller Vernunft nurnoch um ihrer selbst willen agiert und zur Blockade jegli-chen ärztlichen Handelns wird. Sie führt in eine Situationder gegenseitigen Isolation und bringt eine gewisse emo-tionale Kälte in die Beziehung zwischen Arzt und Patient.Der umfassend aufgeklärte Patient sieht sich schließlichin einer Situation der Einsamkeit, die durch seine absoluteEntscheidungsfreiheit nicht unbedingt aufgehoben wird.Der Arzt wiederum gerät (ungewollt oder gewollt!) ineine Unterwerfungsrolle, die sich am radikalsten in demvon Lévinas wiederholt verwendeten Sprachbild: „Ich bindie Geisel des Anderen“22 ausdrückt.

Der These, wonach die Autonomie über das eigene Lebenden zentralen Inhalt der Menschenwürde ausmacht, stehenandere Werthaltungen gegenüber, nach denen Autonomieund Würde des Menschen gerade erst durch die Fürsorgefür den anderen konstituiert werden.23 Am Beispiel vonPatientenverfügungen wird deutlich, dass in dem Maß, wieüber den Arzt durch den Willen des Patienten rechtsver-bindlich verfügt wird, dessen Vorstellung von Therapie-verzicht und Therapieabbruch umzusetzen, die Arzt-Pati-ent-Beziehung ausgehöhlt oder gar zerstört wird. 24

Im heutigen Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung ver-schiebt sich „Das Wohl des Kranken als oberstes Gesetz“

16 Butzlaff, M. E. et al. (1998) Managed Care im Brennpunkt. Die Or-ganisationsform: Folgen für Patienten und Ärzte. Gesundheitswesen,60, S. 279–282.

17 Kampits, P. (1996) Das dialogische Prinzip in der Arzt-Patienten-Beziehung. Passau.

18 Zit. n. Kampits 1996.19 Zit. n. Kampits 1996.

20 Dörner, K. (2001) Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grund-haltung. Stuttgart/New York, S. 71. Dörner fährt fort: „Da ich einenuneinholbaren Vorsprung an Kompetenz, Wissen und Macht habe, istes vernünftig, wenn Du Dich mir aussetzt, Dich mir völlig anver-traust.“

21 Kant, I. (1980) Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zurMetaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. VII. Frankfurt a. M.

22 Lévinas, E. (1993) Totalität und Unendlichkeit. Freiburg i.Br.23 Übersicht bei Dörner, K. et al. (2002) Patientenverfügungen: Kein

„Sterben in Würde“. Eine Aufwertung der Ethik der Autonomie desEinzelnen bedeutet eine Dominanz des Stärkeren über die Ethik desSchwachen. Deutsches Ärzteblatt, 99(14), A917.

24 Dörner 2001.

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zum Prinzip: „Der Wille des Patienten ist oberstes Ge-setz“.25 Für diese Entwicklung ist auch die zunehmendeVerrechtlichung der modernen Medizin mitverantwort-lich. Die Autonomie des Patienten gewinnt Vorrang vordem Prinzip der Fürsorge. Der frühere Paternalismus, derdem Arzt die väterlich-bestimmende Rolle zumisst, er-scheint als überholt. Als Ideal gilt der „mündige“ Patient,der aufgeklärt, eigenverantwortlich und selbstbestimmtdie Richtlinien seiner Behandlung vorgibt.26 Wobei frei-lich gilt, dass es den mündigen Patienten nicht ohne denmündigen Arzt gibt.27

Aber wie belastungsfähig und leistungsfähig sind Patien-tenautonomie und Mündigkeit im Ernstfall wirklich? Istein Patient fähig mitzuentscheiden, welcher Typus einerkünstlichen Herzklappe oder eines Herzschrittmachersfür ihn der beste ist? Will der umfassend aufgeklärteKrebspatient bei der Entscheidung zwischen Chemothe-rapie oder Bestrahlung tatsächlich nur auf sich selbst ge-stellt sein? Erlebt er sich auch dann noch als „mündig“oder zu allererst doch als krank? Wie rasch kann Selbst-bestimmtheit in Sich-Selbst-Überlassensein umschlagen?Schotsmans hat von der Fiktion einer Art „olympischenSelbstkontrolle“ gesprochen, zu der ein hinfälliger Kran-ker kaum (mehr) fähig sein dürfte.28

Eine symmetrische Arzt-Patient-Beziehung, die oft alsidealtypisch angesehen wird, existiert realiter nur aus-nahmsweise. Die Analyse von Visitengesprächen lässthäufig eine überraschend starke Asymmetrie erkennen.Diese kommt schon rein numerisch im Überwiegen derGesprächsanteile des Arztes (bis zu 80%) im Vergleich zudenen der Patienten zum Ausdruck.29 Bliesener und Köhlenannten die traditionelle Visite schlichtweg einen „ver-hinderten Dialog“.30 Das Versagen des Visitengesprächshat selbst in die Belletristik (z.B. bei Thomas Bernhard31)Eingang gefunden.

Fraglich ist, ob eine Symmetrie von Patientenseite über-haupt durchgängig erwünscht ist. Die klinische Erfah-rung zeigt, dass Arzt-Patient-Beziehungen fast immerasymmetrisch sind. Nicht zwei Gleiche stehen sich ge-genüber, sondern ein hilfesuchender Mensch und einer,der kompetent ist, diese Hilfe zu geben.32 Auf Diskrepan-zen zwischen Patientenautonomie und Patientenwün-schen haben Eibach und Schaefer hingewiesen.33 DieSelbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhältnis ist ange-sichts der wachsenden Undurchschaubarkeit diagnosti-scher und therapeutischer Eingriffe im Gefolge medizini-scher Hochtechnologien und der daraus resultierendensteigenden Entscheidungsbefugnis der Ärzte als Mythosbezeichnet und mit dem Begriff des Neopaternalismus be-schrieben worden.34 Dass dieser kein stolzes „Selbstbild“darstelle, sondern aus Strukturen entspringe, an denen dieÄrzte selber leiden, hat Christiane Grefe35 betont.

Die Anschauung französischer Ärzte des neunzehntenJahrhunderts, wonach der ideale Arzt ein „père maternel“sei, dem es gelingt, die Wesenszüge des lenkenden Vatersund der verstehenden Mutter in sich zu vereinigen, scheintauch heute ihre Gültigkeit nicht verloren zu haben, son-dern im Zuge einer sich wandelnden Medizin nach neuerVerwirklichung zu drängen.

Kommunikationsstörungen und -defizite

Kommunikative Beziehungen sind der Stoff, aus dem dieArzt-Patient-Beziehung lebt und der ihren „Kammerton“bestimmt. Es herrscht Einigkeit, dass in der Alltagspraxiserhebliche kommunikative Defizite bestehen, die häufigvon ärztlicher Seite nicht wahrgenommen werden.36

Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg hat unter anderen auf diesen Sachverhalt, ins-besondere auf Mängel in der Patienteninformation, vorkurzem hingewiesen.37 Obwohl der Wunsch nach unfassen-der und verständlicher Information von 93 % aller befragtenPatienten als „sehr wichtig“ eingestuft wird, nehmen sogarnach eigener Einschätzung nur knapp 30 % der Ärzte denWunsch der Patienten nach Information adäquat wahr.

25 Luther, E. (2001) Chancen und Risiken der Patientenautonomie. Bei-trag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der Enquete-Kommission„Recht und Ethik der modernen Medizin“ in Jena am 2. Juli 2001.http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html

26 Baum, E. et al. (1996) Erwartungen der Patienten und ärztliches Handeln in Allgemeinpraxen. In: Lang, E. & Arnold, K (Hrsg) DieArzt-Patientenbeziehung im Wandel. Schriftenreihe der Hamburg-Mannheimer-Stiftung für Informationsmedizin, Bd. 8. Stuttgart, S. 137–150.

27 Uexküll, T. v. (1994) Rückmeldung als Modell interpersonaler Be-ziehungen: Psychosomatische Medizin als Beziehungsmedizin. In:Hahn, P. et al. (Hrsg.) Modell und Methode in der Psychosomatik.Weinheim.

28 Schotsmans, P. T. (2002) Der Mensch als Schöpfer. In: HerbertQuandt-Stiftung (Hrsg.) Wem gehört der Mensch? 17. Sinclair-HausGespräch. Bad Homburg v.d. Höhe.

29 Nordmeyer, J et al. (1982) Verbale und nonverbale Kommunikationzwischen Problempatienten und Ärzten während der Visite. Medizi-nische Psychologie, 8, S. 20–39.

30 Bliesener, T. & Köhle, K. (1978) Die ärztliche Visite – Chance zumGespräch. Opladen.

31 „Die Visite, der Höhepunkt an jedem Tag, war gleichzeitig immer diegrößte Enttäuschung gewesen.“ In: Bernhard, T. (1978) Der Atem.Frankfurt a. M.

32 Tanner, K. (2001) Akzeptierte Abhängigkeit? Zur Rolle des Vertrau-ens in der Arzt-Patienten-Beziehung. Beitrag zur öffentlichen Dia-logveranstaltung der Enquete-Kommission „Recht und Ethik dermodernen Medizin“ in Jena am 2. Juli 2001. http://www.bundes-tag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html (18.4.2002).

33 Eibach, U. & Schaefer, K. (2001) Patientenautonomie und Patien-tenwünsche. Ergebnisse und ethische Reflexion von Patientenbefra-gungen zur selbstbestimmten Behandlung in Krisensituationen. Me-dizinrecht, 1, S. 21–28.

34 Feuerstein, G. & Kuhlmann, E. (Hrsg) (1999) NeopaternalistischeMedizin. Der Mythos der Selbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhält-nis. Bern.

35 Grefe, C. (2000) „Wie geht’s uns denn heute?“. Das Krankenhaus derZukunft, Teil III. Die Zeit, 38/2000.

36 Geisler, L. S. (1988) Arzt und Patient im Gespräch. Wirklichkeit undWege. Deutsches Ärzteblatt, 50, S. 3568–3574; Geisler, L. S. (1997)Sprachlose Medizin? Imago Hominis, IV(1).

37 Dierks, M. L. et al. (2001) Patientensouveränität – Der autonomePatient im Mittelpunkt. Arbeitsbericht Nr. 195 der Akademie fürTechnikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Stuttgart.

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Kommunikationsstörungen und -defizite im Arzt-Patient-Gespräch führen nachweislich zu einer Reihe unerwünsch-ter Effekte, die durchweg die Arzt-Patient-Beziehung di-rekt oder indirekt beeinflussen:

– mangelhafte Compliance;38

– gestörtes Vertrauensverhältnis;39

– Bruch der Arzt-Patient-Beziehung, Arztwechsel.40

Ein wesentlicher Grund für die kommunikative Inkom-petenz vieler Ärzte ist eine defizitäre Ausbildung mitzunehmender Tendenz. Eine aktuelle Studie der Uni-versität Göttingen an 700 Studenten zeigt, dass es ana-log zur Zunahme an „biologischem Wissen“ im Verlaufdes Studiums zu einem Verlust an kommunikativer undpsychosozialer Kompetenz kommt.41 Dieser Mangelwird häufig von den Studierenden selbst erkannt undbeklagt.42

Bestrebungen, die ärztliche Ausbildung in Deutschlanddem internationalen Standard anzugleichen, reichen weitzurück. Eine von der Robert-Bosch-Stiftung ins Leben ge-rufene „Arbeitsgruppe Medizinerausbildung (MurrhardterKreis)“ legte schon 1989 ein Buch über „Das Arztbild derZukunft“43 vor, in dem unter anderem eine stärkere Be-rücksichtigung der psychosozialen Aspekte von Krank-heit gefordert wurde.

Über ein Jahrzehnt lang wurde in Deutschland über eineÄnderung der Approbationsordnung für Ärzte diskutiert.Zahlreiche Gremien und Organisationen wie der Deut-sche Ärztetag, der Medizinische Fakultätentag (MFT)oder die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichenFachgesellschaften (AWMF) befassten sich mit diesemThema. Die jahrelange erfolglose Diskussion wurde vonvielen in der Lehre engagierten Hochschullehrern als ent-täuschend bewertet und die Einführung der „Modellklau-sel“ 1999 als zu kleiner Schritt angesehen44. Diskutiertwird auch, ob das geringe Interesse an Ausbildungsfragen

in der Medizin als „typisch deutsches“ Phänomen45 zu be-werten ist.

Das dialogische Prinzip – Überwindung derAlternative zwischen Paternalismus und Autonomie

Das dialogische Denken wurde in den zwanziger Jahren desvorigen Jahrhunderts von den „Philosophen des Dialogs“wie F. Ebner, M. Buber, F. Rosenzweig, G. Marcel und V. v.Weizsäcker entwickelt, dem auch der Begriff der „spre-chenden Medizin“ zugeschrieben wird. Von EmmanuelLévinas wurde der Anspruch, durch den Anderen für denAnderen einzustehen, in seine Stellvertretung (Substitution)einzutreten oder die „Geisel des Anderen“ zu sein, for-muliert.46 Von dem österreichischen Philosophen Peter Kampits wird das dialogische Prinzip in der Arzt-Patient-Beziehung als Überwindung der Alternative zwischen Pa-ternalismus und Autonomie verstanden.47

Kampits betont, dass das dialogische Denken zwar inNachbarschaft zum traditionellen, dem jüdisch-christli-chen Denken entstammenden Ansatz der Personalitätoder Personenhaftigkeit des Menschen steht, aber nochweiter geht, indem es im dialogischen Geschehen aus derBegegnung und Beziehung zwischen zwei Menschendiese Personalität gleichsam erst entstehen lässt. Dialogi-sches Denken ist von Anfang an auf Gegenseitigkeit in derBeziehung begründet. Das für die Arzt-Patient-BeziehungWesentliche wurzelt in der im dialogischen Denken ge-forderten Grundhaltung, die unter anderem Zuwendung,aktives Hören und Gesprächsfähigkeit einschließt. DieUntrennbarkeit von Vertrauen und Zuwendung zum Duwird als wesentliche Voraussetzung für dialogisch moti-viertes Handeln verstanden.

Ausbildungsziel: Stärkung der dialogischenKompetenz

Der Verwirklichung des dialogischen Prinzips stehen al-lerdings bei realistischer Betrachtung Entwicklungen ent-gegen, die für den Wandel der heutigen Medizin typischund wesentlich mitverantwortlich sind, wie beispiels-weise ökonomische Zwänge, Allokationsprobleme undVerrechtlichungstendenzen.

Noch bestimmt weiterhin die vielfach beschworene „SilentWorld of Doctor and Patient“, die der Psychoanalytiker undJurist Jay Katz48 in dem gleichnamigen Werk bereits 1984subtil und sachkundig dargestellt hat, die Beziehung zwi-schen Arzt und Patient.

Andererseits liegt gerade in der Stärkung des dialogischenPrinzips, in der Förderung kommunikativer Kompetenzen

38 Sakett, D. L., Hayner, B. & Taylor, D.W. (1982) Compliance. Hand-buch. München/Wien.

39 Goedhuys, J. & Rethan, J. J. (2001) On the relationship between theefficiency and the quality of the consultation. A validity study. Fa-mily Practice, 18(6), S. 592–596.

40 Keating N. L. et al. (2002) How are patient’s specific ambulatory ex-periences related to trust, satisfaction, and considering changingphysicians? Journal of general internal medicine: official journal ofthe Society for Research and Education in Primary Care InternalMedicine, 17(1), S. 29–39.

41 „Studium: Patientengespräche immer unwichtiger“. Ärzte Zeitung,30. Mai 2001.

42 Andres, M.-S. & Gaide, P. (2001) Kein Fleisch, kein Blut. Medizin-studenten klagen über zu wenig Praxis während der Ausbildung. DieZeit, 52/2001, 19. Dezember 2001.

43 Arnold, M. et al. (1995) Das Arztbild der Zukunft, Analysen künfti-ger Anforderungen an den Arzt, Konsequenzen für die Ausbildungund Wege zu ihrer Reform, 3. Auflage, Gerlingen.

948 Pabst, R. (2000) Steigt das Interesse an Studien zu Fragen der medi-zinischen Ausbildung in Deutschland? Deutsche medizinischen Wo-chenschrift, 125, S. 716.

45 Internationale Kongresse wie die jährlichen Treffen der Associationof Medical Education in Europe (AMEE) mit mehreren hundert Teil-nehmern aus aller Welt weisen eine notorisch geringe deutsche Be-teiligung auf. Bei der „Ottawa Conference on Medical Education“ imFebruar 2000 waren unter über 800 Teilnehmern nur 4 aus Deutsch-land (Angaben von Pabst 2000).

46 Lévinas 1993.47 Kampits 1996.48 Katz, J. (1984) The Silent World of Doctor and Patient. New York.

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durch Studium und Ausbildung, in der Höherbewertungsprachlicher Fähigkeiten die Chance, diese Entwicklun-gen in Grenzen zu halten und eine Neustrukturierung derArzt-Patient-Beziehung einzuleiten.49

Es muss bedenklich stimmen, dass aktuelle Analysen derAusbildungsziele zum Arzt („Wunschzettel für die Re-form“) die Notwendigkeit einer guten Gesprächsführungzwar bejahen, zugleich aber davon ausgehen, dass dieseFähigkeiten noch am ehesten durch die Vorbildfunktionälterer Kollegen und Vorgesetzter vermittelt werdenkönne (oder auch nicht)50. Eine strukturierte Ausbildungmit dem Ziel, die dialogischen Fähigkeiten der angehen-den Ärzte zu entwickeln und zu stärken, wird nicht mitdem dringend notwendigen Nachdruck gefordert, obwohlhier eine Schlüsselfunktion zur Verbesserung der Arzt-Pa-tient-Beziehung liegt.

Die Stärkung der kommunikativen und damit psychoso-zialen Kompetenz während des Medizinstudiums und derärztlichen Ausbildung stellt einen wesentlichen und un-verzichtbaren Ansatz zur Verbesserung des Arzt-Patient-Verhältnisses dar und sollte durch berufliche Gre-mien, Politik und Gesetzgebung aktiv gefördert werden.51

Ein Editorial des British Medical Journals vom 6. April2002 widmet sich dem weltweiten Phänomen der unzufrie-denen Ärzte („unhappy doctors“).52 Arbeitslast und unzu-reichende Bezahlung scheinen, obwohl wichtige Faktoren,das Problem nicht vollständig zu erklären. Als Schlüssel-faktor wertet die Analyse einen Wandel in dem Verhältniszwischen Beruf, Patienten und der Gesellschaft, der ur-sächlich dafür verantwortlich ist, dass der Beruf heute nichtmehr dem entspricht, was die Ärzte ursprünglich erwartethatten.

Ein Lösungsansatz wird in einer neuen Berufsaufassunggesehen, in der eine ausgewogene Balance zwischen Autonomie (des Patienten) und Verantwortlichkeit (desArztes) besteht.53 Zur Etablierung dieses Gleichgewichtskann das dialogische Prinzip Wesentliches beitragen.

2.2 Prof. Dr. Ernst Luther/Dr. Ilja Seifert:Gesellschaftliche Wahrnehmung vonGesundheit/Krankheit/Behinderung

Gesundheit und Krankheit als Eigenschaften derLebenstätigkeit

Die Begriffe Gesundheit und Krankheit bezeichnen diebeiden hauptsächlichen Erscheinungsformen des Ge-sundheitszustandes als Eigenschaft der umweltbezoge-

nen organismischen Lebenstätigkeit zu einer bestimmtenZeit. Patibilität, Krankwerdenkönnen, ist ein allgemeinesMerkmal lebender Wesen. Die Skala der Möglichkeitendes individuellen Gesundheitszustandes enthält nicht nurGesundheit und Krankheit, sondern ferner sowohl eindifferenziertes Übergangsfeld zwischen Gesundheit undKrankheit als auch mit Krankheiten ihrer Entstehungnach verbundene andere Formen eingeschränkter Lebens-tätigkeit und Leiden. Krankheit kann mit der Wiederher-stellung der Gesundheit, mit einem bedingt angepasstenZustand eingeschränkter Lebenstätigkeit, einem Leidenoder mit dem Tod enden. Der Mensch hat diese Phä-nomene mit den anderen Lebewesen gemeinsam. Zu-gleich haben diese bei ihm Besonderheiten, die aus sei-ner physischen und psychischen Spezifik sowie seinemsich geschichtlich entwickelnden Gesellschaftsleben re-sultieren, von dem das individuelle Dasein der Menschenin Gesundheit und Krankheit abhängt. Deshalb sindmenschliche Gesundheit und Krankheit prinzipiell nichtallein naturwissenschaftlich, sondern nur in ihren bioti-schen, psychischen und sozialen Dimensionen und derenwechselseitigen Zusammenhängen unter ontogeneti-schem, ökologischem und historischem Aspekt zu erfas-sen. Gerade im Hinblick auf den relativ hohen Anteil anAusländerinnen und Ausländern unter den Patientinnenund Patienten in Deutschland ist die Kenntnis kulturellbedingter Ausprägungen der Krankheitssymptomatik fürdie richtige Diagnose von großer Bedeutung. Die ausge-prägtesten transkulturellen Unterschiede betreffen psy-chische und psychiatrische Erkrankungen.1

Ursachen, Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten, von de-nen der Gesundheitszustand abhängt, ergeben sich vommolekularen Organisationsniveau bis zum Gesamtsystemdes menschlichen Organismus. Sie ergeben sich weiteraus der menschlichen Persönlichkeit und den sie formen-den gesellschaftlichen Verhältnissen sowie ihren darausresultierenden Beziehungen zu den Ergebnissen der ge-sellschaftlichen Arbeit und zur natürlichen Umwelt. Ge-sundheit erweist sich als die Fähigkeit des Individuums,die konkret-historisch in einer gegebenen Gesellschaftmöglichen Formen aktiver Teilnahme an der Gestaltungdes gesellschaftlichen Lebens bewusst und zielstrebig zurealisieren und dabei Befriedigung und Genuss an denmateriellen Gütern zu haben. Demgegenüber bedeutetKrankheit eine erhebliche Einschränkung dieser Fähig-keit, die über die Veränderung körperlicher und/oder psy-chischer Funktionen erfolgt und zugleich eine Existenz-form menschlichen Lebens ist, die die soziale Stellungund subjektive Situation des Individuums deutlich verän-dert und beeinträchtigt.

49 Geisler, L. S. (2000) „Die Liebe verkümmert“. Wohin steuert dieHightech-Medizin? Der Spiegel, 17. April 2000.

50 Jocham, D., Schulze, J. & Schmucker, P. (2002) Medizinstudium:Wunschzettel für die Reform. Deutsches Ärzteblatt, 99(14), A912.

51 Geisler, L. S. (2000); Stein, R.(2001) Was sollen Mediziner lernen?Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Juli 2001.

52 Edwards, N. et al. (2002) Unhappy doctors: what are the causes andwhat can be done? BMJ, 324, S. 835–838.

53 Ham, C. & Alberti, K. G. (2002) The medical profession, the public,and the government. BMJ, 324, S. 838–842.

1 Vgl. Engelhardt, D. (1995) Der Wandel der Vorstellungen von Ge-sundheit und Krankheit in der Geschichte der Medizin: Erfahrungender Vergangenheit – Anregungen für die Zukunft. Passau; Duden, B.& Zimmermann, B. (2001) Aspekte des Wandels des Verständnissesvon Gesundheit/Krankheit/Behinderung als Folge der modernenMedizin. Gutachten im Auftrag der Enquete-Kommission „Rechtund Ethik der modernen Medizin“; Pfeiffer, W. M. (1994) Transkul-turelle Psychiatrie. Ergebnisse und Probleme, 2. Auflage Stutt-gart/New York.

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221 – Drucksache 14/9020

Krankheit bedeutet schon auf der Ebene, auf der sie unmit-telbar vorgefunden wird, für die drei wichtigsten Betrachter– den Kranken, den Arzt und die Mitwelt, die Gesellschaft– jeweils etwas anderes. So verhält sich der Kranke „zurKrankheit als Leidender, zum Arzt als Bedürftiger sachver-ständiger Hilfe, zur Gesellschaft als Versorgungsbedürfti-ger“.2 Was menschliche Gesundheit und Krankheit nachheutigem Wissensstand sind, kann nicht durch eine Univer-saldefinition für alle Zwecke beantwortet werden kann, son-dern nur durch interdisziplinäre theoretische Arbeit, welchedie verschiedenen Gesichtspunkte und kontextabhängigenGesundheits- und Krankheitskonzepte sowie ihre Relatio-nen kritisch analysiert und den Ertrag synthetisiert. Letztlichgeht es um eine Theorie des menschlichen Gesundheitszu-standes und seiner hauptsächlichen ErscheinungsformenGesundheit und Krankheit. Wissenschaftlichkeit des Heran-gehens und humanistische Wertorientierung bedingenMehrdimensionalität der Betrachtung und die Verbindunganalytisch-reduktiver und systemisch-ganzheitlicher Denk-wege. Die evolutionär gewordene Komplexität und ganz-heitliche Integration des menschlichen Organismus, durchdie der Mensch ein denkendes, fühlendes und wollendesWesen ist, seine soziale und kulturelle Daseinsweise in ih-rer Historizität und seine Abhängigkeit von natürlichen Le-bensbedingungen sind übergreifende Leitideen für das theo-retische Begreifen menschlicher Gesundheit und Krankheit.

Normbegriff, Menschenbild und Behinderung

Die geläufige Formulierung von Krankheit als „Abwei-chung von der Norm“, wobei „normal“ (= der Norm gemäß)mit Gesundheit gleichgesetzt wird, bedarf der Kritik. Nor-men in der Medizin beruhen nicht auf Werturteilen, son-dern auf Zahlen, die durch Abzählen, Messen und Wiegengewonnen werden, wobei bestimmte Zahlenwerte als Kri-terien oder Indizien für bestimmte Krankheiten in Dia-gnose und Therapie oder auch Empfehlungen für eine ge-sundheitsförderliche Lebensführung eine Rolle spielen,z. B. das so genannte Normal- und Idealgewicht. So kenntman Minimalnormen, welche die Grenze zu Krankheitenabstecken, Majoritätsnormen, die aus statistischen Mittel-werten resultieren, Idealnormen als Kennziffern höchsterFunktionstüchtigkeit und Spezialnormen, an denen dieFähigkeit zu speziellen Leistungen gemessen wird. Sol-che Normen sind von medizinischen Lehrmeinungen undihrem Wandel abhängig und mit ihnen veränderlich. Ge-sundheit und Krankheit werden soziokulturell gewertet,aber nicht durch Wertungen konstituiert. In der Regelwird Gesundheit positiv und Krankheit negativ gewertet.Positive Wertungen von Krankheit gibt es z. B. in meta-physischen Krankheitskonzepten (Krankheit als Strafeoder Krankheit als Hilfe zum Finden des Lebenssinnes,die von übernatürlichen Mächten ausgeht), ohne dass da-bei aber in Zweifel gezogen wird, dass es sich um Krank-heit handelt.

Menschenbilder geben Antworten auf die Fragen nach derStellung des Menschen in der Welt, seiner Natur und sei-nem Wesen, seiner Herkunft und Zukunft, den Möglich-keiten seines Erkennens und Handelns, dem Sinn seinesLebens und den Bedingungen sinnerfüllten Lebens. ImKontext der Antworten auf diese Fragen kann auf die Stel-lungnahme zu menschlicher Gesundheit, Krankheit undBehinderung nicht verzichtet werden, falls sie nicht er-hebliche Lücken aufweisen sollen. Und umgekehrt, wersich – aus welchen Gründen auch immer – mit menschli-cher Gesundheit, Krankheit und Behinderung beschäftigt,kommt bei folgerichtigem Denken unvermeidlich zurFrage, was der Mensch sei und welchen Platz Gesundheit,Krankheit und Behinderung im Ganzen von Wesen undErscheinung des Menschen einnehmen.

Eine historische Errungenschaft humanistischer Men-schenbilder ist das Prinzip der Gleichheit (Gleichwertig-keit, Gleichberechtigung) aller Menschen ungeachtet all ihrer Differenziertheit, die im Kampf gegen soziale Un-gleichheit und Unterdrückung, gegen Ethnozentrismus undRassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminie-rung von Menschengruppen in Ideologie und Praxis zurForderung nach Chancengleichheit (Chancengerechtig-keit) führt. Chancengleichheit hat zwei Aspekte: „Zunächsteinmal hat jedermann Anspruch auf Zugang zur gesamtenSkala von Status- und Einkommensniveaus unabhängigvon Status und Einkommen seiner Eltern oder Verwand-ten. (...) Die zweite und weniger augenfällige Bedingungfür Chancengleichheit ist die Einsicht, dass verschieden-artige Menschen mit verschiedenartigen Erbanlagen auchverschiedenartiger Umwelten zu ihrer Selbstverwirkli-chung bedürfen. (...) Die ideale Gleichheit würde das An-gebot einer Vielfalt unterschiedlicher Bildungswege insich schließen, die jeder entsprechend seinen Vorliebenund Fähigkeiten wählt oder die man ihm empfiehlt.“3

Beide Aspekte der Chancengleichheit betreffen in besonde-rerWeise Menschen mit Behinderungen. Noch sind tradierteDenkmuster nicht verschwunden, durch die in furchtgeleite-ter Abwehr des Fremden, Unbegreiflichen, aus Menschenmit Behinderungen „Krüppel“ wurden und aus Nichtbehin-derten „normale“ Menschen. Sozialdarwinismus und Eu-genik/Rassenhygiene geben solchem Umgang mit Mitmen-schen pseudowissenschaftliche Rechtfertigung, die sich mitprofitzentrierten Kosten-Nutzen-Analysen ergänzt.4

A) Behinderung wird charakterisiert als „Prozess der so-zialen Beeinträchtigung der Lebensmöglichkeiten mensch-licher Individuen, der auf der Basis mangelnder Vermitt-lungsprozesse zwischen Individuum und Gesellschaft sichals Beeinträchtigung der Entwicklung der Persönlichkeitrealisiert. (...) Ob und in welchem Umfang mögliche Quel-len der Isolation (wie z. B. Schädigung von Organen, trau-matische Lebensereignisse, soziale Vorenthaltung von Le-bensmöglichkeiten wie z. B. Arbeitslosigkeit) tatsächlich

2 Rothschuh, K. E. (1973), Zwei Beiträge zur Allgemeinen Krank-heitslehre. Stuttgart, S. 12

3 Dobzhansky, T. (1975) Intelligenz. Vererbung und Umwelt. Mün-chen, S. 55.

4 Löther, R. (1992) Der unvollkommene Mensch. Philosophische An-thropologie und biologische Evolutionstheorie. Berlin.

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zur Beeinträchtigung der Entwicklung führen, hängt vomjeweiligen Entwicklungsstand der Tätigkeit und Persön-lichkeit wie der Reichhaltigkeit, Weite und inneren Qualitätder sozialen Beziehungen in dieser Situation ab.“5

Der Deutsche Behindertenrat bestimmt Behinderung als„jede Verhaltensweise, Maßnahme oder Struktur, die Men-schen nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigenoder seelischen Beeinträchtigungen Lebens-, Entfaltungs-und Teilhabemöglichkeiten nimmt, beschränkt oder er-schwert.“6

Das Problem der Behinderung und der Gleichstellung derMenschen mit Behinderung ist seinem Wesen nach keinmedizinisches Problem, sondern ein Problem der mensch-lichen Emanzipation und Gleichheit. Zum Zwecke der so-zialen Gleichstellung und Integration werden medizinische,pädagogische u. a. Mittel eingesetzt, um die Entfaltung desindividuellen Potenzials und damit die Chancen des Indi-viduums zu fördern. Dabei ergeben sich für Menschen mitphysischer, psychischer oder geistiger Behinderung odermit Mehrfachbehinderung spezifische Probleme. Durchden Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand undBehinderung gewinnt die Feststellung der WHO-Verfas-sung spezifische Bedeutung: „Sich des bestmöglichenGesundheitszustandes zu erfreuen ist eines der Grund-rechte jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, derReligion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftli-chen und sozialen Stellung.“7

Gesundheit, Krankheit und Lebenserwartung

Gesundheit und Krankheit der Individuen befinden sich inübergreifenden sozialen und kulturellen Zusammenhän-gen, die in die soziokulturelle Evolution integriert sind. Daszeigt sich in den Veränderungen der Lebenserwartung, derStruktur der Morbidität und der Todesursachen, die insge-samt und letztlich gesellschaftlich bedingt sind. SteigendeLebenserwartung führt zu einem einschneidenden Umbauder Altersstruktur der Bevölkerung. Damit treten die fürhöhere Lebensalter charakteristischen chronisch-degenera-tiven Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, degene-rative Erkrankungen des Bewegungsapparates, bösartigeGeschwülste) immer mehr in das Blickfeld der Medizinund stellen die medizinische Forschung vor neue Probleme.Nicht zuletzt bei der Suche nach den Ursachen dieser chro-nischen Krankheiten haben sich die mono- und linearkau-sale Denkweise des mechanischen Determinismus und eineeinseitig nur naturwissenschaftlich orientierte Medizin alsdem Menschen inadäquat erwiesen.

Auch im Stellenwert der medizinisch relevanten sozialenFaktoren sind wichtige Veränderungen eingetreten. Vorran-gig sind in den industriell entwickelten Ländern nicht mehrdie mit den materiellen Lebensbedingungen gegebenen so-zialen Faktoren. Obwohl ihr Einfluss auch heute keines-wegs vernachlässigt werden darf, sind an ihre Stelle weit-hin Einflüsse der zwischenmenschlichen Beziehungen undder soziokulturellen Umwelt getreten, insbesondere in ih-rer Manifestation als Verhaltensweisen. Es handelt sich umFaktoren wie Wertorientierungen und Verhaltensmuster,die gesellschaftlich vermittelt werden und mit den materi-ellen Lebensbedingungen in Widerspruch geraten sind.Nicht nur die Entstehung, auch der Verlauf und der Aus-gang der chronischen Krankheiten sind sozial beeinflusst.Für die Therapie dieser Krankheiten ist oftmals die Ände-rung der Lebensweise genauso wichtig oder sogar wichti-ger als die medikamentöse Beeinflussung. Hoffnung aufHeilung ist zumeist illusorisch.8

Während die Infektionskrankheiten in den industriell ent-wickelten Ländern zurückgedrängt wurden, bilden sie erd-weit die häufigste Todesursache, und dies mit steigenderTendenz. In Verbindung mit Armut, Mangel an sauberemWasser, sanitären Einrichtungen und medizinischer Grund-versorgung konzentrieren sie sich in den Entwicklungslän-dern. Doch sicher ist kein Land vor ihnen. UnterlasseneHilfe für den Aufbau der medizinischen Grundversorgungin den Entwicklungsländern, geringe Aufmerksamkeit fürdie Problematik der Infektionskrankheiten in den industriellentwickelten Ländern, erdweiter Personenverkehr und Han-del sowie die zunehmende Resistenz von Krankheitserre-gern gegen Medikamente können zur Rückkehr der großenSeuchen auch in die industriell entwickelten Länder führen,die zudem durch den globalen Klimawandel mit seinen Fol-gen für Flora und Fauna begünstigt wird. Zudem könnenheute todbringende Epidemien durch den Einsatz gen-technisch manipulierter Erreger als biologische Massen-vernichtungswaffen ausgelöst werden, gegen die es wederMedikamente noch Impfstoffe gibt. Da sich die Infekti-onskrankheiten weder ausrotten noch durch bestimmte Me-dikamente dauerhaft unter Kontrolle bringen lassen, bleibtder Kampf gegen sie eine ständige Aufgabe.9

Als besonders problembeladen zeigt sich die Biomedizinmit medizinischer Genetik, Gentherapie, Reproduktions-medizin, regenerativer Medizin und anderen Zweigen.10

Obgleich sich die Wissenschaftsentwicklung auf diesenGebieten noch wesentlich im Stadium der Grundlagenfor-schung befindet, die ergebnisoffen ist, werden für Dia-gnose, Therapie und Prävention gewünschte Ergebnisseantizipiert und Visionen einer schier alles könnenden Me-dizin entworfen. Eine neue Eugenik („Eugenik von un-ten“, „liberale Eugenik“) setzt auf Genomik und Gen-technik und mit dem Angebot perfekten Nachwuchses auf

5 Jantzen, W. (1990) Behinderung. In: Sandkühler, H. J. (Hrsg.) Euro-päische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd.1.Hamburg; Löther 1992 .

6 So die Sprecherin des Deutschen Behindertenrates, Ingrid Körner,anlässlich des Welttages der Behinderten am 3. Dezember 2001 imBundesministerium für Arbeit, zit.n. Bartz, E. (2002) Welttag der Be-hinderten am 3. Dezember. Leben und Weg, Februar 2002, S. 7.

7 Spröte, H. & Wünsche, R. (1976) Die Vereinten Nationen und ihreSpezialorganisationen. Dokumente, Bd. 7, Die Weltgesundheitsor-ganisation. Berlin.

8 Wunder, M. (2002) Der biomedizinische Fortschritt als Herausfor-derung an Medizin und Gewissen. In: Schubert-Lehnhardt, V.(Hrsg.) Medizin-Ethik quo vadis? Versuch einer Antwort. Storbeck.

9 Wilson, W. O. (2002) Die Zukunft des Lebens. Berlin.10 Lanzerath, D. & Honnefelder, L. (1998) Krankheitsbegriff und ärzt-

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die subtileren Zwänge des Marktes und einer öffentlichenMeinung, die Menschen mit Krankheit und Behinderungdiskriminiert. Der Angriff auf die Menschenwürde, dienicht abstufbar oder an bestimmte Eigenschaften desmenschlichen Lebens gebunden ist, ist dieser von der Gen-mythologie inspirierten Vorstellungswelt immanent.11

Der vielfältig bedingte und dem Einfluss des Individuumsweitgehend entzogene Charakter seines Gesundheitszu-standes verweist das Ansinnen einer Pflicht zur Gesund-heit in das Reich des Unmöglichen, sowenig wie er von derGesellschaft ein Recht auf Gesundheit einfordern kann.12

Eine negative Wertung und Diskriminierung von Krankenihrer Krankheit halber – welche immer es auch sei – ist mithumanistischer Gesinnung ebenso unvereinbar wie dieGlorifizierung von Schmerz und Leid. Die Tendenz derEntsolidarisierung, der Privatisierung und Individualisie-rung des Umgangs mit Gesundheit und Krankheit in derGesellschaft und ihrer Auslieferung an den Markt, erweistsich als unsozial. Die Möglichkeiten der Einzelnen, durchihr Verhalten positiven Einfluss auf ihren Gesundheitszu-stand zu nehmen, liegen neben den begrenzten und unzu-verlässigen Möglichkeiten der individuellen Lebensgestal-tung vor allem darin, in organisierter InteressenvertretungWirtschaft und Staat zur Gestaltung gesundheitsförderli-cher Lebensbedingungen, einschließlich eines sozialenSystems der gleichberechtigten optimalen medizinischenVersorgung aller, zu bewegen.

Schlussfolgerungen

Die Thematik „Gesundheit/Krankheit/Behinderung“ konn-te in der Enquete-Kommission nicht mehr behandelt wer-den, bedürfte aber weiterhin einer gründlichen Debatte. Ineiner künftigen Untersuchung wären folgende Themeneiner Betrachtung wert:13

– Welche Erfahrungen sind für die BundesrepublikDeutschland aus den diversen Gesundheitssystemender Welt zu gewinnen?

– Welche Perspektiven hat das Gesundheitswesen imSpannungsfeld der Politik?

– Ist die Ausbildung unserer Mediziner noch zeitgemäß?– Welche neuen Erkenntnisse der Genetik beeinflussen

die Diagnostik und Therapie?– Welche Erkenntnisse ergeben sich zum Verhältnis von

Umwelt und Gesundheit?– Wie sollen sich die Verwaltungsstrukturen im Ge-

sundheitswesen verändern?– Welche alternativen Heilverfahren sollten eine Förde-

rung erfahren?

– Welche Zukunft hat das Krankenhauswesen?– Welche Entwicklungen sind aus der Informations-,

Kommunikationstechnik und Datenverarbeitung zuerwarten?

– Welche Bedeutung gewinnt die psychosoziale Kom-petenz alter Menschen?

– Wie ist die Gleichstellung von Menschen mit Behin-derung weiter zu fördern?

– Wie ist Kinderarmut zu überwinden?– Welche Aufgaben ergeben sich für die Sterbebeglei-

tung?– Welche Konzepte zur Prävention erweisen sich als

wirkungsvoll?– Welche Denkanstöße sind für die Veränderungen ver-

schiedener medizinischer Fachrichtungen gefragt?

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11 Wade, N. (2001) Das Genom-Projekt und die Neue Medizin. Berlin.12 Patzig, G. (1989) Gibt es eine Gesundheitspflicht? Ethik in der Me-

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Drucksache 14/9020 – 228 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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Drucksache 14/9020 – 242 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243 – Drucksache 14/9020

4 Glossar

Allele als Allele werden die verschiedenen Ausprägungen eines Gens bezeichnet.Für jedes Gen liegen im → Zellkern zwei Allele vor (je eines auf dem müt-terlich vererbten und je eines auf dem väterlich vererbten Chromosomen-satz), die entweder identisch (→ homozygot) oder verschieden (→ hetero-zygot) sein können.

Amniozentese „Fruchtwasseruntersuchung“; Verfahren der → pränatalen Diagnostik, beidem einer Schwangeren durch Punktieren der Fruchthöhle Fruchtwasserentnommen wird. Die aus dem Fruchtwasser gewonnenen Zellen, die über-wiegend von der Eihaut, teilweise auch von der äußeren Haut und denSchleimhäuten des → Fetus stammen, können nach der Entnahme kultiviertund biochemisch, zytogenetisch (→ zytogenetische Untersuchung) und mo-lekulargenetisch (→ DNA-Analysen) untersucht werden.

Aneuploidie jede Abweichung von der normalen Anzahl der → Chromosom im → Zell-kern

Anonymisierung Verändern personenbezogener Daten derart, dass die Einzelangaben überpersönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem un-verhältnismäßig großen Aufwand einer bestimmten oder bestimmbarennatürlichen Person zugeordnet werden können (→ Pseudonymisierung)

Antiselektion „Gegenauslese“; im Versicherungswesen besteht die Gefahr einer Antise-lektion darin, dass Versicherungsinteressentinnen und -interessenten nur ih-nen zur Verfügung stehende Kenntnisse über risikoerhebliche Sachverhaltezu ihren Gunsten bzw. zu Ungunsten eines Versicherungsunternehmens odereiner Versichertengemeinschaft nutzen, indem sie einen Versicherungs-schutz zu Konditionen erwerben, die ihrem individuellen Risikoprofil nichtentsprechen

Arrest hier: Stillstand der Embryonalentwicklung, z. B. wenn die befruchtete Ei-zelle sich nicht über das → Vorkernstadium hinaus zum → Embryo ent-wickelt

assistierte Reproduktion Sammelbezeichnung für alle ärztlichen Behandlungen und Verfahren wiebeispielsweise die chirurgische Gewinnung von Eizellen aus den Eier-stöcken einer Frau oder verschiedene Verfahren der instrumentellen Be-fruchtung von Eizellen, die mit dem Ziel der Erfüllung des Kinderwunscheseines Paares durch medizinische Hilfen und Techniken durchgeführt werden(homologe und heterologe → Insemination, � intracytoplasmatische Sper-mieninjektion)

Autosomen → Chromosomen, die bei beiden Geschlechtern in gleicher Zahl vorkom-men

„Baby-take-home“-Rate Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt nach Beginn des medizinisch-phar-makologischen Eingriffes (hormonelle Stimulation der Eireifung) in denKörper der Frau

Biopsie Entnahme von Geweben, Körperflüssigkeiten u. a., die dem lebenden Orga-nismus zum Zweck der Untersuchung entnommen werden

Blastomeren durch Furchung der → Zygote entstehende Zellen

Blastozyste frühes embryonales Entwicklungsstadium, beim Menschen etwa am viertenbis sechsten Tag nach der Befruchtung, bestehend aus ca. 100 bis 200 Zel-len. Die äußere Zellschicht (Trophoblast) ist später an der Bildung der → Plazenta beteiligt, die innere Zellmasse (Embryoblast) besteht aus Vor-läuferzellen für den späteren → Embryo.

Chorion äußere Haut der → Blastozyste

Chorionzottenbiopsie Verfahren der → pränatalen Diagnostik, bei dem einer Schwangeren mit ei-ner durch die Bauchdecke oder durch die Scheide eingeführten Kanüle → Chorionzottengewebe entnommen wird, das fetalen Ursprungs ist und

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Drucksache 14/9020 – 244 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

→ zytogenetisch bzw. molekulargenetisch (→ DNA-Analyse) untersuchtwerden kann

Chromosomen aus → DNA und → Proteinen aufgebaute Bestandteile innerhalb eines Zellkerns, welche die Erbinformation enthalten und die bei Zellteilungsvor-gängen mikroskopisch sichtbar aggregieren. Die Anzahl und Gestalt derChromosomen ist artspezifisch. Beim Menschen enthält jede Körperzelle 23 Chromosomenpaare: 22 Paare von → Autosomen, ein Paar Geschlechts-chromosomen (→ diploider Chromosomensatz); jede → Keimzelle enthältdie Chromosomen nur einmal (→ haploider Chromosomensatz).

Compliance hier: Bereitschaft der Patientin bzw. des Patienten zur aktiven Mitwirkungan den von der Ärztin bzw. vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen (z. B.Zuverlässigkeit bei der Einnahme von Arzneimitteln)

deterministisch streng gesetzmäßig; man nennt ein System oder allgemein ein Verhalten de-terministisch, wenn aus seinem aktuellen Zustand das zukünftige Verhaltenstrikt folgt (→ genetischer Determinismus)

diploid Bezeichnung für einen Chromosomensatz, in dem jedes Chromosom zwei-fach vorhanden ist. Somatische Zellen weisen im Unterschied zu Keimzel-len des Menschen einen diploiden Chromosomensatz auf (→ haploid).

direkter Gentest direkter Nachweis einer → Mutation in der Sequenz der → DNA. DirekteGentests setzen voraus, dass das für das Auftreten einer Krankheit (mit-)ver-antwortliche Gen bekannt ist und mit Hilfe einer geeigneten Technik, wiebeispielsweise der Polymerase-Kettenreaktion (→ Polymerase chain reac-tion), direkt untersucht werden kann. (→ indirekter Gentest)

DNA (desoxyribonucleic acid) aus → Nukleotiden bestehendes, in Form von spiralförmig um die eigeneAchse gewundenen Ketten (Doppelhelix) angeordnetes Molekül, das die ge-netische Information eines Organismus trägt (deutsch: Desoxyribonukle-insäure, DNS)

DNA-Analysen molekulargenetische Untersuchungen, Methoden zur Feststellung der Struk-turen einzelner → Gene (→ direkter Gentest, → indirekter Gentest)

DNA-Chip mikrobiologisches Messinstrument, das eine Symbiose aus Computer- undBiotechnologie darstellt. Vereinfacht gesprochen handelt es sich bei einemDNA-Chip um einen aus Silizium, Glas oder anderen Materialien bestehen-den Träger, auf den Tausende von DNA-Molekülen aufgebracht werdenkönnen, die sodann mit der → DNA aus einer Probe (z. B. von einer Test-person) verglichen werden. Man hofft beispielsweise, künftig auf dieseWege beliebige → Mutationen nachweisen zu können.

dominant hier: dominant vererbte Merkmale prägen sich phänotypisch (→ Phänotyp),anders als → rezessiv vererbte Merkmale, auch dann aus, wenn sie nur voneinem Elternteil vererbt wurden (→ Allele)

Down-Syndrom numerische Chromosomenstörung, bei der das Chromosom 21 drei- stattzweimal vorliegt (Trisomie 21) (→ Aneuploidie) und die zu körperlichenAuffälligkeiten und mittelgradigen, selten schweren Einschränkungen dergeistigen Fähigkeiten führt

Embryo Uneinheitlich gebrauchter Begriff. Im vorliegenden Bericht werden alleEntwicklungsstadien einer befruchteten, entwicklungsfähigen Eizelle biszum Ende der Organogenese als Embryo bezeichnet (→ Zygote, → Morula,→ Blastozyste).

Auch nach § 8 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) gilt als Embryo be-reits die befruchtete, entwicklungsfähige Eizelle vom Zeitpunkt der Kern-verschmelzung an.

Im medizinischen Sprachgebrauch wird als Embryo dagegen häufig dieFrucht in der Gebärmutter während der Zeit der Organentwicklung be-zeichnet, d. h. etwa vom Zeitpunkt der → Nidation in die Gebärmutter-schleimhaut bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats. Im An-

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245 – Drucksache 14/9020

schluss an die Organentwicklung wird bis zum Ende der Schwangerschaftvom → Fetus gesprochen. (→ Zygote)

Embryotransfer Übertragung eines → in vitro → Embryos in die Gebärmutter einer Frau

enhancement hier: Strategien zur „Verbesserung“ des Erbgutes

epigenetisch Sammelbezeichnung für diejenigen Einflüsse auf die Entwicklung eines Or-ganismus, die nicht direkt in der → Nukleotidsequenz kodiert sind und aufInteraktionen zwischen genetischen Faktoren oder zwischen genetischenFaktoren und Umweltfaktoren beruhen können

Eugenik Erbhygiene, Erbgesundheitslehre; Ziel der Eugenik ist, unter Anwendunggenetischer Erkenntnisse die Ausbreitung „nachteiliger“ Gene einzuschrän-ken (negative E.) bzw. den Fortbestand „günstiger“ Erbanlagen in einermenschlichen Population zu sichern und zu fördern (positive E.)

evidenzbasierte Medizin Forschungszweig der Medizin, der sich mit dem Ziel, nur mit gesichertenErkenntnissen zu arbeiten, um eine Integration der Daten aus der klinisch re-levanten Forschung und der klinischen Erfahrung bemüht

exogen außerhalb entstehend, durch äußere Ursachen bewirkt

Exposition hier: Ausgesetztsein eines Organismus gegenüber krankheitsförderndenäußeren Umwelteinflüssen

extrakorporal außerhalb des Körpers verlaufend bzw. stattfindend (→ intrakorporal)

family balancing die Möglichkeit für Eltern, die schon mindestens ein Kind haben, eine an-gestrebte → In-vitro-Fertilisation oder eine → intrauterine Inseminationmit einer Geschlechtswahl des zukünftigen Kindes zu verbinden, um mitdem neuen Kind die Familie geschlechtlich auszubalancieren

Fetus im medizinischen Sprachgebrauch die Leibesfrucht nach Abschluss der Or-ganentwicklung (→ Embryo)

FISH-Diagnostik bei der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) handelt es sich um eineTechnik zur Sichtbarmachung von → Chromosomen oder Chromosomen-abschnitten mit Hilfe von → DNA-Sonden, die mit fluoreszierenden Farb-stoffen markiert werden (→ Hybridisierung)

Follikel in den weiblichen Keimdrüsen liegende Eibläschen, die die Eizelle (Oozyte)sowie sog. Epithelzellen enthalten und von einem dünnen Häutchen umge-ben sind

Gameten männliche oder weibliche Geschlechtszellen (→ Keimzellen)

Gen funktionelle Grundeinheit des Erbgutes (→ Genom). Als Abfolge von → Nukleotiden an einer bestimmten Stelle des → Chromosoms enthält dasGen die Information zur Bildung von Aminosäuren

genetische Daten Informationen über das Erbgut (→ Genom) eines Menschen

genetische Untersuchung Sammelbezeichnung für alle Untersuchungen, die unmittelbar darauf abzie-len, Aufschluss über die genetische Ausstattung eines Menschen zu erhalten(→ DNA-Analysen, → zytogenetische Untersuchungen)

genetischer Determinismus die eindeutige Festlegung des → Phänotyps durch den → Genotyp (→ de-terministisch)

genetischer Fingerabdruck molekularbiologische Methode zur Identifizierung einer Person (z. B. Va-terschaftsnachweis)

Genexpression Umsetzung der genetischen Information in ein Genprodukt, meist ein → Protein

Genom Erbgut; Gesamtheit aller genetischen Informationen einer Zelle oder einesOrganismus

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Drucksache 14/9020 – 246 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Genomanalyse Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen (→ Phänotyp-Analysen, → pro-teinchemische Analysen, zytogenetische Untersuchungen, → DNA-Analy-sen), die unmittelbar darauf abzielen, Aufschluss über die genetische Aus-stattung eines Lebewesens zu erhalten

Genotyp Sammelbegriff für alle in den Genen eines Organismus festgelegten Erb-informationen, die sich im → Phänotyp manifestieren können

Gentherapie Behandlungsmethode von Erkrankungen, die mittels Eingriffen in die gene-tische Information der betroffenen Zellen erfolgt. Im Unterschied zu Ein-griffen in die → Keimbahn sind genetische Veränderungen, die sich auf Kör-perzellen beziehen, nicht vererbbar (→ somatische G.). Die Gentherapiebefindet sich noch im experimentellen Stadium; klinische Standardanwen-dungen gibt es noch nicht.

Hämochromatose „Eisenspeicherkrankheit“; die Hämochromatose gehört mit einer → Präva-lenz von etwa 1:400 zu den am häufigsten auftretenden Stoffwechseler-krankungen mit autosomal-rezessivem Erbgang (→ Autosomen, → rezes-siv)

haploid Bezeichnung für einen → Chromosomensatz, in dem jedes Chromosom nureinmal vorhanden ist. Die → Keimzellen des Menschen weisen im Unter-schied zu somatischen Zellen einen haploiden Chromosomensatz auf (→ di-ploid).

hereditär erblich, vererbt

heterolog abweichend, nicht übereinstimmend; im Kontext der Reproduktionsmedizinspricht man von einer heterologen → Insemination, wenn das Paar, von demdie → Keimzellen stammen, nicht verheiratet ist bzw. nicht in einer eheähn-lichen Gemeinschaft lebt (→ homolog)

heterozygot mischerbig für ein bestimmtes Gen, d.h. die beiden → Allele eines Gens sindnicht identisch

Heterozygotennachweis Nachweis des Vorhandenseins einer Mischerbigkeit und damit der Anlage-trägerschaft für ein bestimmtes rezessives, und damit phänotypisch (→ Phä-notyp) nicht erkennbares, → Gen (→ heterozygot)

homolog allgemein: übereinstimmend; im Kontext der Reproduktionsmedizin sprichtman von einer homologen → Insemination, wenn das Paar, von dem die → Keimzellen stammen, verheiratet ist bzw. in einer eheähnlichen Gemein-schaft lebt (→ heterolog)

homozygot reinerbig für ein bestimmtes Gen, d.h. die beiden → Allele eines Gens sindidentisch

Huntington-Krankheit nicht heilbares, erbliches, → spätmanifestierendes Nervenleiden, das meistzwischen dem 30. und 45. Lebensjahr einsetzt und zu unwillkürlichen Be-wegungsstörungen sowie zum Abbau geistiger Fähigkeiten führt

Hybridisierung Verfahren der Molekulargenetik, bei dem zwei komplementäre → DNA-Einzelstränge zusammengebracht werden, so dass durch BasenpaarungenDNA-Doppelstränge entstehen (→ FISH-Diagnostik)

Hydrocephalus wörtlich: „Wasserkopf“; ein Hydrocephalus kann → pränatal oder postna-tal als Folge einer Störung des Liquorkreislaufs auftreten. Mögliche Auslö-ser sind (vorgeburtliche) Fehlbildungen, Hirnblutungen, Hirnhautentzün-dungen, Verletzungen oder Tumore. Der dabei im Kopf entstehendeÜberdruck lässt sich nur durch das operative Einsetzen eines Ventilsystemsregulieren. Eine Heilung ist nicht möglich. Als Begleiterscheinungen kön-nen Entwicklungsstörungen, Krampfleiden, Störungen des Sehvermögensund der Bewegungskoordination auftreten. (→ Neuralrohr)

Imprinting unterschiedliche Expression eines Gens (→ Genexpression) oder einer Gen-region aufgrund der elterlichen Herkunft eines → Allels

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247 – Drucksache 14/9020

indirekter Gentest gendiagnostische Untersuchung für Erkrankungen mit Hilfe von → Mar-kern in der → DNA-Sequenz, die meist zusammen mit dem entsprechendenGendefekt vererbt werden (→ direkter Gentest). Findet Anwendung, wennnur die ungefähre Position des für die Erkrankung (mit)verantwortlichenGendefekts bekannt ist, dieser selbst jedoch (noch) nicht identifiziert wer-den konnte. Die Anwendung eines indirekten Gentests setzt immer die Un-tersuchung mehrerer Familienangehöriger voraus und erlaubt Aussagenüber die statistische Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der fraglichen Er-krankung.

infaust ungünstig; Prognose für Krankheiten, bei denen in der Regel keine Hei-lungsaussicht besteht

Infertilität als Infertilität wird in der Reproduktionsmedizin die Unfähigkeit bezeich-net, ein lebensfähiges Kind auszutragen und zu gebären

informed consent freiwillige Zustimmung nach Aufklärung; selbstbestimmte Autorisierung ei-ner Behandlung oder Beteiligung an einem Forschungsvorhaben durch ein-zelne Patientinnen und Patienten oder Versuchspersonen

Insemination „Befruchtung“; unter Insemination versteht man das instrumentelle Ein-bringen von Sperma in den weiblichen Genitaltrakt möglichst zum Terminder Ovulation, um es einer Anzahl befruchtungsfähiger Spermien zu er-möglichen, zur Eizelle zu gelangen. Unterscheiden kann man zwischen der→ homologen Insemination (Befruchtung mit Samen eines Mannes, der mitder Frau verheiratet ist bzw. mit dieser in einer eheähnlichen Gemeinschaftlebt) und der → heterologen Insemination (Befruchtung mit Spendersamen)

Intrazytoplasmatische Verfahren der → assistierten Reproduktion, bei dem eine Eizelle durch In-Spermieninjektion (ICSI) jektion einer einzelnen Samenzelle befruchtet wird

intrakorporal innerhalb des Körpers (→ extrakorporal)

intratubar im oder in den Eileiter

intratubarer Gametentransfer gleichzeitige künstliche Einbringung von Samen und Eizelle in den Eileitermit dem Ziel der Befruchtung

intratubarer Zygoten- bzw. künstliche Einbringung einer befruchteten Eizelle (→ Zygote) bzw. einesEmbryonentransfer → Embryos in den Eileiter einer Frau mit dem Ziel der Herbeiführung einer

Schwangerschaft (engl. Zygote-Intrafalopian-Transfer, ZIFT, bzw. Embryo-Intrafalopian-Transfer, EIFT)

intrauterin innerhalb der Gebärmutter gelegen, in sie hinein oder in ihr erfolgend

in vitro außerhalb des lebenden Organismus bzw. außerhalb des Körpers, im Labor(→ in vivo)

In-vitro-Fertilisation (IVF) Vereinigung von Ei- und Samenzelle außerhalb des Körpers (→ in vitro); dieIn-vitro-Fertilisation gehört zu den etablierten Verfahren der → assistiertenReproduktion

in vivo im lebenden Organismus, innerhalb des Körpers (→ in vitro)

Juveniler Diabetes im Jugendalter aufgrund gestörter Insulinausschüttung auftretende gene-tisch prädisponierte Form des Diabetes mellitus (Diabetes Typ I, Zucker-krankheit)

Kapazitation als Kapazitation bezeichnet man die bislang noch nicht vollständig bekann-ten biochemischen und physiologischen Veränderungsprozesse, die eine Sa-menzelle in der Regel im weiblichen Genitaltrakt durchläuft, und die sie be-fähigen, in eine Eizelle einzudringen und sie zu befruchten

Keimbahn alle Zellen, die in einer Zelllinie von der befruchteten Eizelle bis zu den → Keimzellen des aus ihr hervorgegangenen Lebewesens führen, sowie dieEizelle vom Einbringen oder Eindringen der Samenzelle an bis zu der mitder Kernverschmelzung abgeschlossenen Befruchtung

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Drucksache 14/9020 – 248 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Keimblätter allgemein: Bezeichnung für die in der frühen Embryonalentwicklung ent-stehenden Zellschichten Ektoderm, Entoderm und Mesoderm, aus denensich sämtliche in der weiteren Entwicklung des → Embryos entstehendenStrukturen ableiten

Keimzellen Geschlechtszellen eines Organismus, z.B. Eizelle, Samenzelle (→ Game-ten)

Kerngenom die → DNA des → Zellkerns

Kryokonservierung Verfahren zur Konservierung von befruchteten Eizellen im → Vorkernsta-dium bzw. von → Embryonen (in Deutschland nur in Ausnahmefällen zuläs-sig), aber auch von Eizellen, Spermien, Hodengewebe, Eierstockgewebe,Spermatogonien, Stammzellen etc. Die Kryokonservierung erfolgt durchAbkühlen unter Zusatz von speziellen Gefrier- und Nährlösungen. Danachkönnen die Zellen oder Gewebe bei – 196°C in speziellen Tanks, die mitStickstoff gefüllt sind, über längere Zeiträume gelagert werden.

künstliche Befruchtung → In-vitro-Fertilisation

letal zum Tode führend, tödlich

Malignom bösartiges Geschwulst

maligne bösartig, ungünstig

Marker hier: in der der → DNA feststellbare → Nukleotidsequenz, die meist zusam-men mit Genveränderungen vererbt wird. Mit der Vererbung des feststell-baren Markers wird daher auch die Vererbung eines speziellen genetischenDefektes angenommen und kann damit indirekt zu dessen Nachweis dienen(→ indirekter Gentest)

Monitoring Dauerbeobachtung eines bestimmten Systems

monogen von monogen vererbten Krankheitsursachen spricht man, wenn eine Er-krankung auf Veränderungen eines → Gens zurückzuführen ist (→ polygen,→ multifaktoriell)

Morbus haemolyticus Blutgruppenunverträglichkeit im Rhesus-System zwischen Mutter und un-geborenem bzw. neugeborenem Kind. Diese Unverträglichkeit wirkt sich gewöhnlich erst beim zweiten Kind aus und führt zu verstärkter Neugebo-renengelbsucht, Blutarmut, eventuell mit gefährlichen bis tödlichen Kom-plikationen.

Morula embryonales Entwicklungsstadium, in dem die einzelnen → Blastomerennicht mehr erkennbar sind, sondern als geschlossener Zellverband erschei-nen

Mosaik hier: Nebeneinander von mindestens zwei genetisch unterschiedlichen Zell-linien in einem Individuum; Mosaike entstehen nach der → Zygotenbildungdurch → Gen-, → Genom- oder Chromosomenmutationen (→ Chromoso-men; → Mutation)

Mukoviszidose → Zystische Fibrose

multifaktoriell von multifaktoriell vererbten Krankheitsursachen spricht man, wenn eineErkrankung auf das Zusammenwirken mehrerer Faktoren zurückzuführenist (→ monogen, → polygen)

Muskeldystrophie Typ Duchenne häufige, geschlechtsgebundene Erbkrankheit, für die ein defektes → Genauf dem X-Chromosom (→ Chromosom) ursächlich ist und die in der Regelnur bei Jungen auftritt. Der Verlauf der nicht therapierbaren Erkrankung istschwer. Sie geht mit zunehmender Muskelschwäche, mit Muskelschwundund einer stark verkürzten Lebenserwartung einher.

Mutation spontane oder durch Umwelteinflüsse hervorgerufene oder durch Eingriffgezielt herbeigeführte Veränderung der → DNA-Sequenz

mutagen DNA-verändernd (→ DNA, → Mutation)

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249 – Drucksache 14/9020

Nackenfalte die Messung der Nackenfaltendicke eines → Embryos unter → Ultraschallermöglicht die Früherkennung eines möglichen → Down-Syndrom-Risikos.Eine Nackenfalten-Dicke über 3mm ist eng mit einem erhöhten Risiko fürTrisomie 21 assoziiert und hat meist eine invasive pränatale Diagnostik zurFolge.

neonatal das Neugeborene betreffend

Neuralrohr Das Neuralrohr ist eine Struktur in der → Embryonalentwicklung, die schonin der zweiten bis dritten Schwangerschaftswoche entsteht. Aus dieserStruktur entwickeln sich das zentrale und das periphere Nervensystem desKindes. Neuralrohr-Defekte sind beispielsweise → Spina bifida, → Hydro-zephalus u. a.

Nidation Einnistung der → Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut, beim Men-schen ca. am zwölften Tag nach der Empfängnis abgeschlossen

Nukleotid einzelner → DNA-Baustein, bestehend aus einer der vier Basen (Adenin,Cytosin, Guanin, Thymin), einem Phosphorsäurerest und einem Zuckermo-lekül

Nukleotidsequenz Reihenfolge der → Nukleotiden in der → DNA

Oocyte Eizelle

Orphan drugs wörtlich: „Waisenkinder“ unter den Arzneimitteln; Orphan drugs dienen zurBehandlung von Krankheiten, die so selten auftreten, dass Arzneimittelher-steller nicht bereit sind, diese unter normalen Marktbedingungen zu ent-wickeln

Ovar Eierstock

Ovulation Eisprung; das etwa 12-14 Tage nach Beginn einer Menstruation erfolgendePlatzen eines → Follikels im Eierstock, bei dem ein befruchtungsfähiges Eifrei und in der Regel vom Eileiter aufgenommen wird (→ Superovulation)

pathogen Krankheiten erregend bzw. verursachend

Penetranz die Penetranz gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Genveränderungin einer Population zur Ausprägung eines Krankheitsphänotyps führt

perinatal die Zeit kurz vor, während und kurz nach der Geburt betreffend

Phänotyp äußere Ausprägung eines Merkmals, das durch die Wechselwirkung zwi-schen der genetischen Information (→ Genotyp) und Umwelteinflüssen ent-steht

Pharmakogenetik Beschreibung genetisch bedingter Faktoren als Ursache individueller Un-terschiede in der Reaktion von Patientinnen und Patienten auf die Gabe vonArzneimitteln. Im Unterschied zur → Pharmakogenomik, die die Gesamt-heit aller unterschiedlichen Abfolgen in den → Genen umfasst, bezieht sichdie Pharmakogenetik nur auf bestimmte pharmakologisch interessante Gene

Pharmakogenomik → Pharmakogenetik

Phenylketunorie seltene erbliche Stoffwechselerkrankung, bei der ein Gendefekt den voll-ständigen Abbau der Aminosäure Phenylalanin verhindert, was zu schwerengeistigen Entwicklungsstörungen führen kann. Die Entwicklung der Symp-tome kann durch eine spezielle Diät verhindert werden

Plazenta zum überwiegenden Teil aus fetalem und zum kleineren Teil aus mütterli-chen Zellen bestehender „Mutterkuchen“, der die Ernährung des Feten(Austausch von Stoffwechselprodukten und Gasen) und die Produktion vonverschiedenen Hormonen übernimmt; wird nach der Geburt ausgestoßen(Nachgeburt)

Pluripotenz Entwicklungspotenzial einer Zelle oder eines Gewebes, sich unter geeigne-ten Bedingungen in mehr als einen Zell- oder Gewebetyp differenzieren zukönnen (→ Totipotenz)

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Drucksache 14/9020 – 250 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Polkörper im Verlauf der Eireifung werden bei zwei Teilungen zwei Polkörper abge-schnürt. Bei der Eizelle kommt es kurz vor dem Eisprung zu einer erstenasymmetrischen Reifeteilung. In deren Folge entsteht neben der reifen Ei-zelle der erste sog. Polkörper, der, obwohl in der → Nukleotidsequenz ver-schieden, mit identischem → Chromosomensatz ausgestattet ist. Nachdemein Spermium die Eizelle befruchtet hat, macht die Eizelle noch vor demVerschmelzen von weiblichem und männlichem Vorkern eine zweite Reife-teilung durch. Dabei wird der → haploide weibliche Kern erst verdoppelt,dann teilt er sich und eine Hälfte wird als zweiter, mit der Eizelle genetischidentischer Polkörper zwischen eigentlicher Eizelle und Eihülle abgelegt.

Polkörperdiagnostik diagnostisches Verfahren, bei dem die noch nicht befruchtete Eizelle bzw.deren → Polkörper im sog. → Vorkernstadium untersucht wird

polygen von polygen vererbten Krankheitsursachen spricht man, wenn eine Erkran-kung auf Veränderungen bzw. das Zusammenspiel von Veränderungen meh-rerer → Gene zurückzuführen ist, die nicht einzeln voneinander abgrenzbarsind (→ monogen, → multifaktoriell)

Polymerase chain reaction (PCR) molekulargenetisches Verfahren zur Vervielfältigung definierter → DNA-Abschnitte (deutsch: Polymerase Kettenreaktion)

Polymorphismus von einem genetischen Polymorphismus spricht man, wenn man in einerPopulation mindestens zwei verschiedene → Allele an einem Genort findet

postmortal nach dem Tod auftretend

prädiktiv eine Voraussage enthaltend

Prädisposition hier: erblich vorgegebene Veranlagung zur Ausprägung bestimmter Merk-male

Präimplantationsdiagnostik (PID) nach einer → In-vitro-Fertilisation und vor einer möglichen Implantation indie Gebärmutter einer Frau erfolgende, gezielte genetische Diagnostik aneinzelnen → embryonalen Zellen (→ Embryo)

präkonzeptionell vor der Befruchtung

pränatal vorgeburtlich

präsymptomatisch Zustand vor dem Auftreten eines bestimmten Symptoms; genetische Unter-suchungen werden als präsymptomatisch bezeichnet, wenn sie mit dem Zieldurchgeführt werden, genetische Strukturen zu identifizieren, die Aussagenüber die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Erkrankung oder Behinderungzulassen

Prävalenz Häufigkeitsrate einer bestimmten Krankheit oder eines bestimmten Merk-mals zu einem gegebenen Zeitpunkt bzw. einer bestimmten Zeitperiode

Pronukleusstadium → Vorkern

prospektiv vorausschauend, voraussichtlich; als „prospektiv“ bezeichnet man die Me-thode der Datenerfassung unmittelbar im Anschluss an das jeweilige Ereig-nis, d.h. alle Daten werden ohne Rücksicht auf die weitere Entwicklung derBehandlung sofort in die Datenbank eingespeist. Dagegen werden die Da-tensätze bei einer „retrospektiven“ Datenerfassung erst dann in die Datenbankeingespeist, wenn die Behandlungsergebnisse vorliegen. Dadurch bestehtgrundsätzlich die Gefahr der Datenselektion und damit der Beeinflussung derStatistik

Protein Eiweiß

Pseudonymisierung bei der Pseudonymisierung werden die unmittelbar eine Person identifizie-renden Daten durch eine für das Einzelvorhaben zu bildende Zuordnungs-vorschrift derart verändert, dass das so gebildete Pseudonym nur mit Kennt-nis dieser Zuordnungsvorschrift wieder einer natürlichen Person zugeordnetwerden kann. (→ Anonymisierung)

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251 – Drucksache 14/9020

Referenzgenom das Referenz- oder Basisgenom beschreibt die gemeinsame genetische Aus-stattung der Menschen und ermöglicht einen Vergleich mit dem Genom an-derer Organismen

Reliabilität Zuverlässigkeit eines Forschungsresultats, eines Messinstruments oder ei-ner Studie

retrospektiv → prospektiv

rezessiv Merkmale die sich, im Unterschied zu → dominant vererbten Merkmalen,nur dann phänotypisch ausprägen, wenn das Merkmal von beiden Elterntei-len vererbt wurde (→ Allele)

RNA Ribonukleinsäure (engl.: Ribonucleic Acid); Botensubstanz, die die Erb-information der → DNA aus dem Zellkern in das Zytoplasma der Zelle transportiert

Screening hier: genetische Reihenuntersuchung, bei der eine spezifische Bevölke-rungsgruppe (oder auch eine Gesamtbevölkerung) auf bestimmte genetischeMerkmale untersucht wird

Sequenzierung Bestimmung der Abfolge der Bausteine der → DNA

Single Nucleotide Polymorphism (SNP) häufigste genetische Variation, bei der ein einzelner → DNA-Baustein (ein→ Nukleotid) verändert ist

somatisch den Körper betreffend

spätmanifestierend spätmanifestierend nennt man eine genetisch bedingte Erkrankung, wenndiese erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben eines Menschen phänoty-pisch (→ Phänotyp) offenbar wird, zum Beispiel → Huntington-Krankheit

Spina bifida „offener Rücken“ aufgrund einer Neuralrohrverschlussstörung, die häufigschwere Behinderungen wie zum Beispiel schwerste Lähmungen und Ent-zündungen zur Folge haben kann. Die genaue Ursache ist noch nicht be-kannt. Durch frühzeitige ausreichende Versorgung mit Folsäure bei Schwan-geren kann das Risiko einer Fehlbildung verringert werden (→ Neuralrohr)

Sterilität Unfruchtbarkeit der Frau bzw. Zeugungsunfähigkeit des Mannes

Superovulation durch die Gabe von Hormonpräparaten künstlich bewirktes gleichzeitigesHeranreifen mehrerer Eizellen in den Eierstöcken einer Frau (→ Ovulation)(insbesondere im Zusammenhang mit einer → In-vitro-Fertilistaion)

Suszeptibilität Empfindlichkeit bzw. Empfänglichkeit eines Organismus gegenüber be-stimmten Stoffen

teratogen Fehlbildungen bewirkend

therapeutisches Klonen Verfahren der künstlichen Mehrlingsbildung, das auf die → In-vitro-Phasebeschränkt bleibt und insbesondere zur Gewinnung genetisch identischenZell- oder Gewebeersatzes eingesetzt werden könnte

Totipotenz die Begriffe Totipotenz und → Pluripotenz werden in der naturwissen-schaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet: In der klassischen Embryo-logie wird die Totipotenz einer Zelle als die Fähigkeit verstanden, sich zu ei-nem ganzen Individuum zu entwickeln. Pluripotente Zellen dagegen könnensich im Sinne der klassischen Embryologie zu zahlreichen Typen von Zel-len, Geweben oder Organen entwickeln, jedoch nicht zu einem ganzen In-dividuum. In der Forschung an embryonalen → Stammzellen der Maus wirdunter Totipotenz die Fähigkeit verstanden, sich nach der Injektion in fremde→ Blastozysten an der Bildung aller Gewebe einschließlich der Keimbahnzu beteiligen. Andere Definitionen von Totipotenz umfassen die Fähigkeiteiner Zelle, sich in alle drei embryonalen → Keimblätter oder in alle Zell-typen eines Organismus zu differenzieren.

Im Embryonenschutzgesetz (§ 8 EschG) wird Totipotenz als Fähigkeit zurGanzheitsbildung definiert.

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Drucksache 14/9020 – 252 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Triple-Test Methode der → pränatalen Diagnostik, bei der mütterliches Blut auf dreiverschiedene → Proteine untersucht wird, die vom Fetus stammen. Aus de-ren Konzentration wird vermittels eines Computerprogramms, welches wei-tere Variablen berücksichtigt (mütterliches Alter, Schwangerschaftsdaueretc.), ein individuelles Risiko für einen kindlichen → Chromosomenfehlererrechnet. Der Test ist kein Diagnoseinstrument, sondern dient lediglich derRisikospezifizierung.

Ultraschall hier: bildgebendes Verfahren der → pränatalen Diagnostik; mit Ultraschall-Untersuchungen ist es möglich, die Gebärmutter, die Fruchtwassermengeund die → Plazenta sichtbar zu machen, und somit das genaue Schwanger-schaftsalter, die Anzahl der Feten bzw. deren körperliche Entwicklung fest-zustellen sowie verschiedene Hinweise auf mögliche Entwicklungsstörun-gen zu identifizieren

Validität das Maß der Gültigkeit eines Forschungsresultats, eines Messinstrumentsoder einer Studie

Vorkernstadium Zustand von Eizellen, bei denen nach Eindringen des Spermiums die Be-fruchtung begonnen hat, aber noch keine Verschmelzung der Kerne von Ei-und Samenzelle erfolgt ist

Zellkern Bestandteil der Zelle, der die → Chromosomen enthält

Zygote befruchtete Eizelle als Produkt der Verschmelzung der Zellkerne von Ei-und Samenzelle, Ausgangszelle der embryonalen Entwicklung (→ Embryo)

Zystische Fibrose Mukoviszidose; häufigste → autosomal → rezessiv vererbte, bislang un-heilbare Stoffwechselstörung, die meist schon im Kindesalter durch zuneh-mende Verschleimung der Atem- und Verdauungswege zu schweren Kom-plikationen führt und mit einer stark eingeschränkten Lebenserwartung fürdie Betroffenen verbunden ist

Zytogenetische Untersuchung Untersuchung zur Abklärung der Zahl und der Struktur der → Chromoso-men (→ genetische Untersuchungen)

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253 – Drucksache 14/9020

5 Abkürzungsverzeichnis

ADA American Disabilities Act

AMG Arzneimittelgesetz

AöR Archiv des öffentlichen Rechts

BÄK Bundesärztekammer

BÄK-RL Richtlinien der Bundesärztekammer

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt

BGH Bundesgerichtshof

BGHSt Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BMG Bundesministerium für Gesundheit

BSG Bundessozialgericht

BSGE Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts

BT-Drs. Bundestagsdrucksache

BVerfG Bundesverfassungsgericht

BVerfGE Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts

BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

CDBI Comité Directeur pour la Bioéthique (Lenkungsausschuss für Bioethik des Europarates)

DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft

DIMDI Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information

DIR Deutsches IVF-Register

DNA Desoxyribonucleic Acid

DÖV Die Öffentliche Verwaltung - Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik

DVBl. Deutsches Verwaltungblatt

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EKAH Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich

ESchG Embryonenschutzgesetz

ESHRE European Society for Human Reproduction and Embryology

EU / EG Europäische Union / Europäische Gemeinschaft

FDA US Food and Drug Administration

GfH Gesellschaft für Humangenetik e.V.

GG Grundgesetz

GKV Gesetzliche Krankenversichung

GTG Gentechnikgesetz

HFEA Human Fertilisation and Embryology Authority

HLA-Merkmale Human Leukocyte Antigens-Merkmale

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253 – Drucksache 14/9020

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Drucksache 14/9020 – 254 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

HTA Health Technology Assessment

INSERM Institut national de la santé et de la recherche médicale

KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung

KOV-Anpassungsgesetz Gesetz über die zwanzigste Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungs-gesetz 1991

KVLG Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte

LG Landgericht

LSG Landessozialgericht

MPG Medizinproduktegesetz

NEK-CNE Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin – Commission nationaled’éthique pour la médecine humaine

NJW Neue Juristische Wochenschrift

OLG Oberlandesgericht

PKV Private Krankenkassen

RL Richtlinie

RNA Ribonucleic Acid

RSA Risikostrukturausgleich

RVO Reichsversicherungsordnung

SGB Sozialgesetzbuch

SMER Statens Medicins-Etiska Råd

SNP Single Nucleotide Polymorphisms

StGB Strafgesetzbuch

StPO Strafprozessordnung

TAB Büro für Technikfolgen-Abschätzung

TA-Monitoring Technikfolgen-Abschätzung-Monitoring

UNO United Nations Organization

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

VGH Verwaltungsgerichtshof

WHO World Health Organization

ZEKO Zentrale Ethikkommission

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 255 – Drucksache 14/9020

6 Zusammensetzung der Enquete-Kommission

Fraktion Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder

SPD Abgeordnete: Helga Kühn-Mengel Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. Carola Reimann Eckhart Lewering Margot v. Renesse René Röspel

Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) (ab Febr. 2001)

Dr. Wolfgang Wodarg Horst Schmidbauer (bis Febr. 2001) Regina Schmidt-Zadel Dr. Margrit Wetzel

Sachverständige: PD Dr. Kathrin Braun Prof. Dr. Barbara Duden (bis Sept. 2000) Prof. Dr. Linus Geisler Dr. Sigrid Graumann Dr. Ingrid Schneider (ab Okt. 2000) Prof. Dr. Klaus Tanner

CDU/CSU Abgeordnete: Dr. Sabine Bergmann-Pohl

(von Okt. 2000 bis Febr. 2001 stellv. Mitgl.) Ilse Falk Dr. Hans-Georg Faust (bis Okt. 2000)

Hubert Hüppe Werner Lensing Dr. Gerhard Scheu

Claudia Nolte (bis Febr. 2001 ord. Mitgl.) Prof. Dr. Erika Schuchardt Matthäus Strebl

Sachverständige: Rainer Beckmann Dr. Otmar Kloiber (ab Mai 2001) Prof. Dr. Therese Neuer-Miebach Prof. Dr. Johannes Reiter PD Dr. Stefan Winter (bis März 2001)

BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Abgeordnete: Ulrike Höfken Volker Beck (Köln)

Monika Knoche Hans-Josef Fell

Sachverständige: Prof. Dr. Theresia Degener, LL.M. (bis Sept. 2001) Ulrike Riedel (ab Sept. 2001) Dr. Michael Wunder

FDPAbgeordnete: Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Detlef Parr

Sachverständiger: Prof. Dr. Ludger Honnefelder

PDS Abgeordnete: Dr. Ilja Seifert Prof. Dr. Heinrich Fink (ab Juli 2000)

Angela Marquardt (bis Juli 2000) Sachverständiger: Prof. Dr. Ernst Luther

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Drucksache 14/9020 – 256 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

7 Kommissionssekretariat

Leiterin des Sekretariats

Cornelia Beek (ab 1. Juni 2001)Gabriele Schmidt (bis 31. Mai 2001)

Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen

Dr. Johann S. AchDr. Ingo HärtelKlaus Nawarotzky (stellv. Leiter des Sekretariats)Arnd Pollmann (ab 14. Januar 2002)Dr. Christina de Wit (bis 31. Dezember 2001)Matthias Wolfschmidt

Büroleiterin

Sabine Holthusen (bis 4. Februar 2001)Verena Quiel (ab 5. Februar 2001)

In unterschiedlichen Funktionen haben zeitweise mitgearbeitet:

Harko Benkert Brigitta Biell Claudia Bolz Falko BredeMonika Ehresmann Martina FranzenSilke KarasAchim KockerolsSusanne LietzSabine Schmidt Ayfer YanardönerAnja Zernecke

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 257 – Drucksache 14/9020

8. Übersicht über die öffentlichen Anhörungen

5. Kommissionssitzung am 3. Juli 2000

Öffentliche Anhörung von Sachverständ i-gen zur EU-Richtlinie (98/44/EG) über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen und zu ihrer Umsetzung in nationales Recht

Geladene Sachverständige

Dr. Friedrich Baumbach Patentanwalt

Marc Fierstra Rechtsberater für Europäisches Recht im niederländischen Außenministerium in Den Haag

Prof. Dr. Christian Koenig Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Universität Bonn

Dr. Hans-Georg Landfermann Präsident des Deutschen Patent- und Markenamtes

Dr. Lutz van Raden Richter am Bundespatentgericht

Dr. Christian A. Stein Leiter der Patent- und Lizenzagentur im Deutschen Humangenomprojekt

Prof. Dr. Joseph Straus Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent -, Urheber- und Wettbewerbsrecht

Dr. Christoph Then Greenpeace

Dr. Terje Vigen Stellv. Generalsekretär der Norwegian Medical Association

9. Kommissionssitzung am 16. Oktober 2000

Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Folgen der genetischen Diagnostik“

1. Themenblock Stand der Technik und der Fo rschung

2. Themenblock Historische Bewertung der techni-schen Entwicklung und gesellschaftl i-chen Diskussion der genetischen Dia-gnostik

3. Themenblock Rechtsvergleich im Hinblick auf R e-gelungen zu den Bereichen Daten-schutz und Diskriminierungsschutz

Geladene Sachverständige

Zu 1: Prof. Dr. Klaus Zerres Direktor des Instituts für Humangenetik, Universität RWTH Aachen

Zu 2: Dr. Dirk Lanzerath Leiter der wissenschaftlichen Abteilung und stellv. Geschäftsführer des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften, Bonn

Prof. Dr. Hilary Rose Visiting Research Professor of Sociology, London

Zu 3: Dr. Aart Hendriks Secretary of the Program on Health Law Evaluation, Health Research Council of the Netherlands, Den Haag Prof. Dr. Stefano Rodotà Garante per la Protezione dei Dati Personali, Rom

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Drucksache 14/9020 – 258 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

4. Themenblock Entsolidarisierung durch Recht auf Wissen?

5. Themenblock Perspektiven der Gendiagnostik

Zu 4: Ute Schnur Berlin

Brigitte Faber Weibernetz e.V. Bundesnetzwerk von Frauen, Lesben und Mädchen mit Beeinträchtigung, Kassel

Stephan Kruip Markt Indersdorf, Mukoviszidose e.V.

Erika Benderoth Huntington-Hilfe, Berlin

Zu 5: Dr. Thomas Uhlemann Abteilung für Medizin-Soziologie I, Universitäts - Krankenhaus Eppendorf, Universität Hamburg

Dr. Michel Haas Bundesministerium für soz iale Sicherheit und Generationen, Wien

Karl Panzer Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft

Helmfried Meinel Verbraucherzentrale NRW, Düsseldorf

11. Kommissionssitzung am 13. November 2000

Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema Präimplantationsdiagnostik

1. Themenblock Medizinisch-natur-wissenschaftliche Aspekte

2. Themenblock Ethische und gesellschaftliche Fragestellungen

Geladene Sachverständige

Zu 1: Prof. Dr. Klaus Diedrich Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Universität zu Lübeck

Dr. Wolfram Henn Institut für Humangenetik, Universität des Saarlandes, Homburg/Saar

Prof. Dr. Hans-Werner Denker Institut für Anatomie, Universitätsklinikum Essen

Dr. Frank Ulrich Montgomery Bundesvorsitzender des Marburger Bundes

Zu 2: Dr. Giselind Berg Institut für Ökologie und Biologie, Technische Universität Berlin

Dr. Hille Haker Katholische Theologie/Theologische Ethik, Universität Tübingen

Prof. Dr. Claudia Wiesemann Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universität Göttingen

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 259 – Drucksache 14/9020

3. Themenblock Regulierungsvorschläge

Karl Finke Behindertenbeauftragter des Landes Niedersachsen

Dr. Hildburg Wegener Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik

Zu 3: Prof. Dr. Joachim Renzikowski Juristische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Prof. Dr. Karl-Friedrich Sewing Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, Hannover

Prof. Dr. Friedhelm Hufen Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Prof. Dr. Dietmar Mieth Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen

Dr. Elke H. Mildenberger Institut für Kriminalwissenschaften, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

25. Kommissionssitzung am 19. November 2001

Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Europäischer Diskurs zu ethischen Fragen der modernen Medizin“

Geladene SachverständigeProf. Alexander McCall Smith Stellv. Vorsitzender der Human Genetics Commission (GB)

Prof. Dr. Ruud ter Meulen Institut für Gesundheitsethik, Universität Maastricht (NL)

Prof. Dr. Linda Nielsen Ehemalige Vorsitzende des Dänischen Ethikrates (DK)

MUDr. Dagmar Pohunková Mitglied der Zentralen Ethikkommission beim Ministerium für Gesundheitswese n der Tschechischen Republik (CZ)

Prof. Didier Sicard Präsident des Comité consultatif national d´éthique pour les sciences de la vie et de la santé, CCNE (F)

Dr. Jerzy Umiastowski Präsident der Ärztlichen Ethikkommission des Obersten Ärztlichen Rates der Polnischen Ärztekammer (PL)

Prof. Michel Vallotton Präsident der Zentralen Ethikkommission bei der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (CH)

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Drucksache 14/9020 – 260 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

9 Übersicht über die nichtöffentlichen Anhörungen von Sachverständigen in den Themengruppen

TG 1 12.2.2001 Expertengespräch zu verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit PID Experte: Privatdozent Dr. jur. Ralf Röger, Lehrstuhl für Allgemeine Staatslehre, Staats - und Verwaltungsrecht, Universität zu Köln

TG 1 26.3.2001 IVF-Register Experte: Prof. Dr. Ricardo Felberbaum, Institut für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Universität Lübeck

Psychosoziale Aspekte ungewollter Kinderlosigkeit Expertin: Prof. Dr. Christina Hölzle, Fachhochschule Münster Fachbereich Sozialwesen

TG 1 18.6.2001 Pränataldiagnostik – Erfahrungen mit Indikationsentwicklung und Beratung, mögliche Konsequenzen für neuartige vorgeburtliche diagnostische Verfahren Expertinnen: Dr. med. Astrid Bühren, Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes, Dr. med. Claudia Schumann, niedergelassene Frauenärztin, 1.Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) Ruth Althoff-Epting, Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Konferenz für Familien - und Lebensberatung (EKFuL)

TG 2 23.10.2000 Klinische Praxis, Einwilligungsfähigkeit, Wartelistenproblematik, Logistik, Stammzellforschung als alternative Quelle für Organersatz Experte: Prof. Dr. Günter Kirste, Leiter der Sektion Transplantationschirurgie, Chirurgisc he Universitätsklinik Freiburg Kritik an der Praxis der Transplantationsmedizin aus der Sicht der Kardiologie/Therapie ohne Transplantation Experte: Priv.Doz. Dr. Wolfgang von Scheidt, Klinikum Großhadern, München

Ethisch und rechtlich relevante Problemfelder in den Bereichen der Regelungspraxis, Wartelistenproblematik und Logistik der Transplantationsmedizin (inklusive Lebendspende) Experte: Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, Direktor des Juristischen Seminars, Universität Göttingen

TG 2 6.11.2000 Ethisch und rechtlich relevante Problemfelder in den Bereichen der Regelungspraxis, Wartelistenproblematik und Logistik der Transplantationsmedizin (inklusive Lebendspende) Experte: Prof. Dr. Wolfram Höfling, Institut für Staatsrecht, Universität zu Köln

Kritik am Prinzip Organersatz Experte: Prof. Dr. Klaus-Peter Jörns, Berg

Eine Patientenperspektive Expertin: Renate Greinert, Wolfsburg

TG 2 23.4.2001 Wissenschaftlich-technischer Sachstand und therapeutische Möglichkeiten der Stammzell - forschung Expertin: Priv.-Doz. Dr. Anna M. Wobus, Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzen -forschung Leibniz-Institut, Gatersleben Experte: Priv.-Doz. Dr. Oliver Brüstle, Institut für Neuropathologie, Universität Bonn

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 261 – Drucksache 14/9020

TG 2 23.4.2001 Rechtliche Regelung der Stammzellforschung in europäischen Ländern, den USA und Japan sowie durch internationale Organisationen und Problematik des Imports von Stamm- zelllinien nach Deutschland

Experte: Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum, Vizepräsident DFG und Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

TG 3 4.12.2000 Genetische Diagnostik und Arbeitsmedizin

Experte: Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Juristische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Expertin: Eva Zinke, IG-Metall-Vorstand, Abt. Sozialpolitik

TG 3 12.2.2001 „Pharmakogenetik / good clinical practice“

Experten: Prof. Dr. Michel Eichelbaum, Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie, Stuttgart

Prof. Dr. Holger Baumgartner, Geschäftsstelle der Ethikkommission, LKI Innsbruck

TG 3 5.3.2001 Gespräch mit Sachverständigen: Humangenetische Beratung / Qualitätskontrolle der Beratung

Expertinnen: Prof. Dr. Irmgard Nippert, Institut für Humangenetik, Universität Münster

Dr. Angela Brand, Bielefeld

Dipl. Soz.-Päd. Ebba Kirchner-Asbrock, Cara e.V., Bremen

Experte: Prof. Dr. Gerhard Wolff, Institut für Humangenetik und Anthropologie, AG Klinische Genetik und Genetische Beratung, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

TG 3 26.3.2001 Expertengespräch „Genetisches Screening“

Experte: Prof. Dr. Jörg Schmidtke, Institut für Humangenetik, Medizinische Hochschule Hannover

10 Übersicht über Dialog- und Diskussionsveranstaltungen

Veranstaltung Thema

Dialogveranstaltung11. Dezember 2000 in Bielefeld -Bethel

„Wie sollte moderne Medizin aussehen?“ „Nichteinwilligungsfähigkeit und medizinische Forschung“

Diskussionsveranstaltung26. März 2001 in Berlin

„Umgang mit genetischen Daten“

Dialogveranstaltung2. Juli 2001 in Jena

„Das Arzt-Patient-Verhältnis in der modernen Medizin“

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Drucksache 14/9020 – 262 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

11 Übersicht über Gutachten

Thema des Gutachtens Gutachterin/Gutachter

Ansätze für eine Stärkung der Patientenrechte im deutschen Recht – Bestandsaufnahme und Handlungsperspektiven

Prof. Dr. Gerfried Fischer Prof. Dr. Winfried Kluth Prof. Dr. Hans Lilie (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und „humanbiologisches Material“

Prof. Dr. Wolfram Höfling (Universität zu Köln)

Folgen der Anwendung genetischer Diagnostik für behinderte Menschen

Dr. Gregor Wolbring (Universität Calgary, Kanada)

Der verfassungsrechtliche Status des Embryos in vitro Prof. Dr. Ute Sacksofsky M.P.A. (Harvard) (Universität Frankfurt am Main)

Aspekte des Wandels des Verständnisses von Gesundheit/Krankheit/Behinderung al s Folge der modernen Medizin

Prof. Dr. Barbara Duden (Universität Hannover) Beate Zimmermann (praktische Ärztin)

Internationaler Überblick zu Verfahren der Entscheidungsfindung bei ethischem Dissens (politikwissenschaftliche Perspektive)

Dr. Bernhard Gill Dr. Marion Dreyer (Ludwig-Maximilian-Universität München)

Internationaler Überblick zu Verfahren der Entscheidungsfindung bei ethischem Dissens (normative Perspektive)

Dr. Michael Fuchs (Institut für Wissenschaft und Ethik, Bonn)

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 263 – Drucksache 14/9020

12 Übersicht über Pressemitteilungen

Datum Titel/Thema

10. Oktober 2000 Öffentliche Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik“ am 16. Oktober 2000 in Berlin

30. Oktober 2000 Online-Konferenz im Internet „Folgen der genetischen Diagnostik“ am 6. November 2000 in Berlin

7. November 2000 Öffentliche Anhörung „Präimplantationsdiagnostik“ am 13. November 2000 in Berlin

14. Februar 2001 Online-Diskussionsforum im Internet „Zur Frage der Präimplantationsdiagnostik“

13. März 2001 Präimplantationsdiagnostik mit dem Embryonenschutzgesetz unvereinbar

16. März 2001 Öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema „Umgang mit genetischen Daten“ am 26. März 2001

10. Mai 2001 Pressegespräch aus Anlass des einjährigen Bestehens der Enquete-Kommission am 14. Mai 2001

2. Juli 2001 Öffentliche Dialogveranstaltung „Das Arzt-Patient-Verhältnis in der modernen Medizin“am 2. Juli 2001 in Jena

13. September 2001 Delegation reist vom 17. – 22. September 2001 zu Gesprächen nach Großbritannien und Island

13. November 2001 Enquete-Kommission hält zwei Wege für die Regelung des Imports embryonaler Stammzellen für möglich

14. November 2001 Öffentliche Anhörung mit internationaler Beteiligung zu ethischen Fragen der modernen Medizin am 19. November 2001 in Berlin

15. November 2001 Online-Forum zur Forschung an embryonalen Stammzellen

27. November 2001 Kommissionsbericht zur Stammzellforschung an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse übergeben

1. März 2002 Mehrheit für Verbot von PID – Minderheit hält PID in Einzelfällen für vertretbar

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13 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des Zwischenberichts derEnquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ –Teilbericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums in derBiotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157)

A. Auftrag und Durchführung der Arbeit der Enquete-Kommission

B. Zur Patentierung von biotechnologischen Erfindungen in der gegenwärtigen Praxis

I. Praxis der Patierung von biotechnologischen Erfindungen

II. Die EU-Biopatentrichtlinie

III. Ergebnisse der öffentlichen Anhörung am 3. Juli 2000

C. Stellungnahme der Enquete-Kommission zur nationalen Umsetzung derEU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen

I. Eckpunkte für die Regelung der Biopatentierung

II. Die öffentliche Auseinandersetzung um die Biopatentierung

III. Grundsätzliche Probleme der Biopatentierung

IV: Schlussempfehlung

D. Minderheitsvotum

Drucksache 14/9020 – 264 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 265 – Drucksache 14/9020

14 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des zweiten Zwischenberichtsder Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernenMedizin“ – Teilbericht Stammzellforschung(Bundestagsdrucksache 14/7546)

0 Einleitung

1 Sachstand1.1 Wissenschaftlicher Stand1.1.1 Historische Entwicklung, Methodenentwicklung (Gewinnung, Vermehrung

und Differenzierung von Stammzellen) 1.1.1.1 Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) aus IVF-Embryonen1.1.1.2 Zellkerntransfer zur Gewinnung embryonaler Stammzellen (ES-Zellen)1.1.1.3 Embryonale Keimzellen (EG-Zellen) aus Schwangerschaftsabbrüchen1.1.1.4 Neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut1.1.1.5 Adulte Stammzellen (AS-Zellen) 1.1.1.6 Totipotenz/Pluripotenz1.1.2 Anwendung und Inanspruchnahme1.1.2.1 Therapeutische Anwendung1.1.2.2 ES-Zellen der Maus1.1.3 Erwartete zukünftige Entwicklungen1.1.3.1 Stammzellen in der Grundlagenforschung1.1.3.2 Zell- und Gewebeersatz1.1.3.3 Organersatz1.1.3.4 Gentherapie1.1.3.5 Toxizitätsprüfung und Entwicklung von Pharmaka1.1.4 (Medizinisch-technische) Alternativen1.2 Rechtliche Regelungen (national/international) 1.2.1 International gültige Regelungen zur Forschung an Embryonen und humanen

embryonalen Stammzellen1.2.1.1 UNESCO, Vereinte Nationen und WHO1.2.1.2 Europarat1.2.1.3 Europäische Union1.2.2 Übersicht über rechtliche Regelungen in ausgewählten Staaten1.2.3 Rechtliche Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland zur Stammzellfor-

schung1.2.3.1 Embryonenschutzgesetz (ESchG)1.2.3.2 Geltungsbereich des Embryonenschutzgesetzes1.2.3.3 Andere gesetzliche Regelungen für die Stammzellforschung

2 Allgemeine ethische und rechtliche Probleme der Stammzellforschung2.1 Schutzwürdigkeit des Embryos2.1.1 Zur ethischen Beurteilung2.1.2 Die Ziele der Forschung an humanen Stammzellen2.1.2.1 Hochrangige Ziele der Stammzellforschung2.1.2.2 Zur Bewertung dieser Ziele2.1.2.3 Nicht vertretbare Ziele der Stammzellforschung: Reproduktives Klonen und

Keimbahnintervention2.1.3 Die bei der Forschung an humanen Stammzellen eingesetzten Mittel2.1.4 Der moralische Status des menschlichen Embryos: Zwei Grundpositionen

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2.1.4.1 Position I: Dem menschlichen Embryo kommt von Beginn, d. h. von abge-schlossener Befruchtung an der Schutz der menschlichen Würde zu

2.1.4.2 Position II: Dem menschlichen Embryo kommt in abgestufter WeiseSchutzwürdigkeit zu

2.1.4.3 Feministische und beziehungsethische Perspektiven2.1.5 Der moralische Status des menschlichen Embryos: Übereinstimmung und Dif-

ferenz2.1.5.1 Übereinstimmungen2.1.5.2 Differenzen2.1.6 Die Frage nach der dem Grundgesetz zugrunde liegenden Beurteilung des mo-

ralischen Status des menschlichen Embryos2.2 Recht auf Therapie aus verfassungsrechtlicher Sicht2.3 Informed consent aus verfassungsrechtlicher Sicht2.4 Qualitätssicherung und Monitoring

3 Embryonale Stammzellen (ES-Zellen)3.1 Ethische und rechtliche Probleme3.1.1 Gewinnung von ES-Zelllinien3.1.1.1 Problematik von eigens zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen in

vitro hergestellten Embryonen3.1.1.2 Problematik der Gewinnung aus so genannten „überzähligen“ Embryonen3.1.1.3 Problematik des „therapeutischen“ Klonens3.1.2 Forschung an importierten ES-Zellen3.1.2.1 Rechtliche Situation hinsichtlich der Forschung an importierten ES-Zellen3.1.2.2 Ethische Beurteilung der Forschung an importierten ES-Zellen3.1.2.3 Bedenken zur bestehenden Rechtssituation3.1.2.4 Möglichkeiten zur Auflösung des Widerspruches zwischen der ethischen Be-

wertung einerseits und der rechtlichen Situation in Deutschland andererseits3.2 Regelungsoptionen und Empfehlungen3.2.1 Regelungsoptionen und Empfehlungen für die Gewinnung und Nutzung em-

bryonaler Stammzellen aus sog. „überzähligen“ Embryonen3.2.2 Regelungsoptionen und Empfehlungen zum „therapeutischen“ Klonen3.2.3 Regelungsoptionen und Empfehlungen zur Forschung an importierten ES-Zel-

len

4 Embryonale Keimzellen (EG-Zellen)4.1 Ethische und rechtliche Probleme4.1.1 Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch4.1.2 Informed consent4.1.3 Auswirkungen auf die soziale Situation von Frauen4.2 Regelungsoptionen und Empfehlungen

5 Neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut5.1 Ethische und rechtliche Probleme5.1.1 Eigentumsrecht/Verfügungsrecht5.1.2 Informed consent5.1.3 Reprogrammierung zur Totipotenz5.1.4 Ökonomische Aspekte5.2 Regelungsoptionen und Empfehlungen

6 Adulte Stammzellen (AS-Zellen)6.1 Ethische und rechtliche Probleme

Drucksache 14/9020 – 266 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 267 – Drucksache 14/9020

6.1.1 Informed consent bei der Verwendung von AS-Zellen6.1.2 AS-Zellen als postmortale Gewebespende6.1.3 Reprogrammierung zur Totipotenz6.2 Regelungsoptionen und Empfehlungen

7 Anhang I: Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten von Stammzellen

8 Anhang II: Übersicht über rechtliche Regelungen in ausgewählten Staa-ten

8.1 Australien8.2 Israel8.3 Japan8.4 Kanada8.5 Vereinigte Staaten von Amerika (USA)8.6 Frankreich8.7 Großbritannien8.8 Norwegen8.9 Österreich8.10 Russische Föderation8.11 Schweiz8.12 Spanien8.13 Deutschland

9 Literaturverzeichnis

10 Glossar

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Drucksache 14/9020 – 268 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

15 Ausführliches Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

A Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

B Ethische und rechtliche Orientierungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 Menschenwürde/Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.1 Zur Begriffsgeschichte und Begründung der Menschenwürde . . . . 9

1.2 Menschenwürde als Begriff des internationalen Rechts . . . . . . . . . . 11

1.3 Menschenwürde als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.4 Inhaltliche Momente der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.4.1 Für wen gilt der Menschenwürdeschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Exkurs: Ethische Kriterien im Umgang mit menschlichen Embryo-nen in vitro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.4.2 Was beinhaltet der Menschenwürdeschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1.4.3 Das Verhältnis der Menschenwürdegarantie zu anderen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Individual- und sozialethische Orientierungspunkte . . . . . . . . . 19

2.1 Moralische Überzeugungen und ethische Kriterien als Grundlagen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.2 Konsensfähige moralische Überzeugungen und ethische Kriterien in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.2.1 In Bezug auf das Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.2.1.1 Moralische Grundüberzeugungen und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 19

2.2.1.2 Medizinethische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.2.1.3 Forschungsethische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.2.2 In Bezug auf das soziale Miteinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.2.2.1 Sozialethik als Institutionenethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.2.2.2 Sozialethik als Strukturenethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.2.2.3 Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.2.2.4 Freiheit und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.2.2.5 Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.2.2.6 Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.2.2.7 Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2.3 Recht und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 269 – Drucksache 14/9020

C Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1 Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.2 In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . 27

1.2.1 Eingrenzung des Themas für die Beratungen der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.2.2 Assistierte Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

1.2.2.1 Historische Entwicklung der assistierten Reproduktion . . . . . . . . . 28

1.2.2.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291.2.2.2.1 Reproduktionsmedizin und Fruchtbarkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . 291.2.2.2.2 Assistierte Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

1.2.3 Die In-vitro-Fertilisations-Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.2.3.1 Die einzelnen Schritte im In-vitro-Fertilisation-Behandlungszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.2.3.1.1 Hormonelle Stimulation der Frau zur multiplen Eizellreifung und Auslösung des Eisprungs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.2.3.1.2 Gewinnung von Eizellen und Spermien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311.2.3.1.3 Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321.2.3.1.4 Embryokultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321.2.3.1.5 Übertragung von Embryonen (Embryotransfer) . . . . . . . . . . . . . . . . 331.2.3.1.6 Kontrolluntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

1.2.3.2 Kryokonservierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

1.2.3.3 Zur Problematik der Eizellspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

1.2.3.4 Medizinische Ursachen und Diagnostik von Fruchtbarkeitsstörun-gen sowie verschiedene reproduktionsmedizinische Behandlungs-möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1.2.3.4.1 Medizinische Diagnostik weiblicher Fruchtbarkeitsstörungen . . . . 371.2.3.4.2 Medizinische Diagnostik männlicher Fruchtbarkeitsstörungen . . . . 381.2.3.4.3 Verfahren bei Störungen der weiblichen Fortpflanzungsfähigkeit . . . 381.2.3.4.3.1 Chirurgische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381.2.3.4.3.2 Eizellspende und Leihmutterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381.2.3.4.4 Verfahren bei Störungen der männlichen Fortpflanzungsfähigkeit . . . 38

1.2.3.5 Medizinische Risiken der In-vitro-Fertilisations-Behandlung . . . . . 391.2.3.5.1 Risiken für die Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.2.3.5.1.1 Risiken durch die hormonelle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.2.3.5.1.2 Risiken bei der Eizellentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.2.3.5.1.3 Risiken während der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.2.3.5.2 Risiken für die Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

1.2.3.6 Die Entwicklung der Indikationen für die In-vitro-Fertilisation und ihre Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

1.2.4 Assistierte Reproduktion in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

1.2.4.1 Übersicht über assistierte Reproduktion in Europa und den USA . . . 421.2.4.1.1 Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Seite

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Drucksache 14/9020 – 270 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1.2.4.1.2 USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

1.2.4.2 Assistierte Reproduktion in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441.2.4.2.1 Institutionelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441.2.4.2.2 Rechtliche Regelungen für Zugang, Inanspruchnahme und Kosten-

übernahme assistierter Reproduktionstechnologien . . . . . . . . . . . . 461.2.4.2.2.1 Gesetzliche Anforderungen an den Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461.2.4.2.2.2 Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte

und Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481.2.4.2.2.3 Anforderungen an erstattungsfähige Beratungsleistungen . . . . . . . 481.2.4.2.2.4 Berufsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491.2.4.2.2.4.1 Zur Geschichte der Richtlinien zur Durchführung von

In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer der Bundesärztekammer 491.2.4.2.2.4.2 Einige Kritikpunkte an der aktuellen Richtlinie zur Durchführung

von In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer der Bundesärzte-kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

1.2.4.2.3 Zugang und Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

1.2.4.2.3.1 Sonderfall Intrazytoplasmatische Spermieninjektion . . . . . . . . . . . . 511.2.4.2.3.2 Die bundesweite, prospektive, multizentrische, kontrollierte Studie

zur Untersuchung der nach Intrazytoplasmatischer Spermien-injektion geborenen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

1.2.4.2.4 Dokumentation und Qualitätssicherung der assistierten Reproduk-tion in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

1.2.4.2.4.1 Das Deutsche IVF-Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531.2.4.2.4.2 Die Dokumentation von Erfolgen und Risiken der assistierten

Reproduktion im Deutschen In-vitro-Fertilisations-Register . . . . . 541.2.4.2.4.3 Was ist der Erfolg der assistierten Reproduktion – und wie häufig

tritt er ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551.2.4.2.4.4 Die Baby-take-home-Rate und der Beitrag von assistierten Repro-

duktionstechnologien zur Kinderwunscherfüllung . . . . . . . . . . . . . . 56

1.2.5 Zu Ausmaß und Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit . . . . . . . 57

1.2.5.1 Ausmaß und Ursachen von Kinderlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

1.2.5.2 Erfüllung oder Bewältigung des Kinderwunsches? Zur Nachfragenach assistierter Fortpflanzung und psychosozialer Beratung . . . . . 59

1.2.6 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

1.2.6.1 Die Entwicklung der assistierten Fortpflanzung zu einer„Reproduktionsgenetik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

1.2.6.1.1 Die vier Zugriffsebenen der Reproduktionsgenetik auf die menschliche Fortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

1.2.6.1.2 Präimplantationsdiagnostik als Teil der Reproduktionsgenetik . . . . 62

1.2.6.2 Notwendigkeit der Dokumentation der assistierten Reproduktionnach gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

1.2.6.3 Erfolgskriterium Baby-take-home-Rate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

1.2.6.4 Beurteilung der medizinischen Risiken reproduktionstechnischerEingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

1.2.6.5 Beratung bei ungewollter Kinderlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

1.2.7 Empfehlungen und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 271 – Drucksache 14/9020

1.2.7.1 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641.2.7.1.1 Gesetzliche Regelung der assistierten Reproduktion

(„Fortpflanzungsmedizingesetz“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641.2.7.1.2 Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651.2.7.1.3 Diskurs mit Bürgerinnen und Bürgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

1.2.7.2 Offene Fragen, bei denen weiterer Beratungs-, Klärungs- und gegebenenfalls Handlungsbedarf besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

1.3 Erfahrungen mit pränataler genetischer Diagnostik im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . 67

1.3.1 Eingrenzung des Themas für die Beratungen der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

1.3.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

1.3.2.1 Pränatale genetische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

1.3.2.2 Diagnostische Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681.3.2.2.1 Nichtinvasive Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681.3.2.2.2 Invasive Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

1.3.3 Die Entwicklung der pränatalen genetischen Diagnostik . . . . . . . . . 69

1.3.3.1 Die Etablierung der Versorgungs- und Prozessstrukturen . . . . . . . . 701.3.3.1.1 Das DFG-Schwerpunktprogramm „Pränatale Diagnostik

genetisch bedingter Defekte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701.3.3.1.2 Die Aufnahme der Pränataldiagnostik in den Leistungskatalog

der gesetzlichen Krankenkasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701.3.3.1.3 Die Reform der §§ 218ff. Strafgesetzbuch von 1976 . . . . . . . . . . . . 711.3.3.1.4 Der Auf- und Ausbau humangenetischer Beratungsstellen

durch die Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

1.3.3.2 Konzeptionelle Erwägungen bei der Einführung der Pränataldiagnostik und deren Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 72

1.3.3.3 Die Ausweitung der Indikationen für pränatale Diagnostik . . . . . . . 72

1.3.3.4 Weitere Faktoren für die Entwicklung der Pränataldiagnostik hin zueinem Routineverfahren zur Abklärung genetischer Risiken für alleSchwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

1.3.3.4.1 Das Urteil des Bundesgerichtshofes zur ärztlichen Haftung von 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

1.3.3.4.2 Die Vergütung der Pränataldiagnostik durch die gesetzlicheKrankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

1.3.3.4.2.1 Die Mutterschafts-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741.3.3.4.2.2 Der Mutterpass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761.3.3.4.3 Die Empfehlungen der Bundesärztekammer von 1987 . . . . . . . . . . 771.3.3.4.4 Gesteigerte Nachfrage durch Schwangere:

Die „psychologische Indikation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771.3.3.4.5 Erweitertes Angebot – induzierte Nachfrage: Ultraschall,

Triple-Test und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771.3.3.4.6 Die „Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und

Krankheitsdispositionen“ der Bundesärztekammer von 1998 . . . . . . 79

1.3.3.5 Kind als Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

1.3.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

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Drucksache 14/9020 – 272 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1.3.5 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

1.4 Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

1.4.1 Sachstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

1.4.1.1 Beschreibung der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841.4.1.1.1 Embryobiopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851.4.1.1.2 Einzelzelldiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851.4.1.1.3 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861.4.1.1.4 Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 881.4.1.1.5 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891.4.1.1.6 Totipotenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

1.4.1.2 Rechtliche Regelungen national/international . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

1.4.2 Diskussionstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

1.4.2.1 Ethische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951.4.2.1.1 Embryonenschutz und individuelle Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951.4.2.1.1.1 Interessen und Rechte der betroffenen Paare/Frauen . . . . . . . . . . . . 951.4.2.1.1.2 Interessen und Rechte der gezeugten Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961.4.2.1.1.3 Schutzwürdigkeit des Embryos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971.4.2.1.1.4 Wertungswiderspruch zwischen Präimplatationsdiagnostik und

Pränataldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981.4.2.1.2 Gesellschaftliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981.4.2.1.2.1 Möglichkeiten der Indikationsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981.4.2.1.2.2 Ärztlicher Behandlungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991.4.2.1.2.3 „Fortpflanzungstourismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001.4.2.1.2.4 Entscheidungsfreiheit und neue soziale Zwänge . . . . . . . . . . . . . . . 1001.4.2.1.2.5 Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen

mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001.4.2.1.2.6 Positive Eugenik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011.4.2.1.2.7 Wegbereitung für Embryonenforschung und Keimbahntherapie . . . 101

1.4.2.2 Juristische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011.4.2.2.1 Die Rechtslage nach dem Embryonenschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . 1011.4.2.2.2 Wertungswiderspruch zwischen den Normen des

Embryonenschutzgesetzes und anderen rechtlichen Regelungen . . . 1021.4.2.2.3 Verfassungsrechtliche Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

1.4.3 Regelungs- und Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

1.4.4 Regelungsoptionen und -vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

1.4.4.1 Gesetzliches Verbot der Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . 104

1.4.4.2 Gesetzliche Zulassung der Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . 105

1.4.5 Bewertungen und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

1.4.5.1 Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061.4.5.1.1 Interessen, Wünsche und Rechte der Paare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061.4.5.1.2 Schutzwürdigkeit des Embryos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061.4.5.1.2.1 Zur Frage des Lebensschutzes des Embryos in vitro . . . . . . . . . . . . 1061.4.5.1.2.2 Zur Frage des Würdeschutzes des Embryos in vitro . . . . . . . . . . . . 106

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 273 – Drucksache 14/9020

1.4.5.1.3 Indikationsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071.4.5.1.4 Ärztlicher Behandlungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071.4.5.1.5 Gesellschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

1.4.5.2 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

1.4.5.2.1 Votum A der Minderheit der Enquete-Kommission zur einge-schränkten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . 107

1.4.5.2.2 Votum B der Mehrheit der Enquete-Kommission zur Ablehnung derPräimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

2 Genetische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2.1 Sachstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2.1.1 Wissenschaftlicher Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

2.1.1.1 Historische Entwicklung, Methodenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 1152.1.1.1.1 Begriffserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152.1.1.1.2 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

2.1.1.2 Anwendung und Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1162.1.1.2.1 Individuelle Gentests zu diagnostischen und prädiktiven Zwecken . 1182.1.1.2.1.1 Zytogenetische und molekulargenetische Testmethoden . . . . . . . . . 1182.1.1.2.1.2 Diagnostische versus prädiktive Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1202.1.1.2.1.3 Pränatale Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1222.1.1.2.2 Genetische Reihenuntersuchungen (Screening) . . . . . . . . . . . . . . . . 1242.1.1.2.3 Pharmakogenetische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

2.1.1.3 Erwartete zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1282.1.1.3.1 Ausweitung der Testpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1282.1.1.3.2 Schere zwischen Diagnosemöglichkeiten und Therapieoptionen . . 1292.1.1.3.3 DNA-Chip-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

2.1.2 Rechtliche Regelungen (national/international) . . . . . . . . . . . . . . . . 130

2.2 Diskussionsstand und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

2.2.1 Allgemeine Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

2.2.1.1 Besonderheiten genetischer Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

2.2.1.2 Recht auf Wissen und Recht auf Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

2.2.1.3 Prinzip der Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

2.2.1.4 Schutz vor Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

2.2.1.5 Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

2.2.2 Spezifische Anwendungsfelder und Problembereiche . . . . . . . . . . . 137

2.2.2.1 Genetische Diagnostik und Arbeitsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1372.2.2.1.1 Arbeitsmedizinische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1372.2.2.1.2 Einsatz genetischer Untersuchungen in der Arbeitsmedizin . . . . . . 1372.2.2.1.3 Rechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1382.2.2.1.4 Untersuchungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1392.2.2.1.4.1 Molekulargenetische Untersuchungen auf Veranlassung

von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

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Drucksache 14/9020 – 274 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2.2.2.1.4.2 Molekulargenetische Untersuchungen auf Veranlassung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

2.2.2.1.4.3 Molekulargenetische Untersuchungen zum Schutz Dritter . . . . . . . 1402.2.2.1.5 Entwicklungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1412.2.2.1.6 Grundlegende Schutzziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1412.2.2.1.6.1 Prinzip der Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1412.2.2.1.6.2 Objektiver Arbeitsschutz versus Arbeitnehmerauslese . . . . . . . . . . . 1412.2.2.1.6.3 Diskriminierungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1412.2.2.1.6.4 Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

2.2.2.2 Genetische Diagnostik und Versicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1432.2.2.2.1 Gentests und Risikoprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1432.2.2.2.2 Einsatz genanalytischer Verfahren im Versicherungsbereich . . . . . . 1432.2.2.2.3 Rechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1442.2.2.2.4 Entwicklungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1462.2.2.2.5 Folgen einer verbreiteten Nutzung von Gentests im

Versicherungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1472.2.2.2.5.1 Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Recht

auf Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1472.2.2.2.5.2 Genetische Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1482.2.2.2.5.3 Auswirkungen auf die Testpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1482.2.2.2.5.4 Auswirkungen auf die Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1492.2.2.2.5.5 Gefahr der Antiselektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1492.2.2.2.5.6 Aktuarische versus moralische Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1492.2.2.2.6 Regelungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

2.2.2.3 Forschung mit humangenetischem Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

2.2.2.4 Gentests an einwillungsunfähigen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

2.2.2.5 Genetische Reihenuntersuchungen (Screening) . . . . . . . . . . . . . . . . 1542.2.2.5.1 Chancen und Risiken genetischer Reihenuntersuchungen . . . . . . . . 1542.2.2.5.2 Einschränkung auf Tests, die medizinischen Zwecken dienen . . . . . 1542.2.2.5.3 Aufklärung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1552.2.2.5.4 Heterozygotenscreening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

2.2.2.6 Pharmakogenetische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1562.2.2.6.1 Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1572.2.2.6.2 Freiwilligkeit und informed consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1572.2.2.6.3 Daten- und Persönlichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1582.2.2.6.4 Stigmatisierung und Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1582.2.2.6.5 Verteilungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

2.3 Regelungsbedarf, Regelungsmöglichkeiten und Regelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

2.3.1 Regelungs- und Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

2.3.2 Regelungsmöglichkeiten und Instrumente zur sozialen Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

2.3.2.1 Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1602.3.2.1.1 Zulassung neuer genetischer Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 275 – Drucksache 14/9020

2.3.2.1.2 Qualitätssicherung bei der Durchführung, Interpretation und Befundmitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

2.3.2.2 Bindung an medizinische Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

2.3.2.3 Arztvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1632.3.2.3.1 Allgemeiner und beschränkter Arztvorbehalt, Facharztvorbehalt . . . 1642.3.2.3.2 Argumente für und wider einen Arztvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1642.3.2.3.3 Regelungsvorschläge der Enquete-Kommission zum Arztvorbehalt 1652.3.2.3.4 Arztvorbehalt und pränatale genetische Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

2.3.2.4 Information, Aufklärung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1662.3.2.4.1 Information, Aufklärung und informed consent . . . . . . . . . . . . . . . . 1672.3.2.4.2 Humangenetische Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1682.3.2.4.3 Psychosoziale Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1682.3.2.4.4 Zusammenhang von Information, Aufklärung und Beratung und

Testinanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1682.3.2.4.5 Fehlende Kapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1692.3.2.4.6 Qualität von Information, Aufklärung und Beratung . . . . . . . . . . . . 1702.3.2.4.7 Wer soll Information, Aufklärung und/oder Beratung durchführen?

Erforderliche Qualifikationen und institutionelle Strukturen . . . . . . 1722.3.2.4.8 Qualitätskontrolle von Information, Aufklärung und Beratung . . . . 1722.3.2.4.9 Pflichtberatung versus Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1732.3.2.4.10 Gesellschaftlicher Informations- und Aufklärungsbedarf . . . . . . . . 173

2.3.3 Gendiagnostik-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

2.3.4 Gendiagnostik-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

2.4 Bewertungen und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

D Diskurs und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

1 Demokratische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

2 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

E Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1 Regelungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.1 Allokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.1.1 Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.1.2 Menschenbild und Gesundheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

1.1.3 Technologiefolgenabschätzung/Technologiebewertung . . . . . . . . . . 190

1.1.4 Strukturen des Gesundheitssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

1.1.5 Zusammenfassende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

1.2 Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen . . . . . . . . . . . . 192

1.2.1 Zulässigkeitsvoraussetzungen medizinischer Forschung . . . . . . . . 192

1.2.2 Offene Fragen im Bereich der Informationsgestaltung . . . . . . . . . . 192

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Drucksache 14/9020 – 276 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1.2.3 Offene Fragen bei der Nutzen-Risiko-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . 192

1.2.4 Zulässigkeit medizinischer Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

1.2.4.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

1.2.4.2 Heilversuch und klinischer Versuch an nichteinwilligungsfähigen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

1.2.4.3 Fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen . 194

1.2.4.4 Regelung des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates von 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

1.2.4.4.1 Kontroverse Diskussion der Zulässigkeit fremdnütziger Forschungan nichteinwilligungsfähigen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

1.2.5 Arzneimittelrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

1.2.6 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

1.3 Sterbebegleitung und Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

1.3.1 Fragen der Sterbebegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

1.3.1.1 Verbesserung der Sterbebegleitung in den Krankenhäusern und Heimen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

1.3.1.2 Ausbau der Palliativmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

1.3.1.3 Verbesserung der ambulanten Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

1.3.1.4 Verbesserung der Zusammenarbeit der Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . 197

1.3.1.5 Erweiterung der familiären und ehrenamtlichen Hilfen . . . . . . . . . . 197

1.3.1.6 Weiterer Ausbau der Hospizarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

1.3.2 Fragen der Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

1.3.2.1 Rechtliche Situation und ethische Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

1.3.2.2 Grundsätze der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

1.3.2.3 Patientenverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

1.3.2.4 Bericht des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

1.3.3 Schlussfolgerungen/Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

1.4 Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

2 Querschnittsthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

2.1 Arzt-Patient-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

F Allgemeine Empfehlungen zur Weiterführung der Ethikdebatte 205

1 Arbeitsweise und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

1.1 Begleitung von Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren . . . . . 205

1.2 Abstimmungs- und Darstellungsverfahren bei kontroversen Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

2 Dialog mit der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

3 Struktur der Ethikdebatte in Deutschland und im Ausland . . . . 206

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 277 – Drucksache 14/9020

G Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1 Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1.1 Sondervotum der Kommissionsmitglieder Rainer Beckmann, Prof.Dr. Ludger Honnefelder, Hubert Hüppe, Dr. Otmar Kloiber, WernerLensing, Prof. Dr. Johannes Reiter und Dr. Gerhard Scheu zu B1 Menschenwürde/Menschenrechte, letzter Satz . . . . . . . . . . . . . . 209

1.2 Sondervotum des Kommissionsmitglieds Werner Lensing zu C 1.4.5.2 Empfehlungen im Abschnitt Präimplantationsdiagnostik . 209

1.3 Sondervotum des Kommissionsmitglieds Monika Knoche zum Ge-samtbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der moder-nen Medizin“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

2 Beiträge einzelner Kommissionsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

2.1 Prof. Dr. Linus Geisler: Arzt-Patient-Beziehung im Wandel – Stärkung des dialogischen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

2.2 Prof. Dr. Ernst Luther/Dr. Ilja Seifert: Gesellschaftliche Wahrnehmung von Gesundheit/Krankheit/Behinderung . . . . . . . . . 220

3 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

4 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

5 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

6 Zusammensetzung der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . 255

7 Kommissionssekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

8 Übersicht über die öffentlichen Anhörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 257

9 Übersicht über die nichtöffentlichen Anhörungen von Sachver-ständigen in den Themengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

10 Übersicht über Dialog- und Diskussionsveranstaltungen . . . . . . 261

11 Übersicht über Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

12 Übersicht über Pressemitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

13 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des Zwischenberichts der En-quete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ –Teilbericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums inder Biotechnologie (Bundestagsdrucksache 14/5157) . . . . . . . . . . 264

14 Ausführliches Inhaltsverzeichnis des zweiten Zwischenberichtsder Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Me-dizin“ – Teilbericht Stammzellforschung (Bundestagsdrucksa-che 14/7546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

15 Ausführliches Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

16 Verzeichnis der Tabellen und Grafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

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Drucksache 14/9020 – 278 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

16 Verzeichnis der Tabellen und Grafiken

Tabellen

Tabelle 1 Die Etablierung der extrakorporalen Befruchtung . . . . . . . . . . . . 28Tabelle 2 Klinische Schwangerschaftsraten in Abhängigkeit vom Alter der

Frauen und der Anzahl der übertragenen Embryonen . . . . . . . . . . 40Tabelle 3 IVF-Datensysteme in 21 europäischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . 42Tabelle 4 Institutionelle Entwicklung der IVF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Tabelle 5 Anzahl der Behandlungen (IVF/GIFT/KRYO/ICSI) laut DIR . . . 45Tabelle 6 Erfolgsraten von IVF und psychologischer Beratung . . . . . . . . . . 57Tabelle 7 Motivation und Einstellung zu psychologischer Beratung

und medizinischer Behandlung (Angaben in %) . . . . . . . . . . . . . 60Tabelle 8 Wichtige Ereignisse für Etablierung und Ausbreitung

der PND in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 70Tabelle 9 Anwendung der invasiven PND in der Bundesrepublik

Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Tabelle 10 Verordnungszahlen ausgewählter Leistungen im Bereich der

pränatalen Diagnostik. Ziffer 112: Amniozentese. Verordnungendurch GKV-Vertragsärzte von 1990 bis 1998, alte (West) und neue (Ost) Bundesländer, Primär- und Ersatzkassen . . . . . . . . . . 75

Tabelle 11 Abrechenbare Leistungen im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik (EBM 1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

Tabelle 12 In Europa und den USA derzeit für PID geltende Regelungen . . . 92Tabelle 13 Daten aus der historischen Entwicklung der Molekularbiologie

und genetischer Test- und Screening-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 117Tabelle 14 Humangenetische Leistungen in Westdeutschland

(ab 1995 inkl. Ost-Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Tabelle 15 Häufige monogene Störungen (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122Tabelle 16 Häufige multifaktoriell bedingte Störungen (Auswahl) . . . . . . . . 123Tabelle 17 Typen und Verfahren von Screening-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 125Tabelle 18 Heterozygotentests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Tabelle 19 Aufstellung von Krankheitsbildern und Gentests, die von der ABI

als für Versicherungszwecke relevant empfohlen werden . . . . . . 146Tabelle 20 Einführung genetischer Testverfahren (nach Nippert) . . . . . . . . . 161Tabelle 21 Durch geregelte Weiterbildung humangenetisch

qualifizierte Ärztinnen und Ärzte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 169Tabelle 22 Übersicht zur Entstehungsgeschichte nationaler Ethikräte

außerhalb Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181Tabelle 23 Ethikkommissionen und -räte auf nationaler Ebene

in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182Tabelle 24 Praxisbeispiele von Bürgerdialogen zu biomedizinischen Themen

nach Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 279 – Drucksache 14/9020

Grafiken

Grafik 1 Der Befruchtungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Grafik 2 Reproduktionsmedizin 1982–1999/Anzahl der Behandlungen . . . 46Grafik 3 Behandlungen und Ergebnisse der assistierten Reproduktion in

Deutschland im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Grafik 4 Ergebnisse der Anwendung von PID in 25 Zentren weltweit

1994–2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Grafik 5 Zahl der Einträge in „Mendelian Inheritance in Man“

(McKusick-Katalog) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118Grafik 6 Typen medizinischer Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120Grafik 7 Pharmakogenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

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