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Die lebenden Toten

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Nr. 188Die lebenden TotenSie entdecken Leben im Todeskreis der Gammastrahlung - Ein neues Atlan-Abenteuervon K. H. Scheer

Seit dem 2. November 2328 kursiert die Nachricht vom Tode Perry Rhodans, Atlans and Reginald Bulls in derGalaxis. Die Unbekannten, die diese Meldung verbreiten, können auch mit Bildern von der völlig zerstörtenCREST, des ehemals stolzen Flaggschiffs der Solaren Flotte, aufwarten. In Terrania weiß man, daß sich diedrei wichtigsten Persönlichkeiten des Vereinten Imperiums zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich auf der CRESTaufhielten. Die Todesnachricht läßt sich nicht dementieren, denn die Verschollenen können kein Lebenszeichenübermitteln. Sie können auch nicht verhindern, daß die Galaktische Allianz sich langsam aber unaufhaltsamaufzulösen beginnt und die Mitglieder dieses Bundes in zunehmendem Maße ihre eigenen Interessen verfolgen.Die Verschollenen ahnen, was inzwischen in der Galaxis geschieht, können aber nicht aktiv in das Gescheheneingreifen, da sie keine Möglichkeit besitzen, die Solare Flotte oder die USO zu verständigen. Seit dem Tage,da Perry Rhodan, Atlan, Reginald Bull, Andre Noir und Melbar Kasom in die Gewalt des Obmanns vonPlophos gerieten, sind die wichtigsten Männer der Milchstraße nahezu hilflos einem seltsamen Schicksalausgeliefert, das sie von Planet zu Planet verschlägt.Von Greendoor, der Dschungelwelt, über Badun, die Welt der Rebellen, und Lovely, eine paradiesische Welt, inder eine Ausgeburt der Hölle lauerte, führte sie ihr Schicksal zu den Bigheads, die sie für sich kämpfen ließen.Nun aber steht den Verschollenen eine neue Begegnung bevor: das Treffen mit den LEBENDEN TOTEN!

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der älteste Mann der Milchstraße interessiert sich für ein junges Mädchen.Perry Rhodan - Ein Herrscher ohne Macht.Reginald Bull - Der Vizeadministrator ist ruhebedürftig.Mory Abro - Eine Frau, die sich für befähigt hält, ein Sternenreich zu regieren.Melbar Kasom - USO-Spezialist.Andre Noir - Hypnomutant.Otrin, Travera und Gognul - Springerabkömmlinge, die das Erbe ihrer Väter vergessen haben.

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Er hätte wissen sollen, wie degeneriert dieBigheads von Kahalo waren. Auch Perk, der Betreuervon sechs Verzweifelten, die mehr oder wenigeroffen zugaben, wie demoralisiert sie waren, bildetedarin keine Ausnahme.

Rhodan hätte wirklich wissen sollen daß auf einenBighead kein Verlaß war, wenn es sich umtechnische Angelegenheiten oder um Probleme derlogischen Überlegung handelte.

Rhodans Gefühlsausbruch war also zwecklos. Eswäre sicher vermessen gewesen, anzunehmen daseigenartige Walzenraumschiff würde uns direkt zurErde bringen. Die kleinen Männer von Kahalo warenunfähig, einen dementsprechenden Kurs zubestimmen und die geeigneten Programmierungenvorzunehmen. Sie hatten uns abfliegen lassen in demkindlichen Glauben, sie hätten damit ihreSchuldigkeit getan.

»Das fünfte Eintauchmanöver!« sagte derhochgewachsene Terraner. Mit geballten Händen, dieSchultern nach vorn gebeugt, stand er vor denleuchtenden Bildschirmen.

Sie zeigten nicht viel, es sei denn, wir hätten die

Sternenarmut dieses galaktischen Sektors alsbemerkenswert eingestuft.

Ich bemühte mich, den Übergangsschmerz vomLinearraum zum Einsteinuniversum zu ignorieren.Jeder bemühte sich darum!

Die Ausgleichsabsorber des Raumschiffesschienen entweder nicht auf unsere physischenBedürfnisse abgestimmt zu sein, oder wir hatten unsim Verlauf der letzten Ereignisse körperlich zu sehrverausgabt, um die normalerweise kaumbemerkbaren Zerrungserscheinungen noch alsvernachlässigbar einstufen zu können.

Jetzt, nach diesem fünften Manöver, das fragloszur Orientierung der vollendeten Robotautomatikerforderlich war, bemerkte ich deutlich, daß sichmein Organismus gegen die ununterbrocheneBelastung wehrte.

Der Zellaktivator auf meiner Brust pochte heftig.Die prickelnde Begleiterscheinung derZellregenerierung war stärker als gewohnt.

Perry Rhodan drehte sich um. Sein Gesicht warverkniffen. Unwillig blickte er über uns hinweg. Ichrührte mich nicht. Das Ruhelager war recht bequem.Ich konnte von meinem Platz aus durch das geöffneteSchott in die Zentrale hineinsehen. Sie war

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menschenleer. Die verkleideten Steuerpulte undsonstigen Kommandoeinheiten sagten mir nichts. Siewaren zu fremdartig, um richtig gedeutet zu werden.

Neben mir lag Mory Abro, die Tochter desNeutralistenführers Lord Kositch Abro. Morysrotblonde Haarpracht verdeckte einen Teil ihresschmalen Gesichtes.

Rhodans Uniformjacke, die er ihr nach derEntführung durch die nichtmenschlichen Flooths zurVerfügung gestellt hatte, lag neben ihr auf der Liege.Mory trug die Kunstfaserkombination, die man ihrauf Kahalo nach dem Vorbild ihrer ehemaligenKleidungsstücke angefertigt hatte. Das Material warfarbenprächtig, aber an den Nähten offenbar etwasrauh. Mory kratzte sich öfters.

In solchen Augenblicken wirkte die rotblondeSchönheit gar nicht mehr kühl und arrogant. Ichmußte meine Heiterkeit unterdrücken, wenn sich beieinem erneuten Juckreiz ihre Lippen verzogen undtrotziger Zorn ihre Züge prägte. Auch Mory Abrowar nur ein Mensch - natürlich! Allerdings einMensch, der selbst hier, in diesem Raumschiff, dieAufmerksamkeit auf sich lenkte.

Reginald Bull, Rhodans Stellvertreter undPhlegmatiker von Natur aus, schlief mit offenemMund. Er hatte beim letzten Manöver eindeutigerklärt, der »Fall Heimflug« würde ihn erst dannwieder interessieren, wenn wir irgendwo gelandetwären.

Der Mutant Andre Noir und der USO-SpezialistMelbar Kasom saßen auf ihren Liegen. Sie sahenstumm zu Rhodan hinüber, der offenkundig um seineBeherrschung rang.

Wir waren mit unserer Nervenkraft am Endeangelangt. Die seelischen Belastungen durch dieGiftinjektion, die sich erst nach vier Wochen alsharmlos herausgestellt hatte - obwohl ich noch nichtdavon überzeugt war, daß sie wirklich ohneschädlichen Folgen bliebe - hatte unserenWiderstandswillen aufgezehrt. Wir waren von einerWelt zur anderen gebracht worden, bis wirschließlich auf dem seltsamsten Planetenangekommen waren, den ich je gesehen hatte.

Das senile Gebaren der Bigheads hatte mich mehrzermürbt, als die Invasionsbemühungen derinsektenhaften Flooths, denen es durch unserEingreifen nicht gelungen war, die vollmechanisierteWelt Kahalo zu erobern.

Es war nur eine Episode auf unserem Leidensweggewesen. Unsere wesentlichste Entdeckung aufKahalo war das Große Kahal gewesen, einetechnische Großanlage in der Form von sechsgewaltigen Pyramiden, deren Funktion wir nichteinwandfrei zu deuten wußten.

Melbar Kasom, der Gigant vom ExtremplanetenErtrus, räusperte sich. Verlegen sah er sich um. Der

USO-Spezialist, einer der zuverlässigsten Offizieremeiner Truppe, schien sich neuerdings an unseremSchicksal schuldig zu fühlen. Mir war bekannt, daßer mit sich selbst haderte.

Ein Mann von seiner Stärke konnte dieNiederlagen der letzten Monate anscheinend nicht soleicht überwinden wie wir, die wesentlichSchwächeren. Kasom redete sich ein, er hätte einigeDinge besser erledigen müssen. Seine letzte Theoriewar die verwegenste von allen. Er behauptete, wirkönnten uns langst wieder in Sicherheit befinden,wenn er sich auf der Dschungelwelt Greendoor undsofort nach unserer Entführung gescheiter verhaltenhätte.

Möglicherweise hatte er damit sogar recht; aberdas spielte jetzt keine Rolle mehr.

Perry Rhodan pochte mit den Kacheln gegen dieglatten Kunststoffverkleidungen derZentraleschaltungen. El war in den relativ kleinenRaum hineingegangen, nachdem niemand von unsdas lastende Schweigen gebrochen hatte. KasomsRäuspern hatte nichts zur Entspannung der Lagebeitragen können. Außerdem war es zu laut gewesen.Der 2,51 Meter große Riese war nur bei sorgfältigsterSelbstkontrolle in der Lage, seine Stimme zudämpfen.

Ich drehte mich auf die Seite und schaute zu Moryhinüber. Sie hatte die langen Beine angezogen unddie Hände über den Knien gefaltet. Wahrscheinlichwegen des ständigen Juckreizes, sagte ich mir.

Als sie meinen Blick spürte, blies sie eineHaarsträhne aus der Stirn, musterte mich von obenbis unten und drehte mir den Rücken zu.

Seufzend richtete ich mich auf. Melbar Kasomerhob sich sofort. Sein Körper füllte plötzlich denrunden Raum aus, den die Bigheads mit einigenMöbelstücken ausgestattet hatten.

»Bleiben Sie nur sitzen, Melbar« wies ich ihn an.»Wenn mich nicht alles täuscht, werden Sie IhreKräfte demnächst gebrauchen.«

Der Ertruser sah unglücklich an seiner riesigenTonnenbrust hinab und nahm wieder Platz.

Ich reckte mich. Mein gelangweiltes Gähnenwurde von dem Mutanten als unecht durchschaut.Andre Noir, der Hypno des terranischenGeheimkorps, lachte mich an. Andre war einkorpulenter Mann, der ein Fluidum vonGemütlichkeit ausstrahlte. Seit einiger Zeit hatte ernoch eine zweite Fähigkeit entwickelt, die er als»Gefühlsortung« bezeichnete. Es war keine direkteTelepathie, sondern mehr ein Aufnehmen vonemotionellen Strahlungen, aus denen er durchfleißiges Training aufschlußreiche Werte ableitenkonnte. Wenn er nicht bei uns gewesen wäre, hätteMory Abro unter dem Seziermesser eineserschreckend fremdartigen Chirurgen ihr Leben

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ausgehaucht. Ich ahnte, daß die Tochter des LordKositch Abro nach einem Weg suchte, dem Mutantenihre Dankbarkeit zu beweisen - natürlich in einerForm, die weder ihren Stolz noch ihr ständigesBestreben nach Distanzierung verletzte.

»Der große Arkonide schreitet zur Tat. Wemgehört das Universum?« vernahm ich ihre dunkleStimme.

Ich schloß den Mund. Kasom fühlte sich indirektangesprochen. Er verehrte das Mädchen in einerbesonderen Art, die sich jetzt in den Worten äußerte:

»Ich werde Ihnen doch noch das Hinterteilversohlen, Kätzchen!«

Sie betrachtete den Riesen interessiert.»Huch, der einzige Mann an Bord hat gesprochen.

Meinen Sie nicht auch, Melbar, Sie sollten mir vorherdie Krallen stutzen?«

Sie klopfte an ihre Strahlwaffe, mit der siemeisterhaft umzugehen verstand.

Kasom grinste. Ehe er etwas entgegnen konnte,wurde ich von einem jähen Schwindelgefühlüberwältigt. Ich ließ mich auf mein Lagerzurückfallen und zog soweit wie möglich die Beinean. Das half etwas gegen die entstehendenMagenschmerzen.

Das Raumschiff - war, erneut in den Linearraumvorgestoßen. Die Bildschirme der Normalortungverblaßten. Das Singen und Raunen desÜberlichttriebwerks klang in meinen Ohren wie dasLäuten großer Glocken. Diesmal dauerte es nochlänger, bis der Schmerz nachließ.

Als ich mich entspannte, taumelte Rhodan in denAufenthaltsraum. Schweratmend ließ er sich aufseine Liege sinken.

»Hallo«, rief ich ihn an. »Sind wir noch munter,Großadministrator?«

Mory kicherte.»Großadministrator? Wovon? Von diesem Schiff?

Sie sollten den Traum von der Macht aufgeben,Perry. Und Sie auch, Atlan. Bisher bin ich von denHerren der Schöpfung noch nicht gefragt worden,was ich von der Lage halte.«

Rhodan massierte seinen Magen. Gepreßt meinteer:

»Ach - seit wann sind Sie zu einem klarenDenkprozeß fähig?« Sie fuhr auf wie eine gereizteKatze.

Sie war schöner denn je.Perry schmunzelte. Ächzend wälzte er sich auf die

Seite.»Verschwenden Sie nicht soviel Energie, Mory.

Also, was halten Sie von der Lage?«Sie schleuderte ihre Mähne in den Nacken zurück,

kratzte sich unbewußt am Bein und sagte dabei etwasso Treffendes über die stumpfsinnigen Bigheads, daßAndre Noir einen anerkennenden Pfiff ausstieß.

»Der Ausdruck ist neu«, stellte er fest.»Reden Sie kein dummes Zeug«, schalt Mory.

»Was ich von der Lage halte? Schön, Sie sollen es inaller Offenheit hören.«

»Wenn Sie mir mitteilen wollen, ich wäre keingalaktischer Politiker, sondern eine Marionette, sosparen Sie sich Ihren Atem. Das wissen wir bereits«,fiel Perry ein.

Sie lächelte boshaft.»Wie gut Sie das behalten haben, Mann ohne

Macht! Das sind Sie doch, oder? Seit IhrerEntführung durch den Obmann von Plophos sind nunetwa drei Monate vergangen. Was denken Sie wohl,was unterdessen in der Galaxis geschehen ist? Mordund Totschlag, behaupte ich!«

»Wenn die Kolonistennachkommen von Plophosihre menschliche Intelligenz und Entschlußkraft dazueinsetzen, um Unruhe zu stiften, könnte es allmählichdazu kommen«, gab ich zu. »Trotzdem sollten Sie dieTerraner nicht unterschätzen! Da gibt es Männer wieSolarmarschall Julian Tifflor und den Chef derGalaktischen Abwehr, Allan D. Mercant. MeinStellvertreter, Generaladmiral Tere Astrur, wird auchnicht schlafen. Sie kennen die USO nicht, meineLiebe! So einfach ist das nicht mit dem Mord undTotschlag. Wenn die führenden Männer des SolarenImperiums klug waren, haben sie ihreFlottenstreitkräfte aus der Galaxis zurückgezogenund einen Abwehrgürtel um die solarenInteressengebiete gebildet. Ich würde Ihrem Obmannvon Plophos nicht raten, noch unvorsichtiger alsbisher vorzugehen.«

»Iratio Hondro ist nicht mein Obmann!« fuhr siemich zornrot an. »Sie wissen genau, daß wir diesenUnmenschen mit allen Mitteln bekämpfen. EinesTages werden wir Neutralisten die Macht aufPlophos erringen, und ich werde an der Spitze derWiderstandskämpfer in New Taylor einmarschieren.«

»Haben Sie nicht vor einigen Stunden behauptet,wir würden nie mehr nach Hause kommen? Siewidersprechen sich.«

Sie winkte heftig ab und kratzte sich wieder amBein.

»Sie - haben Sie etwa Flöhe?« erkundigte sichMelbar in seiner offenen, aber wenig charmanten Art.Sein breites Gesicht war argwöhnisch verzogen.

Rhodan lachte in sich hinein. Ich hielt die Handvor den Mund. Der armen Mory wurde wirklich übelmitgespielt.

»Halten Sie den Mund, Sie Flegel«, herrschte sieKasom an. »Selbst wenn ich Flöhe hätte, müßte esIhnen der Anstand verbieten, eine Dame dahingehendanzusprechen.«

»Terranische Unsitte«, knurrte der Gigant. Esgrollte in dem Raum, als zöge in der Ferne einGewitter auf. »Auf Ertrus, meiner Heimatwelt, nennt

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man die Dinge beim Namen.«»Kommen wir auf das Thema zurück«, lenkte ich

ein. »Lassen wir es dahingestellt sein, ob wir ausdieser fliegenden Mausefalle nochmals entweichenkönnen oder nicht. Je nachdem, wie dieses Abenteuerendet, wird es sich auch entscheiden, ob Sie jemalsdie Macht der Neutralisten starken und dieRegierungsgewalt im Eugaul-System übernehmenwerden.«

»Zweifeln Sie etwa an meinen Fähigkeiten?«Unsere Blicke trafen sich. Ihre Augen

schimmerten wie ein grüner, unergründlicherBergsee. Sie strahlten eine plötzliche Kälte aus.

»Nein, ich zweifle nicht daran«, gestand ich. »Ichtraue Ihnen durchaus zu, das System zu beherrschen.Wenn Sie bis dahin Ihren explosiven Charakter etwasbändigen könnten, wären Sie unter Umständen sogareine gute Verbündete.«

Ich lächelte sie an.»Versuchen Sie nicht, einen zehntausendjährigen

Mann aus seiner Reserve zu locken. Das gelingtIhnen nicht, mein Kind.«

Ihre Lippen zuckten. Dann lachte sie. Ihrgespanntes Gesicht lockerte sich: die Kälte verlorsich aus ihren Augen.

»Also Perrys Verbündete«, fuhr sie fort. »Wirkönnen darüber reden. Besondere Vergünstigungensind mir natürlich einzuräumen.«

»Sie feilscht wieder um das Fell des Bären, ehe sieihn erlegt hat«, murmelte Reginald Bull imHalbschlaf. »Nicht so laut bitte! Ich bedarf derRuhe.«

»Wie Sie Schlafmütze jemals Staatsmarschall undChef der arkonidischen Flotte werden konnten, istmir immer noch rätselhaft«, sprach Mory denuntersetzten Rothaarigen an.

Bullys Gesicht verzog sich.»Vizeadministrator bin ich auch noch«, stellte er

fest. Dann schnarchte er schon wieder.»Sie werden sein Geheimnis nie ergründen«,

behauptete Rhodan in wesentlich besserer Laune. Ichatmete auf. Der Terraner schien sich wieder gefangenzu haben.

»Zum Thema«, mahnte ich. »Was halten Sie vonder Lage? Sie verlieren sich in fruchtlosenDiskussionen.«

Sie wurde jählings sachlich und damitüberzeugend. Diese junge Frau besaß einen scharfenVerstand. Wir wußten, daß sie die treibende Kraft inden Reihen der plophosischen Rebellen gewesen war.

»Das letzte Eintauchmanöver des Raumschiffesbewies, daß wir uns mehr und mehr vomgalaktischen Zentrum entfernen. Wir nähern uns densternarmen Gebieten vor den Spiralarmen derEastside. Wahrscheinlich stehen wir jetzt schon etwasechzig- bis siebzigtausend Lichtjahre vom

menschlichen oder arkonidischen Einflußbereichentfernt.«

»Diese Tatsache haben wir ebenfalls klar erkannt.«Sie nickte mir zu.»Das ist erfreulich, Herr Lordadmiral! Ich habe

Ihre galaktonautischen Kenntnisse noch nieangezweifelt.«

»Biest!« murmelte Kasom.»Kusch, Pluto, kein Ton mehr!« entgegnete Mory

mit ihrem sanftesten Lächeln.Melbar Kasom, fähiger Spezialist der USO,

Meister aller Klassen von Ertrus, staunte sie mit weitgeöffneten Lippen an. Anschließend ertönte einKnall. Kasom hatte den Mund geschlossen.Fassungslos sah er sich um.

Ich nickte ihm bekümmert zu.»Sie sollten wenigstens einmal bellen, Herr

Oberleutnant.«»Ruhe«, ordnete Mory an. Ihre Wangen hatten sich

gerötet. Ich wußte längst, daß dieser großartige, klugeund beherrschte Terraner sein Herz an Mory verlorenhatte. Natürlich versuchte er in altbekannter Art,seine Gefühle hinter der Maske der Gleichgültigkeitund Ironie zu verbergen. Sein beißender Spott warjedoch fehl am Platze. Ich war davon überzeugt, daßMory instinktiv fühlte, wie es in Perry Rhodanaussah.

»Was sich liebt, das neckt sich«, sagte meinLogiksektor mit einem plötzlichen Impuls, der micherschreckte. Ich räusperte mich unwillig.

»Wir haben eine winzige Chance«, erklärte dieTochter des Neutralistenführers. »Die sogenannteOstseite der Galaxis wird größtenteils von denBluesvölkern beherrscht. Wir wissen, daß sich dieTellerköpfe seit der Beseitigung der gatasischenVorherrschaft in den Haaren liegen.«

»Sie haben gar keine«, meldete sich Bully erneut.Mory ging darüber hinweg.

»Außerdem würde eine echte Dame einen solchenVergleich niemals benutzen«, murmelte der Dickeweiter.

»Ich bin daran gewöhnt, das Krächzen einer fettenKrähe zu überhören«, sagte Mory. Bully strecktesich, als wäre er von einem Strahlschuß getroffenworden. Er antwortete nicht mehr.

Sie schleuderte erneut ihre widerspenstige Mähnein den Nacken zurück. Die Geste war voll fraulicherAnmut und verhaltener Leidenschaft.

»Wo sich Bluesflotten gegenseitig bekämpfen,sind auch terranische Beobachtungsschiffeanzutreffen.«

»Aha!«Rhodan richtete sich etwas auf. Sein

stoppelbärtiges Gesicht hatte sich gespannt. »Mirscheint, Sie kommen endlich auf den Gedanken, mitdem ich mich schon seit dem Start beschäftige. Ich

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erinnere mich nämlich lebhaft an einen meinerletzten Befehle. Er lautet dahingehend, dieFlottenoperationen der Blues so exakt wie möglichzu überwachen. Bitte sehr, fahren Sie fort.«

Sie betrachtete den Terraner wie ein Weltwunder.Mory war bestürzt.

»Oh, damit haben Sie schon gerechnet? Sie werdenfurchtbar lachen; aber diesmal glaube ich Ihnensogar.«

»Dann sollten Sie auch an die geschichtliche Rolledes Solsystems glauben«, meinte Andre Noir ruhig.»Mory - warum wollen Sie und die anderenNeutralisten die führende Stellung der Erde nichtanerkennen? Sind Sie von uns jemals zuirgendwelchen Dingen genötigt worden?«

»Der Großadministrator zwingt die ehemaligenKolonialwelten, auf eine selbständige Außenpolitikzu verzichten!« erklärte sie hochfahrend.

»Das wird der Großadministrator auch weiterhintun«, sagte Rhodan mit einem spöttischenBegleitlächeln. »Wo kämen wir hin, wenn jederPräsident eines Zwergstaates, dem ich ohnehin schonsämtliche innenpolitischen Freiheiten gegeben habe,auch noch seine eigene Außenpolitik betreibenwürde!«

»Darüber reden wir später«, versprach sie miteinem drohenden Unterton in der Stimme. »Darüberreden wir sogar ganz bestimmt noch,Großadministrator! Wir Plophoser sind dasmächtigste Volk im irdischen Einflußgebiet. Wirverlangen die volle Freiheit.«

»Terra macht die Außenpolitik, und dabei bleibtes. Aber lassen wir das. Haben Sie sonst noch etwaszur jetzigen Situation zu sagen?«

»Wie Hund und Katze«, kicherte meinLogiksektor. »Sie weiß natürlich, daß er recht hat,oder?«

Mein Extrahirn mußte es wissen. Ich verzichteteauf eine Entgegnung.

»Was die Überwachungskreuzer im Ostsektor derGalaxis betrifft, - nun ja, in dieser Hinsicht will ichdie terranische Vorrangstellung nicht anzweifeln.«

»Vielen Dank.«»Lassen Sie mich endlich ausreden, Perry«, fuhr

sie ihn an. »Und Sie, Melbar, unterlassen gefälligstIhre unverschämten Blicke. Ich weiß auch, daß dievon den Bigheads geschneiderte Kombinationziemlich eng ist.«

»Was?« staunte der Riese. So verblüfft hatte ichihn selten gesehen. »Sie, hören Sie mal - ich habenicht an Ihre Figur, sondern an ein knusperiggebratenes Ochsenviertelchen gedacht. Eine Kuh tätees auch.«

»Wollen Sie damit andeuten, Sie hielten mich füreine Kuh?« fragte sie mit gefährlicher Ruhe.

Ich beschwichtigte sie. Mory war es völlig

gleichgültig, ob sie von Kasom für eine Kuh gehaltenwurde oder nicht. Für sie war nur die Tatsacheerschreckend, daß sie der Ertruser tatsächlich nichtmit verständlichen männlichen Gefühlen angesehenhatte. Das machte sie wild.

Der Mutant lachte schallend. Rhodan grinste wieein großer Lausejunge. Kasom war noch immerfassungslos.

Mory winkte ärgerlich ab. Sie fühlte sich ertappt.»Wollen wir also hoffen«, schloß sie, »daß wir von

einem Terraschiff geortet werden, sobald die Reisebeendet ist. Ich bin davon überzeugt, daß diesesRaumschiff irgendwo landen wird. Freilich nicht aufder Erde, aber darüber waren wir uns ja klar. Es warunsinnig, darauf zu hoffen, die Dickköpfe vonKahalo hätten einen entsprechenden Kurs berechnenkönnen.«

Sie schwieg. Als niemand antwortete, erblaßte sie.Ihre Haut erhielt dadurch den Schimmer weißenMarmors.

»Sie sind eine wundervolle Frau, Mory«, sagte ich.»Wollen Sie sich das vom wahrscheinlich ältestenMann der Galaxis sagen lassen, ohne darin eineBeleidigung oder einen Annäherungsversuch zusehen?«

Sie schlug die Augen nieder und nickte. Rhodanmusterte mich argwöhnisch.

»Großer Stern von Arkon - der Terraner isteifersüchtig!« gab mein Extrahirn durch. Ich hüstelte.

»Was soll das?« fragte Perry.»Nur eine Feststellung. Mory, Sie haben uns keine

Neuigkeiten mitgeteilt. Diese Lagebeurteilung istüberholt. Für mich wirft sich die Frage auf, wo diesesRobotschiff landen wird. Ich hege seit dem letztenEintauchmanöver einen bestimmten Verdacht. Ichnehme an, die Automatik orientiert sich nach einemFunkfeuer, das ebenso uralt ist wie der PlanetKahalo. Wir werden schätzungsweise auf einer Weltlanden, auf der vor unbekannten Zeiträumen von denErbauern dieses fliegenden Wunderwerkes einStützpunkt errichtet wurde. Was uns dort erwartet, istunbestimmt.«

»Wieder Bigheads?« erkundigte sich Bully. Icherkannte jetzt erst, daß er viel aufmerksamerlauschte, als seine phlegmatische Haltung vermutenließ. Dieser kräftige, untersetzte Mann wurde in fastallen Fällen unterschätzt. Reginald Bull war einharter, klardenkender Kämpfer; vielleicht etwas zudirekt für einen guten Diplomaten - aber alsFlottenchef und Stellvertreter Rhodans war er unterkeinen Umständen fehl am Platze.

»Nein, keine Bigheads«, antwortete Perry anmeiner Stelle. »Die Überlegung erscheint allerdingslogisch. Es ist tatsächlich anzunehmen, daß sich dieAutomatik nach Funkimpulsen richtet. Anders sinddie Eintauchmanöver kaum zu erklären. Ich befurchte

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nur, daß es dort, wo wir hinfliegen, keineTerrakreuzer mehr gibt. Wir nähern uns dem Randder Milchstraße. Zwischen uns und der Erde liegt dasZentrum mit einem Durchmesser von zehntausendLichtjahren und hundert Milliarden Sonnen, vondenen erst einige bekannt sind. Macht euch nichtsvor, Freunde.«

»Wenn Blues in der Nähe sind, dann gibt es auchterranische Schiffe!« behauptete Mory mit bebenderStimme. Sie konnte ihre Verzweiflung plötzlich nichtmehr verbergen.

Wir waren eine Versammlung von schlechtenSchauspielern, die dazu noch das Unglück traf, daßsie sich gegenseitig viel zu gut kannten. Mory weinte.

Kasom stand auf und setzte sich unbeholfen nebendas Mädchen.

»Sei doch ruhig, Kleines - sei doch ruhig«, bat derGigant, und seine Stimme zitterte. »Verdammt, ichkann so kleine Mädchen wie Sie nicht weinen sehen.Bei mir zu Hause sind die Neunjährigen so groß wieSie. Ich bin nun mal ein Kindernarr.«

»Melbar Kasom, Sie sind ein Tölpel«, lachte Moryunter Tränen.

»Wieso? Was habe ich denn jetzt schon wiederangestellt?«

»Vergessen Sie es, Melbar«, sagte Rhodan. »Sieliegen genau richtig auf Kurs, auch wenn Sie es nichtwissen. Komm, Atlan, wir sehen uns nochmals dieKontrollautomaten an. Vielleicht entdecken wir jetztetwas.«

Ich erhob mich und folgte dem Terraner. Es gabnichts zu entdecken - nicht an Bord einesRaumschiffes, dessen Einrichtung auf technischenErkenntnissen beruhte, die unseren um einen Faktorfünf überlegen waren.

2.

Sechster Abschwung in den Normalraum. Wirkrümmten uns vor Magenschmerzen. Ichverwünschte die Bigheads, die uns nur deshalb aufihren Planeten geholt hatten, weil sie mit derharmlosen Invasion durch technische Barbaren nichtfertiggeworden waren. Den Flooths war nicht einmaldie Atomenergie bekannt.

Dagegen verfügten die Bigheads über dieHinterlassenschaft von Intelligenzen, denen wir nurallergrößte Hochachtung zollen konnten. Dennochwaren die Übergangsabsorber dieses uraltenRaumschiffes auf die Dauer nicht geeignet. BeimFlug, der uns vom Planeten Lovely nach Kahalogebracht hatte, war nichts davon zu spüren gewesen.

Die Nahrungsmittelvorräte gingen auch zur Neige.Dafür sorgte schon Melbars Appetit.

Rhodan taumelte in die Zentrale hinüber. Ich folgteihm. Mory wimmerte, Bully gebrauchte einige

Kraftausdrücke, und Andre Noir versuchtevergeblich, ein Stöhnen zu unterdrücken. Nur derErtruser war fähig, die Angelegenheit zu übergehen.

»Das hat uns noch gefehlt!« hörte ich Rhodansagen.

Ich hielt mich am Rahmen des Schotts fest undfolgte seinen Blicken. Da erschrak ich ebenfalls.

Das leuchtende Sterngewimmel des Zentrums warlängst nicht mehr zu sehen. Nur die Heckbildschirmeverrieten noch in der Form einer leuchtenden Ellipse,daß es überhaupt einen galaktischen Ballungskerngab.

Die Frontbeobachtung zeigte die beginnendeEinöde des Raumes zwischen den Galaxien. Hier undda funkelte eine einsame Sonne. Weit draußenzeichnete sich ein ultramarin leuchtenderKugelhaufen ab.

Das war es aber nicht, was unsere Aufmerksamkeitfesselte. Die erwiesenermaßen tadellosfunktionierenden Bildgeräte und Ortungstaster desRaumschiffes vermittelten uns alptraumhafteGeschehnisse.

Tausende von Raumschiffen, der Zellenform nachBlueskonstruktionen, bekämpften sich mit allenWaffen, die dieses gigantische Volk jemalsentwickelt hatte Normalerweise kann man dieEnergiebahnen von Strahlgeschützen infolge des imRaum fehlenden Mediums nicht sehen. DieAußenbordaufnahme des Schiffes schien jedoch mitden Energietastern synchron zu laufen. DieSchußlinien wurden von den Tastern geortet, zurAuswertungspositronik geleitet und von dort aus alssichtbare Bildimpulse auf die Schirme eingeblendet.Dadurch entstand ein Koordinationsbild vonphantastischer Eindruckskraft.

Die materielose Schwärze im Raum zwischen denSternen wurde von zahllosen Lichtbalkenaufgespalten. Das - Filigrangespinst grüner, roter,weißer und ultrablauer Strahlbahnen kündete vondem mörderischen Kampfgeschehen in das wir mitunerwünschter Genauigkeit hineingerast waren.

Dicht vor uns, nur knapp fünf Millionen Kilometerentfernt, explodierte ein Schiff der Blues. Derdiskusförmige Riesenraumer blähte sich plötzlich zueiner rotleuchtenden Metallblase auf, die imBruchteil einer Millisekunde zum eruptiven Gasballvon intensiv blauer Farbe wurde.

Wir flogen direkt auf den Ort des Unheils zu. Ichschrie. Kasom ging unsinnigerweise in Deckung undriß mich ebenfalls zu Boden - als wäre es nichtgleichgültig gewesen, in welcher Stellung wir vomglühenden Atomtod überrascht wurden.

Es geschah jedoch nichts. Doch - etwas trat ein!aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Der bisher so ruhige Flug, der nur vom Wisperneines vollendeten Lineartriebwerks erfüllt gewesen

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war, wurde vom jähen Aufbrüllen gigantischerKraftmaschinen gestört.

Dieses Geräusch kannte ich! Ich hatte es schon vorzehntausend Jahren irdischer Zeitrechnung gehört, alsich vom Oberkommandierenden der arkonidischenFlotte den Befehl erhalten hatte, mit einemElitegeschwader das System Sol anzufliegen, um dortRuhe und Ordnung zu schaffen.

Das war das Tosen von plötzlich hochgefahrenenLeistungsreaktoren, von denen stromhungrigeSchirmfeldprojektoren mit Energie versorgt wurden.

Das aufklingende Kreischen jenseits derAußenzelle gehörte ebenfalls zu meinem akustischenErfahrungsschatz. So klang es, wenn man mit einemNotmanöver den Gasball einer künstlichen Sonnedurchstieß; wenn man nicht mehr rechtzeitigausweichen konnte, weil der Gegner zu genaugeschossen hatte.

Das dreihundert Meter lange und vierzig Meterdurchmessende Walzenschiff von Kahalo schütteltesich. Die Belastung mußte ungeheuer sein.

Dann verging das Kreischen. Wir waren durch.Kasom stellte mich auf die Beine und klopfte denStaub aus meiner zerschlissenen Uniform.

»Au!« brüllte ich ihn an. »Herr, ich bin einziemlich normales Individuum mit Knochen undMuskeln.«

»Verzeihung, Sir«, sagte der Riese so laut, daß ichbenommen den Kopf schüttelte.

Ich rannte zu Rhodan hinüber. Er starrte gebanntauf die Galerie der Bildschirme. Zwei Strahlschüsseschlugen in unser Schutzfeld ein. Der Walzenraumerschüttelte sich erneut, aber er zeigte keineBeschußschäden.

Mory Abro, Bully und Noir waren plötzlich auchanwesend.

»Konzentrisches Wirkungsfeuer«, stellte Reginaldsachlich fest. »Salventakt wird eingeleitet. Wirmüssen mit weniger als dreißig Prozent Licht fliegen,oder die Tellerköpfe würden uns niemals treffen.Immerhin - ihre Waffen sind immer noch somiserabel, wie ich sie in Erinnerung habe. Wenn dadrüben nur ein terranischer Schlachtkreuzer mitUltradesintegratoren, oder gar mit Transformkanonenstünde, wären wir jetzt schon erledigt. Das hielteauch der Kahaloraumer nicht aus.«

»Es wird trotzdem ungemütlich«, stellte Rhodanfest. »Die Robotautomatik fliegt kein einzigesAusweichmanöver. Jeder Anfänger kann den Vorhaltberechnen und auf die Knöpfe drücken. Und das sindkeine Anfänger!«

Eine Salve von Strahlbahnen, die wir erst imMoment des Einschlages durch denEnergie-Bildwandler sehen konnten, schlug in denSchutzschirm ein. Diesmal wurden wir zu Bodengeschleudert und über den glatten Belag gewirbelt.

»Kein guter Auftreffenergie-Absorber«, ächzteBully, der es nicht unterlassen konnte, sein reichesWissen über Kampfhandlungen aller Artpreiszugeben. »Da kamen wenigstens eine MillionMeterkilogramm durch. Nicht katastrophal für dieMasse des Schiffes, aber mir reicht es. Wie, zumTeufel nochmal, kann man die Automatik bewegen,aus dem Getümmel herauszufliegen?«

Auf den Bildschirmen waren die einzelnenRaumschiffe nicht mehr zu entwirren. Tausendestanden genau in dem Sektor, den wir beiunverändertem Kurs in wenigen Minutendurchfliegen mußten. Das bedeutete, daß wir uns mitjeder Sekunde der Kernschußweite näherten. Dasbedeutete außerdem Treffer über Treffer, die selbstbei der schwachen Leistungsabgabe der Blueswaffenden Schirm durchschlagen mußten.

»Weg von hier«, schrie Rhodan. »Zurück bis insHeck. Kasom, schließen Sie die Panzerschotte.«

Der Terraner sprang auf, riß die auf wankendenBeinen stehende Mory mit sich und stürmte in denAufenthaltsraum hinein. Wir kannten nur einen Teilder Kabinen und Säle, die dieses Raumschiff enthielt.Den Weg zum Maschinenraum harten wir jedochschon oft beschritten. Ich dachte wieder einmal andiese wundervolle Maschinerie, die trotz ihrerzierlichen Abmessungen mehr Energie zu entwickelnschien als unsere größten und modernstenKalupkonverter.

Mein letzter Blick auf die Bildschirme ließ michaufstöhnen. Die Phalanx einer Flotte wuchs vor unsauf.

»Keilformation als Angriffsspitze. Flügelgruppenmit überlappender Sichelstaffelung«, keuchte Bully.»Die Herrschaften haben von uns gelernt. Das isteine gute Offensivlinie mit gleichgeschalteter,taktischer Rückzugssicherung fürFehlschlagkorrekturen.«

»Sie sollen rennen und keine raumstrategischenVorträge halten«, schrie ich ihn an.

Kasom ließ das Zentraleschott hinter sichzugleiten. Weiter vorn durchstiegen Rhodan undMory die Panzerschleuse zu den Mitteldecks.

Ehe ich sie ebenfalls erreichte, wurde ich erneut zuBoden geworfen. Als ich die beginnendenMagenkrämpfe spürte, wußte ich, daß dieundurchschaubare Schiffsautomatik im letztenAugenblick reagiert hatte. Der Raumer war wieder inden Linearraum zwischen dem vier- undfünfdimensionalen Universum eingetaucht.

Diesmal dauerte es noch länger, bis wir uns vondem Schock erholt hatten. Ich schleppte mich zumeiner Liege hinüber, Kasom holte Mory undRhodan. Er trug die beiden Menschen unter denArmen, als handelte es sich um Päckchen vonmäßigem Gewicht.

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Das Tosen der Leistungsmeiler war so plötzlichverstummt, wie es aufgeklungen war. Jetzt hörten wirwieder das einschläfernde Säuseln desLineartriebwerks, für dessen Konstruktionsunterlagenich einige Jahreseinkünfte der USO geopfert hätte -wenn ich die Pläne hätte erhalten können.

Wir warteten auf das Abklingen der Schmerzen.Zwischendurch erklärte Rhodan gepreßt »Glückgehabt! Die Automatik ist nicht wegen der akutenGefahr in die Zwischenzone gegangen sondern nurdeshalb, weil sie gerade zu diesem Zeitpunkt dienotwendigen Peilimpulse aufgenommen undverarbeitet hatte. Was soll das bedeuten? Wir stehenschon im Randzonengebiet der Milchstraße. Willman uns zu einer anderen Galaxis bringen?«

»Ob es dort wohl auch noch terranischeBeobachtungskreuzer gibt?«

Mory konnte es nicht unterlassen, Perry auf diebegrenzte Macht des Imperiums nochmalsaufmerksam zu machen.

Ich lauschte auf das Singen des Triebwerks undversuchte dabei, einige Überlegungen anzustellen.

Ließen wir die Orientierungsmanöverunberücksichtigt, so hatten wir nur eine geringfügigeZeitspanne benötigt, um die Entfernung zwischendem galaktischen Zentrum und - dieserEastside-Zone zu überbrücken. Wenn das Triebwerkauch jetzt noch mit voller Leistung arbeitete, mußtenwir in wenigen Minuten die Galaxis verlassen und indie Einöde zwischen den Sterneninseln hinausrasen.

Rhodan schien sich mit ähnlichen Überlegungenauseinanderzusetzen. Ich bemerkte den Schimmer derVerzweiflung, der in seinen grauen Augenaufglomm. Bully hatte die Sachlage ebenfalls erfaßt.Melbar Kasom kümmerte sich um das Mädchen, undAndre Noir beschäftigte sich mit seinemselbstsuggestiven Training, mit dem er die Rebellionseiner Nerven rasch beseitigen konnte.

Weder Perry noch ich erhielten Gelegenheil,unsere geheimsten Gedanken auszusprechen. Einschrilles Läuten unterbrach die Stille. Ich schrecktezusammen.

Eine Sekunde später wurde ich wieder von einerWelle des Schmerzes überflutet. DasEintauchmanöver war so qualvoll, daß wir diesmaldarauf verzichteten, sofort die Zentrale aufzusuchen.

Wir wanden uns auf den Liegen. Das von Kasomgeschlossene Sicherheitsschott verwehrte einen Blickauf die Bildschirme. Es war mir in diesem Momentauch gleichgültig, wo wir uns befanden. Zwei andereBeobachtungen regten meinen Geist zumNachdenken an.

Das Läuten kurz vor dem Manöver warungewöhnlich. Wir hatten es bisher noch nichtvernommen. Konnte das bedeuten, daß wir endlicham Ziel angekommen waren? Jedenfalls waren wir

nur wenige Augenblicke nach der letztenÜberlichtperiode erneut in das Normaluniversumzurückgefallen. Ich folgerte daraus, daß wir uns dochnoch im östlichen Randsektor der Milchstraßebefinden mußten.

Außerdem waren die Normalmaschinenangesprungen. Diese einfach lichtschnellenImpulstriebwerke unterschieden sich von unserenAggregaten nur durch ihre kompakte Bauweise.

Das tiefe Dröhnen wirkte auf mich wieSphärenmusik; verriet es mir doch, daß wirtatsächlich unseren Bestimmungsort erreicht hatten.Bisher war das Lineartriebwerk noch nie abgeschaltetworden. Das Schiff war eingetaucht, hatte geortetund war anschließend sofort wieder in dieZwischenzone gegangen.

Wir mußten jetzt angelangt sein!»Kasom«, ächzte ich, »bringen Sie mich in die

Zentrale hinüber. Können Sie laufen?«Der Gigant kam auf mich zu und hob mich auf.»Nehmen Sie mich auch mit«, bat Rhodan.Für den Ertruser war es nicht außergewöhnlich,

zwei ausgewachsene Männer unter den linken Armzu klemmen und mit der Rechten das Zentralschottzu öffnen.

In dem Raum angekommen, setzte er unsvorsichtig auf den Boden. Wir lehnten uns gegen dieWand und sahen zu den leuchtenden Bildschirmenhinüber.

Ich erblickte eine gelbe Sonne vom Normaltyp.Sterne dieser Art besaßen in der Regel einePlanetenfamilie. Außer dieser Sonne war nichts zuerkennen. Sie wanderte von der Rotseite in dieBilderfassung ein und bedeckte bald dieFrontalschirme.

Andere Kontrollen sprachen an. EinDatenschreiber zeichnete asymmetrische Linien aufein endloses Folioband. Die Kurve verriet uns nichts.Niemand wußte, wonach sich das Gerät richtete.

Die Ungewißheit blieb bestehen, bis ein weitererBildschirm aufleuchtete.

»Aha!« sagte Rhodan. »Jetzt wird die Sache klar.Das ist ein Systempeiler oder ein hyperschnellerMassetaster. Da - die Sonne besitzt drei Planeten.Wir überfliegen soeben die Bahn des äußerenHimmelskörpers.«

Ich bemerkte es ebenfalls. Der Schirm zeigte nurden Glutball der fremden Sonne und dazu noch dreiverschiedenfarbige Punkte von unterschiedlicherGröße.

Planet Nummer drei gehörte offensichtlich zu denmächtigen Gasriesen, wie man sie fast in jedemSystem auf den kalten Außenbahnen entdeckenkonnte. Nummer zwei war interessanter. Rhodandeutete darauf.

»Etwa erdgroß, mittlere Sonnenentfernung.

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Nummer eins dürfte ein kleiner Himmelskörper vomMerkurtyp sein. Wahrscheinlich ein Einseitendrehermit glutflüssiger Oberfläche. Wenn wir überhauptlanden, dann nur auf Nummer zwei.«

Ich bezweifelte seine Ausführungen nicht. Jedererfahrene Kosmonaut wäre zu den gleichenSchlußfolgerungen gekommen.

Andere Sterne wurden auf dem Spezialschirm desSystempeilers nicht erkennbar. Nur auf denHeckflächen zeichnete sich noch das Band des fernenZentrums ab. Ich schätzte die Entfernung aufwenigstens vierzigtausend Lichtjahre.

»Wenn nicht mehr!« gab mein Logiksektor durch.»Du übersiehst eine wichtige Tatsache. Das Schifffliegt nur noch mit einfach Licht. Zeit zur Erholung.Bereite dich auf das Kommende vor.«

Mein Extrahirn hatte recht. Wir waren erschöpftund von den ständig stärker gewordenenMagenschmerzen an den Rand des Zusammenbruchsgetrieben worden.

Ich erhob mich. Kasom griff sofort zu und hieltmich fest. Als ich sprach, klang meine Stimme rauhund brüchig.

»Wenn ich an Bord dieses Schiffes zu befehlenhätte, würde ich jetzt strengste Bettruhe anordnen.Bei dieser Anfluggeschwindigkeit wird die Landungnicht vor drei bis vier Stunden erfolgen. Vielleichthaben wir sogar fünf oder sechs Stunden Zeit. Ruhteuch aus und macht eure Körper fit, so gut es ebengeht. Vor der Ruheperiode sollten wir noch etwasessen. Es nützt uns nichts, wenn wir nunununterbrochen auf die Bildschirme starren.«

»Das ist der beste Vorschlag seit Wochen«, meinteRhodan. »Kasom, können Sie mich zurückbringen?«

Der USO-Spezialist lachte nur. Er servierte die ausnahrhaftem Brei bestehende Mahlzeit. Mory, Bullyund Noir schliefen schon, als ich mich endlichentspannte und die Augen schloß. DieMagenkrämpfe klangen nur langsam ab.

>Nur fünf Stunden Ruhe<, dachte ich, >nur fünfStunden, und wir werden die Sachlage klarerbeurteilen können.< Ich hörte noch Kasomsdröhnende Schritte, dann schlief ich ebenfalls ein.

3.

Wir hatten nur etwas über vier Stunden ausruhenkönnen; aber der tiefe Schlaf hatte trotzdem Wundergewirkt.

Ich fühlte mich frisch und im vollen Besitz meinerKräfte.

Auf den Frontbildschirmen schimmerte derOberflächenausschnitt eines Planeten. Es war einegroße, blaugrüne Welt mit weiten Wolkengebietenund anscheinend turbulent bewegten Luftmassen.

Das dichte Grün deutete auf einen Urweltcharakter

hin. Wir konnten nur annähernd und anhand unseresErfahrungsschatzes feststellen, auf welchen Typeines Himmelskörpers wir zuflogen. Sauerstoff undWasserdampf schienen vorhanden zu sein.

Wir aßen hastig die letztenNahrungsmittelreserven auf. Kasom verschlangriesige Mengen des rötlichen Breies, von dem erbehauptete, er läge ihm wie Beton im Magen. DerSättigungsfaktor war jedoch sehr hoch.

Das Dröhnen der Normaltriebwerke mäßigte sichzu einem Rauschen. Die Landung wurde eingeleitet.

Wir klammerten uns an den Rändern der Liegenfest und versuchten soviel wie möglich von derplanetarischen Oberfläche zu sehen. Große Meerezeichneten sich ab. Die Kontinente dieser Weltschienen von dichten Wäldern überwuchert zuwerden.

»Sehr heiß da unten«, meinte Rhodan. »DieGebirge sind extrem hoch und vegetationslos und dieTieflandgebiete ebenso extrem mitDschungelwäldern bewachsen. Ob sich da schonintelligentes Leben entwickelt hat?«

Er spähte zu Andre Noir hinüber. Der Mutant warfkeinen Blick auf die Bildschirme. Völlig entspannt,mit ausgebreiteten Armen lag er auf seinem Bett undlauschte mit seinen paranormalen Sinnen. Erantwortete nicht.

Jenseits der Zellenwandungen begann es zupfeifen. Ein rotes Lohen deutete darauf hin, daß derRobotraumer mit sehr hoher Fahrt in die Atmosphärevorstieß.

Anspringende Stromreaktoren bewiesen meineVermutung. Der Bugprallschirm hatte mehr Energieangefordert. Das Lohen verstärkte sich.

Die Begleiterscheinungen einer schnellen Landungwaren uns so vertraut, daß wir kaum darauf achteten.

Wir tauchten in die Finsternis der Nachthalbseiteein. Nur wenige Minuten später begann es amHorizont zu flammen. Der Glutball der gelben Sonnestieg so schnell über der Kimm empor, daß es aussah,als hätte ein unsichtbarer Riese den Sternemporgeworfen.

Draußen tosten und heulten die verdrängtenLuftmassen. Ein letztes Aufbrüllen der aufBremsschub umgeschalteten Triebwerke mäßigteunsere hohe Fahrt so rasch, daß wir im Zeitraum vonnur dreißig Sekunden fast zum Stillstand kamen. DieAndruckabsorber arbeiteten einwandfrei. Es kamenkeine Beharrungskräfte durch.

Das Licht der im Zenit stehenden Sonne blendeteuns. Trotzdem konnten wir einen großen Ozean mitzahlreichen Buchten und tiefeingeschnittenenMeeresarmen erkennen.

Die stumpfe Nase des Robotraumers war auf eineriesige Hochebene gerichtet. Es handelte sich um einflaches, wüstenartiges Gelände ohne Pflanzenwuchs.

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Das etwa tausend Meter hohe Felsplateau fielterrassenförmig zur Tiefebene ab. Der Pflanzenwuchsreichte weit an den Hängen hinauf.

Noir und Kasom stießen fast gleichzeitig einen Rufaus. Ich brauchte nicht nach der Ursache derplötzlichen Erregung zu fragen, denn im selbenMoment hatte ich die Stadt ebenfalls entdeckt.

Nein - es handelte sich sogar um zwei sehr großeund ausgedehnte Ansiedlungen, die durch einen tiefins Land vorspringenden Meeresarm voneinandergetrennt waren. Er war nicht sehr breit, etwazweihundert bis dreihundert Kilometer. UnsereFlughöhe betrug zur Zeit noch zirka zehntausendMeter, aber das Warzenschiff fiel jetzt sehr rasch.

Es hielt zweifellos auf die Hochebene zu.Sekunden später erkannte ich die Umrisse von drei

Pyramiden! Rhodan sagte überhaupt nichts. Bullygebrauchte ein handfestes Schimpfwort und inKasoms Brust grollte es, als bereite er sich zumAngriff vor.

»Schon wieder Pyramiden!« meinte Mory mitschlecht gespielter Desinteressiertheit. »Das scheintein etwas kleineres Kahal zu sein, wie? Wenn wirhier wieder auf degenerierte Bigheads stoßen, danngebe ich meinen Beruf auf.«

»Haben Sie überhaupt einen?« erkundigte sichPerry. Seine Augen erfaßten jede Einzelheit.

»Galaktische Politikerin!« entgegnete sie spöttisch.»Mein Kompliment, Atlan, Ihre Mutmaßung trifftgenau zu. Dies scheint tatsächlich einPyramidenstützpunkt jenes verschollenen Volkes zusein, dem wir im Grunde genommen die lange Reisezu verdanken haben.«

Ich verzichtete auf eine Antwort. Die Theorie hattevon Anfang an einen hohen Wahrscheinlichkeitswertbesessen. Der Robotraumer hatte sich zweifellosnach den Impulsen der drei Pyramiden gerichtet.

Sie waren ebenfalls fünfhundert Meter hoch undbesaßen einen quadratischen Grundriß. Nur hatteman auf dieser Welt lediglich drei Bauten dieser Arterrichtet. Entsprechend kleiner schien auch derdeutlich markierte Todeskreis zu sein. Die Pyramidenbildeten ein gleichschenkeliges Dreieck. DieSymmetrie war nicht zu verkennen.

Rhodan überprüfte soeben seine Strahlwaffe, alsder Mutant sagte:

»Mentalimpulse, einander überlappend. Ichempfange viele Sinneseindrücke. In den beidenStädten müssen Millionen denkender Kreaturenleben.«

»Bigheads?« fragte ich rasch.»Auf keinen Fall, Sir. Deren Wellenfront kenne

ich. Die hiesigen Intelligenzen denken intensiver undlebensbewußter. KeineDegenerationserscheinungen.«

»Können Sie keine genaueren Rückschlüsse auf

das Gedankengut ziehen?«»Nein, Sir, ich bin kein Telepath. Ich empfange

lediglich zahllose Gefühlsmomente, die ich erst dannentschlüsseln kann, wenn ich die Mentalität und diekulturelle Entwicklungsstufe dieser Leute kenne.«

»Fertigmachen zum Aussteigen«, ordnete Rhodanan. Neue Energie schien ihn zu erfüllen. »Vorsicht,die Umlenkung beginnt.«

Das Robotschiff richtete den Bug auf und glitt mitdem flammensprühenden Heck voran auf dieHochebene zu.

Wir traten hastig den Rückzug an. Einmechanischer Lift brachte uns zurzweihundertfünfzig Meter tiefer liegendenLuftschleuse hinab. Beide Schotten waren bereitsgeöffnet!

Ich sog vorsichtig die einströmende Luft ein. Siewar gut mit Sauerstoff angereichert, roch nachSalzwasser und den faulenden Überresten vonPflanzen und sie war erstaunlich trocken! Das hätteich bei dieser Vegetationsdichte nicht vermutet.

»Ersticken werden wir jedenfalls nicht«, murrteKasom vor sich hin.

»Erfrieren aber auch nicht«, meinte Mory miteinem unglücklichen Lächeln. Auf ihrer hohen Stirnbildeten sich jetzt schon dicke Schweißperlen.

Ich fühlte mich bei diesen Temperaturen wohlerals die Terraner. Die drei Arkonwelten empfingeneine wesentlich höhere Durchschnittswärme als dieErde. Auch Kasom wurde von der eindringendenHitze nicht sonderlich belästigt. Die Sonne desPlaneten Ertrus war ein sehr heißer Stern.

Je tiefer der Raumer sank, um so deutlicherkonnten wir die Pyramiden sehen. Sie bestandenebenfalls aus einem rötlich leuchtenden Metall.

»Wenn ich wüßte, wer das erbaut hat ...!« sagteRhodan vor sich hin. Niemand antwortete. ÄhnlicheFragen waren schon zu oft gestellt worden.

Die Landung war kaum zu spüren. Das Schiffsetzte so sanft auf, wie es nur von einer vollendetenAutomatik mit feinsten Bodentastern und einererstklassigen Synchronschaltung zu Triebwerken undAntigravprojektoren durchgeführt werden konnte.

Das Läuten ertönte wieder. Wir sahen unszweifelnd an. Die Sicherheit im Innern desWalzenschiffes war fragwürdig; aber das, was unsauf dem Planeten erwartete, konnte noch gefährlichersein. Trotzdem stand mein Entschluß fest.

»Ich werde auf alle Fälle aussteigen!«Ich verfolgte mit den Blicken die ausfahrende

Rolltreppe, die das Schiff anstelle eines Antigravliftsbenutzte. »Wenn Ihr nach Kahalo zurückkehren wollt- bitte. Es ist anzunehmen, daß der Raumer sofortwieder auf Heimatkurs geht. Die Magenschmerzenwerden allerdings durch die ununterbrochenenLinearmanöver kaum noch erträglicher werden.«

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Das Läuten verstärkte sich. Rhodan hatte den Kopflauschend erhoben. Seine Augen waren argwöhnischverkniffen. Als dann noch andere Alarmgeräteeinfielen und unter uns Stromreaktoren ansprangen,stieß er Mory und Andre Noir wortlos auf dieRolltreppe hinaus, obwohl sie mit ihrem Ende nochnicht den Boden erreicht hatte.

»Etwas stimmt hier nicht! Nun laufen Sie dochschon!« rief er.

Das Mädchen und der Mutant sprangen die breitenStufen hinunter. Bully folgte ihnen. Ich ging einigeSchritte zurück und versuchte, die Ursache derplötzlichen Maschinengeräusche zu erkunden.Rhodan verschwand ebenfalls auf der Treppe.

Der unregelmäßige Anlaufrhythmus schwoll zueinem Donnern an. Der Rumpf erbebte so stark, daßich beinahe den Halt verlor.

»Das sind Startvorbereitungen, Sir«, rief mirKasom zu. »Was ist los? Will man uns mit demDüsenfeuer umbringen, oder sollen wir an Bordbleiben?«

Ich rannte an ihm vorbei. Die Treppe hatte jetztden Boden erreicht und begann zu rollen. Mehrfallend als absteigend, hüpfte ich die Stufen hinunter.

Der Alarm im Schiff war noch lauter und schrillergeworden. Mein Instinkt sagte mir, daß es höchsteZeit war, den ungemütlichen Aufenthaltsort zuverlassen.

Neben mir fiel ein riesiger Körper nach unten. DerErtruser überwand die letzten fünfundzwanzig Meterim Sprung. Als er unten auffederte, verlor ich infolgeder Erschütterung den Halt. Ich stürzte die rollendenStufen hinab und glaubte schon mein Endegekommen; aber Kasom war wieder einmal schnellerals jeder andere Mann.

Er fing mich auf schleuderte mich über seineSchulter und rannte mit mir davon. Anscheinendhatte er seinen Mikrogravitator abgeschaltet, der ihmauf »leichten« Welten die gewohnte Schwerkraftseiner Heimatwelt vermittelte. Sie betrug 3,4 Gravos.Seine Sätze waren etwa fünfzehn Meter weit.

Nach wenigen Sekunden hatten wir Rhodanerreicht. Kasom umfaßte Mory an den Hüften undschwang sie über seine andere Schulter. Rhodan,Bully und Noir folgten so schnell, wie sie laufenkonnten.

Der Boden erzitterte. Das aufklingende Grollenkannten wir zu gut, um uns irgendwelchen Illusionenhinzugeben!

Der Robotraumer setzte zu einem Manöver an, zudem ich normalerweise »Notstart« gesagt hätte. Eineheiße Druckwelle traf mich. Kasom schrie etwas, wasich nicht verstehen konnte. Ein letzter Sprung brachteuns in die Deckung einer schmalen Bodensenke. DerRiese ließ uns einfach zu Boden fallen und sprangwieder nach oben.

Rhodan und die beiden anderen Männer kamenjedoch schon an. Sie wurden von einer zweitenDruckwelle förmlich in den Felsspalt hineingeweht,wo sie von Kasom aufgefangen wurden. Dieserumweltangepaßte Ertruser reagierte schneller als einnormaler Terrageborener denken konnte.

Wir preßten uns flach auf den Boden. Melbar legtesich neben Mory und deckte sie mit seinem Körperab.

Wir waren keine Sekunde zu früh in Deckunggegangen. Ein ungeheures Tosen klang auf. DasBrüllen der Impulstriebwerke betäubte meine Sinne.Ein Feuerorkan brauste über den Bodenspalt hinwegund riß mächtige Felstrümmer mit sich.

Die stumpfe Bugnase des Robotraumschiffesgeriet in unser Blickfeld. Der Rumpf folgte - dann dieschwach ausgebildeten Heckflossen mit denglühenden Atomschlünden der Schirmfelddüsen.

Da bemerkte ich erst, daß die Automatik mit dengeringsten Schubwerten arbeitete, die bei einem Startüberhaupt möglich waren. Trotzdem war der Orkannoch so stark und die Bodenvibrationen so heftig,daß wir fast aus der Deckung gezerrt wurden.

Langsam, einen majestätischen Anblick bietend,stieg das Walzenschiff seinem Element entgegen. Alswir es kaum noch sehen konnten, erwachte dasHaupttriebwerk zum Leben.

Eine Atombombe schien in etwa zehn KilometerHöhe zu explodieren. Der Feuerball der plötzlichhochgefahrenen Konverter ließ die natürliche Sonnedieser Welt verblassen.

Zusammen mit dieser Explosion verschwand derRaumer. Augenblicke später kam der Schall an. Danneine Druckwelle. Wieder glaubte ich, der sogenannte»Unsterbliche«, im Inferno der entfesselten Gewaltenvergehen zu müssen.

Es dauerte lange, bis sich die aufgewühltenLuftmassen beruhigt hatten und das letzte Grollen inder Ferne verklang.

Wir lagen lang hingestreckt in derBodenvertiefung. Niemand sprach ein Wort. Es wäreauch zwecklos gewesen, jetzt eine Verständigung zuversuchen. Mein Gehör war immer noch unfähig, dieschwachen Schallwellen einer akustischenVerständigung aufzunehmen und zu verarbeiten -nicht nach diesem Inferno entfesselter Kräfte.

Wir warteten ungeduldig. Der Ertruser richtetesich zuerst auf und lehnte Mory in sitzender Stellungan die steile Felswand. Er sprang die drei Meter nachoben. Am Rand der Senke legte er sich nieder. SeineSäulenbeine hingen nach unten. Dann hörten wirseine Stimme. Kasom war immer gut zu verstehen -selbst für einen fast Tauben!

»Ho - wenn Sie einmal einen kochendenMagmakrater sehen wollen, dann kommen Sieherauf. Höllenschiff! Was ist in die Automatik

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gefahren? Warum ließ man uns nicht in aller Ruheaussteigen und Abstand gewinnen, wenn man unsschon auf dieser Welt absetzen wollte? Warum derAlarmstart? Immerhin- der Kahn hat fast nur mitNullwert beschleunigt; gerade genug, um ihn vomBoden abzuheben. Wenn die Zentralsteuerung volleKraft auf die Triebwerke gegeben hätte, wäre diegesamte Hochebene verdampft worden. Ob dieAutomatik die Pyramiden nicht beschädigen wollte?Möglich, sogar gut möglich! Aber dann hätte sie unstrotzdem erst aussteigen lassen können. Auf einehalbe Stunde wäre es wohl nicht angekommen, oder?Warum Ist der Raumer so panikartig abgeflogen?«

Kasom zog die Beine nach und drehte sich um.Sein Gesicht erschien über dem Felsrand. DerErtruser grinste.

»Hallo, wie ist die Luft da unten? Haben Sie meineLagebeurteilung überhaupt gehört?«

»Dieser Mensch hat keine Nerven«, stellte Rhodanhustend fest. Sein Gesicht wurde von einerrotbraunen Staubschicht bedeckt. Andre Noir bluteteaus der Nase. Bully schimpfte seinem Temperamententsprechend vor sich hin.

»Weiter vorn wird der Hang flacher, Sir«, meldeteKasom. »Da können Sie bequem aufsteigen. Hieroben ist das Gelände sehr eben, wenigstens in unsererGegend. Die Druckwellen haben alle Felstrümmerdavongefegt. Großer Ertrus - wie leicht hätte ichgebraten werden können. Gebraten ...!«

Melbar verstummte, und ein - sehnsüchtigerAusdruck veränderte sein Gesicht.

»Halten Sie endlich Ihren Mund«, schrie Bullynach oben. »Sehen Sie nicht, daß wir uns erst einmalsammeln müssen? Wie weit sind die Pyramidenentfernt?«

»Schlecht zu schätzen in dieser heißen Luft. Esgibt überall Spiegelungen. Aus der Tiefebene strömtein heißer Wind empor. Vielleicht drei Kilometer.«

»Nicht viel«, gab Rhodan zu bedenken. »Mory,sind Sie in Ordnung? Nichts gebrochen oderverrenkt?«

Sie betastete ihre Hüften und verzog das Gesicht.Es glich ebenfalls einer staubbedeckten Maske.

»Wenn Sie von den blauen Flecken absehenwollen, fühle ich mich gut. Kasoms Griff war etwasheftig.«

Noir lachte. Er wischte mit dem Handrücken überseine blutende Nase und verschmierte dabei seinGesicht.

»Lassen Sie den Unfug, Andre«, schalt Rhodan.»Ruhig ausbluten lassen. Hier gibt es niemand, derdie roten Flecken auf Ihrer Uniform für regelwidrighält. Also - gehen wir?«

Er sah sich um. Ich nickte. Fünf Minuten späterkamen wir auf der Hochebene an. Sie war tatsächlichso flach, wie Kasom es berichtet hatte. Nur

vierhundert Meter entfernt kochte das Gestein. Eswar ein relativ kleiner Glutkrater der dort entstandenwar, wo die lichtschnellen Impulsströme desHecktriebwerks aufgeschlagen waren.

Die geröllbedeckte Hochwüste wurde im Westen,Norden und Osten von hohen Gebirgszügenumschlossen. Wir hatten noch vor der Landunggesehen, daß dieses Plateau ungefähr quadratisch warund eine Seitenlänge von schätzungsweise fünfzig bissechzig Kilometer besaß.

Wir waren nahe der offenen Südflanke gelandet.Die erste Terrassenabstufung begann etwa zehnKilometer südlich. Dort war ein Abstieg in dieTiefebene bestimmt möglich.

Ich sah mich nochmals um. Die drei Pyramidenkonnten mich nicht beeindrucken. Das Große Kahalauf dem Planeten der Bigheads war wesentlichsensationeller gewesen. Außerdem hatte es nochgearbeitet! Die hiesigen Bauwerke sahen leblos aus.

Ich blickte prüfend hinüber. In meinen Ohrensummte es immer noch. Die harten Druckwellen undSchallfronten waren meinem Gehör nicht gutbekommen. Rhodan stocherte mit dem kleinen Fingerin den Ohren herum. Bully machte rhythmischeSchluckbewegungen, um die Spannung zu beseitigen.

Mory hielt sich die Nase zu und blies hinein. Siebehauptete, das hätte ihr schon immer geholfen.

Ich vermißte etwas an den drei riesigenBauwerken. Was war es?

»Das energetische Leuchten im Linienschnittpunkt,Schwachkopf!« teilte mir mein Extrahirn in wenigliebenswürdiger Form mit.

Es hatte aber recht. Das seltsame Flimmern undLeuchten, das dem Großen Kahal seingeheimnisvolles Fluidum verliehen hatte, fehlte hier.Trotzdem hatte das Robotschiff diesen Planetenangeflogen. Woher waren die Peilimpulsegekommen, wenn die Maschinen, die sicherlich auchin diesen Pyramiden eingebaut waren, nicht mehrarbeiteten?

»Du kneifst die Augen zusammen, Freund!« stellteRhodan fest. Ich vernahm seine Worte nurundeutlich. »Was gibt es? Schwierigkeiten?«

»Ich weiß es nicht«, überlegte ich. »Ich vermissedie schwebende Energieballung im Linienzentrum.Ist der Robotraumer deshalb so fluchtartigabgeflogen? Könnte es sein, daß mit diesemStützpunkt etwas nicht in Ordnung ist? Etwas, wasdie Automatik zu spät registriert und anschließend alsso gefährlich einstuft, daß sie sofort einen Notstarteinleitete? Denke einmal darüber nach, Terraner.«

»Etwas tickt!« behauptete Kasom. Argwöhnischschnupperte er in der heißen Luft herum. Ich fühltedeutlich den Sog, der aus dem Flachland aufstieg.Dort unten schienen Treibhaustemperaturen zuherrschen.

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»Wie bitte?« fragte Mory spitz. Sie kratzte sichschon wieder an einer Nahtstelle der Kombination.»Was tickt? Mir scheint, in Ihrem Kopf tickt etwas.«

Melbar ließ sich nicht stören. Er lauschte mitschiefgehaltenem Kopf. Dann ließ er unvermittelteinen ertrusischen Kraftausdruck hören. Wie gebanntstarrte er auf sein schweres USO-Kombinationsgerät,das er am linken Handgelenk trug.

Da dieses Gelenk so dick war wie derOberschenkel eines hochgewachsenen Terraners mitkräftiger Muskulatur, hatte das Aggregat den Umfangeines mittelgroßen Tragbehälters.

»Gammaradioaktivität, hundertsiebenundachtzigDurchgänge pro Minute! Warten Sie!«

Er streckte den Arm aus, ließ das Gammazählrohraus dem Kombigerät schnellen und suchte dieUmgebung ab. Kasom peilte den allmählicherstarrenden Glutkrater an »Nichts!« erklärte erverblufft. »Der Partikelstrom hat keineRadiostrahlung hinterlassen.«

»Peilen Sie die Pyramiden an«, forderte ich ihnauf. Rhodan warf mir einen schnellen, wachen Blickzu. Sein Gesicht spannte sich.

Sekunden später wußten wir, daß die Strahlungtatsächlich von den Bauwerken ausging.

»Hundertsiebenundachtzig Durchgänge bei dreiKilometer Entfernung- Freunde, das ist für meinenGeschmack zu viel!« meinte Bully. »Das ist keinenormale Höhenstrahlung mehr. Bis vierzig Schlägelasse ich mir ja noch gefallen. Wir sollten aus dieserungemütlichen Nachbarschaft verschwinden.«

»Warum denn? Es ist hier so schön«, sagte Moryleise. Erst zögernd, dann entschlossen schritt sie aufdie Pyramiden zu.

»Es ist wunderschön auf dieser Welt. Seht ihr denWasserfall da drüben? Wundervoll. Wasser - ja,Wasser können wir gut gebrauchen. Kommt.«

Als der Mutant einen Warnruf schrie, empfand ichebenfalls die suggestiven Zwangsimpulse. Sie kamenvon den Pyramiden her.

Ich blockte mich sofort mit Hilfe meines vorzehntausend Jahren aktivierten Extrahirns ab.

Rhodan handelte auch augenblicklich. Er, alsschwach paranormal begabter Mensch, konnte sichsehr gut gegen Willensbeeinflussungen wehren.

Bully und Kasom waren trainierte Männer, die vonden terranischen Mutanten unterrichtet wordenwaren, wie man parapsychischen Angriffen zubegegnen hatte.

Die Suggestivwellen waren sehr schwach. Siestellten keine ernstzunehmende Gefahr dar. NurMory, die kein Schutztraining absolviert hatte,unterlag dem mentalen Bann in der ersten Sekunde.

»Vorsicht«, rief Andre Noir nochmals. »Jemandversucht, uns in die Strahlungszone zu locken. Ichkann den Sender lokalisieren. Er liegt vor dem

Bannkreis der Pyramiden.«»Der Wasserfall«, sagte Mory. Sie ging weiter, bis

sie von Melbar Kasom erfaßt und erneut über seineSchulter gelegt wurde.

Dann liefen wir nach Süden, so gut und so schnelles bei dieser Hitze möglich war. Rhodans Trab warleicht zu halten. Nur der korpulente Mutant schienSchwierigkeiten zu haben.

Morys Augen glänzten glasig. Sie wehrte sichheftig gegen den Griff des Ertrusers und wollte unsimmer wieder davon überzeugen, wie prächtig derWasserfall bei den Pyramiden sei.

Ich forcierte mein Tempo, bis ich neben Rhodanankam.

»Wer kann das sein?«»Schwach mental begabte Lebewesen. Keine

Gefahr für uns. Wir müssen nur auf Moryaufpassen.«

Ich schwieg für einige Minuten, pumpte Luft undfragte zurück:

»Vielleicht Leute aus den beiden Städten, die wirgesehen haben?«

»Glaube ich nicht. Die Häuser sehen primitiv aus.Ich bemerkte außerdem Festungsmauern. DieEingeborenen werden diese Pyramiden bestenfalls alseine Art Heiligtum verehren.«

»Also sind dort andere Leute. Fremde, nehme ichan. Wesen, die nicht hier geboren wurden. Wirsollten später nachforschen, vorausgesetzt, dieUnbekannten zwingen uns nicht sofort zum Kampf.Warum stellen sie uns nicht?«

»Degeneration?« warf Rhodan schwer atmend ein.»Wie bei den Bigheads!«

Ich schöpfte wieder Luft. Kasom stützte AndreNoir. Die Hitze der Hochlandwüste zermürbte denMutanten sehr schnell. Bully hielt gut durch.

»Ich weiß nicht. Perry. Vielleicht nurUnentschlossenheit, Bequemlichkeit oder Vertrauenauf die suggestiven Kräfte die sie unter Umständenfür unüberwindlich halten. Vergiß nicht- wir sindganz besondere Exemplare der menschlichen Rasse.«

Er lachte und warf mir einen Blick zu, den ich erstspäter deuten konnte.

»Der menschlichen Rasse«, hatte ich gesagt; aberich war ein Arkonide. Ich lachte zurück.

»Sage nichts, Freund«, bat Perry. »Du bist zueinem Menschen geworden. Mit Arkon verbindetdich nur dein Name. Vom Bewußtsein her bist du einTerraner.«

Wir mäßigten unser Tempo und warteten aufBully. Er kam schnaufend an und ging hinter der vonuns erreichten Bodenwelle in Deckung.

Ich überprüfte mein Kombigerät. Es warwesentlich kleiner als Kasoms Apparat. Allerdingshandelte es sich bei meinem Aggregat um einesiganesische Mikroarbeit von allerhöchster

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Vollendung.Die Strahlung war abgeklungen. Ich zahlte nur

noch vierundfünfzig Durchgänge. Wir rasteten fünfMinuten und gingen weiter.

Eine halbe Stunde später zeichneten sich die erstengrünen Vegetationsflecken ab, aber der Steilhang warnoch immer fünf Kilometer entfernt.

Als wir in den Flanken einer Felsnase einenatürliche Höhle fanden, gingen wir erneut inDeckung. Hier war von der Gammastrahlung nichtsmehr zu spüren. Der suggestive Impulsstrom warselbst von Noir nicht mehr zu Orten. Mory schlieftief und traumlos. Sie wußte nichts mehr von ihrerBewußtseinsüberlappung.

Kasom und ich fühlten uns noch frisch. DieTerraner wurden jetzt schon von den Qualen desDurstes geplagt. Die Temperatur in der schattigenHöhle betrug 48 Grad Celsius. In der Sonne hatte ichüber 60 Grad gemessen.

Die hocherhitzte Luft stand wie eine flimmerndeWand vor dem Eingang, sie verzerrte jeden optischenEindruck bis zum Extrem.

Als mir Rhodan erklären wollte, wir benötigtenbaldigst Wasser, sprang mein Energietaster an.

Das mikromechanische Wunderwerk der kleinenMänner von Siga war nicht größer als meineDaumenkuppe. Es nahm nur einen Bruchteil des imKombigerät vorhandenen Volumens in Anspruch.

Kasoms Apparat klingelte ebenfalls. DieWellenfront kam - wie vermutet - aus der Richtungder Pyramiden. Rhodan griff mit einer bedächtigwirkenden Bewegung zu seiner Waffe und überprüfteihre Schußbereitschaft.

Kasom zerrte seinen Impulsstrahler hervor. DieWaffe gehörte zu einem Typ, den wir normalerweisein überschwere Kampfroboter einbauten. Es warschon eine kleine Kanone, die der Riese nun in derHand wog.

»Sie kommen«, behauptete Perry leidenschaftslos.»Also verfolgt man uns doch. Schön, beißen wir auchnoch in diesen sauren Apfel.«

»Mir scheint, wir haben in letzter Zeit zu ofthineingebissen«, meldete sich Mory. Sie richtete sichruckartig auf und sah sich verwirrt um.

»Was war mit mir los?«»Später, Mähnenlöwe«, knurrte der Ertruser. »Jetzt

haben wir keine Zeit für lange Erläuterungen.«»Sie sind suggestiv beeinflußt worden«, klärte sie

Perry auf. Er erhob sich.»Kasom und Bully, ihr geht mit mir. Atlan ...?«»Ich auch. Noir, bleiben Sie bei Mory in der

Höhle. Sie sind erschöpft.«Als wir den Hang erklommen, folgten uns sowohl

Mory als auch der Mutant.Das Mädchen war schnell und behende. Als sie

mich eingeholt hatte, sagte sie zornrot:

»Seit wann bilden Sie sich ein, ich würde IhreBefehle befolgen? So weit sind wir noch nicht,Arkonide.«

Ich entgegnete nichts. Oben angekommen, legtenwir uns nieder. Bully schrie schmerzhaft auf. Dannfolgte seine übliche Schimpfkanonade. Er hatte sichan dem heißen Gestein verbrannt.

»Vorsicht«, warnte Rhodan. »Nicht mitunbedeckten Hautflächen an die Felsen kommen.Kopfbedeckungen nicht abnehmen. Die Helme sindzwar nicht sehr bequem, aber sie schützen vor derSonne. Mory, Sie sollten Ihre Haare hochbinden.«

Wir spähten nach Norden. Die Pyramiden warenjetzt etwa acht Kilometer entfernt; die Landestellegute fünf Kilometer.

»Ho ...!« sagte Kasom, als sich dicht vor demTodeskreis ein schwarzes Gebilde aus dem Bodenhervorschob. Ich zog das Visier meiner Waffe dichtervor das Auge und schaltete die Optik auf denhöchsten Vergrößerungswert.

Jetzt konnte ich trotz der heißen Luft sehen, wasdort drüben geschah.

Das schwarze Gebilde war ein runder, etwa dreißigMeter durchmessender Turm, der mechanisch oderenergetisch angehoben wurde. Immer weiter wuchser aus dem Gelände hervor. Als die Bewegungaufhörte, war der Turm etwa fünfzig Meter hoch.

»Phantastisch!« erklärte Rhodan mit einemspürbaren Unterton der Verwunderung in derStimme. »Was soll das nun wieder bedeuten? Washat dein Energietaster angemessen? Sind klare Wertezu erkennen? Mein Gerät arbeitet nicht mehrzuverlässig.«

»Marke drei, stromerzeugende Normalmaschinen.Keine Hyperkraft«, klärte ich ihn auf.»Wahrscheinlich habe ich gewöhnliche Magnetfelderoder Servomotoren geortet. Da - schau dir das an!«

Ein feuerspeiender Körper, offenbar eine kleineRakete, schoß aus der Turmwandung hervor. DasProjektil zischte steil zum Himmel empor, kippte abund hielt auf die Stelle zu, wo das Walzenraumschiffgelandet war.

Niemand von uns wartete, bis der Flugkörperzündete. Wir rutschten den Hang hinab und ranntenin gebückter Haltung auf die Höhle zu.

Ehe wir sie erreichen konnten, schoß ein glühenderAtompilz in die Luft. Wenig später pfiff eineDruckwelle von geringer Stärke über uns hinweg.Der Donner der Explosion zeugte ebenfalls davon,daß es sich nur um eine schwache Ladung gehandelthatte.

Das Donnern verhallte. Wir sahen uns bestürzt an.Die Taktik der unbekannten Raketenschützen, diezweifellos auch mit den Suggestoren identisch waren,wäre von jedem terranischen Schuljungen belachtworden.

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Melbar drückte seine Meinung darüber mit denWorten aus:

»Die sind entweder völlig übergeschnappt, oder siehaben es noch nie mit ernstzunehmenden Gegnern zutun gehabt! Man schießt doch nicht auf einen Ort, woder Feind eine gute Stunde zuvor gestanden hat. Obdie sich wohl nicht denken können, daß wir in dieserZeit etwa fünf Kilometer zurückgelegt haben?«

Der Ertruser sah sich fragend um. Rhodan winktenur ab. Ohne ein Wort zu entgegnen, klomm erwieder den Hang empor. Wir folgten ihm. Morynatürlich ebenfalls!

Der Atompilz verwehte bereits. Die strahlendenRückstände wurden nach Norden abgetrieben. Dort,wo das Raumschiff gelandet war, hatte sich einzweiter Krater gebildet. Er war klein.

»Höchstens fünfzig Tonnen TNTEnergieentwicklung«, vermutete Bully.

»Eine Boden-Boden-Ladung für Erdkampfzwecke.Haben die Herren des schwarzen Turmes nicht mehraufzuweisen?«

Ich war davon überzeugt, daß die Unbekanntennotfalls ein atomares Inferno entfesseln konnten;selbst dann, wenn sie - wie die Bigheads - nicht mehrwußten, was sie eigentlich taten. Ich wollte es nichtdarauf ankommen lassen, sie zu einem solchenVorgehen zu verleiten.

»Da!« sagte Mory laut. Sie streckte den Arm aus.»Was ist das? Ein Flugzeug?«

Ich zog die Waffe hoch und schaute wieder durchdie Optik. Ein seltsames dreieckiges Luftfahrzeug,flach wie ein Kuchenblech, glitt aus dem scharfenSchlagschatten des Turmes hervor.

Ohne hörbares Antriebsgeräusch flog es auf dieDetonationsstelle zu und landete so dicht bei demneuen Krater, daß ich verblüfft den Atem anhielt.

Kasom nahm mir die Worte aus dem Mund:»Die sind wohl wahnsinnig geworden? Da muß

doch eine starke Strahlung herrschen.«Der Riese richtete sich halb auf und spähte noch

intensiver nach Norden. Schließlich wandte er sich anmich.

»Sir, es wird Zeit, daß ich mich mit derAngelegenheit näher beschäftige. Kann ich schnelleinmal zurücklaufen? Ich möchte mir die Burschenansehen, die wahrscheinlich in dem Gleiter sitzen.«

Ich zögerte nicht mit der Erlaubnis. Für Kasomwar das ein Spaziergang. Er konnte in einer halbenStunde zurück sein.

»In Ordnung, springen Sie los. Lassen Sie sichaber nicht orten oder suggestiv beeinflussen. SchauenSie nach, mit wem wir es zu tun haben. DasVerhalten der Unbekannten ist seltsam genug, umüberprüft zu werden.«

»Schaffen Sie das auch wirklich?« erkundigte sichPerry zweifelnd. »Denken Sie an die Hitze.

Außerdem haben Sie nur wenigeDeckungsmöglichkeiten.«

Kasom winkte geringschätzig ab.»Kleinigkeit, Sir. Ich habe mir schon den richtigen

Weg ausgesucht. Niemand wird mich sehen. WartenSie hier?«

Ich nickte nur. Sekunden später war der Gigantverschwunden. Wir erblickten ihn nicht ein einzigesMal!

»Erstaunlich«, gestand Mory. »Diese Ertruserscheinen in der Tat unschlagbar zu sein.«

Ich bemühte mich nicht mehr, denUSO-Spezialisten zu entdecken. Wenn Kasomerklärte, niemand würde ihn bemerken, dann war esauch so. Dagegen sah ich zu dem gelandeten Gleiterhinüber.

Drei Personen stiegen aus. Trotz der starkenVergrößerung konnte ich keine Einzelheitenunterscheiden. Doch - etwas schon. Die Fremdenbesaßen zwei Arme und zwei Beine. Außerdemgingen sie aufrecht.

»Humanoid«, stellte Rhodan fest. »Sie scheinenRaumanzüge zu tragen. Die Bewegungen wirkenunbeholfen. Kannst du mehr erkennen?«

Ich verneinte.»Sie sind schwarz«, meldete sich Noir. »Ich meine

die Schutz- oder Raumanzüge sind schwarz. Ist dasvernünftig bei dieser starken Sonnenstrahlung? DieKombinationen müssen die Wärme förmlichaufsaugen. Warum verwendet man keinereflektierenden Überzüge?«

Der Mutant hatte ein weiteres Rätsel gestellt. Aufdieser Welt schien es überhaupt sehr viele Rätsel zugeben.

Die drei Unbekannten hielten sich nur eineViertelstunde lang am Krater auf. Danach schrittensie zu ihrer Maschine zurück und stiegen ein. DasGefährt erhob sich in die Luft. Ich versuchte,irgendwelche Triebwerksstrahlungen zu entdecken.Es gelang mir nicht. Nur mein Energieorter sprachmit einem schwachen Ausschlag an.

Wieder lagen wir mit angeschlagenen Waffenhinter den deckenden Felsblöcken. Jetzt mußten dieUnbekannten doch mit der Suche beginnen!

Sie dachten nicht daran! Die Maschine flog zumTurm zurück und verschwand in einer Öffnung.

»Das begreife ich nicht«, sagte Rhodan überlegendvor sich hin. »Wenn sie nicht dieSuggestivbeeinflussung versucht und wenig späterdie Rakete abgeschossen hätten, würde ich nunbehaupten, sie hätten unsere Ankunft nicht bemerkt.Wir haben das Robotschiff immerhin in höchster Eileverlassen.«

»Sie haben uns aber beeinflussen wollen!«wendete ich ein. »Also wissen sie, daß Fremdeangekommen sind. Der paramentale Überfall war -

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logisch betrachtet - ein exakt durchgeführterVersuch, uns in den Bannkreis der Pyramiden zulocken. Was danach geschah, hätte dem Gehirn einesIrren entsprungen sein können. So handelt keinvernunftbegabtes Wesen, wenn es bestrebt ist, andereLeute in seine Gewalt zu bringen. Warum sucht mannicht mit Luftfahrzeugen das Gelände ab?«

Rhodan wischte sich über die Stirn. Seine Augenwaren von dem feinen Staub entzündet.

»Gehen wir zurück in die Höhle, Kasom könnteetwas entdeckt haben. Atlan - wir brauchenschleunigst Wasser. Du solltest daran denken, daßwir keine Arkoniden sind.«

Ich schaute nach Süden. Der Vegetationsstreifenam Steilhang war deutlich zu erkennen.

»Da drüben gibt es genug Wasser. Wir sollten denEinbruch der Nacht abwarten.«

Er schüttelte den Kopf.»Das halten wir nicht durch. Wir müssen sofort

marschieren.«

4.

Als Melbar Kasom nach einer knappen Stundezurückgekommen war, hatte ich ihm einen Winkgegeben. Der Ertruser hatte noch keineErmüdungserscheinungen gezeigt. Er wäre ohneweiteres fähig gewesen, genau und ausführlich zuberichten - nur hätte er außer mir keine Zuhörer mehrgefunden.

Mory Abro und Andre Noir waren bereits völligapathisch. Bullys und Rhodans Zustand hatte sichebenfalls als so bedenklich herausgestellt, daß wirunverzüglich aufgebrochen waren.

Die staubtrockene Luft der Hochwüste dörrte dieKörper überraschend schnell aus. Die letztenFlüssigkeitsreserven waren schon verbraucht.

Kasom hatte Mory und Noir getragen. Ich hatteBully gestützt. Rhodan hatte sich mit erstaunlicherEnergie nach Süden geschleppt.

Jetzt war der qualvolle Marsch beendet. Wir hattenden Steilhang erreicht. Tausend Meter tiefererblickten wir das fugenlose Blätterdach desUrwaldes. Er schien zu brodeln. FluoreszierendeDunstschwaden wurden von einem enorm starkenAufwind nach oben gerissen. Sie verloren ihrenWasserdampfgehalt schon in etwa fünfhundert MeterHöhe. Der Luftstrom, der schließlich über den Randder letzten Abstufung hinwegfauchte, war bereitsheiß und trocken.

Wir lagen in einer großen Höhle an den Flankeneines Hanges. Es war früher Nachmittag. Dieerbarmungslos brennende Sonne wanderte nurlangsam am Himmel entlang. Dieser Planet rotierte inschätzungsweise fünfunddreißig Stunden einmal umseine Polachse. Das bedeutete lange, glühheiße Tage

und ebensolange Nachte mit einem wahrscheinlichextremen Temperatursturz.

Der Himmel war grünblau und wolkenlos.Nirgends war ein Lebewesen zu sehen. Die fernenBergriesen begrenzten als konturlose, braungelbeMasse den Horizont. Die Luftspiegelungenverwandelten scharfkantige Kämme und Gipfel inunablässig wogende Dunstfelder, die derversprühenden Brandung eines Quecksilbermeeresglichen.

Ich wartete auf Kasom. Selbst er, der Übermensch,hatte seine Erschöpfung eingestanden. Trotzdem warer nach einer kurzen Rast aufgebrochen, um für dieVerschmachtenden Wasser zu suchen. Ohne denErtruser wären wir wahrscheinlich verloren gewesen.

Mory lallte und schrie im beginnenden Delirium.Der Mutant hatte sich in seine selbstsuggestive Starregeflüchtet. Rhodan und Reginald Bull lagen reglosauf dem steinigen Boden der Höhle.

Meine Zunge war ebenfalls verquollen. DieSinneseindrücke trübten sich. Als Kasom schließlichzurückkam, glaubte ich, ein zerfließendesNebelwesen zu erblicken.

Dann rann Wasser, kostbares, erquickendesWasser über meine Lippen. Ich besaß noch genugSelbstbeherrschung, um nicht mit unvernünftigerGier zu trinken.

Kasom schien wieder vollkommen frisch zu sein.Auf dieser Höllenwelt mußte ein Schluck Wasserwahre Wunder bewirken.

Ich trank langsam und äußerst vorsichtig. Als sichdie Trockenheit in meinem Rachenraum legte undmein verdicktes Blut wieder schneller durch dieAdern strömte, kümmerten wir uns gemeinsam umdie Terraner.

Mory und Andre wurden zuerst versorgt. Kasomachtete darauf, daß niemand zu schnell trank.

Es dauerte fast eine Stunde, bis meine Gefährtenwieder bei klarem Verstand waren. Als sich derFlüssigkeitshaushalt der Organismen einigermaßenstabilisiert hatte, holte Kasom erneut frisches Wasser.Er hatte nur wenige hundert Meter entfernt eineQuelle gefunden, die ihr kristallklares Naß in dieTiefen des Flachlandes strömen ließ.

Melbar benutzte einen Faltbeutel aushauchdünnem Kunststoffmaterial. Er faßte fünfzigLiter und war den Körperkräften des Riesen-entsprechend konstruiert worden. Der Beutel gehörtezu seiner Notausrüstung.

Wir besaßen ebenfalls solche Flüssigkeitsbehälter.Kasom brachte sie aufgefüllt zurück.

Wir schütteten uns einige Liter über Kopf undNacken, tranken erneut und fühlten uns danachvollkommen erfrischt.

Wir vermieden es, über unsere überwundeneSchwäche zu sprechen. Lediglich Bully bemerkte

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verstört, ohne Wasserreserven würde er nicht mehrauf die Hochwüste hinausgehen. Es war klar!

Es grollte plötzlich so laut, daß Mory erschrak undmit gewohnter Schnelligkeit zur Waffe griff. Gleicheiner sprungbereiten Raubkatze stand sie imHintergrund der Höhle und sah zum Eingang hinüber.

»Was war das?« flüsterte sie angespannt.Kasom war wieder einmal fassungslos. Völlig

verblüfft sah er sich um.»Mein Magen knurrte - warum? Was haben Sie

denn?«Rhodan legte den Kopf auf die angezogenen Knie

und lachte, daß seine Schultern bebten. Kasomgrinste verschüchtert zu dem zornglühendenMädchen hinüber, vor dem er zweifellos einegehörige Portion Respekt empfand.

Ich räusperte mich dezent - so, wie es der Würdeeines sehr alten Mannes zustand.

»Ungeheuer!« sagte Mory. Sie steckte ihre Waffeweg. »Sie sind wohl auch nur deshalb geborenworden, um Ihre Mitmenschen zu erschrecken, was?«

»Ich bin eben ein einmaliges Exemplar vonMensch«, behauptete der Ertruser. Selbstgefällig fuhrer sich mit der Rechten über den sandfarbenenSichelkamm seiner Haare. Er war sehr stolz auf dieseertrusische Manneszierde. Sein größter Kummerbestand darin, daß die kahlgeschorenen Hauptpartienrechts und links des Kammes Spuren von einemunerwünschten Neuwuchs zeigten.

»Minderwertigkeitskomplexe haben Sie wohl niegehabt?«

»Weshalb sollte ich, Mähnenlöwe?«Sie betrachtete den Riesen abschätzend.»Richtig, warum sollten Sie! Vielen Dank auch für

Ihre Hilfeleistung, Melbar. Ich ernenne Sie jetztschon zum Chef meiner Leibgarde auf Plophos.Einverstanden?«

Rhodan hüstelte. Kasom blickte verlegen zuBoden.

»Werben Sie uns gefälligst nicht unsere bestenLeute ab«, knurrte der Terraner. »Noch sind wir nichtzu Hause und Sie - Sie sind noch lange nichtRegierungschef von Plophos. Es sieht auch ganzdanach aus, als sollten Sie es niemals werden.Kasom, was haben Sie eigentlich entdeckt? Ichfürchte, wir waren in viel zu schlechter Verfassung,um ihren Bericht anzuhören.«

Mory schleuderte ihre Haare in den Nackenzurück, warf Perry einen eisigen Blick zu und schrittzum Höhlenausgang hinüber. Dort lehnte sie sich miteiner Schulter gegen die Felswand und spähte in dieTiefe hinab. Sie wendete uns ostentativ den Rückenzu.

Perry schmunzelte. Der Stolz dieses Mädchensschien durch nichts gebrochen werden zu können. Siewar wirklich wundervoll.

»Wie oft denkst du das eigentlich noch?« meldetesich mein Logiksektor mißmutig. »Du bist undbleibst zehntausend Jahre alt, auch wenn du wie einfünfunddreißigjähriger Terraner aussiehst.Beherrsche dich.«

Ich seufzte unbewußt. Perry zwinkerte mir zu. Erschien meinen vorübergehend geistesabwesendenBlick richtig gedeutet zu haben.

Kasom begann unvermittelt mit seinerBerichterstattung.

»Ich kam bei dem Krater an, als die Schwarzenausstiegen.«

»Die Schwarzen?« warf ich ein.»Jawohl, Sir, die Schwarzen. Ich nenne sie so. Ich

dachte erst, sie trügen Schutzanzüge wegen derStrahlung. Das stimmt aber nicht. Die Anzüge sindRüstungen, wie man sie früher auf der Erde trug. ZurRitterzeit, glaube ich.«

»Nanu ...!« sagte Rhodan gedehnt. »Sie haben sichnicht getäuscht? Vielleicht Luftspiegelungen?«

Kasom schüttelte entschieden den Kopf.»Nein, Sir. Ich hatte mich bis auf etwa dreißig

Meter an die Burschen herangepirscht. Ich gebe zu,daß ich mir einen greifen wollte. Als aber meinGammazähler wie verrückt zu ticken begann, stellteich fest, daß die schwarzen Rüstungen noch vielstärker strahlten als der kleine Explosionstrichter. DieWesen, die sich mit diesen Blech- oderKunststoffhüllen umgeben, scheinen dieRadioaktivität so nötig zu haben, wie wir Wasser inder Wüste.«

»Unmöglich!« behauptete Mory verblüfft. »Siemüssen einer Halluzination unterlegen sein, Melbar.«

»Ausgeschlossen, Madam«, entgegnete der Gigantreserviert. Jetzt nannte er Mory respektvoll»Madam«. Sie lächelte verhalten und offenbartedamit wieder einmal ihr wahres Wesen.

»Ich habe die Schwarzen mit dem Zählrohrangemessen. In dreißig Meter Entfernung zählte ichnoch fast vierhundert Teilchendurchgänge. So hochstrahlte nicht einmal der Bombentrichter. Ich habemich sofort zurückgezogen.«

»Haben Sie nicht feststellen können, wie dieTräger dieser seltsamen Rüstungen aussahen?« fragteich beunruhigt.

»Nein, Sir. Sie müssen jedoch menschenähnlichsein, dazu sehr dünn und hochgewachsen. Mir fielnur auf, daß sie sich sehr unbeholfen bewegten.Taumelig, möchte ich sagen. Sie liefen in der Art vonalten, schwerkranken Männern die sich kaum nochauf den Beinen halten können. Entweder sind dieFremden tatsächlich krank, oder die Rüstungen sindso schwer, daß sie nicht forscher ausschreitenkönnen. Ich kann nicht genau sagen, welcheMöglichkeit nun zutrifft. Ich habe mich, wie erwähntsofort zurückgezogen, um nicht zu viel Strahlung

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aufzunehmen. Ich habe mir schon auf dem Rückwegeine Absorberspritze gegeben, Sir.«

Ich nickte. Unsere medizinische Notausrüstungwar fast unangetastet. Absorberinjektionen gegeneine radioaktive Verseuchung waren in ausreichenderMenge vorhanden. Lediglich unser Vorrat anKosmo-Antibiotika war zur Hälfte verbraucht. Wirhatten damit versucht, die Wirkung der Giftinjektionaufzuheben.

»Krank und lebensuntüchtig?« überlegte Rhodan.»Das wäre eine Erklärung für ihr Verhalten. Es kannnatürlich auch andere Gründe geben. Wie schwerkönnen die Rüstungen gewesen sein, Kasom?«

»Keine Ahnung, Sir. Ich weiß nicht, aus welchemMaterial sie bestehen.«

»Ja, sicher, das können Sie nicht wissen. Hmm -warten wir also ab, was sich die Herrschaften nocheinfallen lassen. Ich würde vorschlagen, wir sehenuns erst einmal jene Stadt an, die dort unten im Dunstverborgen liegt.«

Er deutete mit einer flüchtigen Handbewegungzum Ausgang hinüber. Ich nickte. Wir mußtenbaldigst erfahren, wer die Bewohner dieserAnsiedlung waren. Wahrscheinlich handelte es sichum die Eingeborenen des Planeten.

»Seltsam, daß wir nur zwei Städte gesehen haben«,meinte Bully. Seine wasserblauen Augen glänztenargwöhnisch. »Ich halte es für unwahrscheinlich, daßsich die hiesige Zivilisation nur auf zwei Punkte desPlaneten konzentriert haben soll. Oder kann man ananderen Orten nicht leben?«

»Um das festzustellen, wollen wir uns jaumsehen«, belehrte ihn Perry. »Nur nicht die Geduldverlieren.«

»Sie reden und reden, Perry«, meldete sich Mory.Ihre Stimme klang ruhig und gefaßt. »Sie reden seitdrei Monaten. Auf alle Fälle verfolgen Sie Ihrepsychologische Beruhigungstherapie schon so lange,wie ich bei Ihnen bin. Was wollen Sie damitbezwecken? Halten Sie uns für unfähig, dietatsächliche Sachlage klar genug zu erkennen? Wirbefinden uns auf einer Urwelt, die wahrscheinlichnoch niemals von einem Raumschiff angeflogenwurde. Es wird auch niemals ein Raumer hier landenes sei denn, die Bluesflotten, die wir kurz vor demletzten Linearmanöver gesichtet haben, verirren sichin diese galaktische Randzone. Ich muß mich selbstzur Ordnung rufen, um nicht die Ankunft einesBluesraumers herbeizusehnen. Unser letzter Flugdurch den Zwischenraum war nur sehr kurz. UnterUmständen stehen die Blues nicht mehr als zwei- bisdreihundert Lichtjahre entfernt. DieWahrscheinlichkeit von einem havarierten und ausder Kampflinie fliehenden Schiff entdeckt zu werden,ist ziemlich groß. Schließlich gibt es hier dreiPyramiden, die unaufhörlich ihre Gammaschauer

ausstrahlen. Das wäre ein gutes Peilobjekt. Wirhaben es also nicht nur mit den sogenanntenSchwarzen und den noch unbekanntenStadtbewohnern zu tun, sondern außerdem noch mitden Blues. Sie wissen, wie schnell sich die Fronteiner kämpfenden Schlachtflotte um einige hundertLichtjahre verschieben kann. Es gibt immerNotsprünge, Fluchtbeschleunigungs-Manöver,Umgruppierungen und was der Dinge mehr sind. Siesollten daran denken, Großadministrator.«

Mory drehte sich um. Sie wirkte konzentriert undangespannt.

»Wir werden daran denken«, stimmte Perry zu.»Vorerst haben wir aber dafür zu sorgen, daß wir diehiesigen Intelligenzwesen kennenlernen. Wir bleibenden Rest des Tages in der Höhle. Morgen früh, kurzvor Sonnenaufgang, beginnen wir mit dem Abstieg.«

»Nahrungsmittel?«Bully hatte nur dieses Wort ausgesprochen. Es

schlug ein wie eine Bombe. Rhodan biß sich auf dieLippen. Kasom rieb sich sofort die Magengegend.Auch ich fühlte schon den Hunger.

Perry sah ärgerlich auf.»Wir haben erst vor wenigen Stunden ausgiebig

gegessen.«»Robotgefertigten Nährbrei, ja«, murrte Reginald.»Ich habe schon tagelang hungern müssen, sogar

unter extremeren Umständen als hier. Man stirbtnicht so schnell an einem leeren Magen. Außerdemkönnen wir versuchen, auf den Terrassenstufenjagdbares Wild zu finden. Die Vegetation beginntschon vierhundert Meter tiefer. Wir steigen morgenab. Unsere Körper sind durch den Hitzemarsch unddie vorangegangenen physischen Belastungen vielmehr geschwächt, als wir annehmen. Schlaf ist jetztdie beste Therapie.«

Er hatte recht. Kasom stieß einen tiefen Seufzeraus und warf Perry einen anklagenden Blick zu.

»Dann gehe ich wenigstens Frischwasser holen«,meinte der Ertruser. »Das brauchen wir auf alleFälle.«

Perry und ach erhoben uns. Wir wollten die Quellekennenlernen. Im gleichen Augenblick erwachte derMutant aus seiner schläfrigen Haltung.

»Jemand kommt«, sagte er mit tonloser Stimme.Seine Augen glänzten stumpf. »Ich orteMentalimpulse. Nein, es handelt sich nicht umSchwarze. Diese Wellenfront wird von einemStadtbewohner ausgestrahlt. Ich kenne die Frequenzvon der Landung her. Es ist eine einzelne Person.«

Ich ließ meine Waffe in das Gürtelhalfterzurückgleiten und beobachtete Noir. Sein Gesichtverzog sich verwundert.

»Seltsam. Seine Gefühlsregungen liegen klar vormir. Der Fremde ist nervlich stark angespannt, aberer denkt nicht an einen Angriff. Er konzentrierte sich,

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Gefahrenmomente tauchen auf. Vielleicht ein Jäger?«Mory stieß einen hellen Ruf aus und deutete

überrascht nach unten. Wir rannten zumHöhleneingang hinüber.

Aus dem Dunst der Tiefe schälte sich einglänzender Körper mit weitgespannten Schwingenund einem aerodynamisch vorteilhaften Rumpfheraus. Hier und da brach sich das Sonnenlicht imGlas der Kanzelverkleidung. Dann zucktenblendende Blitze in den Himmel.

Ich war fassungslos! Auf dieser Welt hätte ichalles mögliche erwartet; wilde Tiere, barbarischeBewohner und feuerspeiende Vulkane - nicht aberein Segelflugzeug, das nun mit schwereloser Eleganzund völlig lautlos im Aufwind sein Spiel trieb, dieNaturgewalten überlistete und immer höher amSteilhang entlangstrich.

Es war eine sehr große Maschine. Die Form derSchwingen hätte von einem terranischen Spezialistennicht besser konstruiert werden können. Der Rumpfbesaß ein hoch aufragendes Seitenleitwerk mitaufgesetztem Höhenleitwerk. Das Spiel der Ruderwar einwandfrei zu erkennen.

Der Segler wurde von einem erstklassigen Pilotengeflogen; von einem Wesen, das die Tücken desheftigen Warmluftstromes kannte und ihn für seineZwecke ausnutzte.

Der enge Kurvenflug dicht am Steilhang warriskant. Manchmal schienen die Tragflächenhervorstehende Felsen oder Bäume zu streifen.

»Phantastisch!« sagte Rhodan. Seine Augenglänzten.

Ich dachte an die Zeit zurück, als Perry Rhodannoch ein unbekannter Astronaut der Menschheitgewesen war. Damals, noch vor seinerSpezialausbildung, hatte er oft Segler geflogen. Auchich hatte viele hundert Male in Maschinen dieser Artgesessen. Ich konnte mich genau an einige weiteÜberlandflüge erinnern, an die widrigenLuftströmungen über weiten Wasserflächen und andas erhebende Gefühl im Aufwind.

Ich verstand nun, wieso Noir von einer nervlichenAnspannung gesprochen hatte. Der unbekannte Pilotmußte sich voll konzentrieren, um von denHeißluftböen nicht gegen die Felswände gedrückt zuwerden.

Wir warteten, bis die Maschine über unshinwegstrich. Sie schwang sich über den Rand derHochebene hinweg, stieg weiter und begann dann zukurven. Für einen Augenblick vernahm ich einPfeifen.

»Er drückt sie an«, erklärte Perry. Fasziniert starrteer nach oben. »Der Segler scheint stabil zu sein. Ermacht jetzt wenigstens hundert Kilometer proStunde. Nein, hundertzwanzig bestimmt. Junge -nach vorn mit dem Knüppel, Luftbremsen ausfahren.

Du wirst zu schnell. Bei hundertfünfzig legt sie dieOhren an. Das halten die Hauptholme nicht aus.Hmm - es kommt natürlich auf das Material und dieStützverstrebungen an. Immerhin, die Schwingenbeginnen zu flattern. Sie hat genug. Zum Teufel -warum drückt er sie so hart an?«

Ich schaute mich schmunzelnd nach Bully um.Perry horte und sah nichts mehr. Für ihn gab es jetztnur noch den Segler.

»Er muß so hart drücken«, fiel Kasomsachverständig ein. »Bei dem enormen Aufwindbleibt ihm keine andere Wahl, wenn erherunterkommen will.«

»Landen?« fragte Perry verwundert. »Will er dennlanden? Ich dachte, er wollte Fahrt aufholen. Unsinn,das braucht er natürlich nicht! Wozu Fahrt aufholen!Bei dem enormen Aufwind? Er will tatsächlichlanden. Weshalb? Was hat er auf dem Hochplateauverloren? Warum fährt er nicht die Bremsen aus?«

Der Terraner wurde wütend, so sehr erlebte er dieEreignisse mit. Unmittelbar darauf hörten wir dastypische Pfeifen.

»Ah ...!« Perry stöhnte erleichtert auf. »Endlich.Donnerwetter, die Maschine hat zwei mächtigeSchwingenbremsen. Und noch zwei Klappen vordem Höhenleitwerk. Das ist aber ungewöhnlich. Hastdu Töne - der Pilot spielt! Mit dem Riesenkasten?Nun ja, er muß ihn kennen.«

Wir beobachteten die Landung, die etwa zweiKilometer entfernt erfolgte. Die Maschineverschwand hinter dem vorspringenden Rand derobersten Terrasse. Rhodan erwachte aus seinemBegeisterungstaumel. Als er Morys Blick gewahrte,schoß dem Terraner das Blut in die Wangen.

»Ich bitte um Entschuldigung«, meinte er schroff.»Ich habe mich schlecht beherrscht. Atlan, schauenwir uns die Maschine an?«

»Weshalb? Wegen der Konstruktion, oder umnachzusehen, was der Pilot da oben treibt?«

Er lachte plötzlich.»Mich interessiert alles. Kasom, nehmen Sie den

großen Wasserbeutel mit. Noir, fühlen Sie sich fit fürden Aufstieg? Weit haben wir nicht zu laufen. Ichkönnte Sie vielleicht brauchen.«

Der Mutant nickte zustimmend. Mory verließbereits die Höhle.

»Sie haben mich zwar nicht erwähnt, aber es dürfteja wohl klar sein, daß ich mir dieses Phänomenebenfalls ansehe«, erklärte sie kühl. »Sie haben dochnichts dagegen, oder?«

*

Als wir die Landestelle erreichten, war bereitsetwas geschehen, was ich gern intensiver beobachtethätte.

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Der gewaltige Segler lag auf dem flachen Geländeder Hochwüste. Drei Fremde, die sich in nichts vonkräftigen, hochgewachsenen Terranernunterschieden, waren damit beschäftigt, Körbe,Kästen und verschnürte Ballen unter dem Dach eineroffenen Hütte aufzuschichten.

Hinter dem Cockpit der Maschine hatte man eineTür im Rumpf geöffnet Ich schaute in einengeräumigen Laderaum hinein.

»Ein Lastensegler«, flüsterte Perry. Bully, Kasomund das Mädchen waren weiter rechts in Deckunggegangen. Noir kauerte an meiner Seite Er lauschteauf die mentalen Impulsströme der drei Männer. Siewaren mit weiten Hosen und kurzen Blusenbekleidet, die auf der Brust von Schnürenzusammengehalten wurden.

Der Pilot trug einen rötlichen Bart, die beidenanderen Männer schienen sich nichts aus dieserManneszierde zu machen.

»Stadtbewohner«, teilte uns Noir mit. »Ichempfange die bekannten Hirnwellenmuster. Leiderkann ich ihren Gedankeninhalt nicht erkennen. DieGefühle liegen jedoch offen vor mir.«

»Und ...?« warf ich ein.»Sie fürchten sich, Sir. Eindeutig!«»Sie schauen unablässig zu den Pyramiden

hinüber«, fiel Perry ein. »Ich bin davon überzeugt,daß diese Körbe Lebensmittel enthalten. Damit wäregeklärt, wovon sich die Schwarzen ernähren.«

Rhodans Vermutung schien der Wahrheitmindestens sehr nahe zu kommen. Melbar Kasomtauchte plötzlich hinter uns auf. Er legte sich nebenmir nieder.

»Wir haben eine Idee, Sir. Was hielten Sie davon,wenn wir uns mit dem Segler zur Stadt bringenließen? Die drei Burschen sehen ganz danach aus, alshegten sie keine große Sympathie für die Schwarzen.Soll ich versuchen, mich mit dem Piloten inVerbindung zu setzen?«

»Wie? Verstehen Sie seine Sprache?«Kasom verzog das Gesicht. Angestrengt sah er zu

den hastig Arbeitenden hinüber. Sie waren nochimmer damit beschäftigt, das Ladegut unter demDach aufzuschichten und es mit dicken Strickengegen eventuelle Stürme abzusichern. Der Seglerzerrte an seinen Halteseilen. Er schien sehr leicht zusein.

Plötzlich liefen die Helfer des Piloten davon.Kasom folgte ihnen ein kurzes Stück. Als erzurückkehrte, meldete er überrascht:

»Hinter der nächsten Anhöhe steht eine ArtBlockhaus. Es ist aus Natursteinen aufgeschichtet.Unter einem Schutzdach stehen riesige Vögel mitgestutzten Flügeln.«

Ich bemerkte Perrys Verwunderung. DieÜberraschungen schienen kein Ende nehmen zu

wollen.»Vögel?« wiederholte der Terraner verblüfft.

»Sind Sie sicher?«»Jawohl, Sir. Etwa zwei Meter hoch mächtige

Laufbeine und gekrümmte Schnäbel. Sie sindPflanzenfresser. Was hat man mit den Tieren vor?Schlachten?«

»Bezähmen Sie gefälligst Ihren lüsternenGesichtsausdruck«, fuhr ich den Ertruser an. »Siedenken wohl nur ans Essen? Noir - bleiben Sie hierund greifen Sie notfalls mit Ihren hypnotischenKräften ein. Sorgen Sie dafür, daß wir mit demPiloten ungestört sprechen können. Kasom, Siehalten sich etwas zurück. Ich möchte nicht, daß derPilot bei Ihrem Anblick in Ohnmacht fällt. Perry ...?«

»Ich komme mit.«Wir erhoben uns und gingen langsam auf den

Flieger zu. Es wäre zwecklos gewesen, jetzt nochVersteck zu spielen. Er schien unbewaffnet zu sein.

Er erblickte uns erst im letzten Augenblick.Während unseres Marsches hatte er die Ruder seinerMaschine überprüft.

Nachdem er uns gesehen hatte, reagierte er sehreigenartig. Er stieß weder einen Ruf desErschreckens aus noch machte er einenFluchtversuch. Er schien nicht einmal sonderlichüberrascht zu sein.

Abwartend, die Arme über der Brust verschränkt,stand er neben dem geöffneten Laderaum. Kasomblieb weisungsgemäß zurück. Nur Perry und ichgingen noch einige Schritte weiter, bis wir neben derMaschine standen. Der Pilot regte sich noch immernicht.

Sein Blick zeugte jedoch von einem wachen Geist.Er musterte uns in einer Art, als hätte er uns erwartet.

»Springernachkomme«, flüsterte mir Perry zu.»Eindeutig! Hier muß einmal ein Raumschiff derGalaktischen Händler gelandet sein. VergesseneNachkommen der Besatzung, schätze ich.«

Ich nickte unmerklich. Die kräftige Gestalt desMannes, die Form der Ohren und der Schnitt desbreiten Gesichtes ließen kaum eine andere Deutungzu.

Die Springer durchflogen seit vielen Jahrtausendendie Galaxis. Unfälle und Notlandungen waren in derAnfangszeit der arkonidischen Ausbreitung, aus derdie Springer hervorgegangen waren, an derTagesordnung gewesen. Es gab viele Welten, die vonden Nachkommen ehemaliger Händler bewohntwurden.

Es handelte sich also nicht um einen Ureinwohnerdes Planeten. Es hätte mich auch gewundert, wenndiese urzeitliche Welt schon intelligentes Leben ineiner derart hochentwickelten Form hervorgebrachthätte.

Ich blieb einige Meter vor dem Mann stehen,

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erhob die Arme und zeigte ihm die Handflächen. Ermusterte uns immer noch. Ich wollte ihn anreden unddas altertümliche Interkosmo verwenden, das seitJahrtausenden in der Galaxis gesprochen wurde.Wenn er von Galaktischen Händlern abstammte,mußte er mich verstehen.

Er handelte jedoch schneller, als wir es erwartethatten. Ehe ich ein Wort sagen konnte, sprach er unsbereits an.

»Seid ihr mit dem Raumschiff angekommen? Wirhaben die Landung beobachtet.«

Ich ließ die Hände sinken und kämpfte schonwieder um meine Fassung. Rhodan stieß einenSeufzer aus, der viel bedeuten konnte.

Ich hatte jedes Wort verstanden. Der Einheimischehatte nicht die alte Umgangssprache benutzt, sondernein recht modernes Interkosmo, das sich erst vor etwatausend Jahren eingebürgert hatte. Seine Vorfahrenkonnten demnach vor noch nicht langer Zeit - nachgalaktischen Maßstäben gemessen - auf diesemPlaneten gelandet sein.

Rhodan ergriff das Wort. Er handelte so, als würdeer den Mann schon lange kennen.

»Ja, wir sind damit angekommen. Es war einUnfall. Wir wollten uns nur auf dieser Welt etwasumsehen, doch da startete das Schiff plötzlich. Wirnehmen an, die Alarmautomatik ortete dieradioaktive Strahlung, die von den Pyramidenausgeht.«

Der Gesichtsausdruck des Fremden verrietVerständnislosigkeit. Was ein Raumschiff war,schien er zu wissen. Von Radioaktivität schien ernoch nie etwas gehört zu haben. Ich durchschauteden Sachverhalt. Er war durchaus nicht einmalig. Ichkannte andere Welten, deren in die Primitivitätabgesunkene Bewohner sich noch gut an dieRaumfahrzeuge ihrer Vorfahren erinnern konnten.Sie wußten auch noch, daß man durch den Raumfliegen konnte und daß es viele andere Welten gab.Damit war aber das Wissen um die Dinge erschöpft.Hier schien ein ähnlicher Fall vorzuliegen. DerSegler wies ebenfalls darauf hin, daß man dietechnischen Erkenntnisse der Ahnen vergessen hatte.Sie existierten nur noch dem Worte nach.

»Unser Schiff erkannte die Gefahr und flog ohneuns ab«, sagte ich schnell. »Wir bitten um deineHilfe. Wir sind angegriffen worden.«

Er nickte und schaute zu den fernen Pyramidenhinüber. Die riesigen Bauwerke standen wie eindrohendes Fanal in der Wüste.

»Ja, wir wissen es. Wir haben den Donner gehört.Die Schwarzen von Roost sind erbarmungslos.«

»Die Schwarzen von Roost!« Kasom räuspertesich. Der Pilot zuckte zusammen. Als er den Ertruseranblickte, bemerkte ich zum ersten Male denAusdruck von Furcht in seinen Augen.

»Die anderen Männer nähern sich«, rief uns Moryzu. »Sie haben einige Laufvögel dabei.«

Der Fremde wurde unruhig. Ängstlich schaute erzu den Pyramiden hinüber. Er schien mit einemEntschluß zu ringen.

»Ihr steht nicht mit den Schwarzen von Roost inVerbindung?« erkundigte er sich argwöhnisch.

»Nein. Wir haben sie heute zum ersten Malegesehen. Kannst du uns helfen? Wir möchten in dieStadt, die wir vor der Landung erblickt haben. Wirkönnen dir und deinen Leuten reiche Erkenntnissevermitteln, die für euer Fortkommen bedeutungsvollsind.«

Der Pilot grinste plötzlich. Jetzt glich er mehr dennje einem verschlagenen Händler; der ein gutesGeschäft wittert.

»Das sagte der Patriarch ebenfalls«, erklärte derMann überraschend. »Ich habe den Auftrag erhalten,mich hier oben umzusehen. Wir hielten es fürmöglich, daß jemand angekommen ist.«

Nun wußte ich, weshalb der Rotbart so gelassenauf unsere Annäherung reagiert hatte.

»Springer bleibt Springer«, murmelte Perry vorsich hin. »Die Halunken verändern sich nie.«

»Verbergt euch«, wies uns der Pilot an, nachdemer gelauscht hatte. »Ich kehre mit dem letztenAufwind zurück und bringe noch eine Ladung. Ichnehme euch mit hinunter. Vorher werde ich Traveraunterrichten. Ich brauche Geleitschutz.«

»Was ...?«»Geleitschutz. Die Männer von Gognul haben

mehr als zweihundert Tronnen in der Luft. Sie dürfennicht merken, daß ich mit einer Rückfracht starte. Ichkann eigentlich nur leer zurückfliegen. Nach fünfStunden sind die Gognul mit der Versorgung an derReihe.«

»Die Gognul sind eure Feinde? Wie nennt ihreuch?«

»Traver. Die Gognul bewohnen die Stadt jenseitsder Bucht. Wir haben die Schwarzen von Roostgemeinsam zu beliefern. Verschwindet. Meine Helfersollen nichts von unserer Vereinbarung wissen. Ichkomme bestimmt zurück.«

»Eh - welche Waffen habt ihr?« rief uns der Pilotgedämpft nach. »Könnt ihr eine Trohne abwehren?«

»Was ist eine Trohne?« erkundigte ich mich.Hinter der Anhöhe vernahm ich Geräusche. DerTraver winkte hastig ab und erklärte dazu:

»Später. Trohnen sind zweisitzige Segler, Pilot undSpeerbombenschütze. Woher kommt ihr, daß ihr wieKinder fragt? Verschwindet.«

Wir gingen in Deckung. Mory flüsterte uns zu, dieLaufvögel wären von den beiden Helfern angeschirrtworden.

»Wie Zugtiere«, fügte sie verwundert hinzu. »DerSegelflieger scheint Sie erwartet zu haben, wie? Sein

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Gebaren ließ darauf schließen. Er war nichtüberrascht.«

»Kann man wohl sagen«, knurrte Rhodanunwirsch. »Diese Halunken haben die Landungbeobachtet und daraus ihre Schlüsse gezogen. Sienennen unsere rüstungsbewehrten Suggestoren undBombenwerfer die >Schwarzen von Roost<.Entweder ist >Roost< der allgemeingültige Name fürdiese Welt, oder die Einheimischen bezeichnen damitdie Pyramiden. Das ist aber vorerst unwichtig. Wozubenötigen sie die Vögel?«

Wir erfuhren es wenige Augenblicke später. MeineHochachtung vor dem Erfindungsgeist dieser Leutestieg um einige Grade.

Die Springernachkömmlinge schienen nicht imSinne des Wortes degeneriert zu sein. Der Pilot hatteeinen energischen Eindruck auf mich gemacht.Dagegen schien man die hohe Technik der Vorfahrendurch irgendwelche Einflüsse vergessen zu haben.Wahrscheinlich hatten die Nachkommen von vornbeginnen müssen - allerdings mit beachtlichemGeschick, wie ich zugeben mußte. Ich hatte mir denLastensegler genauestens angesehen.

Er war in Holzbauweise ausgeführt, jedoch schienes sich um ein Material zu handeln, das manwahrscheinlich nur auf diesem Planeten findenkonnte. Die Verarbeitung war erstklassig, dieOberfläche blank poliert. Das Schwingenprofil ließauf aerodynamische und physikalische Kenntnisseschließen, die nicht nur aus Erfahrungswertenbestehen konnten.

Wir schauten zu den Tieren hinüber. Sie glichenetwa einem irdischen Strauß, nur waren sie vielgrößer und muskulöser gebaut. Die Köpfe hätteneiner terranischen Gazelle gehören können. Beieinem der drei Vögel entdeckte ich sogar ein spitzes,gewundenes Gehörn.

Die Tiere wurden vor den Segler geführt und einlanges Seil vor der Gleitkufe an der Rumpfnasebefestigt. Ein Helfer zerrte die Vögel nach vorn, bissich das Seil straffte. Es war etwa fünfzig Meter lang.

Der zweite Mann hob mühelos die auf dem Bodenliegende Spitze der linken Tragfläche an, bis dieSchwingen horizontal zum Gelände ausgerichtetwaren.

»Phantastisch!« sagte Rhodan erneut. »Das ist dertollste Start, den ich je gesehen habe. Diese Tiereersetzen bestimmt eine Seilwinde. Unter Umständenfliegen sie sogar. Schaut euch das an!«

Der Pilot gab ein Zeichen. Die drei riesigen Vögelstemmten ihre Krallenfüße in den Boden, und dannrasten sie nur so über die Wüste hinweg.

Der Lastensegler wurde mitgerissen. Der Pilot hobdie Maschine nach etwa zehn Metern ab, ließ sie übereine Strecke von zirka vierzig Metern hinweg Fahrtaufnehmen und riß dann den Knüppel nach hinten.

Der Segler begann im Winkel von, fünfundvierzigGrad zu steigen. Der rasende Lauf der Vögel wurdelangsamer. Ihre Zehen krallten sich fester in denBoden ein, je härter der Zug der steigenden Maschinewurde.

Wir sahen, wie sie nach vorn überkippte. Imgleichen Moment klinkte der Pilot das Schleppseilaus und ging sofort auf Kurs. Die Vögel liefen aus.Trabend kehrten sie zu dem schrill pfeifendenTreiber zurück, der sie mit einem ähnlich gellendenPfiff zum Davonlaufen angespornt hatte.

Das Segelflugzeug verschwand schon über demSteilhang. Es nahm geraden Kurs auf die ferne Stadt,die wir von unserem Standort aus nicht sehenkonnten. Eine Hügelkette verdeckte den Ausblick aufdie Küste.

Wir schauten dem Luftfahrzeug nach, bis es imDunst verschwunden war. Die beiden Männerschritten eilig zu ihrer Hütte zurück. Wahrscheinlichwaren sie hier oben stationiert, bis sie von einerBodenmannschaft der sogenannten Gognul abgelöstwurden.

Der überdachte Schuppen mit denNahrungsmitteln blieb unbewacht zurück. Kasomschaute verlangend hinüber. Ich sagte warnend:

»Ertruser - kommen Sie nur nicht auf die Idee, denVorrat zu plündern. Wir erhalten bald genug etwas zuessen. Dieses Lager ist für die Herren in denschwarzen Rüstungen bestimmt. Es darf nichtsfehlen. Noir - was halten Sie von derAngelegenheit?«

Der Mutant richtete sich auf und klopfte den Staubaus seiner zerschlissenen Uniformkombination.

»Der Fall ist ganz klar, Sir. Die Schwarzenverlangen von den Bewohnern der beiden Städte eineTributzahlung, die wohl in erster Linie in der Formvon Lebensmitteln entrichtet werden muß. Ich binsicher, daß die Schwarzen ihre geringe suggestiveBegabung dazu verwenden, um die Stadtbewohner zudieser Fronleistung zu zwingen, ich vermute sogarnoch mehr, Sir.«

»Was?« fragte Rhodan. Sein Gesicht spannte sich.Andre sah blinzelnd zu den Pyramiden hinüber.»Der Pilot machte einen intelligenten Eindruck,

auch wenn er nicht wußte, was Radioaktivität ist. DieBezeichnung >Raumschiff< gebrauchte er jedochganz selbstverständlich. Ich bin überzeugt, daß dieseLeute in technischer und auch kultureller Hinsichtviel weiter wären, wenn die sogenannten Schwarzenvon Roost nicht dafür sorgen würden, daß man in denStädten nicht zuviel entdeckt oder erfindet. DieTraver werden unauffällig am Gängelband geführt.Unter Umständen schüren die Schwarzen sogarMißtrauen und Eifersucht zwischen den beidenStädten. Sie legen Wert darauf, daß man sich nichteinigt. Das könnte für die Schwarzen gefährlich

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werden. Es deutet alles darauf hin, daß meineVermutung richtig ist.«

Ich nickte nachdenklich. Der Mutant hattefolgerichtige Schlüsse gezogen.

»Abwarten«, gebot Perry. »Wir werden uns mitder Situation vertraut machen. Jetzt gehen wir zurHöhle zurück. Wenn hier ein Gleiter auftaucht, umdie Lebensmittel abzuholen, möchte ich nicht mehr inder Nähe sein. Unter Umständen entschlossen sichdie Burschen doch noch zu einem Angriff.«

Wir schritten den Weg zurück. Als wir an derQuelle rasteten, sagte Mory:

»Perry, Sie verheimlichen uns etwas.«Er schöpfte noch etwas Wasser, ließ es über den

Nacken rieseln und blickte auf.»So?«»Sie haben etwas vor«, behauptete Mory. »Ich

kenne Sie besser, als Sie annehmen. Sie wissen dochselbst, daß wir in den Städten keine Hyperkomgerätefinden, nicht wahr?«

Der hagere Terraner begann zu lächeln. Ich wußteplötzlich, was er dachte. Ich hatte auch schon mitdem Gedanken gespielt, bisher aber darauf verzichtet,ihn weiter zu verfolgen.

Jetzt sah die Situation plötzlich ganz anders aus.Jemand wollte uns helfen, nicht ganz uneigennützig,wie es schien - aber wir konnten darauf hoffen,Unterstützung zu finden. Damit war wenigstens dasNahrungsproblem gelost.

Mit den Einheimischen würden wir auf alle Fälleeinig werden. Ob wir aber auch mit den Schwarzenverhandeln konnten, war eine andere Frage. Ichwartete auf Perrys Antwort. Sie erfolgte in knapperForm:

»Wir schauen uns die Eingeborenen an, stellen dieHintergründe der Streitigkeiten fest, greifenzweckentsprechend ein und nehmen uns dann diePyramiden vor. Wenn es auf dieser Welt ein Gerätgibt, mit dem man einen Notruf abstrahlen kann,dann können wir es nur innerhalb der Pyramiden oderin dem schwarzen Turm finden, der nun wieder imBoden versunken ist.«

Mory schaute den Terraner abschätzend an.»Langsam wird mir klar, wie Sie das Imperium

aufgebaut haben. Danke für den Unterricht, Perry.«

5.

Nur eine Stunde nach dem seltsamen»Windenstart« des Lastenseglers war ein Luftgleiterder Schwarzen erschienen. Perry, Melbar und ichhatten das Verladen der Güter beobachtet, aber dabeihatten wir nur Roboter erblickt.

Sie waren von fremdartiger Konstruktion gewesen,die mich annähernd an die Maschinen auf Kahaloerinnert hatte.

Niemand hatte uns geortet. Wir waren demzufolgeauch nicht belästigt worden. Anschließend waren wirnochmals zur Höhle zurückgelaufen, um unserewenigen Habseligkeiten abzuholen.

Jetzt lagen wir wieder hinter den deckenden Felsenund Bodenerhebungen am Rande des Steilhanges, derhier, an dieser Stelle, fast senkrecht in diegeheimnisvolle Tiefe abfiel.

Der Pilot hatte gesagt, er käme mit dem »letztenAufwind« zurück. Die Sonne dieser Welt standbereits hinter den westlichen Bergen. Ihr Lichtverfärbte sich zu einem fahlen Weißgelb, das kurzdarauf von einem orangefarbenen Leuchten abgelöstwurde.

Lichtspeere zuckten über die plötzlich scharfumrissenen Gipfel und Kämme hinweg und tauchtendas weite Land in flackerndes Rot und blutfarbeneLuftspiegelungen.

Der lange Tag neigte sich seinem Ende zu. Aus derTiefe tönten gräßliche Schreie zu uns herauf. Dasurweltliche Leben dieser Welt schien mit demschwindenden Licht zu erwachen.

Wir warteten auf den Lastensegler.Es dauerte noch zehn Minuten, bis wir ihn

erspähten. Der Pilot hielt Wort. Allerdings waren wirdavon überzeugt, daß er sich mit seinem Patriarcheneingehend über das Für und Wider einer Bergungunterhalten hatte. Springer taten niemals etwasumsonst - und das waren Springer!

Wahrscheinlich hofften die Machthaber der Stadt,wir könnten ihnen behilflich sein, die Leute vonGognul zu besiegen.

Für uns kam es erst einmal darauf an, dasHochplateau zu verlassen und möglichst gefahrlosdie Urwaldzone zu passieren. Dies geschah ambesten auf dem Luftwege.

»Ob die Kiste mein Körpergewicht aushält?«fragte Kasom plötzlich.

»Aushalten schon. Es fragt sich nur, ob sie IhrGewicht auch trägt«, entgegnete Rhodan. Prüfendbetrachtete er den ertrusischen Giganten. »Siemüssen auf alle Fälle genau im Schwerpunktuntergebracht werden. Ich glaube aber, daß derLastensegler ihre sechzehn Zentner schleppen kann.Die Ladung war bestimmt nicht leichter, eher nochum etliche Zentner schwerer.«

»Das ist wichtig. Wir sind auch noch da«, meinteBully knurrig. »Kasom, halten Sie Ihre Füße ruhig.Ich liege dicht hinter Ihnen.«

Der Aufwind war noch stark genug, um demPiloten die Möglichkeit zu bieten, mit hoherSteiggeschwindigkeit Höhe zu gewinnen. Schonwenige Augenblicke später erreichte er dasHochplateau, strich dicht über den Rand hinweg undsetzte nach einer weitgezogenen Kurve zur Landungan.

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Wir warteten, bis das Poltern der aus Metallgefertigten Landekufe ausklang und die Maschinesich zur Seite neigte. Sie federte auf das Ende derlinken Tragfläche und blieb liegen.

Der Pilot stieg sofort aus und befestigte dasFlugzeug an eingerammten Pflöcken. Wenig spätererschienen die beiden Helfer. Das Frachtgut, dasdiesmal aus zahlreichen Krügen und riesigenFleischstücken bestand, wurde in höchster Eileausgeladen.

Kasom stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.Wahrscheinlich dachte er schon wieder an seine»Ochsenviertelchen«.

Das Licht der untergehenden Sonne verlor seineintensiv rote Farbe. Ultrablaue Wolkenballungenzeichneten sich hinter dem fernen Gebirge ab.

Die Helfer rannten davon. Auf dieser Welt konnteman nachts nicht fliegen. Wahrscheinlich erfolgte derTemperatursturz so schnell, daß derThermik-Auftrieb schon wenige Minuten nachAnbruch der Dunkelheit erlosch. Es war einnatürlicher Vorgang.

Meiner Schätzung nach hatten wir noch etwa eineStunde Zeit bis zum Versiegen der Thermik. DerStart durfte nicht mehr lange aufgeschoben werden.

Als die Helfer verschwunden waren und Kasomvon seinem Beobachtungsplatz aus das vereinbarteZeichen gab, rannten wir auf die Maschine zu. DerPilot erwartete uns. Mit einer gebieterischenHandbewegung deutete er auf das Frachtluk. Kasomkam mit riesigen Sätzen angesprungen.

Der Flieger staunte den Giganten an, stieß eineseltsam klingende Verwünschung aus und grollte:

»Beim Appetit der Schwarzen - wie schwer bistdu?«

»Das wird sich herausstellen, wenn deine Mühlestartet«, grinste der Ertruser. Er umfaßte mit Daumenund Zeigefinger die Bluse des Traver, hob ihn hochund sah ihm in die erschreckt aufgerissenen Augen.

»Freund - wir sind friedfertige Leute, aber wirhaben etwas gegen schmutzige Tricks. Hast du denAuftrag erhalten, uns zur Stadt zu bringen?«

Der Pilot gurgelte etwas und nickte heftig. Kasomsetzte ihn ab.

»Schön, ich passe auf. Wo soll ich michhinsetzen?«

»Legen, flach hinlegen und nach meinerAnweisung das Körpergewicht verlagern«, stöhnteder Springer. »Ich muß die Maschine austrimmen,wenn ich ausklinke. Verschwinde schon.«

Der Laderaum war wesentlich geräumiger, als esvon außen ausgesehen hatte. Kasom legte sich hinterdem Cockpit nieder, wir verteilten uns nahe demSchwerpunkt an den Wänden.

»Hast du etwas auszurichten?« fragte ich denPiloten. Er saß schon in seinem aus Holz geformten

Kontursitz und schnallte sich an. Draußen hörte ichdie Rufe der Treiber. Die Tragflächen wurdenangehoben. Der zweite Mann befestigte dasSchleppseil an der Schnappöse.

Ich richtete mich vorsichtig auf und spähte durchdie verglaste Kanzel nach vorn. Der Sitz neben demPiloten war noch frei. Rhodan wartete auf den Start.Er wollte sich neben den Fremden setzen und denFlug Überwachen.

»Nichts«, brummte der Rotbart unwirsch. »Ich solleuch zu Travera bringen. Er will mit euch sprechen.Mein Name ist übrigens Otrin.«

Bei dieser Auskunft blieb es. Mory umklammertemeinen Arm. Die Maschine ruckte heftig an, poltertemit der Gleitkufe über das Gelände und wurde danndurch einen zarten Knüppelausschlag abgehoben.

Sekunden später wurde sie zum Steigfluggezwungen. Ich hörte den Traver heftig schimpfen.Der Start schien nicht einfach zu sein.

»Die Vögel schaffen es kaum«, rief mir Bully zu.Er schaute durch ein winziges Luk nach unten. »Siewerden langsamer.«

Mir wurde klar, daß sich die beiden Treiberdarüber wundern mußten. Das Flugzeug besaßplötzlich ein wesentlich höheres Abfluggewicht alsgewohnt.

»Das gibt Schwierigkeiten!« meldete sich meinExtrahirn. »Daran hat der Pilot nicht gedacht. Esfällt ihm jetzt erst ein. Aufpassen.«

Der Flieger, der sich Otrin nannte, behielt jedochdie Nerven. Er wartete bis zum letzten Augenblick,zwang die Maschine mit dem Rest ihrerSchleppgeschwindigkeit in die Horizontale klinktedas Seil aus und drückte sie sofort wieder an.

Leise pfeifend nahm der Lastensegler Fahrt auf.Wir schossen auf den Rand der Hochebene zu undglitten haarscharf darüber hinweg. Für einenAugenblick sah ich die drei Laufvögel. Sie trabtenschon zu ihrem Treiber zurück.

Unter uns öffnete sich der Abgrund. Ein warmerLuftstrom erfaßte uns. Damit schien für den Pilotender Fall geklärt zu sein. Rhodan zwängte sichzwischen uns hindurch und nahm auf dem zweitenSitz Platz.

Der Rotbart verzichtete darauf nochmals Höhe zugewinnen. Dagegen ging er sofort zum Streckenflugüber, wohl wissend, daß er über der Heißluftzone desUrwaldes kaum Höhe verlieren konnte.

Sein Ziel war der schätzungsweise zwanzigKilometer entfernte Nordhang der Hügelkette, dieuns den Ausblick auf das Meer versperrt hatte. Dortmußte er wieder kurven, Höhe aufholen und zumnächsten Sprung ansetzen.

Nach einigen Augenblicken bemerkte ich aber, daßder Lastensegler selbst über dem Urwald mit etwadrei Meter pro Sekunde stieg. Die Thermik auf dieser

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Welt war unvergleichlich stark. Der Pilot schautekein einziges Mal nach einer Wolkenschicht aus, umin deren Thermalstrom nach oben zu kurbeln. Wirstiegen immer höher, obwohl er das Flugzeug -meiner Auffassung nach- recht scharf andrückte.

Ich versuchte, die Instrumente abzulesen. Es gabkeine! Er besaß nicht einmal einen Höhenmesser. DieMänner dieses Planeten flogen nur nach Gefühl.

Ich erinnerte mich an eine alte Segelflugweisheit,die ich auf der Erde gehört und belächelt hatte.Demnach sollte ein guter Segelflieger das Gefühl imSitzfleisch haben. Tatsächlich hatte ich vor vielenhundert Jahren Terraner kennengelernt, die reingefühlsmäßig sagen konnten, mit welcherGeschwindigkeit die Maschine flog, wie schnell siestieg und wie heftig sie in Kaltwinden fiel.

Rhodan warf mir einen bezeichnenden Blick zu. Ersagte aber nichts. Wahrscheinlich wollte er Otrinnicht beirren.

Ich fragte mich, warum der Flieger plötzlichzusammenzuckte und dann einige merkwürdigeVerwünschungen ausstieß.

»Kalko, der Schuft«, sagte er wütend. »Habt ihrdie Lichtzeichen bemerkt? Er blinkt mit seinemSignalspiegel. In zehn Minuten sind die Trohnen derGognul da.«

»Moment, bitte«, sagte ich heftig, denn ich war derRätselraterei müde. »Wer gibt Lichtzeichen, und washaben sie zu bedeuten? Drücke dich klarer aus,Freund.«

Er warf mir einen wilden Blick zu und wischte dieSchweißtropfen von seiner Stirn.

»Kalko ist der Treiber der Gegenseite. Die Stationist immer von einem Traver und einem Gognulbesetzt. Kalko hat bemerkt, daß ich mit vollerLadung gestartet bin. Natürlich hat er ebenfalls euerRaumschiff gesehen. Er wird sich seinen Teildenken. Das Abkommen mit dem Patriarchen vonGognul verbietet es uns, eine Rückfrachtmitzunehmen. Kalko informiert nun die Luftjägerseiner Leute. Über dem nächsten Kamm werden sieauftauchen. Und ich-verdammt, ich habe keinenGeleitschutz bekommen. Travera wollte es nicht.Warum bin ich Narr gestartet, um euch abzuholen?«

Er fluchte wieder und drückte die Maschine nochschärfer an.

»Seit wann führt ihr mit den Gognul Krieg?«erkundigte sich Rhodan. Unter uns huschte diegrünblaue Mauer des Urwaldes hinweg. Unsere Fahrtbetrug etwa hundert Kilometer pro Stunde. Außereinem zarten Pfeifen war nichts zu hören. Es wäre einwundervoller Flug gewesen, wenn sich nicht schonwieder Schwierigkeiten angekündigt hätten.

»Seit wann? Als ich geboren wurde, erfolgtegerade ein Großangriff auf Travera«, lachte derRotbart grimmig.

»Auf Travera? So heißt doch dein Patriarch?«»Unsere Stadt heißt auch so, das ist Sitte.«Ich nickte. Die Springernachkömmlinge folgten

damit dem Vorbild ihrer Ahnen.»Warum führt ihr Krieg?« wollte Rhodan wissen.

»Geht es um Landbesitz oder um wertvolleBergwerke?«

»Du fragst wie ein Narr. Die Gognul sind ebenFeinde.«

Der Pilot schaute uns etwas unsicher an. Er schienmit seiner Auskunft selbst nicht zufrieden zu sein.

Andre Noir nickte mir zu. Seine Theorie schienrichtig zu sein. Die Schwarzen von Roost setzten ihresuggestiven Kräfte ein, um die beiden Völker inewiger Unruhe zu halten.

»Wie nennt ihr euren Planeten?« fragte ich.»Roost. Die Sonne heißt Simban. Wieso wißt ihr

das nicht?«»Wir kommen von weit her, Freund.«Er runzelte die Stirn und stellte dann eine Frage,

auf die ich eigentlich hätte gefaßt sein sollen.»Wie fliegt ihr mit einem Raumschiff? Wie ist da

oben die Thermik? Ich wollte schon oft in den Raumvorstoßen, aber die Luft wurde so dünn, daß ich nichtmehr atmen konnte. Ihr müßt uns sagen, wie man esmacht. Wir Traver haben die besten Maschinen.Unsere Gasholzverarbeitung haben die Gognul nochnie nachahmen können. Wir kennen besondereLeimverbindungen. Woraus baut ihr eureRaumschiffe?«

Es wäre zwecklos gewesen, dem Eingeborenenerklären zu wollen, daß es im Raum keine Thermikgab. Er war der Auffassung, man müßte nurgenügend Luft finden, oder eine Methode zumKomprimieren ausdenken, um anschließend jedenbeliebigen Punkt in der Galaxis mit einem Seglererreichen zu können. Bei diesenSpringernachkommen hatten sich die Grenzen derWissensgebiete verwischt. Überliefertes Wissen undvorhandene Technik bildeten ein buntes Kaleidoskopvon verworrenen Vorstellungen.

»Wir sprechen darüber«, lenkte ich ab. »Drückedie Maschine nicht zu tief, oder du kommst nichtmehr über den Hang hinweg.«

Er winkte geringschätzig ab.»Ich ziehe sie notfalls so hoch, daß ihr keine Luft

mehr bekommt. Ich kenne die Abendwinde. Sie sindjetzt unsere letzte Chance. Die Trohnen der Gognulwerden uns nicht schnell genug folgen können. Wirmüssen natürlich den großen Kerl über Bord werfen,damit wir leichter werden.«

Er deutete mit dem Daumen über die Schulter.Kasom stieß ein tiefes Grollen aus. Mory lachteschallend.

Otrin sah sich verwundert um. Er schien unsereReaktion für eigenartig zu halten.

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»Eher fliegst du«, knurrte Melbar. »Haben Sie dasgehört, Sir? Hier scheinen ja seltsame Methoden zuherrschen. Mich über Bord werfen, ha!«

»Bist du der Dickste, oder bist du nicht derDickste?« erboste sich der Pilot. »Na also! Dieschweren Brocken haben bei Gefahr immer zuerst zuspringen. Ist das bei euch vielleicht anders? Wasmacht ihr, wenn die Aufwinde euer Raumschiff nichtmehr tragen? Ihr entfernt überflüssige Lasten, oder?Das ist doch ganz klar.«

»Ich bin keine überflüssige Last«, sagte Kasometwas lauter als bisher. Der Segler vibrierte. Otrinzog den Kopf ein. »Da vorn kommen kleineMaschinen über die Berge hinweg.«

Otrin schimpfte fürchterlich. Er nannte sichwiederholt einen Narren. Mit seiner überladenenMaschine konnte er nicht schnell genug steigen.

Im gleichen Atemzug erklärte er uns dieKriegsführung auf Roost. Beide Parteien hatten ihreTechnik voll und ganz auf den Segelflugausgerichtet. Landetruppen kannte man kaum. Mansetzte bestenfalls Kommandos mit großenLastenseglern ab.

Die Schiffahrt war ein unbekannter Begriff. Manscheute sich vor dem nassen Element. Die heiße Luftmit ihren phantastischen Aufwindströmungen warsicherer als das Wasser.

Beide Städte wurden durch den von unsgesichteten Meeresarm voneinander getrennt. Gognullag auf der anderen Seite, etwa zweihundertKilometer von Travera entfernt.

Die Städte waren stark befestigt und besaßen breiteWassergräben, in denen Meeresungeheuergefangengehalten wurden. Angriffe waren aber nuraus der Luft üblich.

Über dem kleinen Golf, in dem zahlreicheInselgruppen eingebettet lagen, spielten sich Tag fürTag erbitterte Luftkämpfe ab. Man beschoß sich mitprimitiven Katapultwaffen, die von den sogenanntenSpeerbombenschützen bedient wurden. EinsitzigeTrohnen besaßen eine starr eingebauteSpeerschleudermaschine. Es wurde mit dem ganzenFlugzeug gezielt.

Die Natur war den vergessenenSpringernachkommen von Roost in jeder Beziehungbehilflich gewesen. Das sogenannte Gasholz, dasOtrin schon erwähnt hatte, wuchs überall in denUrwäldern. Es handelte sich um bambusartigePflanzen mit zahllosen Porenzellen, die mit einerWasserstoffgas-Verbindung angefüllt waren.Gasholzbäume hatten ein so geringes Gewicht, daßsie von stärkeren Winden davongeweht wurden.Daraus baute man die wunderbaren Segelflugzeuge,die durch die gasgefüllten Hölzer fast noch leichterals die Luft waren.

Mir wurde klar, warum man hier so prächtig und

mühelos fliegen konnte. Das Gasholz diente auch alsRohstoff für die Waffenfabrikation. DieEingeborenen stachen die hermetischabgeschlossenen Holzsporen an, saugten dasWasserstoffgas ab und komprimierten es zwischenzehn und zwanzig atü in Bronzeguß-Hohlkörpern.

Bei dem Verdichtungsprozeß wurde Sauerstoffhinzugefügt. Dadurch entstand ein hochexplosivesKnallgasgemisch, das man nur noch zu zündenbrauchte, um wirkungsvolle Sprengkörper zuerhalten. Die kleinen Granaten besaßen einelängliche Form. Man setzte sie auf die Spitzen derSpeerschäfte und schleuderte die dadurchentstandenen Lanzengeschosse mitarmbrustähnlichen Katapulten davon.

Es gab aber auch regelrechte Knallgasbomben, dievon Segelflugzeugen abgeworfen wurden. DieWirkung konnte unter Umständen beträchtlich sein.Soweit sich Otrin erinnern konnte, waren fast täglichBombenangriffe erfolgt. Daher hatte man die Städteauch so massiv und festungsähnlich erbaut, Ichschüttelte benommen den Kopf. Der Pilot hatte sehrhastig berichtet. Wir wußten nun ungefähr, inwelcher Form sich die Eingeborenen von Roostgegenseitig zu Leibe rückten.

»Fremde Völker, fremde Sitten«, grinste Bully.»Eh, Rotbart - wie groß ist die Splitterwirkung einerSpeergranate?«

»Das wirst du gleich erleben«, entgegnete Otrinauffallend ruhig. Aus verengten Augen sah er zu denaufkreuzenden Maschinen hinüber.

Es handelte sich um kleine, wundervoll gebauteSegler, die federleicht im letzten Aufwind hingen.

»Aus!« sagte Otrin apathisch. »Sie haben schonihre Angriffsüberhöhung erreicht. Gleich knallt es.Wir werden ganz sicher explodieren. Verdammt -hätte ich euch da oben nur verhungern lassen.«

Ich zog meine Strahlwaffe aus dem Halfter undrichtete mich auf. Bully öffnete das Frachtluk undsicherte die beiden Flügeltüren.

»Vorsicht bei Thermoschüssen«, warnte Perry.»Dieses Gasholz dürfte wie Zunder brennen. Wiehoch ist der Flammpunkt, Otrin?«

»Der was?«Perry winkte ab. Zugleich bemerkte ich einen

Segler, der mit hoher Fahrt und aus der Sonnekommend, auf unsere große Maschine herabschoß.Ich schaltete das Beschleunigungs-Bündelfeld meinerWaffe auf den breitesten Fächerwert, ging ins Zielund drückte ab.

Zusammen mit dem blendenden Blitz derEntladung erfolgte eine Detonation. Der Angreiferzerbarst in einer lohenden Stichflamme undverschwand. Rhodan und Bully schossen fünf weitereMaschinen im Zeitraum von einer Minute ab. Unsblieb keine andere Wahl, wenn wir nicht ein

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ähnliches Schicksal erleiden wollten. Mory holteebenfalls zwei Maschinen herunter. Sie feuerte überfünfhundert Meter Entfernung hinweg mit enormerZielsicherheit.

Als elf Segler explodiert waren, zogen sich dieanderen Angreifer fluchtartig zurück. Hier und dahatte ich längliche Gebilde bemerkt, die sich aus denschmalen Rümpfen der Flugzeuge gelöst hatten. Daswaren wohl Speerbomben gewesen. Sie flogenhöchstens fünfzig Meter weit und stürzten dann ab.

Der Pilot Johlte vor Freude. Immer wieder fragteer, wo das »unheimliche Gasholz wüchse, aus demunsere Feuerwaffen bestünden«. Er war der Meinungwir hätten eine besondere Komprimierungsmethodegefunden und würden brennende Gasstrahlenabschießen.

»Und die Reichweite - dieseReichweite-unheimlich, großartig! Travera wirdjubeln«, schrie der Mann außer sich. Er hätte einenGipfel gerammt, wenn Perry nicht den Knüppel nachhinten gerissen hätte.

»Jetzt weiß ich auch, wie ihr mit eurenRaumschiffen fliegt. Ihr seid gute Luftverdichter undaußerdem muß euer Gasholz noch viel besser sein alsunseres. Wo wächst es? Ich hole eine Ladung.«

Wir sahen uns bedrückt an. Otrin schien nichtsdabei zu finden, daß elf Gognul den Tod gefundenhatten.

»Uns blieb keine andere Wahl«, sagte Morybedrückt. Sie war erblaßt. »Es tut mir sehr leid; aberich bin nicht daran interessiert, auf einer primitivenWelt von primitiven Lebewesen abgeschossen zuwerden. Es tut mir leid. Die Gognul werdenwahrscheinlich nie wiederkommen. UnterUmständen haben wir mit dieser Demonstration denKrieg beendet.«

»Oder die Schwarzen von Roost haben eineausgezeichnete Energieortung erhalten«, fiel Bullyein. »Ich schätze, es wird Zeit, daß wir hinter jenenMauern landen.«

Er deutete nach vorn. Vor uns lag das Meer. DieStadt Travera war - wenigstens dem Umfange nachriesenhaft. Drei mächtige Festungswälle umzogeneine große Halbinsel, auf der man die Gebäudeerrichtet hatte. Travera hatte etwa eine MillionEinwohner. Die Stadt Gognul sollte ebenso groß seinund ungefähr die gleiche Einwohnerzahl besitzen.

Unter uns lichtete sich der Urwald. AusgedehnteFelder, Plantagen, und anderweitige Anbaugebietewurden erkennbar.

Über dem Meer tobte eine Luftschlacht vonerstaunlichen Ausmaßen. Immer wieder entstandenlohende Feuerbälle, die von dem explosionsartigenGasabbrand des seltsamen Holzes herrührten.

Die Sonne war noch nicht untergegangen. Ich hattemich in der Zeitberechnung verschätzt.

Unser Pilot drückte die Maschine an. In weitenSchleifen näherten wir uns den erstenFestungswällen. Über uns kreuzten etwa fünfzigJagdmaschinen der Traver. Sie gaben uns reichlichspät Geleitschutz.

Wir zischten über einen Wassergraben hinweg,übersprangen eine mehr als dreißig Meter hoheAußenmauer aus dicken Natursteinen und setzten zurLandung an.

Der Raum zwischen den Festungswällen schienvon diesem segelfliegenden Volk als Riesenflugplatzverwendet zu werden. Ich erblickte zahllose großeund kleine Maschinen, die fast alle unter gepanzertenSäulendächern abgestellt waren. Wahrscheinlichschützte man sich dadurch gegen Luftangriffe.

Wir setzten auf. Der Lastensegler rumpelte aufseiner Gleitkufe über den sonnenverbrannten Bodenhinweg und kam zum Stillstand.

Ich atmete auf. Otrin drehte sich grinsend um.»Das war ein Flug, was? Ihr werdet von uns viel

lernen können. Travera erwartet euch. Zeigt ihmgleich einmal eure Flammwaffen. Wir werden siesofort nachbauen.«

Er nickte selbstbewußt vor sich hin, und icherinnerte mich an meine lange Wanderung durch dieKulturepochen der Erde. Ich wußte, wie schwierig; eswar, primitiven Lebewesen klarzumachen, warumeine bestimmte Sache so oder so funktionierte.

In Frankreich - es war im Jahre 1663 und kurznach dem Regierungsantritt des Sonnenkönigsgewesen - wäre ich beinahe als Hexenmeisterverbrannt worden, weil ich den Anklägern nicht hatteklarmachen können, wieso ich mit meinemarkonidischen Elektrofeuerzeug Papier anzündenkonnte.

Hier, auf Roost, sah ich ähnliche Schwierigkeitenvoraus. Wir mußten von vornherein mit harter Handdurchgreifen, wenn wir nicht wie Sklaven behandeltwerden wollten.

»Noir, passen Sie auf«, flüsterte Rhodan, der sichmit dem Gefühl des Unbehagens umsah. »Setzen SieIhre Hypnokräfte sofort ein, falls jemand auf dummeGedanken kommen sollte.«

Wir stiegen aus. Ein Trupp Soldaten, alle miteisernen Brustharnischen, Speeren undLangschwertern ausgerüstet, näherten sich mitenormer Geschwindigkeit. Die bärtigen Krieger rittenauf diesen hochbeinigen Laufvögeln, die auf Roostanscheinend für alle möglichen Zwecke eingesetztwurden. Weiter hinten erblickte ich einenzweirädrigen Karren, der von gleichartigen Tierengezogen wurde.

Kurz vor der Maschine zogen die Männer dieZügel an. Die Vögel schlugen mit denFlügelstummeln um sich, stemmten ihre muskulösenBeine gegen den Boden und legten sich dann nieder.

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Ein prächtig uniformierter Traver näherte sich. Ermusterte uns hochnäsig.

Kasoms Gesicht verdüsterte sich sofort. Er fühlte,daß sich dieser Halbwilde für grenzenlos überlegenhielt.

»Woher?« fragte der Anführer herablassend.Rhodan verschränkte die Arme vor der Brust und

sah über den Mann hinweg. Der Pilot war respektvollzur Seite getreten.

»Woher?« fragte der Offizier lauter. Seine Augenverengten sich.

»Bestimmt nicht von Gognul«, warf Mory ein. IhreStimme klang eisig. »Bist du der Patriarch Travera?«

»Weiber haben zu schweigen«, fuhr der Kerlunsere stolze Mory an.

Sie blieb erstaunlich ruhig. Dann sagte sie miteinem verbindlichen Lächeln:

»Siehst du dort drüben die Steinsäule, von der dasSchuppendach abgestützt wird?«

Der Offizier sah sich um. Die Säule war etwasiebzig Meter entfernt. Ich wollte das Mädchenzurückhalten, aber mein Warnruf kam zu spät.

Mory zog ihre Waffe mit großer Schnelligkeit.Kaum im Anschlag, drückte sie auf den Abzug. Siehatte auf volle Energieleistung umgeschaltet.

Ein sonnenheller Thermostrahl röhrte aus demMündungsfeld. Entlang der Schußbahn glühte dieLuft auf. Das Dröhnen war noch nicht richtigaufgeklungen, da schlug der Atomodem des Strahlersschon in die Säule ein.

Sie stand sofort in heller Weißglut, sprühte an derEinschußstelle auseinander und knickte zusammen.Polternd rutschte das Panzerdach nach.

Mory lächelte immer noch, als sie dem Traver dieflimmernde Mündung unter die Nase hielt.

Wir hatten blitzschnell unsere Waffen gezogen.Kasom stand sprungbereit hinter dem Mädchen. Seinriesiger Impulsstrahler hätte das Flugfeld inSekundenschnelle in einen glühendenSchlackenhaufen verwandeln können.

Der Offizier war zur Seite gesprungen.Fassungslos sah er unsere rothaarige Schönheit an,die ohne Pathos erklärte:

»Wenn du mich noch einmal beleidigst, verwandleich dich in ein Häufchen Asche. Haben wir uns-verstanden?«

Hunderte von Augenpaaren starrten uns an. DiePiloten der zahlreichen Segler hatten den Vorfallbeobachtet. Die Soldaten waren erblaßt. Sie schautenfragend zu Otrin hinüber, der schlicht erklärte:

»Sie haben elf Trohnen der Gognul abgeschossen.So schnell, daß ich kaum einmal Luft holen konnte.«

»Zum Patriarchen, sofort«, forderte Rhodan. »Ichbin der Beherrscher von hunderttausend Planeten mitmehr als zwanzig Millionen Städten. Wo ist dasTransportmittel? Oder sollen wir etwa laufen?«

Otrin flüsterte uns hastig zu:»Vorsicht, Kahaf ist der Chef der Leibwache.«Ich trat auf den Offizier zu und drängte ihn mit

einer Armbewegung zur Seite.»Du hast gehört, was der Großadministrator

wünscht. Wo ist ein Wagen? Ihr habt doch Wagen,oder?«

Der Bärtige suchte nach Worten. Als Kasom anmeine Seite trat, wich er zurück.

Zehn Minuten später wurden sechs Reitvögelherangeführt.

»Wir haben keine Wagen zurPersonenbeförderung«, erklärte Kahaf mürrisch.»Steigt auf!«

Sein Blick streifte meine Waffe. Bei derGelegenheit schien er zu erkennen, daß sie nicht ausGasholz, sondern aus Metall bestand.

»Was ist das?« erkundigte er sich und wolltedanach greifen.

Kasom umfaßte seinen Arm, und da begann derOffizier zu schreien. Als der Gigant seinen Grifflockerte, standen die Soldaten Kahafs steif wieStatuen vor unseren Strahlwaffen, aber der Offizierlag wimmernd am Boden.

»Ohne unsere Erlaubnis faßt niemand etwas an«,sagte ich gelassen. »Steigen wir auf.«

Ich beobachtete die herumstehenden Piloten. Sielachten uns an. Anscheinend war auch hier dieLeibwache nicht sehr beliebt. Morys Demonstrationhatte einen ungeahnten Erfolg. Mehrere hundertMänner, anscheinend alle erfahrene Luftkämpfer,standen vor der ausglühenden Säule. Sie diskutiertenüber diesen unheimlichen Schuß.

Kasom faßte den Offizier am Kragen und legte denstöhnenden Mann quer über den Sattel seinesReitvogels.

»In Ordnung, Sir, ich laufe nebenher. Das Tierkann mich nicht tragen«, dröhnte die Stimme desErtrusers. »Ich halte die Augen offen. Habe ichSchußerlaubnis?«

»Nur im Notfall«, wies ich ihn an. »Es istanzunehmen, daß diese Leute Respekt bekommenhaben. Noir, haben Sie die Soldaten unterKontrolle?«

»Längst«, entgegnete der Mutant. Seine Augenglänzten schläfrig. »Weshalb meinen Sie wohl, habendie sich so ruhig verhalten?«

»Sorgen Sie dafür, daß uns die Burschen für diemächtigsten Männer der Galaxis halten«, ordneteRhodan an.

»Das ist schon geschehen, Sir. Es ist nicht einmalgelogen!«

»Pah!« sagte Mory und kletterte auf ihren Vogel.Rhodan warf ihr einen verweisenden Blick zu.

»Sie unterlassen gefälligst emotionell bedingteHandlungen, meine Liebe! Das kann ins Auge

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gehen.«Die Vögel trabten an. Die Sättel waren bequem,

und die Steigbügel paßten für meine Beinlänge. DerOffizier lag noch immer quer über seinem Tier. Erschien starke Schmerzen zu haben. Unter Umstandenhatte Kasom ihm den Arm gebrochen.

Augenblicke später brach die Dämmerung herein.Die letzten Segler landeten. Mit dem Beginn derNachtperiode belebten sich die Straßen der Stadt. Wirpassierten zwei einziehbare Brücken. Sie führen überdie Gräben hinweg.

Nachdem wir das letzte Turmtor durcheilt hatten,wurden die seltsamen Reittiere angetrieben. Mithoher Geschwindigkeit jagten wir durch Straßen undGassen hindurch. Überall wichen die Leute zur Seite.Der Vorreiter benutzte ein trompetenähnlichesLärminstrument, dessen Warntöne die Stadtbewohneranscheinend kannten.

Unangefochten erreichten wir einen weiten Platzim Zentrum. Hier waren die klobigen Bauwerkehöher, breiter und prächtiger verziert. Wir ritten einegeschwungene Steinrampe hinauf und hielten untereinem gepanzerten Dachvorsprung an. Dies schiender Wohnsitz des Patriarchen zu sein.

Der verletzte Offizier wurde von zweischweigenden Männern davongetragen. Das warNoirs Werk. Er hielt die Soldaten unter hypnotischerKontrolle.

Wir stiegen ab und schritten auf die mächtigenBronzetore zu. Der Eingang erinnerte mich wieder anmein Leben auf der Erde. Damals, im Mittelalter,hatte man die Burgen ähnlich gebaut. Eine weiteHalle nahm uns auf.

Die überall aufgehängten Öllampen bewieseneindeutig, daß wir den technischen Fortschritt derSpringerabkömmlinge doch überschätzt hatten. Siewaren Barbaren, die ihr ganzes Können anscheinendnur auf die Herstellung von Segelflugzeugenausgerichtet hatten. Wir warteten auf den Patriarchenvon Travera.

»Passen Sie auf, daß uns niemand als Zielscheibefür einen Speer verwendet«, warnte Mory leise.

6.

Travera war ein alter, weißbärtiger Hüne miteinem scharfen Verstand, erstaunlich klarerUrteilskraft und von glühendem Haß gegen dieSchwarzen von Roost beseelt.

Dieser Patriarch gehörte zu den wenigenBewohnern des Planeten, die nicht nur instinktiv,sondern als Produkt einer logischen Überlegungerkannt hatten, daß sie von den Unheimlichen derHochwüste durch übernormale Kräfte beherrschtwurden.

Uns war es gleichgültig gewesen, wie man die

suggestiven Fähigkeiten der Unbekannten nannte.Wichtig war nur die Tatsache, daß man überhaupterfaßt hatte, worum es ging. Unsere Planung wardadurch wesentlich erleichtert worden.

Travera hatte auch sofort erkannt, daß wir ihm undseinem Volk in jeder Beziehung weit überlegenwaren. Perry hatte ihm die Funktion einerEnergiewaffe erklärt.

Der Patriarch hatte schweigend zugehört. Dannhatte er Fragen über Fragen gestellt. Mehrere alteMänner waren noch hinzugekommen. Drei Tagenach unserer Ankunft in Travera hatten dieSpringernachkömmlinge endgültig verstanden, daßihr Traum von einem Segelflugzeug im Kosmos einTraum bleiben würde.

Andre Noir hatte die wichtigsten Männer der Stadtmit einem so starken Hypnoblock versehen, daß wirpraktisch zu den Beherrschern von Travera gewordenwaren.

Wir hatten uns die bombensicher angelegtenFabrikationsanlagen angesehen und baldherausgefunden, wie aussichtslos es war, mit demvorhandenen Material einen Hypersender bauen zuwollen. Wir hätten mit der Erzeugung geeigneterSpezialwerkzeuge beginnen müssen, ehe wir auchnur einen isolierten Kupferdraht hätten ziehenkönnen.

Rhodans Vorhaben, unter allen Umständen in diePyramiden einzudringen und ihre Einrichtungen zuinspizieren, hatte daraufhin feste Gestaltangenommen.

Vier Roosttage später war ein Luftgleiter derSchwarzen über der Stadt erschienen. Die Maschinehatte die Segler verjagt, zwei Stunden lang geortetund war dann wieder verschwunden.

Wir hatten uns erneut gefragt, warum dieSchwarzen nicht angriffen, oder wenigstens eineplanmäßige Suche einleiteten. Sie mußten dochwissen, daß wir uns mit den Eingeborenen inVerbindung gesetzt hatten. Die elf Strahlschüssewaren unter allen Umständen von denAutomatgeräten ausgemacht worden.

Travera hatte uns keine Auskünfte erteilen können.So waren die langen Tage und Nächte vergangen,ohne daß sich bemerkenswerte Dinge ereignet hatten.

In den primitiven Fabrikhallen waren dietüchtigsten Handwerker der Stadt damit beschäftigt,für Melbar Kasom und mich bleigefütterteSpezialanzüge herzustellen. Die hohe Radioaktivitätnahe den Pyramiden ließ uns keine andere Wahl, alsprimitive Schutzanzüge zu benutzen.

Kasom und ich wollten nach eingehenderVorbereitung in die Maschinenhallen der Pyramideneindringen und dort versuchen, ein Hyperfunkgerätzu entdecken. Der Plan war verwegen, zumal wirnicht wußten, wie die Unbekannten darauf reagieren

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würden.Von Travera hatten wir nur erfahren, daß man die

Schwarzen schon immer mit Lebensmitteln hattebeliefern müssen. Selbst dieser alte und weise Mannwußte nicht mehr, wann die ersten Springer aufRoost gelandet waren und wann die Vergewaltigungdurch die Schwarzen begonnen hatte.

Nun befanden wir uns seit siebzehn Tagenirdischer Zeitrechnung auf Roost. Vor vier Tagenhatten wir endlich einen Erfolg verbuchen können,nachdem wir schon kurz nach unserer Ankunft zweiin Gefangenschaft geratene Gognul-Offiziere befreitund sie mit einem Segler in ihre Heimat geschickthatten.

Vorher hatten sie einen Hypnoblock erhalten, dersie zwang, überzeugend für unser Vorhaben zuplädieren.

Einige Tage später hatte ein Parlamentär einemündliche Botschaft des Patriarchen Gognulüberbracht. Gognul hatte sich mit einer geheimenZusammenkunft einverstanden erklärt.

*

Wir wollten mit einem großen Transportsegler zueiner Insel fliegen, die fast genau in der Mitte desGolfes lag. Mory und Bully wollten in Traverazurück bleiben, um die Springer zu überwachen.Unsere Vertrauensstellung wurde nicht vonjedermann gern gesehen.

Travera war allein zum Flugplatz gekommen. Ersaß hinter dem Cockpit auf einem engen Sitz. AlsPilot fungierte Otrin.

Kasom hatte sich auf den Boden gelegt, Rhodannahm den Sitz des zweiten Piloten ein. Andre Noirbeobachtete die Reaktionen des Patriarchen.

Draußen herrschte Hochbetrieb. Die Trohnen derTraver schwebten rudelweise in der Luft undsicherten den Seeraum vor der Stadt ab. FeindlicheMaschinen waren zu dieser frühen Morgenstundenicht zu erblicken. Gognul hatte Wort gehalten.

Seit langer Zeit geschah es zum ersten Male, daßder Gegner bei Tagesanbruch nicht über dem Meeraufkreuzte. Die Aufregung, die deshalb in beidenStädten herrschte, war daher leicht erklärbar.

»Fertig?« fragte Otrin, der diesmal eine prächtigeUniform und einen federgeschmückten Lederhelmtrug.

Ich schaute zu Travera hinüber. Der Alte hob denKopf, reckte seine mächtigen Schultern und nickte.Als die Zugvögel angeschirrt wurden und Zug aufdas Schleppseil kam, meinte er mit seiner tiefenStimme:

»Atlan, wir werden keinen leichten Stand haben.Gognul ist ein alter Dickschädel, und außerdembesitzt er kein Gehirn.«

Ich lachte den Weißbart an und lehnte mich festerin meinem Sitz zurück.

»Ein Gognul-Offizier hat mir berichtet, deinGegner würde genau das gleiche von dir behaupten.«

Travera besaß Humor. Die Fältchen an seinenAugenwinkeln zuckten.

»Schmutzige Lüge. Gognul ist überhaupt nichtfähig, eine ähnliche Behauptung aufzustellen. Dazufehlt ihm der Verstand.«

»Das behauptet er ebenfalls von dir.«Die Maschine ruckte plötzlich an. Travera kam

vorerst nicht mehr dazu, seinen aufsteigenden Zornabzureagieren. Ich schätzte sein Alter auf etwaneunzig Jahre Standardzeit. Gognul sollte sogar nochetwas älter sein.

Ich konnte mir lebhaft vorstellen, welcheLiebenswürdigkeiten sich die beiden Querköpfeschon zugerufen hatten. Dem Vernehmen nach hattensie sich vor vier Jahren das letztemal zu einerAussprache getroffen, aber dabei war es nicht umeinen eventuellen Friedensschluß gegangen, sondernnur um den Austausch von Gefangenen.

Sie kannten sich sehr genau. Travera hatte trotzseiner Abneigung gegen Gognul eingestehen müssen,daß sein alter Feind noch nie sein Wort gebrochenhätte. Das gleiche sagte Gognul von Travera.

Es war ein pubertäres Machtspiel vongegenseitiger Achtung, Haßausbrüchen undwiderwilliger Anerkennung, das von den beidenHerrschern praktiziert wurde.

Fraglos hätten sie sich längst geeinigt, wenn nichtdie Schwarzen von Roost immer wieder mitSuggestivbefehlen eingegriffen hätten. Travera hatteberichtet, daß nach jener Zusammenkunft mit seinemGegner schwarze Luftfahrzeuge über den Städtenaufgetaucht wären. Schon Stunden später hätten diebeiden Patriarchen ihre guten Vorsätze vergessen.

Aus dieser Bemerkung hatte ich entnehmenkönnen! daß entweder Travera oder Gognul hier undda einmal - und wahrscheinlich sehr zögernd - überden Unsinn der Kampfhandlungen gesprochen hatten.

Der Planet bot auf Jahrtausende reichlichLebensraum. Es bestand nicht der geringste Grund,den jahrhundertelangen Krieg fortzuführen. Traverawar völlig unserer Meinung. Was Gognul darüberdachte, hofften wir in Kürze zu erfahren.

Otrin, der zu den fähigsten Piloten der Stadtgehörte, klinkte das Schleppseil aus, leitete eineLinkskurve ein und flog auf den fast zweitausendMeter hohen Gebirgskamm dicht hinter der Stadt zu.Ich wußte, daß er dort Höhe gewinnen und dann zudem gewagten Langstreckenflug über das Meeransetzen wollte.

Selbst hier, in dieser von warmen Luftströmungenübersättigten Atmosphäre war ein Segelflug überoffenem Wasser nicht ganz gefahrlos. Man richtete

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sich nach bestimmten Inselgruppen mit hohenBergen, an deren Hängen man wieder hoch kurvenkonnte.

Als der Kurvenflug am Gebirge eingeleitet wurdeund die riesige Segelmaschine mit fast fünfzehnMetern pro Sekunde zu steigen begann, sprach michTravera an. Er hatte sein Langschwert zwischen dieBeine gestellt und die Hände auf dem Griffstückgefaltet.

»Gognul wird leicht zu überzeugen sein. Er haßtdie Schwarzen von Roost.«

»Wir hoffen es.«Das zerfurchte Gesicht des Alten verdüsterte sich.»Überzeugen heißt noch nicht handeln. Er wird

abwägen, wo seine Vorteile liegen. Eine ewigeTributzahlung ist besser als ein baldiges Ende.«

»Und der Krieg? Die fürchterlichen Verluste Tagfür Tag?« warf Rhodan ein.

Travera umklammerte den Schwertgriff, daß sichseine Knöchel weiß unter der Haut abzeichneten.

»Das ist der springende Punkt. Da müßt ihransetzen. Die Zauberkräfte der Schwarzen sindjedoch stark. Ich weiß nicht, ob wir durchhaltenwerden.«

»Wir ...?«Er nickte.»Ja, ich habe auch mich gemeint.«»Unser Zauber ist starker«, beruhigte ich ihn. »Wir

werden die Pyramiden erobern. Dann wird auf RoostRuhe herrschen.«

Otrin hatte etwa viertausend Meter Höhegewonnen. Die Luft wurde dünn. Er legte dieMaschine auf die rechte Tragfläche und ging aufKurs. Minuten später überflogen wir die Küste.Zwanzig Jäger gaben uns Geleitschutz. Die Pilotenhatten den Auftrag erhalten, in Sichtnähe der Stadt zukreuzen und jede feindselige Handlung zuunterlassen.

Weit unter uns schäumten die Wogen desUrmeeres. Am Horizont tauchte schon die ersteInselgruppe auf.

Als wir sie erreicht hatten, begann die Kurbeleierneut. Otrin kreiste in der Thermik dem grünblauenHimmel entgegen und setzte zum nächsten Sprungan.

Nach etwa eineinhalb Stunden tauchte dieTreffpunktinsel am Horizont auf.

Wir erreichten das Eiland ohne jede Mühe undsetzten zur Landung an. Otrin erklärte dazu:

»Das ist die Toteninsel. Warum man sie so nennt,weiß ich nicht. Jedenfalls ist sie schon vor vielenhundert Jahren zur neutralen Zone erklärt worden.Wenn ein angeschossener Trohnenpilot hier landenkann, wird er nicht mehr verfolgt. Die Gognul undwir unterhalten gemeinsam einen Flugplatz mitSchleppvögeln.«

Er deutete nach unten. Ein breiter, sandigerKüstenstreifen wurde als Flughafen verwendet. Diehohen Berge der urwaldbestandenen Insel boten guteStartmöglichkeiten. Männer wie Otrin schienen sichnicht vorstellen zu können, daß die wunderbareThermik jemals versiegen könnte. Wenn das abereinmal durch einschneidende Klimaänderungen oderkosmische Einflüsse geschehen sollte, dann mußte esfür die Bewohner des Planeten Roost einerKatastrophe gleichkommen.

Wir setzten auf. Auf dem Strand lag bereits einSegler. Er war noch etwas größer als unsereMaschine.

»Angeber«, sagte Travera, und sein Bart zuckte.»Gognul ist höchstens mit drei Begleitern und seinemPiloten gekommen. Wozu braucht er eine so großeMaschine?«

Der Alte erhob sich. Ich konnte ein Schmunzelnnicht verbergen. Andre Noir spähte nach den Gognulaus. Er verstand meinen Wink richtig. Es war dieAufgabe des Mutanten, den fremden Patriarchensofort hypnotisch zu beeinflussen. Wir wollten keineZeit verlieren.

»Der dicke Brocken zuerst aussteigen«, sagteOtrin. »Verdammt, er knickt mir mit seinem Gewichtden linken Holm ab.«

Kasom knurrte gereizt. Auf Händen und Knienkroch er auf das Luk zu. Der Riese konnte sich in derKabine nicht aufrichten.

»Wenn du mich noch einmal >dicker Brocken<nennst, massiere ich dir das Genick«, drohte er. Otringrinste.

Fluchend zwängte sich der ertrusischeUSO-Spezialist ins Freie und stand auf. Irgendwoertönte ein Schreckensruf.

Kasom runzelte die Stirn, lauschte und wölbtedann die Brust.

»Sie heulen schon, wenn sie mich nur sehen«,stellte er fest. »Wirkliche Männer sind eben selten.Komm, Alterchen.«

Er half dem Patriarchen aus der Maschine.Weiter vorn stand ein Mann, der wie ein

Zwillingsbruder Traveras wirkte. Auch er warhünenhaft gewachsen, trug einen weißen Bart und einzweischneidiges Schwert.

Sein Gelächter hallte über den Strand.»Ho - der krummbeinige Halunke läßt sich von

einem Kindermädchen aus der Maschine heben, ho!«Travera erglühte vor Zorn. Wie ein gereizter Stier

stampfte er auf seinen Widersacher zu.»Hirnlose Wasserflöhe piepsen immer vor

Schreck, wenn sie den Jäger sehen«, schrie Traverazurück.

»Auch ein Wasserfloh hat Flöhe, nur sind sie nochkleiner als er selbst! Ein solcher hat soebengeröchelt«, brüllte Gognul und riß sein Schwert aus

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der Scheide. »Komm her, du längst entleerteGasholzpore. Ich hole dir den Rest aus dem Ding, dasdu Körper nennst.«

Kasom lachte so dröhnend, daß sich beidePatriarchen erschreckt umsahen. So hatte ich denErtruser selten erlebt. Er knallte seine Pranken aufdie Schenkel und brüllte vor Vergnügen.

»Weiter so«, rief er, »nur weiter so. Das klingt, alswären wir auf Ertrus. Kommt an mein Herz, ihr altenGauner.«

Er rannte mit riesigen Sprüngen auf Gognul zu,umfaßte ihn mit einer Hand und zog ihn an die Brust.Mit der Linken ergriff er Travera, warf ihnspielerisch in die Luft und preßte ihn dann gegenGognuls Rücken.

»Aufhören«, rief ich entsetzt. »Kasom, aufhören.Sind Sie wahnsinnig geworden?«

Als wir bei der Gruppe ankamen, lagen die stolzenPatriarchen auf dem Boden und massierten ächzendihre geschundenen Glieder. Ich half Travera auf, undPerry Rhodan kümmerte sich um Gognul.

Den Vorfall konnte man auslegen wie man wollte -er war jedenfalls die seltsamste Begrüßung zwischenzwei Staatsmännern gewesen, die ich je erlebt hatte.Ich konnte kaum meine Heiterkeit verbergen.

Im Hintergrund standen drei weitere Gognul. Zweidavon waren alte Männer, der Jüngere schien derPilot zu sein. Sie starrten Kasom entsetzt an. DerPilot hatte sein Schwert gezogen. Ich winkte ihm zu.

»Unterlaß den Unsinn. Mein Diener hat sich nurgefreut.«

»Gefreut?« stöhnte Gognul. »Woher kommt derKerl? Paßt er überhaupt in die Maschine hinein?«

»Wir haben eben die besseren Modelle«,behauptete Travera sofort. »Deine übelriechendenMühlen ...!«

»Ruhe jetzt«, unterbrach Perry energisch. »Habenwir es mit Kindern oder mit erwachsenen Männernzu tun?«

Gognul machte den Mund zu und maß denTerraner mit einem prüfenden Blick. In demAugenblick erkannte ich die Klugheit des Alten. DasStreitgespräch mit Travera schien zu den üblichenUmgangsformen zu gehören.

»Du bist der Fremde aus dem Raumschiff?« fragteder Patriarch ruhig. »Jener, der von sich behauptet, erbeherrsche mehrere hunderttausend Städte? Beweisees.«

Rhodan sah ihn kalt an, griff blitzschnell zurWaffe und verwandelte einen Urwaldriesen in einelohende Atomfackel. Der Baum stürzte krachend insich zusammen.

»Genügt das, Gognul?«Der Patriarch sah lange zu dem lichterloh

brennenden Stamm hinüber. Die Glut verkohlte diesaftstrotzenden Äste anderer Pflanzen.

»Es genügt«, erklärte der Patriarch, ebenso ruhigwie zuvor. »Gehen wir zur Station hinüber. Ich binneugierig, was du uns zu sagen hast. Rhodan ist deinName?«

Der Terraner nickte bestätigend. Ich sah mich nachAndre Noir um. Er hatte die vier Gognul bereits unterKontrolle. Ich atmete auf. Das Gespräch mußteeinfach zu führen sein.

Zwei Stunden später hatten wir alles besprochen,was zu besprechen war. Es hatte keine unlösbarenGegensätze mehr gegeben. Ich ging mit Noir vor dasGebäude und erkundigte mich:

»Sind Sie sicher, daß Ihr Hypnoblock die fragloserfolgende Suggestivbeeinflussung überlagern oderabwehren kann? Die Erfahrung lehrt, daß nach jederZusammenkunft der Patriarchen ein Luftgleiter derSchwarzen auftauchte, um den Suggestivblockaufzufrischen.«

Noir winkte ab.»Keine Sorge, Sir. Die schwachen Fähigkeiten

dieser Burschen reichen nie aus, um Travera oderGognul nochmals schwankend zu machen. Wirsollten allerdings schleunigst handeln. Wer weiß, wasnoch alles geschehen kann.«

»Es geschieht schon«, dröhnte hinter uns KasomsStimme. »Schauen Sie einmal nach Osten! Sehen Sieden flachgedrückten, dreieckförmigen Flugkörper?Wir bekommen Besuch.«

Ich erblickte die Maschine sofort. Sie kam mithoher Fahrt näher.

Augenblicke später rannten wir zum Urwaldhinüber. Perry schrie den Patriarchen zu, sie solltenins Freie gehen und sich demütig vor dem Flugzeugverbeugen.

Ich erreichte den Waldstreifen zuerst. ImDschungel lagen überall große Felsblöcke herum, dieanscheinend von den nahen Berghängenherabgestürzt waren. Dahinter gingen wir in Deckungund warteten.

Mein Energieorter blinkte mit der rotenWarnlampe. Kasoms Gerät läutete heftig. Da sagteRhodan gedehnt »Das klingt, als liefe da oben derEnergiespeicher einer Strahlkanone an! DasTriebwerk erzeugt nicht solche Impulsströme. Kasom- gehen Sie mit ihrer schweren Waffe in Anschlag.Warten Sie auf meine Anweisung.«

»Wahnsinn!« erklärte ich, obwohl ich instinktivfühlte, daß wir keine andere Wahl mehr hatten. Jetztgriffen die Schwarzen an.

Noir zwang die Eingeborenen durch einen starkenHypnobefehl, hinter der aus massiven Felsblöckenerbauten Station in Deckung zu gehen. Der Gleiterverlangsamte seine Fahrt und stieß auf das Hausherab. Niemand von uns übersah das typischeFlimmern, das an der dreieckigen Bugspitze entstand.

»Feuer!« befahl Rhodan.

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Ich zog ab. Neben mir röhrte KasomsSuperstrahler. Rhodan und Noir schossen ebenfallsmit ihren Impulswaffen.

Vier ultrahelle Energiebahnen, eine davon so dickwie mein Arm, rasten der anfliegenden Maschineentgegen und trafen sie.

Die Vernichtung erfolgte im Bruchteil einerSekunde. Ich bemerkte nur noch die weißenVerfärbungen an den EinschlagsteIlen, ehe sich derGleiter zu einer schillernden Glutblase aufblähte undunter Donnerschlägen zerplatzte.

Eine heiße Druckwelle beugte die Riesen desUrwaldes. Aufgewirbelte Sandmassen wurden überden Strand gerissen und hinaus aufs Meer getrieben.Hier und da fiel ein glutflüssiges Bruchstück insWasser. Nach einigen Augenblicken erspähten wirnur noch einen Atompilz, der von den Aufwindennach oben gerissen wurde.

Wir sahen uns stumm an, bis Noir bemerkte:»Das Flugboot war bemannt, Sir. Ich habe drei

oder vier Mentalortungen aufgenommen.«Kasom schob seine mächtige Waffe ins Halfter

zurück und erhob schnuppernd die Nase.»Ich rieche Gefahr«, behauptete er. »Wir sollten

hier verschwinden, ehe eine Atomrakete einschlägt.In der Stadt sind wir jetzt besser aufgehoben. DieSchwarzen werden es nicht wagen, ihre Lieferantenzu vernichten.«

Wir rannten zu dem Haus hinüber. Travera undGognul sahen - uns schreckensbleich entgegen. Wirhatten ein ungeheures Verbrechen begangen -wenigstens in ihren Augen. Wir wußten durch Noir,daß die alten Herrscher immer noch vollabergläubischer Scheu an die Dämonen derHochwüste dachten.

Wir hatten jedoch keine andere Wahl gehabt, alsdie Maschine sofort anzugreifen. Sie hätte Sekundenspäter das Feuer eröffnet und wahrscheinlich diePatriarchen in Asche verwandelt.

Ich nahm an, daß sich die Schwarzen endlich dazuentschlossen hatten, uns zu vernichten. Rhodansdemonstrativer Schuß auf den Baum hattewahrscheinlich die Ortungsgeräte der Pyramidenansprechen lassen. Wir waren eingepeilt worden.

»Du fliegst in deine Stadt zurück, Gognul«, wiesPerry den unter einem Hypnoblock stehendenPatriarchen an. »Travera wird ab sofort nicht mehrangegriffen. Schicke einen Vertrauten zu derWüstenstation hinauf und gib ihm die Anweisung,Augen, Ohren und Mund zu verschließen,gleichgültig, was er auch sieht. Suche zwei- bisdreihundert zuverlässige Piloten aus und erteile ihnenden Befehl, so wie jeden Morgen über dem Meer zuerscheinen und Luftkämpfe abzuhalten. Es wird abernicht tatsächlich geschossen, sondern nur so getan.Die Traver erhalten die gleiche Anweisung. Ihr habt

von nun an nur noch Krieg zu spielen. Haben wir uns- verstanden?«

Gognul nickte. Seine Augen schimmerten gläsern.Wir starteten in höchster Eile. Die beiden Treiber

des Inselstützpunktes sollten in Gognuls Maschineeinsteigen. Sie war längst nicht so schwer belastetwie unser Segler.

Wir flogen zuerst ab. Als wir schon am Hangkreuzten, sahen wir, daß die sechs Laufvögel auf denschrillen Pfiff ihres Treibers hin losrannten. DerMann schwang sich im letzten Augenblick in dieKabine hinein. Die Tiere blieben allein auf der Inselzurück.

Zehn Minuten später stieg weit hinter uns eineglühende Atomsäule in den Himmel. Große Teile desEilandes wurden zerpulvert. Die Druckwelle riß unsmit rasender Geschwindigkeit auf die Küste zu. Otrinhatte alle Mühe, den Lastensegler in der Luft zuhalten.

Als wir Travera erreichten, herrschte dort helleAufregung. Die Detonation war von den Piloten derzurückgebliebenen Geleitschutzjäger gesehenworden.

Travera sorgte sehr rasch für Ruhe. Er regierte alsabsoluter Herrscher. Seine Leibgarde marschierteauf. Kahaf war als Chef dieser Spezialtruppeabgesetzt und einem Trohnenverband zugeteiltworden. Er war vier Tage nach unserer Ankunft imLuftkampf gefallen.

Travera hatte genau gewußt, daß der in solchenSchlachten wenig erfahrene Mann nicht lange amLeben bleiben konnte. Als die Todesnachrichteingelaufen war, hatte der Alte nur genickt und zumir gesagt:

»Kahaf wäre in seinem Rachedurst gefährlichgeworden. Es war besser so. Ihr habt ihn vor denAugen seiner Männer gedemütigt. Merke dir, Atlan:Wenn man einen Gegner erkannt hat, soll man ihnschnellstens beseitigen.«

Ich war mit der Auffassung dieser Leute nichteinverstanden gewesen, aber gegen TraverasBeschlüsse in internen Angelegenheiten waren wirmachtlos. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihn auchnoch in dieser Richtung hypnotisch beeinflussen zuwollen. Seine von uns erzwungenen Befehle hattenohnehin schon Befremden erregt. Die Mentalitätdieser Leute entsprach eben ihremZivilisationsniveau.

Es wurde höchste Zeit, etwas gegen die Schwarzenvon Roost zu unternehmen. Der Raketenangriff aufdie Insel war eine deutliche Warnung gewesen. Ichverstand noch immer nicht, warum dieseIntelligenzwesen nicht energischer durchgriffen.

Ich an ihrer Stelle hätte einige ungebetene Gästelängst in meine Gewalt gebracht. Warum handeltensie so zögernd?

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7.

Die Tributzahlungen an die Schwarzen von Roosterfolgten in genau festgelegten Intervallen.

Der Stützpunkt auf der Hochwüste wurde täglicheinmal von einem Lastensegler angeflogen, oftmalssogar zweimal. Entweder hatten die Unbekannteneinen ungeheuren Appetit, oder sie waren sozahlreich, daß unser Vorhaben in Frage gestellt war.

Melbar Kasom war bei Tagesanbruch von einemTransporter auf dem Plateau abgesetzt worden. Derertrusische Gigant war der einzige Mann unter uns,der den beschwerlichen Fußmarsch bis zu denPyramiden unbeschadet überstehen konnte.

Wir hatten Melbar mit drei großen Wassersäckenund Nahrungsmitteln versorgt. Diese Ladung wogschon einige Zentner; aber der bleigefütterteSpezialanzug, der von den Traver angefertigt wordenwar, war noch schwerer.

Aus diesem Grunde hatte Kasom bis in die Näheunseres Zieles marschieren müssen. Wir hatten mitihm keinen Funkkontakt aufgenommen, um nichteingepeilt zu werden.

Perry, Bully, Noir, Mory Abro und ich hatten ineiner »planmäßigen« Lastenmaschine Platzgenommen - allerdings nicht auf einigermaßenbequemen Gasholzsitzen, sondern in speziellhergerichteten Körben, die diesmal keineLebensmittel enthielten!

Mory sollte als Rückendeckung in dem kleinenSteinhaus auf der Hochwüste zurückbleiben und unseventuell Feuerschutz geben.

Die beiden Helfer auf dem Plateau, ein Traver undein Gognul, waren informiert. Es handelte sich umzuverlässige Offiziere aus den Leibgarden derPatriarchen.

Ehe ich in meinen Korb gestiegen war, hatte ichmeinen bleigefütterten Schutzanzug übergestreift. Erwog etwa achtzig Pfund und unterband weitgehenddie Hautatmung.

Kurz nach dem Start empfand ich bereits einunangenehmes Wärmegefühl. Arkonidentranspirieren nie, oder nur ganz geringfügig. Ichmußte dafür sorgen, daß ich die überschüssigeKörperwärme abstrahlen konnte.

Rhodan, Bully und Noir hatten sich ebenfalls ingroßen Körben zusammengekauert. Die Haltung warunbequem und anstrengend, obwohl die Traver allesgetan hatten, um uns die Lage zu erleichtern.

Ich atmete auf, als der von Otrin geflogeneLastensegler auf dem Plateau landete. Es war früherNachmittag. Wenn alles gutgegangen war, mußteKasom längst vor den Pyramiden angekommen sein.Ich glaube, daß man ihn nicht entdeckt hatte.Jedenfalls war draußen alles ruhig.

Unser Plan war einfach. Unter den gegebenenUmständen wäre es auch zwecklos und obendreinnoch gefährlich gewesen, komplizierte Detailseinzubauen. In großen Zügen betrachtet, bestandunser Vorgehen ohnehin aus einer blitzschnellenAneinanderreihung von individuellenAugenblicksentschlüssen.

Wir konnten es mit dieser hervorragendenMannschaft wagen, den Einzelnen entscheiden zulassen. Kasom war ein hervorragender Spezialist derUSO. Rhodan und Bully waren erfahrene Kämpfer,und Noir hatte Hunderte von ähnlichen Einsätzenhinter sich.

Ich wußte ebenfalls, was ich im entscheidendenMoment zu tun hatte. Wir waren ein gutes Team;aufeinander abgestimmt und erstklassig trainiert. Nurdeshalb hatten wir es wagen können, in denGepäckstücken Platz zu nehmen und darauf zuwarten, daß wir von Robotern in einen Luftgleitergeladen und zu den Pyramiden gebracht wurden.

Bis zu diesem Augenblick bestand eine festePlanung. Was dann kommen sollte, wußte nochniemand.

Wir hofften jedoch, unangefochten ins Innere desschwarzen Turmes vordringen zu können. Die Traverhatten berichtet, daß die Luftgleiter, mit denen dieNahrungsmittel abgeholt wurden, grundsätzlich ineiner Öffnung des Bauwerkes verschwanden. Esschraubte sich zu diesem Zweck aus dem Bodenhervor und versank wieder, sobald die Maschinenaufgenommen worden waren.

Kasom konnte leider nicht so eindringen wie wir.Er war zu groß und viel zu schwer, um in einem Korbuntergebracht werden zu können. Seine Aufgabebestand darin, nach unserer Ankunft scharf zubeobachten, notfalls Funksprechkontaktaufzunehmen und von außen her in den Turmvorzustoßen.

Die wahrscheinlich größte Gefahr bestand in derhohen Radioaktivität. Rhodan, Bully und Noirkonnten mich nur für kurze Zeit unterstützen.Anschließend mußten sie den Rückzug antreten, umnicht zuviel Gamma aufzunehmen. UnsereAbsorberspritzen waren gut, aber sie waren keinAllheilmittel. Mehr als hundert Röntgen solltenmöglichst niemals aufgenommen werden. Die Dosiswäre ohne die Medikamente schon tödlich gewesen,zumal wir damit rechnen mußten, sie in vollerKonzentration und innerhalb weniger Minuten zuerhalten. Vorbeugende Injektionen waren noch vordem Start vorgenommen worden. Diestrahlungssicheren Uniformen würden denallergrößten Teil der Strahlung absorbieren. DieGesichter und Hände waren jedoch ungeschützt.

Andererseits konnte ich auf das blitzartigeEingreifen der drei erfahrenen Kämpfer nicht

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verzichten. Wir mußten das Überraschungsmomentmit allerhöchster Feuerkraft ausnutzen. Erst dannkonnte Kasom eindringen.

Soweit war alles klar. Was wir jedoch im Turmantreffen würden, wußten wir nicht. Wahrscheinlichexistierte aber eine unterirdische Verbindung zu denMaschinenhallen der drei Pyramiden. Dort hofftenwir technisch ausgereifte Gerätschaften aller Art zufinden.

Unser Vorhaben war ein Produkt derVerzweiflung. Wir gaben uns keinen überspitztenHoffnungen hin.

Maschinen für die verschiedenartigsten Zweckewürden wir zwar ganz sicher entdecken können - nurfragte es sich, ob wir damit auch etwas anfangenkonnten. Wenn sie so fremdartig und kompliziertwaren wie die Einrichtungen desWalzenraumschiffes, dann war unser Einsatzvergeblich. Ich hatte mich jedoch dazu entschlossen,alles einzuschalten oder zum Arbeiten zu bringen,Was ich überhaupt erreichen konnte.

Schon die Auslösung eines energetischenDauerfeuers aus größeren Geschützen konnte zueiner Fernortung durch terranische Wachkreuzerausreichen.

Unsere Hoffnung bestand darin, daß die inunmittelbarer Nähe des Simbansystems kämpfendenBluesflotten mehrere terranischeBeobachtungsschiffe angelockt hatten. Auch ichhatte- so wie Perry seinen Kommandanten - denUSO-Streitkräften den Befehl erteilt, jede größereOperation der Blues zu überwachen. MeineFernraumschiffe waren bestimmt auch bis in dieseabgelegene Zone der Galaxis vorgedrungen.Wenigstens aber würden mehrere Verbände östlichdes Zentrums stehen und ihre hochempfindlichenOrtungstaster spielen lassen. Wir hatten eine Chance- nur kam es darauf an, eine starke Energiequelle zumAnlaufen zu bringen. Dort lag »der Hund begraben«,wie sich Reginald Bull ausgedrückt hatte.

Wir wurden von den drei Männern und Moryausgeladen und wie normale Gepäckstücke unter demoffenen Schuppendach abgestellt. Wir schwiegen, biswir Morys Stimme hörten.

»Fertig, es sieht gut aus«, sagte sie so laut, daß wirsie gut verstehen konnten. »Perry, Sie stehen direktneben Atlan. Bully und Andre sind weiter links, dichtneben der Steinsäule abgesetzt worden. Ich gehejetzt. Noch Fragen?«

»Keine mehr. Vielen Dank, Mory«, hörte ich Perryantworten. »Wenn wir nicht zurückkommen sollten,gehen Sie nach Travera. Dann müssen Sie sich alleindurchschlagen.«

»Sie schaffen es«, behauptete sie. Ich vernahmjedoch das Schwanken in ihrer Stimme. IhrAuflachen klang unecht. Anschließend ging sie mit

den Treibern zur Hütte. Otrin war vorher gestartet.Ich öffnete die Verschlüsse meines schweren

Schutzanzuges, um soviel wie möglich Luft an denKörper herankommen zu lassen.

Die winzigen Gucklöcher in den Korbwandungenboten nur ein geringes Gesichtsfeld. Immerhinkonnte ich wenigstens etwas sehen.

»Redet möglichst nichts«, rief uns der Terraner zu.»Es ist alles besprochen worden, was zu besprechenwar. Sammelt eure Kräfte und trinkt vor allemreichlich.«

Wir warteten eine gute Stunde. Dann entdeckte ichden dunklen Punkt im Grünblau des wolkenlosenHimmels. Sie kamen!

Ich überprüfte nochmals die Lademarke meinerWaffe. Dieser Strahler war eine moderne Ausführungmit Mikro-Atomzählgerät und stufenloser,vollautomatischer Einspritzregulierung. Diehochkatalysierte Deuterium-Zündmasse wurde in derFeldbrennkammer zur Kernreaktion angeregt. DieEnergie zum Aufbau der unerläßlichenKomprimierungs- und Abstrahlungsfelder wurde voneinem Mikrowandler geliefert, der vom gleichenZündprozeß, nur um eine Fünfmillionstel-Sekundefrüher, den Arbeitsstrom abzapfte.

Ein »Leerschießen« dieser Waffe war theoretischnur dann möglich, wenn das letzte Tröpfchen derReaktionsmasse aufgebraucht war. MeinGriffstücktank war noch dreiviertel voll. Ich konntenoch einige zehntausend hochkonzentrierteImpulsschüsse abgeben. Die Gewißheit warberuhigend.

Die Gefährten besaßen ähnliche Modelle. Rhodanhatte sogar eine Kombination zwischen Impuls- undSchockstrahler. Dazu war der Einbau einesMikrokonverters erforderlich gewesen. Das machteseine Handfeuerwaffe schwer und klobig.

Der Luftgleiter landete neben dem Schuppen. Einweites Luk öffnete sich, und zwei Arbeitsroboterrollten heraus. Sie begannen sofort mit derÜbernahme der Nahrungsmittelvorräte.

Ich hielt unwillkürlich den Atem an, als mein Korbergriffen wurde. Die biegsamen Arme der Maschineumfaßten ihn. Ich wurde angehoben und in schnellerFahrt zum Flugzeug gebracht.

Ich wartete auf das Ansprechen einesAlarmgerätes; aber an Bord dieses Gleiters schien eskeine Individualspürer zu geben. Die Robotsarbeiteten so präzise und rasch wie jeden Tag.

Rhodan und Bully kamen ebenfalls an. Die Traverwaren klug genug gewesen, uns in der letzten Reiheder Gepäckstücke abzustellen. Infolgedessen standenwir nun ganz vorn im Laderaum.

Noirs Korb war das letzte Frachtstück, das von denRobotern verstaut wurde. Sie rollten in den großenRaum und erstarrten. Das Summen in ihren Körpern

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verstummte.Gleich darauf erfolgte der Start. Ich vernahm ein

dünnes Pfeifen. Vibrationen kamen nicht durch. DieMaschine war fraglos eine sehr hochwertigeKonstruktion. Sie erinnerte an die wunderbarenGleiter auf Kahalo.

Niemand von uns sprach ein Wort. DerAugenblick der Entscheidung rückte näher. Ich legtevorsichtig die Waffe zwischen die angewinkeltenBeine und tastete nach den Verschlüssen desSchutzanzuges. Zuletzt streifte ich die Kapuze übermeinen Helm und schob das eingelassene Bleiglasrichtig vor die Augen. Sofort machte sich wieder dasWärmegefühl bemerkbar.

Ich dachte an Kasom der seit dem frühen Morgenin einem Versteck lag. Wie war es ihm ergangen?Hatte er die grausame Hitze so gut überstehenkönnen, daß er noch aktionsbereit war?

Das Pfeifen wurde leiser. Ein Ziehen im Magendeutete darauf hin, daß die Maschine nach unten glitt.Schließlich hielt sie in der Luft an. Ein leichtesSchütteln kam durch. Anscheinend hattenmechanische Stabilisatoren ihre Arbeitaufgenommen.

Die fieberhafte Spannung drohte mich zuüberwältigen. Ich kämpfte das Gefühl nieder undkonzentrierte meine Aufmerksamkeit auf das Gehör.

Außer einem Klacken vernahm ich aber nichts. Alsich mich noch fragte, was dieses Geräusch zubedeuten hatte, wurden die beiden Laderoboterwieder munter. Wir waren angekommen.

Heller Lichtschein fiel durch meine Gucklöcher.Ich konnte infolge der hinderlichen Kopfumhüllungnicht mehr das Auge gegen die Sichtöffnungenpressen. Immerhin spürte ich, daß die Entladungbegann.

Zugleich vernahm ich ein lautes Ticken.Erschreckt erkannte ich eine Unterlassungssünde.Unsere Gammazähler hatten angesprochen. IhrArbeitsgeräusch konnte zum Verräter werden.

Ich wurde als letzter Mann unseresKommandoteams aus dem Gleiter getragen. Als manmich absetzte, begann Rhodan zu handeln. In diesemStadium gab es kein Zögern mehr. Wir mußtenangreifen, ehe der schwarze Turm wieder im Bodenversank. Kasom, unser wichtigster Mann, hätte sonstnicht mehr eindringen können.

Ich vernahm einen Ruf und stieß den Korbdeckelzurück. Rhodan stand fünf Meter links von mir. Bullyund Noir waren auch getrennt worden. Die beidenRoboter waren damit beschäftigt, die einzelnen Güterauf ein Transportband zu legen.

Wir befanden uns in einer weiten Halle, derenSchleusentore soeben zuglitten. Das Tageslicht fielnicht mehr in voller Stärke ein.

Ohne ein Wort zu sagen, riß ich meine Waffe

hoch, visierte den Schließmechanismus an und zogab.

Das erste Dröhnen klang auf. Eine atomareFlammenzunge schoß auf die Tore zu, erreichte sieund verdampfte die Schiebeautomatik. Die Toreblieben stehen.

Rhodan und Bull schossen nun ebenfalls. Esgeschah fast in der gleichen Sekunde. Jeder wußte,was er zu tun hatte - auch ohne genaue Absprache.

Die beiden Arbeitsroboter explodierten. WeißeGlutbälle hellten die Dämmerung auf. Ich stiegschwerfällig aus dem Korb und schritt zu derToröffnung hinüber.

Rhodan, Bull und der Mutant rannten bereits aufeinen Wendelgang zu, der hier eine Treppe zuersetzen schien. Weiter links erblickte ich einenAufzugsschacht. Wir trauten dem Lift nicht.

Als ich an der verbliebenen Toröffnung ankam,bemerkte ich, daß wir uns im oberen Teil desschwarzen Turmes befanden. Er wurde soebeneingefahren. Dadurch näherte sich unsere Etage raschder Wüstenebene.

Unter mir klang fürchterliches Feuer auf. Rhodanschien sämtliche Waffen einzusetzen, über die wirnach unserem langen Leidensweg noch verfügten.

»Das sind nur Roboter, harmlos«, dröhnte seineStimme aus meinem Helmfunkgerät. »Wir steigenweiter ab. Es ist kein Lebewesen zu sehen. Wirzerschießen die Hebemechanik. Der Turm wirdhydraulisch ausgefahren. Kümmere dich um Kasomund benutze dann den Wendelgang.«

»Verstanden, Kasom kommt näher, ich sehe ihn«,antwortete ich per Sprechfunk.

Tatsächlich stürmte der Ertruser mit riesigenSätzen heran. Er mußte einige hundert Meter entferntin Deckung gelegen haben. Das bedeutete, daß er denganzen- langen Tag über seinen Schutzanzuggetragen hatte! Es war unwahrscheinlich, was dieserumweltangepaßte Mensch zu ertragen imstande war.

Er erreichte die Turmwandungen, als unter mirerneut schweres Energiefeuer aufklang. Das Bauwerkerbebte, ruckte und schüttelte sich, um dann dieSenkbewegung einzustellen. Ich stand noch etwazwei Meter über dem Wüstenboden.

Kasom schwang sich trotz des schwerenStrahlschutzanzuges mit Leichtigkeit in denSchleusenraum hinein.

»Alles in Ordnung, Sir«, dröhnte seine Stimme.»Ich habe die Funknachricht mitgehört. Draußen istalles ruhig. Fangen wir an.«

Ich kannte die Qualitäten des Ertrusers; aber jetzt,im aktiven Einsatz, gewann ich davon noch einenganz anderen Eindruck als bei dem harten Trainingauf der Spezialistenschule der USO.

Der Gigant rannte davon. Ich folgte so schnell wiees mir möglich war. Mein Gammazähler pfiff jetzt

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schon. Die Durchgänge der strahlenden Partikelerfolgten so rasch, daß die einzelnen Warntöne nichtmehr unterschieden werden konnten.

Das Brüllen von Kasoms Energiewaffe war nichtzu überhören. Als ich unten ankam, erblickte ich denMaschinenraum mit der Hebehydraulik. Die Freundehatten ganze Arbeit geleistet.

Dann entdeckte ich einen breiten und hohen Gang,der - wie wir richtig vermutet hatten! - ganz sicher zuden nahen Pyramiden hinüberführte. Ich lief soschnell, daß ich kaum noch Atem schöpfen konnte.Als ich die Gefährten endlich eingeholt hatte, warensie gerade damit beschäftigt; ein mannshohesStahlschott mit Nadel-Thermostrahlen aus derFassung zu schneiden. Kasom rammte seine Schulterdagegen. Die Tür fiel polternd nach innen.

Ich blickte in einen großen, mit Geräten aller Artangefüllten Raum hinein. Auch hier war keinlebendes Wesen zu entdecken.

»Schlafen die?« rief mir Perry zu. MeineBesorgnis um die Freunde stieg. Die Strahlung wurdeimmer stärker.

»Ihr müßt zurück«, rief ich ihnen zu. Rhodanschüttelte den Kopf.

»Wir haben noch Zeit. Die Uniformen halten vielmehr ab als angenommen. Weiter! Noir - können Sieetwas orten?«

»Ja, viele Mentalimpulse. Sie sind eigentümlich.Es herrscht panikartige Furcht vor, kein Wille zumWiderstand. Verzweiflung, Not und Angst. Mehrkann ich nicht feststellen. Es sind psychischunterlegene Gegner.«

Wir rannten weiter. Die in dem Vorraumaufgestellten Geräte dienten anscheinend zurfernbildtechnischen Überwachung der Oberfläche.Als wir das nächste Schott durchschritten, erfolgteendlich der Alarm, auf den ich längst gewaltet hatte.

Wahrscheinlich war er aber nicht von denSchwarzen, sondern von den automatischen Anlagenausgelöst worden.

Zehn Minuten später zwang ich Rhodan, Bully undNoir zur Umkehr.

»Ich habe kein Interesse daran, euch alsStrahlungsleichen bergen zu müssen«, schrie ich denTerraner an. »Kasom und ich werden mit den Kerlenschon fertig. Verschwindet schleunigst.«

Sie befolgten endlich das Gebot der Vernunft.Wahrscheinlich hatten sie schon viel zuviel Gammaaufgenommen.

Bully schimpfte erbittert auf die Traver, die es indem zur Verfügung gestandenen Zeitraum nichtgeschafft hatten, für jeden von uns einenbleigefütterten Schutzanzug herzustellen.

Das hatte nicht am guten Willen dieser Leutegelegen, sondern einfach daran, daß man auf Roostnicht genügend Blei besaß. Wir hatten erst auf die

Suche gehen müssen, bis wir einige mit Bleiausgegossene Treppenfugen entdeckt hatten. Selbstdas war ein Zufall gewesen.

Die drei Terraner verschwanden, Kasom und ichblieben allein zurück. Dann begann der Gigant erneutzu handeln.

*

»... kein Wille zum Widerstand - schwacheGegner!« hatte Andre Noir behauptet. Ich waranderer Meinung!

Wir hatten sehr weit vordringen können. AußerArbeitsrobotern, von denen es hier zahlreicheAusführungen gab, riesigen Maschinensälen undgewölbten Gängen hatten wir nichts entdeckt.

Doch dann, als wir den anscheinend wichtigstenSektor dieser Untergrundstadt erreicht hatten, warenwir völlig überraschend unter Desintegratorbeschußgenommen worden.

Vor mir lag ein Schwarzer. Seine radioaktivstrahlende Kleidung, die tatsächlich wie die Rüstungeines Ritters aussah, war von einem Strahlschuß ausKasoms Waffe zerschmolzen worden. Ich starrtegebannt auf das Wesen, das sich in dieser Umhüllungbefand.

Es war durchaus menschenähnlich, nur glich eseiner Mumie. Die dunkle, lederartige Haut lag sostraff über dem Skelett, daß man jeden einzelnenKnochen erblicken konnte. Die stark hervortretendenSehnen- und Muskelbänder verstärkten noch dasScheußliche an dieser Erscheinung. Gesichtszügewaren nicht mehr zu erkennen. Selbst die Augenschienen eingeschrumpft zu sein.

Ich ahnte, daß wir ein wohl einmaligesbiologisches Phänomen entdeckt hatten.

Diese Wesen brauchten die starkeGammastrahlung 50 nötig, wie ein Mensch Luft zumAtmen. Wahrscheinlich waren die Vorfahren derMumien ebenso normal gewesen wie wir, doch dannmußte sich ein Strahlungsunfall ereignet haben, derdie meisten Lebewesen getötet, einige jedochverschont hatte.

Natürlich waren die Überlebenden völlig sterilgeworden; aber sie mußten sich im Laufe derJahrhunderte mehr und mehr auf die Radioaktivitäteingestellt haben, die höchstwahrscheinlich auch einenormale Alterung der entstellten Körper verhinderthatte.

Endlich war es soweit gekommen, daß manRüstungen anfertigen mußte, um denstrahlungssüchtig gewordenen Körpern jederzeit dieerforderliche Dosis zuführen zu können. DasMaterial der Umhüllungen schien die Radioaktivitätzu speichern und ständig an die lebenden Totenabzugeben.

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Ich war mir darüber klar, daß dieses Phänomen nurdeshalb möglich war, weil die Fremden schon vonNatur aus über einen eigenartigen Metabolismusverfügt hatten. Menschen und Arkoniden hätten einesolche Umwandlung niemals überstanden.

Wir hatten die letzten Ureinwohner dieses Planetenentdeckt, der demnach doch schon intelligentesLeben hervorgebracht hatte. Nur - es war in einermechanisierten Unterwelt verschwunden.

Der hohe Nahrungsmittelverbrauch der lebendenMumien schien ebenfalls eine Folgeerscheinung derbiologischen Widersinnigkeit zu sein. Ich nahm an,daß der völlig veränderte Stoffwechsel dieser Körperimmer nur einen Bruchteil der Nährmittelsubstanzenausgewertet und den größten Teil ungenutztausgeschieden hatte.

Jedenfalls waren die Schwarzen von Roostlebensuntüchtige Geschöpfe geworden, die offenbarnur noch danach trachteten, ihr armseliges Dasein mitallen Mitteln zu verlängern.

Jetzt verstand ich plötzlich, warum wir nichtenergisch gesucht und angegriffen worden waren.Man hatte eine Vogel-Strauß-Politik verfolgt unddarauf gehofft, wir, die ungebetenen Gäste aus demWeltraum, würden anderweitig zugrunde gehen.

Die Sehwarzen waren die letzten Hüter derPyramiden von Roost. Als diese Bauwerke voneinem unbekannten Volk errichtet worden waren,hatte es hier wahrscheinlich noch ganz andersausgesehen - bis dann der Tag kam, an dem einAtommeiler undicht wurde und seine verheerendenRadio-Schauer abstrahlte. Vielleicht war auch einanderes Gerät defekt geworden. Wir wußten es nichtund würden es wahrscheinlich auch niemalsergründen können.

Als die Springer auf Roost landeten, mußten sieden damals schon mumifizierten Überlebendenhochwillkommen gewesen sein. Die Besatzung desSchiffes wurde suggestiv übernommen und zumVerbleiben gezwungen. Aus diesen Männern undFrauen waren die heutigen Traver und Gognulhervorgegangen. Ich schätzte das Alter der vor mirliegenden Mumie auf wenigstens tausend Jahreirdischer Zeitrechnung.

Es gab plötzlich keine Rätsel mehr. Dasunglaubliche Benehmen der Pyramidenwächter hatteeine verblüffende Erklärung gefunden. Es warüberhaupt verwunderlich, daß sie sich zum atomar enBeschuß der Insel und des Landeplatzes aufgeraffthatten.

Kasom hatte damals drei dieser Wesen beobachtet.Ihr Gang war schleppend gewesen. Nur die Angst umIhr Dasein konnte sie dazu gezwungen haben, denkurzen Ausflug bis zur Startstelle des Walzenschiffeszu unternehmen. Wahrscheinlich hatte er eineungeheure körperliche Anstrengung bedeutet.

Kasom schoß erneut. Weiter vorn explodierte einGerät, das anscheinend als Transformator diente.Riesige Blitze durchzuckten den Raum,zerschmolzenes Kupfer spritzte glutflüssig über unshinweg.

Die hinter dem Gerät liegende Wand wurde vonder Druckwelle zum Einsturz gebracht. Plötzlichblickten wir in einen großen Saal hinein, in dessenMitte nur eine Maschine stand.

Sie war kegelförmig. Schenkeldicke Stromleiter,anscheinend hochenergetische Röhrenfelder,verschwanden in der Decke.

Mein Gammazähler pfiff noch schriller. Ich ahnte,daß von der Maschine die fürchterliche Strahlungausging. Sie wurde auch für uns zu mächtig. DieseSchauer konnten unsere Schutzanzüge nichtabwehren.

Es war aber nicht das Gerät allem, das unsereAufmerksamkeit fesselte. Zahlreiche Schwarze, etwafünfzig an der Zahl, eröffneten ein rasendes Feueraus Desintegratoren.

Ich fühlte instinktiv, daß sie sich amEntstehungsort der Strahlung versammelt und dortKräfte gesammelt hatten. Vielleicht verehrten sie dasdefekte Gerät als Heiligtum. Uns blieb keine andereWahl mehr, als das Feuer zu erwidern.

Über mir zerbröckelte die massive Verstrebungeiner Bogenbrücke, die den Raum, in dem wir unsbefanden, überspannte. Wir lagen hinter denerstaunlich massiven Stützen, in denenverschiedenartige Geräte eingebaut waren.

Ich schoß. Neben mir röhrte Kasoms überschwererImpulsstrahler. Schwarze Rüstungen flammten auf.Glühende Druckwellen fauchten durch dieMaueröffnung.

Mein letzter Schuß, enggebündelt und mithöchstzulässiger Verschmelzungsenergie abgestrahlt,traf das riesige Kegelgerät über dem Sockel.

Ich bemerkte nur noch einen blendenden Blitz undeine zerplatzende Materieblase.

*

Als ich wieder zu mir kam, stand der Ertruser vormir und goß mir Wasser über den Kopf. Es warwundervoll kühl.

»Alles in Ordnung, Sir«, sprach mich Kasom an.»Die letzten Schwarzen sind durch die Explosiongetötet worden. Mehr gibt es hier unten nicht. Wirbefinden uns hinter der zerstörten Halle. Ich habe sieumgangen. Das Wasser strahlt übrigens nur ganzgering. Wollen Sie sich einmal umsehen?«

Er half mir auf die Beine und streifte mir wiederdie Kapuze über.

Wir weilten in einem halbrunden Raum. GroßeBildschirme hingen an den Wänden. Sie wurden

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ununterbrochen von einer intakten Automatikbelichtet.Einzelne Schirme zeigten Oberflächenausschnitte desPlaneten. Vor allem die beiden Städte wurden ausverschiedenen Perspektiven aufgenommen. So warenalso die Traver und Gognul überwacht worden.Auf anderen Bildflachen war das gesamte System derSonne Simban zu sehen. Ferntaster reichten weit inden Raum hinaus. Ortungsgeräte und Energiesondensprachen pausenlos mit akustischen und optischenWarnzeichen an.Wir erblickten wieder die beiden Bluesflotten! Dievon den Geräten angezeigten Meßwerte vermochtenwir nicht zu entziffern, aber weiter als vierhundertLichtjahre konnten die Blues nicht entfernt sein. Siewurden von der Automatik kontrolliert.»Das ist die Ortungs- und Funkzentrale, Sir. Es gibtkeinen Zweifel«, stellte Kasom fest. »Wennüberhaupt ein Hypersender vorhanden ist, dann nur indieser großen Halle. Wir müssen schleunigst etwasunternehmen, Sir, oder die Strahlung wird uns töten.«Wir sprachen nicht mehr viel, sondern schritten dielange Reihe der aufgestellten Geräte ab. Es gabSchaltpulte mit zahllosen Anzeigen.Wir drückten sämtliche Knöpfe und Schalter nieder,die wir erreichen konnten. Irgendwo begann einEnergiegeschütz zu feuern. Seine enormenEnergiestrahlen rasten in den Raum hinaus undverpufften dort.Unbekannte Maschinen liefen an. Die Halle wurdevon einem plötzlichen Tosen und Donnern erfüllt, alssollte dieser Planet auseinandergesprengt wer den.Wir rannten immer weiter. Wenn wir eine Schaltungerspähten, wurde sie ohne Rücksicht auf eventuelleFolgen betätigt.Ein Pult erweckte den Anschein, als enthielte es dieSteueranlage für einen Hypersender.Bildschirme leuchteten auf, Kontrollampen blinkten.Nebenan begannen Umformer zu dröhnen. DerBoden bebte, als wäre es zu einer vierdimensionalenStrukturerschütterung gekommen.Ich schaltete und beobachtete. Immer wiederversuchte ich Knöpfe zu drehen und Teilautomatenzu ergründen. Das dauerte so lange, bis mich derErtruser kurzerhand über seine Schulter schwang undmit mir davonraste. Unsere Gammazähler pfiffen.

*

Fünfzehn Minuten später erreichten wir den Torspaltin der Turmwandung. Kasom keuchte. Wesentlichlangsamer als gewohnt, rannte er mit mir in dieWüste hinaus.

Er schaffte noch etwa vier Kilometer. Dann ließ ersich hinter einem Felswall zu Boden fallen. Ich krochauf ihn zu und zerrte ihm die Kombination vomKörper. Kasom, unser Übergigant, war so erschöpftwie nie zuvor.Ich rief mit dem Funksprechgerät um Hilfe. ZehnMinuten später landete Rhodan mit einem riesigenLastensegler. Die Maschine wurde von Otringeflogen. Kasom kroch in die Kabine hinein. Ichfolgte. Während uns Perry mit Wasser versorgte,spannte Otrin vier mitgebrachte Laufvögel vor denSegler.Wir starteten mühelos. Die Tiere erhoben witternddie schlanken Köpfe und rannten dann auf die ferneHütte zu. Wir flogen nach Travera zurück. Als wirdort landeten, wurden wir schon von den Gefährtenerwartet.Ich erstattete Bericht, und Perry erklärte, man hätteebenfalls eine Strukturerschütterung wahrgenommen.»Die Schwarzen von Roost können nicht mehrgefährlich werden«, sagte der Terraner sinnend.Mory injizierte schweigend den Rest dervorhandenen Absorber-Medikamente. Wir hofften,einigermaßen gesund davongekommen zu sein.Rhodan sah zu Travera hinüber. Der Patriarch schienuns neuerdings für Götter zu halten. Er würde keineSchwierigkeiten machen. Außerdem war Andre Noirjederzeit zur Stelle.Perry fuhr fort:»Es ist nun klar, warum das Walzenschiff soüberstürzt startete. Die alte Pyramidenstation warnicht mehr in Ordnung. Die Automatik ergriff dieFlucht. Jetzt wollen wir nur noch hoffen, daß dieBlues nicht vorzeitig angelockt werden. In denMaschinenräumen unter den Pyramiden geschiehtetwas. Es ist etwas, was man mit guten Geräten ortenund einpeilen kann. Wo stehen deine Raumschiffe,Atlan?«Ich wußte es nicht. Niemand konnte mitBestimmtheit sagen, ob sich ein terranischer Kreuzer,oder ein USO-Geschwader in der Nähe befand. Wirkonnten nur darauf hoffen.Kasom schlief schon. Sein Atem ging so laut, daß ichein anderes Zimmer aufsuchte.Mory deckte mich zu. Mit ihrem Lächeln vor Augenschlief ich ebenfalls ein. Ich dachte noch einmal andie Schwarzen von Roost, an das Imperium und anunsere verzweifelte Lage.Es wurde Zeit, daß wir wieder nach Hause kamen -allerhöchste Zeit sogar!

E N D E

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Im Todeskreis der Gammastrahlung entdeckten sie gespenstisches Leben - und Atlan setzte Geräte in Betrieb,die eine Botschaft ausstrahlten.DIE EXPEDITION DER MAUSBIBER empfängt die Botschaft und sucht die Quelle, von der sie ausgeht ...Doch auch der Gegner ist nicht müßig, denn er hat die Botschaft ebenfalls empfangen! DIE EXPEDITIONDER MAUSBIBER - so heißt der Titel des nächsten Perry-Rhodan-Bandes, der mit vielen Überraschungenaufwartet - ist von Clark Darlton verfaßt.

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