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DigBib.Org: Die digitale Bibliothek Johann Wolfgang von Goethe Die gefährliche Wette Quelle: http://www.digbib.org/Johann_Wolfgang_von_Goethe_1749/Die_gefaehrliche_Wette Erstellt am 02.07.2004 DigBib.Org ist ein öffentliches Projekt. Bitte helfen Sie die Qualität der Texte zu verbessern: Falls Sie Fehler finden bitte bei DigBib.Org melden.

Die Gefaehrliche Wette

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  • DigBib.Org: Die digitale Bibliothek

    Johann Wolfgang von GoetheDie gefhrliche Wette

    Quelle: http://www.digbib.org/Johann_Wolfgang_von_Goethe_1749/Die_gefaehrliche_WetteErstellt am 02.07.2004DigBib.Org ist ein ffentliches Projekt. Bitte helfen Sie die Qualitt der Texte zu verbessern: Falls SieFehler finden bitte bei DigBib.Org melden.

  • Erzhlung

    aus Wilhelm Meisters Wanderjahre (Geschrieben 1807/08)

    Es ist bekannt, da die Menschen, sobald es ihnen einigermaen wohl und nach ihrem Sinne geht,alsobald nicht wissen, was sie vor bermut anfangen sollen; und so hatten denn auch mutwilligeStudenten die Gewohnheit, whrend der Ferien scharenweis das Land zu durchziehen und nachihrer Art Suiten zu reien, welche freilich nicht immer die besten Folgen hatten. Sie waren garverschiedener Art, wie sie das Burschenleben zusammenfhrt und bindet. Ungleich von Geburt undWohlhabenheit, Geist und Bildung, aber alle gesellig in einem heitern Sinne miteinander sichfortbewegend und treibend. Mich aber whlten sie oft zum Gesellen: denn wenn ich schwerereLasten trug als einer von ihnen, so muten sie mir denn auch den Ehrentitel eines groen Suitierserteilen, und zwar hauptschlich deshalb, weil ich seltener, aber desto krftiger meine Possen trieb,wovon denn folgendes ein Zeugnis geben mag.

    Wir hatten auf unseren Wanderungen ein angenehmes Bergdorf erreicht, das bei einerabgeschiedenen Lage den Vorteil einer Poststation und in groer Einsamkeit ein paar hbscheMdchen zu Bewohnerinnen hatte. Man wollte ausruhen, die Zeit verschleudern, verliebeln, eineWelle wohlfeiler leben und deshalb desto mehr Geld vergeuden.

    Es war gerade nach Tisch, als einige sich im erhhten, andere im erniedrigten Zustand befanden.Die einen lagen und schliefen ihren Rausch aus; die andern htten ihn gern auf irgendeinemutwillige Weise ausgelassen. Wir hatten ein paar groe Zimmer im Seitenflgel nach dem Hof zu.Eine schne Equipage, die mit vier Pferden hereinrasselte, zog uns an die Fenster. Die Bedientensprangen vom Bock und halfen einem Herrn von stattlichem, vornehmem Ansehen heraus, derungeachtet seiner Jahre noch rstig genug auftrat. Seine groe, wohlgebildete Nase fiel mir zuerstins Gesicht, und ich wei nicht, was fr ein bser Geist mich anhauchte, so da ich in einemAugenblick den tollsten Plan erfand und ihn, ohne weiter zu denken, sogleich auszufhren begann.

    Was dnkt euch von diesem Herrn? fragte ich die Gesellschaft. - Er sieht aus, versetzte dereine, als ob er nicht mit sich spaen lasse. - Ja, ja, sagte der andre, er hat ganz das Ansehenso eines vornehmen Rhrmichnichtan. - Und dessenungeachtet, erwiderte ich ganz getrost,was wettet ihr, ich will ihn bei der Nase zupfen, ohne da mir deshalb etwas bles widerfahre; ja ichwill mir sogar dadurch einen gndigen Herrn an ihm verdienen.

    Wenn du es leistest, sagte Raufbold, so zahlt dir jeder einen Louisdor. - Kassieren Sie dasGeld fr mich ein, rief ich aus; auf Sie verlasse ich mich. - Ich mchte lieber einem Lwen einHaar von der Schauze raufen, sagte der Kleine. - Ich habe keine Zeit zu verlieren, versetzteich und sprang die Treppe hinunter.

    Bei dem ersten Anblick des Fremden hatte ich bemerkt, da er einen sehr starken Bart hatte, undvermutete, da keiner von seinen Leuten rasieren knne. Nun begegnete ich dem Kellner und fragte:Hat der Fremde nicht nach einem Barbier gefragt? - Freilich! versetzte der Kellner, und esist eine rechte Not. Der Kammerdiener des Herrn ist schon zwei Tage zurckgeblieben. Der Herrwill seinen Bart absolut los sein, und unser einziger Barbier, wer wei, wo er in die Nachbarschafthingegangen.

    So meldet mich an, versetzte ich; fhrt mich als Bartscherer bei dem Herrn nur ein, und Ihrwerdet Ehre mit mir einlegen. Ich nahm das Rasierzeug, das ich im Hause fand, und folgte demKellner.

    Der alte Herr empfing mich mit groer Gravitt, besah mich von oben bis unten, als ob er meineGeschicklichkeit aus mir herausphysiognomieren wollte. Versteht Er Sein Handwerk? sagte erzu mir.

    Ich suche meinesgleichen, versetzte ich, ohne mich zu rhmen. Auch war ich meiner Sachegewi: denn ich hatte frh die edle Kunst getrieben und war besonders deswegen berhmt, weil ichmit der linken Hand rasierte.

    Das Zimmer, in welchem der Herr seine Toilette machte, ging nach dem Hof und war gerade sogelegen, da unsere Freunde fglich hereinsehen konnten, besonders wenn die Fenster offenwaren. An gehriger Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das Tuchvorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und sagte: Exzellenz! mir ist bei Ausbungmeiner Kunst das Besondere vorgekommen, da ich die gemeinen Leute besser und zu mehrererZufriedenheit rasiert habe als die Vornehmen. Darber habe ich denn lange nachgedacht und dieUrsache bald da, bald dort gesucht, endlich aber gefunden, da ich meine Sache in freier Luft vielbesser mache als in verschlossenen Zimmern. Wollten Ew. Exzellenz deshalb erlauben, da ich die

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  • Fenster aufmache, so wrden Sie den Effekt zu eigener Zufriedenheit gar bald empfinden. Er gabes zu, ich ffnete das Fenster, gab meinen Freunden einen Wink und fing an, den starken Bart mitgroer Anmut einzuseifen. Ebenso behend und leicht strich ich das Stoppelfeld vom Boden weg,wobei ich nicht versumte, als es an die Oberlippe kam, meinen Gnner bei der Nase zu fassen undsie merklich herber und hinber zu biegen, wobei ich mich so zu stellen wute, da die Wettenden zuihrem grten Vergngen erkennen und bekennen muten, ihre Seite habe verloren.

    Sehr stattlich bewegte sich der alte Herr gegen den Spiegel: man sah, da er sich mit einigerGeflligkeit betrachtete, und wirklich, es war ein sehr schner Mann. Dann wendete er sich zu mirmit einem feurigen schwarzen, aber freundlichen Blick und sagte: Er verdient, mein Freund, vorvielen seinesgleichen gelobt zu werden, denn ich bemerke an Ihm weit weniger Unarten als anandern. So fhrt Er nicht zwei-, dreimal ber dieselbige Stelle, sondern es ist mit einem Strich getan;auch streicht Er nicht, wie mehrere tun, sein Schermesser in der flachen Hand ab und fhrt denUnrat nicht der Person ber die Nase. Besonders aber ist Seine Geschicklichkeit der linken Handzu bewundern. Hier ist etwas fr Seine Mhe, fuhr er fort, indem er mir einen Gulden reichte. Nureines merk' Er sich: da man Leute von Stande nicht bei der Nase fat. Wird Er diese burische Sitteknftig vermeiden, so kann Er wohl noch in der Welt sein Glck machen.

    Ich verneigte mich tief, versprach alles mgliche, bat ihn, bei allenfallsiger Rckkehr mich wiederzu beehren, und eilte, was ich konnte, zu unseren jungen Gesellen, die mir zuletzt ziemlich Angstgemacht hatten. Denn sie verfhrten ein solches Gelchter und ein solches Geschrei, sprangen wietoll in der Stube herum, klatschten und riefen, weckten die Schlafenden und erzhlten dieBegebenheit immer mit neuem Lachen und Toben, da ich selbst, als ich ins Zimmer trat, dieFenster vor allen Dingen zumachte und sie um Gottes willen bat, ruhig zu sein, endlich abermitlachen mute ber das Aussehen einer nrrischen Handlung, die ich mit so vielem Ernstedurchgefhrt hatte.

    Als nach einiger Zeit sich die tobenden Wellen des Lachens einigermaen gelegt hatten, hielt ichmich fr glcklich; die Goldstcke hatte ich in der Tasche und den wohlverdienten Gulden dazu, undich hielt mich fr ganz wohl ausgestattet, welches mir um so erwnschter war, als die Gesellschaftbeschlossen hatte, des andern Tages auseinanderzugehen. Aber uns war nicht bestimmt, mitZucht und Ordnung zu scheiden. Die Geschichte war zu reizend, als da man sie htte bei sichbehalten knnen, so sehr ich auch gebeten und beschworen hatte, nur bis zur Abreise des altenHerrn reinen Mund zu halten. Einer bei uns, der Fahrige genannt, hatte ein Liebesverstndnis mitder Tochter des Hauses. Sie kamen zusammen, und Gott wei, ob er sie nicht besser zuunterhalten wute, genug, er erzhlt ihr den Spa, und so wollten sie sich nun zusammen totlachen.Dabei blieb es nicht, sondern das Mdchen brachte die Mre lachend weiter, und so mochte sieendlich noch kurz vor Schlafengehen an den alten Herrn gelangen.

    Wir saen ruhiger als sonst: denn es war den Tag ber genug getobt worden, als auf einmal derkleine Kellner, der uns sehr zugetan war, hereinsprang und rief: Rettet euch, man wird euchtotschlagen! Wir fuhren auf und wollten mehr wissen; er aber war schon zur Tre wieder hinaus.Ich sprang auf und schob den Nachtriegel vor; schon aber hrten wir an der Tre pochen undschlagen, ja wir glaubten zu hren, da sie durch eine Axt gespalten werde. Maschinenmig zogenwir uns ins zweite Zimmer zurck, alle waren verstummt: Wir sind verraten, rief ich aus, derTeufel hat uns bei der Nase!

    Raufbold griff nach seinem Degen, ich zeigte hier abermals meine Riesenkraft und schob ohneBeihlfe eine schwere Kommode vor die Tre, die glcklicherweise hereinwrts ging. Doch hrten wirschon das Gepolter im Vorzimmer und die heftigsten Schlge an unsere Tre.

    Raufbold schien entschieden, sich zu verteidigen, wiederholt aber rief ich ihm und den brigen zu:Rettet euch! hier sind Schlge zu frchten nicht allein, aber Beschimpfung, das Schlimmere fr denEdelgebornen. Das Mdchen strzte herein, dieselbe, die uns verraten hatte, nun verzweifelnd,ihren Liebhaber in Todesgefahr zu wissen. Fort, fort! rief sie und fate ihn an; fort, fort! ich bring'euch ber Bden, Scheunen und Gnge. Kommt alle, der letzte zieht die Leiter nach.

    Alles strzte nun zur Hintertre hinaus; ich hob noch einen Koffer auf die Kiste, um die schonhereinbrechenden Fllungen der belagerten Tre zurckzuschieben und festzuhalten. Aber meineBeharrlichkeit, mein Trutz wollte mir verderblich werden.

    Als ich den brigen nachzueilen rannte, fand ich die Leiter schon aufgezogen und sah alleHoffnung, mich zu retten, gnzlich versperrt. Da steh' ich nun, ich, der eigentliche Verbrecher, derich mit heiler Haut, mit ganzen Knochen zu entrinnen schon aufgab. Und wer wei - doch lat michimmer dort in Gedanken stehen, da ich jetzt hier gegenwrtig euch das Mrchen vorerzhlen kann.Nur vernehmt noch, da diese verwegene Suite sich in schlechte Folgen verlor.

    Der alte Herr, tief gekrnkt von Verhhnung ohne Rache, zog sich's zu Gemte, und manbehauptet, dieses Ereignis habe seinen Tod zur Folge gehabt, wo nicht unmittelbar, dochmitwirkend. Sein Sohn, den Ttern auf die Spur zu gelangen trachtend, erfuhr unglcklicherweise die

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  • Teilnahme Raufbolds, und erst nach Jahren hierber ganz klar, forderte er diesen heraus, und eineWunde, ihn, den schnen Mann, entstellend, ward rgerlich fr das ganze Leben. Auch seinemGegner verdarb dieser Handel einige schne Jahre, durch zufllig sich anschlieende Ereignisse.

    Da nun jede Fabel eigentlich etwas lehren soll, so ist euch allen, wohin die gegenwrtige gemeintsei, wohl berklar und deutlich.

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