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Einleitung Das Problem der varronischen Geographie Seitdem der Archeget der modernen Varroforschung, Friedrich Ritsehl, in einem grundlegenden Aufsatz über Varros Disziplinen 1 auch den geographischen Bruchstücken Varros bei Plinius (NH 3—6) einen besonderen Abschnitt widmete, gibt es das Problem der varro- nischen Geographie. Es lohnt sich, dies zu erwähnen, weil weder die Beschäftigung mit den verlorenen Werken Varros noch die Geschichte der alten Geographie auf dieses Problem gestoßen ist. In den Lehr- büchern der historischen Geographie wird Varros Name entweder gar nicht 2 oder nur flüchtig als Quellenschriftsteller des Plinius genannt 3 , ohne daß nach einem geographischen Werk Varros gefragt würde 4 . Andererseits bieten auch die überlieferten Titel varronischer Schriften keinen Anhalt für ein typisch geographisches Buch: es gibt keine Chorographia oder De situ orbis, keine Periegesis, keinen Periplus — von einer satura Menippea dieses Titels abgesehen 5 —, keine Geo- graphica. Aber es gibt Varrofragmente geographischen Inhalts, und ihre Zuweisung zu bestimmten Werktiteln ergab das Problem. 1 De M. Varronis diseiplinarum libris commentatio. Progr. acad. Bonn 1845 = Opuse. 3, 352—402. Darin cap. 2 § 19 de Varronis geographicis (Opuse. 3, 389—396). 2 So z. B. bei H. KIEPERT, Lehrbuch der alten Geographie, Berlin 1878, oder in dem sonst recht brauchbaren Buch von H. F. TOZER, A History of Ancient Geography, Cambridge 1897. 3 So im RE-Artikel „Geographie" (Suppl. 4,1924, 521—685) von F. GISINGER; oder bei Ε. H. BUNBURY, A History of Ancient Geography among the Greeks and Romans from the earliest Ages till the Fall of the Roman Empire. With a new Introduction by W. H. STAHL, New York (2. ed.) 1959 (urspr. 1883). A. FORBIGER (zit. S. 11 A. 22) erwähnt 378 Anm. Varrò nur als Interpretationsvariante zu Ovid. Ex Ponto 4, 16, 2. 1 So begnügt sich A. RIESE (Geographi Latini Minores, Heilbronn 1878, Nachdruck Hildesheim 1964) p. XII mit der lakonischen Bemerkung ,,Varrò qui et ipse geo- graphica edidit". Noch Bronislaw BILISISKI (De veterum tragicorum Romanorum notitiis geographicis observationes, Trav. de la soc. des sciences et des lettres de Wroclaw, ser. A nr. 41, 1952) 80 erwähnt wie selbstverständlich „Varronis ali- orumque auetorum opera geographica". 6 Dieser .Periplus' in 2 Büchern, von dem Nonius 6 Fragmente überliefert (Fr. 414—419 BÜCHELER) gilt seit den Forschungen von Johannes VAHLEN (Coniectanea in Varronis saturas Menippeas, 200 f.) als Irrfahrt durch das Reich der Philosophie — das Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/3/13 4:41 PM

Die Geographie des älteren Plinius in ihrem Verhältnis zu Varro (Versuch einer Quellenanalyse) || Einleitung: Das Problem der varronischen Geographie

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Einleitung

Das Problem der varronischen Geographie

Seitdem der Archeget der modernen Varroforschung, Friedrich Ritsehl, in einem grundlegenden Aufsatz über Varros Disziplinen1

auch den geographischen Bruchstücken Varros bei Plinius (NH 3—6) einen besonderen Abschnitt widmete, gibt es das Problem der varro-nischen Geographie. Es lohnt sich, dies zu erwähnen, weil weder die Beschäftigung mit den verlorenen Werken Varros noch die Geschichte der alten Geographie auf dieses Problem gestoßen ist. In den Lehr-büchern der historischen Geographie wird Varros Name entweder gar nicht2 oder nur flüchtig als Quellenschriftsteller des Plinius genannt3, ohne daß nach einem geographischen Werk Varros gefragt würde4. Andererseits bieten auch die überlieferten Titel varronischer Schriften keinen Anhalt für ein typisch geographisches Buch: es gibt keine Chorographia oder De situ orbis, keine Periegesis, keinen Periplus — von einer satura Menippea dieses Titels abgesehen5 —, keine Geo-graphica. Aber es gibt Varrofragmente geographischen Inhalts, und ihre Zuweisung zu bestimmten Werktiteln ergab das Problem.

1 De M. Varronis diseiplinarum libris commentatio. Progr. acad. Bonn 1845 = Opuse. 3, 352—402. Darin cap. 2 § 19 de Varronis geographicis (Opuse. 3, 389—396).

2 So z. B. bei H . K I E P E R T , Lehrbuch der alten Geographie, Berlin 1 8 7 8 , oder in dem sonst recht brauchbaren Buch von H. F. TOZER, A History of Ancient Geography, Cambridge 1897.

3 So im RE-Artikel „Geographie" (Suppl. 4,1924, 521—685) von F. G I S I N G E R ; oder bei Ε. H. B U N B U R Y , A History of Ancient Geography among the Greeks and Romans from the earliest Ages till the Fall of the Roman Empire. With a new Introduction by W. H. STAHL, New York (2. ed.) 1959 (urspr. 1883). A. FORBIGER (zit. S . 11 A. 22) erwähnt 378 Anm. Varrò nur als Interpretationsvariante zu Ovid. Ex Ponto 4, 16, 2.

1 So begnügt sich A. R I E S E (Geographi Latini Minores, Heilbronn 1878, Nachdruck Hildesheim 1964) p. XII mit der lakonischen Bemerkung ,,Varrò qui et ipse geo-graphica edidit". Noch Bronislaw BILISISKI (De veterum tragicorum Romanorum notitiis geographicis observationes, Trav. de la soc. des sciences et des lettres de Wroclaw, ser. A nr. 41, 1952) 80 erwähnt wie selbstverständlich „Varronis ali-orumque auetorum opera geographica".

6 Dieser .Periplus' in 2 Büchern, von dem Nonius 6 Fragmente überliefert (Fr. 414—419 B Ü C H E L E R ) gilt seit den Forschungen von Johannes V A H L E N (Coniectanea in Varronis saturas Menippeas, 200 f.) als Irrfahrt durch das Reich der Philosophie — das

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Varros geographische Fragmente 7

1. Die Fragmente

Nun gehört Varrò zu den römischen Schriftstellern, deren Frag-mente schon früh gesammelt und erforscht wurden. Der Humanist Justus Lipsius (1547—1606) hatte schon in Anbetracht der Bedeutung des Dichters und Gelehrten M. Terentius Varrò eine Fragmentsamm-lung gefordert und geplant, und bereits 1601 brachte Ausonius Popma die erste umfassende und noch immer unentbehrliche Sammlung her-aus®. Aber gerade sie machte erst die Mängel bewußt, die einer bloßen Aufzählung der Namensfragmente anhaften mußten, und sie machte zugleich die ungeheure Schwierigkeit offenbar, die das Herauslösen des ohne Namen überlieferten varronischen Materials bei zahllosen Schriftstellern bis in die Spätantike hinein7 bietet. So ist denn para-doxerweise eine befriedigende Sammlung aller Varrofragmente immer noch eines der dringendsten Desiderate der römischen Literatur-geschichte8.

Aber auch in Popmas Sammlung sucht man vergeblich nach einer Gruppe geographischer Bruchstücke: sie finden sich weit verstreut oder bei den fragmenta incertae sedis. Und in der Tat macht die Zuweisung solcher Bruchstücke, bei denen kein Werk angegeben ist — dies ist, zumal in der Geographie, leider der Normalfall — ganz spezielle Schwierigkeiten. Einmal hatte Varrò eine Vorliebe für Selbst-zitate9 und für Wiederholung derselben Dinge in verschiedenen

2. Buch hat den Untertitel περί φιλοσοφίας —, doch war dieses Reich offenbar real lokalisiert: die Tyrannenstadt Syrakus und der Tiber (,Albula') werden in den Frag-menten genannt. Vgl. auch R. HIRZEL, Der Dialog, ein literarhistorischer Versuch, Leipzig 1895, Τ. 1, 449f., und KarlMRAS, Varros menippeische Satiren und die Philo-sophie, NJbbKlAltertum 17, 1914, 393.

6 Sie wird noch heute benutzt und ist abgedruckt im Anhang der ed. Bipontina (Zwei-brücken 1788): M. Terentii Varronis de lingua Latina libri cum fragmentis eiusdem. Nur als Beispiel für schwere Fehlzitate Popmas sei auf die Liste der falschen Buch-zahlen der Antiquitates rerum humanarum hingewiesen bei Paul MIRSCH, De M. Varronis antiquitatum rerum humanarum libris X X V , Leipz. Stud. 5, 1882, 1—144, hier 144.

7 Direkte Benutzung varronischer Werke ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen bei Asconius, Verrius Flaccus, Dionysius Halicarnassensis, Plinius maior, Suetonius, Censorinus, Augustinus und Nonius, (weniger sicher bei Vitruvius, Valerius Maximus, Lactantius u. a.). Vgl. hierüber B . RIPOSATI, M. Terenti Varronis De vita populi Romani, Milano 1939 (Pubbl. dell'Univ. cattol. del S. Cuore, ser. 4 vol. 33). Rudolf REEH, De Varrone et Suetonio quaestiones Ausonianae, (Diss. Halle 1914) Halis 1916, 53 f. glaubt, sogar bei Ausonius noch die Lektüre von immerhin fünf Werken Varros nachweisen zu können.

8 Zuletzt formuliert von Hellfried DAHLMANN, ZU Varros Literaturforschung, be-sonders De poetis (Entr. Fond. Hardt 9, Vandoeuvre-Genève 1963), 3.

9 Allein in den erhaltenen Büchern 5—10 De lingua Latina finden sich längere Peri-kopen aus dem Tribuum liber (5, 56) und einem Liber de aestuariis (9, 26), von zahl-

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8 Einleitung

Werken verwandter Thematik. Stoffüberschneidungen sind nachweis-bar in De vita populi Romani und De gente populi Romani, in De gente populi Romani und den Antiquitates de hominibus, im Tubero de origine humana und De temporibus der Antiquitates, um nur Beispiele aus den antiquarischen Schriften zu nennen. Weiterhin konnte Varrò über dieselben Dinge verschiedene Ansichten ver-treten — oder wenigstens doch doxographisch referieren, sogar im selben Werk, so daß die Ermittlung der wahren Meinung Varros als Echtheitskriterium oft genug fraglich ist10. Schließlich liebt Varrò Exkurse zu abgelegenen Randgebieten, und manches mit Werkangabe überlieferte Fragment würde man schwerlich dem zitierten Werke zu-weisen, wenn die Werkangabe fehlte. So erfahren wir aus Augustinus (CD 18, 8—9), daß Varrò in De gente populi Romani ausführlich über den Namen ,Athen' handelte, über den Diomedesmythos und das Orakel von Dodona. Gelegentlich läßt sich sogar nachweisen, daß dasselbe Varrofragment bei verschiedenen Autoren verschiedenen Werken Varros entnommen ist11.

Das bedeutet, daß geographische Fragmente nicht unbedingt aus geographischen Büchern zu stammen brauchen, eine These, die durch die Fülle der Geographica in De lingua Latina und De re rustica bestätigt wird. Die .geographischen Bücher Varros', von denen die Philologie gewöhnlich spricht, sind also vielleicht nur Erfindung der Philologen, — kein Sonderfall übrigens: hatte man doch aus den varronischen Notizen über Künstler bei Plinius (NH 34, 49—51. 54—71) eine kritische Künstlergeschichte Varros zu erschließen ge-glaubt12, obwohl die Buchtitel Varros hierzu noch weniger Anlaß

losen, nicht genau feststellbaren Wiederholungen aus den Antiquitates ganz abge-sehen.

10 Beispiele bei GEFFCKEN (zit. S. 79 A. 79) ; z. B. die Etymologie von Italia, s. u. S. 78. 11 H. KETTNER, Kritische Bemerkungen zu Varrò und lateinischen Glossaren (Progr.

der Klosterschule Roßleben, Halle 1868) 9 zeigte, daß Nonius über die Statue des Tullius im Fortunatempel direkt aus De vita p. R. schöpfte (Fr. 1, 16 KETTNER), während Ov. Fast. 6, 563ff., Dion. Hal. 4, 40, Val. Max. 1, 8, 11, Plin. 8, 194 u. 197 (über Verrius Flaccus ?), Plut.Quaest. Rom. 30 (direkt ?) dasselbe aus den Antiquitates exzerpierten. Ein Beispiel dafür, daß schon in der Antike Varros Doppelfassungen aufgefallen waren, ist Ps.Acro in Hör. a. p. 202: Varrò autem ait in tertio disciplinarum et ad Marceilum de lingua Latina . . .

12 Zuerst L. URLICHS, Die Quellenregister zu Plinius' letzten Büchern (11. Progr. zur Stiftungsfeier des Wagnerschen Kunstinstituts Würzburg 1878) und schon in der Chrestomathia Pliniana. Eine großangelegte Künstlergeschichte behauptete Th. SCHREIBER (Quaestionum de artificum aetatibus in Plinii naturalis historiae libris relatis specimen, Diss. Leipzig 1872), die sogar Cicero für den Künstlerkatalog im .Brutus' benutzt haben sollte! Dagegen A. FURTWÄNGLER (Plinius und seine Quellen für die bildenden Künste, JbbClPhil Suppl. 9, 1877/78, 1—78) 58. 77; Furtwängler nimmt eher eine Zusammenstellung varronischer Exzerpte aus verschiedenen Büchern

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Titel varronischer Werke 9

gaben. Jedenfalls muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die geographischen Fragmente aus den verschiedensten Büchern nicht-geographischen Inhalts zusammengetragen sind.

2. Die Werktitel

Trotzdem bedarf die Liste der uns bekannten varronischen Bücher-titel einer genauen Prüfung. Der von Hieronymus überlieferte Katalog, der Ritsehl erst nach dem Aufsatz über die Disziplinen bekannt wurde, ist leider unvollständig. Nach Aufzählung von etwa 36 Titeln mit 490 Büchern bricht Hieronymus ab mit den Worten vix medium descripsi indicem. Es fehlen also mindestens weitere 36 Titel (wie auch Ritsehl meinte13), doch sind durch Testimonien und Fragmente davon 23 bekannt (unsichere Titel wie .Epistulae Latinae' mitgezählt). So bleiben nur noch 13 Titel wirklich unbekannt, — falls Hieronymus seine „knappe Hälfte" nicht rhetorisch herabgespielt hat, um den Vergleich mit dem gigantischen Werk des Orígenes sinnvoller zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Titel eines geographischen Werkes gänzlich ungenannt geblieben sei, ist also nicht sehr groß, zumal wenn die Überlegung hinzukommt, daß zwei Drittel der Kata-logtitel auch sonst bekannt sind und daß ein verhältnismäßig um-fangreiches Werk — man sollte doch mindestens an drei Bücher denken, die selbst der knappe Mela benötigte — bei einer solchen Zahl von Fragmenten nicht gut unbezeugt bleiben könnte14. Immerhin bleibt auffällig, daß gerade die fünf Titel, die Dahlmann15 im RE-Artikel ,Varrò' unter den geographischen Schriften (n—r) aufführt, alle im Katalog fehlen. Freilich gehören diese Titel nur im weitesten Sinne in die Geographie und bezeichnen bestenfalls Teilgebiete. Es sind dies die Schriften De ora maritima, De litoralibus, De aestuariis, De mensuris und die Ephemeris navalis ad Pompeium.

(1) Versucht man, aus den Titeln auf den Inhalt dieser Schriften zu schließen, darf die E p h e m e r i s n a v a l i s für eine Geographie gleich ausscheiden, da sie, wie schon Ritsehl16 sah, nach dem

an. Noch D. DETLEFSEN (Beschreibung Italiens [zit. S. 143 A. 53]) hält die Imagines für eine ausgesprochene Künstlergeschichte.

13 Abweichend F. DELLA CORTE, (Varrone il terzo gran lume Romano, (Pubbl. dell'ist. univ. di magist.) Genova 1954, 2771, der hundert Bücher (oder Titel ?) .Jugendwerke' am Anfang des Katalogs ausgefallen sein läßt.

14 Von den im Katalog nicht aufgeführten Schriften ist das fragmentreichste De gente populi Romani, dessen Titel wiederholt und sicher bezeugt ist.

16 Hellfried DAHLMANN, M. Terentius Varrò, R E Suppl. 6, 1935, 1172—1277. 16 Opuse. 3, 389. Zustimmend Karl MÖLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde (DA)

3, 651 und Richard REITZENSTEIN (zit. S. 13 A. 29) 528f.

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10 Einleitung

Zeugnis des Itiner. Alex. M. 3 p. 2, 11 Volkm. Hinweise auf Beson-derheiten der Meeres- und Wetterkunde enthielt, vielleicht mit speziellem Bezug auf Spanien — dorthin reist ja Pompeius zum Krieg gegen Sertorius. Geographisches über Spanien kann freilich beiläufig erwähnt gewesen sein.

(2) Ausscheiden kann ferner der von Varrò LL 9, 26 selbst ex-zerpierte Liber de aestuar i is , der, wie man aus diesem Exzerpt schließen muß, über die aestus, die Lehre von Ebbe und Flut handelte, die Poseidonios in seinem Werk über den Ozean erforscht und beschrieben hatte17. Ob es ein Buch des Werkes De ora maritima war, wie Mommsen18 ohne besonderen Grund annahm, ist ohne Belang.

(3) Das gleiche gilt für das von Solin 11, 6 zitierte Buch De l i to-ral ibus; wieder fällt die Bildung des neutralen pluralischen (übrigens sehr seltenen, aber schon bei Catull belegten) Adjektivs auf: sie deutet nicht auf eine systematische Küstenbeschreibung hin, sondern auf ,Dinge, die den Strand betreffen bzw. sich am Strand befinden'. Dazu würde das von Solin a. O. erwähnte Grab des Zeus am kreti-schen Ida passen, denn der Gedanke geht davon aus, daß die See-fahrer (eminus navigantes) die kretischen Berge wegen ihres weißen Glanzes für Wolken halten. Ob De litoralibus ein Buch aus De ora maritima war19, ist vielleicht vom Titel her etwas wahrscheinlicher als beim Liber de aestuariis, aber hier ebenfalls unwichtig.

(4) Priscian (GL 2, 420,15) und [Boethius] De geometria 2 col. 1359 (PL 63 Migne) bezeugen eine Schrift Varros ,De mensuris ' , die als Lehrbuch der Feldmeßkunst verstanden wird20. In der Tat genoß

17 .aestuaria' wäre dann als Gezeitenzone der Meeresküste aufzufassen, eine seltene, aber nicht unmögliche Bedeutung. RITSCHL (Opuse. 3, 495, 10) dachte an Fischteiche, die R R 3, 17, 8 in der Tat aestuaria heißen. Das ist zwar wegen des spekulativ-wissen-schaftlichen Inhalts des Fragments nicht eben wahrscheinlich, aber doch nicht ganz so unsinnig, wie DAHLMANN (RE Suppl. 6, 1252) meint, wenn es sich um Flutteiche handelte, wie sie Val. Max. 9, 1, 1 beschreibt ; diese Deutung der Stelle bei Val. Max. bestätigt der ThLL s. v. aestuarium gegen REITZENSTEIN H 20, 526.

18 praef. in Solinum p. X I X ; zustimmend R E I T Z E N S T E I N H 20, 526. R I T S C H L S Vermu-tung (aestuarium = Flutteich) wurde aufgenommen von M Ü L L E N H O F F DA 3, 651.

1 8 R I T S C H L Opuse. 3, 393. 473; zustimmend MOMMSEN, praef. in Solinum p. X I X und R E I T Z E N S T E I N H 20, 525; vgl. auch C. CICHORIUS, Rom. Stud. 212. Übrigens ist auch die Ephemeris navalis mit De ora maritima gleichgesetzt worden, von L. H. KRAH-NER, Commentationes de Varronis antiquitatum rerum humanarum et divinarum libris XLI , Halle 1834, 9 (Vgl. dazu M E R C K L I N Ph 13, 1858, 731 ff.).

20 Die Pricianstelle: ,infit' cuius Varrò in mensuris (v. 1. mensoribus) et primam ponit personam,in fio' (Fr. p. 253 Popma). Das Ps.Boethius-Zitat : Nos tarnen quae de mensuris a Nicomacho diffusius disputata sunt, vel a Varrone de mensuris ostenta sunt, moderata brevitate collegimus. Vgl. Cassiod. Inst. 2, 6, 1 ( = Sehr. d. röm. Feldm. 1, 393 Lachm.): Varrò peritissimus Latinorum huius nominis (sc. geometriae) causam sie exstitisse commémorât, dicens prius dimensiones terrarum, terminis positis, vagantibus ac dis-

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Titel varronischer Werke 11

Varrò bei den Agrimensoren einen bedeutenden Ruf. Eine Schrift Varros dieses Titels kannte noch das Mittelalter, doch deutet die allein erhaltene Überschrift an, daß diese Schrift mit De geometria oder doch einem anderen Buch der Disciplinae identisch war (s. u. S. 17)21. Es bleibt also die Möglichkeit offen, in der Schrift De mensuris — sollte sie neben De geometria bestanden haben — die bei Plinius überlieferten geographischen Fragmente, soweit sie Distanzen betreffen, anzusiedeln, sei es als Übersicht über die wichtigsten Meeres-, Küsten- und Landstrecken, sei es — wahrscheinlicher — als Lehrbeispiele dafür, wie man solche Maße aus Landkarten, Itinera-rien, Segelhandbüchern usw. errechnet. Eine vollständige Periegese der Oikumene wird man in einer solchen Schrift kaum sehen wollen.

(5) Die Schrift De ora m a r i t i m a , die der Servius auctus (und zwar nur der Codex Fuldensis [Cassellanus], C* Thilo) viermal zitiert, entweder ohne Buchangabe oder als Buch I — das Werk hatte also mindestens 2 Bücher —, wurde nicht selten, vor allem von Detlefsen, als geographisches Hauptwerk Varros in Anspruch genommen22, zuerst von Gustav Oehmichen23, der in dieser Schrift

cordantibus populis pacts utilia praestitisse. Ein ähnliches Zitat begegnet bei Frontin. p. 27 L. (Hygin. p. 166 L. ; Dolabella p. 303 L.): limitum prima origo, sicut Varrò descripsit, a disciplina Etrusca, quod aruspices orbem terrarum in duas partes diviserunt eqs. Vgl. N I S S E N , Das Templum, Antiquarische Untersuchungen, Berlin 1869, 10; R E I T Z E N S T E I N H 2 0 , 5 1 6 f .

21 Es handelt sich hierbei um eine Hs. des Petrarca, von der Colucius Salutatus aus Flo-renz in einem Brief 1390 an Pasquino de Capellis berichtet, er habe von Petrarcas Schwiegersohn Francesco da Brossano zuverlässig gehört, ,,esse librum M. Varronis de mensuris orbis terrae, librum quidem magnum in antiquissima littera, in quo sunt quaedam geometricae figurae." Th. MOMMSEN (Über den codex Arcerianus der Groma-tici und eine Handschrift des Petrarca, Sehr. d. röm. Feldm. 2, 1852, 215—220 = Ges. Sehr. 7, 459—462 f.) identifiziert diese Hs. des Petrarca mit der ebenso ver-schollenen Hs. des Alciatio aus Mailand (auch die Petrarca-Hs. war nach dem Zeugnis des Colucius nach Mailand in die Bibliothek des Herzogs Gian Galeazzo Visconti ge-kommen), die ,,M. Varrò de arithmetica" enthielt (BLUME, Sehr. d. röm. Feldm. 2, 55), was aber C. T H U L I N (Die Handschriften des Corpus agrimensorum Romanorum, Abh. Berlin PH Κ 1911, Anh. 2, 1—102) 16 bestreitet, da es von dem Codex des Alciati heißt:,,liber enim ipse tarn abrosis characteribus est, ut vix legi potest (sic !)", — weshalb der Text eben verloren ging. T H U L I N will jedoch einen Teil der Petrarca-Hs. in einigen Berliner Blättern (Beri. Mus. lat. f. 641) wiederfinden, die sowohl großes Format wie altertümliche Buchstaben aufweisen. Leider geben diese Fetzen nichts Geographisches aus. — Der Feldmesser Varrò ist außer in den S. 10 A. 20 erwähnten Stellen noch be-kannt bei Frontinus, De agrorum qualitate (CAR 1, 1 p. 2, 12 Th.) und De limitibus (CAR 1, 1 p. 10, 20 Th); das erste Fragment enthält ein Etymon (ager areifinius), das zweite eine geodätische Antiquität. S. auch u. S. 17 A. 47.

22 Albert F O R B I G E R , Handbuch der Alten Geographie, 3 Bde. Hamburg (2 . Aufl.) 1 8 7 7 , Bd. 1, 374 m. Anm. 55 hielt die Schrift und das „Gedieht" De litoralibus, sowie die Libri navales (Generaltitel) für ein Werk des P. Terentius Varrò Atacinus.

28 De M. Varrone et Isidoro Characeno C. Plinii in libris chorographicis auetoribus

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12 Einleitung

offenbar eine Periegese in der Art des gleichnamigen Werkes des Rufus Festus Avienus (4. Jh.) sah. Und wirklich enthielt dieses Lehrgedicht in iambischen Trimetern einen Periplus der Mittelmeer-küste von Spanien bis zum Pontus (erhalten nur bis Narbo), der neben dem Küstenverlauf Angaben macht über Vorgebirge, Küsten-formationen, Küstengebirge, Wälder und Pflanzen an der Küste, Inseln, Häfen, Buchten, Flüsse, Küstenseen, Meeresteile mit eigenem Namen, Städte, Völker, allerdings kaum über Distanzen, die nur gelegentlich als Tages- und Nachtfahrten (zu 625 bzw. 1250 Stadien) auftreten24. Aber dieses später, nach (nur ungefähr erschließbaren, im Kern aber sehr alten) griechischen Vorlagen gearbeitete und poetisch-archaisierend konzipierte Dichtwerk ist kaum ein bindender Ver-gleichspunkt für Varros Schrift. Der Titel sollte sich außerdem gegen die eigentliche Periegese Aviens abheben, die nach dem Lehrgedicht des Dionysius Periegeta in Hexametern gedichtet ist und den Titel ,Descriptio orbis' hat.

Ebenso ergebnislos bleibt die Verbindung des varronischen Titels mit Poseidonios' Werk περί ωκεανού καί των κατ' αύτόν, von dem Varrò abhängen könnte, wie E. Oder25 meinte. Die Meinungen über das Werk des Poseidonios sind ebenso geteilt wie über das varronische; zwar weiß man, daß Poseidonios sein Werk nach dem des Pytheas betitelt hat, aber Pytheas ist uns noch weniger faßbar26. Unter diesen Umständen ist es das Beste, sich an die Fragmente bei Servius zu halten, und diese weisen auf Schiffahrt und Windlehre, wie schon L. H. Krahner27 erkannte, Karl Müllenhoff28 bestätigte,

primariis, Diss. Leipzig 1873 (Acta phil. Lips. 3) ; zunächst zustimmend D. DETLEF-SEN, Vermutungen über Varros Schrift De ora maritima, Η 21, 1886, 240—265, der 15 Fragmente beanspruchte, die er später zweifelnd doch den Antiquitates zuwies, wohl unter dem Eindruck von REITZENSTEINS (zit. S. 13 A. 29) Deutung der Schrift De ora maritima als Segelhandbuch. Doch neigt SCHANZ-HOSIUS (Gesch. d. röm. Lit. 1, 41927, 569 wieder OEHMICHENS Ansicht zu, ebenso DAHLMANN R E Suppl. 6, 1251.

24 Überblick bei A. SCHULTEN, Avieni ora maritima (Periplus Massiliensis saec. VI a. C.) adiunctis ceteris testimoniis anno 500 a. C. antiquioribus, Barcelona/Berlin 1922, 12ff. (Fontes Hispaniae antiquae fase. 1).

26 Eugen ODER, Ein angebliches Bruchstück Demokrits über die Entdeckung unter-irdischer Quellen — Quellensucher im Altertum, Ph Suppl. 7, 1899, 229—384, hier 364 Anm. — Die meiste Wahrscheinlichkeit hat die Behauptung F. GISINGERS (RE 19, 1937, 841, 31), der Titel ,de ora maritima' sei interpretatio Latina von περίπλους. Damit ist nicht allzu viel gewonnen, denn dieser Typ ist in seinem Ursprung auch um-stritten, s. u. S. 220 A. 71!

26 Bestritten von Wolf ALY, Strabons Geographika Bd. 4, Bonn 1957, 4611, (Antiqui-tas 5), der auf den ganz anderen Charakter der Pytheas-Schrift hinweist. Gewiß schrieb Poseidonios keine Reprise jenes alten Ozeanbuches, dennoch kann sein Buch zum selben Genos gehören und im Titel bewußt anknüpfen.

27 Zit. S. 10 A. 19, 19. 28 DA 3, 651.

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Titel varronischer Werke 1 3

Richard Reitzenstein29 neu erwies und Alfred Klotz30 gegen Detlefsen durchsetzte. Ob man nun mehr an ein systematisches nautisches Lehrbuch (Reitzenstein) oder an ein antiquarisch-historisches Kom-pendium doxographischer Natur (Kaibel31) denken soll, ist hier nicht wichtig. Jedenfalls kann in dieser Schrift, auch wenn ihr Zweck kein geographischer war, mit „mannigfaltigen Ortsangaben" (Reitzenstein) und sonstigen Geographica gerechnet werden, ohne daß man berechtigt wäre, heimatlose geographische Varrofragmente ohne weiteres dieser Schrift zuzuweisen.

Es hat sich bei der Diskussion der überlieferten geographischen Buchtitel Varros ergeben, daß die von Dahlmann mit so großem Erfolg für Varros Literaturforschung angewandte Methode, durch Feststellung der Traditionsgeschichte der im Titel gegebenen literari-schen Spezies den mutmaßlichen Inhalt zu bestimmen und danach Fragmente zu sichern und anzuordnen32, hier nicht anwendbar ist: die Titel sind entweder singular oder zu wenig typisch. Im Falle De ora maritima wird eine Parallelisierung durch den gänzlich ver-schiedenen Inhalt der Varrofragmente und des Aviengedichts gerade-zu abgewiesen.

(6) Außer dieser Gruppe .geographischer' Schriften kommen noch einige antiquarische und historische Werke in Betracht, an erster Stelle die A n t i q u i t a t e s r e r u m h u m a n a r u m , deren Bücher 8—13 de locis handelten33. Leider ist keine der Hexaden der Antiquitates im einzelnen rekonstruierbar34. Es wird nicht recht klar, ob man

29 Richard R E I T Z E N S T E I N , Die geographischen Bücher Varros, H 2 0 , 1 8 8 5 , 5 1 4 — 5 5 1 , hier 525.

30 Alfred KLOTZ, Der Katalog der varronischen Schriften, H 46, 1911, 1—17, hier 14. Vgl. dazu W . A. B A E H R E N S H . 50, 1915, 2641 und H E N D R I C K S O N ClPh 6, 1911, 334 ff.

31 Georg K A I B E L , Antike Windrosen, H . 2 0 , 1 8 8 5 , 5 7 9 — 6 2 4 , doch hat sich R E I T Z E N S T E I N später (Verrianische Forschungen, Bresl. Philol. Abh. 1/4, 1887, 551) gegen diese „Berichtigungen" verwahrt.

3 2 H . D A H L M A N N , z i t . S . 7 A . 8 , 1 0 . 33 Der Aufbau der Antiquitates humanae ist, wie aus Augustin. CD 6, 3 ersichtlich, ganz

parallel dem der Libri de lingua Latina: nach einem Einleitungsbuch handelte eine Hexade de hominibus, eine zweite de locis, die dritte de temporibus, die vierte de rebus. Diese bei Varrò so beliebte stoische Gliederung (über ihre Herkunft vgl. H. U S E N E R , Kl. Sehr. 2, 286f.), die neuerdings G. B Ü H R I N G (Untersuchungen zur An-wendung, Bedeutung und Vorgeschichte der stoischen numeri officii, Diss. Hamburg 1960 ungedruckt) 111—120 auch in Menipp. Fr. 335 B. wiederzufinden glaubte, steht nach Meinung antiker Scholiasten auch hinter der Periegese des Dionysios.

34 Rekonstruktionsversuche bei L. H. K R A H N E R (zit. S. 10 A. 19), F . RITSCHL (Opuse. 3, 390ff.), P. MIRSCH (zit. S. 7 A. 6), R . R E I T Z E N S T E I N (zit. o. A. 29), C. FRICK, Varroniana I , 2 (BPhW 30, 1910, 1023—1024; dazu MRAS, Burs. 192, 93 und D A H L -MANN R E Suppl 6, 2131).

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14 Einleitung

jeweils sechs Einzelbücher, 3 Bücherpaare oder 2 Triaden annehmen soll. Die am besten bekannte 1. Hexade de hominibus (2—7) scheint in einer ersten Triade die Menschen der mythischen, in einer zweiten die der historischen Zeit behandelt zu haben (nach Mirsch 33). Auch in der 3. Hexade de temporibus (14—19) stand offenbar eine aus Censorinus zu erschließende Triade über den Kalender einer zweiten über größere Epochen gegenüber36. Dazu würde Reitzensteins Einteilung der 2. Hexade in eine 1. Triade über Rom und eine 2. über Italien-Europa-Außereuropa besser passen als Mirschs Gliede-rung in 3 Bücherpaare36. Auch die Fragmente sprechen für Reitzen-steins Gliederung: nach Fest. p. 348 M. sprach Varrò in Buch 8 über den mons Oppius in Rom, in Buch 10 nach Non. 471, 2 von den tabulae censoriae in Rom, in Buch 11 nach Prob, in Bue. praef. über Rhegium, im Buch 12 nach Charis. GL 1, 61 über die Tartessier-Insel Erythia, in Buch 13 nach Charis. GL 1, 145 über den Tanais, der die Grenze nach Asien bildet. Diese Gliederung hat Klotz37 ge-billigt, und sie ist bis heute nicht widerlegt worden.

Sie schließt zugleich den Charakter einer Periegese, d. h. eines ins Landesinnere ausgeweiteten Periplus, aus, öffnet aber den Raum für Geographica aus der gesamten Oikumene, — soweit diese nicht einen Periplus-bestimmten Zusammenhang verlangen. Der Tenor des Werkes ist durch den Titel ,Antiquitates' antiquarisch bestimmt, was auch für den Teil de locis gelten muß, der somit nicht systema-tisch-geographisch, sondern der Tendenz nach historisch gewesen sein muß und sich bestenfalls an der äußeren Form einer Periegese in den außerrömischen Büchern orientiert haben konnte. Der Titel ,Antiquitates' ist zwar selten, scheint aber in das historische Genos zu gehören: Gellius (2, 15, 2) erwähnt , Antiquitates' des Historikers Sempronius Asellio38; die .Archaeologia' des Dionysios von Halikar-nass ist eine Geschichte Roms bis zum 1. Punischen Krieg und nimmt

3 5 V g l . H . KETTNER (zit . S. 8 A. 11) 1 4 f . ; MIRSCH (zit. S. 7 A. 6) 4 5 ; O. GRUPPE, D i e U b e r -lieferung der Bruchstücke von Varros Antiquitates rerum humanarum (Commenta-tiones in hon. Th. Mommsen 1877, 540—554; dazu L. URLICHS, Burs. 10,1877, 45f.); A. HAHN, De Censorini fontibus. Diss. Jena 1905, 44.

36 REITZENSTEIN H 20, 548ff.; MIRSCH 34 (8—9 de urbe Roma, 10—11 de Italia, 12—13 de provineiis).

87 Alfred KLOTZ, Quaestiones Plinianae geographicae, Berlin 1906 (QFaGG 11) ; dazu D . DETLEFSEN, D L Z 26, 1906, 3 0 1 1 ff .

38 A. KLOTZ RE 2 A, 1923, 1362. Antiquitates braucht allerdings nicht der Buchtitel gewesen zu sein, sondern kann auch die ungefähre Literaturgattung des Werkes be-zeichnen, zudem steht der Name des Asellio nicht unmittelbar bei dem .Titel', seine Autorschaft ist nur erschlossen. In anderen Testimonien heißt das Werk Asellios Res gestae (Gell. 2, 13, 3) oder Historiae (Gell. 13, 3, 6).

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Titel varronischer Werke 15

möglicherweise auf den varronischen Titel Bezug39. Jedenfalls wird man mit systematisch-geographischen Theorien, Entfernungsangaben im Rahmen eines Periplus, modernen politischen Ortsbezeichnungen und Verwaltungsbezirken, mit denen die plinianische Geographie arbeitet, in den Antiquitates nicht rechnen; als Gelegenheitszitate sind sie freilich nicht auszuschließen.

Reitzenstein40 hat unter diesen Gesichtspunkten einen Großteil der geographischen Fragmente Varros den Antiquitates de locis zuge-wiesen, einen nicht unbeträchtlichen Rest, vor allem die Distanz-angaben, heimatlos zurückgelassen. Auch G. Götz und F. Schoell41

weisen den Antiquitates das topographische Material aus LL 5—7 zu. Die große Wirkung, die die Antiquitates in der Antike von Cicero an42 hatten, — nach Dahlmann ist es die größte von allen varroni-schen Schriften —, macht eine Benutzung dieses Werkes durch Spätere auch über den augenfälligen Autorenkreis hinaus wahrscheinlich. Die Wirkungsgeschichte, von Otto Gruppe43 erstmalig im Umriß dargelegt, ist noch nicht vollständig erforscht ; aber eine direkte Benutzung der Antiquitates mindestens bis zum Ende des 4. Jh. (Augustinus) ist sicher.

Ritsehl44 hat sich die Deutung der Bücher De locis durch ein seltsames Mißverständnis verstellt, indem er ein Testimonium (bei Aug. CD 6, 4) ganz eng interpretierte und die Antiquitates nur für die Topographie von Rom zuließ. Augustinus sagt a. O.: rerum quippe humanarum libros, non quantum ad orbem terrarum, sed quantum ad solam Romam pertinet, scripsit. Er polemisiert gegen die unzulängliche Begründung, mit der Varrò die res humanae vor die res divinae stellt; in der Praefatio der Antiquitates hatte Varrò nämlich selbst zugegeben: si de omni natura deorum et hominum scriberemus, prius divina absolvissemus, quam humana attigissemus. Was heißt aber, fragt Augustinus, ,de omni natura deorum' ? Der Gegensatz wäre ,de aliqua' oder ,de nulla natura', über ein Teilgebiet

38 Übrigens nennt Lact. Div. inst. 1, 13, 8 Nepos, Cassius Hemina und Varrò ,histori-arum ac rerum antiquarum scriptores'. Schon Polybios hatte eine 'Αρχαιολογία ge-schrieben; die beiden erhaltenen Fragmente betreffen die römische Urgeschichte (vgl. hierzu F. T A E G E R , Die Archäologie des Polybios, Stuttgart 1922).

4 0 R E I T Z E N S T E I N Η 2 0 , 5 1 6 . 41 M . Terenti Varronis de lingua Latina quae supersunt, recc. G . GOETZ et F . SCHOELL,

Leipzig 1910, Nachdruck Amsterdam 1965, praef. p. XXXVIII sqq. 42 Cicero Acad. post. 1, 3, 9: . . . tu sedum regionum locorum tu omnium divinarum

humanarumque rerum nomina genera officia causas aperuisti. Vgl. MIRSCH 1 9 und H. A. S A N D E R S , The Annals of Varrò, AJPh 2 3 , 1 9 0 2 , 2 8 — 4 5 , hier 3 0 .

4 8 O. G R U P P E (zit. S. 14 A. 35) 545; dazu MIRSCH praef. 47ff.; F. M Ü N Z E R , Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Plinius, Berlin 1897, 149 führt dieses Phäno-men auf den reichhaltigen und vielseitigen Inhalt jener Bücher zurück.

44 Opuse. 3, 389.

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16 Einleitung

der Religion. Aber müßte nicht auch in diesem Falle, fragt Augustinus weiter, die Religion zuerst behandelt werden, zumal Varrò ja auch gar nicht ,de omni natura hominum' (quantum ad orbem terrarum), sondern nur ,de quadam natura hominum', nämlich quantum ad solam Romam pertinet, wie der Theologe und Kenner einer christlichen Weltgeschichte urteilen mußte. Objektiv ist aus der Diskussion des Augustinus nicht mehr zu entnehmen, als daß Varrò als Römer schrieb und mit römischen Augen den orbis terrarum sah: für ihn ist Urgeschichte römische Urgeschichte, einschließlich der troischen und griechischen Vorzeiten, seine Staatsaltertümer sind die der römi-schen Republik einschließlich griechischer, etruskischer oder ägyp-tischer Vorformen, seine Stadtgeschichte ist die Topographie von Rom, und seine .Geographie' (B. 11—13), das muß zugegeben werden, ist keine freie Periegese wie die des Mela, sondern eine Betrachtung der Oikumene als Basis des Imperium Romanum mit dem Mittel-punkt Italien und Rom45. Wie Varrò die Brücke von außerrömischen Dingen zu römischen Dingen zu schlagen versteht, bezeugt Augustinus (CD 18, 8) sogar selbst, allerdings für De gente p. R. Varrò selbst faßte seine res humanae universal auf: das war für einen Römer selbstverständlich und ist die offenbare Konsequenz des Zitates aus der Einleitung der Antiquitates (s. o.). Ritsehl ging also zu weit, als er die Behandlung der Provinzen oder auch der halbfreien Gebiete in den Büchern de locis ablehnte — denn auf Italien hatte er den Ausdruck ,sola Roma' wegen des Fragments aus Probus immerhin ausdehnen müssen —, besonders wenn man bedenkt, daß Augustinus ja über die Antiquitates humanae als Ganzes urteilte, nicht nur über die Bücher de locis, die ihn übrigens am wenigsten interessierten.

(7) Für die außeritalischen Geographica suchte Ritsehl nach einem anderen geographischen Werk und glaubte es im 6. Buch46 der Disziplinen De geometr ia zu finden. Wieder stützte er sich auf ein

45 In der Dichtung ist der Ausdruck Roma für das Imperium Romanum ohnehin der Normalfall, vgl. Verg. Aen. 4, 231; 7, 258; Prop. 3, 11, 57; Ον. Fast. 1, 85. 517. 717. 3, 33; 4, 256. 861; Trist. 1, 5, 69; 37, 51. 114; Nux 145; Ars 3, 114; Manil. 4, 774. 776; Lucan. 1, 285; 7, 400. 402; Sil. It. 1 ,31; Octavia 39; Nem. Cyn. 65; Prise. Per. 2, 350; Claudian. B. Gild. 1. 96. Vgl. hierzu Wilhelm GERNENTZ, Laudes Romae, Diss.Rostock 1914 (erschienen 1918) 104 ff., der denselben Sprachgebrauch auch in der Prosa bei Cice-ro, Velleius, Plinius, Florus, Aristeides, Minucius Felix, Hieronymus u. a. nachweist.

46 Nach RITSCHL das 4. Buch. Die von RITSCHL ermittelte Disziplinenfolge (gramm dial rhet/geom arith astr mus / med arch), die DAHLMANN (RE Suppl. 6,1256) als „sicheres Ergebnis" bezeichnet, wurde überzeugend ersetzt von Friedmar KÜHNERT (Allge-meinbildung und Fachbildung in der Antike, Habil. Sehr. Jena 1960, Berlin 1961 [Sehr, d. Sekt. f. Altert, der Akad. Berlin] ; ders. bestätigend: Zur Reihenfolge der Artes libe-rales in der Antike ,Wiss. Zs. der Univ. Rostock, Gesellsch.-und sprachwiss. Kl. 12,1963, 249—259) durch die Reihenfolge gramm rhet dial / mus arith geom astr / med arch.

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Titel varronischcr Werke 17

spätes Testimonium: Cassiodor (Inst. 2, 6, 1 p. 151, 2 Mynors) läßt Varrò den Ursprung der Geometrie aus den ,dimensiones terrarum' erklären47; das war jedoch ein bloßer Einleitungsgedanke: Varrò er-klärt die Ursprünge der Geometrie, nicht etwa den Begriff an sich. Die einzige Stütze für diese Deutung des Titels De geometria ist der Titel der .Geographie' des Periegeten Protagoras (2./3. Jh. n. Chr.), von Photios (Bibl. cod. 188b) als γεωμετρία της οικουμένης zitiert, ohne daß aber sonst etwas über diese Schrift bekannt wäre. Ritschis These wurde sehr bald beiseite gelegt, vor allem im Hinblick auf die sicheren Fragmente der Antiquitates de locis48. Doch hat noch Oder49 jene Möglichkeit nicht ausgeschlossen, und neuerdings hat M. Simon60 beim Versuch, Varros Disziplinen zu rekonstruieren,

47 Zitiert o. S. 10 A. 20 aus dem sog. Boethius agrimensor. Dazu Cassiod. Inst. p. 150, 20 Myn. geometria latine dicitur terrae dimensio; ausführlich im Theoderichbrief Cassiod. Var. 3, 52, 2 hoc enirn per geométricas formas et gromaticam disciplinam ita diligenter agnoscitur, quemadmodum litteris omnis sermo conclusus est. (3) geometriam quippe . . . Chaldaei primum invenisse memorantur, . . . (4) hanc post A egyptii . . . propter augmenta Nilotica . . . ad dimensionem terrae et recuperandas formas finium transtulerunt... (6) Augusti siquidem temporibus orbis Romanus agris divisus censuque descriptus est .. . .— Ein weiteres Zeugnis enthält der gromat. Codex Arcerianus fol. 184 fin. ,Incipit liber Marci Barronis de geometria ad Rufum feliciter Silbium', wozu man vgl. Sehr. d. röm. Feldmesser 2, 2431' ; M O M M S E N , Ges. Sehr. 7 , 463 ; T H U L I N

(zit. S. 11 A. 21) 16. Mutmaßliche Reste der fraglichen Schrift Varros, mag sie nun De geometria, De arithmetica oder De mensuris betitelt gewesen sein, stellt Nicolaus B U B N O V (Gerberti postea Silvestris I I papae opera mathematica etc., Berlin 1899, Nachdruck Hildesheim 1963) 503—508 aus einem Codex Erfurtensis (s. XI, fol. 86 ν bis 90 r) und einem Codex aus Wolfenbüttel (d. i. der 2. Teil des erwähnten Arceria-nus) zusammen, doch findet sich in diesen rein gromatisch-geometrisch-metrologi-schen Stücken kein Hinweis auf Geographisches. Vgl. o. S. 11 A. 21!

48 Zusammengestellt von R E I T Z E N S T E I N Η 20, 515: 1. Io. Laur. Lydus De mag. 3, 74 über Pessinus; 2. Charis. GL 1, 61 über Erythia (s. G R U P P E BPhW 2, 1881, 109); 3. Charis. GL 1, 145 über den Tanais; 4. Hieron. in Genes. 10, 4 über griechische Kolonien in der Alten Welt; 5. Hieron, in ep. Gal. praef. über die Galater.

49 (Zit. S. 12 A. 25) 359178 mit dem Hinweis, daß zu diesem Titel weitere typische Erdprobleme passen würden: ζ. B. das Abfließen der Ströme von der aufragenden Nord-Oikumene, vgl. Varro( ?) bei Suet. Fr. 124 Reiff, (der weitere Parallelen angibt: Verg. Gg. 1, 240) ; bei Vitr. 8, 2, 5 a.E. ; Plin. 31, 43 (diese Ansicht bekämpfend) ; oder der Timavus, vgl. Plin. 2, 225—229 ; Verg. Aen. 1, 244 und Servius hierzu ; Poseido-nios bei Strabo 5,1, 8.

60 Das Verhältnis spätlateinischer Enzyklopädien der artes liberales zu Varros disci-plinarum libri novem, Diss. Jena 1964, masch. sehr. 1963, 44. S I M O N weist darauf hin, daß die Geometrie, als abstrakte Wissenschaft verstanden, nie in die gromatischen Schriften hät te gelangen können. Martianus Capeila behandelt die Geographie, deren Stoff er zwar aus Plinius und Solin entnimmt, im Buch De geometria, das erst im 2. Teil, gerade wie bei Cassiodor, die abstrakte Geometrie behandelt. Soviel ist jeden-falls sicher; wenn die Geographie überhaupt in der Enzyklopädie der artes liberales behandelt wurde — und Varrò ist der erste Vertreter dieser Literaturgattung —, dann im Buch De geometria. Bestätigend S I M O N Ph 110, 1966, 92.

2 Sallmann, Geographie

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18 Einleitung

Ritschis Auffassung — übrigens mit denselben Gründen — erneut und mit Erfolg zu festigen versucht.

(8) Ansprechender ist eine andere These Ritschis61: solche Geo-graphica, die Paradoxa aquarum und Verwandtes enthalten, wies er nach dem Vorgang von Chappuis dem Logistoricus Gal lus F u n d a -n iu s de a d m i r a n d i s zu, und zwar allein auf Grund des Titels, der die Schrift dem Typus der Mirabilienliteratur zuordnet. Das einzige sichere Fragment enthält zwar kein Wasserwunder; andererseits finden sich solche mit Varros Namen versehen oder in varroverdäch-tigen Partien des Plinius (NH 31) und Vitruv in so großer Zahl, daß man sie nicht gern in thematisch anderen Schriften nebenher erwähnt sein lassen möchte.

(9) Ritsehl erwog noch eine andere Möglichkeit, ohne sie freilich zur Hypothese zu erheben62. Geographische Maßzahlen aus Osteuropa, Asien und Spanien könnten anstatt aus dem 6. Buch der Disziplinen aus den L e g a t i o n u m l ib r i I I I stammen. Diese Schrift, deren Inhalt auf Grund der Stellung im Katalog des Hieronymus eher politisch als historisch gewesen sein dürfte, mag in der Tat unter anderem auch Geographisches enthalten haben. Aber diese Möglich-keit berechtigt, wie im Falle De ora maritima, keineswegs dazu, geo-graphische Varrofragmente ohne Buchangabe dieser Schrift zwanglos zuzuordnen. Reitzenstein wies mit Recht daraufhin, daß dies nur bei Hieronymus bezeugte Werk offenbar ohne literarische Wirkung ge-blieben ist. Auf Grund dieser Unsicherheit darf es vorerst aus der Diskussion ausscheiden.

(10) Neben diesen Titeln, die man im weitesten Sinne als geo-graphische Schriften bezeichnen kann63, dürfen einige der historisch-antiquarischen Bücher Varros nicht übergangen werden, die vom Thema her auch Geographica enthalten haben müssen. Da ist zu-nächst der von Varrò selbst LL 5, 56 erwähnte T r i b u u m l ibe r , in dem ein Stück römischer Topographie kaum fehlen konnte. Auf die Verwandtschaft mit den Antiquitates 8—10 hat schon Mercklin64

hingewiesen und dem Tribuum liber die entsprechenden Glossen bei Festus zugeteilt, die später Funaioli55 aequo iure den Antiquitates gab. 61 Opuse. 3,393f. ; zustimmend Valentin R O S E und Eugen O D E R (zit. S. 12 A. 26) 365 Anm. t 2 Opuse. 3, 438f.; R E I T Z E N S T E I N H 20, 517; K L O T Z (zit. S. 13 A. 30) 10. 63 Nur als Kuriosum sei erwähnt, daß D E L L A CORTE (zit. S . 9 A. 13) 272 die .ozeanischen'

Schriften De ora maritima, De litoralibus. De aestuariis als Vorarbeiten zur zu-sammenfassenden Darstellung in den Antiquitates ansieht. Das ist nach den Frag-menten nicht denkbar.

M Ludwig M E R C K L I N , Quaestiones Varronianae (Ind. schol. Dorpat. 1852, c. 1 De tri-buum libro) 5.

86 Grammaticae Romanae fragmenta vol. 1 : Inde ab originibus usque ad Tiberii tempora, ree. Hyginus F U N A I O L I , Leipzig 1 9 0 7 , Nachdruck Roma 1 9 6 4 , 3 5 3 . Dazu W E S S N E R

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Titel varronischer Werke 19

(11) Durch häufige Zitierung bis auf Araobius56 hin ist die Schrift De g e n t e popu l i R o m a n i gut bekannt: vom mythischen Beginn der Menschheit an beschrieb sie Werden und Weg der römischen Nation67. Die Fragmente über Aeneas und seine Irrfahrten berühren sich mit dem Inhalt der Antiquitates de hominibus. Die von Frick versuchte Differenzierung, in De gente p. R. sei mehr der Ent-wicklungsgedanke betont gewesen, in den Antiquitates die Analyse der fertigen Zustände, erleichtert die Zuweisung der Fragmente wenig.

(12) Eine geringere Rolle spielt die Schrift De f ami l i i s T ro i a -nis ; doch soll sie wegen ihrer Materialverwandtschaft mit De gente p. R. nicht verschwiegen werden. Offenbar wurden hier bei der Behandlung der gens Iulia noch einmal die Aeneassage und die darin wichtigen Lokalitäten erwähnt68. Auch die alten gentes, die sich von Gefährten des Aeneas ableiteten, wie die gens Nautia (vgl. Serv. Aen. 2, 166), gaben Gelegenheit für Topographisches aus Altitalien.

(13) Schließlich finden sich Geographica, oder vielmehr Topo-graphica Romana, in den Fragmenten der Schrift De v i t a popu l i Romani6 9 , von der allein Nonius 123 Zitate bringt. Diese Kultur-geschichte Roms, deren Inhalt sich teils mit den Antiquitates de rebus (Staats- und Privataltertümer), teils mit dem einiger Menippeen (gegen die luxuria) deckte, enthält wirtschaftsgeographische Hinweise über die Herkunft von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern.

Aus dem Überblick über die in Frage kommenden Schriften Varros wird ersichtlich, daß offenbar keine dieser Schriften eine

Burs. 139, 1908, 83f. und GÖTZ GGA 10, 1908, 816—827. Übrigens nehmen varroni-sche Etymologien von Ortsnamen einen hervorragenden Platz in den fragmenta incertae sedis ein. Vgl. u. S. 237 A. II

68 Hierüber H. KETTNER, Varronische Studien, Halle 1865, c. 2: De gente populi Romani libri III, wo die Benutzung durch Censorinus (21, 1), Augustinus (CD 18, 8) und Arnobius (Adv. nat. 6, 8) erwiesen wird. KETTNER sammelte 60 Fragmente, ohne aber gegen die Antiquitates abzugrenzen.

67 Vgl. Plinio FRACCARO, Studi Varroniani: De gente populi Romani libri IV, Padova 1907, 208 ff. Zu Fraccaros Sammlung, die 38 Nummern erfaßt, s. MRAS, Burs. 143, 1909, 82f. und T. S. WfKlPh 25, 1908, 297ff„ ferner A. KLOTZ, GGA 10, 1908, 827ff. — Fragmente sonst bei PETER HRR 2, 1906; p. XXXIII über die Benutzung durch Augustinus. Hierüber zuerst grundlegend C. FRICK, Die Quellen Augustine im 18. Buche seiner Schrift de civitate dei. Beil. zum Progr. Höxter 332/1886 4ff.; auch FRACCARO 2 3 f f .

58 Etwas zu kühn W. A. BAEHRENS, Literarhistorische Beiträge 1: Zu Varrò de familiis Troianis bei Servius, H 50,1915, 261—265, aber vielleicht doch nicht so „aus der Luft gegriffen", wie DAHLMANN (RE Suppl. 6,1242) meint. Fragmente bei Peter HRR 2,9.

69 Fragmente bei Benedetto RIPOSATI, M. Terenti Varronis De vita populi Romani, fonti esegesi edizione critica dei frammenti, Milano 1939. Von den 129 Fragmenten interessieren hier nur die Fr. 7. 8. 13.

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20 Einleitung

eigentliche Geographie der Oikumene oder eines Teilgebietes bot, daß aber viele von ihnen sehr wohl Geographica, oft ganz spezieller Art, enthalten haben oder enthalten haben können. Der Zweifel an der Existenz einer Chorographie Varros überhaupt hat sich er-heblich verstärkt. Nunmehr gilt es, den Ursachen nachzugehen, die das Postulat einer Geographie Varros bewirkten: den Varrofragmenten in den geographischen Büchern des Plinius. Berechtigen diese zu der Annahme, Plinius habe einen varronischen Periplus als Hauptquelle (neben anderen Quellenschriftstellern) zugrunde gelegt ?

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