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Die Iren und Europa im früheren Mittelalter Herausgegeben von Heinz Löwe Teilband 2 (Sh;,Hd..ul - r9gz) Klett-Cotta

Die Irenund Europa im früheren Mittelalter · rungen der Mönchstugend, zwölf gradus humilitatis in der Form, daß die einzelnen gradus genannt und durch einen explikativen si-Satz

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Die Iren und Europaim früheren Mittelalter

Herausgegebenvon Heinz Löwe

Teilband 2

(Sh;,Hd..ul - r9gz)Klett-Cotta

Page 2: Die Irenund Europa im früheren Mittelalter · rungen der Mönchstugend, zwölf gradus humilitatis in der Form, daß die einzelnen gradus genannt und durch einen explikativen si-Satz

Pseudo-CyprianDe duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent,

insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel

VonHans HubertAnton

In seiner Grundanlage geht der Traktat "Oe duodecim abusivis saeculi"! auf das7. Kapitel der Benediktregel zurück. Benedikt entwickelt dort zwölf Hauptforde-rungen der Mönchstugend, zwölf gradus humilitatis in der Form, daß die einzelnengradus genannt und durch einen explikativen si-Satz verdeutlicht werderr', Ebensosind auch bei Pseudo-Cyprian zwölf gradus verwandt, um die zwölf Hauptübel,abusiva oder abusiones saeculi, vorzustellerr'. In der Form der Contradictio inadiecto werden zwölf Negativtypen beleuchtet: sapiens sine operibus, senex sinereligione, adoleseens sine oboedientia, dives sine elemosyna, [emina sine pudicitia, domi-nus sine virtute, christianus contentiosus, pauper superbus, rex iniquus, episcopusneglegens, plebs sine disciplina, populus sine lege.

Als generelle Charakteristik ist festzuhalten, daß eine Art Gesellschaftsmoralgeboten wird und zwar in weitgehend abstrakter Ausführung', wobei z. T. deutli-che Reprisen vorliegen''. Hervorzuheben ist freilich die im erwähnten Komposi-tionsverfahren begründete originelle Grundanlage, durch die der kleine Traktatsich insbesondere von den durch die ständige Wiederholung der "Octo vitiaprincipalia" Cassians gekennzeichneten Werken mit vergleichbarer Intention ab-hebt.

1 Pseudo-Cyprianus, De duodecim abusivis saeculi, ed. S. Hellmann. Texte und Unter-suchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 34 (1909),S. 1-61; Edition S. 32--61;s. dazu Einleitung S. 1ff.; ferner J. F. Kenney, The Sources for the Early History of Ireland:Ecclesiastical, New York 1929 (erg. Neuausgabe von L. Bieter 1966); S. 281f.; M. Manitius,Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters (Handbuch der Altertumswissenschaft9,2) 1,München 1911,S. 107f.; 2, ebd. 1923,S. 796; F. Brunhölzl, Geschichte der lateinischenLiteratur des Mittelalters 1,München 1975,S. 19lf.; CPL. 1106.

2 Regula S. Benedicti, ed. R. Hanslik CSEL.75 (1960),hier VII, 10S. 41; e. g. Primus itaquehumilitatis gradus est, si timorem dei sibi ante oculos semper ponens obliuionem omnino fugiat.

3 Der Titel der Schrift, der sich handschriftlich nicht mehr mit Sicherheit fixieren läßt,ist wohl am besten mit "De duodecim abusivis saeculi" anzusetzen, s. Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 14; jedoch findet sich in einigen Handschriften "De duodecim abusionibussaecu1i", s. ebd. 5. 32, wie auch jedes Kapitel mit "Numerierung" der behandelten abusiobeginnt: Primus abusionis gradus est ... etc.

4 Vgl. Brunhölzl S. 191; nicht zutreffend Manitius 1 S. 107, in den Anfängen handele essich um ein mehr moraltheologisches Werkchen, doch gehe es mit Kapiteln wie "der stolzeArme, der ungerechte König, das Volk ohne Gesetz" auf Weltliches hinaus und erweiteredamit den ursprünglichen Rahmen; zur abstrakten Durchführung s. Kenney S. 282.

5 Vgl. die Entsprechungen in der 5. und in der 9. abusio: S. 41 Z. 7 - S. 53 Z. 10; S. 41Z. 17- S.52Z. 5f. sowie den parallelen Aufbau ebd. S.42Z. 19ff.- S. 53Z. 7ff.

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Wie bald darzulegen sein wird, sind einige der Normwerte aus charakteristi-schen Vorstellungen des Raumes zu erklären, aus dem der Traktat stammt; alsallgemeinere Maximen erweisen sich rectus ordo raiionis", correctio morum' und lexDei8•

Es ist vermutet worden, einige der Gegensätze gingen auf alte rhetorischeGrundlagen, etwa Quintilian oder Seneca, zurück", doch läßt sich das offenbarnicht weiter belegen. Schon längst gesehen ist, daß bei der 8. abusio paupersuperbus eine biblische Entlehnung vorliegt'", In hohem Maß wahrscheinlich ist,daß einige der Figuren aus der volkssprachigen Literatur Irlands zu erklärensind!',

Aber damit ist der Traktat schon zu Irland in eine nähere Beziehung gesetzt. ImZusammenhang mit der Behandlung der Frage nach der geographischen Herkunftdes Werkes ist nun näher darauf einzugehen.

Vor allem von einer Betrachtung der frühesten Bezeugung und der Überliefe-rung des Werkes her kam Hellmann zu dem Ergebnis, daß es unzweifelhaft iri-scher Herkunft sei. Entscheidend war dabei für ihn, daß es zunächst in der iri-schen Kanonensammlung zitiert werde, dann bei dem Angelsachsen Cathwulfund im 9. Jahrhundert an verschiedenen Stellen im fränkischen Reich begegne,daß die Handschriften sich vor allem über Mitteleuropa. über Frankreich, Eng-land, Deutschland und die von diesem beeinflußten östlichen Länder ausbreite-ten, während nur verhältnismäßig wenige die Grenzen dieses Gebietes nachSüden überschritten hätten, und weiter, daß diese Zeugen der Überlieferung nochspät in Orthographie und Fehlerquellen irische Spuren zeigten. "Wer auch nurflüchtig", so lautete sein Schluß, "mit der Geschichte des literarischen Lebens im

6 3. abusio S. 36 Z. 1£.: Tertius abusionis gradus est adolescens si sine oboedientia deprehen-daiur, quo mundus a recto rationis ordine depravatur. 4. abusio S. 39 Z. 16f.: Quid a rationelongius est quam diligere quod te amare non valet.

7 11. abusio S. 57 Z. 6£.: Disciplina vero est morum ordinaia correctio et maiorum praece-dentium regularum observatio.

8 12.abusio S.59Z. 7: una regalis via lex Dei videlicet.9 Manitius 1 S. 107.10 Ecclus. XXV,4; Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 15; F. Graus, Volk, Herrscher und

Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Prag1965, S. 292, mißt dieser abusio eine nicht geringe Bedeutung für die mittelalterlichenWertungen von gesellschaftlichen Unterschieden und für die Stabilisierung von Herrschaftbei.

11 Schon Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 15wies auf "Senchas Mar" hin, wo "a false-judging king, a stumbling bishop, a fraudulent poet, an unworthy chieftain who does not fulfil hisduties" als die "four dignitaries of a territory who may be degraded" bezeichnet werden, undfand: "eine gewisse Verwandtschaft mit dem rex iniquus, dem episcopus neglegens und demdominus sine virtute Pseudo-Cyprians ... wird man nicht abstreiten können." Diese Beobach-tung dürfte zutreffen, auch wenn bei chieftain und dominus die angenommene Entsprechungnicht vorliegt. Dazu s. u. S. 573. Vielleicht darf als ein weiteres vergleichbares Beispielangeführt werden: The Triads of Ireland, ed. K. Meyer (RoyalIrish Acad. Todd Lecture Series13),Dublin 1906,S. 22/23,Nr. 166:Three ranks that ruin tribes in their falsehood: the falsehood ofa king, of a historian, of a judge.

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Mittelalter Fühlung genommen hat, weiß diese Zeichen zu deuten. Es ist keinZweifel, daß die chronologische Reihenfolge, in welcher sich die Träger der Über-lieferung des Pseudo-Cyprianus ablösen, zugleich auch geographisch den Wegbezeichnet, den er gegangen ist, daß die Abusiva also nicht vom Festland zu denIren gekommen, sondern daß sie in Irland entstanden und von hier nach demKontinent übertragen worden sind"lla.

Ein weiteres, hiervon unabhängiges Indiz für die irische Provenienz erblickteHellmann darin, daß der Traktat sich sprachlich (richtige Endungen und Kasus-verwendung) in deutlicher Distanz zur kontinentalen Literatur zeige: dies lasse"auf ein Land schließen, in dem das Latein auch in seinem Übergang zum Früh-romanischen niemals Umgangs-, sondern nur Schriftsprache war", und führeabermals auf Irland+'.

Hellmann glaubte, von der so gewonnenen Basis aus einen Schritt weitergehenund eine genauere Lokalisierung der Schrift innerhalb Irlands vornehmen zukönnen. Aus der Tatsache, daß einerseits der anonyme Traktat und die Hibernen-sis einige gemeinsame Quellen aufwiesen, darunter sogar einige für das frühmit-telalterliche Irland singuläre, die Vulgata, die Benediktregel und eine größereSentenzensammlung, daß auf der anderen Seite der Traktat wieder von der Kano-nensammlung ausgeschrieben werde, und schließlich in beiden Werken, undzwar im Gegensatz zu anderen gleichfalls irischen Erzeugnissen, das stilistischePrinzip des Homoioteleuton anzutreffen sei, folgerte er, daß die Heimat Pseudo-Cyprians die der Hibernensis, d. h. das südliche oder südöstliche Irland, sei13•

Hellmanns Ergebnis wurde allgemein übernommen: in die Literaturgeschich-ten14, in quellenkritische und allgemeinere Untersuchungen zur irischen Ge-schlchte", in Darstellungen zur mittelalterlichen Mentalitätsgeschichte und Herr-schaftsauffassung", lediglich hinsichtlich seiner genaueren Festlegung auf den

11a Zitierung in der irischen Kanonensammlung: Die irische Kanonensammlung, ed.H. Wasserschieben, Leipzig 21885,XXV, 3; 4 S. 77f.; bei Cathwulf MGH. Epp. IV, ed.E. Dümmler (1895)S. 502-505; hier S. 503; dazu und zur handschriftlichen Überlieferungs. u. S. 576ff.; 598 ff.; 603ff. - Obiges Zitat Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 3 f.

12 Hel/mann, Pseudo-Cyprianus S.4.13 Hellmann. Pseudo-Cyprianus S.4ff.14 Manitius 1S. 107;Kenney S. 191.15 Vg!.die, allerdings vorsichtige, Feststellung bei M. Esposito, Notes on Latin Leaming

and Literature in Medieval Ireland - Ill, Hermathena 48 (1933)S. 221-249; hier S. 229 "notperhaps without probability"; irische Provenienz sehen als gegeben: B. Bischoff, Die euro-päische Verbreitung der Werke Isidors von Sevilla, in: Isidoriana. Estudios sobre San Isi-doro de Sevilla en el XIVcentenario de su nacimiento, hg. von M. C. Diaz y Diaz, Le6n 1961,S. 317-344; ergänzter Ndr. in B. Bischoff, Mittelalterliche Studien 1, Stuttgart 1966,5. 171-194; hier S. 181; L. Bieter, Irland. Wegbereiter des Mittelalters, Olten/Lausanne/Fribourg 1961,S. 116.

16 E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, in: Das Königtum.Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Vortrr. u. Forschgg. 3, Lindau/Konstanz 1956,S. 7-73; hier S. 37f.; Graus S. 292Anm. 615;H. H. Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethosin der Karolingerzeit (Bonner Historische Forschungen 32),Bonn 1968,S.67.

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Süden oder Südosten der Insel wurde vereinzelt Skepsis laut17• Erst E. Cocci a hatin seinem "Generalangriff" auf Ausmaß, Reichweite und Bedeutung des Irischenim Mittelalter auch Zweifel an der irischen Herkunft Pseudo-Cyprians geäußert.Er geht zu Unrecht davon aus, Hellmann stütze seine Hauptbeweisführung aufden Konnex zwischen dem Traktat und der Hibemensis und sieht dann, da ihmder irische Ursprung der Kirchenrechtssammlung nicht völlig stringent bewiesenerscheint, auch die Herkunftsfrage des anonymen Werkes wieder offen, ja erglaubt sogar, von seiner Zitation durch Cathwulf her die Hypothese einführen zukönnen, England sei möglicherweise auch die Heimat unseres Traktats".

Versucht man eine Beurteilung der so offenbar zumindest ein wenig strittiggewordenen Herkunftsfrage, so ergibt sich pikanterweise, daß Hellmanns eigent-liche Beweisführung von dem Gang der Überlieferung her nicht unbedingt strin-gent zu sein braucht, sein von Coccia in Frage gestellter spezifizierender Gedan-kengang jedoch, auch wenn die Nachweise, die Hellmann für die Beziehungzwischen Traktat und Hibemensis im einzelnen erbringt, kraß fehlerhaft bzw.nicht hinreichend sind, sehr viel für die irische Provenienz des Traktats hergibt:ist doch die irische Provenienz der Kanonensammlung in der neueren Forschungaußer Zweifel'".

Aber sollte man Hellmanns Beweisgang nicht als zwingend ansehen, wie esoffenbar schon Kenney tat, der jeglichen Rekurs auf ihn in diesem Punkt unter-ließ, so gibt es doch Gründe anderer Art, die eindeutig für die Herkunft unseresWerkes aus Irland sprechen: "In both the turn of thought and the form it ischaracteristically Irish, and would be immediately recognised as such by anyperson familiar with the secular gnomic literature of the Irish language"20.

17 Esposito S. 229Anm. 31; Kenney S. 281unterließ schon eine genauere Angabe, und inCPL. 1106 wird offenbar nach ihm lediglich festgehalten, entstanden sei das Werk "inHibemia".

18 E. Coccia, La cultura irlandese precarolingia. Miracolo 0 mito?, SM. ser. 3, 8 (1967),S. 257-420; hier S. 393ff.; zur Hibemensis S. 358ff.

19 Vg!.Kenney S. 248;CPL. 1794;K. Hughes, Early Christian Ireland: Introduction to theSources (The Sources of History: Studies in the Use of Historical Evidence), Ithaca, N.Y.1972, 5. 68; übrigens äußert sich Coccia in seinen Ausführungen zur Hibemensis längstnicht so skeptisch, S. 5. 361,wie er dies später (5. 395)im Zusammenhang mit "De duodecimabusivis saeculi" festhält und zur Prämisse seiner weiteren Überlegungen macht. Der Vor-wurf, den er gegen Hellmann erhebt, zu viele Hypothesen zu bemühen, trifft in besonderemMaß auf ihn selbst zu, wenn er aus dem Faktum, daß Cathwulf Pseudo-Cyprian zitiert,folgert, der Traktat sei möglicherweise in England entstanden. Unerfindlich bleibt seine"stützende" Bemerkung, Hellmann nehme die Entstehung der Hibemensis in Iona an;S. dagegen Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 10mit Anm. 2. Zur fehlerhaften BeweisführungHellmanns S. U. S. 577. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit Coccia ist offenbar nochnicht erfolgt: L. Bieler, The Classics in Celtic Ireland, in: Classical Influences on EuropeanCulture A. D. 500-1500, ed. by R. R. Bolgar. Cambridge 1971,5.45--49, mißt Coccias Fest-stellungen im allgemeinen große Bedeutung bei (S. 45), sieht aber offenbar (s. S. 46) denirischen Ursprung des anonymen Traktats außerhalb der Diskussion.

20 Kenney 5.282.

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In der Tat lassen sich von der formalen und noch mehr von der inhaltlich-gedanklichen Anlage her die originär irischen Elemente eindrucksvoll be-stimmen.

Was die formale Seite angeht, so ist darauf hingewiesen worden, es gehöre zuden Eigentümlichkeiten, die sich auch sonst in der irischen Literatur fänden,Begriffe oder Gedanken in Zahlengruppen zusammenzufasserr": doch ist imAuge zu behalten, daß die Anregung in unserem Fall von der Benediktregel aus-ging, die Anlage des 7. Kapitels dort also wohllediglich irischer Vorliebe entge-genkam.

Von viel größerer Bedeutung ist daher das inhaltlich-gedankliche Moment, sindbesonders die Entsprechungen und Übereinstimmungen zwischen unseremTraktat und der volkssprachigen irischen Literatur. Sie ergeben sich in ersterLinie von der 9. abusio (rex iniquus) her, in der die iustitia des Königs als dieumfassende Herrschertugend erscheint, an der in bezeichnender Form die Folgender guten und schlechten Herrschaft gemessen werden und in der ein ganzeinzigartiges Korrelatverhältnis zwischen Herrschertugend. Volkswohl undNaturzeichen hergestellt wird. Bei der eingehenden Behandlung der abusiones 6und 9, die für die spätere Rezeption des Werkes ausschlaggebend waren, kanngezeigt werden, wie sehr sich hier charakteristisch irische Ausprägungen einesHerrschercharismas niedergeschlagen haben, Ausprägungen, die sowohl in ihrerheidnisch-mythischen Komponente als auch in ihrem heidnisch-christlichen Syn-kretismus klare Analoga in dem irischen Tecosca-Schrifttum aufweisen=. Man hatdenn auch - wegen der frappierenden Verwandtschaft in den Gedankengängenund der signifikanten Verbindung von Vorstellungen unzweifelhaft zu Recht-in dem iustitia-Modell Pseudo-Cyprians die Übernahme von mit gleichen oderähnlichen Assoziationen verknüpften irischen Inhalten, des ffr fZathemon oderiirinne flathemon auf der einen, des g6 flathemon auf der anderen Seite gesehen, diesich in den noch deutlich pagane Züge aufweisenden, ins 7. Jahrhundert zurück-reichenden Fürstenspiegeln .Audacht Morand" und "Tecosca Cormaic", dann in

21 Brunhö!zl S. 192; zur Zusammenfassung in Zahlengruppen als typisch irischer Denk-form s. etwa B. Bischoff, Das griechische Element in der abendländischen Bildung des Mittel-alters, Byz. Zs. 44 (1951) S. 27-55; erg. Ndr. in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien 2,Stuttgart 1967. S. 246-275; hier S. 248; ders.• Wendepunkte in der Geschichte der lateini-schen Exegese im Frühmittelalter, Sacris Erudiri 6 (1954) S. 189-279; erg. Ndr. in: B. Bischoff.Mittelalterliche Studien 1, S. 20~273; hier S. 226£. Als Belege aus der lateinischen irischenLiteratur nenne ich nur aus einer vielleicht Hieronymus zugeschriebenen Sammlung: Iri-sche Kanonensammlung XXV, 15 S. 81 = Sammlung K im Collectaneum des Sedulius Scot-tus, Codex Cusanus 52, f. 253" 2. Hierzu und zu den "Proverbia Grecorum" s. u. S. 595; ausder volkssprachigen Literatur: The Senbriathra Fithail, ed. R. M. Smith, Rev. Celt. 45 (1928)S. 1-92; hier §{)S. 36£. Zum durchgehenden Auftreten in irischen Sprichwörtern s. etwa:A Miscellany of Irish Proverbs, ed. Th. T. O'Rahilly, Dublin 1922.

22 9. abusio: Pseudo-Cyprianus S. 51ff.; hier S. 52 Z. 10ff. Zu den Tecosca- Texten nenneich hier allgemein R. M. Smith, The Speculum Principum in Early Irish Literature, Speculum2 (1927) S. 411-445; s. dort bes. S. 439.

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verchristlichten Werken wie "Aipgitir Crabaid" (7. [h.) und in Gesetzen des8. Jahrhunderts finderr'', Für die jetzt !'-U behandelnde Frage ist der Hinweis aufdas charakteristisch Irische der erwähnten Vorstellungen noch einmal erforder-lich, ferner der Hinweis darauf, daß sie sich so im vergleichbaren Schrifttum desKontinents und auch der Angelsachsen nicht finden.

Noch überhaupt nicht beachtet wurde bisher, daß uns in der 6. abusio (dominussine virtute) ein weiteres durchschlagendes Beweisstück für die irische Herkunftdes Traktats vorliegt. Schon die mittelalterlichen Autoren ab dem 9. Jahrhundertund auch die modeme Literatur sahen durchweg in dem dominus und princeps, alsdessen wesensspezifische Eigenschaft die virtus genannt ist, den großen weltli-chen Herrn, den Adligen, und stellten von daher den Abschnitt dem 9. Kapitel(rex iniquus) an die Seite. Nun geht aber ebenso aus der irischen Kanonensamm-lung wie auch aus anderen frühmittelalterlichen Quellen Irlands hervor, daß mitprinceps und dominus neben dem Bischof der Abt bezeichnet wird, dem eine soentscheidende Rolle innerhalb der irisch geformten Abtskirche. aber auch gegen-über der Laiengesellschaft zukam.

Daß die erwähnte Bedeutung von dominus und princeps auch in der 6. abusio,zumindest vorrangig, vorliegt und diese somit einen klaren Reflex der Verfas-sungsverhältnisse des frühmittelalterlichen Irland vermittelt, ergibt eine genauePrüfung des Textes".

23 F. J. Byrne, Seventh Century Documents, Irish Ecd. Record 108 (1967) S. 164-182;hier S. 166; 173; ders., Irish Kings and High-Kings, London 1973, S. 24; s. auch D. A. Binchu,Celtic and Anglo-Saxon Kingship (O'Donnell Lectures 1967168), Oxford 1970, S. 9f., wo firflathemon mit "the prince's truth, the just rule of righteous king", g6 flathemon mit "theinjustice (lit. 'falsehood') of the prince" wiedergeben ist. Auf die Tecosca- Texte, vor allem"Audacht Morand" und "Tecosca Cormaic", wird im angekündigten Zusammenhang einge-gangen, wo, soweit es dem Nichtkeltologen möglich ist, die von Graus S. 351 Anm. 272 alsDesiderat bezeichnete Untersuchung des Verhältnisses Pseudo-Cyprians zu den irischenFürstenspiegeln und Lehrsprüchen in Angriff genommen werden soll.

24 6. abusio: Pseudo-Cyprianus S. 43ff.; dort die Termini dominus S. 43 Z. 5; 6; dominariZ. 6; 10; 14; S. 44 Z. 11; dominatus S. 45 Z. 16; princeps S. 44 Z. 9; ducatus S. 44 Z. 7. Zurdurchgehenden Deutung vom 9. Jahrhundert an s. u. S. 595 ff. Zur Bedeutung von princeps =Abt in der Hibemensis s. Kanonensammlung XXXVII S. 131ff.: hier besonders eindeutig 7S. 133; 29 S. 138; 37 S. 140; dominus ebd. XLI, 8 S. 160. Weitere Belege für princeps in denCanones Hibemenses bei K. Hughes, The Church in Early Irish Society, London 1966, S. 80;in anderen Quellen ebd. S. 157ff. (dort auch zur Rolle in der Gesellschaft). Dominatus istanscheinend Oberbegriff für geistliche und weltliche Herrschaft, s, KanonensammlungXXN S. 75£.: Oe domina tu et subjectione, ducatus hinwiederum erscheint eindeutig als Kenn-zeichnung für die geistliche Leitungsgewalt, für die Herrschaft des Abtes/Bischofs, s. z. B.ebd. XXXVII, 24 S. 137 sowie LIX S. 225£. De ducatu barbarorum. Eindeutig geht aus demBeginn der 6. abusio hervor, welche Bedeutung hier gegeben ist: Pseudo-Cyprianus S. 43Z. 5ff.: Sextus abusionis gradus est dominus sine virtute, quia nihil pro{icit dominandi haberepotestatem, si dominus ipse non habeat et virtutis rigorem. Sed hic virtutis rigor non tam exieriorifortitudine, quae et ipsa saecularibus dominis necessaria est, indiget quam animi interiorem fortitu-dinem per bonos mores exercete debet. - Princeps kann zwar auch die Bedeutung "Bischof"haben (s. den erwähnten Abschnitt in der Kanonensammlung XXXVII [Oe principatu]

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Nach alldem kann es keinem Zweifel unterliegen, daß "De duodecim abusivissaeculi" in Irland entstanden ist. Ja, nach der aufgezeigten Verbindung des Werksmit der Collectio Hibemensis, nach einigen schon von Hellmann angeführtenSachindizien für seine Abfassung durch Iren römischer Observanz und schließ-lich in Anbetracht der Tatsache, daß es sich gut in das geistige Milieu des durchdie lateinische Literatur seiner Klosterschulen und seine engen kulturellen Bezie-hungen zum westgotischen Spanien geprägten Munster einfügen würde, ist wohldoch gegen Esposito daran festzuhalten, daß das Werk näherhin dem Süden oderSüdosten des Landes zuzurechnen isfS.Was die Datierung des Traktats betrifft, so ist davon auszugehen, daß die

Benutzung der Sententiae und insbesondere der Etymologiae Isidors von Sevilladen Terminus post quem bietef6• Die Sententiae sind nach dem Zeugnis Braulios

S. 131 ff. und die Sammlung K im Collectaneum des Sedulius Scottus, die auf dieselbe Quellewie die Hibernensis zurückgeht, f. 254' 1£., wo princeps bisweilen nur "Bischof" und nicht"Abtbischof" bedeuten mag; s. ferner Hughes, Church S. 80 und 158), doch ist dies beiPseudo-Cyprian wohl nicht der Fall, ist der Bischof doch in dem Abschnitt episcopus negle-gens behandelt.

25 Zur Verbindung der Kanonensammlung mit dem Süden, speziell Munster, s. KenneyS. 249; Hughes, Sources S. 68; zu den Sachindizien, Betonung der unitas ecclesiae im Bild dertunica Christi (11. abusio S. 57 Z. 18f£.) und der Exkommunikationsgewalt des Bischofs(10. abusio S. 55 Z. 4f£.) s. Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 12f.; zu Klosterschulen, Kulturund westgotischem Einfluß in Munster s. Byrne, Seventh Century Documents S. 171ff.; S.173. Ob von dem dort aufgezeigten allgemeinen Zusammenhang her die präzise Einord-nung möglich ist, die derselbe Vf. Irish Kings S. 170 gibt: "there is a good deal of evidencefor a high standard of Latin learning in Munster during the sixth and seventh centuries,particularly associated with the churches of Lismore and Clonfertmulloe. The tract ,Deduodecim abusivis saeculi', ... , came from this school, which also produced works on bibli-cal exegesis and Latin grammar", muß m. E. fraglich bleiben.

26 Mit Sicherheit sind Isidors Etymologien benutzt bei Pseudo-Cyprian (10. abusio)S. 53 Z. 20f.: quoniam episcopus cum Graecum nomen sit, speculator interpretatur; vgl. Isidor,Etymologiae, ed. W. M. Lindsay, Oxford 1911, VII, 12, 12: Episcopi autem Graece, Latinespeculatores interpretantur. Hierzu s. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 2; zu weiterer, vonHellmann im Apparat vermerkter möglicher Isidorverwertung bei Pseudo-Cyprian s. u.S. 586f. Darüber hinaus ist sichere Verwendung der Etymologien nachzuweisen (9. abusio)S. 53 Z. 8f. (= Irische Kanonensammlung XXV, 4 S. 77£.): temperies aeris, serenitas mans, terraefecunditas - Et. XIII, 12, 3: Aquae enim cae1um temperani, terram fecundant, aerem exhalationi-bus suis incorporant; man vgl. auch 9. abusio S. 51 Z. 3ff. (s. Irische Kanonensammlung XXV,3 S. 77): Nonus abusionis gradus est rex iniquus. Quem cum iniquorum correctorem esse oportuit,licet in semet ipso nominis sui dignitatem non custodit. Nomen enim regis intellectualiter hocretinet, ut subiectis omnibus rectoris officium procuret. Sed qualiter alios corrigere potent quipropriae mores ne iniqui sint non corrigit? und Et. IX, 3, 4: Reges a regendo vocati. Sicut enimsacerdos a sacrificando, ita et rex a regende, Non auiem regit, qui non corrigit. Recte igitur faciendoregis nomen ieneiur, peccando amittitur. Unde et apud veteres tale erat proverbium: ,Rex ens, sirecte facias: si non facias, non ens'. M.E. ist aber ganz deutlich, daß hier der Verfasser desTraktats auch beeinflußt ist von Isidor, Sententiae, PLo83, 537-738; Ill, 48, 7n,83, 719 AlB:Reges a recte agendo vocati sunt, ideoque recte faciendo regis nomen tenetur, peccando amittitur.Nam et viros sanctos proinde reges uocari in sacris eloquiis inuenimus, eo quod recte agant,sensusque prop rios bene regant, et motus resistentes sibi rationabili discretione componant. Recte

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von Saragossa vor den Chronica maiora, die Etymologiae in den letzten Lebens-jahren Isidors (t 636) entstanden; sie wurden damals, nachdem eine erste Aus-gabe vielleicht schon unter. Sisebut (t 621) existiert hatte, offenbar schon z. T.verbreitet, erhielten ihre endgültige Form jedoch erst nach Isidors Tod27• Da Isi-dors Werke in Irland offenbar mit ungeheurer Schnelligkeit verbreitet wurderr",

enim illi reges vocantur, qui iam semetipsos, quam subjectos bene regendo modificare noverunt,wie auch abusio 1 S. 34 Z. 3f. wohl eher nach Isidor, Sent. Ill, 50,5 PL. 83, 722 A, als nachRegula Benedicti 11, 30 S. 24, zu gehen scheint. Daß Isidor an der zuletzt erwähnten StellePseudo-Cyprians benutzt ist und nicht seine Vorlage Augustin, ist erörtert bei Anton, Für-stenspiegel S. 68 Anm. 110; daß seine beiden Stellen Vorlage waren, ist ebd. im Zusammen-hang ausgeführt S. 388ff.; bes. S. 390. Irrigerweise nehmen E. J. Buschmann, Das Herrscher-amt nach der Lehre der mittelalterlichen Fürstenspiegel, Diss, phi!. Frankfurt (masch.) 1918,S. 46; J. Balogh, ,Rex a recte regendo', Speculum 3, 1928, S. 580-582; hier S. 58H. und EwigS. 39 an, Pseudo-Cyprian gehe nur auf Et. IX, 3, 4 zurück. Wenn auch die Kritik von Bischoff,Die europäische Verbreitung S. 181 Arun. 64 an A. E. Anspach, Das Fortleben Isidors im VII.bis IX. Jahrhundert, in: Miscellanea Isidoriana, ed. Provo de Andalucia S. I., Rom 1936,S. 323-356; hier S. 328, seine Angabe über die Benutzung der Sent. erscheine nicht zwin-gend, bei dem von Anspach vorgelegten Material, wonach Pseudo-Cyprianus S. 34 Z. 3f.sicher nach Sent. Ill, 50, 5 und Pseudo-Cyprianus S. 36 Z. 16ff. wohl nach Et. IX, 5, 15 und 6, 8(dazu S. u. Anm. 52) gebildet sei, berechtigt erscheint, so ist der Zweifel an der Sententiae-Verwertung nach dem oben Festgestellten nicht mehr aufrechtzuerhalten. - Daß Anspachs(a.a.O.) Behauptung, Isidor, "Oe ecclesiasticis officiis", sei bei Pseudo-Cyprian herangezo-gen, auf einem Mißverständnis der Einleitung von Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 8 beruhe,vermerkt Bischoff a.a.O., dabei ist Anspachs Ungenauigkeit um so gravierender als er aufPseudo-Cyprianus S. 36 Z. 6ff. und Hellmanns Verweis im Apparat auf "Oe ecclesiasticisofficiis" 11, 5, 10 gar nicht eingeht; S. A. 50.

27 Vermutliche chronologische Reihenfolge der Werke Isidors: Anhang Braulios zu "Oeviris illustribus" PL. 82,65--68; hier 67; zur unfertigen Redaktion der Etymologien und ihrerFertigstellung durch Braulio ebd. PL. 82, 67 B/C; Isidor an Braulio: Epistolario de S. Brauliode Zaragoza, ed. J. Madoz (Biblioteca de antiguos escritores cristianos espafioles 1), Madrid1941, Brief 6 S. 86--88 (= Epistolario de San Braulio, ed. L. Riesco Terrero [Anales de la Univ.Hispal., Sero Filos. y Letras 31], Sevilla 1975, Brief 6 S. 74); Braulio an Isidor: Madoz Brief 5S. 80-85; hier Z. 16ff.; Z. 92ff. (= Riesco Terrero Brief 5 S. 66-74; hier Z. 14ff.; Z. 86ff.). Zuder Verbreitung der Vor-Braulio-Rezensionen, vielleicht bereits unter Sisebut und bis zum9. Jahrhundert, s. W. POTZig,Die Rezensionen der Etymologiae des Isidorus von Sevilla,Hermes 72 (1937) S. 129-170; hier S. 165ff.; modifizierend M. Reydellet, La diffusion des"Origines" d'Isidore de Seville au haut moyen äge, Me!. d'arch, et d'hist. 78 (1966)S. 383-437; s. auch J. A. de Aldama, Indicaciones sobre la cronologia de las obras deS. Isidoro, in: Miscellanea Isidoriana S. 57-89; Madoz, Epistolario S. 40ff.; dere., San Isidorode Sevilla. Semblanza de su personalidad literaria, Leön 1960, S. 53ff.; J. Fontaine, Isidore deSeville et la mutation de l'encyclopedisme antique, Cahiers d'histoire mondiale 9 (1966)S. 519-538; hier S. 526f. Dementsprechend ist Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 2, die Etymo-logien seien um 630 zum Abschluß gekommen, zu präzisieren. Zum Ganzen S. Manitius 1S. 6Off.; Brunhölzl S. 76ff.

28 J. N. Hillgarth, The East, Visigothic Spain and the Irish, Stud. Patristica 4 (1961)S. 442-456; S. 444; 447; 450; ders., Visigothic Spain and early Christian Ireland, Proceedingsof the Royal Irish Academy 62 C 6 (1962) S. 162-195; S. 168.

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könnte 625 im alleräußersten Fall den Terminus a quo für die .Duodecim abusiva"abgeben", weniger gewagt ist es freilich, von 630/35 auszugehen.

Als Terminus ante quem für unseren Traktat gilt die Entstehungszeit der Hiber-nensis, in der er oder zumindest doch eine Erstfassung des Werkes zitiert is~.Mit großer Übereinstimmung setzt man in der Forschung die Zusammenstellungder Kanonensammlung in das erste Viertel des 8. [ahrhunderts'", und in der Tatstellt 725 wohl den spätestmöglichen Zeitpunkt für die Abfassung da~2. Aus derÜberlegung, daß der Traktat in der Hibernensis Patricius zugeschrieben wird,folgert Kenney, das Werk müsse zu Beginn des 8. Jahrhunderts bereits hohes Alterbesessen haben, ergo sei nicht an Hellmanns Zeitangabe "vor 700" festzuhalten,sondern als spätester Zeitpunkt komme 650 in Frage33. Man wird dieser Vermu-tung eine gewisse Plausibilität nicht absprechen können, aber doch, da für dieEntstehung der Hibemensis eben kein exakter Zeitpunkt bestimmt werden kann,vielleicht besser das ausgehende 7. Jahrhundert als Terminus a quo für Pseudo-Cyprian und die Zeitangabe 650 wieder wie 625 nur als äußerste Möglichkeit,diesmal als die früheste für den Terminus ante quem, ansehen.

Es ist schon verschiedentlich gesagt worden, daß die Abusiva zuerst in derCollectio Hibernensis zitiert werden, und seit Hellmann hat niemand mehr darangezweifelt, daß die unter dem Namen des Patricius gehende abusio in der Kano-nensammlung in der Tat die erste Benutzung des seit dem 9. Jahrhundert hand-schriftlich überlieferten anonymen Werkes darstellt. Dementsprechend haben wirgerade dieses Faktum zum Kriterium für die Bestimmung des Terminus antequem bei Pseudo-Cyprian gemacht. Doch ist es eine Frage, ob man dies so ohneweiteres darf: In der Irischen Kanonensammlung ist nämlich nicht nur im Gegen-satz zu den späteren Handschriften als Autor Patricius genannt; der von ihr gebo-tene Ausschnitt zeigt darüber hinaus einige Besonderheiten und Abweichungengegenüber dem von den Handschriften überlieferten einschlägigen Text. Mankönnte in Erwägung ziehen, daß das Werk oder doch zumindest die 9. abusiozunächst in gering voneinander differierenden Textfassungen vorlag; aber nocheine weitere Möglichkeit, die die Voraussetzung für unser Bedenken, die Zitationdurch die Hibemensis als Argument für die Festlegung des Terminus ante quemzu verwenden, abgibt, ist in Betracht zu ziehen.

29 Wenn Kenney S. 282 ca. 600 als allerfrüheste Abfassungszeit in Betracht zieht, damöglicherweise nicht Isidors Etymologien selbst, sondern seine Quellen ausgeschriebenseien, so handelt es sich wohl um ein Mißverständnis von Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 2;Kenney bezieht denn auch im folgenden die Position desselben, wonach eine Entstehungvor 630auszuschließen sein dürfte.

30 Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 1; Kenney S. 282; Zitation: Irische Kanonensamm-lung XXV,3; 4 S. 77f.

31 So im Gegensatz zu dem frühen Ansatz bei Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 1, undBrunhölzl S. 191("um 700"): Kenney S. 250;Hughes, Sources S. 68;D. A. Binchy, Irish historyand Irish law, I, Stud. Hibemica 15(1975)S. 7-36; hier S. 30.

32 S. Kenney S. 248f.; Coccia S.359£.33 Hellmann a.a.D.; Kenney a.a.D.; nach ihm CPL. 1106:630---650.

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Hellmann hat seinerzeit die mehrfache Übereinstimmung zwischen der Kano-nensammlung und Pseudo-Cyprian aus der gemeinsamen Benutzung einer gro-ßen Sentenzensammlung, die noch in jüngeren Ableitungen vorliegt, erklärt;seine Nachweise halten einer Prüfung nicht stand, doch lassen sich m. E. durch-schlagende Grunde für seine Erklärung anführen34; außerdem aber hat er in dem

34 Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. Sf.; im Anschluß daran Kenney S. 282 und an diesenByrne, Seventh Century Documents 5.173. Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. Sf. sieht folgendeTextgegenüberstellung als ausschlaggebend an: Irische Kanonensammlung XXI, 19: Dominusin Evangelio: vos estis sal terrae; quodsi sal evanuerit, in quo salietur? Hieronimus ait: quodsidoctor errauerit, in (so Wasserschieben) quo doctore emendabitur - Pseudo-Cyprianus S. 33Z. 10ff.: Quodsi sal evanuerit, in quo salietur? Hoc est, si doctor erraueru, a quo iterum doctoreemendabitur? Er betont, in der Verbindung Zitat aus Matthäus und unmittelbar folgendeErklärung stünden die Stellen nicht nur in der Kanonensammlung und bei Pseudo-Cyprian,sondern auch im Kommentar des Hieronymus, auf den beide zurückgingen; da die Kano-nensammlung noch den nächsten Satz aus Hieronymus hinzufüge, könne sie die Stelle nichtaus Pseudo-Cyprian haben, sondern beide müßten unabhängig voneinander aus derselbenQuelle, Hieronymus oder eher einer diesen enthaltenden Sentenzensammlung geschöpfthaben. Wie falsch dies ist, erhellt aus folgendem Vergleich:Matth. V, 13: Vos estis sal terrae: quod si sal evanuerit, in quo salietur? Ad nihilum valet ultra, nisi

ut mittatur [oras et conculcetur ab hominibus.Hieronymus: Comment. in Eu. Math., Cc. st. 77, edd. D. Hurst-M. Adriaen (1969), I s. 26:

Vos estis sal terrae. Sal appellantur apostoli quia per illos uniuersum hominum conditur genus.Quod si sal euanuerit, in quo salietur? Si doctor errauerii, quo alio doctore emendabitur? Adnihilum ualet ultra nisi ut mittatur [oras et conculcetur ab hominibus.

Pseudo-Cyprianus S. 33 Z. 10ff.: Quodsi sal evanuerit, in quo salietur? Hoc est, si doctorerraoerii, a quo iterum doctore emendabitur? ... (5. 34 Z. 4f.) et serous qui domini sui volunta-tem intelligens non facit, acrioribus et gravioribus vindictis vapulabit (vgl. Luc. XII, 47 f.: Illeautem serous, qui cognovit voluntatem domini sui et non praeparavit et non fecit secundumvoluntatem eius, vapulabit multis; qui autem non cognovit et fecit digna plagis vapulabit paucis)

Irische Kanonensammlung XXI, 19 S. 68 a. Dominus in Evangelio: Vos estis sal terrae, quodsi salevanuerit, in quo salietur? b. Hieronimus ait: Quodsi doctor erraverit, in quo doctore emen-dabitur?

Ebd. XXXVIII 6a-<. s. 143 a. In evangelio: Quod si sal evanuerit in quo salietur? Ad nihilumutile, nisi ut mittatur foras et concutietur pedibus. b. Hieronimus: Quod si doctor erraverit, inquo doctor emendabitur? c. Item: Serous, qui scit voluntatem domini sui et non facit, multisvapulabitur plagis.

Es folgt also in dem von Hellmann gebrachten Stück der Kanonensammiung nicht nur über-haupt kein weiterer Satz aus Hieronymus, vielmehr ist die entscheidende Parallele zuPseudo-Cyprian die zuletzt zitierte Hibernensisstelle: Hierbei ist es die von Hellmann nichtgesehene Gemeinsamkeit in der unterschiedlich benutzten Lukasstelle, die den Schluß aufeine von Hieronymus unabhängige gemeinsame Vorlage zwingend macht. Hierbei dürfte essich in der Tat um die von Hellmann angenommene Sentenzensammlung handeln. Aus ihrerBenutzung erkläre ich auch die weiter als von Hellmann bemerkt gehende Parallele Pseudo-Cyprianus s. 53 Z. 16ff.: Decimus abusionis gradus est episcopus neglegens, qui gradus suihonorem inter homines requirit, sed ministerii sui dignitatem coram Deo, pro quo legatione fungi-tur, non custodit. Primum namque ab episcopo quid sui nominis dignitas tenet inquiratur- IrischeKanonensammlung XI, 1 s. 30 a. Hieronimus ait: Qllicumque dignitatem gradus divini noncustodivit, contentus fiat animam suam salvare; reverti autem in eundem gradum, nescio, an nonDeus scit. b. Patricius episcopus dicit: Qui sub gradu peccat, debet excommunicari, quia magna est

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einen erörterten Fall die direkte Benutzung Pseudo-Cyprians durch die Kanonen-sammlung angenommerr".Ist nach dem oben Ausgeführten über die Form der Textbeziehung bei der

Wiedergabe der 9. abusio nicht zumindest schon rein methodisch die Möglichkeitzu bedenken, daß die Hibernensis nicht Pseudo-Cyprian direkt zitiert, sondernwie er auf die Sentenzensammlung zurückgeht? Die Frage erscheint um soberechtigter, als Textbestandteile der 9. abusio, die sich nur in der Kanonen-sammlung finden, in späteren Zeugnissen, bei Alkuin und Nithard, begegnen, alssich an der oben erwähnten Stelle bei Cathwulf, wo ebenfalls Patricius als Autorgenannt ist, al1enfal1s eine sehr freie Version Pseudo-Cyprians findet, als dieTextbeziehungen zwischen der 9. abusie des anonymen Traktats und der Kano-nensammlung nach Ausweis unserer vorletzten Anmerkung wohl auf die Benut-zung einer gemeinsamen Sentenzensammlung zurückzuführen sind und als nachHellmann, der freilich in diesem Punkt nicht ganz frei von Widerspruch ist, ein-schlägige Exzerpte in der Sammlung K, die in das Collectaneurn des SeduliusScottus eingefügt ist, ebenfalls aus der Sentenzensammlung stammen sollen".

dignitas hujus nominis ... sowie die Entsprechungen Pseudo-Cyprianus S. 46 Z. 12ff.: Quiigitur mundum praesentem ex quacumque causa contendit, perspicue ostenditur quod ilium diligit- Irische Kanonensammlung XXXV, 14 S. 128: Sinodus Consulentis: Hi, qui contendunt qua-cunque ex causa, ... und Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 14f.: supra se modo plagali in ilia futurapoena habebit - Irische Kanonensammlung XLVII, 17 S. 202 b. Gregorius: Pro mensura peccatierit et plagarum modus ... (Entsprechungen vermerkt bei Hellmann. Pseudo-Cyprianus s. 6und Apparat; kaum Parallelen gegeben sind an den von ihm noch vermerkten Stellen:Pseudo-Cyprianus s. 46 Z. 4f. - Irische Kanonensammlung XLII, 4 5.163; Pseudo-Cypria-nus S. 52 Z. 9 - Irische Kanonensammlung LXIII, 1 S. 230). Ich füge hinzu Pseudo-Cypria-nus S. 43 Z. I1ff. - Irische Kanonensammlung XXXVII, 25 S. 138 (Anspielung auf das gleichebiblische Exemplum im selben thematischen Zusammenhang; gleiches Bibelzitat auchPseudo-Cyprianus S. 54 Z. 13ff. - Irische Kanonensammlung XL, 1 S. 153; Pseudo-Cypria-nus S. 55 Z. Sf. - Irische Kanonensammlung XLVI, 4 S. 186); Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 12ff.(5. Irische Kanonensammlung XXV, 4 S. 77): Furta cohibere, adulteria punire, ... parricidas etperiurantes vivere non sinere ... magorum. - Irische Kanonensammlung XLIV, 8 S. 177: furescum fuTtis, adulteri et perjuri et precones et magi; Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 9f. (5. IrischeKanonensammlung a.a.O. S. 77£.): serenitas mans, ... , spes futurae beatitudinis - IrischeKanonensammlung XXI, 8 S. 64 serenitas presentium, meditatio [uturorum; Pseudo-CyprianusS. 53 Z. 11f£. Attamen seiat rex quod sicut in throno hominum primus constitutus est, sic et inpoenis, si iustitiam non fecerit, primatum habiturus est. Omnes namque quoscumuue peccatoressub se in praesenti habuit, supra se modo plagali in ilia futura poena habebit - Irische Kanonen-sammlung XXV, 6 5. 78: Quantam dignitatem acceperii rex, tantum timorem habere debet, muliaeenim mulieres animam ejus depravant, et animus ejus multitudine uxorum divisus maxime inpeccatum labitur. - Zur Ableitung der Kanonensammlung aus einer großen Sentenzen-sammlung s. S. Hellmann. Sedulius Scottus (Quellen und Untersuchungen zur lateinischenPhilologie des Mittelalters 1,1), München 1906, S. 139ff.; Kenney S. 249.

35 Hellmann. Pseudo-Cyprianus 5.1 (im Anschluß an A.W. Haddan-W. Stubbs, Councilsand Ecclesiastical Documents Relating to Great Britain and Ireland, 11, 2, Oxford 1878, S. 327)und S.10; Kenney S. 282; Byme, Seventh Century Documents a.a.O.

36 Zu Alkuin, Nithard und Cathwulf s. u. Zu Sedulius Scottus s. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 17 "der Ire Sedulius Scottus ... verwendet sie (die Abusiva sc.) in seinem Liber

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Vor allem weil die angedeutete Möglichkeit weitreichende Konsequenzenhaben könnte, etwa die, daß dann eine sowohl in der Hibemensis als auch imCollectaneum des Sedulius Scottus greifbare Erstfassung des Pseudo-Cyprian, diezeitlich vor das Werk in seiner überkommenen Form und vor die Hibemensisgehörte, möglicherweise anzunehmen wäre und daß dann folglich die von derhandschriftlichen Überlieferung gebotene Textform jünger als die der Kanonen-sammlung sein könnte, erscheint eine eingehendere Prüfung der Frage geboten.

Um diese durchzuführen, setzen wir zunächst die einschlägigen Stellen ausPseudo-Cyprian und der Sammlung K des Sedulius Scottus nebeneinander".

Pseudo-Cyprianus,5. abusio, S. 40 Z. 15f£.Quintus abusionis gradus est [emina sinepudicitia. Sicut enim omnes mores bonosprocurat et custodit in viris prudeniia, sicet in feminis cunctos honestos actus nutritet fovet et custodit pudicitia. Pudicitianamque castitatem custodit, avaritiam re-frenat, lites devitat, iras miiigai, libidinemoccupat, cupiditatem temperat, lasciviamcastigat, ebrietatem cavet, verba non mu 1-tiplicai, gulae concupiscentias oppugnat,furtum omnino damnat; quid plura, omniavitia restringit et omnes virtutes et quic-quid coram Deo et hominibus bonis lauda-bile est nutrit. Impudica namque vita neelaudem ab hominibus in praesenti saeculonec remuneraiionem a Deo expectat in fu-turo; pudica vero vita [amam bonam inter

Kf. 250r 1

Impudica uita nec laudem ab hominibus inpraesenti saeculo nee remunerationem adeo exspectat in [uiuro. Pudicitia namquecastitatem custodit. Lites deuitat. Irasmiiigat. Libidinem reprimii, cupiditatemtemperat. Lasciuiam castigat. Gule concu-piscentiam obpugnai, uerba non multi-plicat.

de rectoribus christianis und trägt zahlreiche Stellen, die er wohl in einer von der Stammut-ter der Irischen Kanonensammlung abgeleiteten Sammlung antraf, in sein Kollektaneumein"; für den ersten Teil seiner Ausführungen verweist Hellmann auf seine Ausgabe desLiber de rectoribus christianis, in: Sedulius Scottus S. 1-91; hier S. 26, und gibt dort zumeinschlägigen Passus Z. Hf. im Apparat die Variante aus K (zu dieser Sammlung s. Hel/-mann, Sedulius Scottus S. 96); Pseudo-Cyprianus S. 28 Anm. 1 und ders., Sedulius ScottusS. 102 ("der Traktat Oe XII abusivis saeculi geht in der Sammlung der irischen Canones unterdem Namen des Patricius, Sedul [K) zitiert ihn als augustinisch") setzt er Pseudo-Cyprian-fassung und Fassung in K auf eine Stufe. Zum Collectaneum des Sedulius Scottus s.L. Traube, 0 Roma nobilis, Philologische Untersuchungen aus dem Mittelalter, Abh. Mün-chen 19,2, 1891, S. 364ff.; Hellmann. Sedulius Scottus S. 92ff.; Manitius 1 S. 320ff.; E. Hohl,Reste einer Handschrift des Kollektaneums des Sedulius Scottus in Paris, Rhein. Mus. 69(1914) S. 580--584; Kenney S. 566; Brunhölzl S. 452.

37 Benennung und Beschreibung der Sammlung bei Hellmann. Sedulius Scottus S. 96;überliefert ist sie im Collectaneum des Sedulius Scottus: Codex Cusanus Nr. 52, f. 248"2 - 254'. Zum CoUectaneum s. Anm. 36.

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homines possidet et de spe futurae beatitu-dinis gaudet, praesentibus semet ipsamimitabilem facit, posteris memoriam ama-bilem relinquit, bonis semper moribus de-lectatur et consentit et assiduis scripiura-rum meditationibus et eloquiis ani mum fi-git, bonorum praecedentium exempla cus-todit et inseparabilia perfectis contubernianectit. Duobus ergo modis constat veraepudicitiae exercitatio, id est corporis habi-tu et superficie et animi affectu interne,Per exteriorem modum iuxta apostolumcoram hominibus exempla, per interioremcoram Deo providemus opera bona. Pudi-citia namque corporis est alienas res nonappeiere, omnem immunditiam deoiiare,ante horam congruam non gustare uelle,risum non excitare, verba vana et [alsanon loqui, habitum per omnia ordinatumproposiioque convenientem tarn capillo-rum quam vestium sicut decet habere, cumindignis contubemia non in ire, supercilia-so intuitu neminem aspicere, vagari ocu-los non permiiiere, pompatico et illecebro-so gressu non incedere, nullo inferiorem incoepto bono opere apparere, nulli con-tumeliam aut ruborem incutere, neminemblasphemare, senes non irridere, meliorinon coniraoersari, de his quae ignores noniraciare, eiiam quae scis non omnia pro-ferre.Die sich ergebenden Textbeziehungen sind derart, daß die Überlegung, SeduliusScottus könne seine Exzerpte aus der vorliegenden Form der Abusiva gemachthaben, wohl als unberechtigt erscheint und man eher an eine gemeinsame Vor-lage (Sentenzensammlung) denken möchte, der K wohl näher steht und der-gegenüber der anonyme Verfasser des Traktats Erweiterungen vorgenommenhaben dürfte".

Duobus modis constant uere pudicitie ex-ercitio hoc est corporis habitus et animiaffectus (verb. aus effectus). Pudicitianamque corporis est alienas res non appe-tere omnem inmundiciam deuiiare, antehoram congruam non gusiare non uellerisum Uerba uana et falsa non proferre~ (!) habitum per omnia ordinatumsicut decet habere. Cum indignis con tu-bernia non inire occulos uagari non mitte-re nulli contumeliam incutere. Intueri nondebet quod concupisci non licet.

38 Daß Sedulius nicht von der abusio ausgegangen sein und der Traktatverfasser eineErweiterung gegenüber seiner Vorlage vorgenommen haben dürfte, erhellt m.E. aus derGegenüberstellung:Pseudo-Cyprian: Kverba vana et falsa non loqui (5. 41 Z. 18) ... Uerba uana et falsa non proferreetiam si seis non omnia projerre (5. 42 Z. 6)

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Der Textvergleich zwischenPseudo-Cyprianus,6. abusio, S. 43 Z. 14ff.Tria ergo necessaria hos qui dominantuthabere oporiei, terrorem scilicet, et ordi-nationem et amorem; nisi enim ametur do-minus pariier et metuatur, ordinatio illiusconsiare minime poterit; per beneficia er-go et affabilitatem procuret ut diligatur, etper iustas vindictas non propriae iniuriae,sed legis Dei studeat ut metuatur.

undKf. 254r 1Tria necessaria omnis dominus in se habe-re debet. Terrorem scilicet et ordinaiionematque amorem. Nisi enim amet pariter etmetuatur ordinatio illius constare minimepoterit. Per beneficium ergo et affabilita-tem curet ut diligatur, et per iusias uindic-tas, non proprie iniurie, sed lege dei stude-at ut meiuaiur.

bringt zunächst einige Schwierigkeiten mit sich. Auf der einen Seite bestehtÜbereinstimmung, was den Umfang des Ausschnitts angeht, mit einem Zitat, dasSedulius Scottus in seinem "Lib er de rectoribus christianis" anführt. Es hat alsoganz den Anschein, als ob Sedulius Scottus sich hier, wie auch sonst häufig, denAuszug für seine Verwendung im Fürstenspiegel angefertigt habe". Um so über-raschter stellt man andererseits fest, daß die Stelle im Fürstenspiegel zweimal mitder Fassung in der 6. abusio Pseudo-Cyprians gegen den Wortlaut des Exzerptszusammengeht. Doch ist es hier, wie ein genauer Vergleich zeigt, so gut wiesicher, daß die Abweichungen in K auf spätere Abschreiber zurückgehen. Dasbedeutet, daß Sedulius Scottus sich in seinem Fürstenspiegel seines Exzerpts in Kbedient. Nach der Art der gegebenen Textbeziehung wäre es sowohl möglich, daßSedulius Scottus den K-Abschnitt zwar direkt aus Pseudo-Cyprian, aber auch,daß er ihn aus einer Vorlage dazu entnommen haben könnte4o• Mit anderen Wor-ten: es ergibt sich von hierher kein Schluß, der unserem Ergebnis nach dem ersten

Man kann sich kaum vorstellen, daß K aus dem abusio-Text die versio difficilior hergestellthätte, vielmehr ist anzunehmen, daß in der Vorlage verba vana non proferre stand, wasPseudo-Cyprian erweiterte. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß Pseudo-CyprianusS. 41 Z. 7Impudica namque vita in den meisten und den ältesten Codices namque fehlt. Ohnenamque stand dies wahrscheinlich in der Vorlage, so bietet es aber auch K. Für Erweiterungdurch Pseudo-Cyprian spricht ferner, daß Pseudo-Cyprianus S. 41 Z. 12ff. eine Reprise vonebd. Z. 2ff. ist. Ebenfalls dafür könnte man anführen, daß K das Reihungsglied pompatico etillecebroso gressu non incedere (Pseudo-Cyprianus S. 42 Z. 2f.), dessen Herleitung aus demCyprian zugeschriebenen Werke "Oe laude martyrii", ed. W. Hartei, S. Thasci CaeciliiCypriani opera omnia, CSEL.III (1871)S. 2~52; hier S.45Z. 6bekannt ist, nicht hat.

39 Liber de rectoribus christianis S. 26 Z. Hf.: Quem decet trinam observare regulam,terrorem et ordinationem atque amorem; nisi enim ametur pariter et meiuatur, ordinatio illiusconstare minime potent. Ergo per beneficia et affabilitatem procuret ut diligatur, et per iustasvindictas non propriae iniuriae, sed legi Dei studeat ut metuaiur. Zur Verwendung der Collecta-neumexzerpte s. Traube S.364ff.;Hellmann. Sedulius Scottus S. 14£.

40 Insofern (s. Anm. 36) ist Hellmanns Annahme (Pseudo-Cyprianus S. 17), Seduliushabe die Stelle des .Liber de rectoribus" aus den Abusiva, die Exzerpte (in K) aus einerSammlung (s. aber die damit nicht in Einklang stehenden Ausführungen Pseudo-Cyprianus5.28 Anm. 1; Sedulius Scottus S. 102u. 201),zu berichtigen.

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Textvergleich widerspricht, ja in seiner Konsequenz ist als wahrscheinlichereMöglichkeit zu betrachten, daß Sedulius seinen Auszug aus einer Vorlage derAbusiva nahm.Eindeutig erhärtet wird dies durch die dritte und letzte Textparallele.

Pseudo-Cyprianus,2. abusio, S. 35Z. lOff. Kf.252V2Cavendae sunt ergo homini duae particu-lae, quae in illius came non veterescunt ettotum hominem ad peccandum pertra-hunt, cor videlicet et lingua, quia cor no-vas semper cogitationes machinari nondesinii, lingua impigre loquitur quodcum-que cor machinari senserit.

Wie beim ersten Vergleich, im Grunde noch zwingender als dort, ergibt sichnämlich der Schluß, daß Sedulius Scottus für seine Sammlung eine andere Vorlageals den Traktatabschnitt hatte, eine andere Textstufe als er bietet. Auch wenn derIre bei der Herstellung seiner Exzerptensammlung oft frei verfuhr'", ist wohlkaum in Betracht zu ziehen, daß er ad peccandum zu ad transgressionem mandatorumveränderte.Unsere bisherigen Untersuchungen lassen sich dahingehend zusammenfassen,

daß Sedulius Scottus seine Exzerpte in K nicht dem auf uns gekommenen Abu-siva-Traktat entnommen hat, daß er eine andere und wohl frühere Textstufe als erbietet, da er der gemeinsamen Quelle wohl näher steht. Diese Quelle, so ist wei-terzuführen, stellt dann jene Sentenzensammlung dar, auf deren Existenz, wiebereits bemerkt, geschlossen worden ist. Die Ungereimtheiten, die nach Hell-manns Angaben zum Verhältnis von Pseudo-Cyprian zur Sammlung und von derSammlung zum "Liber de rectoribus christianis" noch blieben, sind nach denoben durchgeführten Detailuntersuchungen beseitigt. In unseren Blick tretendamit einige klar bestimmte Textelemente aus der Sammlung, die bei der Redak-tion der .Duodecim abusiva" herangezogen wurden42•

Dies festzustellen, heißt aber, nun konkret die Frage anzuschließen, ob auch diein der Hibemensis überlieferte Patriciusfassung in toto eine solche frühere Text-stufe, wie sie nach schon Ausgeführtem bei anderen Textberührungen zwischenPseudo-Cyprian und Hibemensis, namentlich auch bei denen der 9. abusio undmanchen Partien der Hibemensis, faßbar wird, und damit eventuell mittelbareoder unmittelbare Verwandtschaft mit der in K festgestellten erkennen läßt. Fer-

Cauende sunt homini duo particule quaein nullius came ueterescunt et totum se-cum hominem ad transgression em manda-torum pertrahunt cor uidelicet et linguaquia cor frequenter machinari persenserit.

41 S. die Bemerkungen bei Hellmann, Sedulius Scottus S. 114f.42 K f. 252v 2 ist im Anschluß an die oben zitierte Stelle mit Qui ergo sapiens esse

semper de futura saeculo cogitet ... , eine Thematik angeschnitten, die möglicherweise, auchwenn keine direkten Textentsprechungen vorliegen, auf dieselbe Vorlage wie die 1. abusiosapiens sine operibus (Pseudo-Cyprianus S. 32 Z. lOff.) zurückgeht.

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ner muß man im Anschluß daran unter Berücksichtigung weiterer oben genannterDaten (Zitat bei Cathwulf und Alkuin) die Frage dahin zuspitzen, ob sich mög-licherweise als Folgerung ergibt, zwischen den beiden Fassungen der 9. abusiobrauche nicht ein sowohl unmittelbarer als auch mittelbarer, sondern lediglich einindirekter Zusammenhang zu bestehen. Die schon mehrfach erwähnten Ver-gleichsstellen aus Pseudo-Cyprian und der Hibernensis lauten:

Pseudo-Cyprianus,9. abusio, 5. 51 Z. 3ff.Nonus abusionis gradus est rex iniquus.Quem cum iniquorum correctorem esseoportuii, licet in semei ipso nominis suidignitatem non custodit. Nomen enim re-gis intellectualiter hoc reiinet, ut subiectisomnibus reetoris officium procuret. Sedqualiter alios corrigere poterit qui pro-prios mores ne iniqui sint non corrigit?Quoniam in iustitia regis exaltatur soliumet in veritate solidantut gubernacula po-pulorum. lustitia vera regis est nemineminiusie per poieniiam opprimere, sine ac-ceptione personarum inter virum et proxi-mum suum iudicare, aduenis et pupillis etviduis defensorem esse, furta cohibere,adulteria punire, iniquos non exaliare, im-pudicos et striones non nutrire, impios deterra perdere, parricidas et periuranies vi-uere non sinere, ecclesias dejendere, pau-peres elemosynis alere, iustos super regninegoiia consiituere, senes et sapienies etsobrios consiliarios habere, magorum ethariolorum et pythonissarum superstitio-nibus non iniendere, iracundiam differre,patriam fortiter et iuste contra aduersariosdefendere, per omnia in Deo conjidere,prosperitatibus animum non eleoare,cuncta adversaria patienter [etre, fidemcatholicam in Deum habere, filios suosnon sinere impie agere, ceriis horis oraiio-nibus insistere, ante horos congruas nongustare cibum. Vae enim terrae, cuius rexest puer et cuius principes mane come-dunt. Haec regni prosperitatem in prae-

Irische Kanonensammlung XXV,3;45.77f.Cap. 3. De eo, quod malorum regum operadestruantur.

Patricius: Nonus abusionis gradus estrex iniquus. Cum aliorum rector non vultesse in semetipso, nominis sui dignitatemnon custodit; nomen enim regis hoc reti-net, ut subjectis omnibus rectoris officiumprocurei, sed qualiter alios corrigere pot-est, qui proprios mores, ne iniqui sini,non corrigit? lniquitas iniqui regis pacempopulorum disrumpit, offendicula regnosuscitat, terrarum fructus demit, servitiapopuli impedit, carorum mortes praepa-rat, hostium incursus in provincias conci-tat, undique bestias quadrupedum dilace-ratione inouietai, tempestates aerias sus-dtat, terrarum fecunditatem, marisqueministeria prohibet, fulmina succendii, ar-borum exurii flares, fructus immaturos de-jicit, non solum praesentis imperii fademsuffuscat, sed etiam filios et nepotes, neregni hereditatem obiineani, obscurat.Propter piacula regum, Saul et Jeroboam,Achab et ceierorum, semina eorum ne reg-narent, exiinxii Deus.

Cap. 4. De eo, quod bonorum regum operaaedificent.

a. Patricius: Justitia vera regis justihaec est: Neminem injuste judicare, adve-nis et viduis et pupil/is defensorem esse,furta cohibere, adulteria punire, impudi-cos et histriones non nutrire, iniquos nonexaltare, impios de terra perdere, parrici-

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senii faciunt et regem ad caelesiia regnameliora perducunt.

Qui vera regnum secundum hanc legemnon dispensat, multas nimirum aduersiia-tes imperii tolerat. Idcirco enim saepe paxpopulorum rumpitur et offendicula etiamde regno susciianiur, terrarum quoquefructus diminuuntur et servitia populo-rum praepediuniur, multi et varii doloresprosperitatem regni inficiunt, carorum etliberorum mortes tristitiam conferunt, hos-tium incursus prouincias undique vas-iani, besiiae armentorum et pecorum gre-ges dilacerant, tempestates aeris et hiemis-peria turbata terrarum fecunditatem etmaris ministeria prohibent et aliquandofulminum ictus segetes et arborum flareset pampinos exurunt. Super omnia veraregis iniustitia non solum praesentis impe-rii faciem [uscai, sed etiam filios suos etnepotes, ne post se regni hereditatem iene-ant, obscurai. Propter piaculum enim Sa-lomonis regnum domus lsrahel Dominusde manibus filiorum eius dispersit, etpropter iustitiam David regis lucemam desemine eius semper in Hierusalem reliquit.Ecce quantum iustitia regis saeculo valet,intuentibus perspicue patet.

Pax populorum est, tutamen patriae,munitas plebis, munimentum gentis, curalanguorum, gaudium hominum, temperiesaeris, serenitas maris, terrae [ecundiias,solacium pauperum, hereditas filiorum etsibimet ipsi spes futurae beatitudinis. At-tamen sciat rex quod sicut in throno ho-minum primus constitutus est, sic et inpoenis, si iustitiam non [ecerii, primatumhabiturus est. Omnes namque quoscum-que peccatores sub se in praesenti habuit,supra se modo plagali in illa futura poenahabebit.

das et periuranies vivere non sinere, ec-clesias deiendere, pauperes elemosinis ale-re, justos super regni negotia consiituere,senes sapientes et sobrios consiliarios ha-bere, magorum et pythonissarum et augu-riorum superstitionibus non iniendere, pa-triam fortiter et juste contra adversariosdeiendere, per omnia in Deo conjidere, deprosperiiatibus animum non eleuare,cuneta adoersa patienter [erre, fidem ea-tholicam in Deum habere, filios suos impieagere non sinere, certis horis orationibusinsistere, ante horas congruas non sumerecibum. Justitia regis pax populorum est,tutamen patriae, immuniias plebis, muni-mentum gentis, cura languorum, gaudiumhominum, temperies aeris, serenitas ma-ris, terrae [ecundiias, solatium pauperum,hereditas filiorum, spes futurae beaiitudi-nis, segetum habundantia, arborum [ecun-ditas.

b. Alibi legitur: Prosperitas regni est re-gis in misericordia et exaltatio nominisejus in largitate, longitudo dierum eius invera judicio est. c. Salomon: Misericordiaet veritas custodiunt regem et roboraturdementia thronus ejus.

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Auf weite Strecken gibt es kaum entscheidende Textdivergenzen. Die unter-schiedliche Verwendung von Aktiv und Passiv und die z. T. knappere Darstel-lungsweise in der Hibernensis liefern kein Kriterium, unsere Fragen zu entschei-den. Wesentlicher sind schon die Erweiterungen am Ende der beiden Canones; esmuß hervorgehoben werden, daß in vergleichbaren Fällen auf die Sentenzen-sammlung als gemeinsame Vorlage geschlossen wurde, und auch, daß es bezeich-nenderweise zu den Erweiterungen Reflexe bei Alkuin und Nithard gibt43• Nochwesentlicher ist, daß Alkuin in dem zitierten einschlägigen Brief nicht nur Über-einstimmung mit dem Textüberschuß der Hibernensisfassung aufweist, sondernauch an einer Stelle mit der gegenüber der Kanonensammlung erweiterten For-mulierung der .Duodecim abusiva" zusammengeht".

Von daher ergibt sich, daß es sich bei dem abusio-Text der Hibernensis nichtwie bei den Seduliusexzerpten um eine frühere Textstufe handeln kann, sonderndaß die beiden Vergleichstexte unabhängig voneinander auf eine gemeinsameVorlage der 9. abusio zurückgehen können, die dann Alkuin und wohl auchNithard vorgelegen hätte.

Vom Vergleich der abusiones-Texte her gelangen wir also indirekt auch wiederzu einer möglicherweise anzunehmenden früheren Textstufe; nach dem ebenGesagten erscheint sie wahrhaftig nicht mehr nur als Gegenstand methodischenKalküls. Gerade darum gilt es, sich die mit ihr verbundenen Konsequenzen zuvergegenwärtigen. Sie gehen dahin, daß durch die Hibernensis dann, da sieschon ein Werk von mindestens neun gradus kennt45, eine Erstfassung der Abu-siva bezeugt wäre, die - und um dies sind die Folgerungen nach der Untersu-chung der Seduliusexzerpte zu ergänzen - in Anbetracht der oben gezeigtenVerbindung zwischen der 9. abusio und der Kanonensammlung in engem

43 Alkuin, Epistolae MGH. Epp, IV, ed. E. Dümmler (1895) Nr. 18 5. 49ff.; hier S. 51Z. 29£. Legimus quoque, quod regis bonitas totius est gentis prosperitas, victoria exercitus, aerisiemperies, terrae habundantia, fWorum benedictio, sanitas piebis. Zu Alkuins Vorlagen s. Anton,Fürstenspiegel S. 104 ff. und u. S. 600 ff. Schon jetzt sei darauf hingewiesen, daß außer dortnur bei L. Wallach: Speculum 26 (1951) S. 707 (vg!. auch denselben, Alcuin and Charlemagne,Studies in Carolingian History and Literature [Comell Studies in Classical Philology 32J,Ithaca, New York 21968, S. 8 Anm. 14) bemerkt ist, Alkuin folge der Pseudo-Cyprianfassungder Hibemensis. - Nithard, Historiae, ed. E. Müller, MGH. 5S. rer. Germ. (1907) IV, 7 S. 50Z. 1f£.: Tunc ubique habundantia atoue leticia ... , illinc aeris intemperies spem omnium bonorumeripiebat.

44 In dem oben zitierten Alkuinbrief findet sich die Wendung: Regis est omnes iniquita-tes pietatis suae potentia obprimere; iustum esse in iudiciis (MGH. Epp. IV S. 51 Z. 19£.). Manvergleiche damit Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. lOf.: neminem iniuste per poteniiam opprimere,sine acceptione personarum inter virum et proximum suum iudicare und Irische Kanonensamm-lung XXV, 4 S. 77: Neminem injuste judicare. Hielte man nur die beiden letzten Stellennebeneinander, folgerte man wegen des Bezugs zu I. Petr. I, 17 die Priorität von Pseudo-Cyprianus.

45 Dies geht aus Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77 Nonus abusionis gradus est rexiniquus hervor.

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Zusammenhang mit der Sentenzensammlung zu sehen wäre": Sie dürfte, nehmenwir den Fall einmal als gegeben, im Gegensatz zu später unter dem Namen desPatricius gelaufen sein47• Unsere Erörterungen über den Terminus ante quemwären dann auf die Erst- oder Urform des Werkes zu beziehen, für die späterbeherrschend gewordene Fassung der "Duodecim abusiva" lieferte die Verwen-dung bei Pseudo-Beda im 8. Jahrhundert und ganz sicher die Zitation und hand-schriftliche Überlieferung des 9. Jahrhunderts den Terminus ante quem".

Doch wird man sich nach unserem Textvergleich und den daran anschließen-den Beobachtungen kaum schon mit letzter Entschiedenheit zu so weitreichendenFolgerungen, wie sie angedeutet wurden, berechtigt sehen. Weitere Klärungensind vielleicht möglich, wenn eine kritischen Erfordernissen genügende Editionder Hibernensis vorliegt. Jedenfalls ist es denkbar, daß die Besonderheiten der9. abusio in der Hibernensis auf deren freie, teils zusammenfassende, teils kom-mentierende Zitierweise zurückgehen. Ihre Version beruhte dann auf freier Ver-wertung des Traktats in der Form, die uns aus dem 9. Jahrhundert bezeugt ist, undstellte eine Art Nebenfassung dar, von der Alkuin und Nithard abhingen'",

Als Vorlagen für den Traktat sind mit Sicherheit nachzuweisen: die Vulgataund die Benediktregel, die das Aufbauschema lieferte, Isidors Etymologiae und

46 Zur Verbindung abusio 9 und Hibemensis und der gemeinsamen Vorlage s. Anm.34. Immerhin ist bemerkenswert, daß Sedulius Scottus in seinen Exzerpten unter demRubrum De regibus (K f. 250' 2) fast gar keine Gemeinsamkeiten mit dem Abschnitt rexiniquus hat.

47 Die Vertreter der Auffassung, daß die 9. abusio bei Pseudo-Cyprian und in derHibemensis identisch sei: Hel/mann, Pseudo-Cyprianus S. 1; Kenney S. 282; Byrne, SeventhCentury Documents S. 173, gingen davon aus, auch Cathwulf, MGH. Epp. IV S. 503, zitierePseudo-Cyprian unter dem Namen des Patricius. Daß dies nicht zu halten ist, ist dargelegtbei Anton, Fürstenspiegel S. 77fE. Auf den ersten Blick könnte Cathwulf als Zeuge für dieoben erschlossene Möglichkeit einer Erstfassung (Patricius) erscheinen. Doch ist dies sehrproblematisch; s. u. S. 599.

48 Pseudo-Beda, Excerptiones Patrum, Collectanea PL. 94, 539-560; hier 544 A: Fassungder 9. abusio. Zur chronologischen Einordnung dieses Werks und den Kontroversen darums. Kenney S. 680 sowie CPL. 1129. Zur ersten sicheren Zitation 829 und zur handschrift-lichen Überlieferung s. u. S. 608; 603. - Sehr gewagt wäre es, aus dem Faktum, daß dieSynode von Douzy (Man si XVI, 655 D; 656 D) und Hinkmarvon Reims (PL. 125,850 CID; 851C) offenbar gemeinsam eine gegenüber der handschriftlich überlieferten Form des Werksgekürzte Fassung der abusiones 11 und 12 haben und Hinkmar auch den 10. gradus (MignePl., 125, 771ff.) mit charakteristischer Textumstellung zitiert, darauf zu schließen, sie hätteneine abweichende Fassung besessen. - Können nach unseren Überlegungen die Duodecimabusiva auch aus späterer Redaktion der Erstfassung hervorgegangen sein, so ist doch inkeinem Fall die Vermutung von W. Mohr, Die karolingische Reichsidee (Aevum Chri-stianum 5), Münster 1962, S. 87 und Anm. 343 über eine möglicherweise im 9. Jahrhundertvorgenommene Überarbeitung der 9. abusio zu halten: ausgerechnet die Sätze, von denenMohr mit einiger Sicherheit annimmt, daß sie später zugefügt wurden, finden sich schon inder Hibemensis sowie in der Exzerptensammlung des Sedulius Scottus (K f. 250' 2).

49 Daß dann bei Alkuin u. U. eine Kontamination beider Fassungen anzunehmen ist,wird später erörtert, s. u. S. 601 u. Anm. 105.

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Sententiae'", der Cyprian zugeschriebene Traktat "Oe laude martyrii", dem unserWerk vielleicht seinen "Autor" verdankr", und Hieronymus, der, wie auch wahr-scheinlich andere der erwähnten Werke, aus einer Sentenzensammlung zitiertwird52• Aus der erwähnten Sammlung dürfte auch ein wohl auf Seneca zurückge-hendes Sprichwort stammen'". An einer Stelle der abusio pauper superbus sindmöglicherweise Augustin und Gregor d. Gr., eher aber noch Cassian die Vorlage54•

Wichtiger aber als diese kontinentale Beeinflussung ist das heimatlich-irischeKolorit, das in dem Traktat so charakteristisch hervortritt.

Und damit sind wir bei den Abschnitten des Traktats, die für seine spätereRezeption entscheidend wurden, den abusiones 9 (rex iniquus) und 6 (dominus sinevirtute)55.

50 Etymologiae: VII, 12, 12 - Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 20f.; vgl. Hellmann, Pseudo-Cyprianus 5.52 App.; IX, 3,4 - Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3ff. (s. Irische Kanonensamm-lung XXV,3 5.77); XIII,12,3 - Pseudo-Cyprianus S. 53Z. 8f. (s. Irische KanonensammlungXXV,4 S. 77f.); Sententiae Ill, 48, 7 PLo83, 719 AlB. Zur Benutzung auch der Sententiaeentgegen Bischoff, Die europäische Verbreitung S. 181Anm. 64, s. oben Anm. 26,wo darge-legt ist, daß Pseudo-Cyprianus S. 34Z. 3f. wohl eher auf Sent. III, 50,Sals Regula Benedicti11,30 S. 24 zuriickgeht; ohne weitere Diskussion sieht Anspach S. 328hier die Isidor-Benut-zung als vorliegend an. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 36 App. sieht noch eine Beziehungzwischen ebd. S. 36 Z. 6ff. und Isidor, De ecc1esiasticis officiis PLo83, 737--826, hier 783;doch ist diese nicht unbedingt gegeben. Anspach beriicksichtigt diese Stelle nicht, auchnicht die inhaltliche Parallele, die Hellmann (App.) weiterhin zwischen Pseudo-CyprianusS. 60 Z. 7f. und Isidor, De ortu et obitu patrum PLo83, 129-156, hier 154, annehmen zudürfen glaubt. Dafür schreibt er irrtümlich (s, schon Bischoff, Die europäische VerbreitungS. 181Anm. 64)die in Hellmanns Einleitung, Pseudo-Cyprianus S. 8 angeführten Stellen ausDe ecc1.off. in der Hibemensis auch den Duodecim abusiva zu. Zur Unhaltbarkeit seinerVermutung, Isidor sei bei Pseudo-Cyprianus 5. 36Z. 16ff.benutzt, s. unten Anm. 52.

51 Pseudo-Cyprianus S. 42Z. 2f. - De laude martyrii CSEL.IIIS.45; zur Zuschreibungdes Werkes an Cyprian möglicherweise aus dem angeführten Grund s. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 2lf.

52 Zu Pseudo-Cyprianus S. 33Z. 10ff. im Bezug zu Hieronymus, Commentarii in Euan-gelium Mathei Cc. SL. 77, S. 26, s. Anm. 34; Pseudo-Cyprianus S. 36 Z. 16ff. ist wegen desKontextes wohl mit Hieronymus, De perpetua virginitate Mariae, Migne PL. 23, 183--206,hier 197 Aff., und nicht mit Isidor, Et. IX, 6, 8 bzw. 5, IS, was Anspach S. 328f. für wahr-scheinlich hält, in Beziehung zu setzen.

53 Pseudo-Cyprianus S. 36 Z. 4ff. Unde et in proverbio apud veteres habetur, quod servirinequeat qui prius alicui servitutem praebere denegat. Vg!. Seneca, De ira 11,15, 4; s. dazuA. Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1890,5.295 f. Eine sprichwortartige Fassung des Gedankengangs auch bei Salonius, In parabolasSalomonis expositio mystica PL53,967-1012; hier 973CID.

54 Pseudo-Cyprianus S. 50 Z. 4ff. Non quibuscumque namque pauperibus caeli regna pro-mittuntur ... ; vg!. Augustin, Sermo 36 PL. 38, 215-221; hier 218; 221f.; Gregor, Regulapastoralis PLo77, 13--128; hier.52 C; Cassian, Conlationes, ed. M. Petschenig CSEL. XIII(1886)S. 690 mit der Wortparallele priventur - privari (Pseudo-Cyprianus S. 50 Z. 13). Zudem Passus über die tunica Christi (Pseudo-Cyprianus S. 58 Z. 1ff.; vg!. auch Irische Kano-nensammlung XLII, 21 S. 168) nennt Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 58 App. zu RechtAugustin und Cassiodor nur allgemein als Vergleichsautoren.

55 Vgl. dazu Ewig S. 37ff.; E. J. Buschmann, Ministerium Dei-Idoneitas, HJb. 82 (1963)S. 70-102; hier S. 100f.; Graus S. 351£.; Anton, Fürstenspiegel S. 68ff. Zu der abwegigen

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Im ersten der beiden Fälle ruckt durch die Qualifizierung des rex iniquus alsabusio saeculi der Hauptakzent auf die aequitas/iustitia, die, wie gleich zu zeigensein wird, für den Traktat die einzige Königstugend ist. Um zu ihr hinzuleiten.greift der Verfasser auf Isidors nüchterne Deutung des nomen regis zurück, um vondort in originaler Weitergestaltung der Rex-Etymologie zu einer Charakterisie-rung des Königtums als eines rectoris officium zu gelangen, das wie bei demSpanier nach innen auf die proprii mores und nach außen auf die subiecti bezogenwird56• Durch Verweis auf Ps. LXXXVIII, 17ff. bzw. Provo XVI, 12 wird die grund-sätzliche Prämisse nun mit der iustitia verknüpft. Als alleinige, äußerst weit gefä-cherte Königstugend - hier ist bereits ein markanter Unterschied zu IsidorsZusammenfassung der kontinentalen Tradition, nach der iustitia und pietas diebeiden virtutes regiae sind, zu bemerken - umfaßt die iustitia einen äußeren undeinen inneren Bereich. Dem ersten gehören die Bestellung guter Räte, die Einset-zung gerechter Männer im Reich, das gerechte Urteil ohne Ansehen der Person,der Schutz der Kirchen, der Fremden, der Witwen und Waisen, die Sorge für dieArmen, die Verteidigung des Landes, der Kampf gegen Diebstahl, Ehebruch,impieias, Zauberei, Verwandtenmord und Eidbruch an, dem zweiten die Forde-rung nach Selbstzucht, Gleichmut, Gelassenheit und der ihrerseits wieder weiterausgeführten Rechtgläubigkeit'". Klar ersichtlich stehen hier Postulate profan-heidnischer und betont christlicher Provenienz nebeneinander, und das sowohlarchaisch als auch biblisch geprägte Lohn- und Strafmotiv verknüpft passend denersten und zweiten Teil der abusio'". In der Konkretisierung der negativen Folgen

Annahme einer Überarbeitung der 9. abusio im 9. Jahrhundert bei Mohr S. 87 u. Anm. 343s.o. Anm. 48.

56 Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3ff. (5. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77): Nonusabusionis gradus est rex iniquus. Quem cum iniquorum correciorem esse oportuit, licet in semetipso nominis sui dignitatem non custodit. Nomen enim regis intellectualiter hoc retinet, ut subiectisomnibus rectoris officium procuret. Sed qualiter alios corrigere poterit qui proprios mores ne iniquisint non corrigit? Vgl. Isidor, Et. IX, 3, 4; Sent. Ill, 48, 7 PL 83, 719 AlB; zur Benutzung heiderIsidorstellen s. oben S. 574, Anm. 26; S. 586f. Zur Stelle vgl. Buschmann, Herrscheramt S. 46;Balogh S. 582; Ewig S. 39; Anton, Fürstenspiegel S. 68 u. Anm. 110; S. 390.

57 Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 9ff. (5. Irische Kanonensammlung XXV, 4 S. 77): Iustitiavero regis est neminem iniuste per poientiam opprimere, sine acceptione personarum inter virum etproximum suum iudicare, advenis et pupillis et viduis defensorem esse, furta cohibere, adulteriapunire, iniquos non exaltare, impudicos et striones non nutrire, impios de terra perdere, parricidaset periurantes vivere non sinere, ecclesias deiendere, pauperes elemosynis alere, iustos super regninegoiia constituere, senes et sapientes et sobrios consiliarios habere, magorum et hariolorum etpythonissarum superstitionibus non intendere, iracundiam dillerre, patriam fortiter et iuste contraadversarios defendere, per omnia in Deo confidere, prosperitatibus animum non eleoare, cunctaadversaria patienter [erre, fidem catholicam in Deum habere, filios suos non sinere impie agere,certis horis orationibus insistere, ante horas congruas non gustare cibum. Isidors Zusammenfas-sung: Et. IX, 3, 5.

58 Pseudo-Cyprianus 5.52 Z. 7ff. Haec regni prosperiiatem in praesenti faciunt et regem adcaelestia regna meliora perducunt. Qui vero regnum secundum hanc legem non dispensat, multasnimirum adversitates imperii tolerat. Den Versuch der Unterscheidung zwischen heidnischenund christlichen Bestandteilen macht Ewig S. 39f. (dazu kritisch O. Eberhardt, Via regia. Der

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für den Regenten bei Nichtbeachtung der iustitia - Bruch des inneren Friedens,Einbruch äußerer Feinde, Gefährdung der eigenen Königssippe und Naturkata-strophen aller Art59 - erscheint ein eigenartiges Korrelatverhältnis zwischenHerrschertugend, Volkssegen und Npturzeichen, dessen mythische Elemente beider Schilderung der positiven Auswirkungen Eeee quantum iustiiia regis saeeulovalet, intuentibus perspicue patet. Pax populorum est, tutamen patriae, munitas plebis,munimentum gentis, eura languorum, gaudium hominum, temperies aeris, serenitasmaris, terrae feeunditas, solaeium pauperum, hereditas filiorum et sibimet ipsi spes[uturae beatitudinis60 noch klarer hervortreten.

Aus alldem ist klar geworden, daß iustitia hier mehr als "Gerechtigkeit" meint,daß sie eher ein etwa mit den Begriffen .Rechtsein. rechtes, dem Begriff undWesen entsprechendes Verhalten" zu umschreibendes Spektrum von Verhaltens-normen und Vorstellungen umfaßt und wohl aus einem Deutungshorizontstammt, in dem iustitia und pietas (noch) nicht getrennt sind. Prägnant unterstri-chen wird dies am Schluß der abusio mit der Betonung der Verantwortung, diedem Herrscher für seine Untertanen vor Gott aufgetragen ist61•

Fürstenspiegel Smaragds von St. Mihiel und seine literarische Gattung [Münstersche Mittel-alter-Schriften 28), München 1977,Anm. 184 S. 464); etwas pointierter urteilt Buschmann,Ministerium S. 100 "Diese neue Fassung verdeutlicht die christliche Verarbeitung alter,magischer Bezüge, ... , und versucht, ihren heidnischen Gehalt durch den ethisch-religiösendes christlichen Herrscheramtes zu ersetzen."

59 Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 10ff. (s. Irische Kanonensammlung XXV,3 S. 77): ldcircoenim saepe pax populo rum rumpitur et offendicula etiam de regno suscitaniur, terrarum quoquefructus diminuuntur et seroitia populorum praepediuntur, multi et varii dolores prosperitatemregni inficiuni, carorum et liberorum mortes tristitiam conferunt, hostium incursus provinciasundique vastant, bestiae armentorum et pecorum greges dilacerani, tempestates aeris et hiemisperiaturbata terrarum [ecundiiatem et maris ministeria prohibent et aliquando fulminum ictus segetes etarberum flores et pampinos exurunt. Super omnia vero regis iniustitia non solum praesentis imperii[aciem fuscat, sed eiiam filios sues et nepotes, ne post se regni hereditatem ieneani, obscurat.Propter piaculum mim Salomonis regnum domus Israhel Dominus de manibus {iliorum eius dis-persit.

60 Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 5ff. (s. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77f.; wo[So78) noch hinzugefügt ist segetum habundantia, arberum {ecunditas). Zu den mythischenElementen s. Ewig S. 38mit dem Hinweis, spezifisch christlich seien nur solacium pauperumund spes futurae beatitudinis. Dort (Anm. 133)auch die Erwägung, munimentum gentis könnemöglicherweise mit Isidor, Et. IX,3, 18 "basileis = bases populorum" zusammenhängen.

61 Pseudo-Cyprianus S. 53Z. 11ff.: Attamen seiat rex quod sicut in throno hominum primusconstitutus est, sic et in poenis, si iustitiam non [ecerit, primatum habiturus est. Omnes namquequoscumque peccaiores sub se in praesenti habuit, supra se modo plagali in ilia futura poenahabebit. Nach dem Ausgeführten ergibt sich, daß Buschmann, Ministerium S. 100 "einebildstarke Schilderung des Segens ... , der von kluger Redlichkeit im Regentenamt auszuge-hen vermag, sowie ein Hinweis auf den Unsegen, den das unredlich ausgeübte Königsamtfrüher oder später für alle bedeutet, die ihm verhaftet sind", das Entscheidende verfehlt;Graus S. 352 spricht zutreffender vom "guten König", doch wird er mit seinem Urteil (ebd.)"Durch die Ausarbeitung des Typus des ,rex iustus' war zunächst ein theoretischer Maßstabgefunden, der es ermöglichte, das jeweilige Vorgehen der Hierarchie gegenüber dem Königzu rechtfertigen" wohl ebensowenig der Intention des Traktats gerecht wie dem Anteil von

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Daß das Bild des rex iniquus keinerlei Beziehung zum biblischen Negativexem-plum des orientalischen Großkönigs im Buch Samuel (I. Reg. VIII, 10-18) hat, istbemerkt worden, zugleich aber auch, daß die hier vorliegende "im Grunde magi-sche Vorstellung vom Königtum als Heilsträger im Gemeinschaftsleben der Men-schen wie der Natur ... durch eine tiefe Kluft von der ausgereiften christlichenKönigsidee im gotischen Spanien", an der man sich bei den Darlegungen zumnomen regis ja orientierte, getrennt wa~2. Ja, man kann noch weiter gehen: ImKontext der Vorstellungen vom germanischen Königsheilf wird zwar auch der

Augustin, Fulgentius. Gregor d.Gr. und Isidor (dazu s. H. H. Anton, Zum politischen Kon-zept karolingischer Synoden und zur karolingischen Brüdergemeinschaft, HJb. 99 [1979]5.55-132; hier S. 70f.; S. 73) an der Herausarbeitung des Modells.

62 Ewig S. 38f.63 Zu dem umstrittenen Komplex s. die Zusammenfassung bei J. de Vries, Altgermani-

sche Religionsgeschichte 1, Berlin 21956, S. 393ff. Hauptvertreter der Auffassung eines spezi-fisch germanischen Königsheils: W. Grimbech, Kultur und Religion der Germanen, Ham-burg 1937, S. 131ff. und O. Höfler, Das germanische Kontinuitätsproblem. HZ. 157 (1938)5.1-26; ders.,Germanisches Sakralkönigtum 1: Der Runenstein von Rök und die germani-sche Individualweihe, Tübingen/Münster/Köln 1952; ders., Zur Bestimmung mythischerElemente in der geschichtlichen Überlieferung, in: Festschrift O. Scheel: Beiträge zur deut-schen und nordischen Geschichte, Schleswig 1952, S. 9-27; ders., Der Sakralcharakter desgermanischen Königtums, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen,Vortrr. u. Forschgg. 3, Lindau/Konstanz 1956, S. 75-104. Unter den Historikern übernah-men, um nur einige zu nennen, die Vorstellung: H. Beumann, Widukind von Korvei. Unter-suchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts (Abhand-lungen über Corveyer Geschichtsschreibung 3 = Veröffentlichungen der Hist. Komm. desProvinzialinstituts für westfälische Landes- u. Volkskunde X, 3), Weimar 1950, S. 236;W. Schlesinger, Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsge-schichte, HZ. 176 (1953) S. 225-275; erg. in ders., Beiträge zur deutschen Verfassungsge-schichte des Mittelalters 1: Germanen, Franken, Deutsche, Göttingen 1963, S. 9-52,S. 335-338; hier S. 30f.; S. 32f.; ders., Über germanisches Heerkönigtum, in: Das Königtum... S. 105-141; erg. in ders., Beiträge ... 1, S. 53-87, S. 339-341; hier S. 79ff.; ders., DieAnfänge der deutschen Königswahl. ZRG. Germ. 66 (1948) S. 381-440; erg. in ders., Bei-träge ... 1, S. 139-192, S. 342-344; hier Anm. 87 S. 157f. u. S. 343f.; K. Hauck, Geblütsheilig-keit, in: Liber Floridus. Mittellateinische Studien P. Lehmarm zum 65. Geburtstag, St. Otti-lien 1950, S. 187-240; ders., Lebensnormen und Kultmythen in germanischen Stammes- undHerrschergenealogien, Saeculum 6 (1955) S. 186--223; ders., Die geschichtliche Bedeutungder germanischen Auffassung von Königtum und Adel, in: Rapports du XIe congres interna-tional des sciences historiques, Stockholm 1960, S. 9&--120; R. Wenskus, Stammesbildungund Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln/Wien 1961, S. 576ff.;ders., Probleme der germanisch-deutschen Verfassungs- und Sozialgeschichte im Lichte derEthnosoziologie, in: Historische Forschungen für W. Schlesinger, Köln/Wien 1974,S. 19-46; hier S. 43; K. Bosl, Die germanische Kontinuität im deutschen Mittelalter (Adel-König-Kirche), in: Miscellanea Medievalia. Veröffentlichungen des Themas-Instituts an derUniversität Köln, hg. von P. Wilpert unter Mitarbeit von W. P. Ecken, 1: Antike und Orientim Mittelalter, Berlin 1962, S. 1-25; Ndr. in: ders., Frühformen der Gesellschaft im mittelal-terlichen Europa, München/Wien 1964, S. 80--105; hier S. 82ff.; S. 92 und bes. S. 100ff.; ausder Sicht der Religionsgeschichte, der Germanistik und insbesondere der Skandinavistikwurde sie von W. Baetke, Christliches Lehngut in der Sagareligion, Ber. Leipzig 98, 6, Berlin1951, S. 7-55; hier S. 51ff.; ders., Yngvi und die Ynglinger. Eine quellenkritische Untersu-

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König mit Fruchtbarkeit und Segen der Natur in Verbindung gebracht, dochhandelt es sich hier wie im übrigen vergleichbaren Schrifttum des Frühmittelal-ters kaum je um jene spezielle Bezugsetzung, die wir in den .Duodecim abusiva"antrafen, nach der eine mit charakteristischer Terminologie belegte Verhaltens-norm des Herrschers besondere, gute oder schlechte, Wirkungen in der Naturhat64•

chung über das nordische "Sakralkönigtum" , SB. Leipzig 109, 3, Berlin 1964; H. Kuhn, AfdA.67 (1954) S. 51~1; DLZ. 74 (1953) S. 152, und K. von See, Kontinuitätstheorie und Sakral-theorie in der Germanenforschung, Frankfurt 1972, bestritten. Von seiten der Historikererhob prinzipiellen Widerspruch gegen sie Graus S. 313ff. In Auseinandersetzung mit ihm(und Baetke) kam H. Wolfram, Methodologische Fragen zur Kritik am "sakralen" Königtumgermanischer Stämme, in: Festschrift O. Höfler 2, Wien 1968,S. 473--490, zur Bejahung desgermanischen Königsheils. Einer gründlichen Untersuchung unterzog neuerdings das Pro-blem W. Kienast, Germanische Treue und "Königsheil", HZ. 227 (1978) S. 265-324. Aus denvon ihm angeführten Belegen (vor allem Ammianus Marcellinus XXVIII, 5, 4; Avitus vonVienne, ed. R. Peiper MGH. Auct. ant. VI, 2 [1883J S. 75£. [5. 282J; Beda Venerabilis, Historiaecclesiastica gentis Anglerum. ed. C. Plummer, Oxford 1896, Ill, 18, S. 162£. [5.219£.]; sowiePegauer Annalen, ed. G. H. Pertz MGH. SS. XVI [1859J 5. 232-270; hier 5.235 [5. 299f.)) gehtmit Deutlichkeit hervor, daß es zumindest Königsheilsvorstellungen bei den Germanen,womöglich also ein "germanisches Königsheil" gab.

64 Aus dem skandinavischen Material geht hervor, daß magische Kräfte in der Persondes Herrschers die Natur beeinflußten: s. die Belege bei R. von Kienle, Germanische Gemein-schaftsformen (Deutsches Ahnenerbe B 4), Stuttgart 1939, S. 285ff.; K. D. Schmidt, Germani-sche und germanisch-christliche Geschichtstheologie, Ev. Missionszs. 2 (1941), 5. 328-340;Ndr. in ders., Germanischer Glaube und Christentum, Göttingen 1948,5.37--47; hier 5.40£.;Hö{ler, Bestimmung mythischer Elemente S. 12; ders., Sakralcharakter s. 88£.; Schlesinger,Germanisches Heerkönigtum S. 79; Baetke, Yngvi S. 12£.; S. 25; E. Hoffmann, Die heiligenKönige bei den Angelsachsen und den skandinavischen Völkern. Königsheiliger undKönigshaus (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 69), Neumün-ster 1975, 5. 48; S. 75f.; S. 97f. In eine gewisse Nähe hierzu (s, von Kienle S. 286 und }.-M.Wallace-Hadrill, Early Germanic Kingship in England and on the Continent [Ford Lectures1970], Oxford 1971, S. 15, sowie Hauck, Geschichtliche Bedeutung S. 109ff.) scheint dieAmmianus Marcellinus-Stelle XXVIII,S, 14: Apud nos [BurgundiosJ generali nomine rex appel-latur Hendinos et ritu veteri potestate deposita remouetur, si sub eo fortuna titubaverit belli velsegetum copiam negaverit terra ... ; (s. hierzu auch Graus Anm. 121 S. 324; Wolfram 5. 476ft.;Kienast 5. 282) zu gehören. Möglicherweise gehen ähnliche Vorstellungen auch noch, wenn-gleich christliche Umprägung gegeben sein kann, aus den späteren Belegen zu Heinrich IV.hervor: Rangerius, Vita metrica S. Anselmi Lucensis episcopi, edd. E. Sackur, G. Schwartz,B. Schmeidler MGH. SS. XXX, 2 (1934) S. 1152-1307; hier S. 1256 v. 4777ff.; 5igebert vonGembloux, Chronica, ed. 1. C. Bethmann, MGH. 55. VI (1844) S. 300-374; hier S. 371£. (ZurKontroverse um die letzte Stelle s. Hauck, Geblütsheiligkeit S. 197 und im Anschluß an ihnBosl, Kontinuität S. 102; dagegen Graus Anm. 139 5. 328; von See 5. 46; zusammenfassendKienast S. 301£.). Unter den mir zugänglichen Belegen scheint am ehesten bei VenantiusFortunatus, Carmina MGH. Auct, ant. IV, 1, ed. F. Leo (1881), carm, VI, 2 De Charibercthorege 5. 131ff.; hier S. 132 v. 41ff. omnia laeta canunt felicia tempora regis, / cuius in auspiciis{loret opima quies, / per quem tranquille terrarum [rugis abundat: / devotis populis est iua vitaseges (vgl. hierzu H. Fichtenau, Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkun-denformeIn (MIÖG.Erg.-Bd. 18J, Graz/Köln 1957, 5. 67ff.) eine gewisse Parallele zu denDuodecim abusiva gegeben, die späte ebenfalls einschlägige Stelle in den Annales Pather-brunnenses, ed. P. Scheffer-Boichorst, Innsbruck 1870, S. 165 (dazu s. Schlesinger, Königswahl

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Dagegen ist diese markante Bezugsetzung in dem volkssprachigen irischenTecosca-Schrifttum, den Spruchtraktaten und Fürstenspiegeln gegeben, vondenen der früheste bis in 7./8. Jahrhundert zurückgeht, die aber alle, da sie oftältere Traditionen bewahren, hier Beachtung verdienen'f. Zumindest die frühe-sten spiegeln ein paganes Milieu, das durch den Glauben an die magische Kraftvon ffr (truth; righteousness) und seinem Gegenteil go geprägt ist66. Als dasbeherrschende Prinzip hat es denn auch Eingang gefunden in das hier einschlä-gige Schrifttum, namentlich in den in zwei Versionen überlieferten Traktat"Audacht Morand", von denen die ältere, auf etwa 700 zurückgehende nochdurchgehend heidnisch ausgerichtet ist, die etwas jüngere schon christlicheZusätze zeigt67; man hat ihn neuerdings pointiert als ersten Fürstenspiegel West-

Anm. 87 S. 158; Kienast S. 303) ist wegen bezeichnenden Wortanklangs (aeris iempetie ...terrae [ertiliuüe) vielleicht von Pseudo-Cyprian abhängig. - Zum Fehlen des in unseremTraktat aufgezeigten Korrelatverhältnisses bei den Angelsachsen s. Kienast S. 291f. (zu Cath-wulf und Alkuin s.u. S. 597ff.), im merowingischen Frankenreich s. Graus S. 328.Die besteZusammenstellung des Materials zu dem Thema Sakra1königtum findet sich in dem Sam-melband: La regalitä sacra. Contributi al tema dell' VIII congresso intemazionale di storiadelle religioni, Roma aprile 1955(Studies in the History of Religions 4), Leiden 1959.

65 Zu den Fürstenspiegeln und Traktaten s. Smith, The Speculum Principum; H. M. undN. K. Chadwick, The Growth of Literature 1, Cambridge 1932,S. 393ft. Im einzelnen handeltes sich um folgende Texte: Audacht Morand, ed. R. Thurneysen, Morands Fürstenspiegel,ZCP. 11 (1917) S. 5~106; S. 308; F. Kelly, Audacht Morainn (The Dublin Institute forAdvanced Studies), Dublin 1976;Tecosca Cormaic, ed. K. Meyer, The Instructions of KingCormac mac Airt (Todd Lecture Series 15),Dublin 1909;Advice to a prince, ed. T. O'Donog-hue, Eriu 9 (1921/23)S. 43-54; Briathartecosc Conculaind, ed. R. M. Smith, ZCP. 15 (1925)S. 187-192; Tecosc Cuscraid, ed. R. I. Best, The Battle of Airtech, Eriu 8 (1920),S. 170-190;hier S. 173; 180f.; Cert Cech Rig Co Reil, ed. T. O'Donoghue, in: Miscellany presented toK. Meyer, S. 258 ft.; Finssruth Fithil, ed. R. M. Smith, Rev. Celt. 45 (1928)S. 1-92; 47 (1930)S. 30-38; 48 (1931)S. 325-331; Alphabet of Cuigne mac Emoin, ed. R. M. Smith, ZCP. 17(1928)S. 45-72; Triads of Ireland.

66 Vgl. M. Dillon, The Archaism of Irish Tradition, Proc. Brit. Academy 33 (1947) 6,S. 245-264; hier S. 247ft. (besondere Betonung des Konnexes mit indischen Vorstellungen)und nun besonders H. Wagner, Studies in the Origins of Early Celtic Civilisation I.Old IrishFir "truth, oath", in: ders., Studies in the Origins of the Celts and of Early Celtic Civilisation,Belfast/Tübingen 1971,S. 1--45.

67 Thurneysen hielt zunächst die Version A für die ältere und edierte sie ZCP. 11 (1917)(Verbesserungsvorschläge dazu bei E. J. Gwynn, Audacht Morainn, Hermathena 42 [1920]S. 88-95), wurde aber dann von J. Pokorny, Zu Morands Fürstenspiegel, ZCP. 13 (1921)S. 43--46, korrigiert und schloß sich dessen Ergebnis von der Priorität von B (ebd. S. 298f.)voll überzeugt an. Die ältere Fassung liegt seit kurzem in der kritischen Edition von F.Kellyvor, der von der jüngeren eine Ausgabe im Anhang gibt. Zum Fehlen des christlichenEinflusses in der älteren Fassung s. Smith, The Speculum Principum S. 443; D. A. Binchy,Bretha Dein Checht, Eriu 20 (1966)S. 1~; hier S. 3f.; Kelly S. XlVf. Zum Zusammenhangmit aus Munster kommenden "Law tracts" im Rahmen einer gleichen "poetico-legal school"s. D. A. Binchy, Bretha Nemed, Eriu 17 (1955)S. 4--6; ders., The date and provenance ofUraicecht Bee,Eriu 18(1958)S. 44-54; danach Byrne, Irish Kings S. 174£.Als Beweis für diefrühe Verchristlichung von in Verbindung mit dem Tecosca-Schrifttum stehenden Textenkann vielleicht das auf das frühe 7. Jahrhundert datierbare Werk Aipgitir Cräbaid, ed.

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europas bezeichner", Als fir flathemon, firinne flatha bzw. go flathemon stellt es dortden mit "the prince's truth, the just rule of righteous king" bzw. "the injustice,falsehood of the prince" wiedergegebenen umfassenden Normbegriff dar, an demdie Herrschaft des Königs sich auszurichten hat und an dem sie gemessen wird",was noch durch seine häufige Wiederholung in den vergleichbaren anderen Wer-ken, in Gesetzestexten und durch die Tatsache, daß es möglicherweise bei derHerrschererhebung Gegenstand der königlichen Professio war, eindrucksvollunterstrichen wird7o•

Es ist jetzt schon zu betonen, daß, indem hier eine Eigenschaft oder Norm, dieauch nicht einfach mit "Gerechtigkeit" übersetzt werden kann, sondern "dasgesamte richtige Benehmen des Fürsten einschließt"?", erscheint, offenbar einAnalogon zu aequitas/iustitia in den .Duodecim abusiva" gegeben ist, daß aequi-tas/iustitia, nach der hier von Isidor übernommenen Rex-Definition die Wesens-bestimmung des Königs, wohl das entsprechende, aber aus anderer Denktradi-tion hergeleitete inhaltliche Moment wiedergeben soH72• Ganz evident wird derZusammenhang, sieht man, was schon angedeutet wurde, auf die Wirkungen, diefir flathemon und sein Gegenteil beim Herrscher selbst, beim Volk und in Natur-phänomenen zeigen'". Allgemein gesehen ist dies durchaus schon", doch sind

K. Meyer, Mitteilungen aus irischen Handschriften, ZCP. 3 (1901) S. 447--455 (dazu s.V. Hull, The date of Aipgitir Cräbaid, ebd. 25 [1956]S. 88-90) angeführt werden: s. Byrne,Seventh Century Documents S. 166.

68 So Binchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship S. 9; ferner Byrne, Seventh CenturyDocuments S. 166, der nach dem "forerunner" Audacht Morand das Fürstenspiegel-Genredurch den Iren Sedulius Scottus in Europa eingeführt sein läßt (ähnlich dets., Irish KingsS. 24ff.) und auch Kelly S. XV. Ohne weitere Begründung zieht Eberhardt S. 289f. u.ö. inseiner globalen Untersuchung des Genres nur Tecosca Cormaic als Vertreter der altirischenFürstenspiegel heran.

69 Die Übersetzungen bei Binchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship S. 10; vgl. zurSache ebd.; ferner Dillon S. 250f.; Byrne, Seventh Century Documents S. 166; ders., IrishKings S. 24f.; Kelly S. XVII. Schon eine bloße Reihung der Stellen in Audacht Morand, andenen die Begriffe verwandt sind, macht ihre beherrschende Bedeutung klar. Rezension B:§§ 6; 7; 12-21; 23-28; 51; 54; 56; 59; 63. Rezension A: §§ 3; 5-26; 28f.; 47; 49; 55.

70 Aus den übrigen Texten nenne ich: Tecosca Cormaic §§ 1, 7; 10; 33; 35; 45; 6, 1; 22;31; 32; 19, 16; 17; Advice to a prince §§ 8; 15; 37; Briathartecosc Conculaind § 35; TecoscCuscraid S. 173; 180; Alphabet of Cuigne mac Emoin § 68; Triads of Ireland §§ 186; (201;244); zu g6 flathemon s. auch besonders den bei Smith, The Speculum Principum S. 440 undBinchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship S. 10zitierten Gesetzestext: Ancient Laws IV, 52,2.Zur Professio bei der Herrschaftsinauguration s. Kelly S. XIV.

71 S. Thurneysen, Morands Fürstenspiegel S. 99 Anm. 4: ",Die Gerechtigkeit des Herr-schers' ist wohl keine volle Übersetzung von ffr flathemon, das das gesamte richtige Beneh-men des Fürsten einschließt, wobei allerdings die Gerechtigkeit obenan steht." S. hierzuWagner § 10S. 8.

72 Vg!.Byrne, Seventh Century Documents S. 173;Kelly S.XV.73 Dazu allgemein: M. Draak, Some Aspects of Kingship in Pagan Ireland, in: La rega-

litä sacra S. 651--663; hier S. 653;657;66Of.74 Pointierte Herausstellung bei Byrne, Seventh Century Documents S. 173; vgl. die

sehr allgemeinen Beobachtungen bei Ewig S.38f. und Anton, Fürstenspiegel S.69.

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hier besonders nach Kelly's Urteil "that the two traditions have much in common,though there is nothing which would imply influence in either direction=" einekurze Präzisierung und ein spezieller Vergleich nötig.

Es ergibt sich dabei, daß die negativoder positiv formulierten Abschnitte inPseudo-Cyprian über die Folgen für Frieden und Bestand des Reiches", für dieAbwehr von Feinden", für Witterung, Fruchtbarkeit und Viehbestand" sowie fürdie Sicherung der eigenen Herrschaft und der eigenen Königssippe" eine allge-meinere Fassung von in der Tecosca-Literatur, vor allem bei "Audacht Morand",in sehr spezieller und betont archaisch anschaulicher Diktion und Bildhaftigkeitausgeführten Partien sind. So sehr man daher nur unterstreichen kann, daß einedirekte Beziehung zwischen Pseudo-Cyprian und den frühesten volkssprachigen

75 Kelly S. XV; direkter sieht die Beziehung Wallace-Hadrill Anm. 42 S. 56 im Anschlußan Binchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship 5. 9 zu Audacht Morand "Its contents stronglysuggest that Pseudo-Cyprian ... had access to it, or to other material like it."

76 Pseudo-Cyprianus 5. 52 Z. 10ff. (s. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77): ldcircoenim saepe pax populorum rumpitur et oftendicula etiam de regno suscitantur, terrarum quoquefructus diminuuniur et servitia populorum praepediuniur, multi et varii dolores prosperitateminficiunt; ... ebd. Z. 18 fulminum ictus; S. 53 Z. 7£. (s.lrische Kanonensammlung XXV, 4 S. 77):Pax populorum est, tutamen patriae, munitas plebis, munimentum gentis, cura languorum, gau-dium hominum - Audacht Morand B § 12 (A § lOb) Tell him, it is through the justice of the rulerthat plagues and great lightnings are kept from the people; B § 14 (A § 13) It is through the justiceof the ruler that he secures peace, tranquillity, joy, ease, and comfort; s. auch Ancient Laws IV,52.

77 Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 15 (s. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77): hostiumincursus provincias undique vastant; S. 53 Z. 7f. (s. Irische Kanonensammlung XXV, 4 5.77):tutamen patriae, muniias plebis, munimentum gentis - Audacht Morand B § 15 (A § 11) It isthrough the justice of the ruler that he dispatches (great) battalions to the borders of hostileneighbours; s. auch A §55 sowie Advice to a prince § 37 und Ancient Laws IV, 52.

78 Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 11ft. (s. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77): tempes-tates aeris et hiemisperia turbata terrarum fecunditatem et maris minisieria prohibent et aliquando[ulminum ictus segetes et arborum flores et pampinos exuruni; Irische Kanonensammlung S. 78(zusätzlich) segetum habundantia, arborum fecunditas; Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 8f. (5. IrischeKanonensammlung XXV, 4 S. 77): temperies aeris - Audacht Morand B § 17 (A § 16) It isthrough the justice of the ruler that abundances of great tree-fruit of the great wood are tasted;B § 19 (A § 15): It is through the justice of the ruler that there is abundance of every high, tall corn;B §20 (A § 23) It is through the justice of the ruler that abundance of fish swim in streams; s. auchA §§ 14; 22 und besonders § 25, ferner Tecosca Cormaic § 1, 19; 22ft. (s. dazu EberhardtS. 417); Advice to a prince § 37; Ancient Laws IV, 52 sowie The Colloquy of the Two Sages,ed. W. Stokes, Rev. Celt. 26 (1905) S. 4--64; § 199; Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 15£. (5. IrischeKanonensammlung XXV, 3 S. 77): bestiae armentorum et pecorum greges dilacerant - AudachtMorand B § 18 It is through the justice of the ruler that milk-yields of great cattle are maintained;§ 27 (A § 18) It is through the justice of the ruler that enclosures of protection of cattle {andl ofevery produce extend; s. auch A §28 and Ancient Laws IV, 52.

79 Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 19f£. (s. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77) -Audacht Morand A § 52; s. auch Alphabet of Cuigne mac Emoin § 68; Pseudo-CyprianusS. 53 Z. 10 (s. Irische Kanonensammlung XXV, 4 S. 78) hereditas filiorum - Audacht Morand B§ 21 It is through the justice of the ruler that fair children are begotten; s. A §29 und bes. § 38.

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Fürstenspiegeln nicht gegeben sein mag, so deutlich ist aber auch geworden, wiesehr beide dasselbe geistige Milieu spiegeln.

Die Differenzen zwischen den beiden Texten treten dort zutage, wo die Inhaltevon ffr flathemon und iustitia! aequitas positiv gefaßt werden. Im Gegensatz zurältesten Fassung von "Audacht Morand8o" sind hier Berührungen zu der jünge-ren, christianisierten Form dieses Traktats und den späteren Texten eher ge-geben".

Mit der sowohl heidnisch-profanen als auch christlichen Prägung der Herr-scherpflichten stehen die "Duodecim abusiva" in einer gewissen Nähe zu weite-ren irischen oder anscheinend irischen Texten in lateinischer Sprache: zu deririschen oder doch irisch beeinflußten Sentenzensammlung .Proverbia Gre-corum", die möglicherweise ins 6. Jahrhundert zurückreichr'" und - bezeichnen-derweise - als Gegenbild zu dem Idealherrscher des rex iustus et pacificus den reximpius et iniquus kennt'", sowie zu einer weiteren allem Anschein nach aus derHibemensis erschließbaren und unter dem Namen des Hieronymus laufendenSammlung, die im Verhältnis zu ihnen ein eindeutig höheres Maß an Verchristli-chung aufweist'",

Neben der 9. abusio hat die 6. (dominus sine virtute) die stärksten Nachwirkun-gen gehabt. Der Grund dafür ist, daß man schon ab dem 9. Jahrhundert, offenbarbei Ermoldus Nigellus, vielleicht auch bei Sedulius Scottus, mit Sicherheit aberbei Hinkmar von Reims, weil man spezifisch irische Institutionen und ihre

80 Audacht Morand B§§ 23; 48; 51; 55;59.81 Man vergleiche etwa Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 4f. (s. Irische Kanonensammlung

XXV,4 S. 77) fidem caiholicam in Deum habere und Audacht Morand A §§ 56 und 57. Zu demseltsamen Relikt dort § 43 s. Smith, The Speculum Principum S. 443. Vg!. ferner Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 17 (s. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77) senes et sepienies et sobriosconsiliarios habere - Tecosca Cormaic §3, 49; Briathartecosc Conculaind §§ 25; 26; Advice toa prince §23. Zu Pseudo-Cyprianus S. 51Z. 17£.(s. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77)magorum et hariolorum et pythonissarum superstitionibus non intendere s. die möglichen Ver-gleichstexte bei Smith, The Speculum Principum S. 441f. Ferner können verglichen werdenPseudo-Cyprianus S.51Z. 12(s. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77)advenis et pupillis etviduis defensorem esse - Tecosca Cormaic § 6, 28f.: let him give true judgments, let him feedevery orphan (problematisch zurTecosca-Stelle Eberhardt Anm. 184S. 464);§§ 12,Hf.; 19, 11;Pseudo-Cyprianus S. 51Z. 13 (5. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77)adulteria punire-Advice to a prince §35; Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 15 (s. Irische Kanonensammlung XXV,4S. 77)ecclesias defendere - Advice to a prince § 17.

82 Eingehende Untersuchung und Edition bei S. Hellmann, Sedulius Scottus S. 121ff.;zum Alter ebd. S. 135; s. Kenney S. 566f.; CPt. 1130; inhaltliche Interpretation bei Anton,Fürstenspiegel S. 66£.

83 Hellmann, Sedulius Scottus S. 128Nr. 64; S. 131Nr. 6; S. 128Nr. 63. Neben einer imwesentlichen nichtchristlichen Königsethik (S. 131 Nr. 5) findet sich auch der heidnisch-christliche Synkretismus: ebd. S. 125Nr. 42 = S. 130Nr. 4 und S. 131Nr. 8 sowie ebd. S. 130Nr. 2: Octo columnae ... iusti regis sufferunt; die betont mythische Vorstellungswelt im Ver-gleich des Herrschers mit Naturphänomenen: S. 124Nr. 30;S. 131Nr. 8; S. 129f.Nr. 1.

84 Vg!. dazu Anton, Fürstenspiegel S. 73. Als Zeugnisse sind besonders zu nennen:Irische Kanonensammlung S.81 c. 15(= K f. 253v 2); S. 81f. c. 17;S.82c. 18.

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Benennungen (dominus; princeps) nicht (mehr) verstand, nicht mehr sehen konnte,daß es hier nicht um den großen weltlichen Herrn, sondern, wie oben gezeigt, umden Abt, den geistlichen Führer geht85• Im Anschluß daran erblickte man in derneueren Literatur hier eine Ergänzung der 9. abusio, indem man eine Art Königs-spiegel oder doch eine prononcierte Formulierung des dem großen Herrn zukom-menden Ethos gegeben glaubte'",

Die spezielle inhaltliche Ausrichtung der 6. abusio einerseits, ihr Zuschnitt aufden Abt, der insbesondere im Fehlen jeden mythischen Elements - für die gän-gige Interpretation ein einigermaßen erstaunliches Phänomen" - und in derBetonung der persönlichen Frömmigkeit zum Ausdruck kommt, zum and ern aberauch die Tatsache, daß man - besonders bei Struktur und Aufbau der irischenKirche folgerichtig - vom Abt terror, ordinatio und amor als unerläßliche Voraus-setzungen zur Amtsführung verlangt, was dann auch noch scheinbar mit einerKönigstypologie aus dem Alten Testament belegt ist, daß dem dominus virtus undfortitudo zugeordnet sind, und daß in gewisser Analogie zur irischen Kanonen-sammlung hier die Grundaussage des paulinischen Römerbriefs zu Herrschaftund Gewalt zitiert ist, die man beim rex-Kapitel vergeblich suchr", dies alles hat

85 6. abusio: Pseudo-Cyprianus S. 43 Z. Sff. Zu Ermoldus Nigellus s. S. 606f. SeduliusScottus zitiert einen Ausschnitt Tria necessaria - metuatur in seinem Collectaneum K f. 254' 1unter dem Rubrum De regibus und appliziert ihn auch im Liber de rectoribus christianis (c.2, Hellmann. Sedulius Scottus 5.26 Z. lff.) auf den König. Doch ist (5. S. 581£.; Anm. 42; 46),wenn es auch wahrscheinlich ist, so doch nicht ganz klar, ob der Passus sich schon in derSammlung, die Sedulius vorlag, in einem Kapitel über den Abt fand. Bei Hinkmar vonReims ist die 6. abusio ausdrücklich sowohl auf den König und jede weltliche Herrschaft(Fragment DA. 32 [1976] S. 191£.; PL 125,992 B/C; 1012 Aff.) wie auf den hohen weltlichenAmtsträger allein (MGH. Capit. Il S. 521 c. 10) bezogen; s. zum Letzten auch Hellmann,Pseudo-Cyprianus S. 24. - Bei Fertigstellung des Manuskripts lag die neue Edition Hink-mar, De ordine palatii, edd. Th. Gross - R. Schiefter MGH. Fontes iuris (1980) noch nicht vor;diese Bemerkung auch zu Anm. 145; 146; 150; 151; 152; 153; 155.

86 Unter die Vorläufer der Königsspiegel rechnet das Kapitel Hellmann. Sedulius Scot-tus S. 1 u. Anm. 5; Kenney 5.281 übersetzt "the nobleman without virtue". Noch weiter aufdiesem Weg ging Ewig S. 4Of., der im rex und dominus bei Pseudo-Cyprian gar den germani-schen Kategorien des rex (sakraler Stammeskönig) und des princeps (-dux> (GefolgsherrlHeerkönig) weitgehend entsprechende Verfassungsgegebenheiten erkennen zu könnensich für berechtigt hielt; s. dagegen aber schon Wallace-Hadrill 5.56 Anm. 44, der freilich ander Prämisse, die 6. abusio stelle zu einem geringen Teil einen "mirror of princes" dar,festhält. In engem Zusammenhang mit den Ermahnungen an den König sieht die 6. abusioauch Graus Anm. 273 S. 352, im Anschluß an Ewig, aber mit vorsichtigerer Formulierung istsie zur Herrenethik gezählt bei Anion, Fürstenspiegel S. 70.

87 Registriert bei Ewig S. 40; Anton, Fürstenspiegel S. 70.88 Betonung der drei Eigenschaften: Pseudo-Cyprianus 5.43 Z. 13ff. Tria ergo necessaria

hos qui dominantur habere oportet, terrorem scilicet et ordinationem et amOTem;nisi enim ameturdominus pariter et metuaiur, ordinatio illius constare minime poterit; per beneficia ergo et affabili-taiem procuret ut diligatur, et per iustas vindictas non propriae iniuriae, sed legis Dei studeat utmeiuaiur (s. dazu die höchst kombinatorischen Erklärungen bei Ewig S. 41); Hervorhebungder persönlichen Frömmigkeit: Pseudo-Cyprianus S. 44 Z. 3ff. Propterea quoque dum multi

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in unmittelbarem Zusammenhang mit der erwähnten Fehlinterpretation der Ter-mini dominus und princeps dazu beigetragen, daß die 6. abusio im skizzierten Sinnrezipiert und interpretiert wurde.Die Verbreitung des Traktats erfolgte zunächst durch die Iren selbst und beson-

ders auch durch die Angelsachsen. Zitiert ist er gleich mehrfach in dem merkwür-digen pseudo-bedanischen ColIectaneum, das wohl auf das 8. Jahrhundertzurückgeht und in dem man spezifisch irische Färbung erkannt haf!9, Bonifatiusverwendet die 9. abusio, wobei verständlicherweise die heidnisch-mythischenElemente weggelassen sind, zur Paränese für den König Aethelbald von Mer-cien90; schon seit langem bestand weitgehende Einigkeit darüber, daß in der etwa

pendunt in eo, ipse Deo adhaerere debet qui ilium in ducatum constituit, qui ad portanda multorumonera ipsum veluti fortiorem solidauii. Paxillus enim nisi bene fixus firmiter alicui fortiori adhae-reat, omne quod in eo pendit cito labitur et ipse solutus a rigore suae firmitatis cum oneribus adterram delabitur, Sic et princeps nisi suo conditori pertinaciter adhaeserit, et ipse et omnis qui eiconsentit cito deperit. Quidam namque per dominandi officium plus Deo appropinquani, quidamimposito sibi dignitatis honore deteriores fiunt. Es folgt die "Typologie" Mose, Saul, Salomo,Jeroboam, bei der Ewig S. 41 Anm. 51 mit Hinweis auf die Funktion der Stelle über denHohenpriester Heli (Pseudo-Cyprianus S. 43Z. 11) schon auffiel, daß sie nichts mit Herren-ethik zu tun, sondern nur den Satz Quidam namque - deteriores fiunt (Pseudo-Cyprianus5.44 Z. 10ft.) zu belegen habe. - Zuordnung von virtus und fortitudo: Pseudo-CyprianusS. 45 Z. 8ff. Unde et dominus absque virtute fieri non debet, quam virtutem sine Dei auxi/ionullatenus habet. Qui eienim multa tueiur, si non habeat [ortitudinem, non valet id agete, quoniammagna magnis infestationibus et adversitatibus solent laborare. Daß die virtus klar auf dengeistlichen Herrn, den Abt, geht, erhellt aus Pseudo-Cyprianus S. 43 Z. 7ff.: Sed hic virtutisrigor non tam exteriori fortitudine, quae et ipsa saecularibus dominis necessaria est, indiget quamanimi interiorem fortitudinem per bonos mores exercere debet. - Rom. XIII, 1 Non est enimpotestas nisi a Deo steht am Ende der abusio: Pseudo-Cyprianus S. 45 Z. 16; zur analogenPlazierung in der Hibernensis s. Irische Kanonensammlung XXIV(De dominatu et subjec-iione), 4 5.76.

89 Pseudo-Beda, Excerptiones Patrum, Collectanea PL. 94, 544A: Definition der iustitiaregis aus der 9. abusio = Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 5ff.; PL. 94, 544AlB: Auszug aus der2. abusio = Pseudo-Cyprianus S. 34 Z. 15ff.; PL. 94,545 CID: Aufzählung der Duodecimabusiva = Pseudo-Cyprianus S. 32 Z. 2££.Zur chronologischen Einordnung dieses Werksund den Kontroversen darum s. CPL. 1129.Zögernd in der Zuweisung an Irland Hellmann.Sedulius Scottus S. 99f.; bestimmter Kenney S. 680. Während es bei CPL. heißt "Origohibernica, siue, ut Mario Esposito magis placet, anglosaxonica", konstatiert Bischof!, Dasgriechische Element Anm. 10S. 248 "ln den pseudo-bedanischen Collectaneen, einem Sam-melwerk mit spezifisch irischer Färbung".

90 Bonifatiushriefe, ed. M. Tangl MGH. Epp. sel. I (1916)Nr. 73S. 147Z. 15ff. (von 746/47): Audivimus enim, quod furta et iniquitates, periuria et rapinas fortiter prohibeas et defensorviduarum et pauperum esse dinosceris et pacem stabilitam in regno tuo habeas. M.E. ist dieÜbernahme von Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 9££.(s. Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77):Iustitia vero regis est ... advenis et pupillis et viduis defensorem esse, furta cohibere ... , iniquos nonexaltare, impudicos et striones non nutrire, impios de terra perdere, parricidas et periurantes viverenon sinere, ecclesias defendere, pauperes elemosynis alere hier deutlich, wie Anton, Fürstenspie-gel S. 74 eingehend dargelegt und bei A. Sprengler, Gebete fur den Herrscher im frühmittel-alterlichen Abendland und die verwandten Anschauungen im gleichzeitigen Schrifttum,Diss. theol. (masch.), Göttingen 1950,S. 123schon als Möglichkeit erwogen ist, während sie

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775 verfaßten Epistel des angelsächsischen Geistlichen Cathwulf an Karl d. Gr.91mit dem Passus Has ergo octo columnas si obnixae seruas, eris tunc rex ... et regnumtuum erit benedictum cum diebus tuis, cum uxore et filiis. Et tunc erit aeris et iempes-tatum tranquillitas, terre maris cum omnibus in eis nasceniibus [ecundiias, et dominabe-ris etiam multis feliciter gentibus et inimici tui ante faciem tuam cadent et reliqua. Econtra sicut dixit sanctus Patricius: Pro regis iniustitia sui ipsius infelicitas erit, uxorisfiliorum quoque dissensio, populorum [ames, pestileniia, infecunditas terre, maris quo-que tempestatibus fructus terrarum diversis percussis, et ab inimicis suis superatus etexpulsus de regn092', vor allem, da ja wie in der Hibernensis Patricius ausdrücklichgenannt werde, die 9. abusio Pseudo-Cyprians nach der Fassung, wie sie in denHandschriften ab dem 9. Jahrhundert überliefert ist, zitiert sei93• Allein Ewig wiesdarauf hin, daß der angelsächsische Verfasser Pseudo-Cyprian nicht wörtlichübernommen habe und, wenn er nicht aus dem Gedächtnis zitiere, eine vermit-telnde Quelle, am ehesten ein irischer Kanon, anzunehmen sei94• Ich selbst habebei eingehender Untersuchung des Textes darauf hingewiesen, daß Cathwulfsowohl die positiven wie auch die negativen Herrschaftsfolgen in Bildern schil-dere, die inhaltliche Verwandtschaft mit Pseudo-Cyprian bzw. dem Patricius in

in der übrigen Literatur, in der die Relevanz des Briefes für die Entwicklung der Fürsten-spiegel herausgestellt (E. Booz, Fürstenspiegel des Mittelalters bis zur Scholastik, Diss. Frei-burg 1913, S. 13; L. K. Born, The Specula Principis of the Carolingian Renaissance, Rev.beige de Philol. et d'Hist. 12 [1933] S. 583----612;hier S. 588; Eberhardt Anm. 90 S. 300) bzw.seine Einordnung in die Entwicklung des angelsächsischen Königsgedankens resp. in dasPredigtanliegen des Bonifatius versucht (H. Vollrath-Reichelt, Königsgedanke und Königtumbei den Angelsachsen bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts [Kölner Hist. Abh. 19], KölnIWien1971, S. 31ff.; K. H. Krüger, Königskonversionen im 8. Jahrhundert, FMSt. 7 [1973]5.169-222; hier S. 191£.) wird, nicht gesehen ist. - In dem Rechtfertigungsschreiben, dasBonifatius an den Priester Herefrid folgen läßt, klingt der Passus (ep. Nr. 74 S. 156 Z. 13ff.)rogemus omnes commoniter supradictum regem, ut semet ipsum cum populo corrigai, ne tota genscum principe hie et in futuro pereat, sed ut vitam propriam emendando et corrigendo exemplis suisiierum geniem propriam ad viam salutis dirigat wiederum klar an Pseudo-Cyprianus S. 51Z. 3f£. (s. Irische Kanonensammlung XXV, 3 S. 77) an; s. Anton, Fürstenspiegel 5.74.

91 MGH. Epp. IV S. 501-505; zu Cathwulf s. Booz S. 13; Born S. 588; E. Riebet, DieBedeutung alttestamentlicher Vorstellungen für das Herrscherbild Karls des Großen undseines Hofkreises. Diss. (masch.) Tübingen 1949, S. 76ff.; Ewig S. 53ff.; G. Musca, Caratteri ecompiti del potere sovrano nella lettera di Catulfo a Carlo Magno, in: Critica storica 2,Messina 1963, S. 621-637; Anton, Fürstenspiegel S. 75ff.; Eberhardt S. 299f.; entsprechendden häufig divergierenden Auffassungen in der Frage, ob Cathwulf Ire (so noch KienastS. 293) oder Angelsachse war, ist diese Frage offengehalten bei Anton, Fürstenspiegel S. 75;doch besteht heute weitgehende Übereinstimmung, daß Cathwulf Angelsachse war:s. Musca S. 621; Vollrath-Reichelt S. 31; WalIace-Hadrill S. 99; Eberhardt Anm. 88 S. 300.

92 MGH. Epp. IV S. 503 Z. 36ff.93 So schon J. Waraeus in der Vorrede seiner Ausgabe der Werke des Patricius 1656;

nach ihm Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 1; Kenney S. 282; Rieber S. 83 mit (voreiliger) Kritikan dem Cathwulf-Editor Diimmler, weil er nichts mit dem Hinweis auf St. Patricius anzufan-gen wisse; Graus Anm. 141 S. 329 (Wallace-Hadrill S. 100£.); Byrne, Seventh Century Docu-ments S. 173.

94 Ewig S. 54 + Anm. 213.

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der Irischen Kanonensammlung zeigen, sich aber nur bei den schlechten Folgenausdrücklich auf Patricius berufe. Da sich weiter ergab, daß der Patricius zuge-schriebene Text so entscheidend von der bekannten (Pseudo-Cyprian-)Versionabweicht, lautete die Folgerung, daß die in der Literatur fast durchgehende Iden-tifizierung der Cathwulfschen Patriciusstelle mit Pseudo-Cyprian bzw. der Patri-cius-abusio in der Hibernensis als nicht erwiesen und nicht haltbar betrachtetwerden müsse. Da bei Cathwulf die beiden Teile betont parallel-antithetischzueinander aufgebaut seien, davon aber nur der zweite expressis verbis als demPatricius gehörig gekennzeichnet ist, könne gefolgert werden, daß sie nicht beidederselben Vorlage entnommen seien, daß vielmehr die zitierte Patriciusstelle zuden vielen dem irischen Nationalpatron zugeschriebenen Sentenzen gehöre undCathwulf den vorhergehenden positiven Passus unter Bezug auf diese Patricius-sentenz zusammenstellte, dabei freilich einige Wendungen Pseudo-Cyprian ent-lehnte und sie mit frei verwandten Bibelzitaten verknüpfte", Als Fazit war zuverzeichnen, daß Pseudo-Cyprian in dem Brief an Karl d. Gr. benutzt ist, nur nichtdort, wo man ihn in der Regel durch den expliziten Hinweis auf Patricius bezeugtfand; ein Fazit, das eine starke Bekräftigung insofern erfuhr, als wahrscheinlichgemacht werden konnte und kann, daß Cathwulf sich bei der Darlegung derHerrscheraufgaben eng mit Pseudo-Cyprian (bzw. seiner Erstfassung) berührt?".

Auch wenn oben die Möglichkeit in den Blick getreten ist, daß eine Erstfassungder Abusiva unter dem Namen des Patricius in Umlauf gewesen sein kann, sobleibt doch weiterhin zu betonen, daß die Cathwulfsche Patriciusversion sich vonder in der Irischen Kanonensammlung gebrachten so unterscheidet, daß im Sinneder vorgeführten Überlegungen weiter von verschiedenen Quellen auszugehenist und Cathwulf wohl kaum mit der möglichen Erstfassung in Verbindunggebracht werden, geschweige denn als Zeuge für eine solche Erstfassung erschei-nen kann. Es hat denn auch den Anschein, daß eine von Eberhardt herangezogeneund vage zu Pseudo-Cyprian und Alkuin in Beziehung gesetzte Stelle aus einemKapitular Karls d. Gr. wegen ihrer frappierenden Gemeinsamkeit mit Cathwulf imganzen und der darüber hinausgehenden Übereinstimmung mit Pseudo-Cyprianan einer Stelle nicht zu dem Schluß zwingt, beide gingen auf die oder eine Erstfas-

95 Anton, Fürstenspiegel S. 77f. S. besonders dort 5.78 Anm. 151mit der Angabe derPseudo-Cyprianstellen und der in Frage kommenden Bibelzitate. Daß et reliqua bei Cathwulfsich dann schlüssig auf die in der Vulgata folgenden nicht mehr zitierten Teile beziehen läßtund nicht etwa als Hinweis auf den Weitergang eines dem Briefautor vorliegenden Aus-schnitts (irische Quelle) zu verstehen ist, ist ebd. ausgeführt.

96 MGH. Epp. IV S. 504 Z. 11ff.: Maleficos, veneficos, iempestarios, strigas, phitonissas,fures, homicidas, maxime in ecclesiis Dei ... Iatrias, adulteros, rapaces, falsidicos in publico vel quifariatos frangunt, vel qui vendunt christianos in gentilitatem, periuratores maxime in ecclesia Deiet falsa moneta, decimas non reddenies, ecclesiarum spoliatores vel raptores; viduarum, pupil-larum, peregrinorum iniuria [atientes et raptores viduarum vel virginum et sanctaemonialiumstupra et omnia incesta. Vgl. Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 12ff. (s. Irische KanonensammlungXXV,4 5.77). Zu den Berührungen s. Ewig 5.54; Anton, Fürstenspiegel 5.78.

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sung der Abusiva zurück: in dem Kapitular können Cathwulf und Pseudo-Cyprian miteinander kombiniert sein".

Irischer Einfluß auf Alkuin ist eindeutig gegeben, doch gilt es, sich hier vorÜbertreibungen zu hüten98 und überhaupt stärker, als es meistens geschieht, zudifferenzieren.

In einem Brief des Jahres 793 an König Aethelred von Northumbrien und seineGroßen zeigt Alkuin sich in der positiven Ausführung der Herrscherpflichten anPseudo-Cyprians Iustitia-Definition orientiert. Dabei könnte aus der Besonder-heit der Textbeziehung hier und am Ende des Briefes mit der handschriftlichüberlieferten Fassung von Pseudo-Cyprian und der 9. abusio-Version in der Iri-schen Kanonensammlung, wie oben schon gezeigt, folgen, daß Alkuin eine Erst-form des Abusiva-Werkes vorlag. Doch dies ist hier nicht das Entscheidende,wichtig ist vielmehr, daß Alkuin iustitia nicht mehr wie die irische Vorlage alsalleinige Königstugend ansieht, sondern in der Tradition Isidors ihr die pietas andie Seite stellt99• Zwischen diesen Ausführungen über die Pflichten des Königsfindet sich ein Passus über die Folgen der guten Herrschaft für das Volk und fürdie Natur, der in der Forschung schon häufig erörtert wurde: Legimus quoque, quodregis bonitas totius est gentis prosperitas, victoria exercitus, aeris temperies, terraehabundantia, [iliorum benedictio, sanitas plebis. Magnum est totam regere gentem. Aregendo vero rex dicitur1OO• Man sah hier die Definition des germanischen Königs-heils101 bzw. eine Formulierung desselben auf dem Hintergrund alttestamentli-

97 Eberhardt 5.645 + Anm. 746.Mit Cathwulf MGH. Epp. IV5.503 Z. 36ff.vgl. Karoli adGhaerbaldum episcopum epistola 807 Nov.: MGH. Capit. I, ed. A. Boretius (1883)S. 244-246; hier 5.245 Z. 34ff.: conpertum habemus per fideles nostros, ... , quod insolito more etultra consuetum ubique terrae sterelitas esse et famis perieulum imminere videtur, aeri« etiamintemperies frugibus valde contraria, pestilentia quoque per loea, et paganorum gentium circamarcas nostras sedentia bella continua, ...

98 S. Anton, Fürstenspiegel S. 103 Anm. 161 gegen Wallach, A1cuin S. 13 im Fall vonMGH. Epp. IVNr. 121S. 175-178; hier S. 176Z. 16f.

99 A1kuinMGH. Epp. IV S. 51 Z. 19f£.: Regis est omnes iniquitates pietatis suae potentiaobprimere; iustum esse in iudiciis, pronum in misericordia .. , sobrium in moribus ... consiliarioshabere prudentes, Deum timenies. honestis moribus omatos. Z. 36ff. Similiter principes et iudicespopuli in iustitia et pietate populo praesint. Viduis, pupillis et miseris sint quasi patres; quiaaequitas principum populi est exaltatio. Ecclesiarum Christi sint defensores et tutores ... Vgl.Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 9ff. - Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77. Einige der Ent-sprechungen vermerkt Wallach, A1cuinS. 8f.; ausführlicher und Interpretation wie oben beiAnton, Fürstenspiegel S. 104;danach Wallace-Hadrill S. 105.

100 MGH. Epp. IVS. 51Z. 29ff.101 Schlesinger, Die Anfänge der deutschen Königswahl S. 157 Anm. 87; Hauck,

Geblütsheiligkeit S. 207;ders., Halsring und Ahnenstab als herrscherliche Würdezeichen, in:P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik 1 (Schriften der MGH. 13,I), Stuttgart1954,S. 181Anm. 174,wo allerdings angegeben ist, daß Alkuin seine Definition aus Pseudo-Cyprian zitiere; Eberhardt S. 571 gibt eine Art Harmonisierung, indem er hier ein Echo ausdem germanischen Bereich des Königsheils vernimmt und gleichzeitig von der ähnlichendurch die Duodecim abusiva repräsentierten irischen Tradition spricht.

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cher Cedanken'F, doch hielt man dem entgegen, daß Alkuin schon selbst mitseinem Legimus klarmache, daß er seine Ausführungen von anderen übernommenhabe, und dabei sei nicht an Germanisches zu denken, da eindeutig Pseudo-Cyprian103 oder auch nach anderer Aufassung vielleicht der "Ire" Cathwulf zitiertsei104•

Betrachtet man Alkuins Passus genau, so ergibt sich, daß er sich teils mit Cath-wulfs Ausführungen, teils mit der 9. abusio in der Hibernensisfassung, wobeiaber wohl auch Anklänge an die "normale" Fassung der abusio vorliegen,berührt. Da Alkuin aber Isidors Rex-Definition in dem mit der entsprechendenCathwulfstelle verwandten Kontext anführt, denkt er bei seinem Vermerk Legimusquoque sicher zunächst an Cathwulf, kombiniert aber bei dem ihm geläufigenfreien Zitieren seine Vorlage mit der gemeinsamen Quelle, der 9. abusio. Diesebenutzte er, wie schon gezeigt und nach dem eben dargelegten Textbefund nocherhärtet ist, in einer Erstfassung, oder - auszuschließen ist es nicht ganz - erbringt auch hier eine Kombination, eine solche der abusiones-Fassungen''".

102 So Bosl, Kontinuität 5. 92 (f.) "Dieses 5akralrecht des germanischen Herrschers, dasim Geblütsheil und der priesterlichen MittlersteIlung des Herrschers wurzelt, hat vielleichtauf dem Hintergrund alttestamentarischer Gedanken niemand klassischer ausgedrückt alsAlkuin, der angelsächsische Hoftheologe Karls des Großen, der es wissen mußte." In gewis-ser Überspitzung, ja im Gegensatz dazu heißt es bei dems., Der "Adelsheilige". Idealtypusund Wirklichkeit, Gesellschaft und Kultur im merowingerzeitlichen Bayern des 7. und8. Jahrhunderts, in: Speculum historiale. Festschrift J. Spörl, Freiburg/München 1965,S. 167-187; hier S. 177"Dieses Herrscherideal mag heidnische Elemente noch enthalten, esist aber wesentlich christlich, ja alttestamentarisch geprägt, wie uns das von Alkuin gezeich-nete Idealbild deutlich macht." Hiergegen betont Eberhardt Anm. 510S.571.

103 Graus S. 344mit Anm. 224;dort scharfe Polemik gegen Hauck (doch wie bei diesem,Geblütsheiligkeit nicht ganz korrekte Wiedergabe Alkuins: sanitas legis).

104 Kienast S. 293mit Anm. 67.105 Mit dem Abschnitt bei Alkuin ist zu vergleichen Cathwulf MGH. Epp. IVS. 503z.

36ff.: Has ergo octo columnas si obnixae seroas, eris tunc rex - quod rex dicitur a regendo, sicutregnum a regibus - et regnum tuum erit benedictum cum diebus tuis, cum uxore et ftliis. Et tuncerit aeris et tempesiaium tranquillitas, terre maris cum omnibus in eis nascentibus fecunditas, etdominaberis etiam multis feliciter gentibus et inimici tui ante faciem tuam cadunt et reliqua; ferner9. abusio in Irische Kanonensammlung XXV,4 S. 77f.: ... pax populorum est, tutamen patriae,immunitas plebis, munimentum gentis, cura languorum, gaudium hominum, temperies aeris, sere-nitas mans, terrae fecunditas, solatium pauperum, hereditas filiorum, spes [uturae beatitudinis,segetum habundantia, arborum fecunditas. Bei Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 7ff. sind als Unter-schiede zu erwähnen: das Fehlen der beiden letzten Glieder sowie munitas statt immunitas.Die Gemeinsamkeit mit der Hibemensisfassung ist deutlich. Näher an der "normalen"Fassung ist Alkuin, wie auch im oben besprochenen Passus über die Herrscherpflichten, mitsanitas plebis (s. dazu auch bei ihm De virtutibus et vitiis PLo101,613--638; hier 617C sowieMGH. Epp. IV Nr. 177S. 293 Z. 18: populi sanitas), das freie Zitierweise von munitas pleb issein könnte, ferner mit prosperitas, das sich auch dort im Gegensatz zur Hibemensis findet(Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 7: regni prosperitatem; Z. 13f.: prosperitatem regni). Andererseitskönnte dafür, daß Alkuin in dem Segenspassus nur die Hibemensis vor sich hatte, ange-führt werden, daß prosperitas auf das in der Hibemensis dem Patricius-Text folgende XXV,4b Alibi legitur: Prosperitas regni est regis in misericordia et exaltatio nominis ejus in largitate,

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Nach alldem ist festzuhalten, daß die Königsheilvorstellungen bei Alkuin wohlauf irische Vorlagen zurückgehen. Dabei ist natürlich nicht ausgeschlossen, daßsich germanische Auffassungen damit berührten.

Es hat ganz den Anschein, daß Alkuin auch in einem Brief an KarI d. Gr. vomJahr 799 sowohl die Darstellung des königlichen Pflichtenkreises als auch die derSegenswirkungen der guten Herrschaft nach der9. abusio frei gestaltete106.

In fränkischen Quellen der Karolingerzeit ist Pseudo-Cyprians Traktat mögli-cherweise schon in dem oben erwähnten Kapitular Karls des Großen benutzt!",doch schon bald wird er explizit in Bibliothekskatalogen erwähnt, in Konzilsaktenund bei Einzelautoren zitiert und auch handschriftlich überliefert.

War der Traktat "De duodecim abusivis saeculi" zunächst - direkt oder indi-rekt - mit Patricius in Verbindung gebracht, so sollte sich dies schon beim erstenAuftauchen in den Bibliothekskatalogen auf dem Kontinent ändern: In einem

longitude dierum ejus in vero judicio est zurückgehen könnte. In diesem Fall könnte er dann beider Darlegung der Herrscherpflichten von der normalen Fassung, am Schluß von der Hiber-nensis ausgegangen sein. Daß der Angelsachse am Schluß die 9. abusio nach der Fassung inder Hibemensis und der dort folgenden eben zitierten Ergänzung benutzte, betont Wallach:Speculum 26 (1951) S. 707; nach seinen späteren Ausführungen (s. ders., Alcuin s. 8f. u.Anm. 14), in denen er (Anm. 15 S. 9) moniert, daß Dümmler ("Nescio, ubi" zu AlkuinsLegimus) und Hellmann die Vorlage der Alkuinstellen nicht erkannten, müßte er annehmen,daß Alkuin wohl auch im Schlußpassus das kombinierende Verfahren anwandte. Hinweisdarauf, daß die 9. abusio in der Hibemensisfassung benutzt sei, aber auch Anklänge an dieandere vorliegen, bei Anton, Fürstenspiegel Anm. 163 S. 104£.

106 Alkuin MGH. Epp. IV Nr. 177 5.292£. S. dazu Anton, Fürstenspiegel S. lOS£. Darle-gung des Pflichtenkreises MGH. Epp. IV S. 293 Z. 11££.: regna gubemare, iustitias [acere,ecclesias renooare, populum corrigere, singulis personis ac dignitatibus iusta decernere, oppressosdeiendere, leges statuere, peregrines consolari et omnibus ubique aequitatis et caelesiis vitae viamastendere. Vgl. dazu Pseudo-Cyprianus 5.51 Z. 7ff. (- Irische Kanonensammlung ~,3; 4S. 77). Allein schon aufgrund dieser Ähnlichkeit sieht die Abhängigkeit als erwiesen an:Wallach, Alcuin S. 10. Segenswirkungen MGH. Epp. IV S. 293 Z. 18f.: filiorum exaltatio etregni felicitas et populi sanitas et frugum ubertas tibique caelestis regni beatitudo. Vgl. Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. 7 ff. - Irische Kanonensammlung ~, 4 S. 77f. - Bei der Darlegung derPflichten ist analog zu der entsprechenden Stelle in Ep. 18 der Zusammenhang zwischenAlkuin (singulis personis ac dignitatibus iusta decemere) mit der "normalen" Fassung derabusio (Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 10.£.: neminem iniuste per potentiam opprimere, sine accep-tione personarum inter virum et proximum suum iudicare) enger als mit der Fassung in derHibemensis (Irische Kanonensammlung S. 77: Neminem injuste judicare). Dies scheint auchbei dem DavidvergIeich (Alkuin MGH. Epp. IV S. 293 Z. 15ff.; Pseudo-Cyprianus S. 52 Z.19f£.), der in der Kanonensammlung fehlt, der Fall zu sein. Andererseits findet sich dasalkuinische exaltatio nur in der Patriciusergänzung der Rechtssammlung: Irische Kanonen-sammlung XXV, 4 b S. 78: exaltatio nominis ejus.

107 S. Anm. 97. Zur Kennzeichnung Pippins d. M. in corrigendis moribus dominator inden Annales Mettenses priores, ed. B. von Simson, MGH. SS. rer. Germ. (1905) S. 4 Z. 17verweist I. Haselbach, Aufstieg und Herrschaft der Karlinger in der Darstellung der soge-nannten Armales Mettenses priores (Historische Studien 412), LübecklHamburg 1970, S. 51Anm. 62, ganz allgemein auf Pseudo-Cyprians Anfangspassus; allerdings ist hier wohl nichtmit einer direkten Beziehung zu rechnen.

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Katalog des Klosters St. Riquier von 831 findet er sich ebenso unter Namen undWerken von Augustin wie in einem solchen des Würzburger Salvatorstifts ausdemselben Iahrhundert'?', 840 ist er in Murbach ISidor109, in zwei St. GallenerKatalogen von der Mitte und aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts schließ-lich Cypriari'P zugeschrieben'!'.

Diese Zuschreibung an Cyprian überwiegt eindeutig in der frühesten hand-schriftlichen Überlieferung des Werkes auf dem Kontinent, der wir uns nun zu-wenden.

Vorweg kann festgehalten werden, daß, sieht man auf das ganze Mittelalter, diehandschriftliche Verbreitung des Werks außergewöhnlich groß war. Hans vonSoden hatte in seinen Untersuchungen zur Cyprianischen Briefsammlung bereits79 unter dem Namen Cyprians überlieferte Handschriften des Traktats erfaßt1l2,Mario Esposito stellte danach über 200 (Cyprian: 94; Augustin: 73; anonym: 14;kurze Extrakte oder nur Indexangaben: 21) zusammerr'P: doch ist mit einerwesentlich höheren Zahl, wie die Nachweise in den "Manuscript Sources for theHistory of Irish Civilisation", das leider noch nicht für alle Länder vorliegendeHandschriftenverzeichnis der Werke Augustins und eher zufällige Proben bewei-sen, zu rechnen!".

108 Catalogi bibliothecarum antiqui, ed. G. Becker, Bonn 1885,S. 25Nr. 40: St. Riquier;S. 41Nr. 207:Würzburg.

109 W. Milde, Die Bibliothek des Klosters Murbach aus dem 9. Jahrhundert (Beiheftezum Euphorion 4), Heidelberg 1968,S. 42Nr. 178;s. auch Bischoff, Die europäische Verbrei-tung S. 188£.;völlig unzutreffende Kritik daher bei Esposito S. 229Anm. 27 an Kenney S.282.

110 Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz 1: Die BistümerKonstanz und Chur, bearb. von P. Lehmann, München 1918,S.80Z. 10;S.89Z. 15u. 17.

111 So aufschlußreich eine Auswertung des von mir gesammelten hoch- und spätmit-telalterlichen Katalogmaterials unter verschiedenen Gesichtspunkten (Zuschreibung desWerkes an Augustin bzw. Cyprian; Frage des Systems bei der Einordnung des Werkes) auchsein mag, so wenig kann ich sie bei der (nötigen) Begrenzung meiner Thematik hier vorneh-men. - Ich weise hier nur darauf hin, was bisher übersehen ist, daß in einem nordfranzösi-schen Bibliothekskatalog (Bee)aus dem 12.Jahrhundert (Becker S. 260Nr. 52)die Duodecimabusiva unter den Werken des Ambrosius aufgeführt sind.

112 H. von Soden, Die Cyprianische Briefsammlung. Geschichte ihrer Entstehung undÜberlieferung (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur NF.10, ill), Leipzig 1904, S. 223f.; einige Korrekturen dazu bei Hellmann, Pseudo-CyprianusS. 26Anm. 5.

113 Esposito 5. 221ff.114 Sources for the History of Irish Civilisation, ed. J. Hayes, 1: Manuscript Sources for

the History of Irish Civilisation, Boston 1965,S. 155ff.; der neuestens erschienene Appendixwar mir leider nicht zugänglich. - Die handschriftliche Überlieferung der Werke des heili-gen Augustinus (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der latei-nischen Kirchenväter, hg. von R. Hanslik) SB.Wien 1969ff.:IM. Oberleitner, Italien 1 SB.263(1969);2 SB. 267 (1970); II F. Römer, Großbritannien und Irland 1 SB. 276 (1972);2 SB. 281(1972); ill F. Römer, Polen und die skandinavischen Staaten SB. 289 (1973); IV J. Divjak,Spanien und Portugal SB.292 (1974);V R. Kurz, Bundesrepublik Deutschland und Westber-lin 1 SB.306 (1976);2 SB.350 (1979).Allein hiernach erhöht sich die Zahl der Handschriftenum weitere 86. - Zufällige Proben: Leiden: Vossianus Latinus F 12Y f. 31' (Beginn des 10.

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Nach meiner Kenntnis verteilen sich die frühen Codices bzw. Auszüge folgen-dermaßen:

10 auf das 9. Jahrhundert (8 Cyprian; 2 anonym'P),5 resp. 3 auf das 9./10. Jahrhundert (2 resp. 1 Cyprian; 1 resp. 0 Augustin;

1 anonym; 1 Isidor'").7 resp. 6 auf das 10. Jahrhundert (4 resp. 3 Cyprian; 1 Augustin; 2 anonym'"),1 auf das 10./11. Iahrhundertl",15 resp. 13 auf das 11. Jahrhundert (11 resp. 9 Cyprian; 3 Augustin; 1 an-

onym119),

7 resp. 3 auf das 11./12. Jahrhundert (5 resp. 2 Cyprian; 1 anonym120).

Jahrhunderts) Einleitung; München StaatsbibI.: 3543 f. 296--309 (15. Jahrhundert); 7685 (15.Jahrhundert); 14549 f. 219-230 (15. Jahrhundert).

115 St. Gallen StiftsbibI. 89 p. 107-137 (Cyprian); 150 p. 161 sqq. (Kopie von 89:Cyprian); 277 p. 187-242 (Cyprian); 570 p. 164 sqq. (Kopie von 277: Cyprian); s. hierzu auchJ. Duft, Irische Einflüsse auf St. Gallen und Alemannien, in: Mönchtum, Episkopat und Adelzur Gründungszeit des Klosters Reichenau, hg. von A. Borst (Vortrr. u. Forschgg. 20), Sigma-ringen 1974, S. 9-35; hier S. 29; Paris BN 18095 f. 27 (Cyprian); dazu s. M. Esposito, Journal ofTheological Studies 33 (1932) S. 133 f.; Rom BV Regin. Lat. 195 f. 55"-59' (anonym); BV Vat.Lat. 293 f. 126r-133r (Cyprian); BV Pal. Lat. 973 f. 27'-38v (Cyprian); Saint-Omer BibI.Publique 267 (Cyprian); Leiden Voss. Lat. F 48 f. 92 (anonym).

116 Bern BibI. Bongarsiana 425 f. 71'_78' (Cyprian); Zürich KantonsbibI., Rhein. 95 p.3--38 (anonym; evtl. Augustin); s. dazu Hellmann. Pseudo-Cyprianus S. 29; Zürich Kantons-bibI. 176 f. 70--84 (Isidor); s. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und derSchweiz 1, S. 461 Z. 30; Cambrai 204 f. 32v_39v (Cyprian); s. dazu Esposito S. 222: 10.Jahrhundert; Manuscript Sources S. 156: 9.110. Jahrhundert; Paris BN 3330 (Augustin);s. dazu Esposito S. 225: 12. Jahrhundert; Manuscript Sources S. 155: 9.110. Jahrhundert.

117 Berlin Phillippicus 1741 (Cyprian); Brüssel 14920--22 (Fragment zusammen mitWerken Augustins); Cambrai 204; s. dazu vorige Anm.; Monte Cassino 230 p. 147-154(Cyprian); Paris BN 9520 (anonym); Reims 440 (Cyprian) f. 126"-136V

; Leiden Voss. Lat. F 12Yf. 31' (anonym).

118 München StaatsbibI. 14738.119 Angers BibI. Publique 283 (274) p. 31 (anonym); s. dazu Hellmann. Pseudo-Cypria-

nus S. 22 Anm. 3; Cambridge Univ. Libr. Add. 3319 f. 50V-55" (Cyprian); London Brit. Mus.Harley 3001 f. 82'-90' (Cyprian); Oxford Jesus Collt:r,e 3 f. 120v-128' (Cyprian); Paris BN2331 (Augustin); BN 10840 £.169 (Cyprian); BN 15146 f. 233--237 (Augustin); Rom BV Vat.Lat. 634 f. 23v (Cyprian); Rouen 1333 f. 98v-102v (Augustin); Wien 1010 f. l'-10v (Cyprian);Florenz BibI. Moreniana Frul. 1 f. 83v-89v (Cyprian); Padua Bibi. dei seminario DXXIII p.172-181 (Cyprian); Pistoia Arch. Cap. 99 f. 1'-7' (Cyprian); Oxford Bodleian Laud. mise.350 f. 88'-94r (Cyprian); s. Esposito S. 224; Römer II 2 S. 277: 11.112. Jahrhundert; Rom BVRegin. Lat. 117 f. 85'-89' (Cyprian); s. von Soden S. 257 Nr. 110; Oberleitner 2S. 336: 11.112.Jahrhundert.

120 Bern BibI. Bongarsiana 618 f. 36'-46v (Cyprian); ebd. AA. 90 (anonym); OxfordBodleian Laud. mise. 350 s. vorige Anm.; Rom BV Vat. Lat. 13008 f. 219v-227'"; BV Regin. Lat.117 s. vorige Anm.; Erlangen UB 187 (früher 237) f. 85'_93' (Cyprian); s. Esposito S. 222; Kurz2 S. 155: 12. Jahrhundert; Wien 2090 f. 36v-37'; 40v-41' (Augustin); s. Tabulae Codicummanu scriptorum praeter Graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asser-vatorum 2 (1868) S. 98£.; Esposito S. 226: 12. Jahrhundert.

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Insgesamt sind dies also für den Zeitraum vom 9. bis zum 11. Jahrhundert 44/45bzw. 37/38 Handschriften.

Ganz eindeutig ist demnach, daß das Werk im Gegensatz zu seiner Zuschrei-bung in den Bibliothekskatalogen zunächst fast ausschließlich unter CypriansNamen geführt wurde, Isidor erscheint nach dem 9. Jahrhundert später nur nochin einem Codex des 12. Jahrhunderts in Florenz, wo der Name jedoch in Cyprianverbessert ist121; Augustin wird das Werk in größerem, dann aber rapide steigen-dem Maß ab dem 12. Jahrhundert zugeschrieben'F.

Was die geographische Zuordnung der frühen Codices betrifft, so gehören,soweit es eruiert werden konnte, von denen des 9. Jahrhunderts vier nach St.Gallen, einer, der Leidener Extrakt Voss. Lat. F 48, der wohl Rathers von VeronaEigentum wurde, nach Auxerre, ein weiterer, St. Omer Bibl. Publique 267, nachSt. Bertin, zwei in der Bibliotheca Vaticana aufbewahrte (Regin. Lat. 195 und Vat.Lat. 293) nach Frankreich (ohne genauere Zuordnung), einer aus dem 9.110. Jahr-hundert (Zürich KantonsbibI. Rhein. 95) nach Rheinau, von denen aus dem10. Jahrhundert der Berliner Phillippicus 1741 nach Reims, der Leidener Voss. Lat.F 12 Ynach Orleans, der Codex von Monte Cassino (230) in das beneventanischeSchriftgebiet'P,

Der seit dem 12. Jahrhundert enorm zunehmenden handschriftlichen Überliefe-rung der .Duodecim abusiva" korrespondiert ihre Verwendung in den verschie-denen Genera des mittelalterlichen Schrifttums. Hatte das Werk schon in derHistoriographie des 9. Jahrhunderts (Nithard) und in der Dichtung des 10. Jahr-hunderts mit seiner 9. abusio deutliche Spuren hinterlassen, hatte Rather vonVerona, der selbst (zumindest) einen Codex mit der praefatio des Traktats besaß,in seinen Praeloquia auf die 5. abusio (femina sine pudicitia) und hatte wiederumAbba von Fleury in seiner Kanonensammlung nach dem Vorgang der PariserSynode von 829 auf das 9. Kapitel zurückgegriffen, so sollte es im 11. Jahrhundert

121 BMediceo-Laurenziana Plut. 89,sup. 31 f. 114"-119r; die Verbesserung f. 114".122 Zu korrigieren sind also sowohl Esposito S. 228f., in der frühesten Uberlieferung

sei das Werk entweder anonym oder Cyprian zugeschrieben, als auch Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 20, von den Benennungen habe Cyprian die Oberhand behalten, während sichIsidor und Augustin wohl noch zu behaupten vermocht hätten, aber auf einem sehrbeschränkten Gebiet.

123 Zu den Codices St. Gallen StiftsbibI. 89; 150;277; 570s. G. Scherrer, Verzeichnis derHandschriften der Stiftsbibliothek von s-. Gallen, Halle 1875, S. 34f.; S. 55f.; S. lOS£.;S. 183f.; zum Leidener Voss. Lat. 48 s. K. A. de Meyier, Codices Vossiani Latini, 1: Codicesin folio (Bibliotheca Universitatis Leidensis. Codices Manuscripti 13),Leiden 1973,S. 100f£.;zu St. Omer BibI. Publique 267s. Hellmann. Pseudo-Cyprianus 5.30; zu Vat. Lat. 293s. Ober-leitner 2 S. 251; zu Regin. Lat. 195 s. Oberleitner 2 S. 338; zu Zürich KantonsbibI. Rhein. 95s. Hellmann S. 29; zu Phillippicus 1741s. V. Rose, Verzeichnis der lateinischen Handschriftender Königlichen Bibliothek zu Berlin, I: Die Marman-Handschriften des Sir Thomas Phil-lipps, Berlin 1893, S. 162ff.; zu Voss. Lat. F 12y s. de Meyier S. 24f.; zu Monte Cassino 230s. Oberleitner 2 S. 49; einen Zusammenhang der Handschrift Wien 1010mit einem ReimserHinkmarexemplar des 9. Jahrhunderts vermutet J. Devisse, Hincmar, archeveque de Reims845--882,3 (Travaux d'histoire ethico-pclittque 29),Genf 1976,S. 1491.

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in der Publizistik bei Benzo von Alba und Manegold von Lautenbach Verwen-dung finden; ab dem 11. Jahrhundert wurde es in die Nationalliteraturen, dasAngelsächsische und das Griechische, übertragen und dabei z. T. in Homilien-sammlungen aufgenommen. Der sentenzenhafte Charakter des Werkes ist fürdiese weit gefächerte Rezeption maßgebend, daneben steht aber die gleichsamgelehrte und politisch-theoretische Verwendung. So gelangt die 9. abusio überIvo von Chartres in die Sammlung Gratians, Abälard zitiert sie in "Sic et non", beialler Distanz zur frühmittelalterlichen Tradition führen die FürstenspiegIer desspäten Mittelalters (Gilbert von Tournai; Vinzenz von Beauvais; Pseudo-Thomas;dazu auch Johannes von Wales u.a.) häufig die 6. und 9. abusio an124• Doch aufdiese Wirkungsgeschichte muß im Rahmen unseres Themas dieser allgemeineVerweis genügen. Eingehender haben wir uns hingegen zum Schluß noch mitdem Einfluß Pseudo-Cyprians auf die Fürstenspiegel und die staatstheoretischeLiteratur der Karolingerzeit zu beschäftigen. Es gilt, seine spezifische Bedeutungund Funktion in diesen Erzeugnissen und für diese Erzeugnisse zu bestimmen.

Es ist bisher kaum bemerkt worden, daß Ermoldus Nigellus in seiner ca. 828verfaßten zweiten Elegie für König Pippin von Aquitanien, in der er seinempersönlichen Anliegen, Befreiung von der Verbannung zu erlangen, Nachdruckverleiht, indem er einen Fürstenspiegel entwirft'P, die aus dem nomen regis resul-tierenden Aufgaben des Regenten mit Isidor von Sevilla oder vielleicht schon

124 Nithard, Historiae IV, 7, S.50Z. 1ff.; Dichtung des 10.Jahrhunderts: SyllogacodicisSangallensis CCCLXXXI(Letania Rithmica auf Konrad I.)MGH. Poetae IV, ed. P. von Winter-feldt (1899)S. 315-349; hier S. 327v. 22ff.; die BelegeRathervon Verona, Praeloquia Pl., 136,143-343; hier 11,12= 199A/B und Abbo von Fleury, Collectio Canonum Pl., 139,471-508;hier 477 C-478 A schon bei Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 17f.; Belege in der Publizistikdes Investiturstreits: Manegold von Lautenbach, Ad Gebehardum, ed. K. Francke MGH.LdL. 1(1891)S. 3~30; hier c. 22 S. 352Z. 12ff.; c. 38 5.377 Z. lSff.; Benzo von Alba, AdHeinricum IV., ed. K. Pertz MGH. SS. XI (1854)S. 591-681; hier S. 614Z. 38f.; zur Übertra-gung ins Angelsächsische im 11. Jahrhundert (Homiliensammlung) s. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 22 und Manitius 2 S. 796; zum intensiven Nachwirken im Frühneuhochdeut-schen s. HeUmann, Pseudo-Cyprianus S. 23ff.; Übersetzung ins Griechische im 12.Jahrhun-dert: M. Rackl, Die griechischen Augustinusuebersetzungen, in: Miscellanea F. Ehrle =Scritti di storia e paleografia 1, Rom 1924,S. 1-38; hier S. 18.Zu Ivo, Gratian und Abälards. Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 18.Zur Verwendung der 6_~nd 9. abusio in den spätmit-telalterlichen Fürstenspiegeln s. W. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittel-alters (Schriften der MGH. 2), Stuttgart 1938,S. 3 Anm. 4; S. 151:Gilbert von Tournai; S. 3Anm. 4; S. 192: Vinzenz von Beauvais; S. 3 Anm. 4; S. 60: Pseudothomas; S. 3 Anm. 4:Johannes von Wales. - Nur an zwei der Stellen aus dem Register Gregors VIl., der VitaHeinrici IV. und dem Carmen de bello Saxonico, für die I. S. Robinson, Authority andResistance in the Investiture Contest. The Polemical Literature of the Late Eleventh Century,Manchester/New York 1978,S. 115f., S. 122Beeinflussung durch Pseudo-Cyprian annimmt,scheint eine solche gegeben: Gregorii VII Registrum, ed. E. Caspar MGH. Epp. seI. 11,2(1923),VI, 13S.415-418; hier S.417Z. 30ff.;VII,215.497 f.; hier S.498Z. 15.

125 Ausgabe: E. Faral, Poeme sur Louis le Pieux et epitres au roi Pepin (Les classiquesde l'histoire de France au moyen äge 14),Paris 1932,S. 21~233 (MGH. Poetae 11[1884],ed.

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Pseudo-Cyprian konkretisiertv", dann aber bei der Herrschertypologie deutlichauf die 6. und wohl auch die 9. abusio Pseudo-Cyprians zurückgeht. ErmoldusNigellus führt nicht nur dieselben Beispiele an, die auch in der abusie dominussine virtute begegnen, Saul, David, Salomo - dabei sind klare Entsprechungen inden Formulierungen gegeben -, er zieht auch mit ihr und der 9. abusio dieKonklusion: Wer nach Gottes Willen regiert, hat Erfolg in der Herrschaft, wer Gottvernachlässigt, wird von der Strafe in dieser und der anderen Welt getroffen!".Schon hier ist klar, daß es nicht das typisch Irische im Traktat ist, das das Interessedes Ermoldus Nigellus erregt, und bei unserem Versuch, die spezifische Bedeu-tung von Pseudo-Cyprian in den karolingischen Zeugnissen zu bestimmen, wer-den wir diesen Gesichtspunkt im Auge zu behalten haben.

Wegen ihrer quellenmäßigen Fundierung und ihrer prinzipiellen Ausrichtungund Bedeutung bilden die drei Zeugnisse, die wir nun zu behandeln haben unddie alle mit der Person des Bischofs [onas von Orleans zusammenhängen, indieser Hinsicht besonders ergiebige Prüfungsgegenstände.

Das erste der erwähnten Zeugnisse sind die wohl von [onas redigierten Aktender Pariser Synode von 829, auf deren grundsätzliche Bedeutung für die Entwick-lung des mittelalterlichen Staatsdenkens wegen der Neuaufnahme des Gelasius(und des Fulgentius) verschiedentlich hingewiesen wurde128; doch kaum weniger

E. Dümmler, S. 85-91); zu Ermold allgemein 5. Manitius 1 S. 552ff.; F. J. E. Raby, A History ofSecular Latin Poetry in the Middle Ages 1, Oxford 21957, S. 221H.; Brunnblzl S. 390ff.;S. 563f.; J. Tourneur-Aumont, Un lettre charentais de l'epoque franque: Ermold le Noir, Bull.Soc. des antiquaires de l'Ouest, 3" serie 6 (1922) S. 122-141; Faral S. Vff.; H. Löwe, DieKarolinger vom Tode Karls des Großen bis zum Vertrag von Verdun. in: Wattenbaeh-Levison,Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 3, Weimar 1957,S. 329ff.; zur zweiten Elegie als Fürstenspiegel Anton, Fürstenspiegel S. 19Hf.; bes. S. 197f.;dem folgt WlIllllce-Hlldnll S. 136; modifizierend, unter Betonung von Ermolds aktuellem ZielEberhardt 5.309; S. 330; Anm. 226 5.481.

126 Ermoldus Nigellus v. Ll l f.: Officii nomen vestri tenet alma potestas;/ Rex regat utpopulum: hinc quoque nomen habet. Vg!. Isidor, Sent. Ill, 48, 7 rt, 83, 719A; Et. IX, 3, 4;Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3ff.

127 Saul: Ermoldus Nigellus v. 117ff.; David v. 123ff.; Salomo v. 130ff.; 6. abusios. Pseudo-Cyprianus S. 44 Z. 13ff.; Entsprechung in den Formulierungen: Ermoldus Nigel-Ius v. 13Off.: Et Salomone sua sede locato obiit.! Hic etiam sapiens regni suscepit honorem.l Atquefide patns regna diu obtinuit. - Pseudo-Cyprianus S. 44 Z. 15££.:Rex Salomon postquam patrissui David sedem obtinuit, Deus ilium ultra omnes mortales velut ad numerosi populi gubernationemsapientiae munere donavit. Zur Konklusion bei Ermold v. 133ff.: Nam quicumque Dei regumpraecepta peregitJ Et regnum obtinuit, huie bona cuneta manent;/ Qui secus atque suos pravossectavit amores/ Posthabito Domino, qui sibi regna dedit,! Hunc quoque praesentis dimisit gloriasaecli/ Pro dolor! aeterni compos is esse nequit vgl. 6. abusio Pseudo-Cyprianus S. 45 Z. Hf.:Per quae exempla evidenter ostenditur quosdam in sublimiori statu ad maiorem perfectionemcrescere, quosdam uero per supercilium dominationis ad deteriora defluere sowie 9. abusio ebd.S. 52 Z. 7ff.: Haec regni prosperitatem in praesenti faeiunt et regem ad eaelestia regna melioraperducunt. Qui vero regnum secundum hanc legem non dispensat, multas nimirum adversitatesimperii toterat.

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Hervorhebung verdient - und gerade hier erweisen sich die Pariser Akten vonanderer Qualität und Dimension als die vorausgehenden staatstheoretischenSchriften im Frankenreich -, daß in einem konziliaren Fürstenspiegel'F' der vonden Aquitaniern Smaragd von St. Mihiel und Ermoldus Nigellus ins Frankenreicheingeführte neue Amtsbegriff, nach dem das Königtum als von Gott verliehenesministerium erscheint, übernommen und durch eine Reihe von biblischen undpatristischen Belegen inhaltlich gefüllt130 und Isidor von Sevilla in bisher nichtgekanntem Maß für die Ausführung der Königsethik, konkret für die Herausar-beitung des Gegensatzpaares rex-tvrannus, herangezogen wird. Und gerade imAnschluß an diese Isidorwiedergaben und -weiterführungen sowie einige sieergänzende Bibelzitate und unmittelbar vor ein Fulgentiuswort und weitere Isi-dorzitate setzen die Pariser Synodalen die ganze 9. abusio, sie zum erstenmal im9. Jahrhundert explizit zitierend und sie wie auch alle übrigen zu erörterndenZeugnisse im 9. Jahrhundert Cyprian zuschreibend+".

Aus dem Kontext, in den man 829 Pseudo-Cyprian plaziert, wird aber nun auchdeutlich, was die Synodalen zu der Zitation bewegt. Es sind nicht die archaischenElemente, die die Synodalen, denen soviel an der Transpersonalisierung undObjektivierung des Königtums gelegen ist, interessieren, es ist wohl auch nichtdie im frühen Mittelalter ohnehin nicht übermäßig große Autorität Cyprians, diehier maßgebend ist, vielmehr erblicken die Konzilsteilnehmer in der geschicktenKomprimierung, der Veranschaulichung von Isidors Ausführungen zum nomen

128 Akten der Synode: MGH. Conc. Il, ed. A. Werminghoff (1908)S. 605--680; zu [onasals Redaktor s. J. Scharf, Studien zu Smaragdus und [onas, DA. 17 (1961)S. 33~384; hierS. 371ff. Zitat von Gelasius und Fulgentius MGH. Conc. Il S. 610Z. 32ft.; Näheres hierzu beiAnton, Zum politischen Konzept S. 60ft. Allgemein zur Einordnung und Bedeutung derSynode Th. Schiefter, Die Krise des karolingischen Imperiums, in: Aus Mittelalter und Neu-zeit. Festschrift G. Kallen, Bonn 1957,S. 1-15; hier S. 11; Y. M.-J. Congar, L'ecclesiologie duhaut moyen äge, Paris 1968,S. 281£.;305; Anton, Fürstenspiegel S. 204ff.; ders., Zum politi-schen Konzept S. 55ff.;W. Ullmann, The Growth of Papal Government in the Middle Ages,London 31970,S. 129ff.; ders., The Carolingian Renaissance and the Idea of Kingship, Lon-don 1969,S.56ff.

129 Dieser Terminus bei Anton, Fürstenspiegel S. 207; S. 244; S. 355; dems., Zum politi-schen Konzept S. 70;Congar S. 300; anders Eberhardt S. 308.

130 Ministerium regis in den Akten MGH. Cone, II S. 651Z. 34ff.; neben einer Reihe vonbiblischen Belegen auch Isidor, Sent. lII, 51,4-6 PL 83, 723B/C-724 A. Erste Verwendungendes neuen Amtsbegriffs: Smaragd von St. Mihiel, Via regia, Migne Pl., 102, 931-970; hier958B;968B;Ermoldus Nigellus, Elegie II v. 109f.

131 MGH. Cone. Il S. 650 Z. 10ft. Herausbildung des Kontrastes rex-tyrannus nachIsidor, Sent. Ill, 48, 7 n, 83, 719AlB; Et. IX, 3, 19; 20: MGH. Conc. 11S. 649Z. 14££.;bes. Z.15£.Si enim pie et iuste et misericorditer regit, merito rex appellatur; si his caruerii, non rex, sedtyrannus est. Unter den ergänzenden Bibelzitaten ist besonders das alttestamentlicheKönigsgesetz Deut. XVII, 14; 15; 17-20 zu nennen. An Pseudo-Cyprian schließen an (MGH.Cone, II S. 650 Z. 42ff.): Fulgentius, De veritate praedestinationis et gratiae Dei Pl., 65,603-672; hier 648 AlB; Isidor, Sent. III, 49,1 rt, 83,720 B; Ill, 48, 6; 7n, 83, 719A; III, 48, 7;8; 9 rt, 83,719 AlB.

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regis in Selbstlenkung und Correctio der Untertanen die eindrucksvolle Herausar-beitung des Typus rex iustus und seines Antitypus tyrannus132•

Indem man 829 zum Zitat mit der Bemerkung überleitet, Cyprian illustriere dieFolgen der iustitia bzw. der iniustitia regis, bewegt man sich klar in ErmoldsCedankengang+", indem man aber darüber hinaus dessen Ausführungen unterdas Thema "Erklärung der aus dem nomen regis folgenden Postulate" stellt, wirdihm eine neue Rolle, neben dem einschlägigen Gewährsmann Isidor hier dieBegründung zu liefern, zugeteilt.

Noch deutlicher wird dies im Fürstenspiegel des Jonas von Orleans "Oe institu-tione regia" vom Jahr 831 für König Pippin von Aquttanien+": Wie der Verfassersein paränetisches Werk zum großen Teil aus den Akten der Synode von Paris, dieer selbst redigiert hatte, zusammenstellt, so übernimmt er auch das oben erörterteKapitel von dort mit allen Zitaten (Bibel; Isidor; Fulgentius). Dementsprechendführt er auch Pseudo-Cyprians 9. abusio an, doch ersetzt er bezeichnenderweiseden Passus, der zum Zitat überleitet. Es heißt nun nicht mehr, an Pseudo-Cypriansollten die Folgen der iustitia bzw. der iniustitia regis veranschaulicht werden,sondern ausdrücklich, das Kapitel des Märtyrers Cyprian stelle das Speculum dar,an dem der König sich für seine Handlungen zu orientieren habe, mit anderenWorten: Pseudo-Cyprian wird zum Hauptgewährsmann für eine Königsethik, in

132 Vgl. Anton, Fürstenspiegel S. 401; zum Typus des rex iustus bei Pseudo-Cyprian s.Graus 5. 351£., der allerdings (s.o. Anm. 61) einseitig Pseudo-Cyprians Anteil betont undIsidors Bedeutung nicht sieht.

133 MGH. Cone, II S. 650Z. 8ff.: Quantae igitur felicitatis sit bonus rex quantaeue infelicita-iis, si nequam [uerit, beatus Cyprianus, eximius martyr Christi, de duodecim abusionibus scribens,inter cetera ita ait.

134 Bezeichnung "Oe institutione regia" von L. d'Achery, Veterum aliquot scriptorum,qui in Galliae bibliothecis, maxime Benedictinorum latuerant, Spicilegium 5, Paris 1661,Praef. 5.5. Ausgabe: PL. 106,279-306; J. Reviron, Les idees politico-religieuses d'un evequedu IX·siede Ionas d'Orleans et son «De institutione regia», Paris 1930,S. 123--194; scharfeKritik an der editorischen Unzulänglichkeit derselben übt A. Wilmart, L'admonition de[onas au roi Pepin et le florilege canonique d'Orleans, Rßen. 45 (1933)S. 214-233; hierS. 216ff. Oie Ausgabe von O. Boussel (L'institutio regia de [onas d'Orleans, un miroir desprinces du IX· siede, These [rnasch.], Paris 1964), deren Druck für die Reihe «Sources del'histoire medievale» geplant ist (s. Eberhardt Anm. 103 S. 306), ist offenbar noch nichterschienen. Zu [onas allgemein s. Manitius 1 S. 374ff.; 2 S. 804; Brunhölzl S. 403ff.; S. 564f.;Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen 3, S. 311; Reviron 5. 23ff.; Scharf 5. 353ff.; Anton,Fürstenspiegel S. 211ff. Zum Fürstenspiegel speziell Booz S. 20ff.; Born S. 595; E. Delaruelle,En relisant le "De institutione regia» de [onas d'Orleans, L'entree en scene de l'episcopatcarolingien, in: Melanges d'histoire du moyen äge dedies a la memoire de L. Halphen, Paris1951, S. 185-192; H. X. Arquilliere, L'augustinisme politique. Essai sur la formation destheories politiques du moyen äge (L'eglise et I'etat au moyen äge 2), Paris 21955,S. 147ff.;H. M. Klinkenberg. Über karolingische Fürstenspiegel, GWU. 7 (1956)S. 82-98; hier 5.96;A. Garda Marl{nez, El primer »tratado« politico-religioso del siglo IX, Crisis. Rev. Espafiolade Fil. 4 (1957)S. 239-264; Anton, Fürstenspiegel S. 214ff.; Eberhardt S. 305; 307; 350; 409;480; 489; 639.

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der die iustitia in konsequenter Ausdeutung des nomen regis ihre Profilierungerhält135•

Es nimmt denn auch nicht wunder, daß in einer wohl ebenfalls mit [onas inVerbindung stehenden Sammlung von Konzilstexten, die in Ms. lat. nouv. acq.1632 der Bibliotheque nationale, einer in das 9./10. Jahrhundert zu datierendenHandschrift aus Orleans, überliefert ist, die Extrakte aus verschiedenen teilsbekannten, teils erschließbaren zeitgenössischen Konzilsakten und Synodenma-terialien enthält und die möglicherweise als Entwurf oder Zusammenstellung füreinen Konzilstext oder ein Konzilsschreiben für Ludwig d. Fr. angelegt wurde136,die 9. abusio Pseudo-Cyprians gleich zweimal angeführt ist, einmal in einemdirekten Auszug aus dem Fürstenspiegel des [onas, zum anderen in dem mit"Capitula diversarum sententiarum pro negociis rei publice consulendis" betitel-ten Teil der Sammlung'". Veranschaulicht man sich, wie sich die einzelnen Teileder Sammlung inhaltlich ergänzen und wie hier die Vertreter des politischenAugustinismus (Isidor, Fulgentius, Celasius im Auszug aus des Jonas Fürsten-spiegel, Augustin und Cregor in den 24 Capitula) nebeneinandergestellt sind, soist klar, zu welchem Rang der Traktat durch die zweimalige Einreihung unter diegenannten Autoritäten - in den Capitula lautet das Rubrum signifikanterweiseDe nomine regis, et que sit virtus eiusl38 - erhoben wird.

Nach dem bisher Ausgeführten registriert man den Befund, den der Fürsten-spiegel des Sedulius Scottus, sein "Liber de rectoribus christianis=P" liefert, mit

135 [onas, De institutione regia c. 3 Reviron S. 138ff.; die Entsprechung in den Aktenvon Paris 829 MGH. Cone. II S. 649 Z. 14ff. An Stelle der dortigen Hinleitung zu Pseudo-Cyprian (MGH. Cone. II S. 650 Z. 8ff. Quantae igitur felicitatis sit bonus rex quantaeve infelicita-tis, si nequam fuerit, beatus Cyprianus, eximius martyr Christi, de duodecim abusionibus scribens,inter cetera ita ait) hat [onas S. 140: Verum quia sanetarum qui cum Domino regnant, documentaSancti Spiritus munere prolata, in cordibus auditorum plus valere quam nostre exiguitatis verbanon dubiiamus, idcirco pauca de verbis beati Cypriani martyris huic opusculo parvitatis nostrequedam inseruimus, que vestre serenitati pre manibus habenda, et sepe legenda, atque tractandaofferimus; quatenus in eius verbis, quasi in quodam specula, quid esse, quid agere, quidve caveredeheatis, iugiter vas contemplemini, cuius verba sunt; vgl. hierzu Eberhardt S. 359£. u. Anm. 117"ganz neu hinzugefügt, also offensichtlich für den ,Sitz im Leben' bestimmt".

136 G. Laehr-C. Erdmann. Ein karolingischer Konzilsbrief und der Fürstenspiegel Hinc-mars von Reims, NA. 50 (1935) S. 106--134; Edition des größten Teils der Sammlung ebd.S. 120-134; A. Wilmart, L'admonition de Jonas ... , Rßen, 45 (1933) S. 214-233; Edition derSammlung ebd. S. 219--232; zur Sammlung vgl. Anton, Fürstenspiegel S. 221ff.

137 Extrakt aus dem Fürstenspiegel f. 72r_78v; hier f. 74'ff.; s. Wilmart S. 220f.; Capitulac. 20 f. 86rff.; Laehr-Erdmann S. 121; 124; Wilmart S. 224. - Wenn in "De institutione regia"und im Auszug daraus der Pseudo-Cyprian-Text einer anderen Handschriftengruppe ange-hört als in den Capitula (unzutreffend hierzu J. Deoisse, Hincmar archeveque de Reims845--882,2, Genf 1976, S. 713 Anm. 251), so braucht das nicht gegen die von Laehr-ErdmannS. 113; Wilmart S. 233; Scharf S. 383 und Anton, Fürstenspiegel S. 229f. vertretene Auffassungzu sprechen, daß Jonas die Sammlung zusammengestellt hat.

138 f. 79'; Laehr-Erdmann S. 121.139 Ausgabe: S. Hellmann, Sedulius Scottus S. 1-91. Für die einschlägige allgemeinere

Literatur verweise ich auf R. Düchting, Sedulius Scottus. Seine Dichtungen, München 1968,

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einiger Überraschung: Der Ire unterscheidet sich von den bisher genannten Auto-ren zwar durch eine starke Rezeption antik-heidnischen und frühchristlichenGedankenguts, was ihn von den aquitanischen und konziliaren Fürstenspieglernabsondert, in der gleichsam unreflektierten Ineinandersetzung von Herrscher-tugend, Volkswohl und Natursegen zeigt er sich allgemein in der irischen bzw. inder durch die Übernahme bei den Angelsachsen (Cathwulf und Alkuin) auch alsinsular zu bezeichnenden Tradition'f'', darüber hinaus zitiert er von der heimat-lich-irischen Tradition aus den "Proverbia Grecorum" mehrfach und auch aus deroben schon erwähnten Hieronymussammlung+'. doch hat er den "Duodecimabusiva"- Traktat höchstwahrscheinlich nicht benutzt, sondern den Passus überdie Tria necessaria fur den Herrschenden, wie schon gezeigt, wohl der Vorlagezum Traktat entnommen'Y.

Bleibt so auch das überraschende Faktum festzuhalten, daß Sedulius die "Duo-decim abusiva" nicht direkt aufgegriffen hat, so sollte er doch in einer Hinsichtdie Voraussetzungen dafür schaffen, daß Pseudo-Cyprian im ausgehenden9. Jahrhundert eine breitere Einwirkungsmöglichkeit erhielt. Er tat dies, indem erdie bisher genau beachtete Distinktion in der Königsethik zwischen nomen undministerium regis, wobei Pseudo-Cyprian zur "Verstärkung" Isidors bei der Expli-kation des nomen herangezogen wurde, beseitigte und als erster die Forderungnach Selbstlenkung des Regenten und nach Leitung des Volkes als die wesentli-chen Inhalte des ministerium regale erscheinen ließ143•

Die erwähnte Verknüpfung von sich aus dem nomen und dem ministerium regisergebenden Folgerungen wird in noch dezidierterer Form vorgenommen bei

S. 11ff., und nenne von den Handbuchdarstellungen Manitius 1 S. 315ff.; Kenney S. 553ff.;Brunhölzl S. 449ff.; S. 568. Zum Fürstenspiegel HeIlmann, Sedulius Scottus S. 5££.; BoozS. 33ff.; Born S. 598ff.; Sprengler S. 134f£.;Klinkenberg S. 96ff.; Anton, Fürstenspiegel S.261f£.;Eberhardt S. 305E. u. Anm. 104;Anm. 113S. 310;S.355£.;S. 359sowie die (mit z, T. gravieren-den Inkorrektheiten versehenen) Untersuchungen von A. M. Pupes, Dottrine politiche nell'eta carolingia e nel secolo decimo, Salesianum 40(1978)S.467-527; hier S.478;493f£.

140 Vgl. die Texte Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 7f£.; Cathwulf MGH. Epp. IV S. 503 Z.36ff.; Alkuin MGH. Epp. IV Nr. 18 S. 51 Z. 29ff.; Z. 37f.; Nr. 177S. 293 Z. 17f£.; SeduliusScottus, Liber de rectoribus christianis c. 20S. 89Z. 6ff.; Graus Anm. 141S.329sieht hier wieauch Liber de rectoribus christianis c. 11S. 50direkte Anklänge an Pseudo-Cyprian.

141 Zitation von Proverbia Grecorum: Liber de rectoribus christianis c. 6S. 38Z. 19f£.=Hellmann. Sedulius Scottus 5.127 Nr. 53; c. 8 S. 43Z. 5ff. = ebd. S. 125Nr. 42; S. 131Nr. 8; c. 95.46 Z. 7ff. = ebd. S. 130Nr. 3; 4; S. 125Nr. 42; c. 16 S. 73 Z. Hf. = ebd. S. 132 (= IrischeKanonensammlung 5.76 Anm. a und b); s. 129f.Nr. 1; c. 10S.49Z. 13ff. = ebd. S. 130Nr. 2;Cathwul£MGH. Epp. IV5.503 Z. 31ff.; Hieronymussammlung c. 205.90 Z. 6ff. = Kf. 253v =Irische Kanonensammlung XXV,155.81. •

142 Liber de rectoribus christianis c. 2 S. 26Z. Hf. = Kf. 254v (s. Pseudo-Cyprianus S.43Z. 14ff.). Zu HeIlmanns Widerspruchen in dieser Frage s. S. 578 u. Anm. 36. In hohem Maßfraglich bleiben muß auch, ob die von Hellmann. Sedulius Scottus S. XIV,angegebene Paral-lele - Liber de rectoribus christianis c. 19 S. 88 Z. 12 Scita legum und Pseudo-Cyprianus,abusio 12S. 58Z. 161egum scita - weitere Schlüsse zuläßt.

143 Liber de rectoribus christianis c. 5 s. 34 Z. Hf. Vgl. dazu Anton, Fürstenspiegel5.269.

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Hinkmar von Retms'", und dies ausdrücklich in bezug auf Pseudo-Cyprian, vondessen Traktat im ganzen 9. Jahrhundert er am ausgiebigsten Gebrauch machtund von dem er im Unterschied zu den bisher behandelten Autoren nicht nur die9. und 6. abusio145, sondern auch die 10. (episcopus neglegens), die 11. (plebs sinedisciplina) und die 12. (populus sine legd46 anführt147•

144 Zu Hinkmar allgemein s. H. Schrörs, Hinkmar, Erzbischof von Reims, Freiburg1884; J. Devisse, Hincmar archeveque de Reims 845-882, 3 Bde. (Travaux d'histoire ethico-politique 29), Genf 1975/76; H. Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen 5, Weimar 1973,S. 516ff.; zu Hinkmars Fürstenspiegeln, staatstheoretischen und politischen Schriften s. BoozS. 41ff.; Born S. 603ff.; Klinkenberg S. 94f.; Anton, Fürstenspiegel S. 285ff.; Löwe, Deutsch-lands Geschichtsquellen 5 S. 516ff.; Eberhardt S. 481; S. 489; Anm. 111 S. 309.

145 Zitat der 9. abusio bei Hinkmar: Fragment eines Ermahnungsschreibens oder Für-stenspiegels aus dem Jahr 859, ed. Th. Grass, Das unbekannte Fragment eines Briefes Hink-mars von Reims aus dem Jahre 859, DA. 32 (1976) S. 187-192; hier S. 190f. (ganze abusio);De divortio Lotharii regis et Tetbergae reginae PL. 125,619-772; hier 626 B/C = MGH. Epp.VIII, 1, ed. E. Perels (1939) S. 78 Z. 40ff. (Schlußteil der 9. abusio mit eigenen Zusätzen; vgl.Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. llff.); PL. 125,662 B/C (Auszug wörtlich, wie auch Synode vonDouzy 871 [Responsa episcoporum] Mansi XVI, 643--658; hier 645 B l= Pseudo-Cyprianus5.51 Z. 14£.]; ähnlich schon Synode von Metz 859 MGH. Cap it. Il, edd. A. Boretius-V. Krause[1897] Nr. 298, S. 441-446; hier S. 444 Z. 16ff. und Kapitular Karls d. K. aus Quierzy von 873MGH. Capit. II Nr. 278 S. 342-347; hier S. 345 Z. 21£.); PL. 125, 770ff. (ganze abusio);eherechtliches Gutachten betr. Engeltrud MGH. Epp. VIII, 1 Nr. 13~ ~"1-87; hier S. 85 Z.25f£. (wörtliche Auszüge mit Auslassungen = Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3f.; Z. 12f.; Z. 14f.;S. 52 Z. 4); De regis persona et regio ministerio PL. 125, 833-856; hier 835 B ff. (ganzeabusio); 850 CID (wörtliche Auszüge mit Auslassungen = Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3f.; Z.12f.; Z. 14f.; vg!. Synode von Douzy: Mansi XVI, 655 D); Ad Carolum III PL. 125,989-994;hier 991 Dff. (zum größten Teil wörtlich = Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 3 - S. 52 Z. 10; nachkurzem Zwischentext folgt 992 B Pseudo-Cyprianus S. 53 Z. llff. mit Auslassung); Adepiscopos PL. 125, 1007-1018; hier 1011££. (ganze abusio); De ordine palatii MGH. Capit. IIS. 517-530; hier 5.520 Z. 6ff. (wörtlicher Auszug = Pseudo-Cyprianus S. 51 Z. 4ff.); S. 521Z. 34ff. (wörtlicher Auszug mit Auslassung; s. Pseudo-Cyprianus 5. 53 Z. 11f.; Z. 13ff.);Schedula sive libellus expostulationis PL. 126,566-634; hier 578 B (Anspielung). - Zitat der6. abusio: Grass S. 191£. (wörtlich; direkt im Anschluß an 9. abusio); Ad Carolum, Migne PL.125, 992 B/C (zunächst wörtlich Pseudo-Cyprianus S. 43 Z. 14-5. 44 Z. 3; dann nach freierWiedergabe von Pseudo-Cyprianus 5. 44 Z. 3ff. wörtlich Pseudo-Cyprianus 5.45 Z. 12-18);Ad episcopos PL. 125, 1012 Aff. (ganze abusio im Anschluß an die 9.); De ord. pal. S. 521Z. 21 ff. (wörtliche Auszüge: Pseudo-Cyprianus 5.43 Z. 5ff.; Z. 14ff.; vor dem Extrakt aus der9. abusio).

146 10. abusio: De div. PL. 125, 771 Aff. (ganze abusio, nur der Satz Pseudo-CyprianusS. 55 Z. 5f. hier anders plaziert); De ord. pal. S. 519 Z. 37££. (wörtlicher Auszug = Pseudo-Cyprianus 5. 53 Z. 19ff.); Ad episcopos PL. 125, 1009 B/C (wörtlicher Auszug = Pseudo-Cyprianus 5. 53 Z. 16--5. 54 Z. 3, dem et reliqua angefügt ist); 11. abusio: De reg. pers. PL.125, 850 CID (wörtlicher Auszug mit Auslassungen der biblischen Zwischentexte entspre-chend Synode von Douzy: Mansi XVI, 655 D); 12. abusio: De reg. pers. PL. 125, 851 C(wörtlicher Auszug mit Auslassung von Textpassagen entsprechend Synode von Douzy:Mansi XVI, 656 D).

147 Auf Hinkmars starkes Interesse an dem Traktat dürfte die wohl irrtümliche (s.Hellmann, Pseudo-Cyprianus 5. 18) Mitteilung von Flodoard, Historia Remensis ecclesiae,edd. J. Helier-G. Waitz MGH. SS. XIII (1881) 5. 405--599; hier S. 508 Z. 38f. zurückgehen,Hinkmar selbst habe ein Werk "De XII abusivis" hinterlassen.

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Die klarste Bestätigung findet dies darin, daß wie schon in den Akten derSynode von Metz vom Jahr 859 so auch im Gutachten zur Ehe Lothars 11.von 860aus Pseudo-Cyprian entnommene Verpflichtungen zum Rechtsvollzug und zumVorgehen gegen Rechtsbrecher die Wesensinhalte des minisierium regis darstellen,was dann so in die Akten der Synode von Douzy und in ein Kapitular Karls d. K.vom Jahr 873 übernommen istl48, ja daß in der zu den Spätwerken zählendenSchrift an Karl Ill. die von den irisch-mythischen Komponenten befreite gesamte9. abusio mit ihren negativ wie positiv gefaßten Aufgaben, mit ihrer iustitia regis,als Konkretisierung des ministerium regis zitiert wird149• Hand in Hand geht damit,daß der Reimser Erzbischof in Fortführung der 829 in Paris einsetzenden gedank-lichen Linie ganz entschieden sowohl in dem eherechtliehen Gutachten in denAngelegenheiten einer gewissen Engeltrud von 860 als auch vor allem dann indem Fürstenspiegel "De regis persona et regio ministerio" r in dem er unter Her-anziehung noch weiterer abusiones allgemeinere Normen für die Gesellschaftformuliert, und schließlich in "De ordine palatii" die Hauptverpflichtung desKönigs am 9. Grad Pseudo-Cyprians als die des Correctors herausstellt'P', und daßer mit ebensolchem Nachdruck unter Rekurs auf die .Duodecim abusiva" dieVerantwortung des Königs und seiner Amtsträger für das Volk vor Gott betont151•

148 Synode von Metz 859 MGH. Capit. 11 S. 444 Z. 16ff. Et sanctus Cyprianus regisministerium esse dicit, impios de terra perdere, homieidas, petiuros, adulteros, ueneiicos, saerilegosnon sinere vivere. (Zum Einfluß Hinkmars auf dieser Synode s. L. Halphen, Charlemagne etI'empire carolingien, Paris 21949, S. 367; zur Abfassung der Akten durch ihn Devisse 1 S. 345.S. auch Anton, Fürstenspiegel S. 311; Gross Anm. 13 S. 189f.); De div. PL. 125, 662 BIC Etsanctus Cyprianus in nono absusionis gradu, "regis ministerium esse dicit, impios de terra perdere,parricidas et periuros vivere non sinere" (= Synode von Douzy: Mansi XVI, 645 B); KapitularKarls d. K. MGH. Capit. 11S. 345 Z. 21 f.

149 PL. 125,991 Dff.: Proponant eis frequenter verba sancti Cypriani, qui regis ministeriumin nono gradu abusionum aperte ostendit ...

150 Eherechtliches Gutachten MGH. Epp. VIII, 1 S. 85 Z. 25ff.; der Fürstenspiegel Deregis persona et regio ministerio ist zum größten Teil eine Wiedergabe der oben behandel-ten 24 Capitula diversarum sententiarum pro negociis rei publice consulendis, s. Laehr-Erdmann S. l1Sff.; S. 120f.; Konkordanz bei Wilmart S. 221£.; bei Hinkmar lautet das Rubrumzwar nicht mehr wörtlich wie in den Capitula De nomine regis, et que sit virtus eius. SanctiCipriani (c. 20 Laehr-Erdmann S. 121), sondern De nomine regis, et quae sit felicitas populis sibisubjectis, si gratia Dei bonus rex super eos regnaoerii, et quae sit infelicitas populis sibi subjectis, simalus suo vitio rex super eos regnaverit, sanctus Cyprianus in libro de gradibus Abusionumostendit (PL. 125,835 AlB), doch kommt es ihm unzweifelhaft mit seinem folgenden vollstän-digen Zitat auf die Betonung der aus dem nomen regis zu folgernden Aufgaben an, fern liegtihm eine Aufnahme der mythisch-magischen Elemente, wie Devisse 2 S. 720f. und hiersowie in bezug auf weitere, schon erörterte Belege offenbar Graus S. 328f. u. Anm. 141annehmen, wie auch aus derselben Schrift PL. 125,850 C hervorgeht. Wie wenig Hinkmardie irische, mythische Seite interessiert, erhellt schlagartig dort, wo er nur Ausschnitte ausder 9. und wo er die 6. abusio zitiert (s. Anm. 145 und oben). Weitere abusiones zurFormulierung der Gesellschaftsnormen PL. 125,850 CID (11. abusio); 851 C (12. abusio).-De ord. pal. S. 520 Z. 6ff.

151 De div. MGH. Epp. VIII, 1 S. 78 Z. 40ff.; Ad Carolum PL. 125, 992 B; De ord. pal.S. 521 Z. 34ff.

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Zur Bekräftigung dieses Gedankens zieht er vor allem die 6. abusio heran152, die ersowohl auf den König als auch die großen weltlichen Amtsträger bezieht'P, injedem Fall aber immer in Verbindung mit der abusio rex iniquus bringt.

Mag es auch aus aktuellem Anlaß, in den Auseinandersetzungen mit Hinkmarvon Laon und Papst Hadrian 11., passend erschienen sein, mit verschiedenenabusiones die Unangreifbarkeit der theokratischen Königsgewalt darzulegenl54,so ergibt sich aus den Einzelausführungen doch schon mit Evidenz, daß Pseudo-Cyprian für Hinkmar zu dem Autor geworden ist, nach dem Selbstlenkung, Cor-rectio der Untertanen und Pflicht zu Rechenschaft für das Volk Hauptaufgabendes Königs sind, die ebenso logisch aus dem nomen regis abgeleitet wie demministerium regis zugeordnet werden können.

Der Stellenwert, den der Reimser Erzbischof Pseudo-Cyprian zumißt, kommtsinnvoll darin zum Ausdruck, daß er im Gutachten zu Lothars Ehestreit, einemder großen frühen Werke, die 9. und 10. abusio voll zitiert, um darzulegen, wienach Gelasius Zuordnung und Distanz der beiden großen Ordnungsmächtebeschaffen sein müssen, und daß er in seinen beiden letzten Schriften das Ethosder drei großen Faktoren des Gemeinwesens, von Episkopat, Königtum und Laien-adel, durch die nach seiner Meinung ihnen geltenden Kapitel des irischen Trak-tats fixiert findet und diese Kapitel auszugsweise oder ganz aufeinander folgenläßt155•

Nach der ausgiebigen Verwertung, die Pseudo-Cyprian bei Hinkmar vonReims erfahren hat, ist es verständlich und logisch, daß die Provinzialsynode vonTrosly-Loire (909), die vornehmlich in der Tradition der Pariser Synode von 829mit der Zitation von Gelasius, Augustin, Isidor und einschlägigen alttestamentli-chen Zitaten ein Kompendium der im 9. Jahrhundert vom politischen Augustinis-

152 S. vor allem die Aneinanderreihung an den beiden letzten Stellen: Ad Carolum PL.125,992 BIC folgt der 6. abusio-Passus auf den 9. Grad, in Oe ord. pal. S. 521Z. 20ff.liegt dieumgekehrte Abfolge vor.

153 Bezug auf König und Große: Ad Carolum PL 125,992 B; ebenso Ad episcopos PL.125, 1012A nach Zitat der ganzen 9. und 10. abusio; auf ministri des Königs: Oe ord. pal.S. 521Z. 18ff.; vielleicht auf den König allein: GrassS. 19lf. nach Zitat der ganzen 9. abusio.

154 Vgl. Synode von Douzy: Mansi XVI,6550: Anfang der 9. abusio; ebd. DIE: Extrakteaus der 11. abusio; 656 0: Auszüge aus der 12. abusio; Hinkmar an Hadrian H. PL. 124,876--881; hier 8780; wichtig hier auch Schedula sive libellus expostulationis Pl.,126,578B.

155 De div. Pl., 125,7690 f (nach Gelasiuszitat): de his duabus excellentissimis dignitatumpersonis, beati Cypriani pontificis et martyris gloriosi sententias huic opusculo subnectere dignumduximus, ut attendentes ad formam sui nominis, quantum patitur humana fragilitas, in nulloexorbitent a regula sibi ab eodem pontifice pontificum, et rege regum traditae dignitatis. Ait enim inlibro de duodecim seculi abusivis, primo de rege et postea de episcopo, quia quanto gradus estcelsior, tanto casus est grauior, et quanto est dignitas spiritalior, tanto ascensus sublimior. Es folgtPL. 125,770 Aff. die ganze 9. und anschließend ebd. 771Aff. die ganze 10. abusio. - LetzteSchriften: Oe ord. pal. S. 519Z. 37 ff. = Beginn der 10. abusio; S. 520Z. 6 ff.: Beginn der 9.abusio; S. 521 Z. 21 ff.: Auszüge aus der 6. abusio; Ad episcopos Plo 125, 1009B/C: 10.abusio wörtlich bis et reliqua; 1011A ff.: 9. abusio ganz; 1012A H.: 6. abusio ganz.

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mus vertretenen Auffassungen zu Wesen und Amt des Königtums bietet, zurbesonderen Unterstreichung der Verantwortlichkeit des Königs - dies ist hierder übergeordnete Gesichtspunkt - die Folgen der guten und schlechten Herr-schaft mit Pseudo-Cyprians 9. abusio darlegt156•

Am Schluß dieses Abschnitts und unserer Untersuchung überhaupt bleibt fest-zuhalten, daß Pseudo-Cyprian zum repräsentativen Autor für das Staatsdenkendes 9. Jahrhunderts geworden ist. Repräsentativ nicht deshalb, weil man die vor-nehmlich in der magischen Verknüpfung von König und Natur sich äußerndentypisch irischen Komponenten in seiner Darlegung rezipieren wollte, sondernweil seine diese Aspekte gleichsam zusammenfassende Deutung des nomen regisim Sinn und in der Fortführung Isidors von Sevilla und seine Betonung derVerantwortung des Königs vor Gott den Einzelautoren wie den Synoden als eineaußerordentlich treffende Umschreibung ihres neuen Herrschaftsverständnisseserschien. Primär war es also das Kontinentale in Pseudo-Cyprian, das zu seinerBeliebtheit auf dem Kontinent beitrug. Doch ist nicht zu verkennen, daß zu Gel-tung, Bedeutung und Repräsentativität des Traktats ein inhaltliches Moment ver-half, das bei ihm in logischem Konnex mit der in der nomen regis-Deutung gege-benen Denkprämisse steht, sein Modell der iustitia in ihrer weiten positiven wieauch negativen Fassung. Gerade hieran ließen sich im 9. Jahrhundert klar dieNormen bestimmen und profilieren, nach denen der allein legitim regierende rexiustus vom Tyrannen abzuheben war. Doch da und insofern die zentrale Rolle unddie ausgreifende Reichweite der iustitia auf typisch irischen Vorstellungen basie-ren, haben auch diese das Herrschaftsideal des Kontinents nicht unerheblichmitgeformt und beeinflußt.

156 Akten der Synode: Mansi XVIII,263-308. Vg!.dazu Anton, Fürstenspiegel S. ?42ff.und nun die grundlegende Dissertation von G. Schmitz, Das Konzil von Trosly (909).Uber-lieferung und Quellen, DA. 33 (1977) S. 341-434; hier S. 405ff. Zitat Pseudo-Cyprians:Mansi XVIII,269C-E (= Pseudo-Cyprianus S. 52 Z. 9ff.; S. 53 Z. 5££.).Die hinter dem Zitatder "magischen" Herrschaftsfolgen stehende Intention erhellt aus der angeschlossenen Kon-klusion (Mansi XVIII,269E): Cum ergo tanto ac tali asserente viro ... boni regis justitia, tanta &sibi & regno utilitatis conferat commoda, e contrario vero mali regis pravitas, tanta & sibi et regnoinferat damna: quanta vobis, rex venerande, in cunctis vestris actibus vivendum est cautela? -Das Zitat des Gelasius sowie Hinleitung und Auswertung dazu (Mansi XVIII,267DIE) fußtauf Hinkmar, De ecclesiis et capellis. Vorrede und Anfang des Schlußwortes MGH. Epp.VIII, 1 S. 52-55; hier S. 53 Z. 11-S. 54 Z. 13, doch scheint bei der Rezeption des Gelasius-briefes JK 632 die vom Pariser Konzil ausgehende Überlieferung durchzuschimmern (s.Schmitz S. 411 Anm. 245) und ist im Vergleich zur Vorlage der Gewaltendualismus stärkerbetont (s. Anton, Zum politischen Konzept S. 129mit Anm. 288).Zum Augustinzitat (MansiXVIII,267 Ef.) s. Anton, Fürstenspiegel S. 243; Schmitz S. 411; S. 412mit Anm. 251. Daß dieAbsätze Mansi XVIII, 268 B-C Ut quid rex dictus sit - tyrannus est, ebd. CoD Et quamvisantiquitus - pacificare noverunt sowie ebd. D-E Regale vero ministerium - divinitus commisso,die einschlägigen Ausführungen Isidors, Sent. Ill, 48,7; Et. IX,3,19; 20 sowie die Definitiondes ministerium regale nicht auf das in der Pariser Tradition von 829 stehende AachenerKonzil von 836 (MGH. Cone. II S. 704-767; hier 5.715 Z. 3ff.; S. 716Z. 1ff.) zurückgehen (soAnton, Fürstenspiegel S. 243),sondern auf die Relatio episcoporum von 829,und zwar nicht

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in ihrer überlieferten handschriftlichen Gestalt (MGH. Capit, H Nr. 196 5. 26--51), sondernin einer wohl vollständigeren und besseren, durch die Additio II des Benedictus Levita(MGH. LL. H, 2, ed. G. H. Pertz [1837] 5. 133-139; hier 5. 136 Z. 72ff.; S. 134 Z. 4££.; S. 137Z. 47f£.) gebotenen, macht Schmitz (5. 405f£.; bes. 5. 408), zu dessen wichtigsten Ergebnissenes übrigens gehört, die auch von den MGH.-Editoren V. Krause und A. Werminghoff nichtgesehene Existenz der Relatio episcoporum in dieser Form nachgewiesen zu haben, inhohem Maß wahrscheinlich. - Zur Annahme bei Anton, FürstenspiegelS. 244 Anm. 507,das Konzil von Trosly übernehme den Pseudo-Cyprianpassus wahrscheinlich aus denAkten des Pariser Konzils von 829, die von den Texten der Pariser Tradition allein Pseudo-Cyprian bieten, weist Schmitz 5. 41Of. mit Anm. 244 darauf hin, daß, während die vomPariser Konzil herangezogene Überlieferung der in Hellmanns (Pseudo-Cyprianus S. 27)Stemma mit ~ß bezeichneten Gruppe und damit der verderbtesten der vom Herausgebererfaßten Pseudo-Cyprian-Überlieferung angehöre, die Version des Konzils von Trosly zuder der Gruppe ~ "bei weitem vorzuziehen"(den) (Hellmann, Pseudo-Cyprianus S. 28)Gruppe n gehöre und bemerkenswerterweise mehrfach mit der Berliner Phillippicus-Hs,1691, die Hellmann als beste Überlieferung der Gruppe n ansieht, übereinstimme. AuchHinkmar sei als Vorlage für das Troslejanum auszuscheiden, denn mit [onas von Orleansgehöre er zu den Rezeptoren der Deteriores (Verweis auf Hellmann, Pseudo-Cyprianus 5. 17+ Anm. 7 und S. 28 Anm. 1). Hierzu ist zu sagen, daß abgesehen von der vollen Zustim-mung zu Hellmanns Bewertung der Pseudo-Cyprianrezeption durch die Synode von Parisund Hinkmar - Hinkmars Exemplar ändert sich, was die 9. abusio betrifft, im Lauf seinesLebens (s. Devisse 3 S. 1369; 1491), dabei hat schon sein zunächst wohl von 829 übernomme-nes Exemplar (Gross, Fragment; De divortio) offenbar nicht unbedingt zur Deterioresgruppegehört (s. Gross Anm. 8 s. 188), und ab De regis persona (873) bietet er eine Version, die T,das nach Hellmann zur Gruppe Il gehört, nahesteht (insofern auch zu korrigieren: Grossa.a.O.); überhaupt scheint gegenüber Hellmanns editorischer Leistung wohl kaum Brunhölzls(5. 536) hohes Lob angebracht (man beachte die Einschränkungen bei Esposito S. 228 und diegrundsätzliche von J. Sajdak [Apparatus Pseudocyprianei supplementum, in: Stromata inhonorem Casimiri Morawski, Krakau 1908, S. 1-11] aufgeworfene Problematik; [dazus. Hellmann. Pseudo-Cyprianus 5. 27 Anm. 1]) - die Feststellung von Schmitz im Kern zuRecht besteht und der Schluß, eine Textübernahme aus den Akten von 829 sei beim Konzilvon Trosly unmöglich, unabweisbar erscheint. Wenn trotz der Tatsache, daß 909 Pseudo-Cyprian nach einem anderen Überlieferungszweig als 829 zitiert ist, nicht völlig ausge-schlossen werden kann, daß die spätere Pseudo-Cyprian-Zitation möglicherweise durch dieerste (eventuell über eine Vermittlerquelle) angeregt ist, so geben einige Überlegungen undBeobachtungen dazu Veranlassung: Will man nicht annehmen, daß Trosly Mansi XVIII, 269A: Misericordia & veritas custodient regem; & firmabitur justitia thronus ejus zurückgeht auf[onas von Orleans, De institutione regia 5. 152 Misericordia et veritas custodiunt regem, etroboratur iustitia thronus eius (vgl. Prov. XX, 28) ... Aufer impietatem de vultu regis, et firmabituriustitia ihronus eius (Prov. XXV, 5), wie es Schmitz S. 405 + Anm. 221 nicht voll in Überein-stimmung mit seiner Erklärung der Textbeziehung im ganzen offenbar tut, so ist zu erwä-gen, ob sich in Trosly, wo im Gegensatz zu [onas der Passus vor dem Pseudo-Cyprianzitatplaziert ist, nicht eine Parallele zu den Akten von Paris (MGH. Cone. II S. 650 Z. 6f£.) findet,wo ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Pseudo-Cyprianzitat steht Rex qui iudicat in veritatepauperes, thronus eius in aetemum firmabitur (Prov. XXIX, 14), item Misericordia et veritascustodiunt tegem, et roboratur dementia thronus eius (Prov. XX, 28). Weiter ist zu bedenken, obin dem unmittelbaren Überleitungspasssus zu dem Pseudo-Cyprianzitat nicht eine Bezie-hung zwischen den Akten von Paris 829 (MGH. Cone. 11 S. 650 Z. 8££.): Quantae igiturfelicitatis sit bonus tex quantaeve infelicitatis, si nequam fuerit, beatus Cyprianus eximius martyrChristi, de duodecim abusionibus scribens, inter cetera ait und denen von Trosly (Mansi XVIII,269 C): Existunt & alia multa sancta rum scripturarum testimonia regio nomini & officio conue-nieniia, de quibus pauca ex dictis almi martyris Cypriani decerpta, quantas aduersitates injustitia

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regis regno inferat, et quantum justitia ejus regno proficiat, demonstrabunt. Cum enim descripsis-set, qualiter tex conversari deoeret, subjungit gegeben ist. Schließlich ist in diesem Zusammen-hang auf die zu Beginn dieser Anmerkung schon erwähnte Beobachtung von Schmitz (S. 411Anm. 245) nochmals zu verweisen, derzufolge "bei der Rezeption des Gelasiusbriefes OK632) ... freilich auch die vom Pariser Konzil ausgehende Überlieferung durchzuschimmern"scheint.

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