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74 der markt 2004/2 Heribert Gierl Die Aufschrift „neu“ als Qualitätssignal Abstract In diesem Beitrag wird untersucht, welchen Effekt die Aufschrift „neu“ bei häufig gekauften Konsum- gütern auf die Qualitätswahrnehmung der Konsu- menten auslöst. Dieses Signal zählt zu den am häu- figsten eingesetzten Werbeargumenten, allerdings ist über seine Wirkung noch wenig bekannt. Zunächst wird theoretisch begründet, warum das Attribut „neu“ als ein Qualitätssignal wirken könnte. Anschließend werden Bedingungen formuliert, unter denen das Signal wirksam sein könnte. In zwei empirischen Studien wird sodann der Effekt dieses Signals über- prüft, um Empfehlungen geben zu können, wann dieses Signal verwendet werden sollte. Die Folge- rung aus der vorliegenden Studie lautet, dass das Signal „neu“ bei etablierten Produkten verwendet werden kann, wenn „neu“ mit einem Argument ver- knüpft wird, welches grundsätzlich objektiv prüfbar ist und den Konsumenten einen höheren Produkt- nutzen verspricht. Keywords: Qualitätssignal, Werbung mit „neu“, Cue-Utilization-Theory 1. Problemstellung Die Aussage „neu“ zählt zu den am häufigsten ein- gesetzten Werbeversprechen für häufig gekaufte Konsumgüter. Auf vielen Verpackungen und in vie- len Werbeanzeigen findet sich gut sichtbar der gra- fisch oft auffällig gestaltete Aufdruck bzw. die Be- merkung, dass an dem betreffenden Produkt, selbst wenn es bereits seit vielen Jahren auf dem Markt angeboten wird, etwas „neu“ ist. Dabei wird diese Aussage zuweilen um die Aussage ergänzt, worin das Neue besteht, zum Beispiel bei Tafelschokola- den „neu: mit Edelmarzipan“, „neu: mit Mandeln ver- feinert“, „neu: mit frisch gerösteten ganzen Hasel- nüssen“, „neu, jetzt edel verfeinert“ oder „neu - ver- besserte Rezeptur“. Die Anbieter gehen offensicht- lich unkritisch davon aus, dass das Wort „neu“ auf die Nachfrager aktivierend wirkt, das heißt die Auf- merksamkeit für das Produkt steigert, und positive Konnotationen hervorruft, so dass sich über einen Transfer dieser Assoziationen auch die Einstellung gegenüber dem Produkt verbessert, wodurch letztlich die Kaufabsicht steigt. Wenn diese Annah- me zutrifft, wäre es aus ökonomischen Gründen sogar sinnvoll, permanent mit „neu“ zu werben, da derartige Aufdrucke nicht zwingend zusätzliche Kos- ten für den Anbieter verursachen. Dennoch ist es unklar, ob diese Annahme gültig ist. Denn dem Autor sind keine Studien bekannt, in welchen sie empirisch geprüft worden wäre. In die- ser Studie wird untersucht, ob das Signal „neu“ als Qualitätssignal wirkt, wobei zwei Fälle unterschie- den werden. Der eine hier untersuchte Fall besteht darin, dass das Produkt, das mit dem Attribut „neu“ beworben wird, für die Konsumenten tatsächlich neu ist. Als zweiter Fall wird die Situation betrachtet, dass Konsumenten bei einem etablierten, gut bekannten Produkt die Aufschrift „neu“ wahrnehmen. Das Ziel dieser Studie ist es, Aussagen abzuleiten, unter wel- chen Bedingungen mit „neu“ geworben bzw. wel- Prof. Dr. Heribert Gierl, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing sowie Informationsmanagement und Marktforschung an der Universität Augsburg, Universitätsstr. 16, D-86159 Augsburg. Der Autor dankt Frau Andrea Blasczyk, Frau Zehra Kocoglu und Frau Sylvia Burggraf für die Mitarbeit an dieser Studie. 43. Jahrgang, Nr. 169, Seite 74 - 81 Gierl Qualitätssignal

Die Aufschrift „neu“ als Qualitätssignal

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74 der markt 2004/2

Heribert Gierl

Die Aufschrift „neu“ als Qualitätssignal

Abstract

In diesem Beitrag wird untersucht, welchen Effektdie Aufschrift „neu“ bei häufig gekauften Konsum-gütern auf die Qualitätswahrnehmung der Konsu-menten auslöst. Dieses Signal zählt zu den am häu-figsten eingesetzten Werbeargumenten, allerdings istüber seine Wirkung noch wenig bekannt. Zunächstwird theoretisch begründet, warum das Attribut „neu“als ein Qualitätssignal wirken könnte. Anschließendwerden Bedingungen formuliert, unter denen dasSignal wirksam sein könnte. In zwei empirischenStudien wird sodann der Effekt dieses Signals über-prüft, um Empfehlungen geben zu können, wanndieses Signal verwendet werden sollte. Die Folge-rung aus der vorliegenden Studie lautet, dass dasSignal „neu“ bei etablierten Produkten verwendetwerden kann, wenn „neu“ mit einem Argument ver-knüpft wird, welches grundsätzlich objektiv prüfbarist und den Konsumenten einen höheren Produkt-nutzen verspricht.

Keywords: Qualitätssignal, Werbung mit „neu“,Cue-Utilization-Theory

1. Problemstellung

Die Aussage „neu“ zählt zu den am häufigsten ein-gesetzten Werbeversprechen für häufig gekaufteKonsumgüter. Auf vielen Verpackungen und in vie-len Werbeanzeigen findet sich gut sichtbar der gra-fisch oft auffällig gestaltete Aufdruck bzw. die Be-merkung, dass an dem betreffenden Produkt, selbstwenn es bereits seit vielen Jahren auf dem Marktangeboten wird, etwas „neu“ ist. Dabei wird dieseAussage zuweilen um die Aussage ergänzt, worindas Neue besteht, zum Beispiel bei Tafelschokola-den „neu: mit Edelmarzipan“, „neu: mit Mandeln ver-feinert“, „neu: mit frisch gerösteten ganzen Hasel-nüssen“, „neu, jetzt edel verfeinert“ oder „neu - ver-besserte Rezeptur“. Die Anbieter gehen offensicht-lich unkritisch davon aus, dass das Wort „neu“ aufdie Nachfrager aktivierend wirkt, das heißt die Auf-merksamkeit für das Produkt steigert, und positiveKonnotationen hervorruft, so dass sich über einenTransfer dieser Assoziationen auch die Einstellunggegenüber dem Produkt verbessert, wodurchletztlich die Kaufabsicht steigt. Wenn diese Annah-me zutrifft, wäre es aus ökonomischen Gründensogar sinnvoll, permanent mit „neu“ zu werben, daderartige Aufdrucke nicht zwingend zusätzliche Kos-ten für den Anbieter verursachen.

Dennoch ist es unklar, ob diese Annahme gültigist. Denn dem Autor sind keine Studien bekannt, inwelchen sie empirisch geprüft worden wäre. In die-ser Studie wird untersucht, ob das Signal „neu“ alsQualitätssignal wirkt, wobei zwei Fälle unterschie-den werden. Der eine hier untersuchte Fall bestehtdarin, dass das Produkt, das mit dem Attribut „neu“beworben wird, für die Konsumenten tatsächlich neuist. Als zweiter Fall wird die Situation betrachtet, dassKonsumenten bei einem etablierten, gut bekanntenProdukt die Aufschrift „neu“ wahrnehmen. Das Zieldieser Studie ist es, Aussagen abzuleiten, unter wel-chen Bedingungen mit „neu“ geworben bzw. wel-

Prof. Dr. Heribert Gierl, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mitden Schwerpunkten Marketing sowie Informationsmanagementund Marktforschung an der Universität Augsburg, Universitätsstr.16, D-86159 Augsburg. Der Autor dankt Frau Andrea Blasczyk,Frau Zehra Kocoglu und Frau Sylvia Burggraf für die Mitarbeit andieser Studie.

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cher Neuigkeitsgrad über dieses Signal vermitteltwerden sollte.

2. Theoretische Überlegungen

In diesem Abschnitt wird erörtert, ob die Bezeich-nung „neu“ bei häufig gekauften Konsumgütern alsQualitätssignal wirken könnte. Hierzu ist vorab an-zumerken, dass sich der Begriff Qualität in diesemZusammenhang nicht zwingend auf die objektiveQualität eines Produkts, zum Beispiel auf den Leis-tungsumfang oder die Haltbarkeit des Produkts,bezieht, sondern auch auf subjektiv wichtige Kate-gorien der Zielpersonen. Qualität drückt hier vielmehraus, inwieweit ein Produkt als geeignet angesehenwird, den beabsichtigen Zweck zu erfüllen. Der Kon-sument bemisst Qualität eines Produkts, also seineAttraktivität, durch den Vergleich zwischen seinenProduktanforderungen und den wahrgenommenenProduktmerkmalen. So besteht in diesem SinneQualität von Produkten zuweilen auch in ihrem Pres-tige- oder Unterhaltungswert oder darin, in welchemUmfang sie Abwechslung im Konsum ermöglichen.

In der Marketingforschung besteht Einigkeitdarüber, dass Konsumenten in aller Regel nur weni-ge Informationen nutzen, um die Attraktivität häufiggekaufter Konsumgüter zu bewerten. Dies wird da-mit begründet, dass Konsumenten Informationenüber diese Güter als vergleichsweise unwichtig er-achten, weil auf Grund der hohen Mindeststandards,

die für alle Kaufmöglichkeiten gelten, ein geringesFehlkaufrisiko besteht und die Produkte somit Low-Involvement-Produkte darstellen. Es liegt daher naheanzunehmen, dass Konsumenten zur Bewertung derAttraktivität eines Produkts auf leicht verfügbare,höherwertige Informationen zurückgreifen (Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 280: Schlüsselinformationen),um Präferenzen für eine Wahlmöglichkeit zu entwi-ckeln. Auch Petty/Cacioppo (1986) vertreten dieThese, dass in Low-Involvement-Konstellationen ausSicht der Konsumenten weniger der Inhalt der Kauf-argumente als vielmehr der Tatbestand, dassüberhaupt Kaufargumente für ein konkretes Produktexistieren, für die Kauf einer Alternative sprechen.Ein Qualitätssignal wird als eine höherwertige Infor-mation angesehen, denn es ersetzt mehrere Einzel-informationen, die ein Konsument normalerweise zurProduktbeurteilung heranziehen müsste (Olson/Ja-coby 1972, S. 169). Qualitätssignale werden von denKonsumenten intensiv genutzt, weil es mit ihrer Hil-fe leicht möglich ist, sich ein Urteil über die Attrakti-vität eines Angebotes zu bilden, wenn sie das Pro-dukt anhand der anderen Produktinformationen nichtbeurteilen können oder wollen. Ein Signal ist alsoein Qualitätssignal, wenn Konsumenten vom Signaldirekt auf die Attraktivität des Angebots folgern. Alstypische Qualitätssignale gelten die (angesehene)Marke, der (hohe) Preis, die (lange) Dauer einer Ga-rantie, das (kompetente) Herkunftsland oder das(gute) Warentesturteil. Auch das Signal „neu“ bzw.„neu, weil ...“ könnte möglicherweise als ein solchesQualitätssignal wirken.

Abb. 1: Voraussetzung für die Wirkung eines Signals als Qualitätssignals

Gierl Qualitätssignal

leichte Wahrnehmbarkeitund Verständlichkeit

hoher Sicher-heitswert

hoher Vorher-sagewert

häufiges gemeinsa-mes Auftreten von Signal und Qualität

Kausalitäts-vermutung

Qualitätssignal

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Die Cue-Utilization-Theorie (Cox 1967; Olsen/Ja-coby 1972; Dawar/Parker 1994) erklärt, unter wel-chen Voraussetzungen Konsumenten ein Signal alsQualitätssignal nutzen. Diese Bedingungen sind inAbbildung 1 veranschaulicht, sie werden im Folgen-den allgemein erläutert und am konkreten Signal„neu“ bzw. „neu, weil ...“ diskutiert.

Damit ein Merkmal als ein Qualitätssignal wirkt,muss dieses zunächst einfach wahrnehmbar undverständlich sein.

Weiterhin muss ein Signal, welches als Qualitäts-signal fungiert, einen hohen Sicherheitswert (confi-dence value) aufweisen. Dieser gibt das Ausmaß an,in dem der Empfänger glaubt, das Signal verifizie-ren zu können. Wenn beispielsweise für ein Produktein bestimmter Preis im Einzelhandel verlangt wird,dann besitzt der Konsument Sicherheit, dass er ebendiesen Preis bezahlen muss, falls er das Produkterwerben möchte; der Sicherheitswert des Signals„Preis“ ist also sehr hoch. Wenn er aberbeispielsweise Sportartikel eines deutschen Herstel-lers erwirbt, weiß er nicht, zu welchem Anteil derenWertschöpfung in Deutschland erfolgte; der Sicher-heitswert des Signals „Made in Germany“ ist alsovergleichsweise gering.

Schließlich muss ein Signal auch einen hohen Vor-hersagewert aufweisen, um als Qualitätssignal wir-ken zu können. Der Vorhersagewert (predictive va-lue) eines Signals gibt an, wie sehr der Empfängerüberzeugt ist, vom Vorhandensein des Signals (fallses zu Recht vorhanden ist) auf Qualität folgern zukönnen. Ein derartiger stabiler Zusammenhang be-steht beispielsweise für das Signal „Preis“, von des-sen Höhe Konsumenten auf Produktqualität folgern.Allgemein hängt der Vorhersagewert von zwei Fak-toren ab. Zum einen muss der Empfänger des Sig-nals bislang häufig beobachtet haben, dass das Si-gnal und hohe Qualität zusammen auftreten (Jen-nings et al. 1980; Baumgartner 1995: Covariation-Assessment-Hypothese). Zum anderen muss er an-nehmen, dass die Qualität und das Signal kausalzusammenhängen (Broniarczyk/Alba 1994). Im Falldes Preises als Qualitätssignal wird beispielsweisehäufig argumentiert, dass die Konsumenten von ei-nem hohen Preis auf hohe Herstellkosten folgern,welche sie als kausal für hohe Qualität erachten.

Es ist nun am konkreten Fall zu diskutieren, ob derAufdruck „neu“ auf einer Produktverpackung oderder entsprechende Hinweis in einer Werbeanzeigediese Bedingungen erfüllt.

Die leichte Wahrnehmbarkeit und Verständlichkeitist bei diesem Signal gegeben bzw. sie können durchgeeignete grafische Darstellungen garantiert werden.

Bezogen auf das hier erörterte Signal „neu“ hängtder Sicherheitswert davon ab, ob die Konsumentenzur Überzeugung gelangen, dass das Produkt oderwichtige Elemente des Produkts tatsächlich neu sind.Es ist anzunehmen, dass der Sicherheitswert desSignals „neu“ bei einem den Konsumenten bislangunbekannten Produkt grundsätzlich hoch ist. Siehaben keinen Anlass, an der Wahrheit dieses Sig-nals zu zweifeln, weil sie das Produkt noch nichtkannten. Bei einem etablierten Produkt erscheintdiese Bedingung jedoch nur dann erfüllt, wenngleichzeitig ein grundsätzlich objektiv prüfbarer Hin-weis geliefert wird, was am Produkt neu ist. Dies lässtsich durch informationsökonomische Überlegungenwie folgt begründen. Bei objektiven Aussagen be-steht kein Interpretationsspielraum. Demzufolge istzu erwarten, dass ein Anbieter, der „neu“ mit einemobjektiven Argument verknüpft, keinen Anreiz habensollte, etwas Falsches zu behaupten. Ansonstensetzt er sich – aus Sicht der Konsumenten - demRisiko aus, von Verbraucherschützern, von den Me-dien oder von Wettbewerbern als irreführender An-bieter entlarvt zu werden (Holbrook 1978; Yalch/El-more-Yalch 1984).

Inwieweit Konsumenten vom Signal „neu“ auf hoheQualität folgern und es somit auch einen hohen Vor-hersagewert besitzt, hängt davon ab, ob sie diesenZusammenhang im Rahmen ihrer bisherigen Kon-sumerfahrungen gelernt haben. Im Falle eines bislangunbekannten Produkts kann „neu“ keine hohe Qua-lität signalisieren, denn es ist sehr zweifelhaft, obKonsumenten annehmen, neu in den Markt einge-führte Produkte seien bisherigen Angeboten in allerRegel überlegen. Ein bisher unbekannter koreani-scher Kleinwagen wird nicht deshalb deutschen oderfranzösischen Pkw-Fabrikaten als überlegen ange-sehen, nur weil er „neu“ ist. Für etablierte Produkteerscheint es einerseits plausibel, dass Konsumen-ten vermuten, die Qualität habe sich verbessert,wenn etwas „neu“ ist. Denn der Anbieter kann dieQualität ohne etwas „Neues“ nicht erhöhen.Andererseits dürfte es der Konsumerfahrung vielerKonsumenten entsprechen, dass etwas „Neues“nicht immer gleichbedeutend mit etwas „Besserem“ist. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Konsu-menten hinsichtlich ihrer Bedürfnisse kann der Nut-zen des „Neuen“ subjektiv in Zweifel gezogen wer-den. Es ist daher anzunehmen, dass das Signal „neu“mit einem einleuchtenden Argument verknüpft wer-

Gierl Qualitätssignal

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den muss, damit „neu“ einen hohen Vorhersagewertfür Qualität besitzt.

Diese Überlegungen führen zu zwei Hypothesen,die im Folgenden getestet werden:

H1: Bei einem unbekannten Produkt ist das Signal„neu“ kein Qualitätssignal.

H2: Bei einem etablierten Produkt wirkt das Signal„neu“ nur in Kombination mit einem Argument,welches sowohl grundsätzlich überprüfbar ist alsauch den zusätzlichen Nutzen der Änderung amProdukt für den Konsumenten verständlichmacht, als Qualitätssignal.

3. Empirische Studien

In der ersten Studie diente ein unbekanntes Pro-dukt, Kaiser Sanddorn Bonbons, als Testobjekt.Denn in einem Pretest stellte sich heraus, dass die-se Marke in der Testregion gänzlich unbekannt war.Die Stichprobe bestand aus 60 Mitarbeitern einesZulieferunternehmens für die Automobilindustrie, diezufällig auf zwei Experimentalgruppen aufgeteiltwurde. Eine Gruppe sah die Originalverpackung, dieneben der Abbildung von Sanddorn-Beeren als Auf-druck die Texte „Kaiser seit 1889“, „Fruchtig gefüllt“und „Mit Vitamin C und feiner Fruchtfüllung“ enthielt.Die zweite Gruppe erhielt diese Bonbons aus einerVerpackung, die zusätzlich für die Testzwecke mitdem Aufdruck „neu, verbesserte Rezeptur“ verse-hen war. Die Testteilnehmer beurteilten die Qualitätzweimal, einmal nur nach Anblick der Verpackung

und anschließend nach Verköstigung eines Bonbons.Die zur Operationalisierung der „Qualität des Pro-dukts“ verwendeten vier Statements sind in Tabelle1 aufgeführt. Angegeben ist auch, inwieweit sich die-se Statements zur einem Konstruktwert verdichtenlassen.

Die Faktorenanalysen liefern Faktorladungen über0,5. Die durch einen gemeinsamen Faktor erklärteVarianz ist vergleichsweise hoch, und das Reliabili-tätsmaß Cronbachs Alpha liegt über dem geforder-ten Wert von 0,7. Für die Kenngrößen in der letztenSpalte in Tabelle 1 wurde erst die Differenz zwischender Nachhermessung (nach Verköstigung) und derVorhermessung (vor Verköstigung) der vier Messva-riablen gebildet, welche anschießend der Reliabili-tätsuntersuchung unterzogen wurden. Da alle Kenn-größen (Faktorladungen, erklärte Varianz, CronbachsAlpha) auf die Aggregierbarkeit zu einer Variablenhindeuten, wurde anschließend der arithmetischeMittelwert aus den vier Statements (und zwar vorVerköstigung, nach Verköstigung und als Differenz)berechnet. Auf dieser Grundlage ließen sich die Mit-telwerte für die Produktqualität berechnen. Sie sindin Abbildung 2 zusammengefasst.

Die Studie liefert zwar das Ergebnis, dass die Qua-lität des Produkts nach der Verköstigung als deut-lich besser beurteilt wird als vor der Verköstigungnach dem Kontakt mit der Verpackung (4,42>3,62mit t=3,999 in der Gruppe ohne Zusatzinformationbzw. 4,49>3,68 mit t=4,464 in der Gruppe mit Zu-satzinformation; p<0,1% in beiden Experimental-gruppen). Das Signal „neu“ wirkte sich konform mit

Tab. 1: Operationalisierung der Qualität in Studie 1

Gierl Qualitätssignal

Faktorladungen Welche Aussagen treffen auf die Bonbons zu?1)

vorher2) nachher3) nachher-vorher

attraktives Produkt/unattraktives Produkt 0,818 0,758 0,676 gefallen mir gut/gefallen mir überhaupt nicht 0,873 0,873 0,763 sprechen mich an/sprechen mich überhaupt nicht an 0,793 0,782 0,787 kaufe ich auf jeden Fall/kaufe ich auf keinen Fall 0,774 0,808 0,677 durch einen gemeinsamen Faktor erklärte Varianz 66,4% 65,1% 52,9% Cronbachs Alpha 0,829 0,816 0,701 1) 7-stufige bipolare Skala, positive Werte drücken eine positive Produktbewertung aus. 2) Messung vor Verköstigung nach Kontakt mit der Verpackung 3) Messung nach Verköstigung

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Hypothese H1 aber nicht auf die Qualitätsbeurtei-lung des Produkts aus (3,68 ≈ 3,62 und 4,49 ≈ 4,42).

Die zweite Studie, in der ein etabliertes Produkt(merci Crocant) als Testobjekt diente, wurde gegen-über den Auskunftspersonen als ein Test von in- undausländischen Schokoladespezialitäten ausgege-ben, um sie nicht auf die experimentelle Manipulati-on, die in der Variation des Signals „neu“ bestand,aufmerksam zu machen. Alle Testpersonen beurteil-ten zuerst Giotto als ein typisch italienisches Pro-dukt nach dessen Verköstigung, dann merci Crocantals deutsches Produkt (Hersteller ist die Firma Storck)ebenfalls nach dessen Verköstigung und schließlichMichalki als ein polnisches Schokoladeproduktebenso nach dessen Verköstigung. Auf eine Mes-sung der subjektiven Qualität von merci Crocant vorder Verköstigung wurde verzichtet, da alle Testper-sonen dieses Produkt gut kannten. Auskunftsperso-nen waren Studenten, die in vier Experimentalgrup-pen eingeteilt wurden.

Eine Aufgabe für diese Studie bestand darin, Ar-gumente für das Signal „neu“ zu entwickeln, diegrundsätzlich überprüfbar sind bzw. den zusätzlichenNutzen der Änderung am Produkt für den Konsu-menten verständlich machen. In Pretests wurden

Vorschläge für Formulierungen entwickelt und ge-testet. Das Ergebnis dieser Pretests ist in Tabelle 2aufgeführt.

Als ein Argument, welches gemäß Hypothese H2den Qualitätseindruck erhöhen könnte, wurde dieFormulierung „mit frisch gerösteten Königsmandelnaus Marakesch“ angesehen. Diese Aussage istgrundsätzlich objektiv prüfbar, denn Experten könn-ten feststellen, welche Mandelsorte verarbeitet wor-den ist, und sie liefert ein neues Nutzenversprechen,da Königsmandeln aus Marakesch, zumal frischgeröstet, eine Besonderheit darstellen (dieses Qua-litätsversprechen war allerdings fiktiv). Das Designder Studie und die Stichprobenumfänge sind in Ta-belle 3 veranschaulicht.

Die angegebenen Aufschriften befanden sich soauf der Verpackung und auf den Folien aller einzelnverpackter Schokoladen von merci Crocant, so dassdie Untersuchungsabsicht für die Personen verbor-gen blieb. Das Layout der Aufschriften passte gutzu den Originalverpackungen. Die vier Teilstichpro-ben waren strukturgleich im Hinblick auf das Alterund das Geschlecht der Auskunftspersonen. Fernerwurde durch Eliminierung von Ausreißern in denBeobachtungen sichergestellt, dass die Qualität des

Abb. 2: Ergebnis von Studie 1

Gierl Qualitätssignal

Wahrgenommene Qualität

Verköstigungdes Produkts

1

7

3,68

4,49

3,62

4,42

nein ja nein ja

kein

eZ

usat

zinf

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zuerst beurteilten Produkts Giotto in allen vier Expe-rimentalgruppen im Mittel gleich beurteilt wurde, sodass Veränderungen des Qualitätseindrucks vonmerci Crocant nur mit der experimentellen Manipu-lation erklärt werden können.

Zur Operationalisierung der Qualität dienten fol-gende zwei Statements, denen auf einer 7-stufigenbipolaren Skala zuzustimmen war:

- Nachdem ich es probiert habe, würde ich (Produkt)überhaupt nicht kaufen (1), ... hin und wieder kau-

fen (4), ... sehr häufig kaufen (7).- Nachdem ich es probiert habe, würde ich (Produkt)

überhaupt nicht als Geschenk verwenden (1), ...hin und wieder als Geschenk verwenden (4),... sehrhäufig als Geschenk verwenden (7).

Diese zwei Messvariablen korrelieren mit r=0,645,so dass als Konstruktwert das arithmetische Mittelder beiden Variablen berechnet werden konnte. Ta-belle 4 enthält die Mittelwerte für die Testproduktein den vier Experimentalgruppen. In Abbildung 3 sinddie für diese Studie zentralen Ergebnisse dargestellt.

Tab. 2: Für das Attribut „neu“ in der zweiten Studie getestete Argumente

Tab. 3: Design der zweiten Studie

Gierl Qualitätssignal

objektiv überprüfbar?

deutlicher zusätzlicher Nutzen aufgrund des Neuen?

„Jetzt neu: knusprig-krosser, cremig zart im Geschmack“

nein nein (Argument war bereits das bisherige Qualitäts-

versprechen) „Jetzt neu: edel verfeinert“ nein nein

„Jetzt neu: mit frisch gerösteten Königsmandeln aus Marakesch“

von Experten ja

1. Schritt: Verköstigung von

Giotto →

Qualitätsbewertung

2. Schritt: Verköstigung von merci Crocant

→ Qualitätsbewertung

3. Schritt: Verköstigung von

Michalki →

Qualitätsbewertung

Experimental-gruppe 1 (n=49)

Originalprodukt Giotto

Originalprodukt merci Crocant (d. h. ohne zusätzliche Aufschrift)

Originalprodukt Michalki

Experimental-gruppe 2 (n=53)

Originalprodukt Giotto

merci Crocant mit der Aufschrift „Jetzt neu: knusprig-krosser, cremig zart im Geschmack“

Originalprodukt Michalki

Experimental-gruppe 3 (n=48)

Originalprodukt Giotto

merci Crocant mit der Aufschrift „Jetzt neu: edel verfeinert“

Originalprodukt Michalki

Experimental-gruppe 4 (n=53)

Originalprodukt Giotto

merci Crocant mit der Aufschrift „Jetzt neu: mit frisch gerösteten Königsmandeln aus Marakesch“

Originalprodukt Michalki

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Die angegebenen Mittelwerte verdeutlichen dieStrukturgleichkeit der Experimentalgruppen im Hin-blick auf die Qualitätswahrnehmung von Giotto. Dieunterschiedlichen Ergebnisse für Michalki sind aufPrimingeffekte, die merci Crocant auslöste, zurück-zuführen.

Es wird ersichtlich, dass die Aufschrift auf merciCrocant einen Effekt auf den Qualitätseindruck aus-übte. Allerdings erweist sich lediglich die Aufschrift„neu: mit frisch gerösteten Mandeln aus Marakesch“im einseitigen statistischen Test als geeignet, dieQualitätswahrnehmung zu erhöhen (4,311>3,939;

Tab. 4: Ergebnis von Studie 2

Qualität des Produkts zusätzliche Aufschrift auf „merci Crocant“

Giotto merci Crocant Michalki

keine 3,837 3,939 2,225

„Jetzt neu: knusprig-krosser, cremig zart im Geschmack“

3,849 3,642 2,085

„Jetzt neu: edel verfeinert“ 3,844 4,031 2,073

„Jetzt neu: mit frisch gerösteten Königsmandeln aus Marakesch“

3,840 4,311 1,915

Gesamtmittelwert 3,842 3,980 2,071

F-Wert (p-Wert) der einfaktoriellen Varianzanalyse 0,001 (1,000)

1,896 (0,132) 0,485 (0,693)

7-stufige Skala: 1=negative Bewertung, 7=positive Bewertung

Abb. 3: Effekt des Signals „neu“ in Studie 2

Gierl Qualitätssignal

Wahrgenommene Qualität nach Verköstigung

Art der Zusatz-information

1

7

4,03

4,31

3,943,64

„Jet

zt n

eu: e

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kein

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usat

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ack“

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t=1,358, p<10%). Mit den anderen beiden Argumen-ten konnte der Qualitätseindruck nach Verköstigungdagegen nicht signifikant erhöht werden. Dieses Er-gebnis entspricht den Erwartungen an die Ergeb-nisse gemäß Hypothese H2.

4. Empfehlung

Das Signal „neu“ ist für das Marketing interessant,weil es nicht zwangsläufig mit zusätzlichen Kostenbei der Herstellung eines Produkt verbunden ist. Dievorliegenden Studien zeigen, dass das Signal „neu“den Qualitätseindruck eines Produkts verbessernkann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.Den theoretischen Erwartungen und empirischenBefunden zufolge sollte der Einsatzbereich des ge-testeten Signals auf etablierte Produkte aus demBereich der häufig gekauften Konsumgüter be-schränkt sein, und das Signal sollte mit einem Argu-ment verknüpft werden, welches prinzipiell objektivüberprüfbar ist und den Konsumenten einen höhe-ren (subjektiven) Nutzen verspricht. In diesem Fallpassen die Konsumenten ihre Qualitätswahrnehmun-gen an die versprochene erhöhte Qualität an. Es istferner zu empfehlen, die geeigneten Attribute, mitdenen das Signal „neu“ zu verknüpfen ist, in einemTest vorab zu bestimmen.

Literaturverzeichnis

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