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Kapitel 13 Die L¨ osung kubischer Gleichungen Genau so wie in der Politik, in der Literatur in der Musik und in jedem ande- ren Bereich menschlichen Schaens gibt es auch in der Mathematik schillern- de Pers¨onlichkeiten, dramatische Lebensl¨aufe, Neid, Intrigen und gl¨ uckliche Umst¨ande. Diese sind nur leider meist etwas weniger bekannt, da man sich, um ihre volle Tragweite zu verstehen, auch ein wenig mit Mathematik ausken- nen muss. Nicht selten sind die dramatischen pers¨onlichen Schicksale auch mit bahnbrechenden Entdeckungen verbunden. Von einer solchen Entdeckung handelt unser n¨achstes Kapitel. Es geht dabei um nicht weniger als das Wie- dererwachen der Wissenschaft in der Renaissance nach einem langen mit- telalterlichen Winterschlaf und letztlich die erste große mathematische Leis- tung die auf europ¨aischem Boden nach den den Leistungen des antiken Grie- chenlands gemacht wurde. Ganz nebenbei wurden bei dieser Gelegenheit auch gleich noch die komplexen Zahlen erfunden, wobei man die damals noch nicht so genannt hat. 1 Eine geheime Formel Unsere Geschichte beginnt im November des Jahres 1526 und spielt zum gr¨ oßten Teil in Italien. In Bologna liegt ein Mann namens Scipione del Fer- ro im Sterben und dachte zu dem Zeitpunkt wohl dar¨ uber nach, was ihm denn so im Laufe seines Lebens gelungen und was ihm nicht gelungen war. Mindestens eine wirklich große Sache hatte er geleistet – dummerweise wuss- te das nur niemand. Wir befinden uns in einer Zeit in der (zumindest in Europa) ¨ uber Mathematik nicht all zu sehr nachgedacht wurde und die Lehr- meinungen von Autorit¨ aten ungemein wichtig waren – oftmals wichtiger als eigenes Nachdenken. Die Buchdruckkunst stecke noch in ihren Anf¨ angen be- wegliche Lettern wurden rund 70 Jahre vorher von Guttenberg erfunden und Mathematikb¨ ucher gab es kaum. Um so schwerer war deren Wirkung und Gewicht in der ¨ Oentlichkeit. Das wohl erste und ¨ uber lange Zeit einfluss- 199

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Kapitel 13

Die Losung kubischer Gleichungen

Genau so wie in der Politik, in der Literatur in der Musik und in jedem ande-ren Bereich menschlichen Scha↵ens gibt es auch in der Mathematik schillern-de Personlichkeiten, dramatische Lebenslaufe, Neid, Intrigen und glucklicheUmstande. Diese sind nur leider meist etwas weniger bekannt, da man sich,um ihre volle Tragweite zu verstehen, auch ein wenig mit Mathematik ausken-nen muss. Nicht selten sind die dramatischen personlichen Schicksale auchmit bahnbrechenden Entdeckungen verbunden. Von einer solchen Entdeckunghandelt unser nachstes Kapitel. Es geht dabei um nicht weniger als das Wie-dererwachen der Wissenschaft in der Renaissance nach einem langen mit-telalterlichen Winterschlaf und letztlich die erste große mathematische Leis-tung die auf europaischem Boden nach den den Leistungen des antiken Grie-chenlands gemacht wurde. Ganz nebenbei wurden bei dieser Gelegenheit auchgleich noch die komplexen Zahlen erfunden, wobei man die damals noch nichtso genannt hat.

1 Eine geheime Formel

Unsere Geschichte beginnt im November des Jahres 1526 und spielt zumgroßten Teil in Italien. In Bologna liegt ein Mann namens Scipione del Fer-ro im Sterben und dachte zu dem Zeitpunkt wohl daruber nach, was ihmdenn so im Laufe seines Lebens gelungen und was ihm nicht gelungen war.Mindestens eine wirklich große Sache hatte er geleistet – dummerweise wuss-te das nur niemand. Wir befinden uns in einer Zeit in der (zumindest inEuropa) uber Mathematik nicht all zu sehr nachgedacht wurde und die Lehr-meinungen von Autoritaten ungemein wichtig waren – oftmals wichtiger alseigenes Nachdenken. Die Buchdruckkunst stecke noch in ihren Anfangen be-wegliche Lettern wurden rund 70 Jahre vorher von Guttenberg erfunden undMathematikbucher gab es kaum. Um so schwerer war deren Wirkung undGewicht in der O↵entlichkeit. Das wohl erste und uber lange Zeit einfluss-

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200 13 Die Losung kubischer Gleichungen

reichste Mathematikbuch die Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioniet Proportionalita wurde von einem gewissen Luca Pacioli (1445–1514, oderauch 1517, so genau weiß man das heute nicht mehr) verfasst und ging 1494in Druck. All zu viele eigene Gedanken Paciolis enthielt dieses Werk wohlnicht, aber es fasste in enzyklopadischer Weise die mathematischen Techni-ken und das mathematische Wissen bis dato zusammen. Da in den letztenpaar Jahrhunderten bis dahin mathematisch nicht all zu viel passiert war(zumindest in Europa, dass in dieser Zeit andere Sorgen hatte), hatte diesesBuch fur viele Leser einen gewissen abschließenden Charakter. Alles was dar-in stand war gesetztes Wissen und viel mehr neue mathematische Erkenntniswar wohl auch nicht zu erwarten. Quadratische Gleichungen konnte man be-reits im antiken Griechenland losen, das wurde im Buch auch ausfuhrlichvermittelt, aber Gleichungen die dritte Potenzen oder mehr enthielten entzo-gen sich jedem Zugang. Dementsprechend findet man in Paciolis Buch auchdie Bemerkung, dass es fur Gleichungen dritten Grades oder hoher keineLosungsmoglichkeiten bekannt seinen, eventuell dafur aber in Zukunft einegewisse Ho↵nung bestunde.

Zuruck zu del Ferro auf seinem Sterbebett. Der konnte kubische Glei-chungen losen! Zumindest einige. Er hatte eine Losung gefunden, mit derman einige Gleichungen der Form x3 + px + q = 0 nach x auflosen konnte.Wann genau ihm dies gelang, wissen wir nicht, denn er hat es zu Lebzeitennie vero↵tenlicht. Nicht weil er dies nicht wollte, sondern, weil er aus dieserbahnbrechenden Entdeckung etwas ganz besonderes machen wollte. Schließ-lich gelang ihm damit etwas, was Pacioli nicht in seinem Buch stehen hatteund in gewissem Sinne wuchs er damit uber die Erkenntnisse der alten Grie-chen hinaus was eine unglaubliche Leistung war, wert ein ganz besonderesBuch daruber zu schreiben. Zu spat. Sterbebett. Alle Entdeckungen del Fer-ros schlummerten wohlbehutet in einem geheimen Notizbuch, dass del Ferroangelegt hatte. Verstandlicherweise sorgte sich del Ferro nun 1526 darum,was mit seinen Erkenntnissen geschehen sollte. Er vertraute mehr oder we-niger im letzen Moment die Losung zweien seiner Schuler an, die wohl amaussichtsreichsten waren, diese Erkentnis uber die Zeit zu retten. Hannibaldel Nave seinem Schiegersohn gab er sein Notizbuch, und Anton Maria Fi-or erklarte er das Losungsverfahren. Letzterem sagt man heutzutage nach,dass er mathematisch nicht sonderlich begabt gewesen sei, aber soziales Anse-hen ihm ausgesprochen wichtig war. Und dieser fuhrt uns nun schnurstrackszu einem der wichtigsten Protagonisten unserer Geschichte: Nicolo Tartag-lia, seines Zeichens eine Art mathematischer Consultant, der fur die reichenitalienischen Kaufleute einen mathematischen Beratungsservice betrieb.

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2 Das Duell 201

2 Das Duell

Niccolo Tagtaglia lebte in Venedig und unsere Geschichte spielt zu einemZeitpunkt, an dem Tartaglia zwar bereits ein sehr anerkannter mathemati-scher Denker war, aber selbst noch keine großeren Werke vero↵entlicht hatte.Spater solltet er auch noch dafur bekannt werden, die erste Ubersetzung vonEuklids Elementen in eine lebende Sprache (Italienisch) zu vero↵entlichen,was fur die Verbreitung von Euklids Gedanken in der Neuzeit sicherlich vongroßer Bedeutung war. Seine heute bekannteste Entdeckung hangt jedoch mitunserer Geschichte zusammen. Es gab in dieser Zeit namlich eine Tradition, inder es ublich war, dass Mathematiker sich gegenseitig zum (geistigen) Wett-kampf herausforderten. Jeder ubergibt dem Anderen eine Liste mit Aufgaben— wer die meisten lost, hat gewonnen und ist der bessere Mathematiker. DerVerlierer tragt einen deutlich geschaftsschadigenden Schlag davon, der ihnim schlimmsten Fall zwingt, einen neuen Arbeitsort zu suchen. Kurioserwei-se wurde diese Tradition tatsachlich von einem Konig, namlich Friedrich IIvon Hohenstau↵en (1194–1250), eingefuhrt, der das unsinnige Blutvergießenbei Ritterturnieren durch etwas eher Geistvolles ersetzen wollte. DerartigeDuelle hatten eine ausgesprochen o↵entlichen Character und waren nicht sel-ten Anlass fur Gesprache weit uber die Region hinaus.

Anton Maria Fior der sich nun als einziger im Besitz der Losungsformelfur Kubische Gleichungen der Form x3 + ax = b glaubte, fand dies eine guteGelegenheit unseren Protagonisten Niccolo Tartaglia (der nun einmal denRuf hatte, Italiens und Venedigs bester Mathematiker zu sein) o↵entlich zummathematischen Duell herauszufordern. Wie man sich denken kann plante erTartaglia ausschließlich Aufgaben zu stellen, die die Kenntnis der Formel vondel Ferro erforderten.1

Die von Fior o↵entlich vorgeschlagenen Wettkampfbedingungen sahen vor,dass jeder dem anderen (notariell beglaubigt) einen Satz von 30 Aufgabenubermittelte, die jeweils innerhalb von 40 Tagen gelost werden mussten. EinBlick auf die ihm gestellten Aufgaben musste Tartaglia sofort gezeigt ha-ben dass diese alle auf die Formel x3 + ax = b fuhrten und ihn in ziemlicheBedrangnis bringen. Not macht bekanntlich erfinderisch. Tartaglia gelang estatsachlich selbst eine Formel zu entwickeln mit der er diesen Typ kubi-scher Gleichungen losen konnte – eine Losung deren Existenz er wohl vor-her selbst kaum fur moglich gehalten hatte. Tartaglia fand die Losung nachUberlieferungen in der Nacht des 13. Februar 1535, genau eine Woche vorAblauf der Abgabefrist. Er gewann damit das Duell gegen Fior mit Abstand.

1 Tartaglia selbst hatte sich bereits vorher mit kubischen Gleichungen beschaftigt undbehauptete von sich und er Lage zu sein, Gleichungen der Form x

3 + ax

2 = b losen zukonnen. Aus heutiger Sicht ist diese Art Gleichung praktisch gleich schwer zu Losen wiex

3+ax = b. Beim damaligen Kenntnisstand der Algebra waren dies jedoch zwei vollkommenverschiedene Probleme. Genauere Angaben uber Tartaglias Losungsweg fur diese Gleichungsind auch nicht uberliefert.

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202 13 Die Losung kubischer Gleichungen

Nach Aussagen Tartaglias konnte Fior keine einzige von Tartaglias Aufgabenlosen.

3 Kubische Gleichungen

Wir wollen uns nun ein wenig der Mathematik hinter kubischen Gleichungenzuwenden. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir hier nicht genau nach-vollziehen konnen, welche Wege Tartaglia oder del Ferro genau gegangen sindim zu einer Losung von Gleichungen der Form x3 + px+ q = 0 zu gelangen.Man kann mutmaßen, aber Aufzeichnungen gibt es daruber praktisch nicht.Einige Aspekte sollte man sich dennoch vor Augen fuhren, um die Leistungaus heutiger Sicht richtig zu wurdigen. Viele mathematische Erfindungen undKonzepte, die uns heute selbstverstandlich erscheinen, gab es damals nicht.Dies fangt bei der Notation an. Die heute fast selbstverstandliche Betrach-tungsweise in einer Gleichung die Variablen und Parameter durch Buchsta-ben zu reprasentieren, die stellvertretend fur deren Großen stehen gab esnicht. Diese wurden erst um 1590 von Francois Viete, nach dem der auchin der Schule bekannte Satz vom Vieta benannt ist, eingefuhrt. Selbst Plus,Minus und Malzeichen waren zu Tartaglias Zeiten nicht ublich. In diesemSinne war auch der Begri↵ der Gleichung, geschweige denn das Konzept desGleichungsauflosen oder -umformen nicht gelaufig. Entsprechend wurde dieFormulierung des Problems in ganze Satze gekleidet. Del Ferro und Tartagliakonnten z.B. Losungen fur das Problem “Ein Kubus plus viele seiner Seitenist eine Zahl” angeben (in heutiger Sprache liest sich dies als x3 + a · x = b).Fiors erste Aufgabe lautete z.B.

“Finde eine Zahl derart, dass wenn ihr Kubus addiert wird sich sechs ergibt”(also x

3 + x = 6).

Dass die in fur eine Aufgabe wichtigen Großen nicht als Buchstaben ver-schlusselt wurden hatte eine weitere Bemerkenswerte Konsequenz: Die ange-gebenen Losungsverfahren selbst (sofern sie allgemeiner Art waren) wurdenals eine Abfolge von Rechenschritten beschrieben, die auf die Eingangsgroßenangewandt werden mussten. Insofern glichen sie eher einem Algorithmus (ei-ner Handlungsanweisung) als einer Formel. Ein weiterer wichtige Punkt istder Folgende: Zahlen waren im wortlichen Sinne Zahl- oder Messgroßen. Indiesem Sinne wurden sie immer als positive Großen verstanden. Das Konzeptder negativen Zahlen gab es noch nicht (ganz zu schweigen von komplexenZahlen, die, wie wir bald sehen werden, hier auch noch eine Rolle spielen).Von daher waren Gleichungen der Form x3 + a · x = b und x3 = b + a · xverschiedene Probleme, bei denen a und b stets als positiv aufzufassen waren.

Wir konnen zwar heute nicht mehr genau nachvollziehen, wie Tartagliagenau auf seinen Losungsweg gekommen ist, einige Theorien erscheinen unterEinbeziehung der obigen Einschrankungen und dessen, was unseres Wissen

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3 Kubische Gleichungen 203

nach Tartaglia bekannt war, als plausibler als andere. Von daher sind diefolgenden Uberlegungen eher als ein so konnte es gewesen sein als ein so wares aufzufassen. Um die folgenden Abschnitte lesbar zu gestallten werden wiruns naturlich wo immer moglich einer modernen Notation bedienen.

3.1 Quadratische Gleichungen

Werfen wir zunachst einmal einen Blick auf quadratische Gleichung alsoz.B. die Frage nach einem x dass x2 + a · x = b erfullt. Losungsverfahren furquadratische Gleichungen waren Tartaglia bekannt und das wohl gangigsteging auf den Perser al-Khwarizmi (ca. 780-835) zuruck (wenn man diesenNamen schnell ausspricht, klingt er nach “Algorithmus” und das ist auchgenau der Ursprung dieses Wortes). Sein Verfahren zum Losen quadratischerGleichung ist im Prinzip eine Abart der quadratischen Erganzung wie siebei uns ca im 8. Schuljahr unterrichtet wird. Wobei sie bei al-Khwarizmi imsogar wortlichen geometrischen Sinne zu verstehen ist. In seinen Schriften zurAlgebra erlautert er sie am Beispiel der Gleichung

x2 + 10x = 39.

In moderner Sprache lasst sich sein Verfahren folgendermaßen darstellen undgeometrisch interpretieren. Die nebenstehenden Skizzen veranschaulichen denProzess, wobei in den ersten beiden Bildern die gesuchte Große x bewusstnoch nicht den richtigen wert hat – sie ist ja schließlich noch zu bestim-men. Wir haben es mit einer Gleichung zu tun, bei der das Quadrat vonx und das 10-fache von x insgesamt die Zahl 39 ergeben sollen. Wir wollendies geometrisch interpretieren. Hierzu denken wir uns die beteiligte Großenals Flacheninhalte von Rechtecken (insbesondere auch Quadraten) realisiert.Zunachst legen wir eine beliebig gewahlte Einheitslange fest. Die Zahl x2 kannman sich als Flacheninhalt eines Quadrates Q vorstellen mit Seitenlange x.Die Zahl 10x kann man sich vorstellen als ein Rechteck, dessen eine Seite xEinheiten lang ist, und die andere 10 Einheiten. Nun macht al-Khwarizmi et-was sehr geschicktes (und bei genauerem Betrachten spielt hierbei der Grund-gedanke eine Rolle, das Problem in moglichst symmetrischer Form erscheinenzu lassen). Er zerteilt das Rechteck 10 ·x in zwei Halften der Form 5 ·x. Diesebeiden Rechtecke legt er an zwei benachbarte Seiten des Quadrates Q an. Esentsteht eine symmetrische winkelartige Figur F , die Aussieht wie ein Qua-drat von dem man an einer Ecke ein kleineres Quadrat herausgeschnitten hat.Die Seitenlange des großen Quadrates betragt x + 5 die des herausgeschnit-tenen Quadrates ist genau 5 · 5 also 25 Einheiten groß (das kleine Quadratist im wortlichen Sinne die Quadratische Erganzung der 39 Einheiten diedie Flache F enthalten muss). Bei genauem Hinsehen ist das Problem durch

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diese Betrachtungsweise bereits praktisch gelost. Das große Quadrat der Sei-tenlange x + 5 muss insgesamt 39 + 25 = 64 Einheiten umfassen, da es jaaus unserer Winkelfigur F (39 Einheiten) und dem kleinen Quadrat (25 Ein-heiten) aufgebaut ist. Somit hat das große Quadrat eine Seitenlange von 8Einheiten (Wurzelziehen war eine in diesem Spiel erlaubte Operation). Wirwissen aber, dass unsere gesucht Zahl x genau so lang ist, dass x + 5 = 8gleich der Seitenlange des großen Quadrates ist. Somit muss gelten x = 3.Wenngleich wir dieses Verfahren hier nur an einem Beispiel durchgefuhrt ha-ben, ist doch leicht zu erkennen, dass dieses allgemein anwendbar ist und zueiner festen (algorithmischen) Rechenvorschrift fuhrt, wie man Gleichungender Form x2 + a · x = b losen kann.

Man konnte die ganze Prozedur auch rein algebraisch betrachten, indemman die Zahl zum Addieren sucht mit der sich die Gleichung x2 + 10x � 39moglichst einfach als binomische Formel auflosen lasst. Das ist die ublicheMethode der quadratischen Erganzung wie sie in der Schule unterrichtet wird.Insgesamt ist dies aber weniger erhellend als die obige Methode. Vor allenDingen ware es ein Zugang der nur dann moglich ist, wenn man tatsachlichschon weiß wie man Gleichungen korrekt umformen kann, was ja weder al-Khwarizmi noch Tartaglia so bekannt gewesen ware.

Wir wollen noch eine interessanten Aspekt beleuchten. Wir sind es ja ge-wohnt, dass eine quadratische Gleichung im Regelfall zwei Losungen hat. Dieubliche p, q-Formel ergabe in unsrem Beispiel z.B. die Losungen

x1,2 = �10

2±r

10

2+ 39 = �5±

p64 = �5± 8.

Man muss sich also fragen, ob al-Khwarizmis Methode uns hier nicht eineLosung vorenthalt. Die nach modernem Verstandnis fehlende Losung ware�13, eine negative Zahl. Eine solche hatte al-Khwarizmi nicht als Losung derAufgabe akzeptiert.

3.2 Den Kubus zerlegen

Soviel zum Losen quadratischer Gleichungen. Wir wollen nun nachvollziehen,wie Tartaglia vorgegangen sein konnte, als er versuchte eine Gleichung derallgemeinen Form x3+a ·x = b zu losen (“Ein Kubus plus einige seiner Seitenist eine Zahl”). Analogisieren ist in der Mathematik oft ein starkes Mittel zumErlangen von Erkenntnis. Von daher liegt es in Tartaglias Situation nahe, dassehr anschauliche ihm bekannte Verfahren von al-Khwarizmi in irgend einerForm auf die Problematik dieser Gleichung dritten Grades zu ubertragen.Sie sieht ja im Prinzip fast genau so aus. Aus x2 bei al-Khwarizmi wirdeine x3. Statt eines Quadrates haben wir es mit einem Wurfel zu tun. Wirstarten also mit einem Wurfel W der Seitenlange x. Geht man anlog zu al-

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3 Kubische Gleichungen 205

Khwarizmi, vor musste man nun durch geschicktes Anlegen von Quadernan W eine Figur erzeugen, die sich leicht zu einem großeren Wurfel erganzenließe. Hier stoßen wir aber zunachst auf eine Problem. Die hinzugefugte Großemusste ja insgesamt a · x betragen. Erweitert man den Wurfel aber z.B.durch Quader der Hohe c uber den Seitenflachen so betragt der Große dieserQuader aber c · x2 und ist quadratisch und nicht linear in x. Was vielleichtnoch unangenehmer ist, ist folgende Tatsache. Wenn man auf diese Weise denWurfel W durch drei solche Quader Q erganzt, entsteht eine Figur, die nichtganz so einfach zu einem großeren Wurfel erganzt werden kann (zumindestmuss etwas Anderes als ein kleiner Wurfel hinzu gefugt werden). Es liegt alsonahe, dass Tartaglia nach Moglichkeiten gesucht hat, wie man einen großenWurfel derart durch Anlegen von gleiche Quadern (nach Moglichkeit dreidavon) erganzen kann, dass eine Figur entsteht, die aussieht, als ob man voneinem großen Wurfel an einer Ecke einen kleinen Wurfel herausgeschnittenhat.

Etwas anders ausgedruckt kann man ausgehend vom großen Wurfel die Si-tuation auch folgendermaßen au↵assen: Stellen wir uns einen großen Wurfelvor, bei dem an zwei in der Raumdiagonale gegenuberliegenden Ecken jeweilsein Wurfel herausgeschnitten wurden. Diese Wurfel sollen genau so groß sein,dass sie sich im Inneren des großen Wurfels an einer Ecke beruhren (analog zudem beiden kleinen Quadraten in al-Khwarizmis großen Quadrat). Wie lasstsich die verbleibende Figur moglichst symmetrisch in drei Quader zerlegen?Nehmen wir fur einen Moment an, der große Wurfel habe die Kantenlangeq (also einen Rauminhalt von q3) und die beiden weggeschnittenen Wurfelhaben die Kantenlangen x und y. Es gilt also q = x+ y wenn sich die Wurfelim Inneren an einer Ecke tre↵en sollen. Die verbleibende raumliche Figurlasst sich nun wunderbar symmetrisch in drei Quader mit Seitenlangen x,y und q zerlegen. Zu dieser Kenntnis kann man entweder durch Meditation,das Anfertigen von vielen Skizzen oder durch einen Blick auf nebenstehendeZeichnung gelangen. Eine der ersten beiden Moglichkeiten stand wohl Tar-taglia zur Verfugung. Man sieht in der Bildersequenz zunachst die beidenWurfel mit Kantenlangen x und y eingebettet in einen großen Wurfel derKantenlange q = x + y. Den verbleibende Freiraum des großen Wurfels giltes nun zu fullen. Das zweite Bild zeigt die Position eines der drei Quader(blau). Er hat Kantenlangen x, y und q und fullte genau ein drittel des freienVolumens aus. Das darauf folgende Bild zeigt wie sich die verbleibenden zweiQuader (rot und grun) vollkommen Rotationssymmetrisch in den noch frei-en Bereich eingliedern. Im nachfolgenden Bild sieht man nochmals die dreiQuader (halbtransparent ) an den Wurfel mit Kantenlagne x angelegt.

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206 13 Die Losung kubischer Gleichungen

Betrachtet man diese Zerlegung mit modernem algebraischen Blick so istdiese gar nicht so uberraschend sie besagt namlich nichts anders als die fol-gende Gleichung:

(x+ y)3 = x3 + y3 + 3(x · y · (x+ y)),

was sich durch Ausmultiplizieren leicht nachprufen lasst, aber genau dieskonnte Tartaglia ja nicht.

3.3 Die richtigen Großen finden

Was nutzt einem nun dies Alles beim Losen einer Gleichung x3+a·x = b. Umdie Analogie einen Schritt weiter zu treiben musste man es irgendwie scha↵en,dass die Große a · x sich genau als der Ausdruck 3 · x · y · (x+ y) = 3 · x · y · qergibt, also die Inhalte der drei angelegten Quader.

Es soll also die Bedingung a · x = 3 · x · y · q gelten. Hieraus konnte auchTartaglia a = 3 · y · q schließen. Andererseits gilt fur den großen Wurfel dieZerlegungsgleichung

q3 = y3 + x3 + 3 · x · y · qwas nun durch Einsetzen zu

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3 Kubische Gleichungen 207

q3 = y3 + x3 + a · x

wird. Unter der Annahme das x eine Losung der Gleichung x3 + a · x = b ist,wird dies wiederum zu

q3 = y3 + b.

Tartaglia hat wohl eher geometrisch gedacht: Der große Wurfel (also q3)ergibt sich aus b = x3 + a · x = x3 + 3 · x · y · q (das ist der Wurfel Wzuzuglich der drei Quader) zuzuglich dem kleinen Wurfel y3. Es ergeben sichzusammenfassend die beiden Gleichungen

a = 3 · y · q und q3 = y3 + b.

Uberraschenderweise kommt in diesen Gleichungen x selbst gar nicht mehrvor. Die beiden Großen a und b sind gegeben, y und q sind noch unbekannt.Man kann nun versuchen daraus die noch unbekannten Großen y und q zubestimmen. Wir wollen ab jetzt ein wenig modern abkurzen und uns alge-braische Umformungen gestatten (da dies die wesentliche Schlusselidee etwasgreifbarer macht).

Wir formen zunachst die erste Gleichung zu q = a

3y um. Den Wert fur qkonnen wir nun in die zweite Gleichung einsetzen und erhalten

✓a

3y

◆3

= y3 + b.

Dies ist eine Gleichung in der jetzt nur noch y vorkommt allerdings immernoch in der dritten Potenz und sogar noch unter einem Bruchstrich. Multi-pliziert man sie nun aber mit y3 erhalt man

a3

27= y6 + by3.

Dies ist auf den ersten Blick eine Gleichung vom Grad 6 in y. Sie stellt sichaber auf den zweiten Blick als eine quadratische Gleichung in y3 heraus

a3

27= (y3)2 + b · y3,

und zwar als genau eine von der Form, wie wir sie im vor-vorherigen Abschnittbei al-Khwarizmi gesehen und verstanden haben. Somit last sich die Große yaus a und b bestimmen. Sie ergibt sich (in moderner Notation) zu

y =3

s

� b

2+

rb2

4+

a3

27.

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208 13 Die Losung kubischer Gleichungen

Das Vorzeichen vor der inneren Wurzel ist wiederum so gewahlt, dass dasEndergebnis fur y eine positive Zahl ist. Weiterhin gilt ja q3 = y3 + b. Setztman dies ein, erhalt man

q3 = � b

2+

rb2

4+

a3

27+ b,

woraus sich fur q der Wert

q =3

s

+b

2+

rb2

4+

a3

27.

ergibt. Bevor wir nun zum entscheidenden Schlag ausholen, fassen wir noch-mals zusammen. Wir wollen die Gleichung x3 + ax = b losen. Dazu stellenwir uns eine großen Wurfel mit Rauminhalt q3 vor. Dieser wird zerteilt inzwei kleine Wurfel die in Inneren an einer Ecke zusammenstoßen. Sie sollenRauminhalt x3 und y3 haben. Wegen der Geometrie der Konstruktion giltx + y = q. Die vom großen Wurfel jetzt noch verbleibende Menge wird in 3Quader mit jeweiligem Rauminhalt xyq zerlegt. In unseren vorausgegange-nen Uberlegungen haben wir nun versucht die Großen fur x, y, q so zu wahlen,dass der Rauminhalt den die drei Quader einnehmen genau ax ist, wobei xdie gesuchte Losung sein soll. Dies gelang uns durch Losen einer quadrati-schen Gleichung. In unserer Auflosung erhielten wir Werte fur y und q wasuns aber wegen q = x+ y sofort zur gesuchten Losung fur x fuhrt.

x =3

sb

2+

rb2

4+

a3

27� 3

s

� b

2+

rb2

4+

a3

27.

Wir wollen uns anhand von Fiors erster Aufgabe x3 + x = 6 kurz ver-deutlichen, dass dies tatsachlich funktioniert. Wir haben hier also a = 1 undb = 6. Wir setzen

D =b2

4+

a3

27= 9 +

1

27=

244

27.

Nun berechnen wir

3

rb

2+

pD � 3

r� b

2+

pD =

3

s

3 +

r244

27� 3

s

�3 +

r244

27= x.

Weiters Auflosen lohnt sich hier nicht mehr. Wir mussen das Ziehen vonWurzeln und dritten Wurzeln als Grundoperationen zulassen. Wir sollten andieser Stelle feststellen, dass Fior bei seiner Wahl der Zahlenwerte nicht gera-de zimperlich war. Wir wollen uns hier mit einer kurzen groben numerischenUberprufung der Losung zufrieden geben. Tippt man den obigen Ausdruckin einen Taschenrechner ein, so erhalt man:

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3 Kubische Gleichungen 209

x ⇡ 1.6343653.

Fur x3 erhalt manx3 ⇡ 4.3656348.

In Summe ergibt sichx3 + x ⇡ 6.0000001,

was mit Taschenrechnergenauigkeit das Ergebnis bestatigt.

3.4 Wie allgemein war das?

Wir wollen nun wieder den modernen Standpunkt einnehmen und uns fra-gen, wie allgemein die gefundene Losung ist. Von Tartaglias Standpunkt auswar das Rechnen mit negativen Großen ein echtes Problem. Von daher zer-fielen die Varianten moglicher kubischer Gleichungen in viele Sonderfalle. Inheutiger Notation findet man das eben hergeleitete Ergebnis oft in folgenderDarstellung: Gesucht ist eine Losung fur x3+px+ q = 0. Diese ergibt sich zu

x = 3

r�q

2+

pD + 3

r�q

2�pD

mit

D =q2

4+

p3

27.

Man achte darauf dass in dieser Formel die Vorzeichen ein wenig anders ver-teilt sind als in unserer Herleitung, was daher kommt, dass in obiger Formelder konstante Term in der linken Gleichungsseite steht.

Zunachst kann man sich aus moderner Sicht fragen, was eigentlich passiert,wenn in der ursprunglichen Gleichung auch noch ein quadratischer Term (undnicht nur ein kubischer, ein linearer und ein konstanter Term) auftritt. In derTat lassen sich Gleichungen der Form

x3 + ax2 + bx+ c = 0

auf Gleichungen der Form x3 + px + q = 0 zuruckfuhren. Man macht dazueinfach eine Substitution x = z � a

3 . Setzt man dies in obige Gleichung ein,

so ergibt sich eine Gleichung der Form z3 + pz + q = 0 mit p = b � a

2

3 und

q = c + 2a3

27 � ab

3 (bitte selbst nachrechnen). Eine solche Gleichung kann imPrinzip mit Tartaglias Formel gelost werden. Ein tatsachlich großeres Pro-blem erginbt sich, falls die Großen p und q derart sind, dass fur die so genannteDiscriminante D ein negativer Wert entsteht. Dann steht man namlich vordem Problem, die Wurzel einer negativen Zahl zu finden, was zu Tartag-lias Zeiten in gewissem Sinne eine doppelte Unmoglichkeit darstellt. Zumeinen wurden negative Großen nicht als Zahlen anerkannt. Zum anderen war

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210 13 Die Losung kubischer Gleichungen

naturlich das Produkt einer Zahl mit sich selbst immer positiv und konn-te niemals eine negative Zahl ergeben (selbst wenn man diese als Großenzugelassen hatte).

Wir wollen uns als kleine Zwischenbilanz zwei konkrete Gleichungen mitgutartigen Zahlenwerten hernehmen und diese nach obige Formel aufzulosenversuchen. Zunachst betrachten wir

x3 � 24x� 72 = 0.

Es ergibt sich D = 722

4 + �243

27 = 362 + (�8)3 = 784 und somit

x =3p

36 +p784 +

3p36�p

784

= 3p36 + 28 + 3

p36� 28

= 3p64 + 3

p8

= 4 + 2

= 6.

Und in der Tat ist

63 � 24 · 6� 72 = 216� 144� 72 = 0.

Etwas weniger angenehm gestaltet sich die Rechnung bei der Aufgabe

x3 � 15x� 4 = 0.

Dort ergibt sich D = 42

4 + �153

27 = 22 + (�5)3 = �121. Dies macht nun beim

Berechnen vonpD Probleme, da hier eine Wurzel aus einer negativen Zahl

zu ziehen ist. Diese Schwierigkeiten sind nicht unuberwindbar. Wir kommengleich nochmals darauf zuruck.

4 Cardano

Zunachst betreten in unserer Geschichte allerdings zwei weitere Protagonis-ten die Buhne: Girolamo Cardano (1501–1576) und sein Schuler LudovicoFerrari (1522–1565). Cardano ist eine schillernde Personlichkeit voller Wi-derspruche und Winkelzuge. Er war zugleich Mediziner, Politiker, Astrologe,Mathematiker, Berater der Herrschenden in Italien, Glucksspieler, Erfinder(z.B. des nach ihm benannten Kardangelenkes) und wohl noch so einigesmehr. Er lebte und wirkte in Mailand. Er hatte sich zum Ziel gesetzt einBuch zu schreiben, in dem er das mathematische Wissen seiner Zeit zu-sammenfassend und umfassend darstellen wollte (im gewissen Sinne eineNachfolgeschrift zu Pacciolis Werk). Fur solch ein Werk waren die neues-

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4 Cardano 211

ten Entwicklungen um das Auflosen von Gleichungen naturlich von funda-mentaler Bedeutung. Als er davon horte, dass in Venedig jemand heraus-gefunden hatte, wie man Gleichungen dritten Grades losen konnte, war ernaturlich darauf erpicht, eben diese Formel auch in seinem großen Werk (dasspater Ars Magna heißen sollte) zu vero↵entlichen. Uber geraume Zeit undverschiedene Methoden versuchte er mit Tartaglia Kontakt aufzunehmen,schickte Boten, bedrangte ihn, umgarnte ihn, lud ihn nach Milano ein, ver-sprach ihm einen einflussreichen und gut bezahlten Posten zu verscha↵en,. . . die Geschichte ist lang und soll hier nicht in allen Details wieder gege-ben werden. Tartaglia weigerte sich zunachst Standhaft seinen Losungswegherauszugeben. Auch war er nicht bereit, auf Anfrage allein die Ergebnis-se zu Fiors Aufgaben weiter zu geben, da er (berechtigt) befurchtete, mankonne daraus auf die Losungsformel zuruckschließen. Dennoch fuhrte Carda-nos Drangen und Bitten letztlich zum Erfolg (in einigen Geschichtsbuchernliest man auch, dass so mancher Kneipenbesuch dabei auch eine Rolle ge-spielt haben soll). Tartaglia erklarte sich bereit unter bestimmten Bedingun-gen Cardano die Losungsformel fur x3+ax = b zu ubergeben. Erstens mussteCardano schworen, dass er Tartaglias Formel niemanden weitervermittelte.Der Schwur verlangte insbesondere auch, dass Cardano Tartaglias Formelunter kleinen Umstanden fur seine Ars Magna verwenden durfte. Weiterhinwurde die Formel nicht direkt ubergeben sondern Tartaglia verfasste ein la-teinisches Gedicht in dessen Versen er das Losungsverfahren beschrieb. DasGedicht diente als eine Art Verschlusselung, die nur der wenige verstehenkonnte, der hinreichend mathematisch vorgebildet ist (ahnlich wie so man-cher wissenschaftliche Aufsatz heute).

Quando chel cubo con le cose appressoSe agguaglia a qualche numero discretoTrouan dui altri differenti in esso.Da poi terrai questo per consuetoChe’llor produtto sempre sia egualeAl terzo cubo delle cose neto,El residuo poi suo generaleDelli lor lati cubi ben sottrattiVarra la tua cosa principale.In el secondo de cotesti attiQuando che’l cubo restasse lui soloTu osseruarai quest’altri contratti,Del numer farai due tal part’a uoloChe l’una in l’altra si produca schiettoEl terzo cubo delle cose in stoloDelle qual poi, per commun precettoTorrai li lati cubi insieme giontiEt cotal somma sara il tuo concetto.El terzo poi de questi nostri contiSe solue col secondo se ben guardiChe per natura son quasi congionti.Questi trouai, & non con paßi tardiNel mille cinquecente, quatroe trentaCon fondamenti ben sald’e gagliardiNella Citta dal mar’intorno centa.

Wenn der Kubus mit den Coßen danebengleich ist einer diskreten Zahl,finden sich als Differenz zwei andere in dieser.Dann halte es wie gewohnlich,daß namlich ihr Produkt gleich seidem Kubus des Drittels der Coßen,Und der Rest dann, so die Regel,ihrer Kubusseiten wohl subtrahiertwird sein deine Hauptcoß.In dem zweiten von diesen Fallen,wenn der Kubus allein stehtund du betrachtest die anderen zusammengezogen,Von der Zahl mache wieder zwei solche Teile,daß der eine in den anderen multipliziertden Kubus des Drittels der Coßen ergibt.Von jenen dann, so die gemeine Vorschrift,nimm die Kubusseiten zusammen vereintund diese Summe wird dein Konzept sein.Die dritte nun von diesen unseren Rechnungenlost sich wie die zweite, wenn du wohl beachtest,daß sie von Natur aus gleichsam verwandt sind.Dieses fand ich, nicht schwerfalligen Schritts,im Jahre tausendfunfhundertvierunddreißigmit Begrundungen triftig und festIn der Stadt vom Meer rings umgurtet.

Einige Zeit nachdem Tartaglia an Cardano die Losung ubergeben hattepassierte das fur ihn Unfassbare. Cardano, der nach wie vor daran interessiertwar, das Ergebnis in sein Buch aufzunehmen fuhlte sich an seine Schwur ge-bunden. Dennoch suchte er nach Wegen diesen Schwur zu unterlaufen. Durcheine Bekannten wurde ihm zugetragen, dass Tartaglia gar nicht der Erste war,der im Besitz dieser Losungsformel sei. Vielmehr habe, so das Gerucht, ein

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212 13 Die Losung kubischer Gleichungen

gewisser Scipione des Ferro bereits einige Jahre vor Tartaglia eine solche For-mel gefunden hatte, diese aber vor seinem Tod nicht mehr vero↵entlichenkonnte. Recherchen brachten zu Tage, dass wohl ein ein Notizbuch existierthaben musse, in dem diese Formel niedergeschrieben war. Durch seine beharr-liche Art gelang es Cardano den Ne↵en Scipiones Hannibal del Nave ausfindigzu machen und Einsicht in das Notizbuch zu bekommen. Da Tartaglia nunnachweislich nicht mehr der Erste war, der die Formel gefunden hatte, fuhltesich Cardano von seinem Schwur entbunden und vero↵entlichte die Formelin seiner Ars Magna. Hierbei erwahnte er zwar, dass die Formel auf Tartagliazuruckgehe. Cardano war dennoch der erste, der diese Formeln in gedruckterForm einer breiten O↵entlichkeit zuganglich machte und damit einiges desRuhmes, der damit verbunden war, auf sich zog. Nicht zuletzt hat man dieFormeln zum Losen kubischer Gleichungen uber Jahre hinweg “Die CardanoFormeln” genannt.

5 Komplexe Zahlen

Bei aller vielleicht empfundenen Ungerechtigkeit die in dieser Geschichte liegt,leistete Cardano dennoch einen ganz entscheidenden Beitrag. Ein ausgespro-chen verwegener Schritt der in gewisser Weise wohl auch seiner Wesensartentsprach. Dieser fuhrte letztlich zur Einfuhrung einer der wichtigsten ma-thematischen Strukturen, die seit damals in zunehmender Weise das Bildder zeitgenossischen Mathematik pragen: Die komplexen Zahlen. Wir habengesehen dass wir beim Versuch, die Gleichung

x3 � 15x� 4 = 0

nach Tartaglias Methode zu Losen, auf ein Problem stoßen. Wahrend derRechnung gelangt man an eine Stelle, in der

p�121 zu berechnen ist – eineWurzel aus einer negativen Zahl! Schauen wir mit modernem Blick auf dieGleichung und das Problem, so stellen wir zwei Dinge fest. Erstens, habenwir es mit einer Gleichung dritten Grades zu tun, bei der der Term x3 diegroßte Potenz ist. Das heißt, wenn x den Wertebereich der der reellen Zahlenvon �1 bis +1 durchlauft, verlaufen die Funktionswerte von x3 � 15x� 4ebenso von �1 bis +1. Da die Funktion stetig ist, konnen wir mindestenseine reelle Nullstelle erwarten. Von daher sollte man erwarten dass es aucheine Berechnungsvorschrift gibt die diese reelle Nullstelle bestimmt. ZweitensFallt auf das der Ausdruck

p�121 naturlich aus heutiger Sicht nicht dasgeringste Problem darstellt. Das Ergebnis ist einfach eine komplexe Zahl.

Und genau diesen letzteren, verwegenen Schritt ging Cardano. Im Prinzipgleicht dies mit dem Augen der damaligen Zeit gesehen fast einem Taschen-spielertrick. Wir werden namlich gleich sehen, dass komplexe Zahlen nur kurzzwischenzeitlich in der Rechnung auftreten, um dann rechtzeitig vor dem Er-

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5 Komplexe Zahlen 213

scheinen der korrekten Losung wieder zu verschwinden. Cardano ging alsowie folgt vor: Er uberlegte dass (in moderner Sprache ausgedruckt) ein Aus-druck wie

px · y sich als

px · py umformen ließ (naturlich eigentlich nur

dann wenn beider Faktoren positiv sind und die Gleichungen damit einenSinn hatten. Nun fuhrte er folgende Umformung ein. Er zerlegt

p�121 inp(�1) · 121 und erhalt somit

p�121 =p(�1) · 121 =

p(�1) ·

p121 =

p�1 · 11.

Der zweite Faktor ist hierbei kein Problemp121 = 11. Die im ersten Faktor

verbleibendep�1 ist eine Zahl mit nahezu monstrosen Eigenschaften. Wenn

man allerdings akzeptiert, dass es eine solche Zahl geben konnte, dann solltesie wohl am ehesten die Eigenschaft haben, dass

p�1 ·p�1 = �1

sein sollte. Genau davon ging Cardano aus und rechnete mit diesem (ausheutiger Sicht komplexen) Zwischenergebnis einfach munter weiter. Bei der

Losung der Gleichung x3�15x�4 = 0 ergibt sich folgendes: D = 42

4 + �153

27 =22 + (�5)3 = �121 und somit

x = 3p

2 +p�121 + 3

p2�p�121

= 3p

2 +p�1 · 11 + 3

p2�p�1 · 11 .

Nachstes Problem! Was soll ein Ausdruck wie 3p2 +

p�1 · 11 bedeuten? Esmuss eine Zahl sein, die zur dritten Potenz erhoben genau 2 +

p�1 · 11ergibt. Ein wenig systematisches Ausprobieren zeigt, dass 2 +

p�1 genaudiese Eigenschaft hat denn

(2 +p�1)3 = (2 +

p�1)2(2 +p�1)

= (4 + 4p�1� 1)(2 +

p�1)

= (3 + 4p�1)(2 +

p�1)

= 6 + 8p�1 + 3

p�1� 4

= 2 + 11 ·p�1

.

Analog ergibt sich 3p2�p�1 · 11 = 2�p�1. Hiermit kann man in unserer

Bestimmung von x weiterrechnen:

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214 13 Die Losung kubischer Gleichungen

x = 3p

2 +p�121 + 3

p2�p�121

= 3p

2 +p�1 · 11 + 3

p2�p�1 · 11

= 2 +p�1 + 2�p�1

= 4.

.

Beim Ubergang vom vorletzten zum letzen Ausdruck ist der monstrose Aus-druck

p�1 einfach schnell sang und klanglos aus der Gleichung verschwun-den. Wir bleiben zuruck mit x = 4 und in der Tat gilt

43 � 15 · 4� 4 = 64� 60� 4 = 0.

Diese wir wir aus heutiger Sicht sagen wurden komplexen Zahlen – alsoZahlen der Form a+ b

p�1 – die hier nur kurz in eine Zwischenrechnung auf-blitzen sollten fur die Mathematik von großter Bedeutung werden. KomplexeZahlen sind eines der großten verallgemeinernden Themen in der Mathe-matik. Viele E↵ekte die im Reellen als merkwurdige Sonderfalle auftreten,betten sich in einem komplexen Kontext plotzlich in ein ubergeordnetes undsystematisches Ganzes ein. Das Losen kubischer Gleichungen ist davon erstder Anfang.

6 Gleichungen 4. Grades

Unsere Geschichte geht noch weiter und wieder betritt ein neuer Akteur dieBuhne: Lodoviko Ferrari, der Meisterschuler von Cardano. Ihm gelang ba-sierend auf den Uberlegungen del Ferros, Tartaglias und Cardano ein we-sentlicher weiterer Schritt, den zu diesem Zeitpunkt wohl kaum jemand furmoglich (oder zumindest so schnell erreichbar) eingestuft hatte. Ihm gelanges, ein allgemeines Verfahren zum Losen von quartischen Gleichungen, al-so Gleichungen vierten Grades anzugeben. Fur solche Gleichungen der Formx4 + ax3 + bx2 + cx + d = 0 gibt es auch eine geschlossene Losungsformelganz ahnlich zu quadratischen oder kubischen Gleichungen. Sie hier aufzu-notieren wurde allerdings wohl eine komplette Seite fullen. Dies ware wohlaber gar nicht im Sonne von Ferrari, denn was er angab ist vielmehr einLosungsverfahren als eine geschlossene Formel (in gewissem Sinne ahnlichdem Algorithmus von al-Khwarizmi).

Wir wollen uns hier nicht ganz an die historisch zuerst ubermitteltenLosungsverfahren halten, wollen aber zumindest verdeutlichen wie ein solchesLosungsverfahren aussehen kann und nachweisen, dass ein solches uberhauptexistiert. Hierbei werden wir feststellen, dass sich die Losung von Gleichungen4. Grades durch geschickte Uberlegungen auf Tartaglias Formel zum Losenvon Gleichungen dritten Grades zuruckfuhren lasst. Wir wollen dabei wiederbewusst den modernen Blick einnehmen und die Verstandlichkeit in den Vor-

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6 Gleichungen 4. Grades 215

dergrund stellen. Dennoch mussen wir dazu ein wenig in die Trickkiste derLinearen Algebra greifen.

Der Schlussel zum Verstandnis liegt in der Betrachtung von Kegelschnit-ten. Kegelschnitte sind algebraische Kurven in der Ebene die sich als Null-stellengebilde von quadratischen Gleichungen der Form

ax2 + by2 + cxy + dx+ ey + f = 0.

Hierbei sind a, . . . , f feste Parameter die den Kegelschnitt beschreiben undx, y Variablen. Der Kegelschnitt K

a,...,f

besteht aus all jenen Vektoren(x, y) 2 R2, die die obige Gleichung erfullen. Man kann Kegelschnitte reinalgebraisch betrachten oder auch geometrisch. Kegelschnitte haben ihren Na-men daher, dass sie (zumindest fast alle) als Schnitt eines Doppelkegels ubereinem Kreis, mit einer Ebene entstehen. Bereits seit der Antike ist bekanntdass die entstanden Schnittkurven hierbei Kreise, Ellipsen, Parabeln, oderim Grenzfall auch Paare von Geraden sein konnen.2

Fur geeignete Wahlen der Parameter a . . . f entstehen aus aus der Schulebekannte Kurven. So ist z.B. ein Kreis mit Mittelpunkt (m

x

,my

) und Radiusp als eine Kegelschnitt mit Parametern a = b = 1, c = 0, d = �2 · m

x

, e =�2m

y

und f = m2x

+ m2y

� r2. Dies ergibt sich direkt aus Umformung derKreisgleichung (x � m

x

)2 + (y � my

)2 = r2. Eine Einheitsparabel x2 = yergibt sich fur a = 1, e = �1 und b = c = d = f = 0. Eine Gerade G lasstsich als Nullstellenmenge einer linearen Gleichung g1x+ g2y + g3 darstellen.Multipliziert man diese mit der Gleichung h1x + h2y + h3 einer weiterenGeraden H erhalt man den Ausdruck

(g1x+ g2y + g3)(h1x+ h2y + h3)

= g1h1x2 + g2h2y2 + (g1h2 + g2h1)xy + (g1h3 + g3h1)x+ (g2h3 + g3h2)y + g3h3

Die Nullstellenmenge dieser (o↵ensichtlich quadratischen) Gleichung ist einKegelschnitt der aus der Vereinigung der beiden Geraden G und H besteht.Die drei eben beschriebenen Sonderfalle von Kegelschnitten, Kreise Einheits-parabel und Geradenpaare werden im Folgenden eine entscheidende Rollespielen. Bevor wir uns der Losung von Gleichungen 4. Grade zuwenden wol-len wir eine wichtige Eigenschaft angeben die charakterisiert wann ein Kegel-schnitt gegeben durch ax2 + by2 + cxy+ dx+ ey+ f = 0 in Geraden zerfallt.Hierzu beobachten wir zunachst, dass sich diese Gleichung als

(x, y, 1)

0

B@2a c d

c 2b e

d e 2f

1

CA

0

@xy1

1

A = 0

2 Kegelschnitten sind ubrigens Kurven die in Natur und Technik recht haufig auftreten.Angefangen vom Lichtfleck denn eine Taschenlampe auf einer Wand wirft, bis hin zur Formvon Planetenbahnen

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216 13 Die Losung kubischer Gleichungen

schreiben lasst. Die linke Seiten ist genau das Doppelte der ursprunglichenlinken Seite. Zu jedem Kegelschnitt gehort also eine symmetrische 3⇥ 3 Ma-trix. Die Eigenschaft ob ein Kegelschnitt nun in zwei Geraden zerfallt kannman an der Determinante dieser Matrix ablesen. Es gilt

Lemma 13.1. Die Determinante der obigen Matrix verschwindet genau dann,wenn der zugehorige Kegelschnitt sich als Produkt zweier Geradengleichungen(mit eventuell komplexen Koe�zienten) schreiben lasst.

Beweis. (BEWEIS EVTL WEGLASSEN) Seien zunachst zwei Geraden Gund H gegeben, die zusammen einen Kegelschnitt bilden. Die Geradenglei-chungen seien g1x+ g2y+ g3 = 0 und h1x+ h2y+ h3 = 0. Multipliziert mandie beiden linken Seiten (siehe oben) und bildet die zugehorige Matrix ergibtsich

0

B@2g1h1 g1h2 + g2h1 g1h3 + g3h1

g1h2 + g2h1 2g2h2 g2h3 + g3h2

g1h3 + g3h1 g2h3 + g3h2 2g3h3

1

CA

Es ist ein klein wenig muhsam die Determinante dieser Matrix von Handauszurechnen. Tut man dies aber (oder lasst es einen Computer tun), so stelltsich aber heraus, dass sich alle Summenden gegenseitig wegheben und somitdiese Determinante genau 0 ist. Man kann dies auch folgendermaßen einsehen.Die obige Matrix lasst sich als Summe zweier Rang 1 Matrizen schreiben. Sieist:

0

B@g1h1 g1h2 g1h3

g2h1 g2h2 g2h3

g3h1 g3h2 g3h3

1

CA+

0

B@g1h1 g2h1 g3h1

g1h2 g2h2 g3h2

g1h3 g2h3 g3h3

1

CA .

Eine solche Matrix hat somit maximal Rang 2 und damit verschwindet derenDeterminante. Die Matrix eines Kegelschnittes der in zwei Geraden zerfallthat somit eine verschwindende Determinante.

Es bleibt zu zeigen, dass, wenn eine symmetrische Matrix die Determinante0 hat, der zugehorige Kegelschnitt sich als Produkt zweier Geradengleichun-gen schreiben lasst. Wir wollen diesen Teil hier nicht im Detail ausfuhrenes hier nur skizziert. Eine symmetrische 3 ⇥ 3 Matrix kann mittels der ausder Linearen Algebra bekannten Hauptachsentransformation diagonalisiertwerden. Betrachtet man den zur zugehorigen Diagonalmatrix gehorendenKegelschnitt, so kann man zeigen, dass dieser eine perspektivische Verzer-rung des ursprunglichen Kegelschnittes darstellt. Insbesondere besteht auchdieser wieder aus zwei Geraden sofern der ursprungliche Kegelschnitt auszwei Geraden bestand. Hatte die ursprungliche Matrix eine verschwindendeDeterminante, so muss auch die Determinante der Diagonalmatrix verschwin-den. Also ist ein Diagonaleintrag gleich 0. Man kann nun Zeigen, dass einesolche Diagonalmatrix mit einem Nulleintrag immer zu einem in Geraden

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6 Gleichungen 4. Grades 217

zerfallenden Kegelschnitt fuhrt. Exemplarisch soll dass hier am Beispiel einerspeziellen Diagonalmatrix mit einer 0 im letzen Eintrag demonstriert werden.Die Matrix sei: 0

B@

1 0 0

0 �1 0

0 0 0

1

CA .

Die Zugehorige Kegelschnittgleichung ist dann 0 = x2�y2 = (x�y)(x+y) undentspricht somit den beiden durch den Koordinatenursprung verlaufenden 45�

Geraden.ut

Es sollen hier nicht alle Details die zur Losung von Gleichungen 4. Gra-des erortert werden, aber es soll zumindest ein grober Uberblick uber dasVerfahren gegeben werden. Es lasst sich in mehrere Schritte zerlegen. Einigeder Schritte erfordern wiederum das Losen von Gleichungen. Das großartigean diesem Verfahren ist, dass man in jedem einzelnen Schritt lediglich qua-dratische oder kubische Gleichungen losen muss. Setzt man also TartagliasVerfahren zum Losen von kubischen Gleichungen sowie das Losen quadrati-scher Gleichungen als bekannt voraus, so wird durch das folgende Verfahrendas Losen von Gleichungen vierten Grades auf das Losen quadratischer undkubischer Gleichungen zuruckgefuhrt.

Schritt 1: Es genugt x4 + ax2 + bx + c = 0: Dieser Schritt ist einfachund macht das Leben erheblich leichter. Ist das ursprungliche Problem dieGleichung z4 + rz3 + sz2 + tz + u = 0 zu losen so kann man sie durch eineSubstitution x = z � r/4 daraus eine Gleichung machen, in der der Termx3 nicht vorkommt. Somit ist die ursprungliche Gleichung auf eine kubischeGleichung zuruckgefuhrt, bei der der x3 Term nicht vorkommt.

Schritt 2: Ruckfuhrung auf ein geometrisches Problem: Wir wollenalso nun die Gleichung x4+ax2+bx+c = 0 losen. Die Parameter a, b, c sind indieser Gleichung beliebig. Wir konnen nun dieses Problem auf das Schneideneines Kreises mit einer Einheitsparabel zuruck fuhren. Wir betrachten dazudie folgenden beiden Gleichungen.

x2 = y

(x�mx

)2 + (y �my

)2 = r2

Wir suchen alle Losungen dieses Gleichungssystems. Multipliziert man diezweite Gleichung aus und ersetzt mittels der ersten Gleichung die Variable yergibt sich

0 = x2 + y2 � 2mx

x� 2my

y +m2y

+m2x

� r2

= x2 + x4 � 2mx

x� 2my

x2 +m2y

+m2x

� r2

= x4 + (1� 2my

) · x2 � 2mx

· x+m2y

+m2x

� r2

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218 13 Die Losung kubischer Gleichungen

Wahlt man nun

mx

= �b/2, my

= (a� 1)/2, r =q

m2x

+m2y

� c

so ergibt sich genau unsere zu losende Gleichung. Wir haben also das Problemder Gleichung 4. Grades zuruckgefuhrt auf das Finden der Schnittpunkteeines Kreises mit obigem Mittelpunkt und Radius und einer Einheitsparabel.

AB

C D

Schritt 3: Finden der Schnittpunkte: Bisher ist nicht einzusehen,warum das Problem durch diese Transformationen in irgend einer Art undWeise einfacher geworden sein sollte. Der Punkt ist, dass man das auf-finden der Schnittpunkte zweier beliebigen Kegelschnitte geschickt auf dasLosen von kubischen Gleichungen zuruckfuhren kann. Hierzu machen wirfolgende Uberlegung. Es seine A und B die symmetrischen Matrizen diezwei unterschiedliche Kegelschnitte A und B reprasentieren. Fur eine Punk-te p = (x, y, 1)T sind die beiden entsprechenden KegelschnittgleichungenpTAp = 0 und pTBp = 0. Diese Rolle dieser beiden Kegelschnitte soll spatervon der Einheitsparabel und dem Kreis ubernommen werden. Wir wollen nundie Schnittpunkte dieser beiden Kegelschnitte bestimmen. Hierzu betrach-ten wir eine Matrix, die sich als Linearkombination M

:= A + �B ergibt.Zunachst stellen wir fest, dassM

wiederum symmetrisch ist und somit durchpTM

p = 0 einen Kegelschnitt reprasentiert. Unsere zweite Beobachtung istdie folgende.

Lemma 13.2. Fur beliebiges � geht der zu M�

gehorende Kegelschnitt durchdie Schnittpunkte von A und BBeweis. Es sei p = (x, y, 1)T ein Schnittpunkt von A und B. Es gilt alsopTAp = 0 und pTBp = 0. Somit ergibt sich pTM

p = pT (A + �B)p =pTAp + �pTBp = 0 + �0 = 0. Das bedeutet dass p auch auf dem zu M

gehorigen Kegelschnitt liegt. ut

Was hilft das Betrachten von M�

? Es stellt sich heraus, dass in der Scharvon Kegelschnitten, die erzeugt wird wenn � 2 C alle Werte durchlauft einigeEnthalten sind die besonders einfach sind. Es gibt namlich drei Situationenfur die der zu M

gehorige Kegelschnitt in zwei Geraden zerfallt. SolcheSituationen liegen genau dann vor wenn

0 = det(M�

) = det(A+ �B).

Wir wollen diese Determinante nicht komplett ausmultiplizieren, das einzigewas wir hier brauchen, ist die Tatsache, das wenn wir diese ausmultiplizie-ren sich ein Polynom f(�) ergibt dass kubisch in � ist. Wir konnen dessenNullstellen durch das Losen einer kubischen Gleichung finden.

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6 Gleichungen 4. Grades 219

Ab dieser Stelle wird der Rest der Prozedur vergleichsweise einfach. Essei � ein konkreter Wert fur den die Determinante von M

verschwindet(mindestens einen solchen reellen Wert muss es bei kubischen Polynomen jageben). Der entsprechende Kegelschnitt zerfallt in zwei Geraden. Deren Ge-radengleichungen g1x + g2y + g3 = 0 und h1x + h2y + h3 = 0 kann mandurch das Losen einer quadratischen Gleichung aus der Matrix M

gewin-nen. (Die Details von diesem Schnitt kann man z.B. in [...] nachlesen.). Diesebeiden Geraden verlaufen nun jeweils durch zwei unserer gesuchten Schnitt-punkte (deren Vereinigung muss ja alle vier tre↵en). Die vier Schnittpunkteergeben sich also dadurch dass wir jede dieser (linearen) Gleichungen wie-derum mit einem der Kegelschnitte A oder B (egal mit welchem) schneiden.Dies fuhrt wiederum jeweils auf die Aufgabe eine quadratische Gleichung zuLosen. Dieses Verfahren kann allgemein angewandt werden im zwei beliebigeKegelschnitte zu scheiden.

Wir wollen uns kurz ansehen, was dies fur den konkreten Fall unserer zuschneidenden Einheitsparabel und Kreis bedeutet. Es sei der Kreis durch dieGleichung x2 + y2 + ↵x + �y + � gegeben. Die Matrizen des Kreises A undder Einheitsparabel B sind dann

0

B@

2 0 ↵

0 2 �

↵ � �

1

CA ,

0

B@

2 0 0

0 0 �1

0 �1 0

1

CA .

Als konkrete, fur die Zerlegung zu losende Gleichung ergibt sich

�3 + (1� 2�)�2 + (�2 � 2� � 2�)l + ↵2 + �2 � 2� = 0

Nicht einfach, aber mit den Methoden der vorherigen Kapitel machbar. Hatman nach dem Zerlegen der degenerierten Matrix erst einmal die Geraden-gleichungen g1x+ g2y + g3 = 0 und h1x+ h2y + h3 = 0 gefunden, so werdendiese durch einsetzen in die Einheitsparabel zu ganz einfachen quadratischenGleichungen

g1x+ g2x2 + g3 = 0 und h1x+ h2x

2 + h3 = 0.

Uberblick: Kurz sollen hier nochmals der Ubersicht halber die zum Losenvon z4 + rz3 + sz2 + tz + u = 0 notigen Schritte im Uberblick aufgelistetwerden

• Substitution x = z � r/4 um auf x4 + ax2 + bx+ c = 0 zu kommen.

• Bestimmen der Parameter fur den Kreismx

= �b/2, my

= (a�1)/2, r =qm2

x

+m2y

� c.

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220 13 Die Losung kubischer Gleichungen

• Au�nden eines � bei dem det(A+ �B) verschwindet. Dies erfordert dasLosen der einer kubischen Gleichung!

• Zerlegen der zugehorigen Matrix M�

in zwei Geraden. Dies erfordert dasLosen der einer quadratischen Gleichung.

• Schneiden dieser beiden Geraden mit der Einheitsparabel. Dies erfordertwiederum das Losen von quadratischen Gleichungen.

7 Das Ende der Geschichte. . .

. . . ist kurz und fur Tartaglia bitter. Er wurde von Ferrari zum Duell her-ausgefordert. Das Duell fand am 10 August 1548 in Milano statt. Tartagliaerwartete zunachst als klarer Sieger aus dem Duell hervorzugehen. Doch Fer-raris Aufgaben erforderten allesamt das Wissen um die Losung von Gleichun-gen von Grad 4 und waren fur Tartaglia allesamt unlosbar. Tartaglia brachdas Turnier vorzeitig ab und verließ Milano in der darau↵olgenden nacht, umdas Turnier als unentschieden dastehen zu lassen. In der o↵entlichen Meinunghatte er allerdings haushoch verloren. In Folge dessen verlor Tartaglia zuneh-mende seine Kunden in Venedig und damit verbunden seine Finanzierungein.