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36 VERKEHR Die deutsche Titanic Ein Jahr nach dem Unfall von Eschede sind die Rätsel um den ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“ gelöst. Das Protokoll der Katastrophe und ihrer Folgen zeigt Leiden und Hilflosigkeit der Opfer – und die Fehlentscheidungen der Bahnmanager, die jetzt Strafverfahren fürchten müssen. der spiegel 21/1999 ICE 884 nach dem Unfall von Eschede: Ein Billigteil entwickelt apokalyptische Kräfte DPA E s ist Heiligabend, als Martin Bruinier die Straße hinaufgeht, die vor einem Jahr noch von Eschede nach Reb- berlah führte. Neblig und still ist es in Eschede. Die Kränze auf dem Kreuz aus Sperrholz, das mitten auf der Straße liegt, sind inzwischen braun und die Plüschtiere aufgedunsen vom Regen. „Deine liebe Gat- tin“ liest Bruinier auf einer Trauerschleife. Er geht weiter, dahin, wo vor einem Jahr eine Brücke war. Jetzt steht da nur noch eine Bretterwand. Bruinier holt den Brief aus der Tasche, den Alexander zum Abschied geschrieben hatte, und heftet ihn an den Zaun. Das Foto des Sechsjährigen pappt er daneben, jenes, auf dem der Junge mit Sandalen und Badminton-T-Shirt zu Hause in Vellmar bei Kassel auf der Turnstange thront. Damals, ein paar Tage vor der Katastro- phe, hatte Alexander im Park Vergißmein- nicht gepflückt und sie seinem Stiefvater geschenkt: „Damit du uns nicht vergißt, wenn wir zur Kur fahren.“ Zu Hause klebte der Junge, der nach den Ferien in die Schule kommen sollte, eine Blume auf ein Blatt Papier und schrieb in ungelenken Großbuchstaben: „LIBER MARTIN SCHAD DAS WIA BALT WEK FAREN. FILE GRÜSE DAN ALEX.“ Um sechs Uhr früh an jenem Mittwoch sieht Martin Bruinier Alexander ein letztes Mal. Der Junge schläft noch. Bruinier be- obachtet, wie sich der Kleine auf die Rei- se mit dem Intercity-Express (ICE) vorbe- reitet hat: Der Wecker ist gestellt, die Klei- dung zurechtgelegt. Bruinier küßt den Kleinen; „Alex, mach’s gut, ruf mich mal an“, flüstert der Student der Zahnmedizin noch, ehe er zur Uni Göttingen fährt. Alexander und seine Mutter steigen um 9.35 Uhr mit fünf Koffern in Kassel-Wil- helmshöhe in den ICE 884 „Wilhelm Con- rad Röntgen“; im fünften Waggon sind die Plätze 71 und 72 für sie reserviert. Mutter und Sohn wollen an die Ostsee. Um 10.59 Uhr verläßt Alexander das Abteil, er möch- te seinen Lieblingszug erkunden. Da sind es noch wenige Sekunden bis zur Katastrophe. Der ICE 884 verunglückt am 3. Juni 1998 kurz vor dem Bahnhof von Eschede. 101 Menschen sterben, 88 werden verletzt. Seither ist der Name jenes Dorfes in der Lüneburger Heide, dessen Bahnhof damals mit den Worten „Es bahnt sich was an“ um Verständnis für Renovierungsarbeiten warb, ein Fanal. „Eschede“ steht für das Schicksal, das jeden treffen kann, für den Zufall, der Menschen überleben ließ, die um 10.59 Uhr an der richtigen Stelle waren – und „Eschede“ steht für ein Ende der Technikgläubigkeit.

Die deutsche Titanic - SPIEGEL

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Page 1: Die deutsche Titanic - SPIEGEL

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ICE 884 nach dem Unfall von Eschede: Ein Billigteil entwickelt apokalyptische Kräfte DPA

V E R K E H R

Die deutsche TitanicEin Jahr nach dem Unfall von Eschede sind die Rätsel um den ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“

gelöst. Das Protokoll der Katastrophe und ihrer Folgen zeigt Leiden und Hilflosigkeit der Opfer – und die Fehlentscheidungen der Bahnmanager, die jetzt Strafverfahren fürchten müssen.

Es ist Heiligabend, als Martin Bruinierdie Straße hinaufgeht, die vor einemJahr noch von Eschede nach Reb-

berlah führte. Neblig und still ist es in Eschede. Die Kränze auf dem Kreuz ausSperrholz, das mitten auf der Straße liegt,sind inzwischen braun und die Plüschtiereaufgedunsen vom Regen. „Deine liebe Gat-tin“ liest Bruinier auf einer Trauerschleife.

Er geht weiter, dahin, wo vor einem Jahreine Brücke war. Jetzt steht da nur nocheine Bretterwand.

Bruinier holt den Brief aus der Tasche,den Alexander zum Abschied geschriebenhatte, und heftet ihn an den Zaun. DasFoto des Sechsjährigen pappt er daneben,jenes, auf dem der Junge mit Sandalen undBadminton-T-Shirt zu Hause in Vellmar beiKassel auf der Turnstange thront.

Damals, ein paar Tage vor der Katastro-phe, hatte Alexander im Park Vergißmein-

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nicht gepflückt und sie seinem Stiefvatergeschenkt: „Damit du uns nicht vergißt,wenn wir zur Kur fahren.“

Zu Hause klebte der Junge, der nachden Ferien in die Schule kommen sollte,eine Blume auf ein Blatt Papier und schriebin ungelenken Großbuchstaben: „LIBERMARTIN SCHAD DAS WIA BALT WEKFAREN. FILE GRÜSE DAN ALEX.“

Um sechs Uhr früh an jenem Mittwochsieht Martin Bruinier Alexander ein letztesMal. Der Junge schläft noch. Bruinier be-obachtet, wie sich der Kleine auf die Rei-se mit dem Intercity-Express (ICE) vorbe-reitet hat: Der Wecker ist gestellt, die Klei-dung zurechtgelegt. Bruinier küßt denKleinen; „Alex, mach’s gut, ruf mich malan“, flüstert der Student der Zahnmedizinnoch, ehe er zur Uni Göttingen fährt.

Alexander und seine Mutter steigen um9.35 Uhr mit fünf Koffern in Kassel-Wil-

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helmshöhe in den ICE 884 „Wilhelm Con-rad Röntgen“; im fünften Waggon sind diePlätze 71 und 72 für sie reserviert. Mutterund Sohn wollen an die Ostsee. Um 10.59Uhr verläßt Alexander das Abteil, er möch-te seinen Lieblingszug erkunden.

Da sind es noch wenige Sekunden biszur Katastrophe.

Der ICE 884 verunglückt am 3. Juni 1998kurz vor dem Bahnhof von Eschede. 101Menschen sterben, 88 werden verletzt.Seither ist der Name jenes Dorfes in derLüneburger Heide, dessen Bahnhof damalsmit den Worten „Es bahnt sich was an“um Verständnis für Renovierungsarbeitenwarb, ein Fanal. „Eschede“ steht für dasSchicksal, das jeden treffen kann, für denZufall, der Menschen überleben ließ, dieum 10.59 Uhr an der richtigen Stelle waren– und „Eschede“ steht für ein Ende derTechnikgläubigkeit.

Page 2: Die deutsche Titanic - SPIEGEL

Deutschland

Alexanders Abschiedsbrief, Ehepaar Bruinier: „Merk dir die Nummer des Abteils, und komm bald wieder“

ICE an der Unfallstelle: Der Stolz germanischer Ingenieurskunst zerschellt an der Brücke von Eschede

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Denn mit dem ICE „Wilhelm ConradRöntgen“ zerschellt an der Brücke von Eschede der Stolz germanischer Inge-nieurskunst – die deutsche „Titanic“.

Es ist das gewaltigste Unglück in derNachkriegsgeschichte der deutschen Ei-senbahnfahrt. Noch nie hatte sich mit ei-nem Fahrzeug das Gefühl totaler Sicher-heit so verbunden wie mit dem ICE; nochnie wurde ein Zug bei Tempo 200 mit sol-chen Folgen von den Gleisen gefegt. Dasvermeintlich Irrationale bringt eine ratio-nalisierte Gesellschaft aus dem Takt. DasTrümmerfeld sieht aus, als habe ein zorni-ger Gott der High-Tech-Nation Germanyeines ihrer Lieblingsspielzeuge vor dieFüße geworfen.

In den Wochen nach dem Crash schienes, als ob die Technik Schicksal gespielthabe: Ein gebrochener Radreifen, bei ei-nem 50 Millionen Mark teuren Wunder-zug von 410 Metern Länge ein Billigteil,hatte apokalyptische Kräfte entwickelt.

Doch inzwischen, zehn Tage vor demersten Jahrestag des Unfalls von Eschede,steht fest, daß die Katastrophe von Men-schenhand gemacht war. Und die Verant-wortlichen, glauben Staatsanwälte undFahnder, könnten auch ganz oben in derFührungsspitze der Bahn zu finden sein.Strafrechtliche Konsequenzen sind nichtmehr ausgeschlossen; der Bahn droht einMammutprozeß.

Am vergangenen Dienstag forderte dieStaatsanwaltschaft Lüneburg von der BahnAG die Herausgabe der Protokolle der Vor-standssitzungen aus der Entwicklungs- undProduktionsphase des Radreifens an, droh-te andernfalls mit Durchsuchung und Be-schlagnahme. Die Bahner waren zur Über-gabe bereit. In den Unterlagen wollen dieErmittler Hinweise auf jene Manager fin-den, die vom Sommer 1992 an einen Zugmit bis zu 250 Stundenkilometern durchsLand gejagt haben, ohne das neue Radsy-stem ordnungsgemäß zu kontrollieren. „Esgibt Zweifel, daß das Rad für den Hochge-schwindigkeitsverkehr tauglich war“, sagtOberstaatsanwalt Jürgen Wigger.

Ausgelöst wurde die Aktion durch eintechnisches Gutachten. Gestützt auf dieErgebnisse des Darmstädter Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit, urteilt einExperte: Die Bahn hätte den Radreifen sonie einsetzen dürfen.

Als die Bundesbahn 1991 den ICE auf dieSchienen setzt, entscheidet sie sich zu-nächst für bewährte Methoden. Das „rechtkonventionelle Drehgestell“ („Eisenbahn-Magazin) wird mit Monobloc-Rädern kom-biniert, die aus einem Stück geschmiedetsind. Doch das hohe Tempo frißt die Räderförmlich auf. Sie laufen unrund.

Und dann wird es laut oben im Zug. Dassogenannte Bistro-Brummen verärgert dieKundschaft, und darum müssen die Räder

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des Wunderzugs schon nach zwei Monatenund knapp 100000 Kilometern wieder ge-wechselt werden. Die Bundesbahn, gerademit der DDR-Reichsbahn vereinigt undvon Verlusten geplagt, beschließt, den ICEauf einen neuartigen Radtyp umzurüsten –den gummigefederten Radsatz der Bauart064. Anders als beim Monobloc werdendabei ein Radreifen aus Stahl und eineGummimanschette auf die Radscheibe ge-zogen, wie ein Autoreifen auf die Felge.

Seit rund 40 Jahren ist dieser Radtyp imEinsatz – aber praktisch nur für Straßen-bahnen. Im Hochgeschwindigkeitsverkehrgibt es ihn nicht. Die Franzosen, die als er-ste sehr schnell fuhren, verboten schon inden fünfziger Jahren jede Form des be-reiften Rades. Auch die Amerikaner set-zen es nicht ein. Die Dinger gelten vielenEisenbahnern weltweit als unsicher.

Der Grund liegt in der Konstruktion: An-ders als beim Monobloc lastet die Spannungauf dem Radreifen, und beim rollenden ICEbiegt sich die Stahlkonstruktion 500000malam Tag. Wie lange hält so ein Teil das aus?

Am 31. August 1992 erhält die Bauart064 ihr Zulassungszertifikat für den ICE-Einsatz. Die Bahn lizenziert sich das Radpraktisch selbst. „Die Bundesbahn“, sagtMarkus Hecht, Professor am Institut fürStraßen- und Schienenverkehr an der Tech-nischen Universität Berlin, „war damalsnoch ihre eigene Aufsichtsbehörde.“ Das

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Page 3: Die deutsche Titanic - SPIEGEL

Deutschland

Unglücksrad von Eschede ist eines von 36„gummigefederten Einringrädern“, die am28. Januar 1993 von der VereinigtenSchmiedewerke Verkehrstechnik GmbH inBochum an das Bahnwerk in Nürnbergausgeliefert werden. Auf die Radscheibe1529 wird der Radreifen Nummer 1591 ge-zogen, ein zentimeterdicker Ring aus ge-walztem und vergütetem B-5-Kohlenstoff-Stahl. Diese Kombination ergibt das ferti-ge Rad des Radsatzes 523316. 7800 Markzahlt die Bahn für das mörderische Stück.

Anderthalb Jahre steht das Rad in ei-nem Lager, ehe es im Sommer 1994 erst-mals unter einem Speisewagen zum Ein-satz kommt. Fünfmal wird es in den fol-genden Jahren ausgebaut und unter ande-re ICE-Wagen geschraubt. Am 12. Januar1998 bestücken die Techniker das hintereDrehgestell des Mittelwagens 802 806-6 mit diesem Rad. Der Waggon wird in den„Betriebszug 151“ integriert. Im Morgen-grauen des 3. Juni rollt dieser ICE als „Wil-

Spur des Todes Die letzten Sekunden

1 Etwa 300 Meter vor der Unterquerung der Sbrücke von Eschede verfängt sich das umherscTrümmerteil des defekten Radreifens unter demWaggon in einer Weiche. Der gewaltige Ruck redie Wagen auseinander und läßt den Zug entgleWaggon 3 schlägt gegen den Brückenpfeiler.

2 Waggon Nr. 4wird aus demGleis geworfen,rutscht vom Bahn-damm und stürztin den angren-zenden Wald. 5 De

den Abausgelmasch

Triebwagen

Wagenfolge erwähnten P

2. Klasse

40

helm Conrad Röntgen“ in den MünchnerHauptbahnhof.

Noch fünf Stunden und 19 Minuten.Am Bahnsteig 19 warten Harald und Ga-

briele Korb, Lehrer und Lehrerin aus Gau-ting, beide 52. Viermal im Jahr reisen siemit dem ICE nach Sylt; eigentlich wolltensie am 2. Juni fahren, aber dann haben siesich lieber einen Tag Zeit zum Packen ge-lassen. Neben ihnen wartet Manuela Seibt,35, aus Erding mit ihren Kindern Michael,6, und Tanja, 7.

In Augsburg steigt Angelika Hauser, 32,zu, eine Apothekerin, die zur Fortbildungnach Hamburg will. Sie setzt sich in WagenNummer 4 und fängt an zu arbeiten.

Astrid Löwen, 27, und ihre MutterChristl, 51, stehen um 3.45 Uhr in Vilshofenauf, um den ICE in Nürnberg zu erreichen.Sie wollen für eine Woche nach Trave-münde. Astrid hat ihr Referendariat been-det, Christl kam seit Jahren nicht von zuHause weg. Ihre zweite Tochter,Wiltrud, ist

des ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“

traßen-hlagende ersten

ißtisen.

3 Auf Waggon Nr. 5 fällt dieBrücke, er wird teilweise zerfetzt.Die übrigen Wagen werdenineinander geschoben.Nur der vordere Teil des Zugesentkommt dem Inferno.

4 Die Dreierkette der ersten Waggons entgleist und schlittert parallel zum Schienenstrang noch mehrere hundertMeter weit.

r vordere Triebkopf bleibt in der Spur. Durchriß der Waggons wird eine Zwangsbremsungöst – nach zwei Kilometern kommt die Zug-ine nahezu unbeschädigt zum Stehen.

Weiche

1 2

und Aufenthaltsort der in der Geschichteersonen im Moment des Unfalls

Dittmann,Waldenberger Elke Schuster

FahrtrichEhepaar Korb

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geistig behindert und blind – seit 24 Jahrenbraucht sie ihre Mutter. Christl Löwenkann endlich einmal Pause machen, dennder Ehemann übernimmt die Pflege.

Auch die Kleinfamilie Dittmann-Wal-denberger aus Regensburg, die nach Büsumwill, und die 13jährige Sybille Czichon ausWeiden warten in Nürnberg. Sybille reistzu ihrer Tante nach Dänemark. Am Bahn-steig sieht sie Hannah Richter, 12, die mitihrer Mutter Hera in den Norden fährt.Die Richters setzen sich in den fünftenWaggon, Sybille Czichon geht nach hintendurch in den Großraumwagen. Sie hat einTicket für die erste Klasse. Ihr Talisman,das Plüschnashorn „Hörnli“, ist bei ihr.

In Nürnberg ändert der ICE seine Fahrt-richtung. Der Wagen mit dem Rad 523316,der bisher am Ende gerollt war, läuft nunan der Spitze des Zuges.

Noch drei Stunden und 23 Minuten.Der Zug rast geräuschlos durch Bayern.

Es ist wie Fliegen. Die Fahrgäste fühlensich, wie eine Überlebende später sagt,„wie in Abrahams Schoß“.

Keinem Fahrgast hinter der windschlüp-figen Außenhaut kommen jene Fragen inden Sinn, die nach dem Unglück überallim Land gestellt werden: Was bringt es, denTempobolzen ICE zu konstruieren, wennder – anders als der französische TGV, fürden eigene Trassen geschaffen wurden –durch schmale Tunnel und über Schienenund Weichen rauschen muß, die auch Gü-terzüge benutzen? Warum muß der Menschin fünfeinhalb Stunden von München nachHamburg fahren können?

„Wer einen Hochgeschwindigkeitszugerfindet, erfindet eine Hochgeschwindig-keitskatastrophe“, sagt der französischePhilosoph Paul Virilio. Für den Wupperta-ler Umweltwissenschaftler Wolfgang Sachsist Schnelligkeit nur zu erreichen, „indemhochkonzentrierte Energien und Materia-lien verdichtet werden, um den Menschenaus seinem organischen Gewand heraus-zukatapultieren“. Doch in der Tempoge-sellschaft passiere es zwangsläufig, „daßdiese Fassung platzt. Und dann ergießt sichdie hochkonzentrierte Gewalt über Betei-ligte und Unbeteiligte“.

Petra Sebastian, 37, will in ein neues Le-ben aufbrechen. Sie ist seit ein paar Wo-chen Single und freut sich auf Hamburg.„Endlich kommt er“, denkt die blondeDiätassistentin des Coburger Krankenhau-ses, als der ICE um 8.31 Uhr in Würzburgeinfährt. Sie setzt sich auf ihren Platz Num-mer 54 im neunten Waggon.

Sieglinde König-Damnig, 67, steigt inden sechsten Wagen; sie möchte nach Sylt,den Tod ihres Ehemanns verarbeiten. Inihrer Nähe sitzt diese lustige Familie aus

3 4 5 Schaffner

Angelika Hauser,Familie Seibt

Schurich,Bruinier, Richter

tung

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6

FamiliSieglin

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Abtransport eines zerstörten Waggons: Unter dem Stahlbeton entdecken die Retter noch ein

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Weißenbrunn bei Coburg. Marianne Geh-ringer, 40, hatte sich gewünscht, daß ihrMann Reinhard sie und die Kinder mit demAuto nach St. Peter-Ording fahren möge,doch der Ingenieur muß arbeiten. Darumhat Marianne Gehringer die Plätze 11, 12und 13 an einem Tisch im sechsten Waggonreserviert. Lukas, 6, ein stiller Junge, des-sen Asthma durch das Reizklima an derNordsee gelindert werden soll, und Laura,3, seine immer fröhliche Schwester, schau-en sich Bilderbücher an.

Der ICE erreicht Fulda, hier wechselndie Zugbegleiter. Die Flensburgerin Ole-gard Schurich, 43, hat es genossen, ein paarTage ohne Familie bei Freunden in Fuldazu sein. Sie steigt in den fünften Waggonund setzt sich auf den ersten Platz, denRücken zur Fahrtrichtung.

Noch eine Stunde und 56 Minuten.Olegard Schurich erfreut sich am Blick

durch das breite Fenster: Radfahrer, Ba-dende an einem Baggersee, Deutschlandim Hochsommer.

In Kassel steigen Alexander, der Junge,der die Vergißmeinnicht auf den Ab-schiedsbrief geklebt hat, seine Mutter Ul-rike Bruinier, Heinrich und Marianne Röh-le, die Fernsehjournalistin Viola Schmid,52, und Margaretha Banze, 70, ein. FrauBanze möchte auf Sylt Urlaub mit ihrerSeniorengruppe machen; sie trägt einengoldenen Armreif.

Noch eine Stunde und 24 Minuten.Es ist 9.35 Uhr, der ICE 884 hat drei Mi-

nuten Verspätung. Aber nichts ist unge-wöhnlich an diesem Morgen. Im Bordre-staurant serviert das Mitropa-Team Rühreimit Schinken und das kleine Frühstück mitHonig. Der sechsjährige Lukas Gehringersitzt an seinem Tisch und malt.

7 9

e Gehringer,de König-Damnig

Petra Sebastian,Margaretha Banze

In Hannover nimmt Axel G. aus Duis-burg im ersten Wagen Platz. Elke Schus-ter*, 28, aus Hildesheim, die auf dem Weg zuVorstellungsgesprächen in Hamburg ist,setzt sich in den zweiten Waggon. DasBordrestaurant schließt, das ist normalkurz vor dem Ziel.

Noch neun Minuten.Im ersten Waggon sitzen

André Waldenberger, seineMutter Sigrid und ihr Lebens-gefährte Jörg Dittmann. DieSitze 102, 104 und 106 liegenim Abteil direkt vor der Toilet-te. André und sein Stiefvaterdurften den Zug besichtigen,nun dösen sie.

Um 10.57 Uhr reißt ein Knalldie Reisenden aus ihrer Schläf-rigkeit. Jörg Dittmann, 31, ver-mutet „eine Explosion“ undsieht sofort, daß der Fußbodendes Zuges, direkt unter derArmlehne zwischen André undseiner Mutter, aufgebrochenist. Er ahnt, daß „etwasSchlimmes passiert ist“.

Bei Kilometer 55,1 – bis zumBahnhof Eschede sind es noch knapp 6000 Meter – istder Radreifen gebrochen. Wiedie Altersringe eines Baumeshat sich ein Riß im Innern des Stahlreifens ausgebreitet.Er löst sich von der Radschei-be, biegt sich wie das Hand-stück eines Spazierstockes auf,verkeilt sich im Drehgestellund schlägt unter den Wagen-boden.

Noch zwei Minuten. Opfer Petra

Hinterblieb

Hinterblieb

10 11 12Speisewagen 1. Klasse

* Name von der Redaktion geändert.

D E R S P I E G E L 2 1 / 1 9 9 9

Auch Axel G. bekommt Pa-nik. Der Mann aus Duisburgsitzt gerade auf der Toilette, alser den Einschlag hört. Er wirdregelrecht durchgeschüttelt. Erbekommt „Todesangst“, ihmschießt nur ein Gedanke durchden Kopf: „Ich muß hier raus.“

Der frühere Landwirt Hein-rich Röhle aus Dorfitter beiKassel, mit Ehefrau Marianneebenfalls im ersten Waggon,glaubt, daß der „ganze Wagenhochhüpft und wieder auf dieSchienen knallt“.

Der kleine Alexander, derschon seit Kassel den Zug in-spizieren will, hat von seinerMutter endlich die Erlaubnisdazu bekommen. Er hat dieHand am Türgriff, als sie denKnall hört und ihn zurückruft.

Dann ist es wieder still, der ICE fährtgleichmäßig dahin, und Ulrike Bruinierläßt ihren Sohn erneut auf den Gang.„Merk dir die Nummer des Abteils“, sagtsie noch, „und komm bald wieder.“

Gleich am Anfang des zweiten Waggonssitzt Elke Schuster aus Hildesheim. Auchsie hat den Krach gehört, dem „stählerne,

mahlende Geräusche“ folgen.Sie sucht den Blickkontakt zuanderen Reisenden, doch nie-mand reagiert. Dann sieht sie,wie Jörg Dittmann, Sigrid Wal-denberger und der kleine An-dré aufgelöst in den Waggonkommen. Dittmann sucht denSchaffner und findet ihn imdritten Waggon, wo er die Pa-pierschilder mit den Platzre-servierungen einsammelt – dieFahrt ist ja fast vorbei.

Noch eine Minute.Auch der Schaffner hat einen

„sehr starken Ruck“ verspürt,sich aber „eigentlich noch nichtso ganz große Sorgen ge-macht“. Daß Steine oder über-fahrenes Wild unter den Wagenknallen, kommt beim ICE häu-figer vor.Auch ihn beruhigt, daßder Zug nach dem sachtenSchlingern friedlich und in ge-wohntem Tempo weiterfährt.Jörg Dittmann stürmt durch denGang und ruft: „Es ist etwasSchreckliches passiert.“ Dochder Schaffner will die Not-bremse nicht ziehen – deshalbwird jetzt gegen ihn ermittelt.

Der Zugbegleiter hätte „zu-mindest nach Erhalt der Infor-

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Triebwagen14Sybille Czichon

41

Page 5: Die deutsche Titanic - SPIEGEL

Verschleiß am Profil Radreifen des ICE

Radscheibeaus hartem,belastbaremStahl

RadreifenDer Radreifen war ursprüng-lich 920 Millimeter dick; lautVorgabe der Bahn durfte er bis854 mm abgefahren werden.Gutachter halten ein Profil von890 mm für unverzichtbar.

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GummikörperFederung für Schwin-gungsdämpfung

Abnutzungs-bereich

Deutschland

er

mation, daß der Boden imersten Wagen bereits gebor-sten sei, sofort handeln müs-sen“, behauptet der Nürn-berger Anwalt Peter Rottner,der den Zugbegleiter „we-gen fahrlässiger Tötung“ angezeigt hat. Ein Ziehender Notbremse hätte „dieSchwere des Unglücks ver-mindern können“.

Dittmann und der Schaff-ner rennen zurück in den er-sten Waggon. Dittmann kanngerade noch auf die gebro-chene Stelle zeigen, da be-ginnt der Zug zu rattern. Erruckelt und schaukelt wild.

Dittmann fällt zu Boden,ihm schießt durch den Kopf:„Ich komme hier um.“ Der Schaffner wirddurch den halben Waggon geschleudert.Elke Schuster wird aus dem Sitz katapul-tiert, auf den Gang geworfen, ans Festerund wieder zurück, gegen Rücken- undArmlehnen.

Hinten, im neunten Waggon, steht PetraSebastian neben ihrem Platz; sie will gera-de ihren Regenschirm in der Gepäckabla-ge befestigen, da sie fürchtet, er könne her-unterfallen. Petra Sebastian sieht, „wie derZug wackelt“, spürt „den zweiten Ruckund ein gewaltiges Zerren in alle Richtun-gen. Ich habe mich abgestützt, und dannwurde der Druck gewaltig“.

An „Weiche 2“ vor dem Bahnhof vonEschede verkeilt sich der gesprengteRadreifen in einer Stahlzunge, die die Zügein der Spur halten soll, dem „Radlenker“.Dieser wird abgerissen, stößt wie ein Speerdurch den Boden des ersten Wagens.

Die Wucht des Aufpralls drückt das de-fekte Rad nach rechts, es rutscht von derSchiene. Auch das linke Rad entgleist.

Eingedrungen

44

Abgerissener Radreifen unter dem Drehgestell: 8

920

Die Katastrophe ist da,und sie dauert 5,6 Sekun-den.

Nach 120 Metern pralltdas entgleiste linke Radgegen die Spitze der„Weiche 3“, die dadurchumgestellt wird. Der drit-te Waggon rast nachrechts, entgleist undschlägt mit seinem hinte-ren Teil den rechten Pfei-ler der Brücke weg. Siestürzt ein und bremst dasHigh-Tech-Geschoß vonknapp 200 Stundenkilo-metern auf null.

Der Triebkopf wird da-durch vom Rest des Zugesabgerissen; erst jetzt lei-

ten die Sicherheitssysteme eine Vollbrem-sung ein. Zwei Kilometer hinter der Un-glücksstelle stoppt die Lok; der Lokführerhat von der Katastrophe hinter sich nichtsmitgekriegt.

Denn als der Radreifen abgesprengtwurde, trennte er zwar das Glasfaserkabeleines elektronischen Überwachungssy-stems zwischen den Schienen durch. Dochdieses Warnsystem versagte, weildie Kontrollcomputer im vorderenTriebkopf nur Störungen vor demZug registrieren. Daß es hinter derFührungslok zu einem Zwischen-fall kommen könnte, hatten dieKonstrukteure des ICE offenbar fürunmöglich gehalten.

So fährt der Lokführer seine Pas-sagiere quasi blind in den Tod; er

* Der Stahlträger wurde von der „Weiche 2“ abgerissen,drang durch den Boden in den ersten Waggon ein und bohrte sich durch die Innendecke in den Wasserbehälter für die Toilette unter dem Wagen-dach.

Radlenker*

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8 Minuten für die letzte Inspektion

ahnt erst, was passiert ist, als er nach derVollbremsung aus dem Seitenfensterschaut und hinter sich keinen Zug mehrsieht. Der Schock ist so groß, daß er fastzwei Stunden lang regungslos in seiner Ka-bine ausharrt – bis ihn die Retter finden.

Die Wagen eins, zwei und drei rumpelnauf dem Schotterbett weiter und stoppennach rund 350 Metern. Wagen vier, derdurch den Aufprall an den Pfeiler von Wa-gen drei getrennt wird, passiert die ein-stürzende Brücke, rast nach rechts hinun-ter in den Wald und kippt um.

Die Brücke knallt, wenige Meter hinterdem Sitz von Olegard Schurich, auf denfünften Waggon und reißt ihn auseinander.Der vordere Teil rutscht noch 100 Meterweiter.Wagen sechs wird komplett von denBetontrümmern begraben.

Die Wagen sieben und neun der zweitenKlasse, der Bistrowagen zehn und die Wagenelf, zwölf und vierzehn der ersten Klasseklappen wie ein Zollstock zusammen. Derhintere Triebwagen prescht in die Wracks,schiebt die Trümmer zehn Meter hoch auf.

Eine Minute nach dem Unfall beginntdie Rettungsaktion. Ein Anwohner meldet

Halteringhält Gummi-körper undRadreifen

Achsestarre Verbin-dung derRäder

Spurkranzzur Rad-führung

Page 6: Die deutsche Titanic - SPIEGEL

Deutschland

über den Polizeinotruf 110 ein „Zugun-glück, Eschede, Rebberlaher Straße“. Um11.03 Uhr heulen in Eschede die Sirenen.

Dorfbewohner laufen zum Bahndamm,leisten Erste Hilfe, holen Decken, Bettla-ken und Leitern. Das Rote Kreuz fordertalle verfügbaren Rettungsprofis an: dieKrankenwagen des Landkreises Celle, dieniedergelassenen Ärzte von Eschede, dieRettungshubschrauber aus Uelzen undHannover, danach benachrichtigt es dieLeitstellen der Nachbarkreise. Sechs Mi-nuten nach dem Unfall trifft der ersteKrankenwagen ein, zwei Minuten späterder erste Feuerwehrwagen. „KompletterICE verunglückt und völlig zerstört, Wag-

ri

Rettungsarbeiten auf den zusammengeschobenen Waggons: Geräte der Feuerwehr rutschen ab wie stumpfe Sägen

gons ineinander verkeilt“, lautet die ersteMeldung an die Leitstelle.

Mit bloßen Händen beginnen die Helfer,Reisende aus dem Zug zu ziehen. Eine le-bensgefährliche Arbeit: Die Stromoberlei-tungen, 15000 Volt stark, liegen auf demZug; sie werden von der Bahn erst um 11.09Uhr abgeschaltet. Der Lokalreporter Joa-chim Gries, 42, schleppt fünf Schwerver-letzte ins Freie, überall hört er „die blu-tenden Opfer weinen“.

Um 11.07 Uhr löst Gemeindebrandmei-ster Rolf Pundschus Großalarm aus. Wei-tere Feuerwehren, Hubschrauber, das Tech-nische Hilfswerk (THW) und Kräfte derBundeswehr werden angefordert.

Im Allgemeinen Krankenhaus Celle wer-den alle für diesen Tag vorgesehenen Ope-rationen abgesagt, die Chirurgen beendendie laufenden Eingriffe. Durch Blitz-Ent-lassungen und Umlegungen werden auf derUnfallstation 43 Betten frei gemacht.

An der Unglücksstelle gliedern CellesKreisbrandmeister Gerd Bakeberg undEwald Hüls, der Leitende Notarzt desLandkreises, das Schlachtfeld ICE wie einSchachbrett. Im Ost- und im Westabschnittgibt es Sammelstellen für Verletzte. ImOsten wird die Lagerhalle des Förderband-unternehmens Ulrich in ein Krankenlagerumfunktioniert, im Westen entsteht auffreiem Feld eine Zeltstadt.

48

Anfangs herrscht Chaos in den Sam-melstellen, es mangelt an Beatmungsfla-schen, Sauerstoff und Schmerzmitteln.WeilVerletztenkarten fehlen, helfen die Ärztesich, indem sie Notizen auf die Haut derPatienten schreiben. „ICE 884, weiblich,unbekannt“, steht auf dem Oberkörpervon Olegard Schurich aus Flensburg. In derHektik wird nicht exakt dokumentiert, wo-hin die Patienten transportiert werden –aus diesem Versäumnis wird später ein Alp-traum für alle Angehörigen.

26 Minuten nach dem Crash schätzt die Einsatzleitung das Ausmaß auf 40 Toteund noch einmal die gleiche Anzahl an Schwerverletzten. Um 11.25 Uhr ver-

hängt Rettungsarzt Hüls ei-nen vorläufigen Transportstoppfür Verletzte. Damit soll ge-währleistet werden, daßzunächst die Schwerverletztenversorgt werden. Deshalb wer-den auch die Toten vorerst lie-gen gelassen.

Obwohl schon bald 37 Fach-leute anrücken, die in der Feuerwehrschule in Celle ei-nen Oberbrandmeister-Lehr-gang absolvieren, stehen dieRetter vor Problemen. Die Hel-fer haben wenige Monate zu-vor Bergungsmaßnahmen nacheinem ICE-Unfall simuliert,doch wie man sich in das Inne-re dieser Metallschlangen vorkämpft, er-klärte ihnen dabei niemand.

Keiner weiß, wo die hydraulischen Sprei-zer angesetzt werden können, selbst mit derFlex ist der ICE-Außenhaut nicht beizu-kommen. Sie rutscht ab wie eine stumpfeSäge. Die druckfesten Scheiben lassen sichauch mit dem schwersten Vorschlagham-mer nicht zertrümmern. So vergeht wert-volle Zeit – auch den technischen Helfernwird nun bewußt, daß niemand jemals mitdem Entgleisen eines ICE gerechnet hatte.

Und niemand ahnt, wie viele Menschennoch in den Trümmern liegen: Die Bahn

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hat kein System, um die Zahl der Insassenbestimmen zu können. Der Zug hat 759Sitzplätze; er soll, heißt es zunächst, na-hezu voll besetzt gewesen sein.

Um kurz vor zwölf sind 16 Verletzte ge-borgen. Ab 12.05 Uhr starten in Eschededie ersten Hubschrauber, sie fliegen Ver-letzte in Kliniken in ganz Norddeutschland.

Im Celler Krankenhaus erweist sich eininterner Katastrophenplan als nützlich: ZurErkennung der schwerverletzten Patientenerhalten alle direkt bei der Einlieferungeine Nummer. Selbst ein Beutelset, in dempersönliche Habe und Kleidungsstücke auf-bewahrt werden, wird mit einer Nummerversehen. Einer der Patienten ist so ent-

stellt, daß die Angehörigen ihnnur anhand eines Schlüsselsidentifizieren können.

Auch in der MedizinischenHochschule Hannover ist um11.40 Uhr Katastrophenalarmausgelöst worden. Glücklicher-weise befinden sich die meistender 34 Unfallchirurgen geradeauf einem „Trauma-Sympo-sion“ in der Landeshauptstadt.Einige der 200 Teilnehmer wa-ren mit dem ICE 884 angereistund in Hannover ausgestiegen.

Um 12.30 Uhr stellt Ober-kreisdirektor Klaus Rathert of-fiziell den Katastrophenfall fest.19 Minuten später stellt die

Bundeswehr den Schießbetrieb auf denTruppenübungsplätzen Bergen und Mun-ster ein; die Hubschrauber können jetztohne Umweg die Krankenhäuser anfliegen.

Insgesamt arbeiten bei dieser größtenUnfall-Rettungsaktion in der Geschichteder Bundesrepublik am ersten Tag 1889professionelle Helfer am Unglücksort, diemeisten kommen von Feuerwehr (726) so-wie Sanitäts- und Rettungsdiensten (423).354 Fahrzeuge sind im Einsatz. Da jedemVerletzten ein Arzt, ein Rettungsassistentund ein Seelsorger zur Seite stehen, gehendie Einsatzkräfte von der ersten Notfall-

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Deutschland

Bergung der Opfer: „Hier lebt keiner mehr“

P. M

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Staatsanwälte Wigger, Dresselhaus„Gewisse Aufweichung der Vorschriften“

versorgung in eine „individualmedizini-sche Patientenbetreuung“ über.

Doch die Vielfalt des deutschen Ret-tungswesens bereitet auch Probleme. Weiles keine organisationsübergreifenden Ab-zeichen gibt, laufen zeitweise 23 Doktoresals „Leitende Notärzte“ durchs Gelände.

Pfarrer, die sich gerade zu einer öku-menischen Konferenz des KirchenkreisesCelle getroffen hatten, eilen zur Un-glücksstelle: Sie haben sich Pappschildermit der Aufschrift „Seelsorger“ ans Reversgeheftet. Rund 80 Geistliche leisten Ver-letzten und Sterbenden Beistand, tröstenihre Angehörigen.

Um 13.10 Uhr sperren das Luftwaffen-amt und die Deutsche Flugsicherung imUmkreis von fünf nautischen Meilen denLuftraum. Ausgenommen vom Flugverbotsind nur die Rettungsflieger. Polizeikräftehaben beobachtet, wie auf naheliegendenFlugplätzen Hubschrauber mit Kamerasvon Fernsehsendern beladen werden. DasTeam eines Privatsenders kreist mit demHelikopter so tief über der Unfallstelle,daß den Helfern der Sand in die Augenbläst. Ein Hubschrauber des Bundesgrenz-schutzes drängt ihn ab.

Um 13.15 Uhr sind die Schwerverletztenabtransportiert. Im ehemaligen Verletz-tenzelt wird die „LeichensammelstelleWest“ eingerichtet. Leichtverletzte wer-den in der Turnhalle der Gemeinde Esche-de versorgt.

Inzwischen sind sämtliche Handynetzeblockiert, weil Hunderte von Reportern mitMobiltelefonen anreisen. Auch die Hand-funkgeräte und der sogenannte BOS-Funkder Helfer ist zusammengebrochen. Umden Überblick zu behalten, schickt die Ret-tungsleitung wie vor hundert Jahren Helferals „Melder“ durch das Gelände. Ab 13.30Uhr beginnen Fernmeldetechniker mit dem„Feldkabelbau“, der Einrichtung eines ei-genen Kommunikationsnetzes.

Ein BO-105-Hubschrauber der Bundes-wehr kreist über der Einsatzstelle und ko-

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ordiniert auf der eigens zugewiesenen Fre-quenz von 123,10 Megahertz die 39 Fliegervon Polizei, Bundesgrenzschutz, Rettungs-diensten und Bundeswehr.

Die medizinische Arbeit ist um 13.45Uhr nahezu abgeschlossen. 87 Verletztesind auf 23 Kliniken verteilt worden, 27von ihnen auf dem Luftweg.Aus dem „Ver-bandsplatz Ost“ wird die „Zentrale Lei-chensammelstelle“.

Sie füllt sich schnell.Der Gautinger Lehrer Harald Korb über-

lebt, seine Frau Gabriele ist sofort tot. Korbläuft panisch zwischen den Zugteilen her-um, bis er sie findet. „Ich durfte eine Vier-telstunde bei ihr bleiben“, sagt er. Sanitä-ter bringen ihn weg.

Die Münchner Familie Seibt ist mit demAufprall auseinandergerissen worden. Ma-nuela, die Mutter, hat sich Hüfte undBecken gebrochen und Quetschungen amganzen Körper erlitten. Sie wird nach Han-nover gebracht und ins künstliche Komaversetzt. Ihr Sohn Michael, der im Gangstand, weil er ein Eis kaufen wollte, wirdmit gebrochenem Arm und gebrochenemUnterschenkel, mit Schnittwunden undPrellungen nach Bremen geflogen. Tanja,die Siebenjährige, ist tot.

Die Apothekerin Angelika Hauser ausAugsburg hat Wirbelbrüche und eine Ge-hirnerschütterung davongetragen. EinHubschrauber bringt sie nach Hamburg.

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Astrid Löwen, die junge Lehrerin, ist so-fort tot; auch ihre Mutter Christl stirbtbeim Aufprall. „Muß denn eine Familie alles aushalten“, fragt Heinrich Löwen,der mit der behinderten Wiltrud zurück-bleibt.

Jörg Dittmann, der den Zugbegleiter ge-rufen hatte, ist ebenso wie der kleine An-dré und dessen Mutter nahezu unverletzt.

Sybille Czichon, die 13jährige, tröstetVerletzte, ehe sie selbst zusammenbricht.Der erste und der zwölfte Brustwirbel sindangebrochen, Prellungen und Platzwun-den schmerzen.

Hannah Richter, die Zwölfjährige, krab-belt blutverschmiert durch die Trümmer;sie sucht ihre Mutter, die gerade zur Toi-lette gegangen war. Die Mutter lebt nichtmehr.

Petra Sebastian, die sportliche Diätassi-stentin aus Coburg, kann Mund und Augennicht öffnen; alles ist voller Dreck undScherben.Vor ihr hat ein junger Mann sei-ne tote Freundin auf dem Schoß. Begrabenvon einem Sitz, kann sich Petra Sebastiankaum bewegen. Ihr linker Knöchel ist selt-sam weggedreht, das Bein brennt, ist blut-rot und windet sich wie eine Schlange. Siehat eineinhalb Liter Blut verloren, als einPolizist sie befreit. Der Unterschenkel istmehrfach gebrochen, ebenso der große, dermittlere und der kleine Zeh.

Reinhard Gehringer, der seine Frau unddie Kinder nicht mit dem Auto nach St.Peter-Ording bringen konnte, verliert seineFamilie. Ehefrau Marianne, der sechsjähri-ge Lukas und die dreijährige Laura sterbenim sechsten Waggon unter der Brücke vonEschede.

Olegard Schurich liegt auf der Seite undhört „Jammern, Gestöhne, Weinen“. Siedenkt: „Hier mußt du raus“, aber sie isteingeklemmt. Kopf, Beine und Arme kannsie keinen Millimeter bewegen, Dach undSeitenwände des teilweise von der Brückegetroffenen fünften Wagens halten sie fest.

„Hier lebt keiner mehr“, sagt ein Sa-nitäter draußen. „Aber ich“, flüstert Schu-rich. Ihre rechte Hand hat zehn Zentime-ter Spielraum; sie klopft auf Metall. Ole-gard Schurich ist die letzte, die aus demZug geholt, die letzte, die ausgeflogen wird.Sie hat eine Lungenquetschung und eineRippenserienfraktur, die Ärzte versetzensie ins Koma.

Alexander, der Sechsjährige, derbeim Aufprall im Gang stand undfortgerissen wurde, stirbt an seinenKopfverletzungen; seine Mutter hatPlatzwunden, Prellungen, einSchleudertrauma und steht unterSchock. Viola Schmid, die Fern-sehjournalistin, ist tot; ebenso Mar-garetha Banze, die Seniorin. Ihr gol-dener Armreif wird gefunden; er istzerstört.

Sieglinde König-Damnig, die alteDame, die nach Sylt wollte, ist so-fort tot. Ihr Sohn Edward, ein Phy-

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Deutschland

Nächtlicher Einsatz in Eschede „Das Land besteht nicht nur aus Egoisten“

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siklehrer, hofft, „daß sie nicht erleben muß-te, was mit ihrem Körper passierte“. Erweiß, was bei solchen Unfällen mit Men-schen geschieht und haßt in diesen Tagenseinen Beruf. Der Beerdigungsunterneh-mer sagt ihm, er habe eine solche Leichenoch nie gesehen, „von der Statur herkönnte es Ihre Mutter sein“.

Für die Kräfte, die wirken, wenn ein Kör-per abrupt von 200 auf null Stundenkilo-meter abgebremst wird, ist der menschlicheOrganismus nicht geschaffen. Die Bilanzvon Eschede ist fürchterlich: 67 Opfer ha-ben schwere Schädelverletzungen, dazukommen Lungenquetschungen, zerrisseneHerzen, Leber- und Milzeinrisse. DieseMenschen waren ebenso sofort tot wie 18weitere Opfer, die „Polytraumata“ auf-wiesen, aber keine Kopfverletzungen hat-ten. In acht Fällen kam es zu totalen Kör-perzerstörungen: Zerteilungen, Abrissenvon Gliedmaßen und Aufreißen des Leibes.

Geschlossene Lastwagen des THW brin-gen Tote und Leichenteile in die Fabrik-halle, die von Kriminalbeamten gesichertist. Polizei und Notärzte sortieren die Kör-perteile und legen sie in numerierte Lei-chensäcke, die eilig bei einem Großhänd-ler aus Altencelle beschafft werden.

Als der Oberkreisdirektor um 15.15 Uhrden Katastrophenalarm aufhebt, sind vie-le Helfer seit fast vier Stunden im Einsatz,ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit.Drei Einsatzkräfte müssen mit Wirbel-brüchen und schweren Fußverletzungenins Krankenhaus.

Die psychischen Folgen sind noch nichtabzusehen: In den Köpfen der Retter wer-den die Bilder der Toten noch lange leben-dig sein. Die eigens eingerichtete „Einsatz-nachsorge“, ein Team aus Psychologen undGeistlichen, hat ein Jahr nach Eschede fast500 Hilfskräfte betreut. Fachleute rechnendamit, daß 50 von ihnen Spät-schäden davontragen werden.

Die Arbeit der Helfer wertetder Bundespräsident später beider Trauerfeier als Trost im Un-glück. In den Trümmern von Eschede sei eine in Deutschlandschon verschüttet geglaubte So-lidarität wiederentdeckt wor-den. „Es ist nicht wahr, daß un-ser Land nur aus Egoisten be-steht“, sagt Roman Herzog inder Stadtkirche von Celle.

Um 16.38 Uhr entscheidetdie Identifizierungskommissiondes Bundeskriminalamtes, allegeborgenen Leichen in das Rechtsmedizi-nische Institut der Medizinischen Hoch-schule Hannover bringen zu lassen. Über-legungen, in der provisorischen Leichen-halle Kühlaggregate zu installieren, wer-den verworfen. Kurz nach 19 Uhr beginnenörtliche Bestattungsunternehmer und Bun-deswehr-Lastwagen mit dem Abtransport.Sie fahren im Konvoi, begleitet von Poli-zeifahrzeugen.

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In der Zwischenzeit arbeitendrei Bundeswehr-Panzer und ein40-Tonnen-Kran der Feuerwehran der Bergung des Zuges. Zweiweitere Schwerlastkräne treffenein. Mit ihnen soll die Brückegehoben werden, unter dernoch drei Waggons liegen.

Immer wieder werden dieHelfer mit neuen Schicksalenkonfrontiert. Gegen 23 Uhrgreifen sie auf der Bundes-straße 191 zwischen Eschedeund Celle ein Unfallopfer auf,das verwirrt umherläuft.

In der Nacht steigt die Zahl der Totenauf 81. Zwischen den Waggons stoßen dieEinsatzkräfte auf ein völlig zusammenge-drücktes Auto der Bahn. Die beiden Gleis-arbeiter hatten offensichtlich noch ver-sucht, Schutz hinter dem Brückenpfeilerzu finden. Sie wurden erdrückt.

Noch am Freitag entdecken die Aufräu-mer von Eschede eine Leiche. Das Opferwar mit hoher Wucht aus dem Zug zum

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Brückenkopf geschleudert worden. DieEinsatzleitung entschließt sich daraufhin,auch den letzten noch stehenden Brücken-pfeiler abzutragen. Tatsächlich finden sichdrei weitere Tote.

Insgesamt werden 98 Opfer und Dut-zende abgerissene Gliedmaßen in 135 Lei-chentransportsäcken in die Hochschulenach Hannover gefahren.An den vier Sek-tionstischen in zwei weißgekachelten Räu-men arbeiten Rechtsmediziner, Zahnärzte,Sektionsgehilfen, Protokollführer, Foto-grafen und weitere Sachbearbeiter fürDaktyloskopie und Asservatensicherungrund um die Uhr.

In Wiesbaden hat Bernd Roßbach, 45,Leiter des Bereichs Schwerkriminalität undLeiter der Sondereinheit „Identifizie-rungskommission“ (Idko) beim BKA, ausdem Radio von Eschede erfahren. Er weißsofort, was das heißt – Roßbach und seineLeute müssen immer dann ausrücken,wenn Flugzeuge abstürzen oder eben Zügeverunglücken.

Abends um elf ist Roßbach in Hannover,in der Nacht und am nächsten Morgen be-reitet er alles vor, um 14 Uhr fangen seine31 Leute an. Sie arbeiten mit den Expertender Hochschule zusammen.

Es ist eine grauenhafte Arbeit. Die Idko-Leute haben deshalb ihre Regeln: Im Ho-tel bleiben sie stets unter sich, die Dienst-kleidung bleibt immer am Arbeitsplatz.Aber Distanz kann keiner behalten: Ein-mal fehlt einem Jungen ein Arm; er findetsich im Leichensack eines älteren Mannes.

Jede Leiche und jedes Körperteil be-kommen eine Nummer, von eins aufwärtsbis 150 – Margaretha Banze aus Kassel istNummer 48. Mitunter sind die Verletzun-gen so schwer, daß nur noch Zahnschema-Vergleich oder DNA-Analyse helfen. Man-chem Opfer wurde Tasche oder Porte-monnaie eines anderen zugeordnet, das er-schwert die Erkennung zusätzlich.

Roßbach und seine Mitarbeiter müssenmit Angehörigen reden. Sie versichern, daßes sich „um einen raschen, nicht bei Be-wußtsein erfolgten Tod gehandelt hat“.Und sie versuchen die meisten Hinter-bliebenen davon zu überzeugen, sich nichtam offenen Sarg von ihren Angehörigenzu verabschieden.

Das macht die Trauer so schwer. Für Ed-ward König, der seine Mutter nicht mehrsehen durfte, „ist alles so unwirklich“. GabiVogel, die ihre Mutter Margaretha Banzeverlor, „will alles erfahren, was ich erfah-ren kann, um eine Vorstellung von MuttisTod zu bekommen. So ist es am Grab, alswenn ich ein altes Stück Land bepflanzte“.

Nur wenige dürfen Abschied nehmen.„Ich habe Alexander geboren, ich kann ihnnicht einfach so gehen lassen“, sagt UlrikeBruinier. Sie wird zu ihrem Sohn gelassenund ist erleichtert: „Er sah friedlich aus.“

Für die Angehörigen sind die Tage nachEschede ein Martyrium. Sie sind irgendwoin Deutschland, bei der Arbeit, im Garten,

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Deutschland

Radkontrolle im Münchner ICE-BetriebswerkTest im Licht der Arbeitslampe

Sicherstellung des ICE: Eines der aufwendigsten Verfahren der deutschen Geschichte

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bei Freunden, als sie durch das Radio unddurch einen Anruf von der Katastrophe er-fahren. Sie telefonieren mit der Bahn,hören minutenlang Tanzmusik in der War-teschleife, und dann kann ihnen doch nie-mand weiterhelfen. Alle Notrufnummernsind überlastet.

Reinhard Gehringer hofft die ganze Zeit,„daß wenigstens einer der drei überlebthat“. Er fährt nach Eschede und von Kran-kenhaus zu Krankenhaus und kriegt nichtsheraus. Nach drei Tagen hat er Gewißheit.

Die Familie Schurich sucht überall, aberdaß Olegard in Wolfsburg im Koma liegt,sagt ihnen keiner. Der Notarzt hatte denHubschrauber umgeleitet, als Frau Schu-rich in akuter Lebensgefahr war.Wolfsburgstand auf keiner Liste.

Martin Bruinier erfährt am Telefon, daßseine Frau lebt. Tagelang sucht er nachAlexander. Einmal hört er, daß ein Kind,das wie Alexander ein T-Shirt mit einergroßen „6“ trug, mit einem Helfer fortge-gangen sei; er fährt alle Straßen der Um-gebung ab. Dann erfährt er, daß ein Junge,auf den Alexanders Beschreibung paßt, imAllgemeinen Krankenhaus Celle liege. Errast hin, sieht ein Kind und überall Infu-sionsnadeln, Kabel, Beatmungsgeräte. „Ja,das ist er“, denkt er und sagt: „Alex hat einBlutschwämmchen am Bauch.“ Der Jungein der Klinik hat keines.

Als Bruinier verzweifelt und übermüdetnach Kassel zurückkommt, bringen ihmzwei Polizisten die Nachricht von Alexan-ders Tod.

Zur gleichen Zeit tragen in Eschede Hel-fer mit ihren Händen den Sand der Bö-schung Kilo für Kilo ab und sieben ihndurch. Bis viereinhalb Meter tief finden sieGepäckteile, Kleidungsfetzen, Schmuck-stücke und Leichenteile.

Am Samstag morgen um 6.42 Uhr istder Rettungseinsatz offiziell abgeschlos-sen. Die technische Einsatzleitung über-gibt der Polizei die Unglücksstelle. Doch

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am Sonntag vormittag machen die Hilfs-kräfte eine letzte grausige Entdeckung: Un-ter 50 Zentimeter dicken Stahlbeton-stücken entdecken sie noch einen Torso.

Schon an der Unfallstelle nimmt dieStaatsanwaltschaft Lüneburg die Ermitt-lungen auf. Für die zwei Staatsanwältin-nen aus der Außenstelle Celle ist zunächstnicht viel zu tun – die Bergung der Opfergeht vor. Kommandos des Bundesgrenz-schutzes suchen die Strecke ab. Fünfein-halb Kilometer vor dem Unglücksort fin-den sie die ersten Spuren der Katastrophe:Kerben in den Betonschwellen, abgeplatz-te Teile der Zugverkleidung.

Nur wenig später macht ein Technikerdes Eisenbahn-Bundesamtes (EBA), dervon Hamburg nach Eschede beordert wur-de, den entscheidenden Fund. Er entdecktan dem fast unversehrten Wagen eins,der 200 Meter von der Unglücksstelle ent-fernt ins Kiesbett schlitterte, den gebor-stenen Radreifen. Und er findet den abge-brochenen Radlenker, der sich untermDach des ersten Wagens bis in den Was-sertank für die Toilette gebohrt hat. Seinspontanes Urteil: „Das kann die Ursachesein.“

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Noch während die Helfer um das Lebender Schwerverletzten ringen, bergen dieErmittler die Daten aus dem Bordcompu-ter des ICE. Auf einer Platine hat das Sy-stem „David“ („Diagnose-, Aufrüst- undVorbereitungsdienst mit integrierter Dis-play-Steuerung“) alle Auffälligkeiten derFahrt gespeichert, fast wie eine Black-Boxim Flugzeug.

In der gleichen Nacht rücken beim ICE-Betriebswerk in München Spezialisten desEBA an und verlangen die Herausgabe derletzten Wartungsdaten des „Wilhelm Con-rad Röntgen“.

Die Staatsanwältinnen rufen technischeGutachter an den Unfallort. Der ICE 884wird beschlagnahmt: In Einzelteilen machter sich auf seine letzte Reise.

Ein VW-Bulli des Bundesgrenzschutzesbringt den geborstenen Radreifen zumFraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeitnach Darmstadt. Eine Kolonne Tiefladertransportiert den Waggon eins und alle Rä-der des Zugs zur Technischen UniversitätAachen. Die ausgebauten Weichen, Wag-gon zwei und drei und sämtliche Drehge-stelle deponiert die Staatsanwaltschaft aufdem nahegelegenen Fliegerhorst Celle-Wietzenbruch.

Acht Beamte der Polizeiinspektion Cel-le und sieben Bundesgrenzschützer bildendie Soko Eschede. Das erweist sich alsGlücksfall: Fünf BGS-Leute waren früherbei der Bahnpolizei und sind damit vomFach. Die kleine Celler Zweigstelle ist baldpersonell überfordert, die Lüneburger Zen-trale übernimmt. Drei erfahrene Staatsan-wälte leiten das Verfahren 161 Js 12212/98– es wird eines der aufwendigsten der deut-schen Geschichte.

Die Soko, die ihr Quartier in einer Ka-serne des Bundesgrenzschutzes in der Frei-enwalder Straße in Hannover bezieht,prüft das gesamte Hochgeschwindigkeits-system der deutschen Bahn. An den Büro-wänden hängen Unfallskizzen und Fotosdes geborstenen Unfallzuges. Und denFahndern ist schnell klar, daß Eschedemehr als ein bedauernswerter statistischerZufall in der Welt des Hochgeschwindig-keitsverkehrs ist.

Am 9. Juni sichten die Ermittlererstmals die Daten aus dem Bord-computer und aus dem Instandset-zungswerk München. Überra-schendes Ergebnis: Achtmal hattenZugbegleiter seit Anfang April indie bordeigene „Zentraleinheit fürdie Überwachung und Steuerung“Beschwerden über das Drehgestellmit dem Unglücksrad eingegeben,gekennzeichnet mit den bahninter-nen Fehlercodes „F 018“ (unruhigerLauf) oder „F 108“ (Flachstelle).Das Rad rumpelte, es machte Lärm.

In der Nacht vor der Todesfahrtrollte der ICE in München routi-nemäßig nach einer Fahrt durch dieWaschanlage über eine sogenannte

DPA

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Deutschland

er Steinbach: „Manche Unfälle haben etwas Bes

„Radsatzdiagnoseeinrichtung“. Das High-Tech-Gerät der Firma Hegenscheidt, dasder Zug im Schrittempo passiert, soll vorallem Rundlaufabweichungen feststellen:Sie sind der Schrecken jedes Ingenieurs,denn die Abweichungen von der idealenKreisform können das Rad, die prinzipiel-le Schwachstelle in der Eisenbahntechnik,unberechenbar werden lassen.

Die Ergebnisse der Messungen laufenauf dem Computer-Bildschirm eines Dis-ponenten auf. Dieser entscheidet, was re-pariert wird und wann der Zug wieder fah-ren darf. Um ihm die Arbeit zu erleich-tern, kennzeichnet das RechnersystemMängel mit kräftiger roter Untermalung.

Beim Unglücksrad von Eschede zeigtder Computer nur noch rot. Eine „Rund-laufabweichung“ von 0,6 Millimetern hatdie Bahn als „Betriebsgrenzmaß“ festge-setzt. Schon am 27. Mai um22.53 Uhr registriert dasMeßmodul einen Wert von0,7; am Morgen des 1. Junisind es um 4 Uhr sogar 0,8Millimeter. Der ICE fährtdennoch ab, und nach einerFahrt durch Deutschland hatder Wert noch einmal zuge-nommen: Um 23.45 Uhrliegt er bei 0,9 Millimeter.

Die letzte Inspektion imMünchner ICE-Betriebswerkdauert 88 Minuten inklusiveWagenwäsche und Reinigender Toiletten. Das Rad wirdwieder nicht gewechselt –obwohl die Unrundheit auffast das Doppelte des zuläs-sigen Wertes zugenommenhat: 1,1 Millimeter mißt das Diagnosegerätam 2. Juni um 22.23 Uhr.

Am 6. Juli reisen Mitglieder der Sokoerstmals nach München – mit dem ICE.Noch auf der Fahrt befragen sie den Bord-mechaniker nach allerlei Details.

Die Vernehmungen in Bayern führen tiefin das komplizierte Regelwerk des einsti-gen Staatsbetriebes. Die Bahn-Technikererzählen den Ermittlern, das Grenzmaß seinicht so wichtig. Da man Räder der Bauart064 für „dauerfest“ und damit bruchsichergehalten habe, seien Reparaturen schonmal aufgeschoben worden. Bindende Vor-schriften gebe es nicht.

Auf der Prioritätenliste für die nächtli-chen Inspektionen, die von eins bis sechsreicht, hätten Unrundheiten deshalb in derKategorie fünf gestanden. Die Reparatureiner nicht funktionierenden Kaffeema-schine habe als dringlicher gegolten.

Die Arbeiter, die im Münchner ICE-Be-triebswerk nachts viel zu tun haben, er-zählen weiter, daß der Einsatz von High-Tech die Arbeit oft nur erschwert habe.Die Radsatzdiagnose habe schon seit Mo-naten keine zuverlässigen Daten mehr ge-liefert, sondern ständig Fehlmessungen.Schließlich habe man sie nicht mehr son-

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derlich ernst genommen – der prüfendeBlick im Licht einer Arbeitslampe war Testgenug.

Das sehen die Hamburger Kollegen an-ders. Bei Befragungen im ICE-Betriebs-werk Hamburg-Eidelstedt erklären dieTechniker den Ermittlern, der Austauschsei nach den InstandsetzungsrichtlinienPflicht. Und bei einem zweiten Besuch inMünchen findet die Soko eine Dienstan-weisung vom 25. November 1994: Bei Ein-gabe des Fehlercodes „unruhiger Lauf“und bei Erreichen des Betriebsgrenzmaßessei der Radsatz zwingend zu tauschen. Beidrei Inspektionen vor dem Unglück lagengenau diese Voraussetzungen vor.

Im Münchner Werk, resümiert der Lü-neburger Oberstaatsanwalt Jürgen Wigger,habe es wohl „gewisse Aufweichungen“der Vorschriften gegeben.

Daher wird gegen die beiden Disponen-ten und den zuständigen Münchner Seg-mentleiter ermittelt. Die sich stetig ver-schlechternden Meßwerte, so der Vorwurf,hätten dokumentiert, daß das Bauteil 1591nicht mehr sicher war.

Die Testergebnisse des DarmstädterFraunhofer-Instituts von Anfang Mai brin-gen dann auch Spitzenmanager, die diesenZug auf die Schienen gesetzt haben, in Ver-dacht. Und so droht das Eisenbahnunglückfür das Bahn-Unternehmen zum Desasterzu werden.

Die Konzern-Oberen hatten bis zuletztgehofft, daß ein Materialfehler zum Bruchführte, mithin die Verantwortung beimRadhersteller liege. Eigens entsandte dieBahn ihre Fachleute nach Darmstadt, umdie Reste des Radreifens unter dem Elek-tronenmikroskop zu begutachten. Dochdie fanden keine Hinweise auf mangelndeQualität.

Wie das Profil bei einem Autoreifen, sodürfen auch die Radreifen nur bis zu einerbestimmten Grenze abgefahren werden.920 Millimeter stark war der Stahlring, alser aus dem Bochumer Werk kam. Bei 858Millimetern, so entschied die Bahn, solltensie aus dem Verkehr gezogen werden. Spä-

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ter wurde die Vorgabe – zumindest im Be-triebswerk München – auf 854 Millimeterabgesenkt.

Nach zahllosen Computer-Simulationen,Lauftests und Festigkeits-Analysen an 064-Rädern ist der Gutachter überzeugt, daßdie bereiften Räder für einen sicheren Be-trieb schon bei 890 Millimetern hätten ge-wechselt werden müssen. Unterhalb diesesWertes würden die Spannungen im dünngewordenen Radreifen ständig zunehmen– bis zum Bruch.

Als in Eschede der Radreifen bricht,ist er 1,789 Millionen Kilometer ge-laufen. Selbst nach den Maßstäben derBahn wäre es mit seinem Einsatz bald vorbei gewesen: Es war bis auf 862 Milli-meter abgefahren. Ein Überwachungsver-fahren, das gefährliche Innenrisse diagno-stizieren könnte, hatte die Bahn erst gar

nicht angeschafft. Ein sol-ches, davon ist der Gutach-ter überzeugt, ist aber fürRäder mit hoher Lauflei-stung unverzichtbar.

350 Ordner über die Ge-nesis des deutschen Sonder-weges in der Hochgeschwin-digkeitstechnologie türmensich mittlerweile bei derSonderkommission: dar-unter 91 mit Akten vomBahn-Technologie-Zentrumin Minden, 32 vom Herstel-ler in Bochum, 34 aus derBahn-Zentrale in Frankfurt.Und je weiter die Staatsan-wälte in die Materie vor-dringen, desto größer wer-den die Zweifel, daß das

ehrgeizige Technikprojekt wissenschaftlichseriös abgesichert war.

Der stählerne Radring, angeblich dau-erfest und zerstörungssicher, versagte nichtnur einmal: Als nach Eschede 82 Radreifendurchgecheckt wurden, fand die Bahn indrei weiteren ebenfalls Risse.

Daß der Einsatz des bereiften Rades einIrrweg war, hat die Bahn bis heute nicht of-fiziell eingestanden. Doch die Konsequen-zen sprechen für sich: Das gummigefeder-te Modell ist verschwunden, die ICE-Zügerollen längst wieder auf Monobloc-Rädern.Die Radsatzdiagnose in München arbeitetplötzlich wieder einwandfrei, das Grenz-maß für Unrundheiten ist auf 0,4 Millime-ter herabgesenkt worden.

Die Soko hat viele Vernehmungen vonBahntechnikern durchgeführt. Immerwenn über die jetzt geltenden verschärftenWartungsvorschriften geredet wird, begin-nen die Sätze mit „seit Eschede“. Dennseit Eschede ist nichts mehr wie vorher,weder bei der Bahn noch in Eschede selbst.

Der kleine Ort in der Südheide wird fürimmer als Synonym „für das große Zug-unglück“ stehen, wie GemeindedirektorFritz Kiemann befürchtet. Noch immerkommen jedes Wochenende Dutzende von

onderes“

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Deutschland

Beschlagnahmte Wagen auf dem Fliegerhorst Wietzenbruch: Seit Eschede ist alles anders

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Ingenieur Hecht: Die Bahn kontrollierte sich s

Besuchern und stehen bedrückt amHolzzaun vor dem Brückenende, wo dasBild von Alexander hängt.

Manfred Steinbach muß dann für Ord-nung sorgen. Die Gemeinde hat ihn eigensals ABM-Kraft eingestellt, um Touristen zuinformieren und genervte Anwohner ab-zuschirmen. Steinbach patrouilliert auf sei-nem Dienstfahrrad mit der Aufschrift„ICE-Unglücksstelle“.

„Es gibt eben Unfälle, die haben für im-mer etwas Besonderes“, sagt Notfallmedi-ziner Hüls, „und hier hat sich eben dasNonplusultra der deutschen Industrie andieser blöden Brücke zerlegt.“

Darum werden die helfenden Pfarrerzum TV-Kollegen Fliege geladen, und derLokalreporter sitzt bei Ilona Christen imTalksessel. Hüls reist von Tagung zu Ta-gung, um seinen Kollegen in ganz Europazu erklären, wie man in Eschede den ICE-Unfall gemeistert hat. Um alle Anfragenaus dem In- und Ausland beantworten zukönnen, findet im November 1998 ein Not-fall-Symposium für 1200 Teilnehmer statt*.

Während in der kommenden Woche derWiederaufbau der Brücke beginnt und dieArbeitsgemeinschaft „Gedenkstätte“ amJahrestag ihren Vorschlag für ein Mahnmalpräsentieren wird, kämpfen Angehörige undVerletzte um ihre Rechte. Sie wollen Ge-rechtigkeit und auch eine angemessene Ent-schädigung. Manchmal, sagt Reinhard Geh-ringer, „habe ich das Gefühl, als müsse dortein Erdbeben passiert sein – alle finden esfurchtbar, aber niemand kann etwas dafür“.

Das liegt weniger an Otto Ernst Krasney,einem ehemaligen Richter, den die Bahnals Ombudsmann eingesetzt hat. Krasneyarbeitet hart, „ist der Typ guter Mensch“(Edward König) und hat durchgesetzt, daßdie Bahn für jeden Toten 30000 Mark als

* Der Tagungsbericht „Die ICE-Katastrophe von Eschede“ ist am 21. Mai im Springer-Verlag, Heidelberg,erschienen.

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„besondere Zuwendung“ gezahlt hat.Dennoch bescheinigen ihm die Mitgliederder „Selbsthilfe Eschede“ in einer Frage-bogenaktion, daß er „nicht wirklich unab-hängig“ sei und von der Bahn benutzt wer-de, um „nach außen gut dazustehen“.

Denn auch Krasney sind Fehler unterlau-fen, die alle Angehörigen entsetzen. „Hier-mit wende ich mich an Sie persönlich“,schrieb er an die Hinterbliebenen. Als dieherausfanden, daß sie den gleichen Brief be-kommen hatten, fühlten sie sich, als hätte daeine Wurfsendung „an alle Anwohner“ imBriefkasten gelegen. Manche Briefe trugenauch noch Werbestempel („Fahr mal wiederBahn“), manchmal lag Reklame für die neueBahn-Card bei. Und der schwerverletzte Pe-ter Kraft, der nach mehreren Operationen inder Reha-Klinik in Bad Wiessee liegt, be-kam eine Einladung zum Skiurlaub.

Womöglich seien solche Pannen bei ei-nem Unglück dieser Dimension nicht zuvermeiden, sagt König. Fehlbesetzungenseien allerdings jene Bahn-Bedienstete,„die uns behandeln, als ginge es um eineverlorene Reisetasche“.

Alle Hinterbliebenen mußten Belegeund Beweise für jedes Detail zusammen-kratzen.Also belegten die Bruiniers, die El-

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tern des toten Alexander: „KindersargSterntalerdesign“ – 1460 Mark, „Aufbe-wahrung in einer Kühlanlage“ – 65 Mark.

Bis heute war kein Bahn-Vertreter beiReinhard Gehringer, um einmal „Es tutuns leid“ zu sagen. „Darauf werde ich ewigwarten“, glaubt der Mann, der Frau undzwei Kinder verlor.

Gabi Vogel, die seit dem Tod ihrer Mut-ter so depressiv ist, daß sie ihren Haushaltnicht mehr führen kann, bekam zu hören:„Sie sind doch eine erwachsene Frau.“ Alssie den „Armreif, Gelbgold 585“ ihrer Mut-ter, der 1800 Mark gekostet hatte, auf dieSchadensliste schrieb, verlangte die Bahn,den Juwelier zu konsultieren, damit der„Schmelzwert in Abzug gebracht werden“könne. 93,80 Mark wurden gestrichen.

„Soll sich auch niemand bereichern aneinem Unfall“, verkündete der Leiter derHaftpflichtgruppe Eschede, Peter Schubert.Dabei ist unter Juristen unstrittig, daß dasdeutsche Recht für Schadensersatz undSchmerzensgeld seit Jahrzehnten überholtist. 5000, manchmal 10000 Mark bekom-men Angehörige – wenn ein Verschuldennachgewiesen ist. Dann gilt der Beruf desGetöteten als Maßstab. „Kinder bringennichts“, so König zynisch.

„Die Bahn will, daß Eschede endlichvorbei ist und sich keiner mehr rührt“,klagt Heinrich Löwen, der sich jetzt umseine Tochter Wiltrud kümmert.

König hat mit Löwen die Selbsthilfe Eschede gegründet. Er wühlt sich durchAkten, telefoniert nächtelang und weiß,„daß ich mir damit das Nachdenken er-spare“.

Ulrike Bruinier wollte Grundschulleh-rerin werden, aber sie fürchtet, daß sie nie-mals sechsjährige Kinder unterrichtenkann. „Jedes kleine Glück ist getrübt“, sagtsie, „die Gedanken an Alexander verge-hen nie.“ Sie ist wieder schwanger und hatVergißmeinnicht auf das Grab gepflanzt.

Reinhard Gehringer sitzt in dem Haus,das vor dem Unglück von Eschede ein„echtes Paradies“ war. Er hat es selbst ge-baut, vor fünf Jahren, mit hellem Holz inhohen Räumen, mit einer Rutsche für dieKinder, mit Kindergarderobe und mit Kin-dertisch. „Ich kann hier nicht sein, und ich

kann nicht weg“, sagt er, „ichschaffe es nicht, ihre Sachen inKisten zu packen.“

Olegard Schurich führt einzweites, anderes Leben. „Ichbin so dankbar“, sagt sie, „undich bin so selbstbewußt gewor-den. Ich habe begriffen, was füreinen Überlebenswillen ich ge-habt haben muß.“

Nur manchmal sieht sie sichnoch ihre zersplitterte Arm-banduhr an. Die ist stehenge-blieben um 10 Uhr, 59 Minutenund 33 Sekunden.Klaus Brinkbäumer, Udo Ludwig,

Georg Mascolo

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IS

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