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SPEKTRUM 20. mai 2011 / nr. 8 / kunst und auktionen 42 Geist über der Materie stand. Die Kopie verkam zum Hilfsmittel der Rekons- truktion, während zugleich das materialisierte Original lediglich die Theorien ge- stört und vermutlich die Wahrnehmung geerdet und ernüchtert hätte. Schon Win- ckelmann und Goethe hatten nicht ohne Gründe auf eine Reise nach Griechenland verzichtet. Zum einen wegen der Strapazen, aber auch, um sich ihre Vision durch die Realität nicht stören zu lassen. Den geographisch unzutreffenden Satz „Auch ich in Arkadien!“, den Goethe seiner italienischen Reise voranstellte, hätte er im realen Arkadien vermutlich mit weit weniger Euphorie niedergeschrieben. Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bis die antiken Kopien auch als Ausdruck des Geschmacks einer Hochkultur, nämlich der römischen, verstanden wurden. Die Ab- weichungen von den griechischen Originalen beziehungsweise der Kopien unter- einander wurden nun auch als Anpassung an römische Vorstellungen verstanden. Parallel dazu erblühte ein Purismus, der die Entstehung und Entwicklung grie- chischer Plastik nur anhand der wenigen gesicherten Originale zu rezipieren ge- dachte. Dennoch oder gerade deshalb ließe sich die Geschichte der Kunst auch als eine Geschichte der Kopie schreiben. Und Kopieren sollte noch lange der Weg der Künstler bleiben, sich die Geschichte zu vergegenwärtigen und anzueignen. Wenn van Gogh Millet oder Daumier kopierte, dann tat er das zum einen, um diese Künst- ler besser zu verstehen. Wenn sich die Appropriation Art parallel zur Postmoderne als „Stil“ etabliert und das Kopieren zur Kunst, die Aneignung fremder geistiger Schöpfung zum kreativen Akt erklärt, dann ist das ein starkes gesellschaftliches Statement. Doch nicht erst jetzt, immer schon hatten Kopien auch programmatische Bedeutung für das Schaffen der kopierenden Künstler, dienten ihnen als Inspirati- onsquelle und zur eigenen Positionierung. Wie der Cupido von Michelangelo heute wohl wertvoller wäre als seine Vorlage, dürfte auch eine Delacroix-Kopie von der Hand van Goghs wertvoller sein als das Original. Und schon wieder sind es die Namen, wie es schon Vasari beklagte, die diesen Wert bestimmen. Diesmal jedoch die Namen der Kopisten. In welche Verwirrung einen der Original-Fetischismus unserer Tage stürzen kann, offenbart sich anhand eines Rückblicks auf das Œuvre Caravaggios. Bei einer Ausstellung seiner Werke vor einigen Jahren im Düsseldorfer Museum Kunst Palast konnte man eine Besucherin beobachten, die sich zusehends aufgebracht im Schummerlicht zwischen den Bildern hin- und herbewegte. „Was ist das? Ist das ein Original? Oder vielleicht das? Oder das?? Das soll ein Original sein!?“, rief sie und stellte schließlich fest: „Ich glaube gar nichts mehr!“ Was geboten wurde, war in der Tat eine Glaubensfrage. Da hingen, neben „authentischen“ Werken Caravaggios, zeitgleich von ihm gemalte „Doppelgänger“, daneben autorisierte Duplikate, gefer- tigt von Mitarbeitern, dann spätere eigenhändige Repliken und Werke von hauptbe- ruflichen Kopisten. Außerdem möglicherweise die eine oder andere ambitionierte Nachahmung. Wirklich klar etikettiert war das alles nicht, und gerade das hätte zum genaueren Hinsehen animieren können. Doch stattdessen: Der Glaube ist erschüt- tert und er wankt auch weiterhin, weil die Caravaggio-Forschung zu solchen Fragen ebenso differenziert wie widersprüchlich Stellung bezieht. Die empörte Frau hatte also absolut Recht, und bereits Caravaggios Zeitgenossen (vertraut man den Quel- len) müssen irgendwann den Überblick verloren haben, denn hinsichtlich des skan- dalumwitterten Lombarden wäre es fast schon eine Überraschung, sollte ein Bild von seiner Hand, das die Quellen erwähnen, einmal wirklich verschollen sein. Nein, ganz im Gegenteil, im Regelfall gibt es jedes dieser Bilder mindestens dreimal. Wie einfach, sollte man denken, haben wir es da heute, im Zeitalter limitierter, signierter und datierter Auflagen. Die Galerien betreiben eine strenge Kontrolle und künstliche Verknappung. Im Sinne der Käufer (für mehr Unikate) und im Sinne der Künstler (für mehr Geld). Und da die Unsicherheit der Galeristen und die mangeln- de Sachkenntnis der Sammler dazu geführt haben, dass Kunst nicht mehr wirklich Michael Wolf (* 1954), RFA #19, © Michael Wolf (Abb. nach Michael Wolf, Real Fake Art, Berlin 2011)

Die Aura der Kopie, Teil 7

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SPEKTRUM20. mai 2011 / nr. 8 / kunst und auktionen42

Geist über der Materie stand. Die Kopie verkam zum Hilfsmittel der Rekons-truktion, während zugleich das materialisierte Original lediglich die Theorien ge-stört und vermutlich die Wahrnehmung geerdet und ernüchtert hätte. Schon Win-ckelmann und Goethe hatten nicht ohne Gründe auf eine Reise nach Griechenland verzichtet. Zum einen wegen der Strapazen, aber auch, um sich ihre Vision durch die Realität nicht stören zu lassen. Den geographisch unzutreffenden Satz „Auch ich in Arkadien!“, den Goethe seiner italienischen Reise voranstellte, hätte er im realen Arkadien vermutlich mit weit weniger Euphorie niedergeschrieben.

Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bis die antiken Kopien auch als Ausdruck des Geschmacks einer Hochkultur, nämlich der römischen, verstanden wurden. Die Ab-weichungen von den griechischen Originalen beziehungsweise der Kopien unter-einander wurden nun auch als Anpassung an römische Vorstellungen verstanden. Parallel dazu erblühte ein Purismus, der die Entstehung und Entwicklung grie-chischer Plastik nur anhand der wenigen gesicherten Originale zu rezipieren ge-dachte. Dennoch oder gerade deshalb ließe sich die Geschichte der Kunst auch als eine Geschichte der Kopie schreiben. Und Kopieren sollte noch lange der Weg der Künstler bleiben, sich die Geschichte zu vergegenwärtigen und anzueignen. Wenn van Gogh Millet oder Daumier kopierte, dann tat er das zum einen, um diese Künst-ler besser zu verstehen. Wenn sich die Appropriation Art parallel zur Postmoderne als „Stil“ etabliert und das Kopieren zur Kunst, die Aneignung fremder geistiger Schöpfung zum kreativen Akt erklärt, dann ist das ein starkes gesellschaftliches Statement. Doch nicht erst jetzt, immer schon hatten Kopien auch programmatische Bedeutung für das Schaffen der kopierenden Künstler, dienten ihnen als Inspirati-onsquelle und zur eigenen Positionierung. Wie der Cupido von Michelangelo heute wohl wertvoller wäre als seine Vorlage, dürfte auch eine Delacroix-Kopie von der Hand van Goghs wertvoller sein als das Original. Und schon wieder sind es die Namen, wie es schon Vasari beklagte, die diesen Wert bestimmen. Diesmal jedoch die Namen der Kopisten.

In welche Verwirrung einen der Original-Fetischismus unserer Tage stürzen kann, offenbart sich anhand eines Rückblicks auf das Œuvre Caravaggios. Bei einer Ausstellung seiner Werke vor einigen Jahren im Düsseldorfer Museum Kunst Palast konnte man eine Besucherin beobachten, die sich zusehends aufgebracht im Schummerlicht zwischen den Bildern hin- und herbewegte. „Was ist das? Ist das ein Original? Oder vielleicht das? Oder das?? Das soll ein Original sein!?“, rief sie und stellte schließlich fest: „Ich glaube gar nichts mehr!“ Was geboten wurde, war in der Tat eine Glaubensfrage. Da hingen, neben „authentischen“ Werken Caravaggios, zeitgleich von ihm gemalte „Doppelgänger“, daneben autorisierte Duplikate, gefer-tigt von Mitarbeitern, dann spätere eigenhändige Repliken und Werke von hauptbe-ruflichen Kopisten. Außerdem möglicherweise die eine oder andere ambitionierte Nachahmung. Wirklich klar etikettiert war das alles nicht, und gerade das hätte zum genaueren Hinsehen animieren können. Doch stattdessen: Der Glaube ist erschüt-tert und er wankt auch weiterhin, weil die Caravaggio-Forschung zu solchen Fragen ebenso differenziert wie widersprüchlich Stellung bezieht. Die empörte Frau hatte also absolut Recht, und bereits Caravaggios Zeitgenossen (vertraut man den Quel-len) müssen irgendwann den Überblick verloren haben, denn hinsichtlich des skan-dalumwitterten Lombarden wäre es fast schon eine Überraschung, sollte ein Bild von seiner Hand, das die Quellen erwähnen, einmal wirklich verschollen sein. Nein, ganz im Gegenteil, im Regelfall gibt es jedes dieser Bilder mindestens dreimal.

Wie einfach, sollte man denken, haben wir es da heute, im Zeitalter limitierter, signierter und datierter Auflagen. Die Galerien betreiben eine strenge Kontrolle und künstliche Verknappung. Im Sinne der Käufer (für mehr Unikate) und im Sinne der Künstler (für mehr Geld). Und da die Unsicherheit der Galeristen und die mangeln-de Sachkenntnis der Sammler dazu geführt haben, dass Kunst nicht mehr wirklich

Michael Wolf (* 1954), RFA #19, © Michael Wolf (Abb. nach Michael Wolf, Real Fake Art, Berlin 2011)