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12 MMW-Fortschr. Med. Nr. 2 / 2013 (155. Jg.) Ein bisschen mehr erhofft sich der Arzt schon ... © stock4you / fotolia Praxis nicht mehr ausgeschrieben Die knifflige Entschädigung Die KVen können seit Jahresanfang unter bestimmten Bedingungen vakante Vertragsarztsitze nicht mehr ausschreiben. Dann müssen sie die Ärzte entschädigen. Doch gerade das könnte noch für Ärger sorgen. _ Mit den neuen Regelungen zur Nachbe- setzung von Vertragsarztsitzen können viele Probleme auf niedergelassene Ärzte zukommen, meint der Medizinrechtler Dr. Ingo Pflugmacher. „Mit dem Thema sind eine Reihe ungeklärter Fragen verbunden.“ In Gebieten mit Zulassungsbeschrän- kungen entscheiden seit dem 1. 1. 2013 die Zulassungsausschüsse auf Antrag eines Vertragsarztes oder seiner Erben darüber, ob die KV den Sitz ausschreibt oder nicht (§ 103, Absatz 3a SGb V). Lehnt der Ausschuss die Ausschreibung ab, muss die KV eine Entschädigung für den Verkaufswert der Praxis zahlen. Soll die Praxis von einem Angehöri- gen, einem angestellten Arzt oder einem Mitgesellschafter weitergeführt werden, kann der Zulassungsausschuss den An- trag auf Ausschreibung nicht ablehnen. Streitfaktor Entschädigungshöhe Über die Höhe der Entschädigungen wird es einigen Streit geben. „Die Ent- schädigungsregelung ist eine Arbeitsbe- schaffungsmaßnahme für Gutachter und Anwälte“, so Pflugmacher auf dem 6. Düsseldorfer Neujahrssymposium der augenärztlichen Medizinischen Versor- gungszentren ADCT in Nordrhein. So sei nicht klar, wie die Höhe der Aus- gleichszahlungen zu ermitteln ist, oder welche Rolle etwa der privatärztliche Teil der Praxis spiele. „Wie die Entschä- digung zum Beispiel bei Gemeinschafts- praxen quantifiziert werden soll, ist völ- UNTERNEHMEN ARZTPRAXIS lig offen“. Unklar ist auch, was passiert, wenn eine Praxis nicht ausgeschrieben wird, für die noch ein lang laufender Mietvertrag gilt. „Muss die KV irgend- wann die Miete für eine Reihe leer ste- hender Praxen bezahlen?“ Dauert künftig alles länger? Der Rechtsanwalt erwartet, dass die Zu- lassungsausschüsse ganz unterschiedlich vorgehen werden. Die KV Nordrhein hat bereits mitgeteilt, dass sich Ausschrei- bungs- und Nachbesetzungsverfahren künftig über neun Monate oder länger ziehen können, berichtete er. Diese lange Zeitspanne steht wohl in den meisten Fällen den Bedürfnissen der Beteiligten entgegen. Er appellierte an die Aus- schüsse, zu einer schnelleren Entschei- dung zu kommen. Laut Pflugmacher ist es nach dem Tod eines Praxisinhabers möglich, für maximal zwei Quartale einen Praxisver- weser einzusetzen. Was, wenn das Nach- besetzungsverfahren neun Monate dau- ert? „Muss die Praxis dann ein Quartal leer bleiben?“ Dann wäre sie nicht mehr zu verkaufen. Der Medizinrechtler verweist darauf, dass im Gesetz nicht festgelegt ist, nach welchen Kriterien die Zulassungsaus- schüsse eine Ausschreibung des Vertrags- arztsitzes ablehnen können. Der simple Verweis auf eine Überversorgung reicht seiner Einschätzung nach nicht aus. „Wenn die Ausschüsse von dem Recht Gebrauch machen, erwarte ich eine Rei- he von Auseinandersetzungen“. Häufig werde es dabei um Schadenersatz gehen. ILSE SCHLINGENSIEPEN Eine Ungewissheit mehr Viele niedergelassene Ärzte haben sich an den Gedanken gewöhnt, dass angesichts des Nachwuchsmangels der Verkauf auch gut gehender Praxen kein Selbstläufer mehr ist. Das Versorgungsstrukturgesetz sorgt nun dafür, dass die Situation in Be- reichen mit Zulassungsbeschränkungen noch einmal schwieriger wird. Seit 1. Januar entscheiden die Zulassungsausschüsse darüber, ob die KV den Vertrags- arztsitz ausschreibt. Lehnen sie angesichts der Versorgungslage eine Ausschreibung ab, muss die KV dem Arzt oder seinen Erben eine Entschädigung in Höhe des Verkehrs- werts zahlen. Es gehört wenig Fantasie zu der Prognose, dass die Entschädigung unter dem Preis bleiben wird, den ein Arzt mit einem Interessenten aushandeln könnte. Zwar ist nicht anzunehmen, dass die Zulassungsausschüsse sich jetzt in großem Um- fang dafür entscheiden werden, Praxen vom Markt zu nehmen. Dennoch sollten Ärzte diese Option bei ihren Planungen rechtzeitig berücksichtigen – etwa indem sie ihre Praxis in die Hände von Familienmitgliedern, Angestellten oder Partnern geben. Denn dann ist die Ausschreibung zwingend. Ärzte, die noch nicht lange niedergelassen sind, können sich auf die neue Lage einstel- len. Ärgerlich ist es für diejenigen, die unter anderen Voraussetzungen geplant haben. ILSE SCHLINGENSIEPEN Kommentar

Die knifflige Entschädigung

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12 MMW-Fortschr. Med. Nr. 2 / 2013 (155. Jg.)

Ein bisschen mehr erhofft sich der Arzt schon ...

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Praxis nicht mehr ausgeschrieben

Die knifflige EntschädigungDie KVen können seit Jahresanfang unter bestimmten Bedingungen vakante Vertragsarztsitze nicht mehr ausschreiben. Dann müssen sie die Ärzte ent schädigen. Doch gerade das könnte noch für Ärger sorgen.

_ Mit den neuen Regelungen zur Nachbe­setzung von Vertragsarztsitzen können viele Probleme auf niedergelassene Ärzte zukommen, meint der Medizinrechtler Dr. Ingo Pflugmacher. „Mit dem Thema sind eine Reihe ungeklärter Fragen verbunden.“

In Gebieten mit Zulassungsbeschrän­kungen entscheiden seit dem 1. 1. 2013 die Zulassungsausschüsse auf Antrag eines Vertragsarztes oder seiner Erben darüber, ob die KV den Sitz ausschreibt oder nicht (§ 103, Absatz 3a SGb V). Lehnt der Ausschuss die Ausschreibung ab, muss die KV eine Entschädigung für den Verkaufswert der Praxis zahlen.

Soll die Praxis von einem Angehöri­gen, einem angestellten Arzt oder einem Mitgesellschafter weitergeführt werden, kann der Zulassungsausschuss den An­trag auf Ausschreibung nicht ablehnen.

Streitfaktor EntschädigungshöheÜber die Höhe der Entschädigungen wird es einigen Streit geben. „Die Ent­schädigungsregelung ist eine Arbeitsbe­schaffungsmaßnahme für Gutachter und Anwälte“, so Pflugmacher auf dem 6. Düsseldorfer Neujahrssymposium der augenärztlichen Medizinischen Versor­gungszentren ADCT in Nordrhein. So sei nicht klar, wie die Höhe der Aus­gleichszahlungen zu ermitteln ist, oder welche Rolle etwa der privatärztliche Teil der Praxis spiele. „Wie die Entschä­digung zum Beispiel bei Gemeinschafts­praxen quantifiziert werden soll, ist völ­

UNTERNEHMEN ARZTPRAXIS

lig offen“. Unklar ist auch, was passiert, wenn eine Praxis nicht ausgeschrieben wird, für die noch ein lang laufender Mietvertrag gilt. „Muss die KV irgend­wann die Miete für eine Reihe leer ste­hender Praxen bezahlen?“

Dauert künftig alles länger?Der Rechtsanwalt erwartet, dass die Zu­lassungsausschüsse ganz unterschiedlich vorgehen werden. Die KV Nordrhein hat bereits mitgeteilt, dass sich Ausschrei­bungs­ und Nachbesetzungsverfahren künftig über neun Monate oder länger ziehen können, berichtete er. Diese lange Zeitspanne steht wohl in den meisten Fällen den Bedürfnissen der Beteiligten entgegen. Er appellierte an die Aus­schüsse, zu einer schnelleren Entschei­dung zu kommen.

Laut Pflugmacher ist es nach dem Tod eines Praxisinhabers möglich, für maximal zwei Quartale einen Praxisver­weser einzusetzen. Was, wenn das Nach­besetzungsverfahren neun Monate dau­ert? „Muss die Praxis dann ein Quartal leer bleiben?“ Dann wäre sie nicht mehr zu verkaufen.

Der Medizinrechtler verweist darauf, dass im Gesetz nicht festgelegt ist, nach welchen Kriterien die Zulassungsaus­schüsse eine Ausschreibung des Vertrags­arztsitzes ablehnen können. Der simple Verweis auf eine Überversorgung reicht seiner Einschätzung nach nicht aus. „Wenn die Ausschüsse von dem Recht Gebrauch machen, erwarte ich eine Rei­he von Auseinandersetzungen“. Häufig werde es dabei um Schadenersatz gehen.

Ilse schlIngensIepen ■

Eine Ungewissheit mehrViele niedergelassene Ärzte haben sich an den Gedanken gewöhnt, dass angesichts des Nachwuchsmangels der Verkauf auch gut gehender Praxen kein Selbstläufer mehr ist. Das Versorgungsstrukturgesetz sorgt nun dafür, dass die Situation in Be-reichen mit Zulassungsbeschränkungen noch einmal schwieriger wird.

Seit 1. Januar entscheiden die Zulassungsausschüsse darüber, ob die KV den Vertrags-arztsitz ausschreibt. Lehnen sie angesichts der Versorgungslage eine Ausschreibung ab, muss die KV dem Arzt oder seinen Erben eine Entschädigung in Höhe des Verkehrs-werts zahlen. Es gehört wenig Fantasie zu der Prognose, dass die Entschädigung unter dem Preis bleiben wird, den ein Arzt mit einem Interessenten aushandeln könnte.

Zwar ist nicht anzunehmen, dass die Zulassungsausschüsse sich jetzt in großem Um-fang dafür entscheiden werden, Praxen vom Markt zu nehmen. Dennoch sollten Ärzte diese Option bei ihren Planungen rechtzeitig berücksichtigen – etwa indem sie ihre Praxis in die Hände von Familienmitgliedern, Angestellten oder Partnern geben. Denn dann ist die Ausschreibung zwingend.

Ärzte, die noch nicht lange niedergelassen sind, können sich auf die neue Lage einstel-len. Ärgerlich ist es für diejenigen, die unter anderen Voraussetzungen geplant haben. Ilse schlIngensIepen ■

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