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Die Feldpostbriefe und –karten des Kanoniers Robert Kraft aus Kupfer aus dem Ersten Weltkrieg 1914-1918. Transkription der Abschriften im Stadtarchiv Schwäbisch Hall (Signatur: S24/84) bearbeitet von Daniel Stihler Schwäbisch Hall 2015

Die Feldpostbriefe und –karten des Kanoniers Robert Kraft ... · Während die Originale der von Robert Kraft zwischen 1914 und 1918 geschriebenen Briefe und Postkarten verloren

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Die Feldpostbriefe und –karten des Kanoniers Robert Kraft aus Kupfer aus

dem Ersten Weltkrieg 1914-1918. Transkription der Abschriften im Stadtarchiv

Schwäbisch Hall (Signatur: S24/84)

bearbeitet von Daniel Stihler

Schwäbisch Hall 2015

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung...............................................................................................................................3

2. Kriegsbeginn und Feldzug in Frankreich 1914..................................................................5

3. Abkommandierung zur „Pferdesammelstelle“ der 27. Division 1914-1915..................11

3.1. Einschub von Hilde Kraft: angebliche Prophezeiung Robert Hamerlings zum Ausgang des Kriegs.............................................................................................................................16

4. Kämpfe in den Karpathen und Vormarsch in Polen und Weißrussland 1915.............17

5. Feldzug in Serbien 1915......................................................................................................24

6. Stellungskrieg im Raum Ypern (Belgien) 1915-1916......................................................29

7. Die Sommeschlacht 1916....................................................................................................34

8. Stellungskrieg in Belgien und Frankreich 1916-1917......................................................39

9. Doppelschlacht an der Aisne, Stellungskrieg bei Verdun und Reims, Schlacht bei La Malmaison 1917.......................................................................................................................44

10. Erholung in Belgien, Stellungskrieg bei Cambrai 1917-1918.......................................51

11. Frühjahrsoffensive und weitere Kämpfe 1918, Lazarettaufenthalte, Kriegsende......54

11.1. Einschub von Hilde Kraft: „Nach-Satz“ ....................................................................58

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1. Einleitung

Der vorliegende Text enthält eine komplette Transkription der Feldpostbriefe und Feldpostkarten des aus Kupfer (heute Gde. Untermünkheim, Lkr. Schwäbisch Hall) stammenden Kanoniers Robert Kraft aus seiner Kriegsdienstzeit im ersten Weltkrieg.

Robert Kraft wurde am 4. September 1892 in Kupfer als Sohn des Bauern Johann Kraft und seiner Frau Katharine als zweites von drei Kindern des Paares geboren. Er besuchte nach der Volksschule das Gymnasium und trat 1912 als „Zweijährig-Freiwilliger“ in das Feldartillerieregiment „König Karl“ (1. württ.) Nr. 13 in Cannstatt ein. Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war er aktiver Soldat und wurde mit der II. Gruppe des Regiments am 7. August von König Wilhelm II. von Württemberg in den Kriegseinsatz verabschiedet. Als Fahrer einer Munitionskolonne, später als Geschützbedienung, erlebte er in den folgenden vier Jahren fast den gesamten Ersten Weltkrieg als Frontsoldat mit. Er wurde Zeuge der „Grenzschlachten“ im Sommer und Herbst 1914 in Frankreich, erlebte den beginnenden Stellungskrieg in den Argonnen und war eine Zeitlang als Pferdepfleger im ungefährlichen Hinterland der Front. Im April 1915 ging es an die Ostfront, wo er schwere Kämpfe in den Karpaten, die deutsch-österreichische Durchbruchschlacht bei Gorlice-Tarnów und dann die Verfolgung der russischen Armee bis nach Weißrussland miterlebte. Im Oktober 1915 kam das Regiment nach Serbien und war an der Eroberung von Semendria und dem anschließenden Vormarsch bis Kragujevac beteiligt. Ab Dezember 1915 stand Robert Krafts Abteilung an der Westfront. Auf den Stellungskrieg bei Ypern in Flandern folgte ab 1. August 1916 die Teilnahme an der Sommeschlacht, die für Robert Kraft wie für viele andere Beteiligte ein traumatisches Erlebnis war. Am 25. September 1916 ging es wieder in den Raum Ypern, nach einem knappen Monat zurück in das „Schlachthaus“ Somme. Im Frühjahr 1917 war das Feldartillerieregiment 13 als Heeresreserve an der Abwehr der beiden französischen Großoffensiven am „Chemin des Dames“ beteiligt (Doppelschlacht an der Aisne). Später erlebte Robert Kraft den Stellungskrieg im Raum Reims und Verdun mit und war im Oktober 1917 während der Schlacht von La Malmaison wieder am „Chemin des Dames“. Es folgten Zeiten in ruhigeren Abschnitten im Oberelsass und bei Cambrai. Am 21. März 1918, am ersten Tag der deutschen Frühjahrsoffensive, erlitt Robert Kraft eine Gasvergiftung. Er konnte zwar zunächst zu seiner Einheit zurückkehren, musste aber Ende Juli 1918 nach einem schweren Rückschlag erneut ins Lazarett und entkam so den für sein Regiment sehr verlustreichen Kämpfen ab dem August 1918. Am 16. November 1918 wurde er nach Hause entlassen. 1927 heiratete er Pauline Schaffert, eine Tochter des Kronenwirts Gottfried Schaffert in Enslingen, und übernahm die Wirtschaft seines Schwiegervaters. Das Ehepaar hatte zwei Kinder. Robert Kraft starb im Alter von 75 Jahren an 16. Juli 1968 in Enslingen.

Während die Originale der von Robert Kraft zwischen 1914 und 1918 geschriebenen Briefe und Postkarten verloren gegangen sind, hat sich ein Band mit Abschriften erhalten, die seine Schwester Hilde angefertigt hat. Dieser Band befand sich bis 2014 im Besitz von Frau Hanne Kleinknecht, der Tochter von Robert Kraft, und wurde dann dem Stadtarchiv Schwäbisch Hall übergeben, nachdem sich dort schon seit längerer Zeit eine Fotokopie befand. Original und Kopie werden unter der Signatur S24/84 verwahrt. Anhand der Kopie wurde durch den Bearbeiter eine komplette Transkription der Briefserie angefertigt. Diese Transkription ist Grundlage eines ausführlichen Beitrags über Robert Kraft, der 2014 in Buchform veröffentlicht wurde. Aufgrund des Quellenwerts der Briefe haben wir uns entschlossen, auch die Transkriptionen selbst über die Webseite des Stadtarchivs benutzbar zu machen.

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Änderungen im Text wurden weitestgehend vermieden. Orte sind – soweit möglich – in den Fußnoten identifiziert. Von Hilda Kraft verfasste Einschübe in den Brief- und Postkartentexten sind durch Einzüge gekennzeichnet. Zur besseren Übersichtlichkeit eingefügt wurden Kapitelüberschriften. Verwendete Literatur ist bei der erstenNennung vollständig, bei weiteren Nennungen in Kurzform genannt.

Zur Einordnung und Analyse der Briefe sei auf den bereits erwähnten Beitrag verwiesen:

• Daniel Stihler: „... Abgestumpft gegen alles, was den Menschen höher hält als das Tier“ - der Erste Weltkrieg in den Briefen des Kanoniers Robert Kraft aus Kupfer, in: Andreas Maisch, Heike Krause u.a.: Schwäbisch Hall 1914-1918. Eine Stadt und ihre Region im Ersten Weltkrieg (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Hall; H. 29), Schwäbisch Hall 2014, S. 223-272

Hier finden sich auch weitere umfangreiche Hinweise auf Literatur und Archivalien. Auf ein Literaturverzeichnis wurde deshalb hier verzichtet.

Zitate aus dem Text sind unter dem Verweis auf das Stadtarchiv Schwäbisch Hall und die Signatur der Briefsammlung (StadtA Schwäb. Hall S24/84) gestattet. Bei einer umfangreicheren Nutzung für Publikationen jeglicher Art ist die Zustimmung des Stadtarchivs und ggf. der Familie Robert Krafts einzuholen.

Daniel Stihler Schwäbisch Hall, März 2015

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2. Kriegsbeginn und Feldzug in Frankreich 1914

Briefe u[nd] Karten aus dem Weltkrieg 1914-15 von Robert Kraft Kupfer OA Hall

Aufzeichnungen der Briefe und Karten von meinem Bruder Robert, die er vom Feldzug 1914-15. aus schrieb. Robert war 22 Jahre alt u[nd] aktiver Soldat als der Krieg ausbrach. Er war ebenso wie Ernst beim Feld-Artillerie-Regiment Nro. 13 in Cannstatt. Er war gerade auf Urlaub, u[nd] wurde durch Telegramm plötzlich am 30. Juli 1914 abberufen.1

1. KarteCannstatt den 1. Aug[ust] 1914

Liebe Eltern!Lage brenzlig. Kam gestern erst um 12 Uhr nach Stuttgart. Als ich aus dem Hauptbahnhof herauskam merkte ich gleich, daß es spukt. Vor dem königlichen Schloß standen tausende von Menschen u[nd] sangen: Deutschland, Deutschland über alles. II. Abteilung 13 ist mobilisiert. Sämtliche Säbel sind geschliffen u[nd] zwar so, daß ich jeden Fetzen Papier mit durch schneide. Ich wurde sofort zu l[eichten] Munitionskolonne abkomandiert. Unsere 8 Mann müssen mobil machen. 24 Fahrzeuge samt Pferden. Sämtliche Fahrzeuge sind verpackt u[nd] mit scharfer Munition versehen.Soeben wird die allgemeine Mobilmachung bekannt. I. August abends ½ 6 Uhr

2. Karte

Liebe Eltern!Die Lage hat sich heute so verschärft, daß ich gezwungen bin, von dir l[ieber] V[ater], sowie von Mutter und Schwester Abschied zu nehmen. Sollten wir uns je nicht mehr sehn l[iebe] Elt[ern], so danke ich Euch herzlich, für Eure Sorgen u[nd] Kümmernisse, die Ihr mit mir hattet.Lebt wohl. Auf glückliches Wiedersehen! Euer Sohn Robert

Cannstatt den 1. Aug[ust] 1914Liebe Eltern!Soeben Eure Karte mit herzl[ichem] Dank erhalten. Wie’s bei uns zugeht macht ihr Euch schwerlich ein Bild. Heute werden 21 Spionen standrechtlich erschossen. Gestern erschien ein französisches Luftgeschwader. In ¼ Stunde stand die II. Abteilung schon auf dem Rothenberg. Sie hatten es abgesehen auf das Munitions-Viadukt. Geschossen wird die ganze Nacht. Jedes Auto muß angehalten werden, wer nicht hält muß sterben. Morgen gehts jedenfalls ab nach Belfort, bestimmt weiß ich es noch nicht. Im Ernst seine Kameraden sind alle bei mir: l[eichte] Munitionskolonn[e]. Von einem Wiedersehn ist keine Rede. Für Eure Ernte kommen Leute genug. Meine Adresse im Kriege ist:Robert KraftFahrer der leichten Munitionskolonne13. Armeekorps27.Division Feld-Artillerie-Regiment Nro. 13II. Abteilung

1 Vorspann von Hilde Kraft.

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Grüße an alle Angehörige. Einst u[nd] jetzt. Herzliche Grüße vom Schlachtfeld sendet Euer unglücklicher Sohn Robert

Lionville2

Liebe Eltern!Herzliche Grüße sendet Euch Euer jüngster im Felde! Regiment 65 soll schwere Tage hinter sich haben. Darf nichts schreiben, denn es ist sehr strenge Zensur. Was vom Boden kommt ist nicht das schlimmste, aber von oben. Grüßet auch Pfarrer Gerhardt. Wir waren 25 Stund[en] im Zug. Erdboden = NachtquartierBrot und Wasser

Longuieres3, den 27. August 1914Liebe Eltern!Herzliche Grüße aus dem Feindesland sendet Euch Euer Sohn Robert. Ihr habt jedenfalls schon gehört, was das 13. Armeekorps für Leistungen gemacht hat. Auch ich liebe Eltern habe dem Tod ins Angesicht geschaut. Vergangenen Samstag krepierte eine Granate 10 Schritt von mir, der Luftdruck warf mich zu Boden. Es ist in den letzten Tagen manch Tropfen Blut vom 13. Armeekorps geflossen. Es lag ma[n]ch wackerer Schwabe neben einem Rothosen. Den Anblick beim Überreiten des 1. Schlachtfelds kann ich nicht beschreiben. Tausende von Menschen bluteten nebeneinander. Diese schauderhaften Verletzungen, zum Teil mußte ich unwillkürlich weg schauen, sonst wären meine Nerven verloren gewesen. Diese verzweifelten Schreie u[nd] Ruhe, der zu Tod verletzten. Die Granaten reißen scheußliche Verletzungen. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles. Jetzt ist es einem das Liebste über ein Schlachtfeld zu reiten u[nd] einem scheintoten Franzosen sein Ende zu erleichtern. Fleisch haben wir in Hülle und Fülle. Die Schweine u[nd] Rinder springen herdenweis herum, jedoch an Brot mangelt es. Seit 3 Wochen ist die Erde unser Nachtquartier, die Scheinwerfer u[nd] die brennenden Dörfer unsre brillante Beleuchtung, Flugmaschinen unsre Begleiter, Granaten u[nd] Schrappnell unser Verderber, der Tod unser Erlöser. Was ich erlebt habe, kann ich Euch nicht schreiben, es machen ja Tausende mit. Nur das eine, Franzosen sind schlechte Soldaten, die nur bedacht sind ihr Leben zu erhalten. Wenn ihr mir was schicken wollt, so adressiert es richtig. Wäsche brauch ich keine, denn man kann von den Tornistern der gefallenen Infanteristen gerade genug haben. Zu Ernst kann ich auch hie u[nd] da. Frankreich ist erledigt. Also auf Wiedersehn! Euer jüngster im Felde. 2 Söhne u[nd] jeder aktiv im Schlachtfeld. Seid stolz darauf l[iebe] Eltern s’ist ja fürs Vaterland.

Clermont4, den 6. Sept[ember] 1914Liebe Eltern,Ein Lebenszeichen vom Schlachtfeld sendet Euch euer jüngster im Felde. Heute solls Sonntag sein, ich glaube, daß heute eine der größten Schlachten geschlagen wird, denn seit 2 Stunden zittert der Boden unter der Wucht der Geschütze, ein Hagelwetter ist eine Bagatelle dagegen. Ernst geht es auch soweit gut d[as] h[eißt] er lebt noch. L[iebe] M[utter] wenn du mir eine Schachtel Zigarren oder Cigaretten besorgen köntest wäre ich dir sehr dankbar. Zu essen haben wir immer etwas, man muß eben stehlen Obst, Trauben, Wein u[nd] Honig gibt es genug. Mich haben schon mehr als 50 Bienen gestochen. Aber diese Honigmasse der französischen wilden Bienen ist kaum zu glauben. Mit herzl[ichen] Grüßen

2 Vermutlich Vionville, département Meuse, région Lorraine, Frankreich.3 Möglicherweise Longuyon, département Meuse, région Lorraine, Frankreich. 4 Clermont-en-Argonne, département Meuse, région Lorraine, Frankreich.

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Euer Sohn Robert

Vor Verdun5, dem 6. Sept[ember] 1914Liebe Eltern!Den heutigen Sonntag glücklich erlebt, schwere Schlacht hinter uns. Im Ernst sein Kamerad Lude ist auch vorhin gefallen. Eine Granate fuhr mitten in unsere Kolonne, die Wirkung war entsetzlich. Unsere Verluste sind enorm. Der Feind ist aber total geschlagen. Es war die größte Schlacht des 13. Armeekorps.L[iebe] E[ltern] 5 Minuten möchte ich Euch hie her wünschen, daß Ihr ungefähr einen Begriff von einem Schlachtfeld bekommt. Deine Nerven l[iebe] Mutter wären in 5 Minuten kaput. Wann hört der Völkerhaß, wann hört der Krieg auf? In Gottes NamenEuer Sohn Robert

Vor Verdun, den 13. September 1914Liebe Eltern!Wir haben schwere Tage hinter uns. Ihr werdets in den Zeitungen lesen. Das 13. Armeekorps hat 67% verloren, es gibt Regimenter, die über 2.500 Mann verloren haben. Auch von uns wurde ein ganzer Zug vernichtet. Die Artillerie der Franzosen ist großartig. Zur Zeit leiden wir sehr unter der Ungunst der Witterung. Es regnet schon 2 Tage unausgesetzt, hauptsächlich leiden die Pferde. L[iebe] E[ltern] schickt mir etwas an Eßwaren!Mit herzl[ichen] Grüßen verbleibe ich Euer dankbarer Sohn Robert

Varennes6, den 17. Sept[ember] 1914Liebe Eltern!Ich bin heute zur 6. Batterie versetzt worden, wegen den großen Verlusten. Ich will Euch darum einiges von meinem seitherigen Befinden mitteilen. Der Feldzug zieht sich jedenfalls länger hinaus, als man zu Anfang glaubte. 2 ½ Millionen französische Krieger wollen besiegt sein u[nd] sie wehren sich jetzt auch anfangen wie die Löwen. Ihr werdets an den Verlustlisten merken. Nicht daß ihr etwa meint, ich sei im Trockenen. Unsere Kolonne hat bereits 19 Mann und über 20 Pferde [verloren?]. Das Pfeifen u[nd] Summen der französischen Granaten u[nd] Schrappnell ist unheimlich. Die Wirkung würde mich nicht so außer Faßung bringen, als die umherfliegenden Sprengstücke. Wer sie gehört hat, vergißt’s seiner Lebtag nie. Wenn sämtliche Granaten krepiert wären, gäbe es keine 2. Munitionskolonne Nro. 13 mehr. Aber das französische Material steht lang dem deutschen nach. Das 8tägige Ringen bei Bretz war auf einem der größten französischen Schießplätze, deshalb unsere großen Verluste. Durch das vortreffliche Funktionieren der französischen Flugzeuge hatten wir schweren Stand. Auf Auto haben sie ihre schweren Geschütze (Marine) hergeführt u[nd] einbetoniert. Sie sind uns jetzt aber alle unser.Was gibt es sonst neues in Kupfer.Mit herzlichen Grüßen auch an HildaEuer dankb[arer] Sohn Robert

5 Verdun, département Meuse, région Lorraine, Frankreich. 6 Varennes-en-Argonne, département Meuse, région Lorraine, Frankreich.

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Varennes, den 25. Sept[ember] 1914L[iebe] Eltern!Nur meiner Kälte habe ich mein Leben zu verdanken. Im Kriege muß man Menschen töten können, wie bei uns im Sommer eine Maus, daß der Mensch so verroht, dazu zwingt ihn sein Handwerk, oder vielmehr die, welche dieses Blutvergießen angestiftet haben. Entweder du oder ich das ist traurig. Wie viele fallen meuchelmörderisch. Wir fuhren neulich durch ein Dorf, als wir mitten drin waren fielen Schüsse. Als Strafe wurde das schöne Dorf angezündet u[nd] wer aus den Häusern herauskam wurde erschossen u[nd] nichts verschont.7

Herzliche Grüße Robert

Vermarm8, den 1. Sept[ember] 1914L[iebe] Eltern!Soeben erhielt ich Euer Paketchen herzl[ichen] Dank dafür. Es ist doch das einzige Andenken von der l[ieben] Heimat. In einem solchen Kriege lernt man erst die Heimat schätzen, u[nd] man sehnt sich nach ihr zurück. L[iebe] Elt[ern] der Feldzug dehnt sich jedenfalls den Winter, darum brauche ich sämtliche Unterkleider. So viel ich weiß, kann man jetzt Pakete bis zu 10 lb. schicken. Alles geht dann anders. Für Eßwaren bin ich sehr dankbar. Wir haben heute den schärfsten Sommertag u[nd] sind stark im Gefecht. Artillerie pfeift wieder die höchsten Töne. Es handelt sich um Verdun. Die Festung wird großartig verteidigt. Es liegt schon mancher Z[en]t[ne]r deutsche Gußstahl darin, hat sich aber bis zur Stund noch nicht ergeben. L[iebe] E[ltern] Fleisch braucht ihr mir keins zu schicken, denn ich habe mich [...] gegessen. Schade für das französische Vieh, wo an der Straße liegt, entweder verbrannt oder halbverwest, nur ein paar Stücke davon gegessen. Diese Pferde l[ieber] V[ater] im Alter von 1 – 3 Jahren 50 – 60 Stück bei einer Herde alle der Kälte u[nd] dem Hungertode ausgesetzt, die schönsten Exemplare. Was nicht zu jung ist nehmen wir mit als Gespanntiere. Die französische Landwirtschaft ist in den verwüsteten Gegenden auf Jahrzehnte total ruiniert. Erstens die meisten Häuser abgebrannt. 2.) Vieh u[nd] Pferde weggetrieben. 3. das eingesammelte Getreide als Lagerstroh im Freien verwendet. 4. das gute eingesammelte Heu verfüttert. 5. die landwirtschaftlichen Maschinen zum Lagerfeuer verbrannt. Schon mehr als 100 Getreideselbstbinder wurden auf diese Weise vernichtet. 6. Ihre Felder mit dem schönsten Getreide liegt verfault draußen. Denk Dir wenn es uns so ginge. Ich schreibe in den nächsten Tagen wieder. Mit herzl[ichem] Dank verbleibe ich Euer Dankb[arer] Sohn Robert

7 Vermutlich bezieht sich die Schilderung auf ein Massaker in dem französischen Dorf Fresnois-la-Montagne, département Meurthe-et-Moselle, région Lorraine, am 23. August 1914, dem 51 Zivilisten zum Opfer fielen, vgl. John Horne, Alan Kramer: German Atrocities, 1914. A history of denial, New Haven/London 2001, S. 61 u. 470 (Fußnote 30). Der Brand von Fresnois wird bei Hermann Pantlen: Das Württembergische Feldartillerie-Regiment König Karl (1. Württ.) Nr. 13 im Weltkrieg 1914-1918 (Die württembergischen Regimenter im Weltkrieg 1914-1918; Bd. 43), Stuttgart 1928, S. 18 erwähnt. Demzufolge war Robert Krafts Regiment war an dem Massaker nicht beteiligt, wurde aber offenbar Zeuge der Geschehnisse. 8 Nicht identifiziert.

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Binarville9, den 5. Okt[ober] 1914L[iebe] Eltern!Erhielt soeben Euer 5. Päckchen mit den l[ieben] Zeilen von Vater b[esten] Dank. Die heutige Adresse war richtig. Nur möchte ich Euch bitten mir keine Zigarren mehr zu schicken, denn ich muß meine Nerven schonen. Ich habe herbe schicksalschwere Stunden hinter mir. Das Fleisch habe ich so satt. Den feinsten Kalbsbraten, den wir kameradschaftlich am Feuer machen ist belanglos für mich. Schokolade ist mir das liebste. Habt ihr meine 30 M[ark] erhalten.Herzlichen Dank u[nd] GrußEuer Robert

Binarville, den 7. Oktober 1914Gel[iebte] Eltern u[nd] Schwester!Ich will Euch wenns in meinen Kräften steht jeden anderen Tag schreiben. Bin jetzt gottlob soweit wieder gesund. Ich habe schwere Tage hinter mir. Denn ich bin nämlich vor 8 Tagen mit 7 halb verschossenen Pferden auf einem Hof zurückgeblieben. Da wurde ich des Nachts, als ich mit geladenem Revolver auf dem Heuboden lag, durch einen Knall geweckt. Kaum beim Besinnen hör ich das bekannte nervöse Pfeifen, u[nd] bumbs schlägt wieder eine Granate ein paar m[eter] neben mir ins Dach hinein. Da steht man da l[ieber] V[ater]. Es war Nacht, daß ich keine 2 Schritte vor mich hinsah. Nur durch das Loch, welches die Granate durchs Dach gemacht hat, sehe ich beim Krepieren der Geschosse einen Feuerschein. Ich springe hinunter zu meinen Pferden. Da wirds auf einmal hell, denn der vordere Scheunengiebel brannte lichterloh. Ich führte dann gleich das 1. Pferd hinaus u[nd] holte das 2. bis ich es aber hinaus brachte, lag das 1. schon erschossen draußen. Als ich das 3. holen wollte konnte es nicht laufen, den Feuertod wollte ich es aber nicht erleiden lassen, darum erschoß ich es im Stalle. Die Granatsplitter fuhren um mich herum wie Hagel. Mein Mantel hatte 3 Löcher. Auch an meinem Fuß wurde ich leicht verletzt, ich merkte es gar nicht gleich, vor Aufregung, nur als ich später meine Stiefel herauszog u[nd] sah, daß das Blut darin herumlief u[nd] der Stiefel ein Loch hatte. Von den 7 Pferden konnte ich mit 3 entfliehn. 3 erschoß ich u[nd] 1 fiel. Ich ritt in Nacht u[nd] Nebel hinaus u[nd] entkam. In einer solchen Stunde l[iebe] Elt[ern] muß man mit seinem Herrgott im Reinen sein. Diese Nacht vergesse ich nie. Meine Nerven sind seither gegen alles abgestumpft. Das macht der Krieg. Mich rührt nichts mehr. L[iebe] E[ltern] heute war ich in der Kirche, die Fenster zitterten unausgesetzt unter der Wucht der Geschütze. Da mußte ich unwillkürlich an unser l[iebes] friedliches Kirchlein in Übrigshausen denken. Ich erhielt heute 2 Päckchen von Euch meinen innigsten Dank. Eins l[iebe] E[ltern]. Schickt mir keine Zigarren mehr ich rauche seit jener Stund keine mehr. Schokolade ist mein einziger Wunsch.Herzliche Grüße von Eurem dankb[aren] SohnRobert

Binarville, den 8. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!Habe heute im Vater seinen Brief samt Briefpapier, das ich notwendig brauchen kann, erhalten. Erhaltet Ihr auch meine Postsachen? Ich glaub Dir’s l[ieber] V[ater], daß ihr viel zu arbeiten habt u[nd] möchte Euch nur bitten den Hof bei unserer Abwesenheit so gut als möglich einzusäen u[nd] die Feldfrüchte einerden, es ist sicher nicht zu unsrem Schaden. Frankreichs Fluren sind auf Jahre hinaus vernichtet. L[ieber] V[ater] wegen uns brauchst du dich nicht zu grämen, wir kommen schon durch. Schlecht [haben] wir es zur Zeit nicht, wir sind seit 12 Tagen in einem schönen Wiesentale, wie ungefähr das Kochertal, bloß viel enger.

9 Binarville, département Marne, région Champagne-Ardenne, Frankreich.

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Musik haben wir auch, die französischen Granaten singen über uns hinweg = 1. Tenor, fr[an]z[ösischer] Schrapnel10 = 2. Tenor, fr[an]z[ösisches] Belagerungsgeschoß = II. Baß, wir kennen sie alle am Ton. Mit der Gefahr wird man so vertraut, wie die Kinder an das Angstgefühl. Ich u[nd] Fritz Frank Gaisdorf sind Tag u[nd] Nach beieinander. Sagt doch den Leuten meine neue Adresse. Ich bin bei keiner Kolonne mehr, sondern bei der Gefechts-Batterie u[nd] zwar = 6. Batterie Nro. 13 II. Abt[ei]l[un]g 27. Div[ision] 13. Armeek[orps]. Gestern war ich in Grand Pre11 da kamen Landsturmleute12 mit 45 Jahren an, um die Eisenbahn zu bewachen. Zum Teil Leute mit grauem Bart u[nd] Haren. Diesen Leuten kann der Abschied auch schwer gefallen sein. Sie zuckten bei jedem Kanonenschuß, den sie aus weiter Ferne hörten zusammen. Sie sagten selbst, die Curage wie mit 20 Jahren hätten sie doch nicht mehr. Dir ginge es gewiß auch so l[ieber] V[ater]. Morgen wieder Fortsetzung.Mit herzl[ichem] Gruß Euer dankb[arer] jüngster im Felde. RobertGrüßet doch das ganze Haus von mir. Sowie meine Bekannten.

Birnarville, den 9. Okt[ober] 1914L[iebe] Eltern!Meinem Versprechen gewiß will ich jeden Tag schreiben. Wir liegen noch auf der gleichen Stelle wie vor 14 Tagen u[nd] haben zur Zeit wunderschönes Herbstwetter bei tadelos klarem Himmel. Wir haben wieder einmal eine unruhige Nacht hinter uns. Mit Nachtanbruch um 7 Uhr begann gestern ein mörderisches Infanteriefeuer, das bis 9 Uhr anhielt. Die Infanteriegeschosse pfiffen wieder die schönsten Töne über unsere Köpfe hinweg, wir liegen aber tadellos geschützt in einem steilen u[nd] engen Tale. Leute hat die gestrige Nacht jedenfalls genug gekostet, denn vor dem Knarren der Maschinengewehre verstand man sein eigenes Wort nicht mehr. Es handelt sich um eine Stellung im Walde, wie Hopfenschnüre so ist er mit Stacheldraht durchzogen. Für Artillerie unerreichbar, weil in dem hohen Wald unsre Geschosse beim berühren der Baumstämme krepieren u[nd] den Franzosen absolut nichts macht, denn sie haben Schützengräben mit 3 M[eter] Tiefe gestaffelt u[nd] mit Eichendielen Erde u[nd] Baumstämmen überdeckt, dahinter ein Maschinengewehr am andern. Kaum waren wir ½ Stunde unter dem Zelt, da hörten wir wieder den wohlbekannten Tenor u[nd] diesmal in unmittelbarer Nähe. Ich stand erst auf, als die Erdbollen auf unserem Zeltdach aufschlugen, denn ich bin nicht mehr so arg ängstlich. Aber jetzt war es allerdings Zeit zum verschwinden. Wir nahmen unsere Pferde an der Hand u[nd] gingen das Tal noch ein bischen weiter hinunter, u[nd] nach einer ½ Stunde war wieder stille Ruhe, nur unterbrochen durch das hie u[nd] da kurz einsetzende Rattern der Maschinengewehre. So geht eine Nacht nach der anderen u[nd] ein Tag um den anderen herum, keine Minute seines Lebens sicher. Wie geht’s Euch daheim? Hoffentlich kommen wir wieder bis zum Dreschen. Jedenfalls nicht vor dem Jahr 1915. Wir wollen Gott danken wenn bis dorthin Schluß ist. Euer dankbarer Sohn RobertDie 26. Div[ision] darunter auch Ernst sind mit versiegeltem Ordre abmarschiert nach Russland oder Belgien

10 Schrapnellgranaten wurden gegen gegnerische Truppen eingesetzt und waren mit Bleikugeln gefüllt, die kurz vor dem Ziel durch eine Treibladung nach vorn ausgestoßen wurden. 11 Grandpré, département Ardennes, région Champagne-Ardenne, Frankreich.12 Der „Landsturm“ bestand aus älteren Wehrpflichtigen (bis zu einem Alter von 45 Jahren), die für den Einsatz an der Front als nicht mehr geeignet angesehen wurden. Württembergische Landsturmbataillone wurden in den jeweiligen Oberamtsbezirken aufgestellt und meist zu Sicherungsaufgaben im rückwärtigen Bereich der Front eingesetzt (z.B. zur Bewachung von Bahnhöfen oder von Kriegsgefangenen).

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3. Abkommandierung zur „Pferdesammelstelle“ der 27. Division 1914-1915

Fermes de Loges13, den 11. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!Ich bin seit 3 Tagen zur Pferdesammelstelle der 27. Division zu kommandiert. Ich habe es hier sehr schön. 30 km hinter der Front mit ein paar halbverschossenen Pferden. L[ieber] V[ater] die solltest nur die Fohlen haben, die hier zusammen gefangen sind u[nd] die, die draußen herumspringen im Rudel bis 50 Stück halb wild u[nd] kaum zu fangen. Es kommt in den nächsten Tagen ein Transport Fohlen nach Cannstatt. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß ich mit darf, jedoch schlechte Hoffnung. Mitgemacht hätte ich jetzt allerdings genug. Will dir hier in kurzem diesen französischen Bauernhof schildern. Der Hof ist geschlossen 4 eckig d[as] h[eißt] er besteht aus 4 Gebäuden in dieser Form sind überhaupt alle französischen Höfe. Groß ist der Hof zirka 80 Hektar. Ich fragte den einzigen Knecht, der noch dageblieben war, wie viele Pferde sie hatten, worauf er sagte 62 Stück lauter ½ u[nd] 1-2 Jahre alt sowie 30 Stück Vieh. Ungefähr 50 Morgen von dem Hof sind Fohlenweide d[as] h[eißt] mit Stacheldraht eingemacht. An Landwirtschaftlichen Maschinen sind hier 3 Mähdrescher, 1 Dreschmaschine mit Selbstbinder, ein Benzinmotor, eine Schrotmühle, eine Gerbmühle u[nd] sonst noch ein Haufen Maschinen. Schade für diesen Hof. Wenn der Besitzer wieder kommt, findet er nur noch einen leeren Hof, er muß froh sein, wenn seine Gebäude noch stehen. Wieviel solche fr[an]z[ösische] wurden schon ein Raub der Flammen. Die Scheune von dem Hof war voll mit prima Weizen jetzt liegt schon 2/3 als Streu für die 250 Pferde die hier sind zusammen getreten im Mist, das Heu ist u[nd] wird vollends verfüttert ebenso die Habergarben. Das Vieh ist weggetrieben, die Äcker u[nd] Wiesen sind verschunden, von etwas einsäen ist keine Rede. Wir müssen täglich zirka 10 Stück Pferde erschießen, die nicht mehr imstande sind, aufzustehen, zum Teil Pferde im Werte von 2.000 M[ark] die reinste Schindwirtschaft. Wir sind hier 50 Mann = 2/3 Landsturmleute mit weißen Bärten. Verschiedene mit 45 Jahren. Einer hat 6 Kinder u[nd] keine Frau zu hause. Dieses Elend. Kanonendonner hören wir nur aus weiter Ferne. Das schauerliche Pfeifen der Granaten vermisse ich fast. Hat Euch Ernst geschrieben wo er mit der 26. Division hinkam? Haben hier herrliches Herbstwetter. Die Postsachen könnt ihr ruhig weiter an die 6. Batterie Nr. 13 schicken, es wird mir von da aus zugesandt. Eins tut mir im Herzen weh, das ist die fr[an]z[ösische] Landwirtschaft, die auf Jahre hinaus in der von uns besetzten Gegend vernichtet ist. Wie würde es erst in Deutschland aussehen wenn sie zu uns hereingekommen wären. Ihr dürft Gott danken.Soeben kommt ein Transport Landsturmleute, um die Pferde nach Cannstatt zu bringen. Ich darf also nicht mit. Schön wärs gewesen. Mit herzl[ichem] Gruß Euer dankbarer Sohn Robert.

Ferm de Loges, den 17. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!Herzliche Grüße von einem guten Posten sendet Euch Euer d[ankbarer] Sohn Robert,Wir gehen wirklich jeden Tag auf die Jagd, es gibt hier massenhaft Fasanen. Bin hier im Dienstzimmer als einziger Schreiber.

13 Nicht identifizierbar, Name eines Einzelhofs in der Nähe von Grandpré, département Ardennes, région Champagne-Ardenne, Frankreich.

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Ferm de Loges, den 18. Okt[ober] 1914Liebe Eltern !Herzliche Grüße vom Kirchweihfest auf französischer Erde sendet Eucher dankb[arer] Sohn Robert.Mir geht es soweit ganz gut auf der Pferdesammelstelle. Wir haben hier auch frei u[nd] können in die nächste Stadt Grand-pre14. Hier ist auch ein Friseur, wo ich meine Haare schneiden ließ. Einen Pelz hatte ich ungefähr 8 cm lang. L[iebe] Elt[ern] schickt mir meine Post mit der Adr[esse] 6. Batterie z[ur] Zeit Pferdesammelstelle der 27. Division, bis ich Euch wieder eine andre schreibe. Wie geht es zur Zeit bei Euch? Jedenfalls eine ruhige Kirchweih dieses Jahr. Mein Traum, daß bis spätestens Kirchweih der Krieg beendet ist hat sich nicht erfüllt. So wird’s auch mit Weihnachten, das wir so bestimmt wie Kirchweih in Feindesland feiern. Wieviel hast Du eingesät? Säe nur viel Weizen, denn der wird enorm rarer nächstes Jahr. Euer d[ankbarer] Robert

Ferm de Loges den 19. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!Vaters Brief sowie Strümpfe erhalten b[esten] Dank. Einen Brief von dir l[ieber] V[ater] hebe ich immer besonders auf. Ich hatte seit 8 Tagen keine Post mehr bekommen, jetzt gestern bekam ich 6 Päckchen, 2 Briefe u[nd] 2 Karten. Mir gehts gut, was ich auch von Euch hoffe u[nd] wünsche. Wenn ich nur meinen durchlöcherten Mantel als Andenken behalten dürfte. Herzlichen Dank u[nd] Gruß Euer d[ankbarer] Robert

Ferm de Loges den 12. Okt[ober] 1914L[iebe] Eltern!Will auch heute ein Lebenszeichen von mir geben. Mir gehts noch immer gut. Essen wird eben gekocht was wir fertig bringen. In unsrer Kochkunst habe ich es zum Meister gebracht. Wenn wir heimkommen wird gedroschen, Hoffentlich dauert der Krieg nicht, bis Pfingsten nächstes Jahr, wie ich schon munkeln hörte. Es ist zur Zeit so ruhig an der Front, ich muß mich wundern, daß das schöne Herbstwetter nicht besser ausgenutzt wurde. Jetzt regnets u[nd] die Operationen sind natürlich behindert. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Robert

Ferm de Loges den 26. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!Herzlichen Dank für Eure Päckchen. Mein großes Packet habe ich immer noch nicht erhalten. Ich sitze eben Tag für Tag hinterm Tisch als Schreiber. Vorgestern ging wieder ein Transport Pferde u[nd] Fohlen nach Cannstatt ab. L[ieber] V[ater] die Fohlen werden jedenfalls zu teuer für dich, ich weiß, denn ich habe das Verzeichnis in Händen. Herzliche Grüße an alle Euer Robert

Ferm de Loges den 31. Okt[ober] 1914Liebe Eltern!L[ieben] Dank für Eure Briefe. Wir haben schon wieder 125 Fohlen beieinander Sämtliche Fohlen u[nd] Pferde, die nach Württemberg kommen, gehen durch meine Liste es sind innerhalb 8 Tagen wieder 320 Stück beisammen. Es ist eine Freude diese Fohlen auf einer solchen großen Weide wie sie da ist herum springen zu sehen. Aber von einer Pflege ist keine Rede, erst heute wurde wieder eines erschossen, dem von einem anderen der Fuß abgeschlagen wurde. Schon mehr als 200 Gespannpferde stehen auf meiner Totenliste, welche wir erschießen mußten. Grund: unheilbar, d[as] h[eißt] in den jetzigen Verhältnissen. In Deutschland wäre die Hälfte noch zu retten gewesen.

14 Grandpré, département Ardennes, région Champagne-Ardenne, Frankreich.

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Seit 2 Tagen u[nd] 2 Nächten wütet in nächster Nähe eine Schlacht, in deren die Weltgeschichte einzig dasteht.15 Es stehen hier zirka 3 Millionen Menschen einander gegenüber die Schlacht muß mörderisch sein. Wir sind 30 km hinter der Front, konnten aber in den beiden Nächten keine Minute schlafen, so zitterte der Erdboden. Die Fensterscheiben zitterten oft so, daß man glaubte sie zersprängen. Die Wirkung der englischen16 Marinegeschütze ist verheerend. Das Maschinen- und Kleingewehrfeuer wütet mit einer noch nie gehörten Heftigkeit. Das Resultat ist bis jetzt noch unbekannt. Der Himmel färbte sich rot von lauter Granaten u[nd] krepierenden Schrapnellen. Es ist allein grauenhaft zum zuschauen bei Nacht, wie mag es da in den Schützengräben aussehen.Genug jetzt.Herzlicher Gruß Euer Robert

Ferm de Loges den 3. November 1914L[iebe] Eltern!Soeben erhielt ich Euer großes Paket, herzl[ichen] Dank. Soeben ging auch wieder ein Transport von 160 Pferden nach der Heimat. Schade, daß ich nicht mit darf, ich habe den Ober-Veterinär gefragt, obgleich ich wußte, daß ich nicht mit darf. Er sagte mir, daß ich für seinen Zweck unentbehrlich sei. Sonst geht es mir gut, ich bin eben der Schreiber. Für eine elektrische Taschenlampe für die langen Nächte wäre ich Euch sehr dankbar. Herzliche Grüße auch an alle Kupfermer Euer dankb[arer] Robert.

Ferm de Loges den 3. Nov[ember] 1914Liebe Eltern!Herzl[ichen] Dank für erh[altenes] Päckchen. Wasch [?] braucht ihr mir keine schicken bis ich schreibe, denn wir erhielten auch Liebesgaben. Bei meiner Adr[esse] nicht 27. Div[ision] vergessen sonst bekomme ich nichts. In Nordfr[ankreich] ist auch eine Pferdesammelstelle. Herzt[ichen] Dank u[nd] Gruß Euer Sohn Robert

Fermes de Loges, den 11. Nov[ember] 1914Liebe Eltern !Ich will euch auch einige Blicke in ein französisches Schloßchen17 werfen lassen. Wie Ihr wüßt liegen wir auf einem großen Hof, der einem französischen Baron gehört, welcher in der Nähe sein Schlößchen hat. Mit was für einer Pracht dieses Schlößchen ausgestattet ist, macht ihr Euch kein Bild. Es geht nämlich eine marmorne Treppe hinauf, hier sind 4 große Glastüren mit wunderbarer Malerei. Dann kommen lauter orientalische Teppiche, links u[nd] rechts der Wand ist feinster Marmor. Darauf kommt ein Verzeichnis der Säle und Zimmer. Es sind insgesamt 8 Säle und 54 Zimmer. Hinter jedem Zimmer ist ein goldner Knopf zum elektrischen Licht. Jetzt kommt man durch 2 Flügeltüren ins Empfangszimmer. Wenn man da hineinkommt, weiß man nicht mehr wo aus noch ein, denn zwischen den großen Marmorplatten mit 2 Q[adrat]m[eter] Durchmesser u[nd] 15 m[illi]m[eter] Dicke. Der Boden ist mit feinstem Teppich, die Möbel sind aus kunstvollem, geschnitzten Eichenholz u[nd] prächtige Ölgemälde hängen an der Wand, von hohem Kunstwert. An jeder Wand, sowie an der Decke sind kunstvolle elektrische Leuchter. Der Ballsa[a]l ist so dekoriert, daß man glauben kann, man wäre ins Himmelreich versetzt, der Boden ist so glatt, daß ich mit meinen genagelten Stiefeln mir nicht getrauen würde, darüber hinweg zu laufen. Die Schlafzimmer

15 Gemeint sind wahrscheinlich Kämpfe im Raum Verdun, deren „Artilleriedonner“ in den Argonnen zu hören war, vgl. Otto v. Moser (Bearb.): Die Württemberger im Weltkrieg. Ein Geschichts-, Erinnerungs- und Volksbuch, Stuttgart 31938, S. 323. 16 Davor gestrichen: franz[ösischen]. 17 Nicht identifizierbar, in mehreren Dörfern in der Umgebung von Grandpré gab bzw. gibt es Schlösser, z.B. das Château de Chatel in Chatel-Chéhéry, dass aufgrund seiner moderaten Größe durchaus das von Robert Kraft beschriebene „Schlößchen“ sein könnte.

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sind in purster Seide, alles tiefblau mit einem ebenfalls tiefblauen Schleier, der mit einer Gabel befestigt ist. Auf beiden Seiten 2 elektrische Lichter. Die Toilettzimmer sind ein Spiegelsaal alles Marmor u[nd] zwar tiefblauer mit den feinstgeschliffenen Gläsern. In dem Speisesaal wird alles elektrisch serviert. Das Besteck ist alles feines Silber, sowie die vielen Modelle, die herumstehen. Diese unbeschreibliche Pracht mußte der Besitzer jedenfalls in höchster Eile verlassen. Nebst herzl[ichem] Gruß Euer Robert

Bemerkung: Am 16. November öffnete sich die Türe, abends 8 Uhr als wir alle in der Stube waren u[nd] Robert kam herein. Wir hatten keine Ahnung u[nd] trauten zuerst unseren Augen [nicht], denn es kam uns vor wie ein Traum doch es war Wirklichkeit u[nd] die Freude kann man sich denken. Robert durfte mit einem Transport Pferden heraus u[nd] bekam dadurch 4 Tage Urlaub. Er konnte sehr viel erzählen.18

Reise nach FrankreichHerzliche Grüße aus Saarbrücken von der soeben besichtigten Artilleriekaserne sendet Euer dankb[arer] Sohn Robert. Die Reise geht ganz gut von statten, wir sehen uns dabei ein wenig die Welt an. Eine kleine Ansicht der fr[an]z[ösischen] Taten.

Herzliche Grüße von der Stadt Luxemburg sendet Euch Euer Robert

Ferm de Loges, den 28. Nov[ember] 1914L[iebe] Eltern !Bin soeben gut in Pferdesammelstelle angekommen, Die Fahrt war sehr interesant. In Saarburg waren wir auch, habt ihr die Karte der dortigen zusammengeschossenen Art[illerie]-Kaserne erhalten. In Luxemburg hatten wir 10 Stunden Aufenthalt. Herzliche Grüße Euer Sohn Robert.

Ferm de Loges, den 30. Nov[ember] 1914Liebe Eltern!Soeben geht das Art[illerie]-Regiment Nro. 13 nach Rußland ab. Denkt Euch, wenn ich noch bei der Batterie wäre hätte ich auch mit gemusst.Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Ferm de Loges, 28. Nov[ember] 1914L[iebe] Eltern !Ich muß Euch dringend bitten, bei meiner Adresse nicht mehr Art[illerie]-Regiment Nro. 13 6. Batt[erie] hinzuschreiben, denn dieses ist ja bekanntlich in Rußland. Bloß nach Pferdesammelstelle der 27. Division. Im andern Fall bekomme ich nichts mehr.Herzliche Grüße an alle Euer Robert.

18 Einschub von Hilde Kraft.

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Ferm de Loges den 8. Dezember 1914Liebe Eltern.Wie gehts Ernst ? Lebt er noch. Gestern erfahre ich, daß wir bei Ypern droben kolosale Verluste hatten. Hoffentlich hat er es durchgehauen. Selbstverständlich ist das erst der Anfang vom Ende. Am 1. Advent war ich beim Abendmahl. Herzl[iche] Grüße an alle Hausangehörige u[nd] Bekannten, Euer Sohn Robert

Ferm de Loges, den 9. Dezember 1914Mes chers Parents!Parce que jai an moment rien à travailler je vous veux écrire une lettre en langue francaise. Il n’es seulement à l’exercice en langue fransaise. Il me va toujours bon que j’espere aussi a vous. S’il est ka volontè de Dieu est Ernest encore aussi bien portant. Il à des lourds heures sur le derriere et encore plus loier assoir avant. Je crous, que la bataille princepale fut battue en sa ailo. Je vous ai deja ecrit de quelles inormes pertes les avaient perdus ! Mais ce n’est que le commeme ment au fin. Comment il va chez-nous ? Est tout sam ? Installez-vous aussi appli que ment la battosse ? Avez vous deja battu an avoine ? Que font les domes tiques Charles et Charles Dietle et les servantes ? Combien de quintals froments avez-vous cet an ? Est-celle acheve notre petite maison ? Que fait le jeune joli chevoeul Vive-til encore ? Que fait votre voisinage, et qu el ya autrement nouveau ? Il vous salve cordeale Votre reconaissant fils Robert Kraft

Übersetzt von Herrn Förstner (Übrigshausen)Meine lieben Eltern!Weil ich augenblicklich nichts zu arbeiten habe, will ich Euch einen Brief in französischer Sprache schreiben. Es ist mir zur Übung der französischen Sprache. Es geht mir immer gut, wie ich das auch von Euch hoffe. Wenn es Gottes Wille ist, befindet sich Ernst auch noch ganz wohl Er hat schwere stunden vor sich u[nd] noch schwerere nach sich. Ich glaube daß die Hauptschlacht auf seinem Flügel geschlagen wurde. Ich habe Euch schon geschrieben welch ungeheure Verluste sie hatten. Aber das ist nur der Anfang vom Ende. Wie geht es bei Euch? Ist alles gesund? Habt Ihr den Haber schon gedroschen. Wie geht Karl, u[nd] Karl Dietle u[nd] den Mägden? Wieviele Zentner Weizen habt ihr dieses Jahr? Ist unser kleines Haus fertig? Was macht das hange [?] hübsche Reh? Lebt es noch? Wie geht’s Eurer Nachbarschaft, u[nd] was giebts sonst Neues?Es grüßt Euch herzlichEuer dankb[arer] Sohn Rob[ert] Kraft

Ferm de Loges den 10. Dez[ember] 1914Liebe Eltern !Will Euch auch einmal ein Lebenszeichen senden. Die 21. Division hat zur Zeit schwere Stunden, seit 52 Stunden währt der Kampf Tag u[nd] Nacht. Heute nacht wurde mit einer nie da gewesenen Heftigkeit geschossen. Resultat unbekannt.Mit herzl[ichem] Gruß Robert

Fermes de Loges den 16. Dezember 1914Werte Familie Kraft !Da es mir dieses Jahr nicht vergönnt ist, die Feiertage in der lieben Heimat zu erleben, so wünsche ich Euch auf diesem Wege, fröhliche Weihnachten u[nd] ein glückliches friedenbringendes Neues Jahr.Euer Robert Kraft

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3.1. Einschub von Hilde Kraft: angebliche Prophezeiung Robert Hamerlings zum Ausgang des Kriegs

August 191419

Noch ein Prophet des WeltkriegsEmanuel Geibels20 prophetische Verse auf den Sieg Deutschlands über die verbündeten Feinde in Ost u[nd] West sind vielfach veröffentlicht worden. Noch prophetischer klingt aber die Weissagung, die Robert Hamerling21 kurz vor seinem Tode am 25. Januar 1910 in Verse brachte. Wir lassen sie hier ohne weitere Bemerkungen folgen: sie spricht für sich selbst.

Meine hellen Seheraugen tauch ich ein im ewigen Lichte.Und vor meine Seele treten zukunftstrunkene Gesichte.Durch das Euch verhüllte Dunkel tatenschwangrer ferner ZeitenSeh ich ein holde Göttin nah und immer näher schreiten.Du o zwanzigstes seit Christi, waffenklirrend und bewundert,Wird die Nachwelt einst dich nennen, das germanische Jahrhundert.Deutsches Volk, die weite Erde wird vor Dir im Staub erzittern. Denn Gericht wirst Du bald halten mit den Feinden in Gewittern.Englands unberührten Boden wird dein starker Fuß zerstampfen, Überall wird auf zum Himmel hoch das Blut der Feinde dampfen:Und den tönernden Giganten Russland stürzest du zerborsten,In der Ostsee reichen Landen wird der deutsche Adler horsten.Österreich, du totgeglaubtes, eh’ die zwanzig Jahr vergehn,Wirst du stolz und jugendkräftig vor den vielen Völkern stehen,Und sie werden dich erzitternd, beugend sich vor deinem Ruhm,Herrscherin des Ostens nennen, zweites deutsches Kaisertum. Mit des neuen Polens Krone wir sich in Habsburg kränzen, Unter ihm in junger Freiheit wird die Ukraina glänzen. O geliebtes Volk, ich höre, stimmen schon die Zymbeln, Geigen, Und die Pauken und Drommeten zu dem großen Siegesreigen. Freue dich der Heldenzeiten, das Geschick ist dir verbündet – Fürchte nichts von deinen Feinden, Wahrheit hab ich dir verkündet.

19 Einschub von Hilde Kraft.20 Franz Emanuel August Geibel (1815-1884), ab 1852 von Geibel, spätromantischer Dichter und Dramatiker, Verfasser des Librettos zur Oper „Loreley“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy bzw. Max Bruch. 21 Trotz des falschen Todesdatums ist offenbar der österreichische Dichter, Erzähler und Dramatiker Robert Hamerling (1830-1889) gemeint, dem diese „Prophezeiung“ von ihrem anonymen Autor untergeschoben worden ist.

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4. Kämpfe in den Karpathen und Vormarsch in Polen und Weißrussland 1915

Roberts Reise nach Galizien

Robert schrieb unterwegs Karten u[nd] Grüße aus folgenden Städten1. Nürnberg2. Donauwörth3. Hof4. Chemnitz5. Dresden6. Plauen7. Kolin.22 Herzliche Grüße aus Böhmen sowie aus Prag sendet Euch euer Robert8. Viele Grüße aus Miskolcz23

9. Nochmals herzliche Grüße. Haben um ½ 2 Uhr Wien passiert.10. Ruhatar24. Sind hier zirka 20 km von Budapest. Morgen geht’s nach dort. 11. Herzliche Grüße aus Budapest. Wir sind schon 6 Tage unterwegs. Durch ganz

Österreich-Ungarn gehts.12. Ersekujvar25, Herzliche Grüße aus Ungarns fruchtbaren Gefilden.

Liebe Eltern!Glücklich hier angelangt meine Adresse lautet:Fahrer Robert Kraft25. Reserve DivisionBeskiden ArmeekorpsFeld-Artillerie-Reg[iment] Nro. 13II. Abteilung4. BatterieK.K. Österreich-UngarnMit herzlichen GrüßenEuer Sohn Robert.

Nro. 1 Datum Ort unbekannt

L[iebe] Eltern!Ich stehe hier inmitten einer der blutigsten Schlachtfelder. Vor mir gähnt ein Abgrund von 12 m Tiefe, herührend von österreichischen 42 cm Geschützen- Ich zähle soeben 62 Tote im Umkreis von 25 m, der größte Teil wurde durch den Luftdruck getötet. Tausende von toten Russen bedecken hier die Erde. Die Gefangenen 2200 an der Zahl sagen, daß sie noch keine solche Kanonade gesehen haben. Sie haben entsetzliches hinter sich. Es standen hier gegen 300 deutsche Geschütze von 5 cm bis zu 42 cm. Berge von Munition wurden verschossen. Ich konnte die Schlacht beobachten, denn wir waren hinter einem Berg.Gruß Robert

22 Heute Kolín, Region Mittelböhmen, Tschechien. 23 Miskolc, Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén, Ungarn. 24 Nicht identifizierbar. 25 Érsekújvár, ungarischer Name von Nové Zámky, Region Nitra, Slowakei.

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Liebe Eltern!Es kommen von Zeit zu Zeit große Pakete, immer zum Regiment, welche mit einem Pferdetransport mitgenommen werden. L[iebe] Elt[ern]. Ich muß Euch ersuchen, Euch zu erkundigen und mir ein derartiges auch zukommen zu lassen. Ich bedarf dringend Wäsche, auch Nahrungsmittel.Herzl[icher[ Gruß Euer Robert

KarpathenL[iebe] Eltern!Haben eine schreckliche Nacht hinter uns. Liegen hier 1200 m vom Feind weg, gedeckt von 15 Mann Infanterie. Punkt 8 Uhr setzte die russische Artillerie mit einer nie dagewesenen Heftigkeit ein, eine russische Division ging gegen uns zum Sturm vor. Unsere Pferde standen hinter den Geschützen im Fall des Rückzugs. Unsere Deckung wurde gestürmt. Da ging etwas entsetzliches vor. 36 Geschütze (Art[illerie-]Reg[iment] Nro. 13) eröffneten Schnellfeuer mir noch nie gesehener Heftigkeit. Von unserer Batterie wurden allein 2 Geschütze unbrauchbar. Jede Batterie feuerte gegen 1000 Geschoße. Die Russen wurden schon sichtbar als im Sturmschritt ein hessisches Infanterie Reg[iment] uns Hilfe leistete. Unsere Verluste sind bedeutend, jedoch schossen die Russen alles 50 m hinter uns hinein. Ein solches Feuer habe ich noch nie erlebt. Im Nu brannte ein ganzes Dorf von unserer Artillerie. Wir haben hier sehr schwere Stellung. Die Russen schießen alles hinter uns mit Geschützen jeden Kalibers.Mit herzl[ichem] Gruß Euer dankb[arer] Sohn Robert

Liebe Eltern!Wenn Ihr mir wieder Honig sendet, so schickt ihn in Blechbüchsen, denn der letzte war kaput mitsamt allem. Für Honig bin ich Euch besonders dankbar, auch die Cigaretten. Was macht die Heuernte? Wie steht das Obst u[nd] Feld? Was machen Eure Russen. Gestern hat ein russisches Inf[anterie-]Reg[iment] uns 100 Mann mit Bickel u[nd] Spaten totgeschlagen.Herzliche Grüße Euer Robert

Prymysl26, den 20. Mai 1915L[iebe] Eltern!Soeben bekomme ich von Euch mein erstes Lebenszeichen, es hat lange gedauert. Mir geht es soweit gut. Wir stehen hier in schwerer Schlacht in der Nähe der Festung Prymysl. Haben furchtbar unter der schweren Artillerie zu leiden. Nur eine Gottesfügung von 10 m u[nd] es hätt mich eine 22 cm [-Granate] zerrissen. Ich höre heut noch nicht viel, von dem furchtbaren Schlage. Wir haben ungeheure Strapazen hinter uns. Ich kanns Euch nicht beschreiben. Ein Beispiel. Mit 14 Pferden an der bloßen Lafette fuhren wir einen 1100 m hohen Berg27 hinauf. Als wir zur Hälfte oben waren, ging es wieder rückwärts hinunter bis auf 200 m. Nur dank der Entschlossenheit der Kanoniere retteten wir unser Leben. Hunger müssen wir furchtbar leiden. Sämtliche Brücken haben die Russen gesprengt. Bagage kommt überhaupt nicht mehr. Post dringend nötig.Robert

26 Przemyśl, Woiwodschaft Karpatenvorland, Polen. 27 Laut einer später angefügten Notiz der Duklapass.

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Zambor28, den 23. Mai 1915Liebe Eltern!Heute feier[n] wir Pfingsten u[nd] unter was für Umständen. Seit 3 Tagen kaum mehr etwas zu Essen. Von Post keine Rede. Die Pferde haben schon seit 4 Tagen keinen Hafer mehr gesehn. Ein jeder sagts, so traurig wars über den ganzen Krieg noch nie. Und diese enormen Strapazen, die wir hinter uns haben. Von Homona bis 30 km vor Lemberg, schaut nur auf der Karte, diese Strecke haben wir in 9 Tagen zurückgelegt, unter Schwierigkeiten, die ich überhaupt nicht wiedergeben kann. Die Russen haben jede, auch die kleinste Brücke zerstört, alles niedergebrannt u[nd] ausgeraubt. Von Wegen keine Spur. Wir fuhren Stundenweise den Bachläufen entlang. Das Wasser ging den Pferden bis an die Brust. Beim Duklapaß, wo wir wieder hinunterrutschten, liegen tausende von Gefallnen Russen. Über den San gingen 2 wunde Cement Beton Brücken hinüber, eine für Eisenbahn, die andere für Fuhrwerke. Sie waren beide total vernichtet. Wir mußten über den Fluß, der zirka eine Breite wie der Rhein hat hinüberfahren. Wir hatten nachher keinen trocken[en] Fetzen mehr am Leib. Millionen von Werte mußten die Russen zurücklassen. Sie haben aber alles verbrannt. In dem Proviantamt zu Kowno29 lagen allein über 10000 Z[en]t[ne]r Hafer, 6000 Z[en]t[ne]r Gerste, 2000 Z[en]t[ne]r Brot, 300 Tonnen Lachs, 500 Tonnen Salz, Tee, Kaffee, u.s.w. alles haben sie verbrannt. Gestern eroberten wir wieder 7 Geschütze, 14 Munitionswägen, so geht es immer weiter. Ich habe alles notiert. Könnte einen Vortrag halten, von 10 Stunden.Herzliche Grüße Euer Robert

Zambor, den 25. Mai 1915Liebe Eltern!Eben erhielt ich von Euch einen Brief. Ihr schreibet, daß die Ernte voraussichtlich gut sei, wir wollen es hoffen. Mit dem Urlaubsgesuch von Ernst wirds wohl nichts werden. Soeben hat uns Italien den Krieg erklärt. Die Würfel sind gefallen. Traurig aber wahr. Prophezeit habe ichs schon längst. Ich will nur sehen wies jetzt weiter geht, hauen wir es wohl auch noch durch? Was macht Rumänien und Bulgarien? Die Russen schlagen wir schwer, haben gestern wieder 4000 Gefangene gemacht, 36 Maschinengewehre u[nd] 12 Geschütze erbeutet. Den ganzen Tag kommen Gefangenentransporte. Es wird hier aber Tag u[nd] Nacht geschossen, daß man meinen könnte die Hölle wäre los. Es handelt sich hier noch um 200 000 Russen. Ihre Eisenbahnlinie zwischen Lemberg u[nd] Prymysl wurde gestern im Sturm genommen, kostete uns aber 1100 Mann. Es ist jammerschade für die vielen Leute die diesen Wonnemonat Mai bei uns u[nd] im Westen ihr Leben lassen mußten. Ich glaube es ist der blutigste Monat dieses ganzen Krieges. Ein Ende ist noch nicht vorauszusehen. Es muß vollends verbluten. Was ich hier in den Karpathen schon mitgemacht u[nd] Hunger gelitten habe ist unbeschreiblich. Uns Karpathentruppen wurden pro Kopf täglich für 1 M Zulagen in Nahrungsmittel versprochen. Aber durch den Vormarsch hatten wir nicht einmal ein Stückchen Brot 7 Tage lang. Von der Zuckermelasse, die die Österreicher lieferten machten wir uns Tee. Mehr als 20 Pferde mußten wir liegen lassen vor Erschöpfung, unser Pferdematerial hier ist ruiniert. Die Karpathen sind wunderschön, romantisch wie kein zweites Gebirge. Von der hohen Tatra aus 1450 m hoch, wo die Bergbahn hinaufführt hat man eine Aussicht nicht zum beschreiben. Ganz geschaffen als Gebirgsturen. Ich für meine Person habe meiner Lebtag genug von Gebirgsturen. Was wir schon mitmachten in den Karpathen, stellt alle Strapazen dieses Kriegs in den Hintergrund. Werde es wenns Gottes Wille ist, daß ich heimkomme, erzählen.Euer dankbarer Sohn RobertBitte nur Post nicht sparen.

28 Vermutlich Sambir, Oblast Lwiw, Ukraine. 29 Kaunas, Reg.-Bez. Kaunas, Litauen.

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Zambor, den 31. Mai 1915Liebe Eltern!Soeben erhalte ich von Euch Post. Meinen herzlichen Dank. Ich kann die Sachen verflucht notwendig brauchen. Bei uns ist ein Elend seinesgleichen. Was wir hier Hunger leiden müssen ist unbeschreiblich. Ich bin schon ein paarmal zu den Österreichern u[nd] hab mir dort Brot u[nd] Kartoffel erbettelt. Wir essen was nur halbwegs eßbar ist. Aus frischen Tannentrieben machen wir Tee, angezapften Birken Zuckerwasser. Wir bekommen seit einigen Tagen Zuckermelasse für die Pferde, da wird Brei u[nd] Gelee davon gemacht. Der Futtermeister muß das Zeug einschließen, sonst ists am andern Morgen gegessen u[nd] die Pferde haben nichts. Das Galizien ist so russenfreundlich gesinnt, jeden Tag werden Bewohner erschossen von uns wegen Verrat. Was die Österreicher sagten ist wirklich Tatsache, daß sie bloß durch Verrat gezwungen waren, diesen unbegreiflichen Rückzug anzutreten. Die Bevölkerung verläßt ihre Häuser nicht, sogar zwischen der Gefechtsfront nicht. Erst gestern fuhren wir wieder durch ein Dorf, wo vor einem Hause 1 Frau u[nd] 4 Kinder lagen, getötet durch eine Granate. Sogar auf dem Feld arbeiten sie ruhig weiter. Sie benutzen es hauptsächlich [um] den Russen Zeichen u[nd] Signale zu geben. Gewöhnlich macht ein weißes Wölkchen30 diesen scheinbar friedlichen Bauern ein Ende. Wie ist die Stimmung in Deutschland? Was gibts sonst Neues. Jetzt kommen jedenfalls die Druckenberger31 auch vollends daran. Ich habe hier in den 8 Wochen seit ich hier bin noch kein unschönes Wort zu hören bekommen. Fein heißt heißt unser Hauptmann. Es ist aber auch ein feiner Mensch. Die Kameradschaft ist hier sehr groß. Bitte schickt mir alle 14 Tage ein Paket Kakao, es ist das Beste. Für Honig wäre ich sehr dankbar. Für ein Stück Rauchfleisch wäre ich auch nicht abgeneigt. Jedenfalls kommen wir nach Italien, wenn wir die Russen hier vollends vernichtet haben. Es heißt es allgemein. Der Krieg kostet noch 100 000 von Menschen. Es ist nicht zum glauben, daß sich Italien in ein solch blutiges Drama mischt, ohne jeglichen Grund. Ist es Gottes Wille, so bleibt die Strafe nicht aus. Der Krieg wird natürlich dadurch bedeutend verlängert. Schickt mir bitte auch ein Läusemittel. Halbe Nächte kann ich nicht schlafen wegen den Bestien. Jetzt bis der Krieg zu Euch kommt, hat die Heuernte schon begonnen. Ich wünsche, daß ihr sie gesund heimbringt, wenns auch ein paar Schweißtropfen mehr kostet. Die Gefahr eines Einfalls der Franzosen in deutsches Gebiet ist jetzt viel größer als vorher.In der Hoffnung, daß ihr von diesen Gefahren verschont bleibt.Herzliche Grüße Euer Sohn RobertHerzl[ichen] Dank für Hilda, für ihre lieben Zeilen.

Lemberg32 den 16. Juni 1915L[iebe] Eltern!Sende euch hiermit herzliche Grüße aus Lemberg. Wir haben auf dem Pferdelazeret Pferde abgegeben, u[nd] uns 2 Tage hier einquartieren lassen, natürlich auf eigene Kosten. Sehr nette Stadt. Aber verdorben. Euer Robert.

Lemberg den 15. Juli 1915Liebe Eltern!Ich befinde mich seit 3 Tagen in Lemberg. Wie ich dazu kam laßt Euch erzählen. Ich wurde vor 14 Tage zum Pferdelazeret der Reserve mit je einem Offizierspferd komandiert. Das Schicksal wollte, daß das Pferd in ein paar Tagen krepierte, u[nd] das Korps in dieser Zeit auf unbekannten Ort verschoben wurde. So standen wir zu dritt da. Aber ich als Weltreisender

30 Gemeint ist wohl eine Schrapnellgranate. 31 Drückeberger. 32 Heute Lwiw, Oblast Lwiw, Ukraine. Lemberg war einen Monat zuvor, am 22. Juni 1915, von den russischen Truppen geräumt worden.

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hatte gleich einen Plan gemacht. Wir saßen in ein Lastauto u[nd] fuhren nach Zollkiew. Von dort aus saßen wir in einen Güterzug u[nd] dampften nach Lemberg zurück (32 km). Da Lemberg eine schöne Stadt ist u[nd] ich ziemlich Geld in der Tasche habe (72 M) beschloßen wir hier eine Ruhepause zu machen, von den enormen Anstrengungen. Ich ging zum Magistrat u[nd] ließ mir ein Zimmer zuweisen, natürlich kostenlos. Ich erhielt eine Anweisung in der Wliowa Straße, vornehmste Straße Lembergs. Ich habe hier 1 Wohnzimmer, 1 Schlafzimmer, 1 Badezimmer, 1 Küche, 1 Salon. Alles elektrisch mit einem Confort wie Ihr ihn noch nicht seinesgleichen gesehen habt. Zum Kaffee machen habe ich einen Gaskocher, in 4 Minuten sitzt der Kaffee. Die Leute sind hier sehr freundlich gegen die Deutschen. Ich habe in meinem Salon einen Kronleuchter mit 12 elektrischen Lampen, ich habe noch nie so etwas gesehen.Meine Betten sind zu gut. An jedem Bett 2 elektrische Lampen, Toiliettezimmer u[nd] Parfümerie u[nd] alles hier. Hier bin ich Alleinherrscher. Ihr könnt Euch denken, daß ich da nicht fortgehe solang ich noch einen Kreuzer habe. Ich will das Leben auch noch einmal genießen, es ist vielleicht das letztemal. Bin jetzt schon 3 Tage hier. Was Kunstbauten anbelangt kommt Lemberg vor Stuttgart. Nur ein Teil Straßen läßt zu wünschen übrig die Lage ist großartig, total eben, gute Straßenbahnen. Meine Post gehört halt solang meinen Kameraden, dürft ruhig weiterschicken.Herzliche Grüße Euer dankb[arer] Sohn Robert

Grabowice33, den 26. Juli 1915Liebe Eltern!Bin wieder seit gestern bei meiner Batterie. Herzlichen Dank für die vielen Sachen, die ihr mir geschickt habt. Wir sind hier über 100 km im Russischen u[nd] haben erbitterte Kämpfe. Es geht aber immer gut vorwärts. Für das Haller Tagblatt wäre ich sehr dankbar. Ich brauchte 12 Tage bis ichs Regiment fand. Mit herzlichem Gruß Euer Sohn Robert

Grabowice, den 27. Juli 1915Liebe Eltern! Erhalte soeben 3 Pakete von Euch, 2 mit Wasch, 1 mit Honig. Die Wasch hatte ich dringend nötig, mir fehlte nämlich alles. Von Lemberg habe ich mich einigermaßen vorgesehen mit 2 Hemden 1 paar Unterhosen = 12 M. Ich möcht Euch auch noch um 1 Handtuch, Spiegel, Seife u[nd] Kamm, sowie Zigaretten bitten. 1 paar Hosenträger brauche ich dringend nötig. Die Gamaschen sind tadellos, ich kann sie gut gebrauchen. Wie steht bei Euch die Ernte? Habt Ihr schon angefangen? Ja, werdet Ihr auch fertig mit den Russen? Hier steht eine wunderschöne Ernte- Hauptsächlich Weizen, Roggen u[nd] Gerste. Aber alles wird kaput gefahren u[nd] geschossen. 100 von km fruchtbaren Landes sind für dieses Jahr den Russen entzogen. Ich habe meine Adresse in Ulm angegeben, diese schreiben Euch wenn ein geeigneter Transport abgeht, wo ihr dann ein großes Paket mit schicken könnt. Sonst geht mir es gut.Herzliche Grüße an sämtliche Hausangehörigen u[nd] Kät[h]eRobert

33 Vermutlich Grabowiec, Woiwodschaft Lublin, Polen.

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Liebe Eltern!Herzlichen Dank für Euer soeben erhaltenes Paket. Ich habe jetzt alles erhalten. Ich bin bei der Bug-Armee. Kommandeur ist von Linsingen. Wir sind in Cholm34. Vor uns ist der jüdische Kirchhof, daneben das Totenhaus, das eben voll ist, von lauter durch die Kosaken getöteten Juden. Ein Gejammer u[nd] Wehklagen ohnegleichen. Das läßt aber einen Krieger kalt. Daneben steht eine brennende Spiritusfabrik mit 3 Kesseln u[nd] 1200 hl. Die Bevölkerung wollte noch so viel als möglich retten. Als gegen 50 Personen in der Fabrik waren explodierte ein Kessel. Mehr als 20 Personen sprangen in brennenden Kleidern herum, die anderen verbrannten. Ich selber riß einem die brennenden Kleider vom Leibe. Euer Robert.

Lublin35, den 8. August 1915Herzlichen Dank für soeben erhaltenes Päckchen. Wäsche habe ich jetzt genügend. Schicket mir bitte dringend Rauchmaterial (keinen Tabak), es ist sonst verdammt langweilig. Sind zur Zeit stark im Vormarsch, jeden Tag Gefecht. Der Ruß wird geschlagen, wo er sich stellt. Habt ihr auch einen reichen Erntesegen.Herzl[icher] Gruß Euer Robert

Liebe Eltern!Ich wünschte, daß ihr einmal durch die gesegneten Gefilde Süd-Rußlands passieren könntet. Ein größeres Bild von Jammer u[nd] Elend menschlicher Barbarei kanns auf der ganzen Welt nicht mehr geben. Von Cholm bis hieher (100 km) findet man kein Wohnhaus mehr, kein Getreidefeld, kein menschliches Wesen, nur noch Trümmerstätte u[nd] Asche. Vieh, Pferde, Hunde, Geflügel alles mitverbrannt. 14 Tage war die Sonne verdunkelt. Der Brandgeruch war zuletzt unwiderstehlich. Es liegen hier die schönsten Rittergüter in Trümmern. Dreschmaschinen sind auf dem Felde verbrannt. Kurzum alles verbrannt. Dies alles kann uns nicht mehr aus der Ruhe bringen. L[iebe] E[ltern] Sollte es wieder einmal Gelegenheit geben, mir ein großes Paket zu senden, so versäumt es nicht. Von meinem letzten zehrte ich 3 Wochen. Wir haben hier nichts, denn Fleisch u[nd] Kartoffel. Mit herzl[ichem] Dank u[nd] Gruß Euer dankbarer S[ohn]Robert

Liebe Eltern!Seit 34 Wochen kein Lebenszeichen mehr von Euch. Fleisch haben wir hier soviel, daß ich keins mehr ansehen mag. Zuerst hat man das Fleisch gekocht, dann wurde es gebraten, gehakt zu Fleischküchlein u.s.w.Schweine-, Kalbs-, u[nd] Rinderbraten, jetzt kann ich es nicht mehr sehen. Die besten Stücke von dem Vieh werden weggeschnitten, das andere wird liegengelassen. Was hier Vieh herumspringt u[nd] von den Kosaken getötet wurde geht in die Hunderttausende. Was jetzt noch herumspringt muß Hunger sterben. Zu fressen hats nichts, hier ist alles ödes Sumpfland. Ein Bild, das die Schrecken des Kriegs zu greifbar vor Augen stellt. Um ein paar M[eter] so wären wir heute in die Luft geflogen. Erhalten tun wir nichts mehr, kein Brot, keinen Hafertee. Wir müssen von lauter Fleisch leben. Sonst geht’s gut.Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] Robert.

Unbekannt, den 28. August 1915L[iebe] Eltern!Wir liegen zur Zeit 22 km südöstlich hinter Brest-Litowsk36. Es sieht hier einfach schauderhaft aus, das es fast einen rauhen Kriegsmann rührt. Bis jetzt hatte die russische Regierung das Prinzip, sämtliche Bewohner der abgebrannten Dörfer vor sich hier zu treiben.

34 Chełm, Woiwodschaft Lublin, Polen. 35 Lublin, Polen. 36 Heute Brest, Woblast Brest, Weißrussland.

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Durch die schnelle Räumung von Brest-Litowsk, (nebenbei gesagt, eine der stärksten russischen Festungen) war es den Truppen nicht mehr möglich die Leute mitzunehmen, oder wollten sies nicht mitnehmen, kurzum, heut passierten wir einen Teil der hergetriebenen Zivilbevölkerung. Jetzt dieser Anblick. Über 10 000 Stück Rindvieh, fast die gleiche Zahl der schönsten Pferde, u[nd] unübersehbare Massen Schweine u[nd] Schafe liegen hingemetzelt auf den Feldern, ein Bild zum Erbarmen. Ermordet zum Teil auf grauenhafte Weise, von den Picken der russischen Kosakenhorden. Lieber sollte alles kaput sein, als daß wir es bekommen. Wer sich von der Bevölkerung stellte wurde mit ermordet, davon zeugen die vielen Gräber. Es standen hier Wagen herum, wo 5-6 Pferde ermordet drum herum lagen. Ein Bild, wie man es nicht beschreiben kann. Der Ruß wird zurzeit so verfolgt daß er zur Schlacht gezwungen wird. Der Ruß hat hier eine Menge Proviant hinterlassen. Z[um] Beispiel bekam jede Batterie 500 Konservenbüchsen, das macht bei einer Armee schon was aus. Außerdem enorme Mengen Rauchwaren, Reis u[nd] Gemüse. Diese Festung (Brest-Litowsk) ist stärker als Iwangorod37, der Russen letztes Bollwerk ist eingenommen. Wie die Festung befestigt war, will ich unterlassen zu beschreiben vielleicht einmal später.Hier gibt es viele Bienen. Aber keine Kästen, sondern nur ausgehöhlte Baumstämme. Ich habe gestern wieder 8 Konservendosen voll heraus. Ich habe daher schon 2 Nächte nicht mehr geschlafen und heute wurde es ½ 3 Uhr bis ich den Honig ausgelassen habe. Was das für eine Arbeit ist könnt Ihr daraus ersehen, daß ich alles aussieden mußte. Ein großes Kochgeschirr mit Wasser u[nd] ein kleines wo der Honig hinenkommt, dann stark erhitzt u[nd] den herauslaufenden Honig durch ein Sieb gelassen. Allerding[s] die Hälfte bleibt darin. Weißt Du ein anderes Mittel l[iebe] Mutter. Ich habe zum mindstens 50 lb.[?] aus einem solchen Baumstamm heraus zum Teil ganz verzuckert. Fertig werde ich aber mit den Bienen. Ich nehme den Keil heraus u[nd] tue einen Bund brennendes Stroh hinein, in 5 Minuten liegen alle Bienen auf dem Boden, dann nimmt man Axt u[nd] spaltet ihn auseinander in einer halben Stunden ist alles fertig. Letzthin gab es so viele Preiselbeeren, da machte ich mir auch ein paar Büchsen voll dieses ist aber tadellos, wie die Mutter noch keines gemacht, noch gegessen hat. Zucker hatte ich. Euer dankb[arer] Robert

37 Iwangorod, Oblast Leningrad, Russland, am rechten Ufer der Narva gelegene Festung.

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5. Feldzug in Serbien 1915

Die Reise Roberts nach Serbien38

Nro. 1Liebe Eltern!Herzliche Grüße aus Warschau sendet Euch Euer Sohn Rob[ert]. Sind schon 14 Tage auf Marsch, u[nd] wurden gestern in Sidlice39 (80 km oberhalb Warschau) verladen.

Nro. 2Sende Euch anbei noch eine Ansicht von Warschau. Wo wir hinkommen, wissen wir nicht. Serbien oder Dardanellen.Herz[ichen] Gruß Euer S[ohn] Robert

Nro. 3Cegled40

Herzliche Grüße aus dem tiefsten Ungarns sendet Robert. Wir sind über: Warschau, Czernowitz41, Krakowitz42, Oberschlesien, Österreich-Ungarn, Budapest hierher gekommen. Wohin? Wissen wir nicht.

Nro. 4Cegled

Lieber Schneck!Sende dir hier eine Ansicht von meiner neuen Asiat[ischen]-Orient Reise. Die nächste kommt von Konstantinopel.Herzl[icher] Gruß dein Bruder Robert

Themes Mora43

Liebe Eltern! Erhalte seit 4 Wochen zum erstenmal wieder Post. Wir liegen hier hart an der serbischen Grenze in Reservestellung. Habe ein tadelloses Quartier hier seit 8 Tagen. Meiner Lebtag habe ich noch keine solch großen Trauben gesehn, wie sie hier wachsen. Ich muß aber auch Tag u[nd] Nacht arbeiten. Heute morgen bin ich schon um 1/2 3 Uhr aufgestanden u[nd] habe Wein gepreßt. Zu zweit haben wir schon 12 Eimer Wein gepreßt. Es gibt hier kolosal Wein. Eine derart fruchtbare Gegend habe ich noch nie gesehn. Mein Quartierherr verkauft jedes Jahr 2 Waggons Mais. Jeden Tag gibts hier Trauben u[nd] Gänse. Morgen gehts ins Feindesland. Soeben großes Paket erhalten. Mit herzlichem Gruß Euer Sohn Robert

38 Einschub von Hilde Kraft. 39 Siedlce, Woiwodschaft Masowien, Polen. 40 Cegléd, Komitat Pest, Ungarn.41 Heute Tscherniwzi, Oblast Tscherniwzi, Ukraine. 42 Heute Krakowez, Oblast Lwiw, Ukraine. 43 Wahrscheinlich Temesvár, heute Timişoara, Kreis Kreises Timiş, Rumänien.

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Semendria44

Lieber Vater!Herzlichen Gruß von der Festung Semendria. Hat Hilda das seidene Kopftuch erhalten?Mit herzlichem Gruß Euer Robert

SemendriaL[iebe] Schw[ester] Hilda!Sende auch dir ein Lebenszeichen, aus einem schönen Stückchen Erde. Haben hier ein Klima wie bei uns im Sommer. Trauben gibts hier in Fülle, da könntest du dich einmal heressen. Vor mir liegt eine Traube, garantiert 5 lb. Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] Dank Dein Bruder Robert

Semendria, den 16. Oktober 1915Liebe Eltern! Ich will Euch ein Lebenszeichen von einem gottbegnadigten Stück, doch von Menschenhand furchtbar gestraften Stadt schicken. Nämlich ein solches Vernichtungswerk deutscher Artillerie habe ich noch nie gesehen. Vor 3 Tagen passierten wir die Donau, bei der Insel u[nd] Festung Semendria, mittels Dampfschiff. Wir waren das erste Regiment, das bei Tag übergesetzt wurde an einer Stelle, wo die Donau 1200 m breit ist. Als wir nun bis auf 100 m an die Landungsstelle näherten fing die feindliche schwere Artillerie an uns zu beschießen. Diese Gefühle, welche uns da beschlichen kann ich nicht beschreiben. Ein ungeschützter Dampfer inmitten der Donau ohne Rettungsbo[o]t mit zirka 1000 Pferden u[nd] Munition. Gottes Fügung sollte sein, daß der Dampfer nicht ernstlich beschädigt wurde. Haushoch spritzten die Wassersäulen in die Höhe von den Geschossen, eine Seeschlacht ersten Ranges. Unsere Mörser auf der anderen Seite der Donau erwiderten den Gruß mit einem grauenhaften Tone. Eine Kunst war es nicht uns zu treffen, denn die Serben hielten die Höhe durch Zementwerke schon längst vorbereitet, besetzt u[nd] konnten jede Bewegung beobachten. (An[n]ahme ich lande in Kupfer und die Waldenburger Höhen sind vom Feinde besetzt. Hier die gleiche Lage.) Gelandet mußte werden, koste es was es wolle. So landeten wir unter dem unerschütterten schwersten Artillerie-Feuer. Hier ist viel deutsches Blut geflossen. 68 Pferde lagen stellen weise auf einem Haufen. Nur durch unsere schwerste Artillerie waren wir in der Lage zu landen. Es standen hier 2 42 cm Geschütze, 6 Liniengeschütze45 38 cm durch Matrosen bedient, 3 Batterien 30,8 cm, ein dutzend 21 cm, u[nd] unzählige Batterien Fuß- u[nd] Feld-Artellerie. Wir fuhren gleich am Donauwalle entlang in Stellung. Hier hatte ein jeder mit seiner letzten Stunde gerechnet, aber die Serben schossen immer ein paar Meter zu weit in die Donau hinein. Wir beschossen die Festung Semendria eine Festung wie Jerusalem mit 24 Türmen und Mauern oben mit Zinnen u[nd] Schießscharten, wunderschön gelegen an der schönen, blauen Donau am Fuße der Berge. Diese Festung leistete keinen Widerstand angesichts unserer schwersten Artillerie. Desto stärker waren aber die Höhenränder des Gebirgszugs befestigt u[nd] ausgebaut. Die ungarische u[nd] alles hielt sie für unbezwingbar. Allerdings Menschenkraft hätte sie niemals bezwungen aber unsere Technik. Von einer Beschießung der Stadt wollte man absehen. Aber als unsere Infanterie einzog, konnte sie sich nur durch schnellste Flucht retten. Weiber, Kinder u[nd] Greise schossen aus ihren Dach- u[nd] Fensterläden ein vernichtendes Feuer. Das sollte der Untergang einer der fruchtbarsten serbischen Städte sein. Präzis 2 Uhr eröffnete die gesamte Artillerie vom leichtesten bis zu schwersten Kaliber ein vernichtendes Bombardement auf die Stadt. In 2 Stunden hatte die Stadt aufgehört zu existieren. Gestern wurden die Höhen durch die Serben geräumt u[nd] unsere Artillerie ging durch die Stadt. Der Anblick war unbeschreiblich. Weiber lagen noch

44 Semendria = Smederevo,Verw.-Bez. Podunavlje, Serbien, Festungsstadt an der Mündung der Morava in die Donau. 45 Gemeint ist Schiffsartillerie = Linienschiffsgeschütze.

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hier, mit Handgranaten in der Hand. Nur mit Schaudern denke ich an die 3 Schuß von den 42 cm Mörser[n], ich kanns nicht beschreiben. Die Leute flüchteten was noch flüchten konnte alles zurücklassend auch das Notwendigste. Ich war in einem Hause, wo noch der Kassenschrankschlüssel im Schranke steckte. Ein Volltreffer hatte das ganze Haus durchschlagen. Den Wein holen wir mit dem Eimer, er lauft zum Teil auf der Straße. Trauben gibts hier in solcher Masse u[nd] Größe wie bei uns eine Welschnuß. Ich habe mir auch 10 Gläser mit Gesälz geholt, sowie Honig, 2 Sack Welschnüsse, das gibts hier in Unmasse, ebenso Feigen, 2 Hüte Zucker, 1 Handtuch, Wäsche, u[nd] was ich eben nötig hatte. Wir lassen es uns noch einmal gut gehen, ehe die Strapazen im Gebirgsfeldzug I. Ranges kommen. Wir liegen 120 km unter Belgrad, dicht an Rumänien. Weit weg von der l[ieben] Heimat, werden wir sie wohl noch einmal wieder sehn? Jedenfalls dieses u[nd] das nächste Jahr noch nicht. Hoffentlich habt ihr einen guten Tropfen Wein zu Hause, daß wir beim Siegeseinzug auch einen Ehrentrunk genießen können. Sonst gehts mirs gut, was ich auch von Euch erhoffe. Mit herzlichem Gruss u[nd] DankEuer Robert

Graguevhac46, den 2. November 1915Liebe Eltern! Sende Euch anbei wider ein Lebenszeichen. Wir sind hier in der 2 größten Stadt Serbiens. Eine ganz nette Stadt, sie wurde ohne Kampf übergeben. Die Höhen hinter er Stadt werden zur Zeit von der schweren Artillerie beschossen. Serbien liegt in den letzten Zügen. Aber was haben wir mitgemacht. Seit 8 Tagen ununterbrochen Regen, keine Wege gibts nicht, nichts als Berge, nur für Maultiere und Esel Passage & jeden Tag vorwärts, jeden Tag Gefecht, ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die Strapazen in Serbien, die der Karpathen übersteigen. I. auf unserem Flügel serb. Hochgebirge II. Mit 10-12 Pferden muß Schritt für Schritt erzwungen werden, zum Teil metertiefen Dreck, welcher von einer unglaublichen Klebkraft ist, vom Erdboden sind wir schwerlich zum unterscheiden, alles nur noch ein Erdklumpen, Tag u[nd] Nacht fort. Wenn uns nicht unbeschränkte Kräfte zur Verfügung stehen würden, wären wir schon längst kaput. Wir haben schon 16 Ochsen in der Batterie, die Pferde krepieren dem Rang nach. Keine Bagage kann mehr folgen, mit Maultieren wird das Brot herbeigeschafft. Die Pferde haben nichts. Jedoch Serbien ist kein Rußland. Es ist hier kein Haus niedergebrannt, kurz es ist alles noch da. Wenn wir nachts (es wird nämlich jeden Tag Nacht bis wir ins Quartier kommen), so ist unser erster Gang ins Gehöft, um ein paar Gänse oder Enten zu holen, der andere holt einen Trinkeimer voll Wein u[nd] tatsächlich ist uns der Wein noch nicht ausgegangen. Nur unter diesen Bedingungen sind wir imstande, den Strapazen standzuhalten. Wein gibts hier überviel, fast in jedem Haus, jedoch der deutsche ist besser, an jedem Berg gibts Weinberge. Mit was für einem Appetit wir existieren, könt Ihr daraus sehen, daß wir nämlich zu dritt 5 Hühner und 1 Gans verzehrten. Vorgestern schlachteten wir 3 einen Hammel heut ist er aufgezehrt. Eben sind wir auf der Jagd nach ein paar Truthühner, das hats hier in Unmasse. Nach Schluß des Krieges ist in ganz Serbien kein lebendiges Wesen mehr anzutreffen. Vorgestern haben wir auch durch einen Volltreffer 4 Mann verloren, 2 Tod, 2 verwundet. Im Großen Ganzen hat der Serb nicht viel Artillerie. Ein Zeichen wie der Serb vor uns Angst hat, sieht man darin, daß man beim Mais holen (ganze Säcke voll Kolben pro Pferd, denn Mais gibts hier in Unmassen) schon öfters Serben herausgezogen hat, welche sich vor unserer Artillerie verkrochen haben. L[iebe] E[l]t[ern]! Schikt mir bitte hie u[nd] da Cigaretten, keine Cigarren voraussichtlich nicht mehr, ich habe noch Vorrat. Sonst geht es gut, was ich von Euch auch erhoffe. Mit herzl[ichem] GrußEuer d[ankbarer] Sohn Robert

46 Kragujevac, Verw.-Bez. Šumadija, Serbien.

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Auf baldiges Wiedersehn!

Morawa47, 7. Nov[ember] 1915Liebe Eltern!Ich muß Euch dringend ersuchen mir sofort 3 Paar Strümpfe zu senden, ich habe keinen trockenen mehr, musste mir ein paar entlehnen. Haben hier eine Witterung wie wirs hie u[nd] da im Sommer nicht haben, jeden Tag warm, sogar sehr warm, nach keinen Reifen48 u[nd] gar nichts, nur hie u[nd] da Rgen, welcher sofort alles grund- u[nd] bodenlos macht. Wir haben bis jetzt noch keine Stunde Rast gemacht, jeden Tag vorwärts bis jetzt hieher in Morawa-Tal zirka 150 km weit in Serbien drin. Gestern erhielten wir Anschluß an die Bulgaren, es wurden dadurch 150 Geschütze erbeutet, gewiß ein schönes Resultat im Vergleich zu seiner Artilleriestärke. Unser Resultat ist erreicht, u[nd] sind heute zum erstenmal in Rast, morgen gehts weg. Wohin? weiß ich nicht. Es war einer unserer schönsten u[nd] genußreichsten Feldzüge, aber zugleich auch anstrengendsten. Eine solche wunderbare Gebirgslandschaft wie in Serbien habe ich noch nie gesehen, jeder Offizier behauptet dasselbe, es wurden unzählige Aufnahmen gemacht. Gelebt haben wir wie ein Fürst, jeden Tag Braten u[nd] Wein in Fülle. Immer einen Sack voll Nüsse, soviel habe ich alles zusammen meiner Lebtag nie Nüsse gegessen, wie hier in den 6 Wochen. Obst gibts hier auch viel, tadellos gebrochen. Jedenfalls gehts jetzt wieder nach Rußland u[nd] wir müssen diese schöne südliche Gegend mit dem kalten Norden vertauschen. Vielleicht geht in nächster Zeit wieder einmal Etappenpaket, schickt mir dann auch ein paar Unterhosen. Ich garantiere nächstes Jahr in dieser Zeit ist der Krieg noch nicht aus. Schnaps gibts hier in Unmasse, dazu die kolosal großen Zwetschgenbäume-Anlagen. Serbien ist ein fruchtbares Land, aber keinen km eben alles Berg. Sonst nichts neues.Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] DankEuer dankb[arer] Sohn RobertGrüße an alle Hausangehörige

Ungarn Niklos Jaza49 3. Dezember 1915Liebe Eltern!Erhalte soeben mein Weihnachtspaket. Es hat mich sehr gefreut, ihr habt ordentlich eingepackt. L[iebe] Elt[ern] Bei mir ist an meinem Geschütz ein guter Kamerad mit Namen Eugen Schrag von Hall, dieser bekommt immer sehr viel Post, unter anderem auch Sacharin-Tabletten. Schickt mir doch bitte einen Kartons, selbstverständlich kauft Ihr ihn bei Apotheker Schrag; hab schon manches von ihm erhalten, er ist auch Kriegsfreiwilliger. Bitte, sendet mir hie u[nd] da wieder Butter u[nd] Käse, Rauchfleisch u[nd] Zigaretten. Sonst nichts Neues. Habe zur Zeit Husten u[nd] Katarr mit Heiserkeit. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Robert

Niklos Jaza den 5. XII 15Liebe Schwester Hilda!Für die soeben erhaltenen Strümpfe danke ich bestens, gleichfalls für das vorhergehende Schreiben. Ich habe daraus ersehen, daß du Lust hast, die Frauenarbeitsschule in Hall zu besuchen. Das ist ganz nett, daß du diesen Entschluß gefasst hast, kommt doch ein wenig unter die Leute u[nd] lernst ein ganz wenig Bildung und Umgang, was bei Euch zu Hause niemals erreichbar ist. Merke dir das Eine, laß dich niemals von deinen Kameradinnen unterkriegen d[as] h[eißt] kleinlich zu machen, sondern zeige Ihnen gegenüber immer eine gewisse Überlegenheit. Ich z[um] B[eispiel] bin kein erstklassiger Soldat, aber jeder von 47 Gemeint ist die Morava, auch Velika Morava, ein Fluss in Serbien, der bei Smederevo (Semendria) in die Donau fließt. 48 Gemeint ist wohl Raureif. 49 Möglicherweise Nagylajosfalva, ungarischer Name für Padina, Stadtbez. Kovačica, Verw.-Bez. Južni Banat, Serbien.

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meinen Kameraden hat Respekt vor mir, immer höflich u[nd] seine Rechte energisch wahren. Ich habe die Welt kennen gelernt ½ Europa durchwandert, habe Sitten und Gewohnheiten gesehen, daß einem die Haare gen Berg stunden, habe Völkerrassen gesehen, deren Anzug noch stark an Jesus-Zeiten erinnert z[um] B[eispiel] die Serben haben keine Hosen oder Kittel od[er] Schuhe, sondern sie haben bloß ein Leinentuch um sich herumgeschlungen mit einem Gürtel zusammengehalten. In dem Gürtel stecken Dolch u[nd] Revolver. Statt Schuhe hat er Sandalen, ein Stück Leder mit einem langen Riemen, der 10-20 cm um den Fuß gewickelt wird. So hat jedes Land ihre andern Sitten z[um] B[eispiel] in Ungarn tragen die Weiber Stiefel mit Backrohr u[nd] das bunte Kopftuch. Die traurigste Bekleidung konnte man in den Karpathen u[nd] im Sumpfgebiet von Westrussland beobachten. Dort fand man kein Eisen, da war alles von Holz, wie vor 1000 Jahren. Pflug, Egge, Gabel, Löffel, Gabeln, Spaten, Schaufel usw., kurz u[nd] gut Eisen war diesen Nomaden nicht bekannt. Ich hoffe, daß unsere Irrfahrten endlich auch einmal ein Ende nehmen u[nd] wir in einem friedlichen Hafen landen dürfen. – Erleben wirs noch ? – Geflucht u[nd] geschimpft wird bei uns jeden Tag, wir sind zum Teil so verroht, daß ein Menschenleben bei uns nur noch eine Bagatelle ist. Ich könnte Euch soviel schreiben, aber zu was denn, Ihr könnt Euch in Euren friedlichen Verhältnissen doch kein Bild davon machen. Mit herzl[ichen] Grüßen dein Bruder Robert

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6. Stellungskrieg im Raum Ypern (Belgien) 1915-1916

Frankreich Mouzon50, den 13. Dez[ember] 1915L[iebe] Eltern! Sind wieder glücklich in Frankreich gelandet nach 6½ tägiger Galoppfahrt in 24 Stunden fuhren wir von Mannheim nach Sedan hören jetzt schon wieder das unaufhörliche Schießen, scheint wieder eine französische Offensive im Gange zu sein. Wir liegen zirka 60 km von der Front weg, kommen jedenfalls in [die] Champagne zwischen Reims und Soissons. Wir haben eine kolosal lange Fahrt hinter uns. Sucht einmal auf der Karte. Weißkirchen am hintersten Teil der ungarischen Monarchi[e]. Von da aus fuhren wir 4 Tage u[nd] 4 Nächte unaufhaltsam auf der ungarischen Südbahn bis Graz in Steiermark, wunderschöne Landschaft. Von dort nach Salzburg (Salzburger Alpen). Jetzt fing die bayrische Alpen-Welt an. Wir fuhren an der Zugspitze vorbei, als eben die Sonne unterging, wunderbar leuchtete das Abendrot auf den Bergspitzen u[nd] dem Starnberger See. Dann gings nach Rosenheim (58 km vor München) wo wir entlaust wurden, dann gings über München, Augsburg, Ulm, Cannstatt, morgens 5½ Uhr an unserer Caserne vorbei über Germersheim, Landern51, Zweibrücke[n], Diedenhofen, Sedan, Monzon. Das ist unser Reiseweg. Wir auch meine größte Reise sein, die ich je machte. Was wird wohl die Zukunft bringen? Mir herzl[ichem]Gruß Euer dankb[arer] Sohn Robert

Chelive52, 27. Januar 1916L[iebe] Eltern! Ich warte schon ziemlich lang auf ein Lebenszeichen von Euch. Am Sonntag war ich auch bei Ernst. Er muß immer tüchtig arbeiten. Keine Not sieht man ihm nicht an, im Gegenteil im Vater sein Original. Er hat sich sonst nicht verändert, im Gegenteil er hat sich noch etwas verschönert. Bei Karl Müller war ich auch, er hatte eben 2 Schweine geschlachtet u[nd] ich hatte bei ihm Gelegenheit einmal wieder feld Marschmäßig zu vespern. Es geht hier eine sehr gesunde, appetitanregende Seeluft u[nd] dazu erhalten wir das denkbar schlechste Essen. Jeden Tag Gelberüben, geschnittenes Kraut, Kohlrabensuppe u[nd] dergl[eichen].Ich bin zur Zeit kommandiert als landwirtschaftlicher Sachverständiger, muß jeden Tag über Feld u[nd] brauche ziemlich Geld, muß doch mit den Herrn ein Glas genehmigen, Gelegenheit hats hier mehr denn genug. Also kurz u[nd] gut Kassa-Defizit. Also sofort sendet mir Geld. Wie geht es sonst? Was macht Hilda? Schickt mir sofort einen Schurz, ich möchte meine Garnitur schonen u[nd] bei der Bauernarbeit leidet sie schwer. L[ieber] Vater! Wie viel [Pfund] Hafer säst du mit der Sämaschiene pro ha? Kann ich eine Unterfrucht säen, welcheim herbst als Futter benützt werden kann? Wie viel Z[en]t[ne]r Kartoffel pro ha? Der Boden ist leichter Lehmboden tiefgründig, 1,5 m, sehr fruchtbar. Klima mild, Rüben bleiben den ganzen Winter im Feld stecken, nach Bedarf werden sie geholt, nur sog[enannte]] Stoppelrüben. Furchen gibt es hier keine nur Wassergräben zwischen dem einen u[nd] dem anderen Grundstück. Sonst geht es tadellos, blos ziemlich Feuer. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Robert

50 Mouzon, département Ardennes, région Champagne-Ardenne, Frankreich. 51 Gemeint ist wohl Landau (Rheinland-Pfalz). 52 Vermutlich Geluveld, Gde. Zonnebeke, Provinz Westflandern, Belgien.

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F[erme] d[e] Touroue53, den 5. II. [19]16Lieber Vater!Will auch dir wieder ein Lebenszeichen senden, du frägst doch jeden Mittag die Mutter ob von uns beiden keine Post gekommen ist. Ich habe den Brief von Hilda erhalten u[nd] daraus ersehen, daß du immer hübsch arbeiten mußt. Ich kenne dich ja l[ieber] Vater u[nd] weiß es ganz genau, daß bei dir das Arbeiten zur Gewohnheit geworden ist, daß du dich nur glücklich fühlst in der Arbeit u[nd] nicht wie bei der Mutter, schon vor Jahren die Tage gezählt hast, bis Ihr die häuslichen Lasten u[nd] Pflichten, durch eine jüngere Kraft ersetzt sein wird, aber dich l[ieber] Vater beneide ich darum um deinen Arbeitssinn, um deine Erfolge, die du als Landwirt durch deiner Hände Arbeit u[nd] durch deine landwirtschaftlichen Kenntnisse erworben hast. Ich sehe es jetzt erst ein, daß du ein Original ein Vorbild seinesgleichen für uns warst u[nd] uns im Gedächtnis auch auf ewig in uns bleiben wirst. Ich weiß es bestimmt, daß du noch nie mit dem Schicksal unzufrieden warst, was Arbeit anbelangt, hast stillschweigend deine schwere Pflicht erfüllt, gewiß auch ein großes Opfer fürs Vaterland. Hilda hat mir geschrieben unter anderem, daß du dich jedes Mal so plagen mußt bis der Motor angekurbelt ist, ich glaube es dir gerne, daß dir’s da auch manchmal sauer wird, beim drandenken, was hat der Mensch schönes auf der Welt. L[ieber] V[ater] du kannst dir Vergessenheit suchen u[nd] du findest sie auch durch Arbeit, durch Säen u[nd] Ernsten, pflanzen und gedeihen deiner fachmännischen Arbeit. Sei stolz darauf, denn was du erntest ist ehrlicher Hände Arbeit, durch dein Geschick u[nd] Schweiß verdient, dem Erdreich abgerungen. Den an die Kriegslieferanten, denen mühelos Milliarden in den Schoß fallen, glaube ja nicht, daß sie sich glücklicher fühlen in ihrem Kriegs-Mam[m]on als du mit deinem bescheidenen Lohn deiner Hände Arbeit. Der Krieg dauert noch lange, aber einmal muß es doch ein Ende nehmen, halte aus, wie wir auch aushalten müssen. Lorbeeren ernten wir ja nicht, aber unser Auskommen nach dem Krieg haben wir immer noch. L[ieber] V[ater] Schreib mir doch bitte auch wieder einmal ein paar Zeilen in den langen Winternächten, es muß doch traurig langweilig bei euch sein.Mit herzl[ichem] Gruß verbleibe ich dein dankb[arer] Sohn Robert

F. de T.le, den 12. III. [19]16L[iebe] Eltern!Habe Euer Geld mit herzl[ichem] Dank erhalten, ich erhielt es zur richtigen Zeit, habe 2 Stunden vorher 2 Karten heimgeschickt. Kaufen kann ich hier alles, aber gottsträflich teuer. Das Beste hier ist, daß ich wenigstens Unterhaltung habe, es sind hier alle Civil-Personen da, lasse alle 8 Tage meine Wasch wäschen. Ich lerne hier Einblick in eine Volksseele, die Leute vertrauen mir alles an, spreche ich doch ihre Landessprache. Wir liegen hier an einem Blutgetränkten Platz. Inf[an]t[erie-]Reg[imen]t Nro. 124 hat in 2 Tagen 800 Mann verloren. Bei uns ist das Sprichwort, daß sich noch bei jedem bewahrheitet hat, d[as] h[eißt] siehe Y[pern]54 – u[nd] stirb. Sonst gehts gut. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

F. de Toure, den 29. III. [19]16Liebe Eltern!Habe heute Euren 1a Kuchen mit bestem Dank erhalten, u[nd] mit den gleichen Gefühlen verzehrt. Dass der Krieg immer noch Opfer verlangt glaube ich gerne, hauptsächlich zur jetzigen Zeit, wo es bald Zeit sein muß ein Ende an dieses Handwerk hinanzumachen. Die Stimmung ist miserabel hauptsächlich bei Infanterie, wo der Krieg jeden Tag seine Opfer fordert. Geschossen wird hier viel, liegen direkt vor Ypern, bei dem letzten Sturme hätte man

53 Nicht identifizerter Einzelhof südlich oder südöstlich von Ypern an der Straße Ypern – Menen, hinter der „Doppelhöhe 60“, in deren Bereich das Regiment eingesetzt wurde. 54 Ypern = Ieper, Provinz Westflandern, Belgien.

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meinen können, es käme das jüngste Gericht. Der Erdboden bebte wie ein Erdbeben unausgesetzt, es war gerade Nacht, für einen derartigen Angriff aus ungefährlicher Stelle zusehen zu können, würde mancher eine halbe Seligkeit drangeben. Das Panorama vergißt sicher keiner. Das Blitzen der Geschütze beim Abfeuern u[nd] krepieren, bald groß bald klein je nach Kaliber, die Leuchtkugeln in allen Farben, bald grün, bald rot, bald weiß (sie bedeuten Zeichen z.B. Gasangriffe, unsere Artillerie schießt zu kurz, der Feind geht zum Angriff vor u.s.w. Scheinwerfer, Sprengungen, die einem sekundenlang den Atem anhalten, den ganzen Horizont rot färben, dazwischen das unaufhörliche Krachen u[nd] Bersten der Minen, mit einem Krachen, der einem die Nerven verreist, knapp 100 m von unserem Quartier haben sie dem Art[illerie]-Reg[imen]t Nro. 49 4. Batterie alles rumpen stump zusammengeschossen, sämtliche Munitionswagen flogen in die Luft über 2000 Haubitzengranaten krepierten, der Engländer schoß wahnsinnig hinein, tagehell war unser Platz erleuchtet, sie schoßen alles davor u[nd] dahinter. Fliegerkämpfe gibt es hier jeden Tag 20-25 surren herum, mit Maschienengewehren u[nd] Revolverkanonen ausgerüstet. Sie fliegen mit einer Sicherheit, daß man sich wundert. Von Tausenden von Granaten u[nd] Schrapnellen werden sie beschossen. Ernst schrieb mir, daß bei der Höhe 60 ein Utz55 gefallen ist, ich soll nach seinem Grab schauen, bei Zandvorde56 sei er begraben. Das ist nur 5 Minuten von mir weg. Ich kenne den Friedhof ganz genau.Ich schließe mit herzl[ichen] GrüßenEuer Robert

F. d. den 21. März 1916L[iebe] Eltern!Bin zur Zeit in der Feuerstellung 100 m vor dem englischen Schützengraben, an einer der schwierigsten Stellung der ganzen Ostfront, die Infanteriekugeln pfeifen Tag u[nd] Nacht über uns weg. Wir schießen sehr wenig, sind nemlich am weitesten vorgeschoben, an einer der schwierigsten Stelle. Jedenfalls wird hier in den nächsten Tagen ein à la Verdun beginnen, warten jeden Tag auf eine Generaloffensive der Engländer. Muß meine Ohren beständig mit Watte zustopfen von den Trommelfeuer-Aufschlägen. Sonst gehts gut. Versucht es bestimmt mit einem Urlaubsgesuch sonst komme ich niemals heim.57

Mit herzl[ichem] Gruß Euer dankb[arer] Sohn Robert

55 Wahrscheinlich Friedrich Utz aus Gottwollshausen, geb. 27.4.1888, gefallen 13.5.1915 bei Hooghe (Raum Ypern), vgl. StadtA Schwäb. Hall 58/2597. 56 Zandvoorde, Gde. Zonnebeke, Provinz Westflandern, Belgien. 57 Satz am Rand eingefügt.

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Feuerstellung den 30. April 1916L[iebe] Eltern!Erhalte soeben von Euch das Paketchen, es hat mich sehr gefreut, hauptsächlich das Gänsei. Vielleicht hat Mutter öfters Gelegenheit, mir einige zu schicken, wenn sies gut verpackt, kommen sie schon an. Ich habe es zur Zeit schön, hab keine Pferde mehr bin 6 Tage in der Feuerstellung u[nd] 3 in Ruh, wenn nur die Aufregung durch die Schießerei nicht wäre. Heute morgen um ½2 hat er wieder St. Eloi58 angegriffen, eine Allmachtsschweinerei. So ist jeden Tag etwas anderes. Wir haben unsere Stellung auf einer Höhe in einem Wäldchen, da ist es zur Zeit großartig, Frühlingserwachen. Glück ohne Ruh, ich will nur sehen, wie oft wir es noch mitmachen müssen im Felde. Heute haben wir in Stellung pro Mann eine Flasche Wein Dürkheimer 1 Büchse Ölsardinen u[nd] Schokolade erhalten. Die 5 Mark die Hilda mir geschrieben hat, sie hätte sie uns beigelegt, habe ich nicht erhalten, sie soll mir schreiben, in was für einen Brief sies hineingetan hat. Im allgemeinen gehts gut.Mit herzl[ichem] Dank u[nd] GrußEuer Sohn Robert

Feuerstellung, 5. Mai 1916L[iebe] Eltern!Will Euch auch wieder ein Lebenszeichen senden, Ihr habt doch keine Zeit zum Schreiben. Habe gestern auch die Friedhöfe hier in der Nähe der Feuerstellung besichtigt. Ich fand unter anderen Gekannten auch ein Grab, es war in Thenbrielen, das 2. von links bei der Kirche mit dem Namen Robert Wanner, Leutnant Art[illerie]-Reg[imen]t Nro. 49 gefallen am 14. Febr[uar] 1916.59 Leider war kein Geburtsort verzeichnet, ich habe ihm einige Blumenstöcke auf sein Grab besorgt, fragt bitte einmal nach, ob es mein Schulkamerad Robert Wanner aus Hall ist, ich könnte noch verschiedenes machen an seiner letzten Ruhestätte. Was hier um Ypern Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben geht ins märchenhafte, tausende von Helden in einem Friedhof, aber von Künstlerhand ausstaffiert, wie im O[ber]A[mt] Hall kein einziger ist. Bei Bezelare60 z.B. steht ein Denkmal inmitten des Friedhofs mit 4 Marmortreppen, oben steht ein Krieger den Blick nach Ypern zu gerichtet mit der Aufschrift: Die Sehnen gerafft, die Nerven gespannt, stand Ihr vor Ypern im Wahmenland u.s.w. der ganze Friedhof ist mit so grußen Blattpflanzen bepflanzt, 4 schnurgerade Wegchen, die alle parallel auf das Denkmal zulaufen mit einer Punktlichkeit ihresgleichen. Ich habe das Belgierland u[nd] Leute wirklich liebgewonnen.Mit herzl[ichem] Gruß Robert

Feuerstellung, 27. V. [19]16L[iebe] Eltern!Hab Euren Brief erhalten u[nd] daraus ersehen, daß bei Euch alles seinen gewohnten Gang geht. Wir hatten gestern wieder eine wieder eine Allmachtsschweinerei, haben über 500 Schuß verfeuert in 1½ Stunden, natürlich blieb uns der Engländer nichts viel schuldig. Es wurde jedoch erreicht, was man wollte, den der Engländer hatte das Inf[an]t[erie]-Reg[imen]t Nr. 127 unsern Abschnitt unterminiert, deshalb waren wir gezwungen zu stürmen u[nd] vorher den Engländer in die Luft zu lassen, was auch gelang, denn es wurde kein lebendiger Engländer mehr vorgefunden. So ist jeden Tag etwas anderes. Nämlich die Engländer sind tadellose Flieger ich glaube, daß auf keiner Front so viel herumfliegen, wie zwischen dem Kanal und Ypern, die geringste Spur muß verwischt werden, es darf sich den ganzen Tag kein 58 Sint-Elooi, heute Teilort der Stadt Ypern, Provinz Westflandern, Belgien. 59 Das Grab Robert Wanners befindet sich heute auf der Kriegsgräberstätte in Menen (Belgien), Endgrablage: Block F Grab 1781, vgl. die Gräbersuche-Datenbank des Volksbunds deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (http://www.volksbund.de/graebersuche/, Stand 26.07.2006) . 60 Beselare, Gde. Zonnebeke, Provinz Westflandern, Belgien.

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Mensch zeigen, denn die Flieger photographieren alles ab, ich hatte Gelegenheit eine derartige Fliegerphotographie zu sehen, da sieht man jede Radspur von 1500 m Höhe. Sie haben tadellose Apparate. Es finden hier jeden Tag Fliegerkämpfe statt. Am Sonntag war ich auch bei Fr[iedrich] Allinger, P. Denner vom Eschenhof u[nd] Niklas v[on] Rieden u[nd] Karl Müller, wir waren in Werweck61 eine Stadt in der Größe von Hall u[nd] haben einmal wieder einige vergnügte Stunden gehabt. Jedenfalls hat uns auch noch Amerika den Krieg erklärt, bis Ihr diesen Brief erhaltet. Kaufen kann ich mir hier noch alles, bloß sündteuer. Für das Ei 20 [Pfennig], nur Marmelade geht noch zum annehmbaren Preis. Will man in einer Schenke etwas essen, so geht die halbe Löhnung drauf. Letzte Woche war auch der Pfarrer bei uns in der Feuerstellung u[nd] erteilte uns das Abendmahl. Sonst weiß ich nichts neues. Mit herzl[ichem] Dank u[nd] Gruß Euer S[ohn] Robert

61 Wervik, Provinz Westflandern, Belgien.

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7. Die Sommeschlacht 1916

(Somme62) Peronne63-Longuval64, 2. August 1916L[iebe] Eltern!Muß Euch leider mitteilen, daß wir gezwungen sind, den Krieg in seiner kraßten Art u[nd] Weise noch kennen zu lernen. Es haben hier schon 11 Divisionen verblutet, u[nd] wir sind die 12. Division, die die 11 abgelöst haben. Wir mußten Ypern verlassen u[nd] kamen an einen Kriegsschauplatz wie die Weltgeschichte an Technik u[nd] Grausamkeit noch niemals gesehen hat. Verdun von alten Kämpfern die dort waren als Bagatelle dagegen bezeichnet. Wir liegen an dem schwierigsten Teil der englischen Offensive (siehe Datum). Wir sind hier höchstens 14 Tage, die andere Division war nur 12 Tage hier, jedoch wenns gut geht, genügten doch diese 12 Tage, der Division 87% ihrer Mannschaften zu erledigen. Ich schreibe euch dies, daß ich hoffe diesen Krieg zu überleben, wenn ich in diesen 14 Tagen nicht falle. Also hört: Geschossen wird hier Tag u[nd] Nacht mit Artillerie Kaliber 7-42 cm. Der Engländer hat sicher die doppelte Anzahl Geschütze wie wir. Er schießt mit einem Munitionsaufwand wie noch nie. Der Boden ist 10 km hinter der Front wie umgepflügt. Infanterie hat keinen Graben mehr nur Granatlöcher(bis 10 m Tiefe) die Verluste der Artillerie sind, wie noch nie dagewesen. Ganze Batterien werden in ein paar Minuten mit Mann u[nd] Maus erledigt. Bei einem engl[ischen] Angriffe fliegen 50-60 feindliche Flieger über unserer Front zum Teil nur 100 m hoch, beobachten jede Bewegung, beschießen uns mit ihren Maschienengewehren, wehe welcher schießt, eine Fliegerbombe straft ihn, die geringste Bewegung ist sein Verderben. Es liegen noch Verwundete von 2-3 Tagen dort, Englische u[nd] Deutsche, die nicht zurückgebracht werden können wegen dem unheilvollen Artilleriefeuer, das Verdursten ist Ihr Schicksal. Zehn km hinter der Front alles umgepflügt, die blühendsten Ortschaften vernichtet. Ungeheuer sind die Verluste der Munitionskolonnen, die jeden Tag 10 km in dem verderblichsten schwersten Granatfeuer die ungeheuren Massen Munition verschaffen müssen. Unausstehlich ist der Geruch der 1000. von unbeerdigten Leichen u[nd] Pferdekadavern. Typhus u[nd] Kolera muß bei uns einkehren, jeden Tag 30-32° Hitze. Vorgestern übernahmen wir eine Batterie der 11er, die wir ablösten. Bei Nacht nahten wir uns der Stellung, vor unseren Augen flog das rechte Flügelgeschütz in die Luft durch einen Artillerievolltreffer. Da kriegt man Begriff. Die englischen Flieger sind ungemein tätig, die Batterie, die sie als feuernd erkannt hat sind ihre Stunden gezählt. Unsere Batterie die wir ablösten, hatten 20 Mann Verluste in 12 Tagen u[nd] 30 sind nur in Stellung also 60%. Schwere Artillerie hat noch mehr Verluste, ganze 21 cm Batterien wurden außer Gefecht gesetzt. Jeder Infanterist, der hier in Stellung geht muß zum mindesten mit seinem Leben Abrechnung gemacht haben. Als ein Glück kann dieser es bezeichnen, welcher wieder zurückkehrt. Mit 7 Mann in der Kompanie rückten unsere Vorgänger ab: Es ist hier eine Völkeraufreibung, wie sie teuflischer selbst der leibhaftige Satan nicht erfinden kann. Der Engländer schießt die giftigsten Gasgranaten, den ganzen Tag fällt kein Infanterieschuß, unsere Infanterie sitzt in Geschoßlöcher das Zeichen gewärtig mit den anstürmenden Engländern blutigste Revanche zu machen. Im ersten Tag verlor schon das Inf[anterie]-Reg[imen]t Nro. 124 600 Mann, haben den Bayern geholfen stürmen, die Verluste der Engländer waren horent, zuerst kamen sie vorwärts, weil 800-1000 Meter vor dem Engländer

62 Die 27. Infanteriedivision, zu der Krafts Feldartillerieregiment 13 gehörte, kam zwischen dem 1. und 25. August 1916 bei Guillemont (département Somme, région Picardie) zum Einsatz, einem Schwerpunkt der Sommeschlacht. 63 Péronne, département Somme, région Picardie, Frankreich. 64 Longueval, département Somme, région Picardie, Frankreich.

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sich überhaupt kein lebendiges Wesen sich hält, beim Gegenangriff von uns verloren sie 630 Gefangene u[nd] über 6000 Tote u[nd] Verwundete. Durch kommen sie nicht mehr, aber eine Generation von 20 Jahren Menschensalter liegen an der Somme als stumme Zeugen teuflischer Menschheit begraben. Jedenfalls löst uns die 26. Div[ision] ab. Ist Ernst im Urlaub? L. Mun. Kol. 1/65? Es liegen hier in einem Park 500 Deutsche begraben. Allein in den letzten Tagen. Es ist das jedoch nur ein Bruchteil. Es ist einfach unbeschreiblich.65 Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, 19. August 1916L[iebe] Eltern!Will Eich auch wieder ein Lebenszeichen senden. Bei uns gehts zur Zeit haarig zu. Bin seit 4 Tagen wieder in der Feuerstellung. Wir haben hier Stunden und Minuten, wo man den Tod greifbar vor Augen sieht. Z.B. gestern, den 18. wo der Engländer unsere Division mit starken Kräften angriff u[nd] auch einigermaßen Erfolg hatte.66 Drei ein halb Stunden schoßen wir Schnellfeuer gegen 1700 Granaten allein unsere Batterie u[nd] so stehen 100. von Batterien allein in unserem Abschnitt, die das gleiche Feuer abgaben u[nd] zwar alle Kaliber. Die Verluste der Engländer waren enorm. Aber auch unsere. Einer meiner besten Kameraden musste auch wieder sein Leben lassen, der schon 1½ Jahre das Eiserne Kreuz u[nd] Verdienstmedaille hatte. Dem Eltern in letzter [Zeit] gestorben waren u[nd] nur noch eine verheiratete Schwester hatte, daheim einen Hof mit 40 Morgen, er war mir ein lieber Kamerad. Also l[iebe] Eltern hört, ich hatte gestern Minuten, wie Ihr noch niemals erlebt habt. Ich habe verschiedene Male zu meinem Landsmann (Utoffz Karlhardt Kupferzell) gesagt, wenn nur 2 Minuten unsere Eltern hier zu schauen könnten oder gar dabei wären, sie würden verzweifeln. Das Granatfeuer der Engländer ist einfach sinnlos. Es regnete zeitweise Erde, von dem durch die Granaten aufgepeitschten Erdboden. Ein jeder muß es als ein Glück bezeichnen, der unversehrt davonkommt. Zuerst schoß er lauter Gasgranaten, nur mit größter Mühe konnte man in der Gasmaske noch atmen u[nd] dazu noch schnellstes Feuer schießen. Ich war ganz betäubt. Unsere Geschütze stehen frei auf dem Felde, keine Unterstände wie in Ypern. Tag u[nd] Nach arbeiten zu deiner Sicherheit. Feuer kriegen wir den ganzen Tag, jeden Tag gehen bei unserer Artillerie ein paar Munitionswagen durch engl[ische] Volltreffer in die Luft, ein jeder fürchtet die Nacht, denn solche Schauspiele am Himmel, durch Leuchtraketen aller Nuancen, Scheinwerfer alle Farben. Sprengungen, Explositionen, Artillerie-Aufschläge, u.s.w. der Himmel eine Hölle, also ich vergesse es nie u[nd] die Sommeschlacht soll, wenn ich sie überlebe, ein ewiges Andenken bleiben. Unter kolosalen Schwierigkeiten schaffen die Munitions-Kol[onnen], die bei Nacht eine Stunde weit im Artilleriefeuer fahren müssen bis sie an ihrem Bestimmungsort sind. Nämlich der Engländer beschießt die ganze Nacht hindurch die Zufahrtsstraßen mit Ekrazit-Granaten67, die 500 m im Umkreis noch Fetzen herumschleidern, mancher Gaul u[nd] Fahrer hat da schon sein Leben lassen müssen, jetzt sieht man noch ganze Pferdegespanne halbverwest auf der Straße liegen, man kann sie nicht wegräumen durch dies unaufhörliche Granatfeuer. Erst heute Nacht hat eine Kolonne vom Regt. 49 oder 65 Mann u[nd] Maus eines Munitionswagens durch Artillerievolltreffer verloren, dem Fahrer den Kopf weggerissen ein schreckliches Bild, unsere Ablösung die heute heraufkam sah es mit an. Also alles Nähere dann nächstes Jahr um diese Zeit. Man hat bei uns schon angefragt, wieviel wollene Decken vorhanden seien u.s.w. also alle Anzeichen deuten auf einen Winterfeldzug hin u[nd] dann wirds wieder Herbst. Unser Armeekorps sollte am 18. August abgelöst werden, weil aber unsere Verluste noch nicht ganz

65 Unterstreichung im Original. 66 Am 18. August 1916 erfolgte ein britischer Großangriff auf die Stellungen der 27. Infanteriedivision bei Guillemont. Vgl. Moser: Württemberger, S. 461ff. 67 Pikrinsäure bzw. Trinitrophenol (C6H3N3O7) wurde ab den 1880er Jahren unter den Namen Lyddit, Ekrasit, Schimose oder Melinit als Füllung für Granaten verwendet. Sie ist hochexplosiv und giftig.

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80% sind, hat man uns bis 30. verdammt. Aber bis dorthin lebt kein Schwab mehr beim 13. Armeekorps.Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] D[ank] Robert

Feuerstellung, den 24. Aug[ust] 1916L[iebe] Eltern!Heute ist unsere Division abgelöst worden, leider Gottes musste die II. Abteilung vom F[eld]-Art[illerie]-Reg[imen]t 13 dableiben, es muß scheints alles voll von uns kaput gehen. Wir haben bis jetzt 7 Mann verloren, die 5. Batterie 17. Immerhin genug wenn 30 Mann nur in Feuerstellung sind. L[iebe] Elt[ern]. Schickt mir doch ein Paket solche Eiskaramellen, ich kann sie bei dem Gas gut gebrauchen, sie sind frisch. Geld brauche ich vorerst keins. Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] D[ank] Robert

Feuerstellung, den 4. Sept[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habe soeben Euern Brief u[nd] die Bonbons erhalten meinen herzl[ichen] Dank. Bei Ernst war ich auch. Was wir hier zum Durchmachen haben, beschreibe ich nicht, davon erzählt einmal die Weltgeschichte. Menschenalter gehen hier zugrunde. Gestern wurde auch unser Hauptmann ziemlich schwer verwundet, unsere ganze Batterie war zugedeckt, herausgraben mußten wir uns gegenseitig. Unser Art[illerie]-Reg[imen]t hat 64% Verluste u[nd] wird noch nicht abgelöst. So etwas war noch gar nie da. Aber die Schwaben müssen voll verbluten. Gestern wurde das Reg[imen]t 65 abgelöst. Bei dem B.A.K. (Frank Gaisdorf) war ich 5 Tage zum Aufmontieren der Geschütze, dort war es tadellos (19 km hinter der Front) bei uns wird die Schweinerei immer noch größer. Heute wird schon das 3. Armeekorps nach uns eingesetzt. 75 von hundert läßt jeder A.E. zurück. Alles später.Mit herzl[ichem] Gruß Euer S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 24. Aug[ust] 1916L[iebe] Eltern!Herzl[ichen] Dank für Euren Brief. Ich ersehe daraus, daß auch Karl Dietle eingerückt ist, u[nd] Ihr wieder ein unersetzliches Arbeitsglied verloren habt. Ich gebe Euch folgenden Rat. Ihr geht sofort für mich Herbsturlaub ein u[nd] zwar unter so dringenden Umständen direkt ans General-Kommando, daß er einfach genehmigt werden muß. Das Reg[imen]t 65 u[nd] 49 wurde vor 8 Tagen abgelöst u[nd] unser Reg[imen]t das schon 8 Tage vorher in Stellung kam muß da bleiben. Heute hatte die 6. Batterie wieder Volltreffer 3 Tote 2 Verwundete. Wir hatten gestern wieder 2 Verwundete unser Regiment muß unbedingt zu Grunde gehen, früher kommen wir nicht weg. Die Engländer kommen alle Tage näher heran, wir sehen sie schon springen u[nd] dieses schwere mörderische Artillerie-Feuer der Engländer. Die Luft ist voll Eisenbrocken; abgesehen von der moralischen Wirkung. Die Fliegerkämpfe werden auch mörderisch, jeden Tag Abstürze durch Fliegerkampf. Mein Herz krampft sich zusammen, wenn ich die Infanterie an uns vorbei in vorderste Stellung schleichen sehe, 2/3 sieht nicht mehr die Ablösung, 1/5 fällt bis sie nur die vorderste Stellung erreicht hat. Diese düsteren Mienen, diese stummen Blicke, es sind noch Menschen, von dem Augenblick wo sie in Stellung sind, sind sie keine Menschen mehr. Zwischen Toten halbverwesten u[nd] Totenteile, Granatlöcher nebeneinander, Gasgeruch, Leichengeruch, schwerstes Artillerie-Feuer. Und da gibt es in Deutschland noch Leute_ _ _ _ 68

Mit herzl[ichem] Gruß Euer S[ohn] Robert

68 Auslassung wie im Original.

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Feuerstellung, den 15. Sept[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habe von Euch die Zitronat erhalten, meinen verbindlichsten Dank. Bei uns wird die Schweinerei immer noch größer. Die 5. Batterie hatte gestern wieder 5 Tote. Uns haben sie 2 Kanoniere zugedeckt. Ein Geschütz von uns hat ein Geschoß 5 m hoch gelupft, aus seinen Lagern herausgeworfen aufs freie Ackerfeld die Räder nach oben, es war gottlob nur 1 Mann in der Nähe, der schwer verwundet wurde. Wir haben jeden Tag Verlust, sogar unsern alten braven Hauptmann. Soeben wurde in einem Fliegerkampf ein engl[isches] Flugzeug abgeschossen, das sich 100 mal überschlug u[nd] auf dem Boden zerschellte. Das kann man jeden Tag mit ansehen. Bald Deutsche, bald Engländer. Wir harren schon seit 3 Wochen auf Ablösung, das ganze Korps ist seit 14 Tagen abgelöst. Reg[imen]t 13 bleibt hier. Unsere Stimmung ist haarig. Z[ur] Z[ei]t haben wir wieder Bayern vor uns, die Hessen haben Guillemont69 verloren, was unser Abschnitt ist. Wir liegen zwischen Morval70 u[nd] les Boefs71 – Guincy72. Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] RobertDer Krieg wird immer blutiger!

Feuerstellung, den 17. Sept[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habe Euren Syrup mit herzl[ichem] Dank erhalten. Sende Euch per Gelegenheit die leeren Büchsen. Füllt sie mir doch bitte lieber mit Schnaps oder Likör. Wir haben 2 Tage Regenwetter u[nd] es ist entsetzlich kalt. Ich habe entsetzliche Stunden hinter mir. Unteroffizier Max Festler von Künzelsau wirds Euch erzählen. Hier einige Worte. Wir standen mit 2 Geschützen als vorgeschobener Zug in vorderster Stellung u[nd] haben am 15. einen Angriff der Engländer zum Scheitern gebracht, 1200 Geschoße haben wir mit unseren 2 Geschützen im stärksten feindlichen Artilleriefeuer verfeuert, wir konnten die feindlichen Gruppen direkt anvisieren, u[nd] haben ihm entsetzliche Verluste beigebracht, unter anderem ein feindl[iches] Panzer Automobil73 mit 2 Schnellfeuer-Geschützen unschädlich gemacht. Es wurde uns nun versprochen, daß wir nachts um 2 Uhr zurückgenommen würden. Stattdessen kam die Nachricht wir müssten noch einen Tag hier bleiben eingedenk unserer glänzenden Leistung von gestern. Es hieß unsere Geschütze hätten keinen großen Wert mehr, es sei egal wenns auch die Engländer schnappten. So kam der Morgen. Um 9 Uhr ging das Sperrfeuer der Engländer an, direkt vor unserer Stellung mit einer moralisch niederschmetternden Wirkung. 300 m vor uns die letzte Infanteriestellung. 500 vor uns der Engländer. Um 11 Uhr stürmte der Engländer die vor uns liegende Stellung. Zurück konnnten wir nicht mehr, denn das engl[ische] Sperrfeuer sperrte höllisch das Gelände hinter uns. Wir hatten nur noch zwischen einem ehrenvollen Tod, oder Gefangenschaft zu wählen. Wir wählten das erstere. Mit 8 Gewehren gingen wir vor von Granatloch zu Granatloch immer feuernd und hielten z[um] Teil den englischen Ansturm auf. Ich beförderte Max Festler zurück durch das schrecklichste Granatfeuer, er hatte einen Inf[anterie]-Schuß durch den Fuß, u[nd] brachte ihn glücklich zurück. Er hat mirs versprochen, Euch aufzusuchen u[nd] zu erzählen, wie es ging.

69 Guillemont wurde am 3. September 1916 von der britischen 20. (Leichten) Division erobert. 70 Morval, département Pas-de-Calais, région Nord-Pas-de-Calais, Frankreich. 71 Lesbœufs, département Somme, région Picardie, Frankreich, wurde am 23. September 1916 von der britischen Gardedivision erobert.72 Ginchy, département Somme, région Picardie, Frankreich, wurde am 9. September 1916 von der britischen 16. (irischen) Division erobert. 73 Gemeint ist ein Britischer „Tank“ (Kampfpanzer); Robert Kraft erlebte den ersten Einsatz von britischen „Tanks“ am 15. September in der Schlacht bei Flers-Courcelette. Von den 49 vorgesehenen „Tanks“ erreichten nur 32 die Ausgangsstellung und lediglich neun die deutschen Stellungen, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Flers%E2%80%93Courcelette, abgerufen 26.3.2015. Eine kurze Beschreibung des Gefechts mit dem „Tank“ auch bei Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 123.

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Fünf Jahre haben mich diese Stunden älter gemacht. Wie ich davon kam u[nd] durchkam weiß ich selbst nicht. So gehts bei uns zu an der Somme. Mit herzl[ichem] Gruß verbleibe ich Euer S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 19. Sept[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habt Ihr meinen Brief erhalten, wo ich Euch beschrieb, was wir mitmachen mußten. Wir hatten damals 1000. von Granaten in die heranstürmenden Kolonnen geworfen. Berge von leeren Munitionsbehältern u[nd] Kartuschen lagen um unser Geschütz herum. Deshalb wollten wir so teuer wie möglich unser Leben erkaufen u[nd] es gelang uns wirklich, den feindlichen Ansturm in der III. Stellung vor uns zum Stehen zu bringen. Wir hatten dadurch die gesamte hinter uns liegende Artillerie möglicherweise vor dem Verlust gerettet, denn kein Infanterist war mehr vor oder hinter uns zur Deckung. Natürlich wurden mit Auto u[nd] im Sturmschritt sofort Truppen herbeigeschafft, aber sie kämten doch zu spät. Die vor uns liegende Infanterie hat sich ohne einen Infanterieschuß abzugeben, vor unseren Augen ergeben. Näheres erzählt Festler. Das ist im allgemeinen, was uns stolz macht, haben wir 7 Mann das Eiserne Kreuz verdient, wirklich verdient seid stolz darauf l[iebe] Eltern! Ich schicke es Euch in den nächsten Tagen sowie Urkunde. Indessen verbleibe ich Euch immer noch Euer dankb[arer] S[ohn] Robert

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8. Stellungskrieg in Belgien und Frankreich 1916-1917

Solosnen74, den 27. Sept[ember] 1916Liebe ElternSind vorgestern gottlob abgelöst worden. Es hat wahrhaftig lange genug gedauert. Wir kommen jedenfalls nach Ypern wieder denn wir werden morgen verladen. Wir haben uns 3 gute Tage gemacht, wir erhielten allerhöchste Anerkennung, dadurch hatten wir frei. Ich muß mich wieder in die Höhe schaffen, habe in den 8 Wochen 17 [Pfund] verloren. Ich muß Euch deshalb bitten, mir reichlich Post zu senden. Wir sind zurzeit in Caudry75 (Stadt mit 6000 Einwohner) wo man alles kaufen kann. Ich mußte meinen Kameraden ein Faß Bier zahlen. Warum? Schreibe ich später. Ich zahlte pro Liter 60 [Pfennig] das hat eine bedenkliche Lücke in mein Portmanö gerissen. Bin heute Befehlsempfänger bei der Etappe Solesnen. Habe tadelloses Quartier in einem I klassigen Hause. Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

Geschrieben: den 7. Oktober 1916L[iebe] Schwester Hilda!Wie du wissen wirst, sind wir jetzt wieder im Stellungskrieg, da haben wir wieder Zeit zum Ring machen. Schickt mir eure Fingergröße, daß ich Euch welche besorgen kann. Ein Kamerad von mir mach[t] sie. Schreibe mir auch wie die Arbeit steht. Mit herzl[ichem] Gruß verbleibe ich dein Bruder Robert

Feuerstellung, den 9. Sept[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habe an Käte Engel geschrieben, sie solle mir das Haller Tagblatt abonieren. L[iebe] E[ltern]! Seid so freundlich u[nd] fragt sie, ob sies bestellt hat, im andern Fall bestellt Ihr sie mir aber sofort, daß ich etwas zu lesen habe, denn in den nächsten Jahren geht der Krieg doch noch nicht aus. Das Urlaubsgesuch half nichts.Mit herzl[ichem] Gruß Robert

Feuerstellung, den 25. Oktober 1916L[iebe] Eltern!Herzl[ichen] Dank für die liebe Karte Hildas. Ich ersehe daraus, daß Ihr sehr viel Kartoffel kriegt, was ja in diesr Zeit ein Segen ist, ebenso mit den Rüben. Mit meinem Urlaub wirds nichts, komme aber bis Lichtmeß sicher wieder ab der Reihe. Hat Euch Festler schon aufbesucht? Mit herzl[ichem] Gruß Euer S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 1. November 1916L[iebe] Eltern!Die beiden Briefe von Hilda u[nd] Mutter habe ich mit herzl[ichem] Dank erhalten. Ich sehe daraus, daß Ihr mit zeitlichen Gütern dieses Jahr arg gesegnet seid. Ich schreibe Euch hier Momente von gestern ohne alle Übertreibung. Ihr könnt ruhig jedes Wort glauben, zum Sprüche machen ist mir die Zeit zu ernst. Ich habe in diesem Kriege schon viel mitgemacht

74 Nicht identifizierbar, laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 127, erhielt das Regiment Ruhequartiere in den südöstlich von Werwik gelegenen Dörfern Houthem, Korentje und Godshuis, Provinz Westflandern, Belgien. 75Caudry, département Nord, région Nord-Pas-de-Calais, Frankreich.

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u[nd] mitangesehn, daß mich auch nur noch selten etwas aufregt, aber etwas derartig ähnliches ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Es war vorgestern Nachmittag. Soeben hatte der Arzt unsere Unterstände revidiert, als uns der Engländer befunkte, u[nd] zwar anfangs nicht direkt uns. Bis auf einmal die Schüsse unmittelbar in unserer Nähe krepierten. Einige Kameraden von mir wollten auf den anderen Flügel gehen zur Deckung. Kaum waren sie 10 Schritte von mir weg, als eine schwere Granate einschlug. Der eine Kamerad kam zu mir hergesprungen ein Sprengstück hatte ihm die Gurgel weggerissen, er röchelte nur noch bei jedem Röcheln schoß ein Blutstrahl aus seiner Kehle. Er hatte sogar noch die Energie seinen Rock aufzuknöpfen u[nd] auszuziehen, jedoch das Röcheln wurde langsam er sank langsam zu Boden, u[nd] wir [ließen] ihn als Tod liegen.76 Der andere hatte einen Bauchschuß, er wurde sofort zum Arzt gebracht. Ich sprang durch das Artilleriefeuer hindurch, ein Volltreffer nach dem anderen saß in der Batterie, um den Artzt noch einzuholen, der soeben revidiert hatte, was mir auch gelang, jedoch der Artzt hatte in diesem Moment den Fuß verstaucht, ob in Wirklichkeit, oder angesichts des vernichtenden Artilleriefeuer, das wir durchschreiten mußten weiß ich nicht. Jetzt kam noch ein Kamerad von mir, der sich auch vom Artilleriefeuer flüchtete. Wir warteten ungefähr eine halbe Stunde, bis sich das Artilleriefeuer gelegt hatte, da sahen wir wie aus einem Unterstand von uns die Flammen herausschlugen, jetzt gabs natürlich kein halten mehr, war doch unser Munitionsunterstand in unmittelbarer Nähe. Wir sprangen hinunter ich als erster auf den brennenden Unterstand zu, was ich da in den rennenden Flammen entdeckte nahm mir fast die Besinnung. Lag dort doch halb verbrannt ein Kamerad von mir, Unteroffizier Csander.77 Ich schleppte sofort ein paar Eimer Wasser herbei, denn die Hitze war unausstehlich, es gelang uns eine Hand zu packen, konnten ihn aber dadurch nicht herausziehen, denn die Haut blieb uns an den Fingern hängen. Wir nahmen einen Strick und banden seinen Arm an, aber wir waren nur zu zweit, es wollte eben doch nicht gehen. Auf einmal setzte dem Engländer sein Zerstörungsfeuer wieder ein, hatte er doch den Rauch des brennenden Unterstands bemerkt, wir mußten jetzt den halbverbrannten seinem Schicksal überlassen hing doch unser Leben nur noch am Schnürchen. Wie ein Wunder passierte mir nichts mehr. Etwas lässt mir keine Ruhe, ob er gleich tot war bei dem Volltreffer, oder ob er voll in den Todesschmerzen den Tod durch die Flammen gefunden hat. Uns schien es als obs ihm einen Fuß weggerissen hätte. Er verbrannte voll zu einer unkenntlichen Masse, die halbe Nacht hatten wir zu löschen an dem brennenden Unterstand. So gehts bei uns zu l[iebe] Eltern. Nerven wie Stahl gehören dazu um solche Stunden mit dem gesunden Menschenverstand mit durchzumachen, womöglich noch die erste Hilfe als einziger alter Mann zu bringen, alles schaut nach mir. Zum Beneiden sind die, welche zu Beginn des Krieges gefallen sind, denn das ist voll unser aller Schicksal, wenn der Krieg noch lange dauert. Empfinden und Mitleid geht zu Grunde, es geht alles maschienenmäßig, Tod u[nd] Verderben, Freude u[nd] Leid, abgestumpft gegen alles, was den Menschen höher hält als das Tier, bestialischer u[nd] grausamer in seinem Fühlen u[nd] Denken. Also Schluß für heute. Auf Wiedersehen! Euer d[ankbarer] S[ohn] RobertL[ieber] V[ater]] od[er] Hilda! Wenn es Mutter zu arg aufregt, laßt sie diesen Brief nicht lesen, sonst habt ihr nur unruhige Stunden. Was ich hier geschrieben habe, habe ich selbst mitgemacht u[nd] schreibe nur was ich gesehen u[nd] getan habe. Robert. Herzl[ichen] Dank für die Grüße von Fr[äu]l[ein] Luise Hänsler.

76 Der Betreffende war offenbar nicht tot, denn laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 127, gab es bei diesem Feuerüberfall zwei Schwerverwundete und einen Toten, der weiter unten erwähnt wird. 77 Laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 127, dürfte es sich bei dem Toten um den Sanitätsunteroffizier Hermann Kraußhaar gehandelt haben. Vielleicht liegt hier ein Lesefehler von Hilde Kraft vor.

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Co. [?], den 4. November 1916L[iebe] Eltern!Habe soeben das große Paket mit herzl[ichem] Dank erhalten, es war gottlob noch alles wohlbehalten. Auch herzl[ichen] Dank an Käte für den Apfelkuchen, er war noch tadellos. Die Geldanweisung ist soeben gekommen. Morgen ist Sinntag und zwar der letzte hier oben, wir kommen im Laufe der Woche noch fort, wieder an Somme oder Verdun, was halt am ärgsten spannt. 8000 Mann Ersatz kommen, es muß voll alles kaput sein. Ich bin auf 8 Tage abkommandiert zu einem Sanitäts-Kurs, keiner wollte oder konnte es mitansehen, so habe ich mich gemeldet, ich lerne arg viel. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Guanzecourt78, den 24. Nov[ember] 1916L[iebe] Eltern!Habe Euch etwas lang warten lassen müssen, sind wir doch wieder im Schlachthaus. Es ist war etwas ruhiger d[as] h[eißt] unsere Flieger haben wenigstens die Iniative gegen August 100% hat sich das deutsche Flugwesen gebessert, 100 von Fliegern leisten verzweifelte Kämpfe. Hatte verschiedene tadellose Quartiere bei Franzosen. Wir sollen nur 3 Wochen hier bleiben, ich halte aber auf das Gespräch nichts. Ich funktioniere z[ur] Z[ei]t als Knochenbrecher, wenn es Gottes Wille ist, komme ich noch einmal davon, ist’s aber nicht jetzt dann ist’s nächstes Jahr. Wir liegen direkt vor Sailly79. Herzl[ichen] Dank für die Grüße von Käte, Luise, u[nd] Hilda Mit herzl[ichem] Gruß Euer S[ohn] Robert

den 2. Dezember 1916L[iebe] Schwester Hilda!Herzl[ichen] Dank für deine lieben Zeilen. Ich ersehe daraus, daß du wieder die Schule besuchst, es ist doch schöner als daheim. Hast auch wieder Freundinnen vom letzten Winter? Lernt ihr auch etwas vernünftiges? Schreibe diese Zeilen 8 m unter dem Erdreich beim ewig gleichbleibenden Artillerie-Feuer. Geht sonst noch jemand von Kupfer in die Arbeitsschule. Was gibts Neues? Mit herzl[ichem] Gruß dein Br[uder] Robert

Feuerstellung, den 14. Januar 1917L[iebe] Eltern!Habe heute ein Etappen-Paket in Gestalt der Kiste, die Ihr mir geschickt habt, abgesandt. Es sind leere Schachtel u[nd] sonstiges darin. Ich habe einen großen englischen Schrappnellbrennzünder beigelegt, hoffe daß er gut ankommt, man findet selten einen so gut erhaltenen. Ihr könnt aus diesem ganz gut eine Blumenampel herstellen u[nd] eine Hängepflanze hineinsetzen. Bei uns ist der Dreck erstickend, alles ist im [Kranken-?]Revier. Ernst hatte mich soeben auch besucht. Herzl[ichen] Dank für den Zuckerstoff, den mir Käte geschickt hat. Auch herzl[ichen] Dank für die 20 M[ark] von Vater. Mit herzl[ichem] Gruß [Euer] D[ankbarer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 5. Februar 1917L[iebe] Eltern!Sind von unsrer alten Somme-Stellung in eine andere gekommen, total verwahrlost, die Munition liegt zu 1000. von Granaten zerstreut u[nd] in Dreck hineingetreten herum. Vor 3 Tagen ist auch wieder ein guter Kamerad von meiner Batterie gefallen, reicher Bauernsohn, Granatsplitter im Unterleib, er lebte noch ½ Stunde, ich hab ihn in Sarg gelegt u[nd] war bei der Beerdigung. Am 1. März feiern wir unser 100jähriges Regimentsjubiläum, wir sollen

78 Gouzeaucourt, département Nord, région Nord-Pas-de-Calais, Frankreich. 79 Sailly-Saillisel, département Somme, région Picardie, Frankreich.

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unsere Eisernen Kreuze schicken lassen, vielleicht könnt Ihrs in ein kleines Packetchen packen u[nd] mir zuschicken. Ich schicke es Euch wieder. Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

den 14. Februar 1917Liebe Eltern!Meine Feldpostadresse ist jetzt: Kanonier Rob[ert] Kraft, Feld-Artillerie-Reg[imen]t König-Karl Nro. 13 4. Batterie II. Abteilung.Mit herzl[ichem] Gruß Robert

Feuerstellung, den 18. Febr[uar] 1917L[iebe] Eltern!Wir sind hier in einer ganz haarigen Stellung wie schon lang nicht mehr. Es wird hier in den nächsten Tagen erbitterte Kämpfe geben, anstatt Regimentsfest. Sind mit allen Nahkampfmittel versehen, starkem Drahtverhau, Sprengmunition, Handgranaten, Infanteriemunition. Wir ziehn uns um 25 km zurück, sämtliche Dörfer sind u[nd] werden dem Erdboden gleichgemacht, sämtliche Brunnen u[nd] Straßenkreuzungen unterminiert fix u[nd] fertig zum Sprengen. Unsere Batterie hat Parole, Tod oder Sieg, muß doch unsere Batterie den ganzen Rückzug decken, als vorderste Batterie. Mit Gottes Hilfe wird es uns auch diesmal gelingen den Gegner aufzuhalten u[nd] zu täuschen. Lege Euch auch einen Brief bei von meinem gefallenen Kameraden seinen Eltern. Mit herzl[ichem] Gruß verbleibe ich Euer dankb[arer] Sohn Robert

Feuerstellung, den 24. Febr[uar] 1917L[iebe] Eltern!Wir kommen voraussichtlich einige Tage in die Etappe, könnt mir vielleicht wieder einen Zuschuß senden, ich möchte mir noch einige gute Tage machen, denn ich bange vor der Zukunft, wolle Gott, daß ich gnädich davonkomme. Der Krieg dauert schon noch ein Jahr, ich mag gar nicht an den Frieden denken, es ist alles Illusion, ebenso der gute Rat von Mutter, England bringen wir niemals klein. Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] Dank Robert

Feuerstellung, den 24.II.[19]17L[iebe] Schwester Hilda!Mit unserem Reg[imen]t-Fest wirds nicht viel, wir bleiben in Stellung, ich hätte deshalb mein Mordblech nicht gebraucht. Wir machen in nächster Zeit einen strategischen Rückzug 20-25 km, es sind sämtliche Brunnen, Straßenkreuzungen unterminiert, sämtliche Dörfer werden abgebrannt. Das Herz tut einem weh, vor 3 Tagen mussten sämtliche Zivilisten abwandern, in 8 Tagen würden sie schon keinen Stein mehr auf dem andern finden, denke die herrliche fruchtbare Picardie, 100. von Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht. Der Krieg wird rücksichtsloser denn je geführt. Wir haben alle Angst vor den kommenden Tagen. Mit herzl[ichem] Gruss Dein Bruder Robert

Feuerstellung, den 1. März 1917L[iebe] Schwester Hilda!Wie du wohl wissen wirst, feiern wir heute unser Reg[imen]t-Fest. Wie? kann u[nd] darf ich auf keine Karte schreiben. Nicht einmal auf einen Tag sind wir von der Front zurückgezogen worden, das Kreuz, das Ihr mir geschickt habt war unnötig. Man hat uns nur Illusionen vorgemacht. Mit herzl[ichem] Gruss d[ein] Br[uder] Robert

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Feuerstellung, den 8. März 1917L[iebe] Eltern!Mein Urlaub schiebt sich von Tag zu Tag mehr hinaus, es kommen immer Urlaubsgesuche von andern, welche berücksichtigt werden, obgleich sie erst nach mir kämen. Wir haben gar keine Kanoniere mehr, lauter Leute von 38-39 40-41 Jahren. Verschiedene vom Oberamt Künzelsau, von Mergentheim, Crailsheim, die Leute sind so taub, nicht einmal können sie einen Kaffee machen. Man muß alles allein schaffen, das wollen Bauern sein mit 18jährigen Kindern. Ich bin der einzige, der dableiben durfte, die richtigen Kanoniere sind alle zur Inf[anterie] u[nd] Schützengraben-Artillerie gekommen, Habe in den letzten 14 Tagen entsetzliche Stunden durchgemacht, tagelang im Trommelfeuer der Engländer. Mit herzl[ichem] Gruß Euer S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 10. März 1917L[iebe] Schwester Hilda!Deinen Brief sowie Päckchen mit herzl[ichem] Dank erhalten. Versprecht Euch nicht zu viel von dem U-Bo[o]tkrieg, Ihr kennt den Engländer nicht. Ich habe ihn kennen gelernt, er schickt sich in alles, es sind ja unsere Vettern. Mit Schaudern muß ich an die große Offensive denken, wenn ich mich des ungeheuren Munitionsaufwandes der Engländer Somme 1916 erinnere. Wälder, Dörfer, Berge, Hügel alles eben gemacht, das andere Gelände durchsiebt mit schweren und schwersten Aufschlägen. Auch die ganze Technik u[nd] Industrie Englands arbeitet für den Krieg. Laßt uns keine großen Pläne machen, ich sehe der Zukunft sehr pessimistisch entgegen. Mit herzl[ichem] Gruss Dein Bruder Robert

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9. Doppelschlacht an der Aisne, Stellungskrieg bei Verdun und Reims, Schlacht bei La Malmaison 1917

Feuerstellung, 24. März [19]17L[iebe] Eltern! Sind seit einigen Tagen im Offensivgebiet angelangt. Wir liegen hier direkt bei Laon80 (Oisne81) in Stellung. Haben den Rückzug bei Boucharesnes82 mitgebacht, u[nd] sind in 4tägigem Eilmarsch hier angelangt, nicht einmal 1 Tag Ruhe. Sind seit 14 Tagen Heeres-Artillerie, d[as] h[eißt] wir gehören keiner Formation mehr an, sondern man schiebt uns hin, wos brenzelig wird. Wir haben immer noch sehr kalte Nächte, habe mich beim Rückzug schwer erkältet, es geht bei mir überhaupt bergab. Der Krieg bleibt nicht ohne Folgen. Mit herzl[ichem] Gruss Euer dankb[arer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 24. März 1917L[iebe] Schwester Hilda!Rasch kommt das Osterfest heran und mir ist es wieder nicht gegönnt in Eurer Mitte zu feiern. Immer noch nimmt der Krieg seinen unerbittlichen Fortgang, noch sieht man kein Ende. Im Gegenteil, die herbsten Stunden kommen noch, was werden sie uns bringen? Von irgendwelchen Lorbeeren ganz zu schweigen, haben wir in den nächsten 10 Jahren noch mit einem wirtschaftlichen Krieg zu kämpfen, der für uns die schwersten Folgen bringen kann. Nach dem Krieg liegt ganz Europa auf den Knien. L[iebe] Schw[ester] Wenn Ihr mir hie u[nd] da Eier senden würdet, wäre ich Euch sehr dankbar, es gibt ja jetzt wieder. Habt Ihr noch niemand zu Euren Russen? Wir haben wunderbares Wetter, nur immer ziemlich kalte Nächte. Mit herzl[ichem] Gruß Rob[ert]

Feuerstellung, den 7. April 1917L[iebe] Eltern! Gestern war es Karfreitag, u[nd] wie feierten wir es. Das Wetter war sehr schön, u[nd] daher besonders günstig für die Flieger. Wie Vögel flogen sie über uns. Da gelang es einem deutschen Flieger ein großes französisches Riesenflugzeug zum Absturz zu bringen. Dieses geriet in nächster Nähe von uns in ein Wäldchen mit schrecklichem Krachen. Wir sprangen natürlich schleunigst hinzu. Aber welch schauderhafter Anblick bot sich mir da. Diese stolzeste Beherrscherin der Lüfte lag zertrüm[m]ert im Unterholz. Nur krampfhafte Schreie hörte ich noch. Zuerst schaute ich nach den Verunglückten. Es ließ mir nichts gutes scheinen, war doch ein Blutstrahl feuerrot bis in die hintersten Tragflächen gespritzt. Zuerst zog ich einen franz[ösischen] Offizier hervor mit dem Kreuz der Ehrenlegion, der noch schwach stöhnte, aber in einigen Minuten tot war. Am rechten Motor stöhnte es furchtbar, unter kolosalen Anstrengungen zogen wir einen Franzosen hervor, es waren i[h]m beide Füße sowie ein Arm gebrochen, er lebte noch 2 Stunden. Nun kam der linke Motor, ich sah schon vorher, daß das Gehirn des 3. Franzosen herumgespritzt war, sein Schädel war nur noch eine formlose Masse. So endete wieder eines der stolzesten fr[an]z[ösischen] Flugzeuge, das mit den allerneuesten u[nd] modernsten Kampfmitteln versehen war. Den ganzen Tag lag schwerstes fr[an]z[ösisches] Ekrazit-Granatfeuer auf unseren Stellungen, über 20 fr[an]z[ösische]

80 Laon, département Aisne, région Picardie, Frankreich.81 Gemeint ist der Fluss Aisne (auch: Oise), nach dem das département benannt ist. 82 Bouchavesnes-Bergen, département Somme, région Picardie, Frankreich.

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Fesselballone beobachteten die Wirkung. Um ½ 7 Uhr schoß ein franz[ösischer] Flieger einen deutschen Fesselballon ab, der brennend abstürzte. Präzis ½ 8 Uhr taumelte auch schon ein fr[an]z[ösischer] Fesselballon brennend zur Erde, durch einen deutschen Flieger abgeschossen. Krieg bis aufs Äußerste ohne Rücksicht. Das war für uns Karfreitag. Mit herzl[ichem] Gruss Euer dankb[arer] Sohn Robert

Laon83, den 16. [?] April 1917L[iebe] Eltern!Leider hat uns das Schicksal wieder an eine der schwierigsten Stellen der Westfront verschlagen, liegen wir doch zwischen Soissons84 und Reims85 u[nd] haben seit 13 Tagen Trommelfeuer. Ich habe 5 Tage mitgemacht, bis mich ein englisches Sprengstück erlöste. Ich bin seit 9 Tagen im Lazarett in Laon, wo auch unsere Bagage liegt, von der aus ich meine Verpflegung u[nd] Post erhalte. Meine Verwundung ist nicht schlimm, vielleicht bleibt mir der eine oder andere Finger steif (Sprengstück l[inke] Hand) Tausend Granaten langen täglich nicht, waß auf unsere Batterie abgefeuert wurden. Es ist hier schlimmer als an der Somme, das Gelände ist so unpraktisch. In 14 Tagen komme ich wieder zur Batterie.Mit herzl[ichem] Gruss Euer S[ohn] Robert

den 28. April 1917L[iebe] Eltern! Herzl[ichen] Dank für den soeben erhaltenen Butter, er ist mir Goldes wert. Wir haben hier rare Zeiten. Wie weit seid Ihr mit dem Säen? Bei uns wills jetzt Frühjahr werden. Hoffentlich komme ich bald in Urlaub alles dann mündlich.Mit herzl[ichem] Gruß Robert Ich bin jetzt wieder bei der Batterie

den 22. Mai 1917L[iebe] Eltern! Wie ich Euch geschrieben habe bin ich wieder bei der Batterie u[nd] komme in den nächsten 3 Wochen in Urlaub d.h. wenn er nicht gesperrt wird. Erholungsurlaub, denn meine Nerven sind für immer kaput, denn ich war 4 Wochen in Stellung ohne Ablösung als einziger Richtkanonier. Habe wieder meine besten Kameraden dahinsinken sehen müssen, so daß ich jetzt noch der letzte aktive bin. Die Munition der Franzosen ist moralisch vernichtend, die Wirkung nicht in dem Maße, die explodierenden Geschoß zerreißen einem ruckweis die Nerven. Der Engländer war mir 10 mal lieber. So hat er 1000. von Granaten auf unsere Batterie verfeuert. Mit herzl[ichem] Gruß Euer dankb[arer] S[ohn] Robert

N.F. den 30. Mai 1917L[iebe] Eltern! Wir sind zur Zeit auf dem Marsch als Heeresreserve, kommen vorerst auf den Exerzierplatz. Urlaub gibts in absehbarer Zeit keinen. Mit herzl[ichen] GrüßenRobert

83 Laon, département Aisne, région Picardie, Frankreich. 84 Soissons, département Aisne, région Picardie, Frankreich. 85 Einsatzort während der Ersten Schlacht an der Aisne war laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 137, die Malval-Ferme am „Chemin des Dames“.

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Im Felde, 3. Juni 1917L[iebe] Eltern! Teile Euch mit, daß ich in den nächsten Wochen noch nicht in Urlaub komme, muß z[ur] Z[ei]t Unteroffiziersdienst machen es sind verschiedene ausgefallen. Daß mir alles durch ein Granatvolltreffer verbrannt ist auch meine Auszeichnungen habe ich Euch doch geschrieben.Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

Im Felde, den 10. Juni 1917L[iebe] Eltern! Ich fahre voraussichtlich mit der nächsten Serie in Urlaub weils euch so pressiert, außerdem traue ich der Sauerei in Flandern nicht. Wir sind seit 14 Tagen in Ruhe u[nd] gewöhnlich kommt man von da aus immer nach den heißumstrittensten Punkten, allerdings besser als an der Aisne kanns nicht noch werden. Ich habe z[ur] Z[ei]t nicht viel zu arbeiten, so daß mir oft sehr langweilig wird. Ich suche u[nd] finde natürlich immer wieder Zeitvertreib bei der französischen Zivil-Bevölkerung. Es sind in letzter Zeit kolosal viel eingewanderte (Flüchtlinge) aus Belgien angekommen. Es scharen sich alle Abend ein halbes Dutzend um mich, denen ich die Tagesneuigkeiten von der deutschen Zeitung auf französisch vorlese. Die Leute sind direkt anhänglich an mich, sie geben mir alles, was sie mir von den Augen ablesen. Wie weit seid Ihr mit der Heuernte?Indessen grüßt Euch herzlich Euer dankb[arer] S[ohn] Robert

Im Felde, den 20. Juni 1917L[iebe] Eltern! Teile Euch mit, daß ich der nächste bin, der in Urlaub kommt, es kann noch 2-3 Tage anstehen, bis ich wegfahre, wir werden wieder verschoben u[nd] dann verzögerts sich immer noch ein bischen. Also absenden braucht ihr nichts mehr, wir können dann alles mündlich besprechen. Hoffentlich ist das Heu soweit gemacht bis ich komme, wir haben hier immer Gewitter, jeden Tag Regen. Dann sofort wieder stark dämpfig. Indessen grüßt Euch herzlich Euer S[ohn] Robert

Vom 25. Juni bis 9. Juli war Robert in Urlaub zu Hause.86

den 20. Juli 1917L[iebe] Eltern! Bin heute wieder gut bei der Batterie angekommen. Das Erste war, daß mir Wachmeister Kurr sagte, wenn das Urlaubsgesuch 2 Tage früher gekommen wäre, ich unbedingt Nachurlaub erhalten hätte. Ich kam noch zu bald an. Mußte heute gleich ein Kommando führen zur Gersten-Ernte, habe über 300 Garben gebunden obgleich ich nichts arbeiten brauchte. Es hat mich alles mit Freuden wieder aufgenommen. Mit herzl[ichem] Gruß Euerdankb[arer] Sohn Robert

Im Felde87, den 17. Juli 1917L[iebe] Eltern! Kaum hatte ich mich eingelebt u[nd] bin wieder 5 Tage in Stellung geht das Drama wieder von Neuem los. Unsere Stellung wurde gestern systematisch zusammengeschossen, dabei hat wieder ein alter Kanonier sein Leben [lassen] müssen, der einzige Sohn seiner Mutter

86 Einschub von Hilde Kraft. 87 Laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 140f, im Raum Reims.

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(Witwe).88 Einem andern hats den Fuß abgerissen. Also l[iebe] Elt[ern] es hat bei mir auch am längsten gedauert. Sollte Vater einmal krank sein, daß er nicht schaffen kann, so möchte ich Euch dringend ersuchen mich vor Ernst zu reklamieren, da Ernst nur alle 8 Tage in Feuerstellung kommt u[nd] ich jede Minute tot sein kann u[nd] früher komme ich niemals weg. Mit herzl[ichem] Gruß Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

Feuerstellung89, den 9. September 1917Liebe Eltern! Habe alle Paket’chen in letzter Zeit mit herzl[ichem] Dank erhalten. Haben wieder entsetzliches zum durchmachen nur durch namenloses Glück bin ich diesmal dem sichern Tod entgangen. Gestern Morgen um 6 Uhr wurden wir durch französische Granateinschläge in unserer unmittelbaren Nähe aufgeweckt, hatten wir doch nur eine elende Bretterhütte als Unterkunft, und einen halbfertigen Stollen mit nur einem Ausgang, in diesen flüchteten wir uns. Nach einer halben Stunde wurde es etwas ruhiger, das 3 von meinen Kameraden benutzten, um Kaffee zu trinken. Ich hatte sie noch vorher darauf aufmerksam gemacht zu warten, da ich die Eigenart der Franzosen ganz genau kenne. Eben schickte ich auch mich an den Stollen zuverlassen, eine ½ Minute später u[nd] mir wäre das gleiche Los meiner Kameraden beschieden gewesen. Hatte doch in dem gleichen Moment eine französische Granate in die Bretterhütte eingeschlagen u[nd] diese vom Boden weggefegt. Was ich jetzt mit ansehen mußte, hat meine Nerven voll auf den Nullpunkt gebracht. Vor der Tür lag der Unteroffizier, der eben im Begriff war, die Hütte zu betreten, durch den Luftdruck auf den Boden geschleudert, aber nur leichter verwundet. Jetzt hörte ich ein Schreien, wie mans überhaupt nicht beschreiben kann; zog ich doch meinen Freund von den Trümmern hervor tödlich verwundet u[nd] verstümmelt, nach 3 Stunden war er von seinen Schmerzen erlöst. Daneben lag der andere Kamerad, der noch schwach seufzte, aber in 5 Minuten tot war, dem dritten, einziger Sohn der Bierbrauereibesitzer Hiller in Calw, hatte ein Sprengstück den ganzen Hinterkopf weggerissen, außerdem noch furchtbar verwundet, er war natürlich sofort tot.90 Drei Menschenleben so dahinsinken sehen in der Jugend des Lebens ist bitter, wenn man bedenkt, daß einzig u[nd] allein der Krieg wegen des Mamons geführt wird. Selbstverständlich ist mein sämtliches Sach kaput, hats doch alles in Fetzen gerissen, was darin war mit Ausnahme der beiden Blumen von Hilde, blutgetränkt fand ich sie noch. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Feuerstellung, den 14. September 1917Liebe Eltern! Habe heute die 20 M[ark] erhalten, meinen herzl[ichen] Dank. Ich brauche es sehr dringend, ist mir doch mein ganzes Sach kaput durch den Granatvolltreffer, konnte nur noch mit knapper Not meine Wenigkeit in Sicherheit bringen. Möchte Euch dringend ersuchen, mir ein paar Socken zu schicken, habe nur noch ein paar Komplett verrissene. Herzl[ichen] Dank für die l[ieben] Zeilen Hildas, würde Ihr gern die Obstbäume schütteln, aber es schickt sich nicht. Hoffentlich habt Ihr auch trokenes Wetter wie wir hier. Werdet jedenfalls jetzt beim Kartoffelernten sein, das ja auch dieses Jahr sehr viel gibt. Hoffentlich tut Vater auch dieses Jahr einen Wein heim, es muß den Friedenswein geben, auf den ich noch dieses Jahr zuversichtlich hoffe. Ernst schreibt mir eben, daß er vor Weihnachten nicht in Urlaub kommt.

88 Anhand Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 212, kann der Genannte als der Kanonier Josef Missel identifiziert werden, der am 16.7.1917 bei Reims fiel. 89 Laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 142f, in der Woëvre-Ebene bei Verdun. 90 Anhand Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 212, können zwei der drei Gefallenen identifiziert werden: Es handelte sich um die Kanoniere Albert Benz und Karl Hiller.

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Wie stehts dieses Jahr mit den Rebhühnern? Bei uns gibt es ziemlich. Ich will nun schließen mit herzl[ichen] Grüßen Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 7. Oktober 1917Meine Lieben! Habe die Zeilen von Hilda mit herzl[ichem] Dank erhalten. Habe 2000 M[ark] auf mein Konto Kriegs-Anleihe gezeichnet bei der Oberamts-Sparkasse Schwäbisch Hall. In Urlaub komme ich bald, wird aber knapp im Oktober nicht mehr langen auch egal. Habe heute meinen ganzen Kopf verbunden, bin gestern Nacht bei der Sau-Finst[er]niß eine Treppe nuntergefallen, u[nd] ordentlich blessiert, schlimm ists ja nicht, aber so möchte ich doch nicht in Urlaub kommen. Haben immer große Schweinerei hier bei Bezonvaux91, sie haben uns gestern auch wieder nach dem Leben getrachtet, aber die Schüsse gingen etwas zu weit, oder zu kurz, liegen wir doch in der 100. Gabel. Haben seit einigen Tagen gräuliches Wetter verbunden mit Regen Sturm, hoffentlich seit Ihr mit Euren Feldarbeiten über [das] schlimmste weg. (Kartoffeln) Hoffentlich hat sich Vater ordentlich mit Wein versehn, bei diesem gesegneten Herbst, ich freue mich jetzt schon, er soll ihn mit etwas klarem Birnensaft vermischen. Mit herzl[ichem] Gruss Euer d[ankbarer] S[ohn] Robert

den 4. November 1917Meine Lieben! Wir sind in Gewaltmärschen wieder in die Gegen[d] Aisne nördlich Soisson[s]92 gekommen. [Was] wir in den letzten 8 Tagen mitgemacht haben kann ich nicht beschreiben. Mit dem Urlaub es selbstverständlich vorerst nichts, er ist gesperrt. Ich schreibe Euch einige Tage vorher, wenn ich komme. Habe seit 10 Tagen keine Post mehr erhalten, muß Euch daher bitten mir Post zu senden so viel wie möglich, haben bei diesem naßkalten Wetter fast nichts zu essen. Mit herzl[ichem] Gruss E[uer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 17. November 1917Liebe Schwester Hilda!Herzl[ichen] Dank für deine l[ieben] Zeilen. Dass ihr so lange kein Lebenszeichen von mir erhalten [habt], bedauere ich, aber hatte nicht einmal Zeit an zu Hause zu denken, geschweige nach Hause zu schreiben. Es gibt bei uns alten Soldaten auch noch Zeiten, wo der Dienst vor allem anderen kommt, ein Dienst der nicht nur den ganzen Mann erfordert, sondern auch eine eiserne Energie u[nd] Entsagung zum leuchtenden Beispiel der jüngeren Kameraden. Entsagungen, die Ihr niemals mehr quitt machen könnt, im Gedanken an Euch illusiert uns ein Paradies vor, nicht um unsere Existenz, denn uns, sollten wir wieder heil heimkommen, finden wir wieder in der ganzen Welt Arbeit u[nd] Auskommen. Ein geldgieriger Egoismus beherrscht die Welt. Und da behauptet der R[eichstags-]Abg[eordnete] Vogt93 in einer 91 Bezonvaux, département Meuse, région Lorraine, Frankreich. Der stark zerstörte und durch Munition verseuchte Ort wurde nach 1918 nicht wieder aufgebaut. 92 Soissons, département Aisne, région Picardie, Frankreich.93 Gemeint ist Wilhelm Vogt (1854-1938) aus Gochsen, Reichstagsabgeordneter des Bundes der Landwirte/Bauernbund. Vogt kam bei einer „Landwirtschaftlichen Versammlung“ am 7.11.1917 in Schwäbisch Hall „auf die innere Friedenssehnsucht, die weite Kreise beherrscht, zu sprechen. Er [...] wandte sich gegen Flaumacherei und Mießmacherei, sowie gegen Verbreitung grundloser Befürchtungen. [...] Es sei jetzt noch nicht an der Zeit, an Frieden zu denken. Noch heiße es durchhalten. Man müsse die heimischen Fluren schützen und den Feind so schädigen, daß er uns nicht wieder angreifen kann. Die Reichstagsresolution [für einen Friedensschluss] habe uns sehr viel geschadet. [...] Es sei uns in jeder Beziehung möglich, durchzuhalten [...]. Darum soll man keine Friedensgedanken an die große Glocke hängen. Wir können uns jetzt nicht zurückziehen

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B[ürger-]Versammlung in Hall jetzt sei noch nicht die richtige Zeit zum Frieden machen, wer jetzt von Frieden sprechen würde sei ein Flaumacher u[nd] Vaterlandsverräter. Hat dieser edle Mensch auch bedacht, daß jeder Tag Krieg uns Tausende von Menschen u[nd] Krüppeln kostet, genau dieselben Leute wie jener R[eichstags-]Abgeordn[ete] u[nd] uns jeder Tag 100 von Millionen kostet. Für Eure l[iebe] Fotografie danke ich Euch herzlich. Habe dir eine gute Aufnahme von einer Explosion geschickt, die eine ganze Häuser-Kolonne weggeblasen hat u[nd] fast noch unser Verderben geworden wäre. Hebe sie mir gut auf. Mit herzl[ichen] Grüßen an Vater u[nd] Mutter u[nd] Käte d[ein] Bruder RobertHerzl[iche] Grüße an alle Bekannte

Feuerstellung, den 1?. Nov[ember] 1917L[iebe] Eltern!Sind schon seit 8 Tagen in der in der gewaltigen Schlacht bei Soissons94, sind in Gewaltmärschen herausmarschiert, logiere schon seit 6 Tagen auf dem bloßen Erdboden, daß man am andern Morgen ganz reisig ist, ich habe schon um 10 lb. abgenommen. Ich muß daher dringend um Post Zulage bitten, hatte bis jetzt noch keine Zeit zum schreiben. Was sagt Ihr zu Italien? Indessen grüßt Euch herzlich E[uer] S[ohn] Robert

Feuerstellung, den 21. Nov[ember] 1917Liebe Eltern!Habe soeben die l[ieben] Zeilen von Mutter erhalten, ebenso das Geld. Wir sind hier in einer ganz schlechten Stellung, wo man jeden Tag auf das schlimmste gefasst sein muß, liegen wir doch jeden Tag stundenlang unter feindlichem Feuer, mein Geschütz liegt direkt im Strichfeuer, wir müssen auch kolosal viel schießen hauptsächlich Gelb-Kreuz-Munition.95 2 Volltreffer in unmittelbarer Nähe hat erst heute wieder 4 Kameraden gepackt. Wir müssen auch kolosal viel Gas schießen hoffen wir das Beste. Müssen jeden Tag springen. War heute wieder knapp dran. Mit herzl[ichem] Gruß an alle Euer Robert

Feuerstellung, den 21. Nov[ember] 1917L[ieber] Vater!Erhalte seit langem mal wieder ein persönliches Lebenszeichen von dir, was mich selbstverständlich sehr freute, ich danke dir herzl[ich] dafür. Mit unserer Post hat es in letzter Zeit ganz schlecht funktioniert u[nd] da verschwindet immer ein Haufen, und vielleicht kommts noch, das große Paket ist auch noch nicht eingelaufen; durch immerwährende Angriffe u[nd] die dadurch bedingten Truppenverschiebungen hat man bei uns den Urlaub vollständig geschlossen. Hoffentlich können wir dir das nächste Jahr dein Alter leichter machen dir von Herzen alles Gute wünschend grüßt dich dein Sohn Robert

und Frieden machen, ohne eine Entschädigung von den Feinden zu verlangen, die den Krieg begonnen haben. Es läge in dem Interesse eines jeden Deutschen, daß ein guter Friede geschlossen werde“ (vgl. Haller Tagblatt, 8.11.1917). Zu Vogt s. Hans Peter Müller: Wilhelm Vogt, Württembergischer Bauernbundpolitiker und bäuerlicher Standesvertreter im Kaiserreich und in der Weimarer Republik 1854-1938, in: Lebensbilder aus Baden-Württemberg 18 (1994), S. 395-417. 94 Wird überwiegend als Schlacht bei Malmaison bezeichnet. Französische Truppen unter Pétain drängten die deutsche Armee vom „Chemin des Dames“ zurück. 95 Gelbkreuz, auch bezeichnet als Lost oder Senfgas, ein hautschädigender chemischer Kampfstoff.

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Feuerstellung, den 12. Dez[ember] 1917Liebe Eltern!Sende Euch anbei wieder ein Lebenszeichen. Bin nämlich mit meiner Kanone ganz vorne in Infanterie-Stellung als Tankgeschütz.96 Natürlich allerhand, habe hier bei der nächsten ... Gelegenheit als fr[an]z[ö]s[ischer] Pionier zu schreiben. Habe soeben das große Paket erhalten mit den Äpfeln, sie waren noch tadellos erhalten. Ist Ernst zur Zeit im Urlaub. Recht herzliche Grüße von mir. Wenn ich den ersten Tanks97 zusammenschieße erhalte ich E[isernes] K[reuz] I. Klasse, hoffentlich bald.Indessen grüßt Euch herzlich Euer d[ankbarer] S[ohn] RobertAuf baldiges Wiedersehn!

In Felde, den 17.12.17Liebe Schwester Hilde!Habe soeben deine lieben Zeilen erhalten, ich danke dir von Herzen. Freue ich mich doch immer sehr über einen derartigen Wochenrapport deinerseits. Also mit meinem Urlaub über Weihnachten wirds eben nichts, hoffe aber bald nachher, kommen wir doch voraussichtlich in den nächsten 14 Tagen auf einen Truppenübungsplatz98 zur Ruhe. Bin vorläufig noch an einem ganz wüsten Punkt der Westfront – Stuizy99, wo ich bei einem Durchbruchsversuch der Franzosen wenig Aussicht habe heil durchzukommen, bin ich doch mit meinem Geschütz gerade in dem bei der letzten Offensive eingedrücktem Dreieck als Tankgeschütz, darf niemals schießen außer bei einem Durchbruch auf feindliche Tank. Bin in vorderster Stellung bei Maschienen-Gewehr-Scharfschützen. Die geringste Bewegung unsererseits wird uns zum Verderben, kann uns dich der Franzose den ganzen Tag beobachten. Gern würde ich das noch einmal mitmachen, wenn nur nicht die ungeheure Artillerie-Vorbereitung einem immer vorher die Nerven wie Putzlappen zerreißen würde. Denn durch das Tal müssen die Franzosen kommen. Ja wie hats Ernst im Urlaub gefallen? Jedenfalls wird ihm der Abschied schwer werden, wer wills ihm verdenken! Es ist doch allerhand allemal wieder der Abschied, vielleicht wird ihm der Nachurlaub genehmigt, ich würde es ihm u[nd] Vater von Herzen wünschen, jedenfalls sollte er noch da sein, wenn du l[iebe] Schw[ester] den Brief erhältst meine herzl[ichen] Grüße. Mit dem Staatszuschuß soll er bis nach dem Krieg warten – da capo.Mit dem Frieden gehts halt langsam, wenn’s nur voll glückt es würde uns doch die längst erwartete große Entlastung bringen, denn 3-4 Offensive jedes Jahr mitmachen geht über die Moral. Ein Gottes-Wunder da noch mit heilen Gliedern davon zukommen u[nd] noch Patriotismus haben. Will nun schließen indem ich Euch allen von Herzen recht segensreiche Weihnachten wünsche u[nd] das Friedensbringende, glorreiche neues Jahr 1918.Euer dankb[arer] Sohn Robert

96 Tankgeschütz = Panzerabwehrgeschütz. 97 „Tank“ = Panzer (von der britischen Tarnbezeichnung für die ersten Panzer als fahrbare Wassertanks). 98 Gemeint ist der Truppenübungsplatz Ciney, Provinz Namur, Belgien (s. auch Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 150). 99 Gemeint ist vermutlich Bucy-lès-Cerny, département Aisne, région Picardie, Frankreich (s. Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 146).

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10. Erholung in Belgien, Stellungskrieg bei Cambrai 1917-1918

Im Felde, den 4. Januar 1918Liebe Eltern! Habe in den letzten 3 Tagen 5 Pakete Post erhalten meinen herzl[ichen] Dank. Über Weihnachten kam überhaupt gar nichts an, es hat mir schmerzlich Leid getan, daß ich eine derartige Weihnachten feiern mußte. Wie ich aber schon geschrieben habe, liegt absolut kein Schuld an Euch, sondern an der Post. Also Weihnachten ist jetzt vorbei ebenso Neu-Jahr. Wir ihr wissen werdet, sind wir zur Zeit im Belgischen in Ruhe. Habe hier ein tadelloses Quartier, bin ich doch beim Bürgermeister im Quartier (180 Morgen großes Hofgut jetzt noch 32 Stück Vieh uk100 l12 Pferde darunter 2 Junge 1½ jährig. Für Euch wie gewünscht. Der Bürgermeister ist einer der angesehensten Leute weit u[nd] breit, er behandelt mich wie sein Kind.Mit dem Frieden wird’s wieder nichts, soeben werden die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk unterbrochen. Einzig u[nd] allein trägt da die Vaterlandspartei die Schuld. Aber wehe ihnen! Bei uns reißt dadurch eine kolosale Unzufriedenheit ein.Mit herzl[ichem] Gruß u[nd] DankEuer S[ohn] Robert

Im Felde, den 15. Januar 1918Liebe Eltern! Will Euch wieder ein Lebenszeichen senden. Meine Post ist in letzter Zeit regelmäßig angekommen, habe aber ausnahmsweis sehr fette Zeiten. Meinen herzlichen Dank für das Rauchfleisch. Mir gehts selbstverständlich tadellos, habe hier jedenfalls eine meiner schönsten Zeiten des Krieges. Mein französisch hat mich glücklich gemacht, das ganze Dorf kennt mich.Mit herzlichen GrüßenEuer Sohn Robert

Feuerstellung, den 14. Februar 1918Liebe Eltern! Erhalte soeben mit herzl[ichem] Dank die lieben Zeilen vom Vater, ebenso seinen väterlichen Rat, den ich natürlich hoch anschlage. Eines aber muß ich sofort wiederlegen, daß ich nicht die Sitten u[nd] Gebräuche von dort kenne, ebenso Land u[nd] Leute. Bin ich doch schließlich nicht als Dummkopf geboren u[nd] habe hellsehende Augen, die 10 mal besser gelernt haben, Eindrücke aufzunehmen, als bei Euch, habe ich mir doch durch soviel Volk- u[nd] Sittenwechsel einen scharfen Blick angeeignet, der mich in alles finden läßt. Kenne ich doch außer meinem Heimatland die meisten Völker Europas, aber keines kann an Fruchtbarkeit u[nd] Wohlstand mit Belgien konkurieren. Wie müßt Ihr doch jeden Kreuzer herausschinden bis er Frucht bringt. Anders das fruchtbare Belgien, dem Deutschland nicht das Wasser bieten kann. Um was kämpfen wir noch? Einzig u. allein um Belgien. Wenn du einmal mit der Eisenbahn durch das Land gefahren bist, wirst du die Habsucht Deutschlands begreifen lernen. Daß du die Religion l[ieber] Vater so scharf verurteilst muß mich wundern, denn welche Religion ist die wahre von beiden? Welche Religion hat in diesem Krieg etwas erreicht, selbst das fromme England hat sich als Heuchlerbande 1. Klasse entziffert durch den Krieg, auch sie wollen mit Hilfe ihrer Religion siegen. Und sind wir ein Atom besser als jene? Vielleicht das Gegenteil – Jedenfalls werde ich nie einen anderen Glauben annehmen als der

100 uk = Abkürzung für „unabkömmlich“, eigentlich für Männer, die nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden.

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mir anerzogene. Daß du für Belgien eine so schlechte Meinung betreffs Zivilisation u[nd] Lebens unsichersein hast, kann ich mir mit deiner Politik niemals in Zusammenhang bringen, denn als guter Vaterlandsparteiler101 kämpfest du doch in erster Kinie für eine Annexion Belgiens, u[nd] es müsste von dir eine ganz verfehlte Politik sein, wenn du deine Überzeugung für eine Mörderbande verloren hättest. Ich bin jetzt der Erste, der in Urlaub kommt, wenn’s wieder Urlaub gibt, dann alles andere mündlich.Indessen verbleibe ich dein dankb[arer] Sohn Robert

Feuerstellung, 15.II.[19]18Liebe Eltern!Wir sind hier in einer ganz gefährlichen Gegend. Dieser Einruck wird jeden Morgen in mir bekräftigt, wenn ich aufstehe u[nd] sehe die 3 verschossenen Tanks vor mir liegen, Kolosse einfach unbeschreibbar, Gewicht 1200 Z[en]t[ne]r, eine Technik geht da mit jedem verloren u[nd] 12 Personen, es sind lauter Helden, denn wenige kommen da noch davon, denn nichts weniger als 176 Stück wurden hier erbeutet u[nd] zusammengeschossen. Sind wir doch in den dem Bourlon Wald102, wo 80 deutsche Batterien Schnellfeuer hineingeschossen haben, eine englische Division wurde hier buchstäblich in Stücke gerissen, jetzt noch kann man Fetzen davon finden. Die Verwüstung ist grauenhaft. Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Feuerstellung, den 16.II.[19]18Liebe Schwester Hilda!Herzl[ichen] Dank für deine soeben erhaltenen Zeilen, ebenso für deine vorausgegangenen Ansichts-Karten. Daß es mit Russland so weit ist, freut mich selbstverständlich, aber bei uns hat man wenig gemerkt von einem Jubel, haben wir doch noch die schwersten Tage des ganzen Krieges vor uns, das steht bombenfest. Wenn wieder einmal der Urlaub geöffnet wird bin ich selbstverständlich der erste, der dran kommt. Kupfer möchte ich möchte ich doch noch einmal vorher sehen, bevor die große Sache anfängt. Sind hier in einer ganz windigen Gegend u[nd] bin als Tankgeschütz in vorderster Stellung, haben ein ganz nettes Leben, wenn nur nicht immer das schwere Artilleriefeuer der Engländer wäre. Bei einer Sauerei haben wir wenig zu erhoffen, hat doch hier der Engländer uns schon einmal 170 Geschütze gekrallt, was er allerdings schwer büßen musste. Unvergeßlich werden ihm die Tage vom Bourlon Wald bleiben. 5 Minuten möchte ich dich einmal diesen Wald beschauen lassen, einfach unerhört.Indessen grüßt dich herzlich dein Bruder Robert

Den 28. Februar 1918L[iebe] Eltern!Soeben erhalte ich von Euch mit herzl[ichem] Dank das l[iebe] Paket durch K. Gronbach von Gailenkirchen, ebenso das Geld, kann ich doch beides gut gebrauchen. Ich weiß nicht sollte es mein Glück od[er] Unglück sein, daß ich nicht mit der letzten Serie in Urlaub kam, denn ich sollte fahren aber ein Offizier-Stellvertreter ist an meiner Stelle gefahren, er kann sich aber

101 In der 1917 gegründeten „Deutschen Vaterlandspartei“ organisierten sich die nationalistischen Gegner eines Verständigungsfriedens mit den Kriegsgegnern. Sie hatte im Sommer 1918 über 1,2 Mio. Mitglieder. Sie strebte nach innen eine rechte Militärdiktatur als Alternative zu einer parlamentarischen Demokratie und nach außen die Okkupation von Gebieten der Kriegsgegner an. Vgl. u.a. Hans Peter Müller: Die Deutsche Vaterlandspartei in Württemberg 1917/18 und ihr Erbe. Besorgte Patrioten oder rechte Ideologen? in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 59 (2000), S. 217-246. 102 Anspielung auf die sog. „Tankschlacht von Cambrai“ im November und Dezember 1917, bei der britische Truppen einen großangelegten Durchbruchsversuch mit Panzern (sog. „Tanks“) unternahmen. Der Bourlonwald und -rücken war ein Brennpunkt der Kämpfe, in denen die deutschen Truppen die Briten nach einem anfangs erfolgreichen Durchbruch weitgehend auf ihre Ausgangsstellungen zurückdrängten. Vgl. Georg Strutz: Die Tankschlacht bei Cambrai. 20. - 29. November 1917 (Schlachten des Weltkrieges; Bd. 31), Oldenburg/Berlin 1929.

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dafür das Kreuz einziehen, er hat es gemacht ohne Erlaubnis des Batterieführers. Jetzt kann es lang dauern bis ich wieder davon komme, denn der Urlaub ist auf unbestimmte Zeit gesperrt. Leider haben wir unsere Langrohr-Haubitzen abgeben müssen und haben dafür Sturmgeschütze erhalten, müssen wir doch bei der großen Offensive mit der Infanterie marschieren, was uns sicher noch viel Verlust einbringt, vielleicht verlässt mich mein in letzter Zeit so glänzender Stern auch in Deutschlands schwerster Zeit nicht. Sende Euch in den nächsten Tagen meine Auszeichnungen u[nd] sonstige Andenken, bewahrt sie gut auf, es kann mir was menschliches passieren in dieser großen Sache. Ich traue nur halber, es ist bekanntlich kein Russe mit dem wir es hier zu tun haben. Von morgen ab kann ich Euch nur noch ganz kurze Briefe schreiben, denn von da ab liegt alles unter Kontrolle. Wirds wohl uns den langersehnten Frieden bringen? Meine Ansicht ist die „Niemals“. Herzl[ichen] Dank für die Wurst u[nd] für die Grieben. Auch für den lieben Brief von Hilda. Euch von Herzen alles Gute wünschend u[nd] sollte mir es das Schicksal anders beschieden haben ein herzliches „Vergelts Gott“ für ales gute das ihr mir bewiesen habt. Euer dankbarer Sohn Robert.Herzliche Grüße an alle Hausangehörigen.

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11. Frühjahrsoffensive und weitere Kämpfe 1918, Lazarettaufenthalte, Kriegsende

„An Gasvergiftung im Lazaret“103

den 25. März 1918L[iebe] Eltern!Wie ich Euch schon mitgeteilt habe befinde ich mich im Lazaret. Es geht mir soweit gut, viel könnt ihr nicht mehr nach dem Kriege von mir erhoffen, denn meine Lunge hat schwer gelitten, konnte im Anfang nur mit Sauerstoff noch atmen.104 Jetzt gehts besser, aber zurück bleibt mir ein Andenken. Muß Euch bitten mir sofort Geld zu schicken an 4. Batterie die erfahren meine Adresse immer wieder, denn ich bleibe nicht hier. Pakete schickt mir vorerst keine, denn ich erhalte sie nicht. Es ist ein Jammer was hier hereinkommt zerfetzt u[nd] zerschunden an allen Glieder u[nd] der Hunger.Indessen mit herzlichen Grüßen Euer S[ohn] RobertImmer Lazaretwechsel, komme jedoch niemals nach Deutschland.

Im Felde, den 21. April 1918Liebe Eltern!Es geht mir soweit gottlob gut, die ganze Batterie war froh, dass ich wieder gekommen bin. Bin heute mit an der Front gewesen bei einem englischen Depot. Was da Zeug liegt macht ihr Euch kein Bild. Wenn ich jetzt in Urlaub dürfte, würde ich Euch eine Kanne Leinöl bringen, denn im 100 nach stehen sie herum, dann Seile ganze Berge, Farben alle Nuancen streichfertig, Tuch, Nägel u[nd] sonstiges Zeug. Es kann leider nicht weggeführt werden, weils immer noch schwer unter Feuer liegt. Millionen Werte gehen da zu Grunde.Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Landas105, den 25. April 1918Liebe Eltern!Meine sämtliche Briefpost ist scheints verloren gegangen, jedenfalls ists an Euch abgesandt worden vom Lazaret. Hoffe diesmal bestimmt, daß ich in den nächsten 14 Tagen in Urlaub komme. Bei uns ist auch wieder allerhand los, denn seit heut Morgen 5 Uhr wackeln wieder alle Fensterscheiben vom Artilleriefeuer. Mit herzl[ichem] Gruß E[uer] S[ohn] Robert

An der Ancre106, den 1. Mai 1918L[iebe] Eltern!Leider bin ich gezwungen Euch noch einmal um Gage zu bitten, denn um meinen Hunger zu vergessen rauche ich halt Cigaretten, denn ich muß immer Hunger leiden aber lang nicht so wie im Lazaret im Tage 1 Ei u[nd] ¼ L[iter] Milch als Halblebendiger bin ich bei Nacht u[nd] Nebel durchgebrannt zu meiner Batterie. Es ist hier eine namenlos traurige Gegend, kein

103 Anmerkung von Hilde Kraft. 104 Robert Kraft erlitt die Gasvergiftung bei einem Stoßtruppunternehmen am 21. März 1918 bei der Vaucelette-Ferme (heute: La Vaucelette, Gde. Villers-Guislain, département Nord, région Nord-Pas-de-Calais, Frankreich), s. auch Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 165. Der Stoßtrupp hatte den Auftrag, von der Infanterie eroberte britische Geschütze einzusetzen. 105 Landas, département Nord, région Nord-Pas-de-Calais, Frankreich. 106 Ausweislich Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 174, lagen die Stellungen im Bereich von Ovillers-la-Boisselle, département Somme, Région Picardie, Frankreich.

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Strauch kein Baum, kein grünendes Gras, eine Wüste im richtigen Sinn des Wortes. Nur noch ein paar Baumstümpfe von dem großen Delville-Wald107, alles andere Granattrichter von der Somme. Kein belebendes Grün, keine erwachender Frühling, eine Einöde wies auch in unser Herz eingezogen ist hoffnungslos. Mit herzlichen Grüßen E[uer] S[ohn] Robert

Im Felde, den 6. Mai 1918Meine Lieben!Sende Euch von Biens aus herzl[iche] Grüße, sind wir dich auf 10 Tage hier in Ruhe, um uns zu dem kommenden großen Schlag vorzubereiten. Einmal muß mich das Schicksal doch erreichen, es scheint doch bestimmt zu sein, daß ich auch ein Opfer dieses Krieges noch werde, sonst hätte mein Schicksal mich sicher das letztemal nach Deutschland gebracht. Habe hier ein gutes Quartier, es ist wie Tag u[nd] Nacht, als wie vornen an der Somme wo überhaupt keine Kreatur noch lebendes Wesen existiert. Jetzt weiß ich einen Unterschied zwischen Hölle u[nd] Paradies, erst bei Cambrai sah ich den ersten blühenden Baum. Und wie gehts Euch? Hoffentlich wird dann einmal wieder der Urlaub aufgemacht.Mit herzlichen Grüßen E[uer] Sohn Robert

den 16. Mai 1918Meine Lieben!Leider bin ich gezwungen, Euch schriftlich zu benachrichtigen. Hatte ich doch gestern schon meinen Urlaubspaß mit Fahrschein nach Kupfer in der Tasche, als der Befehl kam, daß wir nicht wegfahren dürfen. Wenn er eine Stunde später gekommen wäre, wäre ich jetzt über Pfingsten in Kupfer. Mein Schicksal will es scheints doch, dass ich nicht mehr in Urlaub komme. Hat sich doch seit der freiwilligen Patrouille mein Glück gewendet, denn keiner meiner Kameraden kam mehr gesund zurück, 3 tot darunter der Leutnant als Kommandoführer108, ich kam am leichtesten weg, aber jetzt verfolgt mich das Unglück auf Schritt u[nd] Tritt. Euer großes Paket habe ich noch nicht erhalten. Liegen zur Zeit bei Lille in Ruhe.Mit herzlichem Gruß Euer dankb[arer] Sohn Robert

Im Juni, 14tägiger Urlaub109

107 Der Delville-Wald (Bois Delville) liegt nordöstlich von Longueval, département Somme, région Picardie, und war in der Sommeschlacht zwischen dem 15 Juli und 3. September 1916 Schauplatz schwerer Kämpfe. Im März 1918 eroberten deutsche Truppen den Delville-Wald, wurden aber im August 1918 erneut von britischen Einheiten daraus vertrieben, vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Delville_Wood, abgerufen 26.3.2015. 108 Laut Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 165ff, Leutnant Friedrich Schall. 109 Einschub von Hilde Kraft.

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Im Felde, den 16. Juli 1918Herzlichen Dank für die lieben Karten von Hilda. Ich habe ganz dunkle Ahnungen vor meiner Zukunft. Seit 2 Tagen zittern bei uns die Fensterscheiben von dem Donner der Kanonen an der Front. Hat bei Euch schon die Ernte angefangen, glaubt mirs wir haben auch eine gute Ernte hier. Hier im Belgischen steht alles großartig, Sommergerste u[nd] Roggen werden schon geerntet. Gibts wohl dieses Jahr noch Frieden? L[iebe] Mutter! Danke Gott, daß du einen leichtsinnigen Sohn hast, nur mein grenzenloser Leichtsinn läßt mich mein Elend vergessen. Schon längst wäre ich auch hinübergeschnappt, wie letzthin mein bester Freund, denn des ist tatsächlich nichts Leichtes, was wir durchmachen müssen.Indessen grüßt Euch herzlich Euer dankb[arer] Sohn RobertHerzliche Grüße an alle Hausangehörigen.

Im Felde, den 28. Juli 1918Meine Lieben!Befinde mich soeben auf dem Wege zum Lazaret, hat sich doch bei mir ein Rückschlag eingestellt u[nd] zwar ganz gefährlicher Art. Es war mir überhaupt nicht mehr möglich die geringste Bewegung zu machen. So gehts uns aber allen, alle ein Opfer dieses Kriegs. Es dauert selbstverständlich längere Zeit bis ich wieder halbwegs hergestellt bin, bitte Euch aber dringend nicht die Post einzustellen meine Kameraden schicken es mir alles pünktlich zu. Habe ich doch Erfahrung was für ein Hungerleiden dort anfängt. Mit herzlichen Grüßen Euer dankbarer Sohn Robert

den 4. August 1918Meine Lieben!Weils heute gerade Sonntag ist, will ich zur Langeweile auch Euch wieder ein paar Worte schreiben. Mein Befinden ist so ziemlich unverändert, die Nächte werden einem halt ewig lang: Wie ist bei Euch zur Zeit das Wetter? Wie weit seid ihr mit der Ernte? Hier im Belgischen steht die Ernte wunderbar, es wird jetzt schon Haber geschnitten. Wie sehne ich mich nach Hause. Lieber einen Sonntag an der Front, als im Bette eines Lazaretes. Weißt es ist hier eine ganz bunte Gesellschaft. Nieren, Leber, Gallensteinleidende u.s.f. 1400 Kranke u[nd] blos 2 Ärtzte, überdies fehlt es an Pfleger. Meine Verpflegung ist soweit gut, lauter leichtverdauliche Sachen. Habe immer noch schwer zu leiden. Wünsche Euch allen einen vergnügten Sonntag Euer unglücklicher Sohn Robert

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den 14. August 1918Meine Lieben!Kaum bin ich 5 Tage von der Batterie weg, wird sie eingesetzt links von Albert. Vor 4 Tagen erfahre ich, daß von unserer 27. Division kaum ein fünftel übrig geblieben ist. Gestern kam ein Regimentskamerad u[nd] erzählte mir, daß wir 7 Batterien verloren haben, darunter die 4. mit Mann u[nd] Maus.110 Sollte es doch mein Schicksal sein, daß ich vorher ins Lazaret mußte. Verpflegung habe ich hier keine schlechte, hauptsächlich Milch, blute jeden Tag so ein ¼ L[i]t[er] aus der Nase, der reinste Schatten bin [ich] nur noch, denn die kräftigen Speisen fallen halt durch. Schwarzes Brot kann ich nicht essen. Mit herzl[ichen] Grüßen Euer Sohn Robert

Unser Batterieführer u[nd] ein Haufen Kanoniere sind auch gefallen, darunter mein Geschützführer.

den 18. August 1918Meine Lieben!Es geht mir soweit wieder besser, ihr braucht mir keine Post mehr zu senden, komm ich doch in den nächsten 8 Tagen nach Deutschland. Denke ich doch, daß ich dann in 4-6 Wochen soweit hergestellt bin, um in Urlaub zu fahren.Mit herzl[ichem] Gruß Euer Sohn Robert

Reserve-Lazarett, NienburgIch bin heute den 28. Aug[ust] 1918 in das obengenannte Lazarett wegen Nieren- u[nd] Blasenleiden aufgenommen worden, es geht mir soweit ganz gut. Mit herzl[ichem] Gruß E[uer] S[ohn] Robert

Nienburg, den 29. August 1918Liebe Eltern!Nach langem Herumwandern bin ich hier glücklich gelandet, es ist hier eine ganz feudale Gegend 1 Stunde von Hannover weg. Die Lazarette sind furchtbar überfüllt, sollten zuerst nach Aachen, dann Köln, Osnabrück, Münster, Bremen kommen, aber alles überfüllt, jetzt sind wir in einem kleineren Städtchen mit Sanatorium. Die Verpflegung ist etwas knapp hier, die Preußen haben halt selber nichts. Hoffentlich funktioniert die Post hier besser als in Frankreich.Auf baldiges Wiedersehen E[uer] S[ohn] Robert

Nienburg, den 2. Oktober 1918Meine Lieben!Aus dem Schreiben von Mutter habe ich ersehen, daß es mit dem Obst bei Euch so schlecht aussieht, es wundert mich eigentlich, hier gibt es Obst gerade genug. Bie Bäume hängen alle schwer voll. Denkt an die Schlachten, die zur Zeit geschlagen werden! Indem ich Euch von Herzen alles Gute wünsche grüße ich Euch Euer Robert

110 Das zur 27. Infanteriedivision gehörende Feldartillerieregiment 13, in Stellung mit dem (3. württ.) Grenadierregiment 123, wurde am 8./9. August 1918 westlich von Bray-sur-Somme in schwere Kämpfe mit durchgebrochenen britischen Truppen verwickelt und erlitt schwere Verluste. Die Schlacht bei Amiens vom 8.-11. August 1918, in deren Kontext diese Gefechte gehören, war eine schwere deutsche Niederlage (der 8. August gilt als der „schwarze Tag des deutschen Heeres“), die einen Wendepunkt des Ersten Weltkriegs darstellt. Vgl. Pantlen: Feldartillerie-Regiment, S. 181ff. Der bei diesen Kämpfen getötete Batterieführer Robert Krafts war Leutnant d.R. Friedrich Ostertag.

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11.1. Einschub von Hilde Kraft: „Nach-Satz“

N[ach]-S[atz]111

Lesen wir dieses Heft durch, so können wir die Erlebnisse eines einzelnen erfahren, der 4 Jahre ausgehalten hat, durch mancherlei Gefahr, bis ihn zuletzt die Krankheit erfasste u[nd] er nicht mehr ins Feld kam, da am 9. Nov[ember] die Revolution ausbrach u[nd] der letzte Widerstand vollends zusammenbrach. Über 4 Jahre hat das deutsche Volk ausgehalten, gegen eine Welt von Feinden, nun war es mit seiner Kraft zu Ende u[nd] alles kämpfen, alles siegen, alles Blutvergießen, alle Opfer, alles, alles war umsonst.112 In Schwach und gedemütigt von den Feinden liegt nun das deutsche Heldenvolk am Boden hoffnungslos. Was wird ihm, was wird uns die dunkle Zukunft noch bringen? Geschrieben von seiner Schwester Hilde Kraft in Kupfer 1920. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, es muß wieder eine bessere Zeit kommen, u[nd] Deutschland muß sich wieder aufschwingen.

111 Nachbemerkung von Hilda Kraft. 112 Unterstreichungen im Original.

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