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414 P. Plath: Beurteilung der L/irmschwerh6rigkeit bei Vorliegen anderer Geh6rerkrankungen K. Flelseher (GieBen): Der Jugendliche kompensiert bekannflich einen durch eine Schallsch/idigung entstandenen Hochtonausfallso gut, dal3die Beeintr~ichtigungdes Sprachverst/indnisses allenfaUsunter erschwerten Bedingungen (Umgebungslgrm) einigermal3enerkennbar wird. Treten aber dann nach ca. 20--30 Jahren die altersbedingten, zentral zu lokalisierenden typischen Leistungsrninderungen beim H6ren speziellbeim Verstehen hinzu, so versagt mehr und mehr diese Defektkompensation.Auch wenn das Schwellengeh6r sich nut gering um eine unbedeutende Alterskomponenteverschlechtert hat, wird das Sprachverstehen aus den genannten Gr/inden oft ganz erheblich beeintr~ichtigt, wie man jetzt immer wieder bei nunmehr 60 Jahre alten, im letzten Kriege Gesch~idigten beobachten kann. Der durch ein Schalltrauma entstandene Schaden ist also prospektiv schwerwiegender als es zun~ichst erscheinen will, das muff bei der Beurteilung bedacht werden und das wirft auch ernste Fragen f/ir die gutachterli- the Einsch/itzung auf. 71. P. Plath (Reeklinghausen): Die gutachtliehe Beurteilung der Liirmsehwerhi~rig- keit bei gleiehzeitigem Vorliegen anderer Gehiirerkrankungen* The Medicolegal Judgement of Noise Induced Hearing Loss Combined with Other Kinds of Hearing Impairment Summary. In cases of noise induced hearing loss, the medicolegal judgement of causality often is complicated by the coincidence of endogenous hearing impair- ments, which conceal the audiological characteristics and the degree of Nihl. The recognition of an occupational disease however is possible only when there is a dominant probability; the possibility of Nihl alone in sight of the labour condi- tions is not sufficient for this recognition. In such cases, the medical expert therefore, besides of an extensive audiological analysis, must have sufficient information on noise immission, on the course of hearing impairment in regard to working time, and on other diseases and accidents which possibly can influ- ence hearing function. Bei der gutachtlichen Beurteilung der Zusammenhangsfrage bei L/irmschwerh6rig- keit ergibt sich oft die Schwierigkeit, dab gleichzeitig bestehende, anlagebedingte Geh6rerkrankungen die typische Symptomatik der L~irmschwerhfrigkeit/iberlagern und das Ausmag einer eventuellen L/irmsch/idigung des Geh6rs nicht mehr erken- nen lassen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit ist aber nur dann mfglich, wenn der Nachweis einer L/irmsch~idigung und ihres Ausmages mit/iberwiegender Wahr- scheinlichkeit gelingt; die M6glichkeit aUeine auf Grund der Arbeitsplatzverh/iltnisse gen/igt zur Anerkennung nicht, da die H/iufigkeit von entsch/idigungspflichtigen L/irmschwerh6rigkeiten unter L/irmarbeitern unter 20% liegt. Diese H/iufigkeit reicht f/ir die Annahme einer/iberwiegenden Wahrscheinlichkeit alleine auf Grund der Arbeitsplatzverh/iltnisse nicht aus. Zus~itzlich m/issen audiometrische Merkmale einer L/irmschwerh6rigkeit zumindest teilweise erkennbar sein, das Ausmal3 des H6rverlustes muf3 mit den statistischen Erwartungswerten [Dieroff u. Meil3ner: La- ryng. Rhinol. 55, 368-374 (1976)]/ibereinstimmen, und die das Geh6r m6glicher- weise beeintr/ichtigenden Folgen anderer Erkrankungen, insbesondere von Herz-, Kreislauf- und Stoffwechselleiden, m/issen gegen den L/irmschaden nach M6glich- keit abgegrenzt werden kfnnen, wenn auch nur in grober Sch~itzung. Im Zweifelsfal- le ist gem/ig BSG-Urteil die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht m/Sglich, wenn * Soll ausfiihrlich erscheinen in: Laryngol. Rhinol. Otol. (Stuttg.)

Die gutachtliche Beurteilung der Lärmschwerhörigkeit bei gleichzeitigem Vorliegen anderer Gehörerkrankungen

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414 P. Plath: Beurteilung der L/irmschwerh6rigkeit bei Vorliegen anderer Geh6rerkrankungen

K. Flelseher (GieBen): Der Jugendliche kompensiert bekannflich einen durch eine Schallsch/idigung entstandenen Hochtonausfall so gut, dal3 die Beeintr~ichtigung des Sprachverst/indnisses allenfaUs unter erschwerten Bedingungen (Umgebungslgrm) einigermal3en erkennbar wird. Treten aber dann nach ca. 20--30 Jahren die altersbedingten, zentral zu lokalisierenden typischen Leistungsrninderungen beim H6ren speziell beim Verstehen hinzu, so versagt mehr und mehr diese Defektkompensation. Auch wenn das Schwellengeh6r sich nut gering um eine unbedeutende Alterskomponente verschlechtert hat, wird das Sprachverstehen aus den genannten Gr/inden oft ganz erheblich beeintr~ichtigt, wie man jetzt immer wieder bei nunmehr 60 Jahre alten, im letzten Kriege Gesch~idigten beobachten kann. Der durch ein Schalltrauma entstandene Schaden ist also prospektiv schwerwiegender als es zun~ichst erscheinen will, das muff bei der Beurteilung bedacht werden und das wirft auch ernste Fragen f/ir die gutachterli- the Einsch/itzung auf.

71. P. Plath (Reeklinghausen): Die gutachtliehe Beurteilung der Liirmsehwerhi~rig- keit bei gleiehzeitigem Vorliegen anderer Gehiirerkrankungen*

The Medicolegal Judgement of Noise Induced Hearing Loss Combined with Other Kinds of Hearing Impairment

Summary. In cases of noise induced hearing loss, the medicolegal judgement of causality often is complicated by the coincidence of endogenous hearing impair- ments, which conceal the audiological characteristics and the degree of Nihl. The recognition of an occupational disease however is possible only when there is a dominant probability; the possibility of Nihl alone in sight of the labour condi- tions is not sufficient for this recognition. In such cases, the medical expert therefore, besides of an extensive audiological analysis, must have sufficient information on noise immission, on the course of hearing impairment in regard to working time, and on other diseases and accidents which possibly can influ- ence hearing function.

Bei der gutachtlichen Beurteilung der Zusammenhangsfrage bei L/irmschwerh6rig- keit ergibt sich oft die Schwierigkeit, dab gleichzeitig bestehende, anlagebedingte Geh6rerkrankungen die typische Symptomatik der L~irmschwerhfrigkeit/iberlagern und das Ausmag einer eventuellen L/irmsch/idigung des Geh6rs nicht mehr erken- nen lassen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit ist aber nur dann mfglich, wenn der Nachweis einer L/irmsch~idigung und ihres Ausmages mit/iberwiegender Wahr- scheinlichkeit gelingt; die M6glichkeit aUeine auf Grund der Arbeitsplatzverh/iltnisse gen/igt zur Anerkennung nicht, da die H/iufigkeit von entsch/idigungspflichtigen L/irmschwerh6rigkeiten unter L/irmarbeitern unter 20% liegt. Diese H/iufigkeit reicht f/ir die Annahme einer/iberwiegenden Wahrscheinlichkeit alleine auf Grund der Arbeitsplatzverh/iltnisse nicht aus. Zus~itzlich m/issen audiometrische Merkmale einer L/irmschwerh6rigkeit zumindest teilweise erkennbar sein, das Ausmal3 des H6rverlustes muf3 mit den statistischen Erwartungswerten [Dieroff u. Meil3ner: La- ryng. Rhinol. 55, 368-374 (1976)]/ibereinstimmen, und die das Geh6r m6glicher- weise beeintr/ichtigenden Folgen anderer Erkrankungen, insbesondere von Herz-, Kreislauf- und Stoffwechselleiden, m/issen gegen den L/irmschaden nach M6glich- keit abgegrenzt werden kfnnen, wenn auch nur in grober Sch~itzung. Im Zweifelsfal- le ist gem/ig BSG-Urteil die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht m/Sglich, wenn

* Soll ausfiihrlich erscheinen in: Laryngol. Rhinol. Otol. (Stuttg.)

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die Beweise f/Jr ihr Vorliegen nicht eine hinreichende Sicherheit zulassen; ein ,,in dubio pro reo" gibt es in der Sozialgesetzgebung und in der sozialmedizinischen Begutachtung nicht.

H.-G. Boenninghaus (Heidelberg): Den Gutachter besch/iftigt immer wieder das Problem, wie eine L/irmsehwerh/Srigkeit zu bewerten ist, wenn bei einern/ilteren L/irmarbeiter das Geh/Sr von Begutach- tung zu Begutachtung abnimmt. Ieh habe bisher stets den Standpunkt vertreten, dal3 eine Alterskompo- nente bei Begutachtungen yon der 1/irmbedingten SchwerhSrigkeit so lange nicht abgezogen werden darf, wie der/iltere L/irmarbeiter nachweislich irn L/irrn t/itig ist. Erst eine Zunahrne der Schwerh~Srig- keit nach Aufgabe der L/irmarbeit daft dem Alter angelastet und bei der Festsetzung einer MdE in Abzug gebracht werden. Meine Frage: K6nnen Sie rnit dieser Auffassung fibereinstirnmen oder wenden Sie bei der Begutachtung andere Mal3st/ibe an?

H. Wieland (Bielefeld): Bisher gait unbestritten in der Begutachtung von Versorgungsleiden und Berufs- krankheiten der Grundsatz, dal3 Folgesch/iden nicht zu berficksichtigen sind. Wenn jetzt von Fleischer in der Diskussion darauf hingewiesen wird, dal3 in Verschlimmerungsantr/igen explosions- oder knall- traurnatisch im 2. Weltkrieg gesch~idigter Soldaten die inzwischen hinzugekomrnene AltersschwerhSrig- keit zu neuer Einsch/itzung der WdB-Folgen zwingt, so ist dies bedenklich und verkehrt den bisherigen Grundsatz in sein Gegenteil..3,hnliches gilt f/Jr die L/irmsehwerhSrigkeit: Bei der Einsch/itzung ihrer erwerbsmindernden Auswirkung darf nieht aul3er Acht gelassen werden, dal3 der physiologische Abbau der HSrf/ihigkeit irn Alter, der ja nach mehrheitlicher Auffassung aus einer im Innenohr lokalisierten Funktionseinschr/inkung und der Reduzierung zentral-nerv/Sser Leistungen wie Erinnern, Kombinieren, Merken besteht, stets einen sogenannten Folgeschaden darstellt. Die Aufgabe des Gutachters ist die Tatsachenfeststellung als Entscheidungshilfe fiir die Versicherungstr/iger oder Sozialgerichte, in wel- ehern Ausmal3 der einwirkende L/irm das H6rverm6gen gesch~idigt hat. Es ist bedenklich, bei der Einsch/itzung der MdE einen Ausgleich daf'tir zu suchen, dal3 ein/ilterer L/irmarbeiter im Zeitpunkt der Begutachtung dutch das Hinzutreten der Alterssehwerh6rigkeit yon seinem L/irmschaden st/irker be- troffen ist als ein j/ingerer. Die oft gefibte Praxis bedarf erneuter Diskussionen, bis zum Erreichen des Pensionsalters das Ausmal3 des H6rverlustes nicht um das Mal3 der AltersschwerhSrigkeit zu korrigie- ren, danach aber eine solehe Korrektur vorzunehrnen.

H. von Westernhagen (Oldenburg): Ein Problem ist f/ir mich die Begutaehtung von/ilteren Patienten, die zum Zeitpunkt der Untersuchung noeh unter L/irmeinwirkung arbeiten und bereits mehr als 20 Jahre L/irm ausgesetzt waren. Geht man yon der Vorstellung aus, dal3 eine L/irmschwerh6rigkeit nach 10 Jahren L/irmeinwirkung ihren Maxirnalwert erreicht hat, ist es schwer zu beurteilen, ob die vorliegende H6rst6rung vorwiegend durch L/irmeinwirkung oder vorwiegend durch Altersver/inderun- gen verursacht wurden. Die versehiedenen Verfahren der fiberschwelligen Audiometrie geben in diesen F/illen rneist unterschiedliche Ergebnisse, so dal3 eine coehle/ire Seh/idigung nicht unbedingt bewiesen werden kann.

P. Plath (Reeklinghausen), SehluBwort: Zu Herrn Boenninghaus: Ich stirnrne mit Ihnen voll darin fiberein, daJ3 das Alter nieht ber/icksichtigt werden daft, solange der Patient im L/irm arbeitet. Die zitierte Atterskorrektur nach den Tabellen yon Dieroff erh6ht den abzulesenden Erwartungswert um einen Altersbonus, so dal3 dieses Verfahren nieht im Gegensatz zu Ihrer Meinung steht sondern mit ihr /ibereinstimrnt.

Die Hinweise von Herrn Fleischer best/itigen ebenso wie die Ergebnisse der Untersuchung yon Weibel und Kie/31ing die von mir schon fr/iher ausffihrlieh beschriebene Verschleehterung des Sprach- verst~indnisses im Alter bei vergleichsweise nur geringer Anderung des Tongeh6rs bei L/irmsch/iden. Insofern bestehen stets Wechselwirkungen zwischen L/irmschaden, anderen Noxen und Alterung, so dab die Alterung nicht alleine als Folgeschaden angesehen werden kann, wie Herr Wieland meint. Die yon Herrn yon Westernhagen zitierte 10-Jahresgrenze, die Herr Wagernann unter Werftarbeitern ge- funden hat, besitzt sicherlich keine Allgerneingfiltigkeit und daft im Einzelfalle nicht als Argument ge- gen das Vorliegen einer L/irrnschwerh6rigkeit herangezogen werden.