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Die drei Arten des Abschießens An Hand vergleichender Betrachtungen des “Yumi Mokuroku” und “der Abhandlung über das Bogenschießen der Osmanen von Mustafa Kani" Das “YUMI MOKUROKU” ist eine ca 500 Jahre alte japanische Abhandlung über das Bogenschießen mit dem japanischen Bogen. Diese Abhandlung wurde von Lehrer zu Lehrer in diesem Falle der HEKI RYU ( d.h. der Heki-Schule ) übergeben, ist in japanisch verfasst und soll auch auf den legendären Lehrer INSAI zurückgehen ( siehe KYUDO YUMI MOKUROKU von Hans Gundermann ) Die Abhandlung über das Bogenschießen der Osmanen” von Mustafa Kani ( ca 1847 ) ist eine Zusammenfassung des jahrhundertealten Wissens der Osmanen über das Bogenschießen ( Bogenbau, Schießlehre). Diese Abhandlung wurde von Joachim Hein ( ca 1920 ) übersetzt und bearbeitet. Im Folgenden werden , soweit es geht , für die japanischen Worte die Umschrift in “Romaji” benutzt, d.h. eine an das lateinische Alphabet angelehnte Silbenschreibung der japanischen Laute. Das YUMI MOKUROKU hat 28 grundlegende Kapitel über das Bogenschießen. Zentraler Teil des 2. Abschnittes von Kapitels 25 sind 3 Zeilen , die mit dem folgendem “KIN GYO KU KA” überschrieben sind: KIN := Gold GYO := Kostbarkeit KU := Strophe, Vers KA := Lied, Lehre Diese vier Silben stellen im Japanischen eine sprachliche Kunstform dar , die man YOJIJUKUGO nennt, übersetzt etwa “ Vier-Zeichen-Metapher “. Yojijukugo werden im Japanischen und auch im Chinesischen ( da kommen sie her ) benutzt, um mit wenigen Zeichen einen Sachverhalt treffend zu beschreiben. Mit unserem KIN - GYO - KU - KA - Yojijukugo bezeichnet man ein “gelehrtes Wissen”( Lied, Mär ), das insgesamt so wertvoll wie Gold und dessen einzelne Inhalte ( Strophen, Zeilen ) außerordentlich kostbar sind”. Etwas banal ins Deutsche übersetzt würde man sagen “eine goldene Regel”. Unser KIN GYO KU KA hat 3 Zeilen: jede von ihnen kostbar , das ganze ist Gold wert: HIKU YATSUKA HANATSU HIKANU YATSUKA NI HANARE NI TADA YATSUKA HANASARURU KANA HIKU := Ziehen YATSUKA := Vollauszug beim Bogenschießen HANATSU := abschießen

Die drei Arten des Abschießens · TADA := “nur”, “gerade mal"(eher dem englischen “just” -“this ist just five feet high”- entsprechend ) HANASARURU := trennen in seiner

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Page 1: Die drei Arten des Abschießens · TADA := “nur”, “gerade mal"(eher dem englischen “just” -“this ist just five feet high”- entsprechend ) HANASARURU := trennen in seiner

Die drei Arten des AbschießensAn Hand vergleichender Betrachtungen

des “Yumi Mokuroku”

und “der Abhandlung über das Bogenschießen der Osmanen von Mustafa Kani"

Das “YUMI MOKUROKU” ist eine ca 500 Jahre alte japanische Abhandlung über das Bogenschießen mit dem japanischen Bogen. Diese Abhandlung wurde von Lehrer zu Lehrer in diesem Falle der HEKI RYU ( d.h. der Heki-Schule ) übergeben, ist in japanisch verfasst und soll auch auf den legendären Lehrer INSAI zurückgehen ( siehe KYUDO YUMI MOKUROKU von Hans Gundermann )

“Die Abhandlung über das Bogenschießen der Osmanen” von Mustafa Kani ( ca 1847 ) ist eine Zusammenfassung des jahrhundertealten Wissens der Osmanen über das Bogenschießen ( Bogenbau, Schießlehre). Diese Abhandlung wurde von Joachim Hein ( ca 1920 ) übersetzt und bearbeitet.

Im Folgenden werden , soweit es geht , für die japanischen Worte die Umschrift in “Romaji” benutzt, d.h. eine an das lateinische Alphabet angelehnte Silbenschreibung der japanischen Laute.

Das YUMI MOKUROKU hat 28 grundlegende Kapitel über das Bogenschießen. Zentraler Teil des 2. Abschnittes von Kapitels 25 sind 3 Zeilen , die mit dem folgendem “KIN GYO KU KA” überschrieben sind:

KIN := GoldGYO := KostbarkeitKU := Strophe, VersKA := Lied, Lehre

Diese vier Silben stellen im Japanischen eine sprachliche Kunstform dar , die man YOJIJUKUGO nennt, übersetzt etwa “ Vier-Zeichen-Metapher “. Yojijukugo werden im Japanischen und auch im Chinesischen ( da kommen sie her ) benutzt, um mit wenigen Zeichen einen Sachverhalt treffend zu beschreiben. Mit unserem KIN - GYO - KU - KA - Yojijukugo bezeichnet man ein “gelehrtes Wissen”( Lied, Mär ), das insgesamt so wertvoll wie Gold und dessen einzelne Inhalte ( Strophen, Zeilen ) außerordentlich kostbar sind”. Etwas banal ins Deutsche übersetzt würde man sagen “eine goldene Regel”.

Unser KIN GYO KU KA hat 3 Zeilen: jede von ihnen kostbar , das ganze ist Gold wert:

HIKU YATSUKA HANATSUHIKANU YATSUKA NI HANARE NITADA YATSUKA HANASARURU KANA

HIKU := Ziehen

YATSUKA := Vollauszug beim Bogenschießen

HANATSU := abschießen

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HIKANU := ist die Negation von HIKU , d.h so etwas wie “nicht ziehen”, ”bewegungslos”

HANARE := trennen

NI := danach erst ( als temporale Konjunktion )

TADA := “nur”, “gerade mal"(eher dem englischen “just” -“this ist just five feet high”- entsprechend )

HANASARURU := trennen in seiner Passivform, d.h. “getrennt worden” ( es ist etwas geschehen, ein äußere Kraft hat etwas “getrennt” oder stärker ausgedrückt “zerrissen”. Die japanische Passivform bezeichnet nicht ein

“passives Tun” !)KANA := exklamatives Adverb, etwa dem deutschen “ ach wie herrlich!!”

entsprechend.

Gehen wir jetzt 20 000 km um den Erdkreis von Japan nach Westen und begeben uns nach Kleinasien zur Zeit der Osmanen:

Der genannte Mustafa Kani hat nach Joachim Hein in seiner Abhandlung drei Arten des Abschießens genannt, die der Schütze nacheinander erlernen sollte.

1. Den Abschuss aus dem Ziehen heraus . Dabei wird der Bogen zügig ausgezogen und aus der ziehenden Bewegung der Pfeil abgeschoßen. Die Osmanen nannten das “ ihthilas”, das ist arabisch ( die Osmanen sahen in den arabischen Bogenschützen ihre Wurzeln ) und bedeutet “kidnappen”, “heimlich wegnehmen”, das was ein Taschendieb macht, “etwas im Vorbeigehen wegnehmen”. “Im Vorbeigehen wegnehmen” tut der Schütze für den Betrachter den Punkt des Abschusses, den Punkt , an dem er seine Auszugslänge erreicht hat.

Japan: HIKU YATSUKA HANATSU = Aus dem ziehenden Erreichen des Vollauszuges abschießen

2. Den Abschuss aus der “Ruhe” , besser “Bewegungslosigkeit” heraus. Dabei wird der Pfeil langsam bis zum Erreichen des Vollauszuges gezogen, dann hält der Schütze eins-zwei-oder drei Momente die Spannung weiter aufrecht und trennt dann mit einem “Ruck, den man nicht sieht”, die Zughand von der Sehne.

Japan: HIKANU YATSUKA NI HANARE NI = danach erst ( nach HIKU YATSUKA ) : aus der Bewegungslosigkeit heraus im Vollauszug trennen

3. Eine dritte Art des Abschusses wird von Mustafa Kani genannt, hochgerühmt in der Schlacht und in der Königsdisziplin des Weitschießens. Dabei wird der Pfeil langsam, aber zügig bis fast zum Vollauszug gezogen, der Vollauszug wird nicht ganz , nur geradeso erreicht. Dann zieht der Schütze mit einer blitzschnellen Bewegung die restlichen Millimeter und entlässt den Pfeil. Für den Betrachter ist diese blitzschnelle Aktion nicht sichtbar und er hat den Eindruck als würde eine äußere Kraft die Hände des Schützen auseinanderreißen. Bezeichnenderweise nannten die Osmanen diesen Abschuss “mefruk”, das ist auch arabisch und heißt “es ist getrennt worden”. Diese Art des Abschießen war auch die schwierigste und verlangte die vollkommene Beherrschung des Bogens und wenn ein solcher Schuss gelang riefen alle “hareke”. Joachim Hein konnte dieses Wort “hareke” von Mustafa Kani nicht übersetzen und vermutete, dass dies ein Spezialausdruck der Bogenschützen für diesen Abschuss war.

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白魚やきのふも亀の放さるる SHIRAÔ YA / KINEO MO KAME NO / HANASARURU

SHIRAÔ : sind kleine, etwa sardinengroße, weiße Fischlein, die zu bestimmten Jahreszeiten in japanischen Süßgewässern massenhaft auftreten und als Delikatesse verspeist werden

YA : Das “kireji”, das “Schneidewort” als Trennzeichen ist eine Postposition, die etwa unserem “und” entspricht, jedoch darüber hinaus geht. Es ist ein “und” mit einer Erwartungshaltung, die impliziert, dass danach noch etwas kommt, das das vorhergehende vervollständigt und während des ganzen Haiku den Bezug zu den SHIRAÔ aufrecht erhält.

KINEO : heißt “gestern”. Hier wird der Betrachter oder Dichter mit hereingenommen, der den zeitlichen Bezug zu dem geschilderten Ereignis herstellt. “Gestern” bedeutet auch, dass der Betrachter eine Zeit brauchte, um darüber zu berichten, was geschah.

MO : entspricht etwa unserem “auch” oder “und”, schließt jedoch im Gegensatz zu YA die Aufzählung ab.

KAME : heißt “Schildkröte”

Insgesamt wird eine Szenerie geschildert, an der die SHIRAÔ, der Dichter und KAME beteiligt sind. Es wird jedoch bis zu diesem Punkt nicht gesagt, warum diese Szenerie aufgebaut wurde. Die ganze Szenerie bleibt in der Schwebe, was noch durch das Wörtchen NO verstärkt wird.

NO : als Postposition im Japanischen verbindet das nachfolgende Wort attributiv mit dem Vorhergehenden, in diesem Fall mit der beschriebenen Szenerie. NO lenkt damit die gesamte Aufmerksamkeit auf das was folgt, nämlich HANASARURU

HANASARURU = “sie (die SHIRAÔ ) sind wie explodiert auseinander gerissen worden “ löst letztendlich die Spannung, die vorher aufgebaut wurde. HANASARURU ist das erstaunliche Ergebnis der vorher beschriebenen Szenerie.

Was hat Kobayashi Issa vermutlich beschrieben:“Gestern kam die Schildkröte an einen Teich , in dem es nur so von Shiraô wimmelte. Als die Schildkröte zum Trinken mit dem Kopf die Wasseroberfläche berührte , stoben die Shiraô , wie von einer unheimlichen Kraft getrieben, auseinander”Kobayashi Issa erfasste das gleiche Staunen wie uns damals, als wir zum ersten Mal im Physikunterricht das Pfeffer-Wasser-Spülmittel-experiment zur Oberflächenspannung des Wassers sahen. Das Staunen war so groß, dass er erst einen Tag später darüber berichten konnte.

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Das gleiche Staunen erfasste den Betrachter eines japanischen Bogenschützen, der die höchste Kunst des Abschießen beherrschte:

TADA YATSUKA HANASARURU KANA = Aus fast dem Vollauszug ist explodierend getrennt worden - Ach-wie-herrlich ! .KANA ( etwa : ach wie herrlich!! ) ist das exklamative Adverb, das dieses Erstaunen wiederspiegelt, ähnlich wie dass “Heureka !” von Archimedes, wenn er ca 250 vor Chr. eine neue

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Erkenntnis gewann. 1600 Jahre nach Archimedes und nach einer monophthongierenden Lautverschiebung und einer Vokalmutation wurde in Kleinasien aus “ Heureka !” möglicherweise “Hareke !”. Das “Hareke !” der Osmanen wäre damit ein exklamatives Adverb zu “mefruk”.So entspräche das osmanische “mefruk hareke!” inhaltlich und stilistisch dem japanischen “hanasaruru kana!”

Es ist erstaunlich. Zwei unterschiedliche , weit voneinander lebende Kulturen mit einer jahrhundertealten Tradition des Bogenschießens benutzen etwa zur gleichen Zeit die gleichen sprachlichen Konstrukte, um die grundlegenden Arten des Abschießen beim Bogenschießen zu beschreiben. Könnte es sein, dass sich im Sinne einer Evolution des Bogenschießens hier die unabdingbaren Grundlagen der Technik und ihre sprachliche Formulierung herausgebildet haben oder liegt etwa ein historisch tradiertes Wissen vor, das beide Kulturbereiche aus einer gemeinsamen historischen Quelle mitgebracht haben?

In der Schlacht hatten diese Abschussarten verschiedene Funktionen:Mit HIKU YATSUKA war es möglich eine schnelle Pfeilfolge, auch aus der Bewegung und vom Pferderücken zu schießen. Die Trefferpräzision war jedoch geringer als bei HIKANU YATSUKA, wo die Präzision des Treffens, auf Kosten der Schussfrequenz, durch Fixierung und Konzentration gewährleistet war. TADA YATSUKA beinhaltete beides, verlangte jedoch höchstes Können und ein jahrelanges intensives Training.

Mir sind keine historischen Videoaufnahmen bekannt, die das Schießen der Osmanen zeigen. Japanische gibt es dank unseres allwissenden Netzes wohl:

HIKU YATSUKA ( http://www.kyudo-sum.de/heki-technik/tai-no-

warikomi.html )

Hier wird ein traditionelles Schießen auf einer Tempelterasse gezeigt. Das Ziel am Ende der Terasse (ca120 m entfernt) mußte innerhalb von 24 Stunden möglichst oft getroffen werden.Die Kunst war es, in schneller Schlussfolge die Pfeile unter dem Dachvorsprung ins Ziel zu leiten, was einen starken Bogen und einen schnellen Pfeil verlangte, um die Flugbahn flach zu halten. Die schnelle Schlussfolge war nur mit HIKU YATSUKA zu erreichen. Die hier gezeigte relative Langsamkeit des Ausziehens ist der Stärke des Bogens geschuldet

Auch die Osmanen kannten eine solche Kunst. Sie nannten es “Schießen unter dem Seil”. Ein Seil wurde ca 2,5 Ellen hoch und 2,5 Ellen vor dem sitzenden Schützen gespannt und der Pfeil musste unter diesem Seil in das ca 180 m entfernte Ziel gelenkt werden

Page 5: Die drei Arten des Abschießens · TADA := “nur”, “gerade mal"(eher dem englischen “just” -“this ist just five feet high”- entsprechend ) HANASARURU := trennen in seiner

HIKANU YATSUKA: (https://www.youtube.com/watch?

v=R4hdoiNp9O0&index=4&list=PL_3oxalbt5AjQRPKTTOOf4fFzJYWonzCJ)

Hier zeigt URAKAMI SAKAE das Halten der Spannung vor dem Abschuss und das plötzliche Trennen aus dem bewegungslosen Halten heraus

TADA YATSUKA: (https://www.youtube.com/watch?v=KjnmwNN4vX0&list=PL_3oxalbt5AjQRPKTTOOf4fFzJYWonzCJ)

Hier wieder URAKAMI SAKAE . Verfolgt man die Bewegung der Sehne oberhalb der rechten Hand, so sieht man, dass sie sich langsam bis zu einem bestimmten Punkt bewegt, von wo aus der Abschuss blitzschnell erfolgt.( Man denke an die Schildkröte, die die Wasseroberfläche berührt und die Shiraô, die davonstieben )

KIN GYO KU KA

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Literatur:

Hans Gundermann, KYUDO YUMI MOKUROKU: 1999 1. Auflage

Hans Gundermann, KYUDO japanisches Bogenschiessen , Fachausdrücke : 1996, 2. Auflage

Joachim Hein, Bogenhandwerk und Bogensport bei den Osmanen ,nach dem Auszug der Abhandlungen über Bogenschützen des Mustafa Kani, Sonderdruck aus dem Islam Bd. XIV S. 289-360, 1925

URAKAMI SAKAE,( jap. 浦上榮, 1882 – 1971), Kasane Hanare no Jiki, Kyu-gu no Mikata to Atsukaikata,Japan 1996, ISBN 4-89659-817-2 (japanisch)

David G. Lanoue, Haiku of Kobayashi Issa: haikuguy.com/issa

YOJIJUKUGO: https//en.wikipedia.org/wiki/Yojijukugo