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Die Kraft Der Kunst

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Inhalt

Vorbemerkung 1048633

Die Kraft der Kunst Sieben Tesen 10486251048625

I Aumlsthetische Kategorien

983089 Das Kunstwerk zwischen Moumlglichkeit

und Unmoumlglichkeit 10486251048631983090 Die Schoumlnheit zwischen Anschauung und Rausch 10486281048625

983091 Das Urteil zwischen Ausdruck und Reflexion 10486291048630

983092 Das Experiment zwischen Kunst und Leben 10486321048626

Anhang Experiment und Institution 104862510486241048627

II Aumlsthetisches Denken

983089 Aumlsthetisierung ndash des Denkens 104862510486251048625

983090 Aumlsthetische Freiheit Geschmack wider Willen 104862510486271048626

Anhang Sechs Saumltze zur Begriffsstruktur aumlsthetischer Freiheit 104862510486291048624

983091 Aumlsthetische Gleichheit die Ermoumlglichung der Politik 104862510486291048632

extnachweise 104862510486311048630

Namenregister 104862510486311048632

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983090Die Schoumlnheit zwischen Anschauung und Rausch

Die Schoumlnheit ist keine Eigenschaft der Kunst Sie ist nicht eineEigenschaft bloszlig der Kunst alles aus jeder Kategorie von Dingenkann schoumln sein Aber vor allem ist die Schoumlnheit nicht bloszlig eineEigenschaft der Kunst Daszlig raquoSchoumlnheitlaquo ein Praumldikat in Urteilen istist eine atsache der Oberflaumlchengrammatik die die Einsicht darinwas die Schoumlnheit ist mehr verdeckt als erhellt (so wie die atsache

daszlig wir uumlber Kunstwerke urteilen daszlig sie also Gegenstaumlnde von Werturteilen sind mehr verdeckt als erhellt wie wir Kunstwerkebeurteilen ndash und was Urteilen dabei heiszligt1) Eigenschaften kom-men Gegenstaumlnden zu deren Existenz wir feststellen und derenBeschaffenheit wir erkennen koumlnnen Eigenschaften gehoumlren in dieOrdnung des Wirklichen Die Schoumlnheit jedoch ist Schein Nur imScheinen gibt es Schoumlnes2

Wie zeigt sich das in der Weise in der wir das Schoumlne erfahrenndash in der Erfahrung aumlsthetischer Lust Was bereitet uns wodurch aumls-thetische Lust wenn sie als Lust am Schoumlnen nicht die Lust an derExistenz eines Gegenstands mit diesen oder jenen Eigenschaftensondern eine Lust am Schein ist

983089 Promesse du bonheur

Daszlig die Schoumlnheit Schein ist hat Stendhal so gedeutet daszlig sieraquolediglich Verheiszligung von Gluumlcklaquo sei (oder raquonur ein Versprechenvon Gluumlcklaquo ndash raquola beauteacute nrsquoest que la promesse du bonheurlaquo) solautet die beruumlhmte Bestimmung die Stendhal in seiner raquoPhysio-logie der Liebelaquo De lrsquoamour versteckt in einer Fuszlignote gegeben

1048625 Dazu ausfuumlhrlicher in diesem Band I983091 raquoDas Urteil zwischen Ausdruck und Re-flexionlaquo

1048626 Zum Scheincharakter des Aumlsthetischen siehe Karl Heinz Bohrer Ploumltzlichkeit Zum Augenblick des aumlsthetischen Scheins FrankfurtM Suhrkamp 983089983097983096983089 AlexanderGarciacutea Duumlttmann raquoDer Scheinlaquo in Inaesthetik Nr 983088 (983090983088983088983096) S 983089983092983097-983089983093983095 und eil-nahme Bewusstsein des Scheins Konstanz Konstanz University Press 983090983088983089983089 MartinSeel Aumlsthetik des Erscheinens MuumlnchenWien Hanser 983090983088983088983088

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hat3 Das Schoumlne ist nach Stendhal darin Schein daszlig die Lust diewir an ihm erfahren zugleich auf etwas anderes verweist ndash etwasanderes verheiszligt oder verspricht Das ist das Gluumlck In der Lustam Schoumlnen geht es nicht wie die klassische Poetik geglaubt hatte

um die Vollkommenheit von Formgestalten und auch nicht so die Alternative der neuzeitlichen Aumlsthetik um die Selbsterfahrung undSelbstvergewisserung der Subjektivitaumlt das Schoumlne ist nicht Scheinder Wahrheit Das Schoumlne ist nach Stendhal vielmehr Schein weilin der Lust die wir gegenwaumlrtig an ihm erfahren diejenigen Freu-den und Vergnuumlgen zugleich an- und abwesend sind als abwesendeanwesend und als anwesende abwesend die unser Gluumlck ausma-

chen Der schoumlne Schein verheiszligt das Gluumlck des Lebens ndash der schouml-ne Schein ist raquoVorscheinlaquo4

Spaumltestens seit Nietzsche ist Stendhals Formel daher zumSchlachtruf einer antiidealistischen Aumlsthetik geworden die den

Abstand der die Kunst vom Leben trennt bestreitet und beidewieder miteinander zu vereinen sucht Heute ist es die postmoder-ne Polemik gegen die Kunst der Moderne gegen ihren Purismus

ihren Elitismus und ihre Distanz die sich der Formel Stendhalsbedient5 Die aumlsthetische Moderne ndash so lautet diese Polemik ndash habezuerst den Glauben an die Schoumlnheit zerstoumlrt denn Schoumlnheitsei an die Attraktivitaumlt der Erscheinung gebunden waumlhrend sichdie Moderne allein fuumlr Fragen der kuumlnstlerischen Form interessie-re Im zweiten Schritt habe die aumlsthetische Moderne sodann jedeVerbindung zwischen der kuumlnstlerischen Form und den Freuden

und Vergnuumlgen durchtrennt die zum Gluumlck eines erfuumlllten Lebensgehoumlren Die aumlsthetische Moderne schaue demnach mit Verach-tung auf das Gluumlck in dem sie nur tiergleiche Sinnlichkeit (Kant)oder kulturindustriell produziertes Einverstaumlndnis (Adorno) zusehen vermoumlge Dagegen scheint es Stendhal wenn er die Schoumln-

1048627 Stendhal (Henri Beyle) Uumlber die Liebe vollstaumlndige Ausgabe uumlbers v WalterHoyer FrankfurtM Insel 983089983097983095983097 S 983095983094 von raquoPhysiologielaquo spricht Stendhal im

Vorwort fuumlr die geplante zweite Ausgabe von 983089983096983092983090 ebd S 983091983094 Stendhal Delrsquoamour seule eacutedition complegravete Paris Leacutevy Fregraveres 983089983096983093983095 S 983091983092 und XVIII

1048628 Unter diesem itel hat Gert Ueding Ernst Blochs aumlsthetische Uumlberlegungen ver-sammelt siehe Ernst Bloch Aumlsthetik des Vorscheins 983090 Bde hg v Gert UedingFrankfurtM Suhrkamp 983089983097983095983092

1048629 Prononciert Alexander Nehamas Only a Promise of Happiness Te Place of Beautyin a World of Art PrincetonOxford Princeton University Press 983090983088983088983095 besondersKap I

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heit als Versprechen des Gluumlcks definiert um den positiven Zusam-menhang zwischen der Schoumlnheit auch der der Kunst und demGluumlck erfuumlllten Lebens zu gehen Schoumlnheit und Gluumlck bezeichnendie aumlsthetische und die ethische Gestalt des Gelingens und diese

beiden Gestalten muumlssen so die postmoderne Inanspruchnahmevon Stendhals Formel als zwei Elemente einer umfassenden in-tegrativen Lebenskunst gedacht werden Stendhals Formel wirdzum Motto einer postmodernen Versoumlhnungslehre Dieser entgeht

jedoch vollstaumlndig die paradoxe Einsicht auf die Stendhals antiro-mantische Formulierung hinauslaumluft

Antiromantisch kann Stendhals Formulierung genannt werden

weil sie auf Desillusionierung zielt raquoDie Schoumlnheit ist lediglichVerheiszligung von Gluumlcklaquo ist die Pointe auf die Stendhal sein Argu-ment bringt daszlig die Schoumlnheit die der Liebende der Geliebtenzuspricht der Effekt eines Mechanismus ist den er als raquoKristalli-sationlaquo bezeichnet raquoIch bezeichne als Kristallisation die aumltigkeitdes Geistes in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschenneue Vorzuumlge zu entdeckenlaquo6 Die Schoumlnheit der Geliebten ist eine

Kristallisation der Phantasie des Liebenden raquoNur die Einbildungs-kraft versichert uns daszlig die geliebte Frau jene Vollkommenheitbesitztlaquo7 Dabei operiert die Einbildungskraft des Liebenden imNamen seines Begehrens seiner Leidenschaft Die Schoumlnheit diedie Phantasie des Liebenden der Geliebten zuschreibt ist deshalbdie raquoVerheiszligung uns neue Freuden zu schenkenlaquo weil sie nichts alseine Hervorbringung der Einbildungskraft ist die von dem Begeh-

ren der Suche nach Freuden und Lust angetrieben istStendhals Einsicht in den imaginativen gar projektiven Cha-

rakter der Schoumlnheit ndash daszlig es uns in der Bewunderung der Schoumln-heit der Geliebten um das Gluumlck geht das sie uns zu bereiten ver-spricht ndash laumluft auf die Schluszligfolgerung hinaus daszlig die Schoumlnheitfuumlr jeden Menschen anders sein muszlig Diesen Schluszlig zieht die

1048630 Stendhal Uumlber die Liebe S 983092983093 Stendhal erlaumlutert seine Wahl dieses erminus soraquoIn den Salzburger Salzgruben wirft man in die iefe eines verlassenen Schach-tes einen entblaumltterten Zweig zwei oder drei Monate spaumlter zieht man ihn uumlberund uumlber mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus selbst die kleinstenZweiglein nicht groumlszliger als die Krallen einer Meise sind uumlberzogen mit zahllosenschillernden blitzenden Diamanten man erkennt den einfaumlltigen Zweig gar nichtwiederlaquo (Ebd)

1048631 Ebd S 983093983091

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

10486251048629 Ebd S 983090983089983093 f

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Inhalt

Vorbemerkung 1048633

Die Kraft der Kunst Sieben Tesen 10486251048625

I Aumlsthetische Kategorien

983089 Das Kunstwerk zwischen Moumlglichkeit

und Unmoumlglichkeit 10486251048631983090 Die Schoumlnheit zwischen Anschauung und Rausch 10486281048625

983091 Das Urteil zwischen Ausdruck und Reflexion 10486291048630

983092 Das Experiment zwischen Kunst und Leben 10486321048626

Anhang Experiment und Institution 104862510486241048627

II Aumlsthetisches Denken

983089 Aumlsthetisierung ndash des Denkens 104862510486251048625

983090 Aumlsthetische Freiheit Geschmack wider Willen 104862510486271048626

Anhang Sechs Saumltze zur Begriffsstruktur aumlsthetischer Freiheit 104862510486291048624

983091 Aumlsthetische Gleichheit die Ermoumlglichung der Politik 104862510486291048632

extnachweise 104862510486311048630

Namenregister 104862510486311048632

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983090Die Schoumlnheit zwischen Anschauung und Rausch

Die Schoumlnheit ist keine Eigenschaft der Kunst Sie ist nicht eineEigenschaft bloszlig der Kunst alles aus jeder Kategorie von Dingenkann schoumln sein Aber vor allem ist die Schoumlnheit nicht bloszlig eineEigenschaft der Kunst Daszlig raquoSchoumlnheitlaquo ein Praumldikat in Urteilen istist eine atsache der Oberflaumlchengrammatik die die Einsicht darinwas die Schoumlnheit ist mehr verdeckt als erhellt (so wie die atsache

daszlig wir uumlber Kunstwerke urteilen daszlig sie also Gegenstaumlnde von Werturteilen sind mehr verdeckt als erhellt wie wir Kunstwerkebeurteilen ndash und was Urteilen dabei heiszligt1) Eigenschaften kom-men Gegenstaumlnden zu deren Existenz wir feststellen und derenBeschaffenheit wir erkennen koumlnnen Eigenschaften gehoumlren in dieOrdnung des Wirklichen Die Schoumlnheit jedoch ist Schein Nur imScheinen gibt es Schoumlnes2

Wie zeigt sich das in der Weise in der wir das Schoumlne erfahrenndash in der Erfahrung aumlsthetischer Lust Was bereitet uns wodurch aumls-thetische Lust wenn sie als Lust am Schoumlnen nicht die Lust an derExistenz eines Gegenstands mit diesen oder jenen Eigenschaftensondern eine Lust am Schein ist

983089 Promesse du bonheur

Daszlig die Schoumlnheit Schein ist hat Stendhal so gedeutet daszlig sieraquolediglich Verheiszligung von Gluumlcklaquo sei (oder raquonur ein Versprechenvon Gluumlcklaquo ndash raquola beauteacute nrsquoest que la promesse du bonheurlaquo) solautet die beruumlhmte Bestimmung die Stendhal in seiner raquoPhysio-logie der Liebelaquo De lrsquoamour versteckt in einer Fuszlignote gegeben

1048625 Dazu ausfuumlhrlicher in diesem Band I983091 raquoDas Urteil zwischen Ausdruck und Re-flexionlaquo

1048626 Zum Scheincharakter des Aumlsthetischen siehe Karl Heinz Bohrer Ploumltzlichkeit Zum Augenblick des aumlsthetischen Scheins FrankfurtM Suhrkamp 983089983097983096983089 AlexanderGarciacutea Duumlttmann raquoDer Scheinlaquo in Inaesthetik Nr 983088 (983090983088983088983096) S 983089983092983097-983089983093983095 und eil-nahme Bewusstsein des Scheins Konstanz Konstanz University Press 983090983088983089983089 MartinSeel Aumlsthetik des Erscheinens MuumlnchenWien Hanser 983090983088983088983088

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hat3 Das Schoumlne ist nach Stendhal darin Schein daszlig die Lust diewir an ihm erfahren zugleich auf etwas anderes verweist ndash etwasanderes verheiszligt oder verspricht Das ist das Gluumlck In der Lustam Schoumlnen geht es nicht wie die klassische Poetik geglaubt hatte

um die Vollkommenheit von Formgestalten und auch nicht so die Alternative der neuzeitlichen Aumlsthetik um die Selbsterfahrung undSelbstvergewisserung der Subjektivitaumlt das Schoumlne ist nicht Scheinder Wahrheit Das Schoumlne ist nach Stendhal vielmehr Schein weilin der Lust die wir gegenwaumlrtig an ihm erfahren diejenigen Freu-den und Vergnuumlgen zugleich an- und abwesend sind als abwesendeanwesend und als anwesende abwesend die unser Gluumlck ausma-

chen Der schoumlne Schein verheiszligt das Gluumlck des Lebens ndash der schouml-ne Schein ist raquoVorscheinlaquo4

Spaumltestens seit Nietzsche ist Stendhals Formel daher zumSchlachtruf einer antiidealistischen Aumlsthetik geworden die den

Abstand der die Kunst vom Leben trennt bestreitet und beidewieder miteinander zu vereinen sucht Heute ist es die postmoder-ne Polemik gegen die Kunst der Moderne gegen ihren Purismus

ihren Elitismus und ihre Distanz die sich der Formel Stendhalsbedient5 Die aumlsthetische Moderne ndash so lautet diese Polemik ndash habezuerst den Glauben an die Schoumlnheit zerstoumlrt denn Schoumlnheitsei an die Attraktivitaumlt der Erscheinung gebunden waumlhrend sichdie Moderne allein fuumlr Fragen der kuumlnstlerischen Form interessie-re Im zweiten Schritt habe die aumlsthetische Moderne sodann jedeVerbindung zwischen der kuumlnstlerischen Form und den Freuden

und Vergnuumlgen durchtrennt die zum Gluumlck eines erfuumlllten Lebensgehoumlren Die aumlsthetische Moderne schaue demnach mit Verach-tung auf das Gluumlck in dem sie nur tiergleiche Sinnlichkeit (Kant)oder kulturindustriell produziertes Einverstaumlndnis (Adorno) zusehen vermoumlge Dagegen scheint es Stendhal wenn er die Schoumln-

1048627 Stendhal (Henri Beyle) Uumlber die Liebe vollstaumlndige Ausgabe uumlbers v WalterHoyer FrankfurtM Insel 983089983097983095983097 S 983095983094 von raquoPhysiologielaquo spricht Stendhal im

Vorwort fuumlr die geplante zweite Ausgabe von 983089983096983092983090 ebd S 983091983094 Stendhal Delrsquoamour seule eacutedition complegravete Paris Leacutevy Fregraveres 983089983096983093983095 S 983091983092 und XVIII

1048628 Unter diesem itel hat Gert Ueding Ernst Blochs aumlsthetische Uumlberlegungen ver-sammelt siehe Ernst Bloch Aumlsthetik des Vorscheins 983090 Bde hg v Gert UedingFrankfurtM Suhrkamp 983089983097983095983092

1048629 Prononciert Alexander Nehamas Only a Promise of Happiness Te Place of Beautyin a World of Art PrincetonOxford Princeton University Press 983090983088983088983095 besondersKap I

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heit als Versprechen des Gluumlcks definiert um den positiven Zusam-menhang zwischen der Schoumlnheit auch der der Kunst und demGluumlck erfuumlllten Lebens zu gehen Schoumlnheit und Gluumlck bezeichnendie aumlsthetische und die ethische Gestalt des Gelingens und diese

beiden Gestalten muumlssen so die postmoderne Inanspruchnahmevon Stendhals Formel als zwei Elemente einer umfassenden in-tegrativen Lebenskunst gedacht werden Stendhals Formel wirdzum Motto einer postmodernen Versoumlhnungslehre Dieser entgeht

jedoch vollstaumlndig die paradoxe Einsicht auf die Stendhals antiro-mantische Formulierung hinauslaumluft

Antiromantisch kann Stendhals Formulierung genannt werden

weil sie auf Desillusionierung zielt raquoDie Schoumlnheit ist lediglichVerheiszligung von Gluumlcklaquo ist die Pointe auf die Stendhal sein Argu-ment bringt daszlig die Schoumlnheit die der Liebende der Geliebtenzuspricht der Effekt eines Mechanismus ist den er als raquoKristalli-sationlaquo bezeichnet raquoIch bezeichne als Kristallisation die aumltigkeitdes Geistes in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschenneue Vorzuumlge zu entdeckenlaquo6 Die Schoumlnheit der Geliebten ist eine

Kristallisation der Phantasie des Liebenden raquoNur die Einbildungs-kraft versichert uns daszlig die geliebte Frau jene Vollkommenheitbesitztlaquo7 Dabei operiert die Einbildungskraft des Liebenden imNamen seines Begehrens seiner Leidenschaft Die Schoumlnheit diedie Phantasie des Liebenden der Geliebten zuschreibt ist deshalbdie raquoVerheiszligung uns neue Freuden zu schenkenlaquo weil sie nichts alseine Hervorbringung der Einbildungskraft ist die von dem Begeh-

ren der Suche nach Freuden und Lust angetrieben istStendhals Einsicht in den imaginativen gar projektiven Cha-

rakter der Schoumlnheit ndash daszlig es uns in der Bewunderung der Schoumln-heit der Geliebten um das Gluumlck geht das sie uns zu bereiten ver-spricht ndash laumluft auf die Schluszligfolgerung hinaus daszlig die Schoumlnheitfuumlr jeden Menschen anders sein muszlig Diesen Schluszlig zieht die

1048630 Stendhal Uumlber die Liebe S 983092983093 Stendhal erlaumlutert seine Wahl dieses erminus soraquoIn den Salzburger Salzgruben wirft man in die iefe eines verlassenen Schach-tes einen entblaumltterten Zweig zwei oder drei Monate spaumlter zieht man ihn uumlberund uumlber mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus selbst die kleinstenZweiglein nicht groumlszliger als die Krallen einer Meise sind uumlberzogen mit zahllosenschillernden blitzenden Diamanten man erkennt den einfaumlltigen Zweig gar nichtwiederlaquo (Ebd)

1048631 Ebd S 983093983091

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

10486251048629 Ebd S 983090983089983093 f

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983090Die Schoumlnheit zwischen Anschauung und Rausch

Die Schoumlnheit ist keine Eigenschaft der Kunst Sie ist nicht eineEigenschaft bloszlig der Kunst alles aus jeder Kategorie von Dingenkann schoumln sein Aber vor allem ist die Schoumlnheit nicht bloszlig eineEigenschaft der Kunst Daszlig raquoSchoumlnheitlaquo ein Praumldikat in Urteilen istist eine atsache der Oberflaumlchengrammatik die die Einsicht darinwas die Schoumlnheit ist mehr verdeckt als erhellt (so wie die atsache

daszlig wir uumlber Kunstwerke urteilen daszlig sie also Gegenstaumlnde von Werturteilen sind mehr verdeckt als erhellt wie wir Kunstwerkebeurteilen ndash und was Urteilen dabei heiszligt1) Eigenschaften kom-men Gegenstaumlnden zu deren Existenz wir feststellen und derenBeschaffenheit wir erkennen koumlnnen Eigenschaften gehoumlren in dieOrdnung des Wirklichen Die Schoumlnheit jedoch ist Schein Nur imScheinen gibt es Schoumlnes2

Wie zeigt sich das in der Weise in der wir das Schoumlne erfahrenndash in der Erfahrung aumlsthetischer Lust Was bereitet uns wodurch aumls-thetische Lust wenn sie als Lust am Schoumlnen nicht die Lust an derExistenz eines Gegenstands mit diesen oder jenen Eigenschaftensondern eine Lust am Schein ist

983089 Promesse du bonheur

Daszlig die Schoumlnheit Schein ist hat Stendhal so gedeutet daszlig sieraquolediglich Verheiszligung von Gluumlcklaquo sei (oder raquonur ein Versprechenvon Gluumlcklaquo ndash raquola beauteacute nrsquoest que la promesse du bonheurlaquo) solautet die beruumlhmte Bestimmung die Stendhal in seiner raquoPhysio-logie der Liebelaquo De lrsquoamour versteckt in einer Fuszlignote gegeben

1048625 Dazu ausfuumlhrlicher in diesem Band I983091 raquoDas Urteil zwischen Ausdruck und Re-flexionlaquo

1048626 Zum Scheincharakter des Aumlsthetischen siehe Karl Heinz Bohrer Ploumltzlichkeit Zum Augenblick des aumlsthetischen Scheins FrankfurtM Suhrkamp 983089983097983096983089 AlexanderGarciacutea Duumlttmann raquoDer Scheinlaquo in Inaesthetik Nr 983088 (983090983088983088983096) S 983089983092983097-983089983093983095 und eil-nahme Bewusstsein des Scheins Konstanz Konstanz University Press 983090983088983089983089 MartinSeel Aumlsthetik des Erscheinens MuumlnchenWien Hanser 983090983088983088983088

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hat3 Das Schoumlne ist nach Stendhal darin Schein daszlig die Lust diewir an ihm erfahren zugleich auf etwas anderes verweist ndash etwasanderes verheiszligt oder verspricht Das ist das Gluumlck In der Lustam Schoumlnen geht es nicht wie die klassische Poetik geglaubt hatte

um die Vollkommenheit von Formgestalten und auch nicht so die Alternative der neuzeitlichen Aumlsthetik um die Selbsterfahrung undSelbstvergewisserung der Subjektivitaumlt das Schoumlne ist nicht Scheinder Wahrheit Das Schoumlne ist nach Stendhal vielmehr Schein weilin der Lust die wir gegenwaumlrtig an ihm erfahren diejenigen Freu-den und Vergnuumlgen zugleich an- und abwesend sind als abwesendeanwesend und als anwesende abwesend die unser Gluumlck ausma-

chen Der schoumlne Schein verheiszligt das Gluumlck des Lebens ndash der schouml-ne Schein ist raquoVorscheinlaquo4

Spaumltestens seit Nietzsche ist Stendhals Formel daher zumSchlachtruf einer antiidealistischen Aumlsthetik geworden die den

Abstand der die Kunst vom Leben trennt bestreitet und beidewieder miteinander zu vereinen sucht Heute ist es die postmoder-ne Polemik gegen die Kunst der Moderne gegen ihren Purismus

ihren Elitismus und ihre Distanz die sich der Formel Stendhalsbedient5 Die aumlsthetische Moderne ndash so lautet diese Polemik ndash habezuerst den Glauben an die Schoumlnheit zerstoumlrt denn Schoumlnheitsei an die Attraktivitaumlt der Erscheinung gebunden waumlhrend sichdie Moderne allein fuumlr Fragen der kuumlnstlerischen Form interessie-re Im zweiten Schritt habe die aumlsthetische Moderne sodann jedeVerbindung zwischen der kuumlnstlerischen Form und den Freuden

und Vergnuumlgen durchtrennt die zum Gluumlck eines erfuumlllten Lebensgehoumlren Die aumlsthetische Moderne schaue demnach mit Verach-tung auf das Gluumlck in dem sie nur tiergleiche Sinnlichkeit (Kant)oder kulturindustriell produziertes Einverstaumlndnis (Adorno) zusehen vermoumlge Dagegen scheint es Stendhal wenn er die Schoumln-

1048627 Stendhal (Henri Beyle) Uumlber die Liebe vollstaumlndige Ausgabe uumlbers v WalterHoyer FrankfurtM Insel 983089983097983095983097 S 983095983094 von raquoPhysiologielaquo spricht Stendhal im

Vorwort fuumlr die geplante zweite Ausgabe von 983089983096983092983090 ebd S 983091983094 Stendhal Delrsquoamour seule eacutedition complegravete Paris Leacutevy Fregraveres 983089983096983093983095 S 983091983092 und XVIII

1048628 Unter diesem itel hat Gert Ueding Ernst Blochs aumlsthetische Uumlberlegungen ver-sammelt siehe Ernst Bloch Aumlsthetik des Vorscheins 983090 Bde hg v Gert UedingFrankfurtM Suhrkamp 983089983097983095983092

1048629 Prononciert Alexander Nehamas Only a Promise of Happiness Te Place of Beautyin a World of Art PrincetonOxford Princeton University Press 983090983088983088983095 besondersKap I

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heit als Versprechen des Gluumlcks definiert um den positiven Zusam-menhang zwischen der Schoumlnheit auch der der Kunst und demGluumlck erfuumlllten Lebens zu gehen Schoumlnheit und Gluumlck bezeichnendie aumlsthetische und die ethische Gestalt des Gelingens und diese

beiden Gestalten muumlssen so die postmoderne Inanspruchnahmevon Stendhals Formel als zwei Elemente einer umfassenden in-tegrativen Lebenskunst gedacht werden Stendhals Formel wirdzum Motto einer postmodernen Versoumlhnungslehre Dieser entgeht

jedoch vollstaumlndig die paradoxe Einsicht auf die Stendhals antiro-mantische Formulierung hinauslaumluft

Antiromantisch kann Stendhals Formulierung genannt werden

weil sie auf Desillusionierung zielt raquoDie Schoumlnheit ist lediglichVerheiszligung von Gluumlcklaquo ist die Pointe auf die Stendhal sein Argu-ment bringt daszlig die Schoumlnheit die der Liebende der Geliebtenzuspricht der Effekt eines Mechanismus ist den er als raquoKristalli-sationlaquo bezeichnet raquoIch bezeichne als Kristallisation die aumltigkeitdes Geistes in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschenneue Vorzuumlge zu entdeckenlaquo6 Die Schoumlnheit der Geliebten ist eine

Kristallisation der Phantasie des Liebenden raquoNur die Einbildungs-kraft versichert uns daszlig die geliebte Frau jene Vollkommenheitbesitztlaquo7 Dabei operiert die Einbildungskraft des Liebenden imNamen seines Begehrens seiner Leidenschaft Die Schoumlnheit diedie Phantasie des Liebenden der Geliebten zuschreibt ist deshalbdie raquoVerheiszligung uns neue Freuden zu schenkenlaquo weil sie nichts alseine Hervorbringung der Einbildungskraft ist die von dem Begeh-

ren der Suche nach Freuden und Lust angetrieben istStendhals Einsicht in den imaginativen gar projektiven Cha-

rakter der Schoumlnheit ndash daszlig es uns in der Bewunderung der Schoumln-heit der Geliebten um das Gluumlck geht das sie uns zu bereiten ver-spricht ndash laumluft auf die Schluszligfolgerung hinaus daszlig die Schoumlnheitfuumlr jeden Menschen anders sein muszlig Diesen Schluszlig zieht die

1048630 Stendhal Uumlber die Liebe S 983092983093 Stendhal erlaumlutert seine Wahl dieses erminus soraquoIn den Salzburger Salzgruben wirft man in die iefe eines verlassenen Schach-tes einen entblaumltterten Zweig zwei oder drei Monate spaumlter zieht man ihn uumlberund uumlber mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus selbst die kleinstenZweiglein nicht groumlszliger als die Krallen einer Meise sind uumlberzogen mit zahllosenschillernden blitzenden Diamanten man erkennt den einfaumlltigen Zweig gar nichtwiederlaquo (Ebd)

1048631 Ebd S 983093983091

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

10486251048629 Ebd S 983090983089983093 f

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hat3 Das Schoumlne ist nach Stendhal darin Schein daszlig die Lust diewir an ihm erfahren zugleich auf etwas anderes verweist ndash etwasanderes verheiszligt oder verspricht Das ist das Gluumlck In der Lustam Schoumlnen geht es nicht wie die klassische Poetik geglaubt hatte

um die Vollkommenheit von Formgestalten und auch nicht so die Alternative der neuzeitlichen Aumlsthetik um die Selbsterfahrung undSelbstvergewisserung der Subjektivitaumlt das Schoumlne ist nicht Scheinder Wahrheit Das Schoumlne ist nach Stendhal vielmehr Schein weilin der Lust die wir gegenwaumlrtig an ihm erfahren diejenigen Freu-den und Vergnuumlgen zugleich an- und abwesend sind als abwesendeanwesend und als anwesende abwesend die unser Gluumlck ausma-

chen Der schoumlne Schein verheiszligt das Gluumlck des Lebens ndash der schouml-ne Schein ist raquoVorscheinlaquo4

Spaumltestens seit Nietzsche ist Stendhals Formel daher zumSchlachtruf einer antiidealistischen Aumlsthetik geworden die den

Abstand der die Kunst vom Leben trennt bestreitet und beidewieder miteinander zu vereinen sucht Heute ist es die postmoder-ne Polemik gegen die Kunst der Moderne gegen ihren Purismus

ihren Elitismus und ihre Distanz die sich der Formel Stendhalsbedient5 Die aumlsthetische Moderne ndash so lautet diese Polemik ndash habezuerst den Glauben an die Schoumlnheit zerstoumlrt denn Schoumlnheitsei an die Attraktivitaumlt der Erscheinung gebunden waumlhrend sichdie Moderne allein fuumlr Fragen der kuumlnstlerischen Form interessie-re Im zweiten Schritt habe die aumlsthetische Moderne sodann jedeVerbindung zwischen der kuumlnstlerischen Form und den Freuden

und Vergnuumlgen durchtrennt die zum Gluumlck eines erfuumlllten Lebensgehoumlren Die aumlsthetische Moderne schaue demnach mit Verach-tung auf das Gluumlck in dem sie nur tiergleiche Sinnlichkeit (Kant)oder kulturindustriell produziertes Einverstaumlndnis (Adorno) zusehen vermoumlge Dagegen scheint es Stendhal wenn er die Schoumln-

1048627 Stendhal (Henri Beyle) Uumlber die Liebe vollstaumlndige Ausgabe uumlbers v WalterHoyer FrankfurtM Insel 983089983097983095983097 S 983095983094 von raquoPhysiologielaquo spricht Stendhal im

Vorwort fuumlr die geplante zweite Ausgabe von 983089983096983092983090 ebd S 983091983094 Stendhal Delrsquoamour seule eacutedition complegravete Paris Leacutevy Fregraveres 983089983096983093983095 S 983091983092 und XVIII

1048628 Unter diesem itel hat Gert Ueding Ernst Blochs aumlsthetische Uumlberlegungen ver-sammelt siehe Ernst Bloch Aumlsthetik des Vorscheins 983090 Bde hg v Gert UedingFrankfurtM Suhrkamp 983089983097983095983092

1048629 Prononciert Alexander Nehamas Only a Promise of Happiness Te Place of Beautyin a World of Art PrincetonOxford Princeton University Press 983090983088983088983095 besondersKap I

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heit als Versprechen des Gluumlcks definiert um den positiven Zusam-menhang zwischen der Schoumlnheit auch der der Kunst und demGluumlck erfuumlllten Lebens zu gehen Schoumlnheit und Gluumlck bezeichnendie aumlsthetische und die ethische Gestalt des Gelingens und diese

beiden Gestalten muumlssen so die postmoderne Inanspruchnahmevon Stendhals Formel als zwei Elemente einer umfassenden in-tegrativen Lebenskunst gedacht werden Stendhals Formel wirdzum Motto einer postmodernen Versoumlhnungslehre Dieser entgeht

jedoch vollstaumlndig die paradoxe Einsicht auf die Stendhals antiro-mantische Formulierung hinauslaumluft

Antiromantisch kann Stendhals Formulierung genannt werden

weil sie auf Desillusionierung zielt raquoDie Schoumlnheit ist lediglichVerheiszligung von Gluumlcklaquo ist die Pointe auf die Stendhal sein Argu-ment bringt daszlig die Schoumlnheit die der Liebende der Geliebtenzuspricht der Effekt eines Mechanismus ist den er als raquoKristalli-sationlaquo bezeichnet raquoIch bezeichne als Kristallisation die aumltigkeitdes Geistes in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschenneue Vorzuumlge zu entdeckenlaquo6 Die Schoumlnheit der Geliebten ist eine

Kristallisation der Phantasie des Liebenden raquoNur die Einbildungs-kraft versichert uns daszlig die geliebte Frau jene Vollkommenheitbesitztlaquo7 Dabei operiert die Einbildungskraft des Liebenden imNamen seines Begehrens seiner Leidenschaft Die Schoumlnheit diedie Phantasie des Liebenden der Geliebten zuschreibt ist deshalbdie raquoVerheiszligung uns neue Freuden zu schenkenlaquo weil sie nichts alseine Hervorbringung der Einbildungskraft ist die von dem Begeh-

ren der Suche nach Freuden und Lust angetrieben istStendhals Einsicht in den imaginativen gar projektiven Cha-

rakter der Schoumlnheit ndash daszlig es uns in der Bewunderung der Schoumln-heit der Geliebten um das Gluumlck geht das sie uns zu bereiten ver-spricht ndash laumluft auf die Schluszligfolgerung hinaus daszlig die Schoumlnheitfuumlr jeden Menschen anders sein muszlig Diesen Schluszlig zieht die

1048630 Stendhal Uumlber die Liebe S 983092983093 Stendhal erlaumlutert seine Wahl dieses erminus soraquoIn den Salzburger Salzgruben wirft man in die iefe eines verlassenen Schach-tes einen entblaumltterten Zweig zwei oder drei Monate spaumlter zieht man ihn uumlberund uumlber mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus selbst die kleinstenZweiglein nicht groumlszliger als die Krallen einer Meise sind uumlberzogen mit zahllosenschillernden blitzenden Diamanten man erkennt den einfaumlltigen Zweig gar nichtwiederlaquo (Ebd)

1048631 Ebd S 983093983091

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

10486251048629 Ebd S 983090983089983093 f

8132019 Die Kraft Der Kunst

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heit als Versprechen des Gluumlcks definiert um den positiven Zusam-menhang zwischen der Schoumlnheit auch der der Kunst und demGluumlck erfuumlllten Lebens zu gehen Schoumlnheit und Gluumlck bezeichnendie aumlsthetische und die ethische Gestalt des Gelingens und diese

beiden Gestalten muumlssen so die postmoderne Inanspruchnahmevon Stendhals Formel als zwei Elemente einer umfassenden in-tegrativen Lebenskunst gedacht werden Stendhals Formel wirdzum Motto einer postmodernen Versoumlhnungslehre Dieser entgeht

jedoch vollstaumlndig die paradoxe Einsicht auf die Stendhals antiro-mantische Formulierung hinauslaumluft

Antiromantisch kann Stendhals Formulierung genannt werden

weil sie auf Desillusionierung zielt raquoDie Schoumlnheit ist lediglichVerheiszligung von Gluumlcklaquo ist die Pointe auf die Stendhal sein Argu-ment bringt daszlig die Schoumlnheit die der Liebende der Geliebtenzuspricht der Effekt eines Mechanismus ist den er als raquoKristalli-sationlaquo bezeichnet raquoIch bezeichne als Kristallisation die aumltigkeitdes Geistes in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschenneue Vorzuumlge zu entdeckenlaquo6 Die Schoumlnheit der Geliebten ist eine

Kristallisation der Phantasie des Liebenden raquoNur die Einbildungs-kraft versichert uns daszlig die geliebte Frau jene Vollkommenheitbesitztlaquo7 Dabei operiert die Einbildungskraft des Liebenden imNamen seines Begehrens seiner Leidenschaft Die Schoumlnheit diedie Phantasie des Liebenden der Geliebten zuschreibt ist deshalbdie raquoVerheiszligung uns neue Freuden zu schenkenlaquo weil sie nichts alseine Hervorbringung der Einbildungskraft ist die von dem Begeh-

ren der Suche nach Freuden und Lust angetrieben istStendhals Einsicht in den imaginativen gar projektiven Cha-

rakter der Schoumlnheit ndash daszlig es uns in der Bewunderung der Schoumln-heit der Geliebten um das Gluumlck geht das sie uns zu bereiten ver-spricht ndash laumluft auf die Schluszligfolgerung hinaus daszlig die Schoumlnheitfuumlr jeden Menschen anders sein muszlig Diesen Schluszlig zieht die

1048630 Stendhal Uumlber die Liebe S 983092983093 Stendhal erlaumlutert seine Wahl dieses erminus soraquoIn den Salzburger Salzgruben wirft man in die iefe eines verlassenen Schach-tes einen entblaumltterten Zweig zwei oder drei Monate spaumlter zieht man ihn uumlberund uumlber mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus selbst die kleinstenZweiglein nicht groumlszliger als die Krallen einer Meise sind uumlberzogen mit zahllosenschillernden blitzenden Diamanten man erkennt den einfaumlltigen Zweig gar nichtwiederlaquo (Ebd)

1048631 Ebd S 983093983091

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

10486251048629 Ebd S 983090983089983093 f

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Fuszlignote in der Stendhal seine beruumlhmte Formel versteckt hat Sielautet vollstaumlndig so

Die Schoumlnheit ist lediglich Verheiszligung von Gluumlck Das Gluumlck des Griechenist verschieden vom Gluumlck des Franzosen von 983089983096983090983090 Man betrachte einmaldie Augen der Venus von Medici und vergleiche sie mit den Augen derMagdalena von Pordenone (bei Herrn von Sommariva)8

Und

Wenn wir also feststellen daszlig die Schoumlnheit eine Verheiszligung ist uns neueFreuden zu schenken und daszlig die Empfindungen so verschieden wie dieMenschen sind muszlig die Kristallisation bei jedem die Faumlrbung seines Be-

gehrens annehmen9

Ja raquoGeht man so weit eine Haumlszligliche vorzuziehen zu lieben dannbedeutet uns eben Haumlszliglichkeit Schoumlnheitlaquo10 Aber das heiszligt nichtweniger als daszlig die Liebe die Schoumlnheit raquoentthrontlaquo Die Liebeentthront die raquoideal[e] Schoumlnheit laquo denn ihr Begehren laumlszligt sie not-wendig verkennen was ihrem Gegenstand raquoan wirklicher Schoumln-

heit oder Haumlszliglichkeit eignetlaquo11 Den raquoEindruck wahrer Schoumlnheitlaquoempfinden daher raquovielleicht die Maumlnner am deutlichsten die ei-ner leidenschaftlichen Liebe nicht faumlhig sindlaquo weil wahre Schoumln-heit raquoauszligerhalb jeder Leidenschaft steht Wir aber leben von derLeidenschaft laquo12

Ganz im Gegensatz zur postmodernen Integration von Schoumln-heit und Gluumlck Kunst und Leben Aumlsthetik und Ethik fuumlr die sie

in Anspruch genommen wird beinhaltet Stendhals beruumlhmte For-mel daher eine Teorie radikaler Differenz der Differenz zwischenden Schoumlnheits-Kristallisationen der Liebe aus Imagination undVerlangen und der wahren idealen Schoumlnheit ndash der Schoumlnheit ge-maumlszlig dem raquoSchoumlnheitsbegriff der Plastik oder Malereilaquo13 Genau sohat Baudelaire Stendhal verstanden raquoStendhal ein unverschaumlmterstreitsuumlchtiger ja abstoszligender Geist dessen Unverschaumlmtheiten je-

doch zu nuumltzlichem Nachdenken anregen [ist] der Wahrheit naumlher

1048632 Ebd S 983095983094 1048633 Ebd S 98309498309310486251048624 Ebd S 98309598309410486251048625 Ebd S 983095983093 983094983091 98309598309510486251048626 Ebd S 983096983089 98309598309610486251048627 Ebd S 983095983097

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

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gekommen als viele andere wenn er sagt daszlig das Schoumlne nur dieVerheiszligung des Gluumlcks sei laquo14 Und zwar gilt das weil Stendhal rechtverstanden nach Baudelaire nur versucht hat

eine vernuumlnftige geschichtliche Teorie des Schoumlnen aufzustellen im Ge-gensatz zu der Teorie des einzigen und absoluten Schoumlnen um darzu-legen daszlig das Schoumlne jederzeit unweigerlich ein Doppeltes ist ob auchder Eindruck den es hervorruft einheitlich ist Denn die Schwierigkeitdie unterschiedlichen Bestandteile in der Einheit des Eindrucks zu unter-scheiden vermindert um nichts die Notwendigkeit daszlig es sich aus Ver-schiedenartigem zusammensetzt Das Schoumlne besteht aus einem ewigenunveraumlnderlichen Element dessen Anteil aumluszligerst schwierig zu bestimmen

ist und einem relativen von den Umstaumlnden abhaumlngigen Element daswenn man so will eins ums andere oder insgesamt die Epoche die Modedie Moral die Leidenschaft sein wird [hellip] Die Zweiheit der Kunst ist ei-ne unausweichliche Folge der menschlichen Gespaltenheit Man betrachtedeshalb wenn man so will den ewig gleichbleibenden Anteil als die Seeleder Kunst das veraumlnderliche Element aber als ihren Koumlrper15

Und es ist allein dieses zweite Element der Schoumlnheit das Stendhals

raquounverschaumlmtelaquo Feststellung zum Ausdruck bringen kann (undwill) darin liegt ihre Wahrheit

Weit entfernt davon das Verhaumlltnis von Schoumlnheit und Gluumlckals einen einfachen direkten Zusammenhang zu verstehen oder garSchoumlnheit und Gluumlck als zwei Seiten desselben spaltet StendhalsFormel ndash die Schoumlnheit ist nur ein Versprechen des Gluumlcks ndash diesesVerhaumlltnis vielmehr in Einheit und Gegensatz Auf der einen Seite

steht die raquogeschichtlichelaquo Schoumlnheit der Geliebten ndash der geliebtenPerson oder Sache ndash die der Phantasie des Liebenden als Erinne-rung oder Versprechen seines Gluumlcks erscheint Demgegenuumlbersteht auf der anderen Seite die raquoidealelaquo (Stendhal) oder raquoabsolu-telaquo (Baudelaire) Schoumlnheit die wir nur jenseits der Genuumlsse derLeidenschaft und des Begehrens erfahren (und die Stendhal imGegensatz zur leidenschaftsbewirkten Schoumlnheit im Teater der

Plastik und der Malerei zuordnet) Da beide Formen der Schoumln-heit wie Baudelaire hervorhebt aber nicht fuumlr sich zu haben sindentzweit sich die Schoumlnheit in sich in das Schoumlne in Einheit mit

10486251048628 Charles Baudelaire raquoDer Maler des modernen Lebenslaquo uumlbers v FriedhelmKempBruno Streiff in Baudelaire Saumlmtliche Werke hg v Friedhelm KempClaude Pichois MuumlnchenWien Hanser 983089983097983096983097 Bd 983093 S 983090983089983094

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