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Die Katholiken entdecken Basel Beiträge zur Basler Geschichte Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft Christoph Merian Verlag Benedikt Pfister

Die Katholiken entdecken Basel - Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

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Die Geschichte der Katholiken in Basel nach der Reformation begann 1798 mit dem ersten Gottesdienst in der Clarakirche. Die religiöse Minderheit lebte nach den bitteren Erfahrungen des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert in einer Sondergesellschaft. Das katholische Milieu umfasste zahlreiche Vereine, eine eigene Presse und Partei. Dieses Milieu begann nach dem Zweiten Weltkrieg aufzubrechen. Die Katholiken und Basel näherten sich an, und 1972 wurde die katholische Gemeinde öffentlich-rechtlich anerkannt. Im Mittelpunkt steht Pfarrer Franz Blum (1901–1969), der als Seelsorger in St. Clara von 1937 bis 1967 das Aufbrechen des Milieus aktiv vorangetrieben hat. Die Publikation würdigt auch die Nachkriegshilfe der Basler Katholiken für Freiburg, für die Franz Blum 1950 die Ehrenbürgerschaft der Stadt im Breisgau erhielt. Über den Autor: Benedikt Pfister (* 1978) ist Historiker in Basel. 2013 war er als Öffentlichkeitsbeauftragter beim Roten Kreuz in Basel Projektleiter des Buches ‹Die Basler

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Abbildung Umschlagvorderseite :

Die Fronleichnamsprozession der Pfarrei St. Clara vom 22. Juni 1930

zieht durch die Riehentorstrasse am Restaurant Hirscheneck vorbei.

Die Katholiken entdecken Basel

Beiträge zur Basler Geschichte

Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

Christoph Merian Verlag

www.merianverlag.ch

Beiträge zur Basler Geschichte

ISBN 978-3-85616-617-5

9 7 8 3 8 56 1 6 6 17 5

Die öffentliche Geschichte der Katholiken in Basel nach der Reformation begann am 14.Oktober 1798 mit einem Gottesdienst in der Clarakirche. Im Zuge der bitteren Erfahrungen des Kulturkampfes im 19.Jahrhundert zogen sie sich als Minderheit in eine Sondergesellschaft zurück. Das katholische Milieu umfasste zahlreiche Vereine, bald eine eigene Presse und später sogar eine Partei. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann es, sich schrittweise zu öffnen – Katholiken und Basel näherten sich einander an. Aber erst 1972 wurde die katholische Gemeinde öffentlich-rechtlich anerkannt. Im Mittelpunkt der sorgfältig recherchierten, reich bebilderten Publikation steht Pfarrer Franz Blum (1901–1969); er hatte als Seelsorger in St.Clara von 1937 bis 1967 das Aufbrechen des Milieus weit über den Rahmen seiner Pfarrei vorangetrieben. Benedikt Pfister würdigt dabei auch die Nachkriegshilfe der Basler Katholiken für die Stadt Freiburg im Breisgau, die Franz Blum 1950 mit der Ehrenbürgerschaft auszeichnete.

Benedikt Pfister

Zum AutorBenedikt Pfister (*1978) ist Historiker in Basel. Er war als Öffentlichkeitsbeauftragter beim Roten Kreuz in Basel Projektleiter des Buches ‹Die Basler und das Rote Kreuz –125 Jahre SRK Basel ›. Zahlreiche Ver-öffent lichungen, u.a. zur Geschichte des Gewerbe - verbandes Basel-Stadt, zum Sportausrüster ‹Mammut Sports Group AG› und zum Eishockey in der Schweiz.

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I KapiteltitelKapitel-Untertitel

Die Katholiken entdecken Basel

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Beiträge zur Basler Geschichte

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Die Katholiken entdecken Basel

Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

Benedikt Pfister

Christoph Merian Verlag

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1. Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek :Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-85616-617-5

© 2014 Christoph Merian Verlag

Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat : Jörg Bertsch, Basel Gestaltung und Satz : icona baselLithos : LAC AG, BaselDruck und Bindung : Kösel GmbH & Co.KG, Altusried-KrugzellPapier : Lessebo Design Smooth 115 g / m2

www.merianverlag.ch

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Inhalt

9 Vorwort

1 15 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier 19 Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel

20 Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf

22 Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu

25 Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien

28 Erstkommunion in der neuen Kleinbasler Kirche

2 33 Ausbildung in den katholischen Stammlanden 35 Katholische Erziehung in Einsiedeln

38 Das Basler Volksblatt trotzt dem Generalstreik

41 Priesterseminar und studentisches Leben in Luzern

43 Der Katholikentag von 1924 in Basel

47 Die Ausstellung christlicher Kunst am Katholikentag

3 49 Stationen als Seelsorger in der Zwischenkriegszeit 52 Die katholische Pfarrei Frauenfeld sammelt Geld für Pratteln

54 Blums Rückkehr in die Region Basel

56 Kirchgemeindeversammlung sorgt für Aufruhr in der linken Presse

59 Der Tiger wird Blums Nachfolger in Aesch

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Inhalt

4 63 Vom Birseck ins Kleinbasel : Pfarrer in St. Clara 66 Katholische Demonstration im ‹ roten Basel ›

69 Eine neue Osterliturgie für St. Clara

72 Leiter der Caritas in Kriegszeiten

76 500 Jahre Schlacht bei St. Jakob

5 81 Die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau 83 Die Schweizer Spende als Dachorganisation der Schweizer Nachkriegshilfe

86 Die Kinderspeisung der Basler Katholiken

90 Werbung für die Nachkriegshilfe in der Heimat

94 Die religiöse Nachkriegshilfe der Katholiken

96 Die Caritas verschickt Liebesgabenpakete

98 Martha Walz und Franz Blum werden Ehrenbürger von Freiburg

6 101 Der kleine Kulturkampf von 1945 bis 1950 103 Kampf gegen Gleichgültigkeit und ein Minderwertigkeitsgefühl

106 Die Heiligsprechung von Bruder Klaus

110 Die RKG feiert ihren 150. Geburtstag

113 Eine Kirche im Hirzbrunnen für einen Erzengel

115 Der politische Katholizismus fasst Fuss

117 Die Basler Jungkatholiken und der politische Aufschwung

121 Kardinal Mindszenty bewegt die Basler Katholiken

7 123 Die Auseinandersetzung um die moderne Kirchenkunst 125 Die Antoniuskirche schockiert die Traditionalisten

127 Die Gründung der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft

128 Kritische Wortmeldungen von Hans Urs von Balthasar und Linus Birchler

135 Ferdinand Gehr und der Vorhang in Oberwil ZG

6

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Inhalt

8 139 Das katholische Pfarreileben im Wandel 142 Die Vereine in St. Clara

145 Romreise mit dem Marienverein

147 Das katholische Kino als Strassenfeger

150 Der verlorene Kampf gegen die Unmoral

152 Das Bild der « treulosen Juden » wandelt sich

9 155 Constantin Gyr und das neue Gemeindebewusstsein der Katholiken 158 Intensive Arbeit im Vorstand

159 Die RKG als zentrale Organisation für Basels Katholiken

161 Neue Kirchen im Neubad und in Riehen

164 Das Geschenk der Basler Katholiken an die Universität

167 Die Basler Regierung empfängt den Nuntius

168 Das Fischerdorf und das Bruderholz erhalten

eine eigene katholische Pfarrei

170 Die fremdsprachigen Basler Katholiken

10 173 Aus dem katholischen Milieu wird ein Netzwerk 174 Das Erbe von ‹ Vater Walz ›

176 Die karitative Arbeit in den Pfarreien

178 Kunigunde und der Katholische Frauenbund

180 Vom ‹ Haus der gefallenen Engel › zum Säkularinstitut

183 Erneuerung durch die jungen Katholiken

185 Die Jungwachtführer werden selbstständig

189 Die Pfadfinder als untypische katholische Organisation

192 Die ‹ Maitligruppe › als Vorläuferin des Blaurings in St. Clara

194 Frische, fromme, fröhliche und freie katholische Sportvereine

197 Katholische Presselandschaft im Wandel

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Inhalt

11 201 Der katholische Aufbruch und das Zweite Vatikanische Konzil 202 Die Katholiken und die Basler Fasnacht

205 Der Maskenball katholischer Vereine

209 Das letzte Aufbäumen des katholischen Milieus

216 Annäherung an die protestantischen Glaubensbrüder

219 Das Zweite Vatikanische Konzil sorgt für frischen Wind

222 Die Frauen erhalten das Stimmrecht in der RKG

12 227 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Gemeinde 230 Eine katholische Landeskirche in einem vereinigten Kanton Basel ?

233 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung von 1972 / 74

236 « In die Geschichte von Basel eindringen »

239 Schlussbemerkungen

245 Anhang 246 Anmerkungen

253 Statistiken

264 Literaturverzeichnis

271 Bildnachweis

272 Dank

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Die Wahl des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst Franziskus im März 2013

begeisterte viele Menschen. Mit einem einfachen « Buonasera » bei seinem ersten

öffentlichen Auftritt direkt nach der Wahl erreichte der Papst weltweit die Her-

zen der Katholiken. Der Argentinier ist der erste Papst aus Lateinamerika und

gilt als Anwalt der Armen. Franziskus ist ein neuer Hoffnungsträger in der ka-

tholischen Kirche. Der italienische Jesuit und Theologe Antonio Spadaro brach-

te das Befinden vieler Katholiken auf den Punkt : « Dieser Papst macht wieder

Lust, katholisch zu sein und sich für die Kirche zu interessieren. »1 Spadaro

impliziert damit, dass sich die katholische Kirche in einer Identitätskrise befin-

det, aus der Franziskus den Ausweg zeigen soll. Das sind hohe Erwartungen,

zumal die Religion in einer säkularisierten Welt, in der wir im Westen leben,

kaum mehr eine Rolle spielt. Nur hinter vorgehaltener Hand, vielleicht sogar

etwas verschämt, nennt man in Gesprächen seine Religionszugehörigkeit, falls

man überhaupt noch eine hat und darauf angesprochen wird. Das war nicht

immer so.

Die Basler Katholiken erlebten vor fünfzig Jahren eine Blütezeit ihrer Reli-

gion. ‹ Katholischsein › war ein Statement. Das katholische Milieu mit seinen

katholischen Vereinen, der katholischen Partei und Presse, das sich durch eine

Abgrenzung gegen aussen und eine starke Einheit gegen innen definierte, hat-

te sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg überlebt und begann aufzu-

brechen. Die Katholiken öffneten die Tore und Fenster ihrer Festung und mach-

ten sich auf den Weg in die Gesellschaft der Stadt Basel. Mit Ausdauer und

Überzeugung durchbrachen sie die Mauern ihres Milieus und integrierten sich

mit einem neuen starken Selbstbewusstsein in das soziale Leben. Das Gefühl,

in der Diaspora eine vernachlässigte Minderheit zu sein, wich dem Bedürfnis,

an der Gestaltung der Stadt mitzuwirken. Dieses Buch beschreibt, wie aus dem

Vorwort

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Vorwort

rückwärtsgewandten katholischen Milieu ein selbstbewusstes katholisches

Netzwerk wurde. In Zentrum steht Franz Blum ( 1901–1969 ), der als langjähriger

Pfarrer von St. Clara die Ereignisse im katholischen Basel in jener Zeit hautnah

miterlebte und mitgestaltete. St. Clara war die Mutterkirche der Basler Katholi-

ken und Keimzelle des im 20. Jahrhundert erstarkenden Katholizismus in Basel.

Franz Blum war aber kein lauter Agitator, sondern ein bescheidener und viel-

seitig aktiver Gestalter im Hintergrund. Aus den zahlreichen Mitstreitern und

aktiven Gemeindemitgliedern, die Franz Blum zur Seite standen, ragen zwei

Personen heraus, welche die Geschicke des katholischen Basel von St. Clara aus

massgeblich beeinflussten. Constantin Gyr war langjähriger Präsident der katho-

lischen Gesamtgemeinde und verantwortlich dafür, dass die Katholiken in Basel

nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Einheit zusammenwuchsen. Martha Walz

war in der karitativen Arbeit tätig und in katholischen Frauenorganisationen

engagiert. Eine Zeitzeugin sprach von einem « Triumvirat Blum-Gyr-Walz », das

in St. Clara prägenden Einfluss hatte.

Dieses Buch begleitet Franz Blum auf seinen Lebensstationen und beschreibt

damit gleichzeitig stellvertretend eine Geschichte der Basler Katholiken im

20. Jahrhundert. Blums Pfarrzeit in St. Clara von 1937 bis 1967 gibt den engeren

Rahmen vor. Das Buch beschäftigt sich dabei nicht mit dem theologischen Wir-

ken von Franz Blum, sondern setzt den Fokus auf seine sozialen Tätigkeiten und

sein Engagement für die und mit den Pfarreiangehörigen. Die ersten drei Kapitel

begleiten Franz Blum durch seine Kindheit im Basler Gundeldingerquartier,

seine Schul- und Studienzeit in Einsiedeln und in Luzern sowie seine ersten

seelsorgerischen Stationen in Root, Frauenfeld und Aesch. Die folgenden drei

Kapitel beschreiben Blums Wirken als Pfarrer von St. Clara, insbesondere sein

karitatives Wirken für die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau. Das siebte

Kapitel zeigt Blum als Vorreiter einer modernen Kirchenkunst. Das achte Kapitel

beschreibt den Wandel des katholischen Pfarreilebens. Das neunte Kapitel wid-

met sich Constantin Gyr und dem Aufbau der katholischen Gemeinde. Im nächs-

ten Kapitel werden die Arbeit von Martha Walz und der Einfluss des gesellschaft-

lichen Wandels auf das katholische Milieu behandelt. Das neue katholische

Selbstverständnis wird anhand der Haltung der Katholiken zur Basler Fasnacht

und des Einflusses des Zweiten Vatikanischen Konzils im elften Kapitel bespro-

10

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chen. Im letzten Kapitel wird die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholi-

schen Kirche von 1972 / 74 besprochen, die gerne als Höhepunkt der Integration

der Katholiken in die städtische Gesellschaft gesehen wird.

Die berücksichtigten Quellen und die Literatur zeigen eine Innenansicht der

Basler Katholiken. Die Selbstzeugnisse von Franz Blum und anderen geben einen

bisher noch unbekannten Blick auf das katholische Empfinden in der zweiten

Hälfte des 20.Jahrhunderts frei. Der sozialgeschichtliche Zugang zur Geschichte

der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert in Verknüpfung mit einem biografischen

Ansatz ist gerechtfertigt. Der Katholizismus verdankte in Basel seine Blütezeit

Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich nicht einer veränderten katholischen Kir-

chenlehre, sondern dem Engagement der Menschen an der Kirchenbasis.

Franz Blum, Constantin Gyr und Martha Walz stehen stellvertretend für

einige Identitätsmerkmale der katholischen Diaspora in Basel. Die Geschichte

der Basler Katholiken ist auch eine Geschichte der Migration. Franz Blums Fa-

milie stammte aus dem Kanton Aargau. Sein Vater war Grenzwächter und kam

wegen der Arbeit in die Grenzregion Basel. Constantin Gyr wuchs an der Haupt-

strasse in Einsiedeln in der katholischen Innerschweiz auf. Er fand eine Lebens-

stelle in der Basler chemischen Industrie. Die Familie Walz entstammt ursprüng-

lich dem benachbarten badischen Deutschland. Als Geselle auf Wanderschaft

kam Schwiegervater Franz Josef Walz im 19. Jahrhundert nach Basel und grün-

dete hier später eine Speisefettfabrik. Praktisch alle katholischen Familien in

Basel können eine ähnliche Migrationsgeschichte erzählen.

Während Franz Blum das seelsorgerische Wirken repräsentiert, stehen

Constantin Gyr und Martha Walz stellvertretend für das geschlechtsspezifische

Engagement in der katholischen Kirche. Den Frauen kam als erziehenden Müt-

tern eine tragende Rolle in der Tradierung der religiösen Werte zu. Viele Frauen

waren ausserdem in ihrer Pfarrei in der karitativen Arbeit tätig. Martha Walz

engagierte sich nicht nur in der Fürsorge, sondern unterstützte mit ihrem En-

gagement im Katholischen Frauenbund auch den Wunsch der Frauen nach mehr

Freiheit. Das neu entstehende Selbstbewusstsein der katholischen Frauen ging

einher mit dem gesellschaftlichen Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg und trug

wesentlich zu einem Mentalitätswandel im katholischen Milieu bei. Das politi-

sche Engagement im Vorstand der katholischen Gemeinde, einer Pfarrei oder der

Vorwort

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Partei war lange den Männern vorbehalten. Sie strebten eine gesellschaftliche

und politische Gleichberechtigung der Katholiken an.

Als Historiker habe ich versucht, mit der grösstmöglichen Objektivität die

zahlreich vorhandene Literatur zu sichten, die Quellen zu studieren, die Gesprä-

che mit Zeitzeugen zu führen und das Buch zu schreiben. Als Kleinbasler

Katholik, der an der Grenze zwischen den Pfarreien St. Clara und St. Joseph

auf gewachsen ist, scheinen mir einige persönliche Bemerkungen angebracht,

um Transparenz zum Autor zu schaffen.

Mein Grossvater väterlicherseits wuchs als Bauernsohn in Grosswangen im

Kanton Luzern auf. Er studierte Chemie in Zürich und lernte dort seine Frau

kennen. Meine Grossmutter kam aus einer zerrütteten Familie mit geschiedenen

Eltern aus der Ostschweiz. Die Eltern meines Grossvaters lehnten die Hochzeit

deshalb zuerst ab. Erst als ein Benediktiner-Pater aus Sarnen, wo mein Gross-

vater das Gymnasium besucht hatte, die Bedenken der Eltern beruhigte, stimm-

ten sie der Heirat zu. Meine Grosseltern zogen 1945 nach Basel und drei Jahre

später nach Riehen. Mein Grossvater arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei

der Firma Sandoz und war lange Jahre Kassier des Vinzenzvereins in Riehen.

Meine Eltern lernten sich während des Theologiestudiums in Freiburg im Breis-

gau kennen. Zurück in Basel, wohnten sie in den 1970er-Jahren mit zwei be-

freundeten Männern, die ebenfalls Theologen waren, und ihren beiden Frauen,

in einer Theologen-WG. Mein Vater arbeitete als Laientheologe in der Seelsorge

und der Jugendarbeit in St. Clara mit und leitete in späteren Jahren bis zu seiner

Pensionierung die katholische Erwachsenenbildung und die Öffentlichkeits-

arbeit der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt. Meine Mutter wuchs im

benachbarten badischen Deutschland in der Nähe von Heidelberg auf. Sie war

in St. Clara die erste katholische Laientheologin, die in Basel aktiv in einer

Pfarrei mitarbeiten durfte. Bei ihrer ersten Predigt in der Clarakirche identifi-

zierte ein Mann meine Mutter offenbar als Deutsche und verabschiedete sich

darauf mit dem Hitlergruss aus der Kirche. Später arbeitete sie bis zu ihrer

Pensionierung als Religions- und Lateinlehrerin.

Ich selber bin kein praktizierender Katholik, fühle mich aber nicht nur

meiner Eltern wegen mit dem Katholizismus verbunden. Meine mit mir hoch-

schwangere Mutter besuchte nämlich 1978 die ‹ Dörflikilbi ›, das Pfarreifest von

Vorwort

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Vorwort

St. Joseph. Kaum hatte sie etwas zu essen gekauft und sich auf eine der Sitz-

bänke niedergelassen, da setzten die ersten Wehen ein.

Dieses Buch wurde von katholischen Privatpersonen angeregt und begleitet.

Ich danke Prof. Dr. Niklaus Gyr, Dr. Urs Breitenstein, Dr. Joachim Köhn und

Dr. Xaver Pfister ganz herzlich für die Initiative zu diesem Buch, das ohne

sie nicht zustande gekommen wäre, sowie für die tatkräftige Unterstützung.

Für inhaltliche Anregungen und Diskussionen danke ich ganz herzlich Prof.

Dr. Markus Ries, Dr. Patrick Braun und Daniel Künstle, der mir auch Zugang zu

seinem umfangreichen Privatarchiv gewährt hat.

Zeitzeugen waren für die Arbeit eine sehr wichtige Quelle. Für die spannenden

Gespräche danke ich ganz herzlich Margrit Altenburger, Marlen Baudendistel,

Hans Baur, Ruth Bihler Strub, Maria Chiquet, Constantin Gyr, Niklaus Gyr, Rita

King, Gretel Leonhardt, Joseph Nietlispach, Hans-Peter Platz, Mariegret und

Hans-Peter Rüede, Felix Rudolf von Rohr, der im Januar 2014 verstorbenen Klara

Schibler und Roswita Schilling.

Mariegret Rüede, der Nichte von Franz Blum, danke ich für die Mithilfe beim

Erstellen des Stammbaums der Familie Blum und den Einblick in das Familien-

archiv. Rolf Fäs vom Bischöflichen Archiv der Diözese Basel danke ich für die

Mithilfe beim Erstellen des Anhangs. Rosmarie Nebel danke ich für den Zugang

zum Pfarreiarchiv Aesch, Angelus Hux für die Unterstützung beim Besuch im

Pfarreiarchiv Frauenfeld und Rolf Stöcklin und dem Sekretariatsteam der Pfarrei

St. Clara dafür, dass sie sich von meinen Besuchen im Pfarreiarchiv St.Clara nicht

haben stören lassen. Hans Baur danke ich für sein Bewusstsein für die Geschich-

te der Basler Katholiken und den Zugang zum Archiv der Alten Hatstätter.

Mathias Inauen von der Studentenverbindung Waldstättia, Barbara Alzinger vom

St. Katharina-Werk sowie Rita Giger und Franziska Zimmermann vom Katholi-

schen Frauenbund Basel danke ich für die Unterstützung bei der Sichtung von

Unterlagen aus ihren Archiven. Dankbar bin ich für die vielen helfenden Hände

im Staatsarchiv Basel-Stadt, im Staatsarchiv Thurgau, im Klosterarchiv Einsie-

deln, im Stadtarchiv Freiburg, im Erzbischöflichen Archiv der Diözese Freiburg,

im Bischöflichen Archiv der Diözese Basel, im Staatsarchiv Luzern, im Schweize-

rischen Wirtschaftsarchiv und im Archiv des deutschen Caritasverbandes.

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Ohne finanzielle Hilfe hätte dieses Buch nicht entstehen können. Ich danke

der Christoph Merian Stiftung, die aus dem Ertragsanteil der Bürgergemeinde

der Stadt Basel dieses Buch unterstützt hat; der Berta Hess-Cohn Stiftung für

ihren Beitrag an die Druckkosten; den Studentenorganisationen Alt-Froburger

und Alt-Rauracia, dem Bistum Basel, der Stiftung Dialog zwischen Kirchen, Reli-

gionen und Kulturen, dem Erasmusfonds des Dekanats Basel-Stadt, der Ernst

Göhner Stiftung, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, der Rö-

misch-Katholischen Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft, der Römisch-

Katholischen Kirche des Kantons Basel-Stadt, der Stadt Freiburg im Breisgau,

der Erzbischof Hermann Stiftung, dem Swisslos Basel-Landschaft und dem

Swisslos-Fonds Basel-Stadt sowie zahlreichen Privatpersonen für ihre Unter-

stützung.

Mein Dank gilt nicht zuletzt dem Christoph Merian Verlag für die Möglichkeit,

dieses Buch in der Reihe ‹ Beiträge zur Basler Geschichte › zu veröffentlichen,

Jörg Bertsch für das Lektorat und Nicholas Mühlberg für die Gestaltung.

Das vorliegende Buch kann nur einen kurzen Überblick über das Leben von

Franz Blum und die Geschichte der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert geben.

Es wäre wünschenswert, wenn sich weitere Autoren der vielseitigen Geschichte

der Basler Katholiken annehmen würden. Viele Fragen harren einer Antwort.

Vorwort

Page 16: Die Katholiken entdecken Basel - Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

1 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

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Franz Blum kam am 10. November 1901 in Schönenbuch zur Welt. Die Familie

Blum stammte ursprünglich aus dem Kanton Aargau. Vater Franz Blum, 1863 in

Wil AG geboren, kam als Zöllner in den 1890er-Jahren in die Region Basel. Im

solothurnischen Hofstetten brachte seine Frau Emma, geborene Birri aus Zeihen

im Aargau, 1899 die erste Tochter Maria zur Welt. Um die Jahrhundertwende

zog es die junge Familie nach Schönenbuch, wo Franz Blum und 1903 die zwei-

te Tochter Emma zur Welt kamen. Bei der Geburt der dritten und letzten Tochter

Hulda 1908 lebte die Familie in Basel im Gundeldingerquartier.

Die Katholiken in Basel trugen schwarz, als die Familie Blum nach Basel zog.

1900 war Burkard Jurt ( 1822–1900 ), der Pfarrer von St. Clara, gestorben. Jurt

hatte der Mutterkirche der Basler Katholiken 42 Jahre als Pfarrer vorgestanden

und die Zeit des Kulturkampfes nicht nur miterlebt, sondern aktiv daran teilge-

nommen. Er war eine prägende Gestalt des Basler Katholizismus.

Als 1857 ein neuer Pfarrer für St. Clara gesucht wurde, schrieb der damalige

Gemeindepräsident Carl Wahr an den Bischof. Er wies darauf hin, dass es einen

tüchtigen Mann brauche, der sich gegen die vielen intellektuellen protestanti-

schen Theologen und Professoren in Basel behaupten könne und sich auch nicht

scheue, mit der Regierung einen vertraulichen Umgang zu pflegen. Burkard Jurt

aus Luzern erfüllte diese Anforderungen und trat im Januar 1858 sein Amt

an. Während seiner Amtszeit wurde die Clarakirche erweitert, das katholische

Vereins wesen auf- und ausgebaut, das Basler Volksblatt als katholische Zeitung

gegründet und mit St. Marien die erste eigene katholische Kirche in Basel ge-

baut. Der Aufbau der katholischen Gemeinde fiel in Basel in die Zeit des Kultur-

kampfes, den Jurt aus nächster Nähe kennengelernt hatte. Jurt war 1847

Sekretär des Generalstabs der Truppen des katholischen Sonderbundes. Die ka-

tholischen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Wallis und

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Freiburg hatten sich zum Sonderbund zusammengeschlossen, da sie sich von

den freisinnigen Regierungen, die in vielen eidgenössischen Kantonen nach

1830 an die Macht gekommen waren, bedroht fühlten. Verschiedene innerkan-

tonale konfessionelle Auseinandersetzungen wie etwa der Aargauer Klosterstreit

mit der Aufhebung aller Klöster 1841 oder die Berufung von Jesuiten an die

Gymnasien in Luzern führten zu Spannungen zwischen den Freisinnigen und

Konservativen, die 1847 in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg, führten,

der rund 150 Menschen das Leben kostete. Die eidgenössischen Truppen unter

General Guillaume-Henri Dufour besetzten im November 1847 Luzern, worauf

die Sonderbundskantone kapitulierten. In der Folge konstituierte sich die

Schweiz 1848 als Bundesstaat und nicht mehr als Staatenbund, mit entsprechend

Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

Die Familie Blum gegen Ende der 1910er-Jahre. Vater Franz Josef, Emma, Mutter Emma,

Franz, Hulda und Maria ( von links nach rechts ).

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weniger Kompetenzen für die Kantone. Der Bundesstaat war das Ergebnis eines

freisinnigen Sieges über die katholischen Konservativen und veränderte die

konfessionellen Mentalitätsstrukturen, wie Theo Gantner schreibt : « Der wirt-

schaftlich, politisch, wissenschaftlich und sozial einflussreiche Teil der neuen

Eidgenossenschaft bekannte sich zum reformierten Glauben. Die Reformierten

galten und fühlten sich als modern, industriell, städtisch und reich, während

die Katholiken für traditionell, bäuerlich, ländlich und arm gehalten wurden

und sich nach der politischen und militärischen Niederlage von 1847 auch ent-

sprechend fühlten. »2

Basel war zwar nicht Schauplatz des Sonderbundskrieges. Auch galt die

obige Beschreibung für die Katholiken in Basel nur beschränkt. Das Gefühl, nur

Bürger zweiter Klasse zu sein, war allerdings auch für sie prägend. Das Bewusst-

sein, als Katholiken in einer protestantischen Stadt in der Diaspora zu leben,

führte zu einem Rückzug in ein katholisches Milieu, das in den folgenden Jahr-

zehnten aufgebaut wurde.

Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

Der Stammbaum der Familie Blum-Birri.

Fridolin Johann Birri1841 Zeihen AG1918 Aarau

Magdalena Birri1840 Zeihen AG1920 Aarau

Emma Birri3. August 1872 Zeihen AG15. März 1939 Menziken AG

Franz Josef Blum5. November 1863 Wil AG7. März 1937 Menziken AG

Maria Blum20. Februar 1899 Hofstetten14. Juli 1972 Wohlen

Fritz Maritz19. Juli 1895 Aarau27. Februar 1966 Wohlen

Franz Blum10. Nov. 1901 Schönenbuch25. August 1969 Basel

Emma Blum15. März 1903 Schönenbuch1. August 1976 Aesch

Hulda Blum18. Januar 1908 Basel23. Februar 1986 Menziken AG

Josef Lötscher21. Februar 1905 Basel18. Mai 1988 Menziken AG

Gertrud, 5. September 1928Fritz und Franz, 16. September 1929Peter, 28. September 1931Maria, 29. November 1938

Mariegret, 28. November 1936 Franziska, 8. März 1942Josef, 20. September 1945Alle in Menziken AG geboren

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Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel

Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel

Weshalb gab es aber in der seit 1529 reformierten Stadt Basel überhaupt eine

katholische Gemeinde ? Die Geschichte der Katholiken in Basel beginnt 1734.

Seit jenem Jahr lebte ein kaiserlicher Gesandter in Basel, der in einer eigenen

Kapelle am Sonntag eine katholische, seit 1767 vom Rat bewilligte Messe or-

ganisierte. Der Gesandtschaftspriester übernahm auch seelsorgerische Aufga -

ben wie das Abnehmen der Beichte, das Verteilen der Kommunion und Taufen.

Dennoch zogen viele Katholiken aus der Stadt den Besuch der umliegenden

katholischen Kirchen in Dornach, Arlesheim, Blotzheim, Hüningen oder Wyhlen

für den Gottesdienst vor. In Basel selber lebten damals offiziell noch keine

Katholiken, da diesen das Bürgerrecht versagt blieb. Viele der Dienstboten und

Handwerker des Bürgertums stammten aber aus dem Badischen und dem Elsass

und waren katholisch. Auch Zuwanderer aus der Schweiz, speziell aus dem be-

nachbarten Kanton Solothurn, brachten ihren katholischen Glauben mit. Nach

der französischen Revolution besuchten vermehrt auch Menschen aus dem

benachbarten Ausland und in Basel stationierte eidgenössische Truppen den

katholischen Gottesdienst.

Die Stadt reagierte sehr pragmatisch auf die steigende Anzahl der Katholi-

ken. 1797 stellte sie ein Magazin im Clarahof im Kleinbasel für Gottesdienste

zur Verfügung. Im folgenden März fand ein erster Gottesdienst unter der Lei-

tung eines Kapuzinermönches des Klosters Dornach statt. Das eigene Zuhause

erlaubte es den Katholiken, sich an den Aufbau einer Gemeinde zu machen. Der

deutsche Josef Lacher übernahm die Federführung und bemühte sich erfolgreich

um einen eigenen Pfarrer. Er fand Roman Heer aus Klingnau ( 1761–1804 ), der

am 8. April 1798 seinen ersten Gottesdienst vor vollem Haus feierte. Das Maga-

zin des Clarahofs war dem grossen Ansturm nicht gewachsen. Reihenweise kipp-

ten Besucher der Gottesdienste im Sommer wegen des Gedränges und der Hitze

um. Dies blieb der Stadt nicht verborgen. Sie beschloss daher, die benachbarte

Clarakirche paritätisch auch für die Katholiken zu öffnen. Der erste Gottesdienst

in der Clarakirche vom 14. Oktober 1798 gilt als die offizielle ‹ Rückkehr › der

Katholiken nach Basel. Die Helvetische Republik von 1798 garantierte die Glau-

bens- und Gewissensfreiheit. Die Katholiken waren in Basel nun nicht mehr

nur geduldet, sondern konnten sich auf ein Recht berufen. Im gleichen Jahr

Page 21: Die Katholiken entdecken Basel - Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

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organisierte sich eine katholische Gemeinde mit Josef Lacher an der Spitze. Die

Stadt liess die Gründung unter der Bedingung zu, dass sich die Gemeinde nicht

dem Bischof von Basel, sondern dem Bistum Konstanz unterstellte.

Die meisten Katholiken lebten im Kleinbasel. Mit der Clarakirche, welche die

Katholiken 1858 zum alleinigen Gebrauch erhielten, und dem 1836 gekauften

Hatstätterhof konzentrierte sich hier das katholische Leben. Der Lindenberg mit

dem Pfarrhaus, einer Hauskapelle und einem Schulhaus im Hatstätterhof wurde

zur katholischen Festung. Die Stadt reagierte wohlwollend. Sie beteiligte sich

finanziell am Kauf des Hatstätterhofs. Bereits 1834 hatte die Stadt der Gemein-

de zwei Kreuze aus jenem Teil des Münsterschatzes geschenkt, der nach der

Kantonstrennung 1833 nicht an Baselland gefallen war. Die neue Kantonsver-

fassung nach der Trennung der Kantone Basel-Stadt und Baselland erlaubte die

Ausübung jedes christlichen Glaubensbekenntnisses. Mit der Bundesverfassung

1848 erhielten die Katholiken das Niederlassungsrecht und 1860 das Basler Bür-

gerrecht.

Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf

Der Kulturkampf streckte seine Fühler auch nach Basel aus. Nach der Revolution

von 1848 hatte sich der Papst auf die konservative Seite geschlagen. Die rom-

treuen, auch ultramontan genannten Katholiken wurden so für den neuen frei-

sinnigen Bundesstaat von 1848 in der Schweiz zu einer potenziellen Gefahr.

Verschiedene Entscheidungen des Papstes sollten die Katholiken auf ihren Glau-

ben einschwören, irritierten dabei aber auch die Gegenseite. 1854 hatte der

Papst das Dogma der ohne Erbsünde empfangenen Maria verkündet. Dieser In-

halt lässt sich nicht aus Schriften aus dem Kanon der Bibel herleiten und wurde

deshalb von der reformierten Kirche nicht akzeptiert. 1864 veröffentlichte der

Papst den antimodernen ‹ Syllabus Errorum ›, eine Sammlung von 80 Sätzen, die

ein Katholik unter keinen Umständen unterstützen durfte. Es war aber das

Erste Vatikanische Konzil von 1869 / 70, das zu einer innerkatholischen Zerreiss-

probe führte. Das Konzil war eine Reaktion auf die sich wandelnde Gesellschaft,

von der sich der Katholizismus bedroht fühlte. Der Papst befürchtete einen

Verlust seines Einflusses bei den Katholiken. Das Konzil beschloss die Unfehl-

Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

Page 22: Die Katholiken entdecken Basel - Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft

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Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf

barkeit des Papstes in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre. Ebenso wurde das

Jurisdiktionsprimat verabschiedet, das dem Papst den Eingriff in alle Bistümer

erlaubt. In der Folge des deutsch-französischen Krieges besetzten Truppen des

Königreiches Italien den Vatikan und bewirkten eine Unterbrechung des Konzils.

Im Oktober 1870 wurde es auf unbestimmte Zeit vertagt und ist bis heute offi-

ziell nicht abgeschlossen.

Vor allem liberal gesinnte Katholiken konnten die Beschlüsse des Konzils

nicht akzeptieren. Die Alt- oder später Christkatholiken sagten sich auch in

Basel von Rom los. Bereits 1873 erhielten sie in der St. Martinskirche und ab

1879 in der Predigerkirche Gastrecht. Die Ereignisse rund um die innerkatholische

Spaltung politisierten einen jungen Baselbieter, der sich in der Folge zum star-

ken Mann der Basler Katholiken entwickelte. Ernst Feigenwinter ( 1853–1919 )

stammte aus einer Reinacher Bauernfamilie. Nach einem Rechtsstudium in Basel,

München, Strassburg und Berlin arbeitete er als Anwalt in Basel. Die kultur-

kämpferischen Auseinandersetzungen, der Hass und Spott, den die katholische

Kirche insbesondere in der Abspaltung der Altkatholiken erdulden musste, ver-

letzte Feigenwinters Rechtsempfinden und machte ihn zu einem Aktivisten für

die katholische Sache. 1873 besuchte Feigenwinter eine Veranstaltung der Alt-

katholiken in Arlesheim und verteidigte den katholischen Glauben lautstark.

Dabei kamen ihm seine rhetorischen Fähigkeiten zugute, die er unter anderem

durch das Verfolgen der Rededuelle des deutschen Reichskanzlers Otto von Bis-

marck mit dem katholischen Zentrumspolitiker Ludwig Windhorst während sei-

ner Studienzeit in Berlin schulen konnte. Der Anlass in Arlesheim beschäftigte

ihn derart, dass er noch im gleichen Jahr die Gründung einer Zeitung für die

Basler Katholiken, das Basler Volksblatt, vorantrieb.

Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes in der Schweiz wurde 1874 eine neue

Bundesverfassung verabschiedet. Diese beinhaltete auch gegen die Katholiken

gerichtete Artikel, so das Verbot der Errichtung und Wiederherstellung von

Klöstern und der Gründung von religiösen Orden. In der Folge revidierte Basel

1875 seine Kantonsverfassung. Die reformierte Kirche und 1878 auch die christ-

katholische Kirche erhielten den Status als öffentlich-rechtliche Landeskirche.

Die katholische Gemeinde lehnte dies ab, da sie sich nicht unter staatliche und

damit protestantische Oberaufsicht stellen wollte. Sie organisierte sich am

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13. Februar 1876 als Verein und wurde zur Römisch-Katholischen Gemeinde

( RKG ). 1903 und 1909 gab es von katholischer Seite erneute Bemühungen für

eine öffentlich-rechtliche Anerkennung. Man konnte sich aber nicht einigen.

Das neue Kirchengesetz 1910 brachte eine sogenannte ‹ hinkende Trennung › und

‹ Basler Lösung ›. Die evangelisch-reformierte und die christkatholische Kirche

blieben zwar Volkskirchen mit öffentlichem Status, finanziell wurden sie aber

vom Staat getrennt. Sie mussten in Form von Kirchensteuern selber für die

Finanzen aufkommen. Dies war für die Katholiken ein Teilerfolg. Mit ihren

Steuern an den Kanton finanzierten sie in der Folge nicht mehr die anderen

Kirchen mit. Die fehlende öffentlich-rechtliche Anerkennung blieb allerdings für

viele, vor allem politisch aktive Katholiken, bis 1974 ein Makel.

Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu

Es war ein anderes schwerwiegendes Ereignis, welches das katholische Selbst-

verständnis für Jahrzehnte prägte. Höhepunkt des Kulturkampfes in Basel und

gleichzeitig Endpunkt des nationalen Kulturkampfes war die Aufhebung der

katholischen Schule am Lindenberg 1884. Die Schliessung wurde zu einem we-

sentlichen Motor des verstärkten Rückzuges in ein eigenständiges katholisches

Milieu. Wohl kein Ereignis aus der Geschichte der Basler Katholiken wurde so

oft besprochen und bearbeitet wie die Geschehnisse rund um die Schulschlies-

sung. Viele frühe Arbeiten darüber sind heute historische Quellen, sind doch die

Autoren Kinder ihrer Zeit. Publikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahr-

hunderts zeigen eine ‹ Jetzt-erst-recht-Haltung › : Der Katholizismus lässt sich

auch mit der Aufhebung der Schule nicht aus Basel verdrängen. Franz Blum

nannte die Aufhebung in einem Beitrag im Basler Volksblatt 1942 den « härtes-

ten Schlag, den Katholisch-Basel erlitt ».3 Neuere Publikationen sehen in der

Schliessung der Schule einen ersten Schritt zur Integration der Katholiken in

die Stadt und betonen den Vorteil einer konfessionsneutralen Erziehung der

Kinder. Patrick Braun schrieb 2001 : « Der Übertritt der katholischen Kinder in

die öffentlichen Schulen hat die – aus heutiger Sicht – notwendige Assimilation

des katholischen Bevölkerungsteils beschleunigt. »4

Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

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Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu

Pfarrer Roman Heer hatte die katholische Schule 1800 gegründet. Seit 1836

hatte sie im Hatstätterhof eine Heimat. 1864 wurde ein weiteres Haus am Obe-

ren Rheinweg gekauft. Die Schülerzahl stieg bis 1880 auf 1400 Schülerinnen

und Schüler, einen Viertel aller Schulkinder von Basel. Die freisinnige Regierung

verlangte, dass keine Ordensleute mehr an der Schule unterrichten und der

Lehrplan an die staatlichen Schulen angepasst werden sollte. Die katholische

Gemeinde zeigte sich gesprächsbereit, wollte aber nicht auf das Lehrpersonal,

die Lindenbergschwestern und die Marienbrüder, verzichten. Das Thema kam vor

den Grossen Rat, der kontrovers und vom 28. Januar bis zum 5. Februar 1884

sehr ausgiebig darüber diskutierte. Die Konservativen, die heutige Liberaldemo-

kratische Partei ( LDP ), setzten sich stark für die Religionsfreiheit und die

katholische Schule ein. Ohne Erfolg. Am 5. Februar 1884 stimmte der Grosse

Rat mit 66 gegen 50 Stimmen gegen die Lehrtätigkeit der Ordensleute an der

katholischen Schule. Eine Volksabstimmung bestätigte am 24. Februar 1884 bei

einer Stimmbeteiligung von 82 Prozent den Grossen Rat mit 4479 gegen

2910 Stimmen. Einzig die Gemeinde Bettingen lehnte die Vorlage mit 28 gegen

15 Stimmen ab. Die katholische Vorsteherschaft und ihr Mittelsmann und Jurist

Ernst Feigenwinter rekurrierten vergebens beim Bundesrat in Bern gegen den

Entscheid. Nach der Auflösung der Schule wurden die katholischen Schülerinnen

und Schüler in die staatlichen Schulen integriert.

Die Schliessung der Schule war auch für Burkard Jurt eine schwere Nieder-

lage. Der Pfarrer von St. Clara empfand die Schliessung wohl nicht nur als einen

Schritt in eine säkulare Moderne, sondern als gezielten Schlag gegen die Katho-

liken. Dabei konnte auch Jurt austeilen. 1872 beerdigte Jurt einen Katholiken,

der seine Kinder protestantisch erzogen hatte. Der Mann war rücklings über eine

Gartenhecke gestolpert und hatte sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen.

Jurt setzte in seiner Predigt den Tod mit der protestantischen Erziehung der

Kinder in Verbindung. Daraufhin waren Pfui-Rufe zu hören, Jurt wurde als

« Jesuit » beschimpft und es kam zu einem Gerangel. Die Stadt rügte Jurt für

sein Verhalten und wies darauf hin, dass alles unterlassen werden solle, was

den konfessionellen Frieden in der Stadt bedrohe. 1900 verstarb der Kultur-

kämpfer Burkard Jurt.

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Nach den schmerzhaften Erfahrungen des Kulturkampfes zogen sich die

Katholiken noch stärker in eine Sondergesellschaft zurück. Der von aussen be-

droht geglaubte katholische Glaube musste bewahrt werden. Die Katholiken

sollten von der Wiege bis zur Bahre in einem geschützten Umfeld ihr Katho-

lischsein leben können. Der Aufbau dieses Milieus, die Gründung zahlreicher

Vereine und Organisationen, geschah hauptsächlich in den Jahren von 1860 bis

1920. Mit der Industrialisierung entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der

sozialistischen Arbeiterbewegung ausserdem ein weiterer Gegner, gegen den es

sich abzugrenzen galt.

Die rasante Zunahme der Katholiken in Basel von rund 10 000 Personen im

Jahr 1870 auf über 45 000 1910 forderte eine wohldurchdachte Organisation und

Struktur, um die vielen katholischen Arbeiter nicht an andere, speziell das so-

zialistische Milieu, zu verlieren. Die Zuwanderer kamen, wie bereits früher, aus

der badischen und elsässischen Nachbarschaft, aus der Innerschweiz, Solothurn,

dem Aargau und dem Birseck. 1870 wurde der Katholikenverein, auch Volks-

verein genannt, gegründet, der grösste und wichtigste Verein, aus dem sich

später die Katholische Volkspartei entwickelte.

Der Aufbau von eigenen Vereinen wurde für die Katholiken auch deshalb

nötig, weil ihnen die Teilnahme in privaten Vereinen, Organisationen und Ge-

sellschaften sowie die Arbeit in der Verwaltung lange vorenthalten blieb. Die

katholischen Vereine waren nach Geschlechtern getrennt. Für die Männer gab

es, um nur einige wenige zu nennen, neben dem Männer- schon früh einen

Gesellen- und einen Arbeiterverein, die Frauen sammelten sich im Frauen- und

Mütterverein. Für die Mädchen gab es den Marienverein, der Jünglingsverein

war für die Knaben. Die Erfassung in den Vereinen war nicht flächendeckend.

Bereits um 1920 zahlten rund 40 Prozent der Katholiken keine Kultusbeiträge

mehr und nur etwa ein Drittel praktizierte den katholischen Glauben im stren-

gen Sinn.5

Das Milieu bestand aber nicht nur aus den Vereinen, sondern auch aus einem

spezifischen Denken, das sich durch die Abgrenzung gegen das Andere definier-

te. Es war die Aufgabe der Pfarrer und Seelsorger, die Katholiken vor fremden

Einflüssen zu bewahren. Die Mischehe war für eine konfessionelle Minder -

heit die schlimmste Gefahr. Feinde waren auch der Liberalismus, Sozialismus,

Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier

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Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien

Atheismus, Säkularismus und Modernismus. Die Einigelung und geistige Ab-

schottung schuf auf der freisinnigen und sozialistischen Gegenseite ebenfalls

Feindbilder. Für sie waren die Katholiken intolerante Ultramontane oder Träger

des kapitalistischen Systems. Sie verurteilten am Katholizismus die Volksfröm-

migkeit und den Aberglauben, den Klerikalismus und vor allem den politischen

Katholizismus.

Urs Altermatt beschreibt Struktur und Aufgaben des katholischen Milieus :

« Die katholische Weltanschauung verbindet sie [ die Katholiken ] zu einer reli-

giös fundierten Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Da ideologische Wert-

vorstellungen ohne die Hilfe von sozialen Mechanismen nicht existieren kön-

nen, unterhalten die Milieukatholiken untereinander enge soziale Beziehungen

und beschränken ihre sozialen Aktivitäten wenn immer möglich auf den Kreis

der gleichgesinnten Milieuangehörigen. Die sozialen Beziehungen dienen als

Transmissionsriemen, um die katholischen Wertvorstellungen zu tragen und

zu schützen. Sie vermitteln den Milieukatholiken nicht nur das Gefühl des Zu-

hause-Seins, sondern auch die ebenso wichtige Kontrolle, indem sie sie vor der

andersartigen Umwelt schützen. »6

Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien

Die Familie Blum wohnte an der Gundeldingerstrasse 474, am Fuss des Bruder-

holzes und unmittelbar neben dem heutigen Dreispitzareal. Franz Blum hielt in

den 1960er-Jahren einige Erinnerungen an seine Kindheit schriftlich fest : « Hin-

ter dem Haus, in dem wir wohnten, war ein Höflein, ein ebensogrosser Gemüse-

garten und dann gings noch ein paar Schritte bis zum Wald mit dickstämmigen

Bäumen. An diesen Wald knüpft sich meine wohl früheste Kindheitserinnerung.

Die Mutter hatte mich auf dem Arm genommen und stand unter dem Fenster

gegen den Wald. Es muss frühe, vor Tag, im Sommer gewesen sein. ‹ Horch ! ›,

sagte die Mutter. Da wurde ich erst richtig wach und hörte das Jubilieren und

Singen von tausend Vögeln. Der ganze Wald schien mir voller strömenden Freude

und Seligkeit. ‹ Warum singen sie so ? ›, fragte ich. ‹ Sie singen ihr Morgengebet ›,

sagte die Mutter. Ich legte meine Ärmlein um ihren Hals und lauschte. »7

Das Gundeldingerquartier war ein junges Quartier. Nach dem Bau des Bahnhofs