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Aus dem Institut fiir physikalische Chemie der Universitat Koln Die Oberflachen-Pfropfungvon Polyvinylpyrrolidon mit Acrylnitril unter dem EinfluB von Co-60-Gamma-Strahlen, und die Quellungseigenschaften der gebildeten Produkte Von ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL HERRN PROF. DR. PAUL GUNTHER ZUM 65. GERURTSTAG GEWIDMET (Eingegangen am 21. September 1957) ZUSAMMENFASSUNG: Polyvinylpyrrolidon-Folien werden beim Eintauchen in benzolische Losungen von Acrylnitril unter dem EinfluB von Gamma-Strahlen an ihrer Oberfliche mit Polyacryl- nitril uberpflanzt. Der Vorgang verlauft in zwei Phasen: In der ersten, schnell ablaufenden Phase erfolgt die Polymerisation des von der Folie vor der Bestrahlung angesaugten Mono- meren in einer Reaktionsschicht von ca. 0,1 mm unmittelbar unter der Oberfliche der Folie. In der zweiten Phase ist die Pfropfung ein langsamer, durch das Nachdiffundieren des Acrylnitrils kontrollierter ProzeB. Bei Anwesenheit von Sauerstoff in der Losung erfolgt die Pfropf-Polymerisation in einer Schicht innerhalb der Folie, die jedoch nicht bis an deren Oberfliche reicht (eingelagerte Pfropfung). Die Begriffe ,,Oberfllchen-Pfropfg", ,,eingelagerte Pfropfung" und ,,durchgehende Pfropfung" werden erlautert und die Ab- hangigkeit dieser Reaktionen von verschiedenen Versuchsbedingungen diskutiert. Die durch die Aufpfropfung des Acrylnitrils gebildeten Schichten der Folien haben die Eigenschaften semipermeabler Membranen. Bei der Quellung gepfropfter Folien dringt das Losungsmittel solange ein, bis der osmotische Druck im Innern der Folie gleich ist dem Gegendruck der durch die VolumvergroBerung elastisch gedehnten Membranschicht. Sol- che gequollenen Folien sind selbst bei 90 Gew.-yo des aufgenommenen Losungsmittels formbestandig und elastisch. Oberflachen-gepfropfte Folien des Polyvinylpyrrolidons erweisen sich a h ein physiko- chemisches Modellsystem fiir biologische Zellen hinsichtlich der bei der Wasseraufnahme auftretenden osmotischen Erscheinungen und der durch den Turgordruck bedingten me- chanischen Eigenschaften solcher Objekte. SUMMARY: Under the influence of gamma-rays, the surface of foils of polyvinylpyrrolidone dip- ped into a solution of acrylonitrile in benzene, is grafted by polyacrylonitrile. This grafting reaction proceeds in two steps: The first step being the polymerization of monomer absorbed before irradiation in a film of approximatively 0.1 mm just under the surface of the foil. During the slower second step the grafting is controlled by the diffusion of further amounts of acrylonitrile. In solutions containing oxygen the graftpolymerization proceeds in a layer within the foil, yet not extending up to the surface (imbedded grafting). The terms ,surface grafting", ,,imbedded grafting" and ,,bulk grafting" are elucidated and the dependence of these processes on the different conditions is discussed. 119

Die oberflächen-pfropfung von polyvinylpyrrolidon mit acrylnitril unter dem einfluß von co-60-gamma-strahlen, und die quellungseigenschaften der gebildeten produkte

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Aus dem Institut fiir physikalische Chemie der Universitat Koln

Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon mit Acrylnitril unter dem EinfluB von Co-60-Gamma-Strahlen,

und die Quellungseigenschaften der gebildeten Produkte

Von ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

HERRN PROF. DR. PAUL GUNTHER ZUM 65. GERURTSTAG GEWIDMET

(Eingegangen am 21. September 1957)

ZUSAMMENFASSUNG: Polyvinylpyrrolidon-Folien werden beim Eintauchen in benzolische Losungen von

Acrylnitril unter dem EinfluB von Gamma-Strahlen an ihrer Oberfliche mit Polyacryl- nitril uberpflanzt. Der Vorgang verlauft in zwei Phasen: In der ersten, schnell ablaufenden Phase erfolgt die Polymerisation des von der Folie vor der Bestrahlung angesaugten Mono- meren in einer Reaktionsschicht von ca. 0,1 mm unmittelbar unter der Oberfliche der Folie. In der zweiten Phase ist die Pfropfung ein langsamer, durch das Nachdiffundieren des Acrylnitrils kontrollierter ProzeB. Bei Anwesenheit von Sauerstoff in der Losung erfolgt die Pfropf-Polymerisation in einer Schicht innerhalb der Folie, die jedoch nicht bis an deren Oberfliche reicht (eingelagerte Pfropfung). Die Begriffe ,,Oberfllchen-Pfropfg", ,,eingelagerte Pfropfung" und ,,durchgehende Pfropfung" werden erlautert und die Ab- hangigkeit dieser Reaktionen von verschiedenen Versuchsbedingungen diskutiert.

Die durch die Aufpfropfung des Acrylnitrils gebildeten Schichten der Folien haben die Eigenschaften semipermeabler Membranen. Bei der Quellung gepfropfter Folien dringt das Losungsmittel solange ein, bis der osmotische Druck im Innern der Folie gleich ist dem Gegendruck der durch die VolumvergroBerung elastisch gedehnten Membranschicht. Sol- che gequollenen Folien sind selbst bei 90 Gew.-yo des aufgenommenen Losungsmittels formbestandig und elastisch.

Oberflachen-gepfropfte Folien des Polyvinylpyrrolidons erweisen sich a h ein physiko- chemisches Modellsystem fiir biologische Zellen hinsichtlich der bei der Wasseraufnahme auftretenden osmotischen Erscheinungen und der durch den Turgordruck bedingten me- chanischen Eigenschaften solcher Objekte.

SUMMARY: Under the influence of gamma-rays, the surface of foils of polyvinylpyrrolidone dip-

ped into a solution of acrylonitrile in benzene, is grafted by polyacrylonitrile. This grafting reaction proceeds in two steps: The first step being the polymerization of monomer absorbed before irradiation in a film of approximatively 0.1 mm just under the surface of the foil. During the slower second step the grafting is controlled by the diffusion of further amounts of acrylonitrile. In solutions containing oxygen the graftpolymerization proceeds in a layer within the foil, yet not extending up to the surface (imbedded grafting). The terms ,surface grafting", ,,imbedded grafting" and ,,bulk grafting" are elucidated and the dependence of these processes on the different conditions is discussed.

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ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

The layers resulting from the grafting of acrylonitrile show the same properties as semi- permeable membranes. On swelling the solute will imbibe the grafted foil until the osmotic pressure in the foil itself, is counterbalanced by the pressure of the stretched membrane. Such swollen foils have defined form and are elastic even a t a 90% weight content of solute.

Surface grafted foils of polyvinylpyrrolidone prove to be physico-chemical models of biological cells concerning the osmotic phenomena when imbibed by water, and the me- chanical properties of such objects due to its turgor pressure.

Einleitung

Eine Methode allgemeiner Anwendbarkeit zur Herstellung von Pfropf- und Block-Mischpolymeren besteht darin, daB ein Polymeres An durch geeignete Strahlung in Gegenwart einer polymerisierbaren Vinylverbin- dung B zersetzt wird; die intermediar auftretenden radikalischen Bruch- stucke des Polymeren losen dann die Polymerisation des Monomeren aus, das so in Form langer Ketten Bn an das ursprungliche Polymere An ,,anwachst". Baut man das Polymere A, durch Ultraschall ab, entstehen intermediar nur endstandige freie Makro-Radikale und man erhalt Block- Mischpolymere An-Bnl). Unter dem EinfluB ionisierender Strahlen er- fahren zahlreiche makromolekulare Stoffe neben dem Abbau ihrer Haupt- kette auch eine Zersetzung der Seitengruppen; die entstehenden mittel- standigen Makro-Radikale k6nnen zahlreiche chemische Reaktionen ein- gehena4) und reagieren mit einem Monomeren B zu Pfropf-Mischpoly- meren

A-A-A-A-A-A-A 6-71

Ein Sonderfall dieser Pfropfung ist die ,,Oberflachenpfropfung" : Re- strahlt man eine vorgegebene Form des Polymeren An in Kontakt mit der Losung einer Vinylverbindung oder mit der reinen Vinylverbindung, in denen An unloslich ist, so kann die Vinylverbindung nur an den auf

A. HENGLEIN, Makromolekulare Chem. 14 (1954) 128. 2, A. HENGLEIN u. M. BOYSEN, Makromolekulare Chem. 20 (1956) 83. 3, A. HENGLEIN, M. BOYSEN u. W. SCHNABEL, Z. physik. Chem. N F 10 (1957) 137. 4) A. HENGLEIN, CH. SCHNEIDER u. W. SCHNABEL, Z. physik. Chem. NF 12 (1957) 339. 6 , L. BOUBY, A. CEAPIRO, M. MAGAT, E. MIGIRDICYAN, A. PREVOT-BERNAS, L. REINISCH

u. J. SEBBAN, Peaceful uses of atomic energy, Proceedings of the International Con- ference in Geneva, August 1955, Vol. 7, s. 526.

E, A. CHAPIRO, Ind. Plast. mod., Febr. 1957, 34; A. CHAPIRO, Chemie et Industrie 76 (1956) 754; A. CEAPIRO, M. MAGAT u. J. SEBBAN, FP. 1130099, FP. 1130 100.

7, W. K. W. CHEN, R. B. MESROBIAN, D. S. BALLANTINE, D. J. METZ u. A. GLINES, J. Polymer Sci. 23 (1957) 903.

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Die Oberfllchen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

der Oberflache des Polymeren gebildeten freien Radikalstellen anwach- sen, mit denen das Monomere in Beruhrung steht. I n diesem Fall wird die Form des ursprunglichen Polymeren An mit einer Schicht Bn uber- zogen.

Die Quellungserscheinungen solcher oberflachen-gepfropfter Polymerer verdienen neben anderen Eigenschaften besonderes Interesse. Die Er- scheinungen, die bei der Quellung durch ein Losungsmittel, in dem An unloslich und Bn loslich ist, auftreten, sind am Beispiel Polyathylen-auf- gepfropftes Polyacrylnitril untersucht wordens). Wir haben Untersu- chungen uber Quellungsvorgange angestellt, bei denen An im verwende- ten Losungsmittel loslich, Bn jedoch unloslich ists). Prinzipiell ergeben sich hier drei Moglichkeiten: 1. Die aufgepflanzte Schicht Bn ist undurchlassig fur das Losungsmittel. 2. Die aufgepflanzte Schicht Bn besitzt die Eigenschaften einer semi-

permeablen Membran: Sie ist durchlassig fur das niedermolekulare Losungsmittel, aber undurchlassig fur Makromolekeln An.

3. Die aufgepflanzte Schicht Bn ist durchlassig fur das Losungsmittel und fur Makromolekeln An.

Im ersten Fall ist eine Quellung und Auflosung des gepfropften Poly- meren nicht moglich. I m dritten Fall tritt Quellung und anschlieBend fast vollstiindige Auflosung des Polymeren An ein. Fall 2 verdient be- sonderes Interesse wegen der durch die aufgepfropfte semipermeable Membran hervorgerufenen osmotischen Erscheinungen bei der Quellung. Das erste Beispiel dieser Art fanden wir am System Polyvinylpyrrolidon (PVP) - aufgepfropftes Polyacrylnitril (PAN), das im folgenden be- schrieben wird. Es sei jedoch schon jetzt erwahnt, daB Fall 2 nicht auf dieses System beschrankt ist ; wir konnten inzwischen weitere Polymere unter dem EinfluB von Gamma-Strahlen mit semipermeablen Ober- flachenschichten uberziehen.

Experimentelles

Die Versuche wurden meist mit PVP-Folien der GroBe 3-0,8 cm und Dicken zwischen 0,l-2 mm durchgefiihrt. Die Folien wurden durch AufgieBen und Eintrocknen wasseriger PVP-Losungen auf Quecksilber hergestellt. Zur Pfropfung wurde eine Folie in einem reagenzglasformigen BestrahlungsgefiB vollstandig mit einer Lasung von Acrylnitril in Benzol oder in Tetrachlorkohlenstoff iibergossen; die Luft wurde aus dem GefaD durch Durchleiten reinen Argons wHhrend 30 Minuten entfernt und das abgeschlossene GefaB anschlieaend der Gamma-Strahlung eines Co-60-Priiparats von 62 Curie ausgesetzt. Die Bestrahlungen erfolgten bei Zimmertemperatur. Nach der Bestrahlung wurde die Folie

8 , A. CHAPIRO, J. Polymer Sci. 23 (1957) 377. g, A. HENGLEIN u. W. SCHNABEL, Naturwissenschaften 44 (1957) 376.

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.4RNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

durch leichtes mechanisches Abwischen von anhaftendem Homo-Polymeren des Poly- acrylnitrils befreit, das in der Losung unter dem EinfluR der Strahlung gebildet wird und wahrend der Bestrahlung als weiRer Niederschlag ausfallt. Die Folie wurde anschlieRend getrocknet und gewogen; die Gewichtszunahme ergab die Menge des aufgepfropften Acrylnitrils.

Bei den Quellungsvereuchen erfolgte die Bestimmung der Menge des aufgenommenen Losungsmittels durch Wagung des gequollenen Polymeren. Es wurde vor der Wagung durch Betupfen mit Filterpapier von aunerlich anhaftendem Losungsmittel befreit.

Intensitatsbestimmungen geschahen mit dem Fe2+-Dosimeter.

Pfropfungsversuche PVP ist unloslich in Benzol und loslich in Acrylnitril. Die Konzentra-

tion des Acrylnitrils in der benzolischen Losung wurde unter 30 Vol.-yo gehalten, um eine Weichmachung oder gar Auflosung der PVP-Folie zu vermeiden. Die Pfropfung in Abhangigkeit von der Bestrahlungszeit und bei verschiedenen Acrylnitril-Konzentrationen zeigt Abb. 1. Man erkennt, dalj der Pfropfungsvorgang in zwei Phasen verlauft : Bei kurzen Bestrah- lungszeiten tritt eine schnelle Zunahme der Menge des aufgepfropften Acrylnitrils ein. Bei langeren Zeiten nimmt sie nur noch langsam mit der Bestrahlungszeit zu; praktisch wird ein Grenzwert fur die Menge des aufpfropfbaren Acrylnitrils erreicht, der mit steigender Konzentration des Acrylnitrils grol3er und aul3erdem nach kurzerer Bestrahlungszeit er- reicht wird.

Besfrahlungszeit [h] - Abb. 1. Menge des aufgepfropften Acrylnitrils in Abhangigkeit von der Bestrahlungszeit

Konzentration des Acrylnitrils in der benzolischen Losung: Kurve 1 :25 Vol.- %; Kurve 2 : 19 Vol.- %; Kurve 3: 13 V0l.-%. Dicke der PVP-Folien: 0,36 mm. Mittl. Molekulargewicht des PVP: 5,5-105.

Intensitat: 1,6.105 r/h. 122

Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

Unter einer ,,echten Oberflachenpfropfung" des PVP wird man eine Reaktion verstehen, die sich unmittelbar unter der Oberflache innerhalb einer Schicht abspielt, deren Dicke von atomaren Dimensionen ist, d. h. ca. cm. Nun betragt die Energie in eV, die in 1 ccm PVP durch eine Dosis von D Rontgen der Co-60-Gammastrahlung absorbiert wird:

E/ccm = 5 ,24~1013~1 ,08~1 ,15~D = 6,51.1Ol3.D

(1,08: Verhaltnis der Zahl der Elektronen in 1 g PVP und 1 g Luft; 1,15: Uichte der PVP-Folien). Der G- Wert der Zersetzung organischer Ver- hindungeii von der Struktur des PVP betragt etwa 15 gebildete freie Ra- dikale pro 100 eV absorbierter Strahlenenergies). Somit 1aRt sich die Zahl der die Polymerisation des Acrylnitrils auslosenden Radikale, die nach einer Bestrahlungszeit von 2 Stunden (3,2. lo5 Rontgen bei den Versu- chen nach Abb. 1) in 1 cm2 jener Oberflachenschicht gebildet werden, abschatzen:

15 - *6,51. 10ls.3,2* 105*10-7 = 3 , l . loll 100

Die nach dieser Zeit aufgepfropfte Menge Acrylnitril hetragt bei den Ver- suchen nach Kurve 1 in Abb. 1 7 mg/cm2, entsprechend 7,9 a 10'9 Moleku- len Acrylnitril pro qcm. Demnach muRte jedes freie Radikal, das im PVP durch die Strahlung gebildet worden ist, 7,9 1019/3,1 . loll = 2,5.108 Mo- lekule Acrylnitril zur Polymerisation gebracht haben. Eine so groRe Ket- tenlange bei einer Polymerisation ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Es ist deshalb anzunehmen, daR die Pfropfung bei den Versuchen nach Abb. 1 in einer Schicht unterhalb der Oberflache zustande gekommen ist, die wesentlich dicker als lo-' cm ist. Rechnet man mit einer plausiblen Ket- tenlange von 2,5 . 1 03, so erhalt man fur die ,,Reaktionsschicht" eine Dicke von 2,5 108/2,5 - lo3. lop7 = cm. Diese Zahl stimmt recht gut uber- ein mit den experimentell ermittelten Dicken fur die Reaktionsschicht (vgl. unten u. Tab. 2). Die erhaltenen gepfropften PVP-Folien haben dem- nach nicht die Struktur zweier exakt, abgegrenzter Schichten aus PVP und PAN, die an ihrer Beruhrungsflache durch chemische Bindungen miteinander verknupft sind.

Vielmehr ergibt sich nun folgende Vorstellung fur den Pfropfungsvor- gang: Das Acrylnitril diffundiert vor der Bestrahlung aus der benzoli- schen Losung in die PVP-Folie ein. Diese Diffusion erfolgt langsam, so daR die Folie zu Beginn der Bestrahlung noch nicht gleichmal3ig mit ange- saugtem Acrylnitril beladen ist. Vielmehr besteht von a d e n nach innen ein Konzentrationsgefalle an aufgenommenem Acrylnitril. Die Polymeri-

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ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

sation findet bei der Restrahlung praktisch nur in einer etwa 0,l mm dik- ken Schicht unter der Oberflache statt, in der die Konzentration des an- gesaugten Acrylnitrils groB genug ist. Das AuBere einer gepfropften Folie ist demnach als eine Schicht eines Pfropfpolymeren aus PVP und PAN anzusehen, wobei das Verhaltnis PVP/PAN in dieser Schicht von innen nach aul3en abnimmt. 1st die Folie sehr dunn (0,2 mm), so reicht die Reaktionsschicht bis in das Innere der Folie und es erfolgt eine ,,durch- gehende Pfropfung"; der Ausdruck ,,Oberflachenpfropfung" verliert hier seinen Sinn. Durchgehen'de Pfropfung erfolgt auch, wenn eine Folie das Monomere sehr rasch aufnimmt, so daB sie vor der Bestrahlung vollstan- dig von diesem durchsetzt ist. Dies ist z. B. der Fall bei dem System Poly- athylen-Styrol ').

Diese Vorstellung laf3t denverlauf der Kurven in Abb. 1 erklaren: Je groBer die Konzentration des Acrylnitrils in der benzolischen Losung ist, desto rascher erfolgt seine Diffusion in die PVP-Folie. Dies erklart das Ansteigen der Pfropfgeschwindigkeit mit steigender Acrylnitril-Konzen- tration. Die erste Phase der Pfropfung ist die Polymerisation desjenigen Acrylnitrils, das vor der Bestrahlung in die Reaktionsschicht diffundiert ist. Unter den Bedingungen der Versuche in Abb. 1 ist dieses Acrylnitril nach den ersten zwei Stunden der Bestrahlung polymerisiert. Die weitere Pfropfung (Phase 2) kann nur stattfinden, wenn das Monomere aus der Losung nachdiffundieren kann. Nun ist aber das wahrend der ersten Be- strahlungszeiten gebildete, angepfropfte PAN nicht quellbar in Acryl- nitril, d. h. die Aufnahmefahigkeit der Folie fur Acrylnitril nimmt mit zunehmender Bestrahlungszeit ah. Das Eindiffundieren des Monomeren erfolgt in Phase 2 deshalb mit sehr geringer Geschwindigkeit; die Pfrop- fung ist nun ein diffusionskontrollierter, sehr langsamer ProzeB. Die Pfropfgeschwindigkeit in dieser zweiten Phase ist im Vergleich zu der Pfropfgeschwindigkeit in der ersten Phase um so geringer, je groDer die letztere ist. Denn je rascher die Pfropfung in Phase 1 verlauft, desto gro- Ber ist die angepfropfte PAN-Menge, die das weitere Nachdiffuddieren in Phase 2 um so wirksamer blockiert. Dies erklart das scharfe Umbiegen der Kurve 1 in Abb. 1 ; bei Kurve 3 ist die Geschwindigkeit der Pfropfung in Phase 2 wahrend wesentlich langerer Zeiten vergleichbar mit der Ge- schwindigkeit in Phase l, so da13 das Erreichen des ,,Grenzwertes" der Pfropfung hier allmahlicher erfolgt.

Die Aufnahmefahigkeit einer PVP-Folie fur Acrylnitril unter den Ver- suchsbedingungen der Abb. 1 hangt weitgehend von ihrer Beschaffenheit, insbesondere der Beschaffenheit ihrer Oberflache ab. Je nach der Art der Herstellung, z. B. bei verschiedener Geschwindigkeit der Eintrocknung

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Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

der wasserigen PVP-Losung, wird die Porositat einer Folie verschieden sein. Folien, die einige Zeit an feuchter Luft lagern, verandern sich eben- falls durch Aufnahme von Wasser. Reproduzierbare Ergebnisse bei der Pfropfpolymerisation wurden nur erhalten, wenn die verwendeten Fo- lien aus d.emselben HerstellungsprozeB stammten.

Der EinJu. von Sauerstofl auf die Pfropfung

Unter Clem EinfluB der Gamma-Strahlung t r i t t eine Zersetzung des Losungsmittels und des gelosten Acrylnitrils ein ; die entstehenden freien Radikale losen die Polymerisation des Monomeren in der Losung aus. Hierdurch wird homopolymeres Acrylnitril gebildet, das sich als Nieder- schlag abscheidet. Verwendet man Tetrachlorkohlenstoff als Losungs- mittel, ist die Menge des gebildeten Homo-Polymeren groBer als in ben- zolischer Losung; denn Tetrachlorkohlenstoff wird durch ionisierende Strahlung mit groBerem G,-Wert zersetzt als Benzo15). Nun laBt sich gegen die in Abb. 1 beschriebenen Versuche einwenden, daB das PAN der Folien nach der Bestrahlung gar nicht aufgepfropft sei, sondern lediglich ein Teil des in Losung gebildeten Homo-Polymeren sei, das sich auf der Folie niedergeschlagen habe und durch mechanisches Abwischen nicht entfernt werden konne. Dieser Einwand 1aBt sich leicht entkraften: Die Homo-Polymerisation des Acrylnitrils in der Losung laBt sich vollstan- dig unterbinden, wenn man die Restrahlung unter Luft durchfuhrt, ohne daB dabei die Pfropfungsreaktion in nennenswertem MaBe gesgort wird.

In Tabelle 1 sind einige Pfropf-Versuche zusammengestellt, die unter sonst gleichen Bedingungen bei Bestrahlung unter Argon- bzw. Luft-Atmosphare durchgefiihrt wurden. Die Menge des aufgepfropften Acrylnitrils ist bei Anwesenheit von Sauerstoff etwas geringer als bei Abwesenheit von Sauerstoff. I n keinem Fall konnte eine Polymerisation des Acrylnitrils in der benzolischen Losung bei Anwesenheit von Sauer- stoff festgestellt werden. Offenbar erfolgt die Diffusion des Sauerstoffs in die Losung rasch genug, um hier die Polymerisation des Acrylnitrils vollig zu unterbinden. Seine Diffusion von der Losung in die Reaktions- schicht der PVP-Folie ist jedoch zu gering, um hier die Polymerisation des angesaugten Acrylnitrils in erheblichem MaBe zu verhindern.

Die Struktur der bei Anwesenheit von Sauerstoff hergestellten Pfropf- Polymeren ist aber doch etwas verschieden von der Struktur der unter Argon praparierten Produkte. Dies macht sich bemerkbar, wenn man die gepfropften Folien dem EinfluB von Wasser aussetzt. Das Wasser dringt

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ARNIM HENCLEIN und WOLFRAM SCANABEL

Intensitat

r/h

Tabelle 1. Pfropfung von PVP-Folien bei Anwesenheit und Abwesenheit von Sauerstoff in der benzolischen Acrylnitrillosung

Bestrahlungszeit: 16 h

Acrylnitril- Konzentration Gasgehalt der aufgepfropftes PAN

Val.-% LOsung mg/cm2

2.104 .........

4,3.104 ........

1,6.106 ........

19

19

10

Argon Luft Argon Luft Argon Luft

durch die semipermeable Schicht des Pfropfpolymeren, und es kommt zu den unten naher beschriebenen Quellungsvorgangen. Die unter Argon hergestellten Proben fuhlen sich bei der Quellung in Wasser rauh an, da die Oberflache ja einen hohen Gehalt an nicht quellungsfahigem ange- pfropften PAN enthalt. Die unter Luft hergestellten Produkte fuhlen sich bei der Quellung weich und geschmeidig an. Dies weist darauf hin, daB in der auRersten Zone der Reaktionsschicht ein hoher Gehalt an PVP vorliegt, so daB eine Quellung der auBersten Zone moglich ist. Dies ist leiclit zu erklaren: Der Sauerstoff diffundiert von der Losung wohl in die Reaktionsschicht ein, doch erfolgt diese Diffusion so langsam, da13 seine Konzentration nur in der auBersten Zone der Schicht, welche mit der Losung direkt in Beriihrung steht, groB genug ist um hier die Polymeri- sation des angesaugten Acrylnitrils zu storen. Die Struktur der bei .4n- wesenheit von Sauerstoff erhaltenen Produkte ist demnach eine PVP- Folie, die etwas unter ihrer Oberflache eine Schicht des PVP-PAN-Pfropf- polymeren enthalt ; diese Schicht ist nochmal umgeben von einer dunnen Schicht aus reinem oder kaum gepfropftem PVP. Das PAN ist hier nicht an der Oberflache, sondern ,,eingelagert". Abb. 2 gibt eine schematische Darstellung der Vorgange bei der ,,Oberflachenpfropfung" (unter Argon- Atmosphare) und bei der ,,eingelagerten Pfropfung" (unter Luft- Atmo- sphare).

Quellungs- Versuche

Unter dem EinfluB von Methanol, Chloroform, Wasser und anderen Losungsmitteln, in denen PVP Ioslich und PAN unloslich sind, erfolgt cine Quellung der oberflachen-gepfropften Folien. Die Schicht des Pfropf-

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Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

PAN-Niedersrhlag (Homo-Polymerisation des Acrylnitri ls i n der benzol. Losung)

’ PVP-Folie Reaktionsschicht PAN (Oberflachen-Pfropfung) benzol. Losung (eindiffundiertes (Polymerisation des ein- von Acrylnitri l Acrylnitri l) diffundierten Acrylnitrils)

y- + vor - Bestrahlung Bestrahlung

Diffusion des Sauer- stoffs in die Losung und auflerste Zone der Reaktionsschicht; Ver- hinderung der Homo- Polymerisation in der Losg. und der Pfropf- polymerisation in der auflersten Zone

1 PVP-Folie Reaktionsschicht PAN (eingepfropft) PVP 0.-haltige, benzol. (eindiffundiertes (Polymerisation des (ungepfropft) Acrylnitril-Losung Acrylnitri l) eindiffundierten

Acrylnitrils)

Abb. 2. Schematische Darstel lung der Vorgange (Oberflachenpfropfung) und unter

b e i der P f rop fung Luft (eingelagerte

un ter Argon-Atmosphare Pfropfung)

polymeren umschlieBt die Folien an ihrer gesamten Oberflache. Das Ein- dringen der Losungsmittel ist moglich, weil diese Schicht als semiperme- able Membran wirkt gemail3 dem in der Einleitung beschriebenen Fall 2. Die Aufnahme von Losungsmittel durch das PVP im Inneren der Folien ist eine Folge des Quellungsdrucks bzw. osmotischen Drucks in ihrem Inneren.

Durch das Eindringen des Losungsmittels vergroSert sich das Volumen des quellenden PVP im Innern der Folie. Dadurch wird auf die umschlie- Sende Membranschicht des Pfropfpolymeren ein Druck ausgeubt, der diese Schicht in einen Spannungszustand versetzt. Die Membranschicht wird elastisch gedehnt und ubt nun ihrerseits einen Gegendruck auf das Innere aus, der einer weiteren Aufnahme von Losungsmittel entgegen- wirkt. Zu jeder Phase des Quellungsvorganges wird somit die Saugfahig- keit der Folie durch die Differenz gegeben sein:

Sog der Folie = Osmotischer Druck (Quellungs- - Druck der gespannten Mem- (GI. 1)

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druck) im Innern bran auf das Innere

ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

Zu Beginn des Quellungsvorganges ist der Quellungsdruck grolj und der Druck der gespannten Membran gleich Null; das Losungsmittel wird zu- nachst rasch aufgenommen. Je mehr Losungsmittel angesaugt ist, desto geringer wird der osmotische Drucli im Innern der Folie und desto grol3er der Druck der gespannten Membran, und desto geringer wird die Ge- schwindigkeit der Losungsmittelaufnahme. Schlieljlich wird ein Gleich- gewicht in bezug auf die Aufnahme des Losungsmittels erreicht, in dem jene beiden Drucke einander gleich sind.

I

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 Zett [ h ] -

Abb. 3. Quellung (aufgenommene Menge verschiedener Losungsmittel) in Abhangigkeit von der Zeit Dlcke der PVP-Foiien: 0,42 mm. Menge des aufgepfropften PAN: 5, l mg/cm*. (Hersteliungsbe- dingungen der gepfropften Follen: lntensltat: 1,6. los r/h. Bestrahlungszeit: 14 h. Konzentration

des Acrylnltrlls in der benzolischen Losung: 10 Val.-%)

Abb. 3 zeigt die Menge des aufgenommenen Losungsmittels in Abhan- gigkeit von der Zeit. Sowohl die anfangliche Geschwindigkeit der Quel- lung, als auch die im Quellungsgleichgewicht aufgenommene Menge eines Losungsmittels sind um so grofler, je besser das Losungsmittel fur PVP ist.

Es zeigte sich, dal3 die anfangliche Geschwindigkeit der Losungsmit- telaufnahme bei oberflachen-gepfropften Folien wesentlich geringer ist als bei nicht-gepfropften PVP-Folien. Die Geschwindigkeit des Quel- lungsvorgangs wird demnach zu Beginn im wesentlichen durch die Ge- schwindigkeit bestimmt, mit der das Losungsmittel durch die semiper- meable Membranschicht tritt. Da diese Geschwindigkeit nach den Ver- suchen in Abb. 3 fur verschiedene Losungsmittel verschieden ist, ist die

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Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

Durchlassigkeit der Membranschicht des Pfropfpolymeren offenbar ab- hangig von der Natur des Losungsmittels. Dies wird verstandlich durch die Tatsache, daB die Membranschicht ja nicht reines PAN ist, sondern ein Pfropfpolymeres aus PVP und PAN: je besser das Losungsmittel fur PVP, desto mehr wird die Membranschicht durch ihren PVP-Gehalt ge- quollen und desto besser wird ihre Durchlassigkeit fur das Losungsmittel. Der PAN-Anteil der Membranschicht ist in allen verwendeten Losungs- mitteln unquellbar.

Wenn zwischen dem Losungsmittel und dem PVP im Inneren der Fo- lie keine Wechselwirkung bestande, sollte die Volum-Menge des aufge- nommenen Losungsmittels im Quel- lungsgleichgewicht unabhangig VOII

der Art des Losungsmittels sein. Denn dann ware ja bei gleicher Volum- Menge des iiufgenommenen Losungs- mittels derselbe osmotische Druck im Innern erreicht, und die Mem- branschicht ware in gleicher Weise gespannt. Die verschiedenen Grenz- werte fur die Menge des eingedrunge- nen Losungsmittels im Quellungs- gleichgewicht bei verschiedenen Lo- sungsmitteln gemaB Abb. 3 sind dar- auf zuruckzufuhren, da13 die PVP- Losungen im Innern der gequollenen Folien nicht ideal sind. Der osmoti- sche Druck in einer Losung 1aBt sich weitgehend beschreiben nach

R T M x = - c + acp

0 1 2 5 4 5 6 7 8

mg PAN/cm’ - Abb. 4. Quellung (Menge des aufgenommenen Wassers) nach 0,5 h (Kurve 1 ) u. im Quellungs- gleichgewicht (Kurve 2) in Abhanglgkeit von der Menge des aufgepfropften PAN. Dicke

der Folien: 0.36 mm

(Gl. 2)

wobei cc um so groBer ist, je besser das Losungsmittel ist. Infolgedessen sind der osmotische Druck und somit die Tendenz zur weiteren Losungs- mittelaufnahme bei gleicher Volum-Menge des eingedrungenen Losungs- mittels um so groBer, je besser das Losungsmittel fur PVP ist.

I n Abb. 4 sind die zu Beginn der Quellung und im Quellungsgleichge- wicht aufgenommenen Mengen des Losungsmittels in Abhangigkeit von der Menge des aufgepfropften PAN aufgetragen. Die anfangliche Ge-

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ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEL

0,23 0,23 0,42 0,42 0,70 0,70

schwindigkeit der Wasseraufnahme sinkt zunachst mit steigender Menge des gepfropften PAN, um bei hoheren PAN-Gehalten praktisch konstant zu werden. Wir mochten annehmen, dal3 oberhalb eines bestimmten PAN-Gehalts der Membranschicht uberhaupt keine nennenswerte Quel- lung mehr in ihr stattfindet und somit die Durchlassigkeit der Membran- schicht nicht mehr von Quellungsvorgangen in ihr abhangig ist. Die im Gleichgewicht der Quellung aufgenommene Menge des Losungsmittels nimmt dagegen immer mit steigender Menge des angepfropften PAN ab. Wir mochten dies auf zwei Ursachen zuruckfiihren: Einmal ist der Gegen- druck der elastisch gespannten Membran um SO starker, je dicker sie ist, was nach G1. 1 eine Herahsetzung der Saugfahigkeit der Folie bewirkt. Andererseits ist mit dicker werdender Membranschicht (vgl. Tab. 2) um so mehr PVP gepfropft, so dal3 die Menge des quellbaren reinen PVP im Innern der Folie um so kleiner wird; hierdurch wird der osmotische Druck, der durch eine bestimmte Menge aufgenommenen Losungsmittels im Innern erreicht wird, um so kleiner, und demnach die Saugfahigkeit der Folie gemaB G1. 1 ebenfalls geringer.

10 19 10 19 10 19

Tabelle 2. Dicke der ,,Reaktionsschicht" einiger gepfropfter Folien

Bestrahlungszeit: 14 Stunden. Intensitat: 1,6 * lo6 r/h ~~~

aufgepflanztes PAN

mg/cm2

~ ~~~ ~

Dicke der Reaktionsschicht *)

mm

0,096 durchgehende Pfropfung

0,068 0,155 0,081 0,152

*) bestimmt durch Aufschneiden der gequollenen Folien und Herauslosen des inneren ungepfropften PVP gemaB Abb. 5.

Die Folien haben im Quellungsgleichgewicht bei den Versuchen nach Abb. 3 bis zur 20fachen Menge ihres Gewichts Losungsmittel aufgenom- men. Die aul3ere Membran wird hierbei auf das 2-5fache ihrer ur- sprunglichen Oberflache gespannt. Die Festigkeit der Membranschicht ist bei 3-10 mg aufgepfropftes PAN pr,o om2 Oberflache groB genug, um solche Spannungen auszuhalten. Bei kleineren Dicken tritt haufig ein ReiBen der Membran wahrend des Quellungsvorgangs ein. ReiBen war

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Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

aber auch haufig zu beobachten, wenn die Dicke der PVP-Folie 1 mm iiberstieg. Denn nach dem oben Gesagten kann eine Folie um so mehr Lo- sungsmittel aufnehmen, je grol3er die Menge des reinen PVP in ihrem Innern ist, d. h. je grofier ihre Dicke ist.

Schneidet man das gequollene Polymere auf (Abb. 5 ) , kann das Lo- sungsmittel ungestort eindringen. Es lost das PVP im Innern heraus bis auf den Antcil, der an das gepfropfte PAN in der Membranschicht ge- bunden ist. Auf diese Weise ist die semipermeable Membranschicht, die durch die Oberflachenpfropfung der Folie entstanden war, von dem inne- ren Teil der Folie abgetrennt. Nach Trocknung der Membran 1aBt sich ihre Dicke bestimmen, die ein Ma13 fur die Dicke der ,,Reaktionsschicht"

Membronschichl

Abb. 5.

/ gesponnte Membran

Doppelschicht-Membmn

(geringer PVP-Gehalt)

Schematische Darstellung der Quellung einer oberflachengepfropften Folie und Abtrennung des inneren ungepfropften PVP durch Aufschneiden der gequollenen Folie

ist, in der die Pfropfung des eingedrungenen Acrylnitrils unter dem Ein- flu13 der Strahlung stattgefunden hatte. In Tab. 2 sind die so bestimmten Schichtdicken fur einige gepfropfte Folien zusammengestellt. I n uber- einstimmung mit unseren Vorstellungen iiher den Mechanismus der Ober- flachenpfropfung (vgl. oben) wird die Reaktionsschicht mit steigender Konzentration des Acrylnitrils in der benzolischen Losung grol3er. Die gemessenen Dicken liegen bei 0,l mm, in Obereinstimmung mit den oben gemachten theoretischen uberlegungen.

Die Struktur der durch das Aufschneiden (Abb. 5) erhaltenen Mem- branen ist ein Pfropfpolymeres aus PVP und PAN, dessen Zusammenset- zung an der einen Seite fast reines PAN (an der aul3eren Zone der fruhe-

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ARNIM HENGLEIN und WOLFRAM SCHNABEX,

ren ,,Reaktionsschicht") und an der anderen Seite fast reines PVP (an der inneren Zone der friiheren ,,Reaktionsschicht") ist. Idealisiert ist eine solche Membran als Doppelschicht-Membran aus PVP und PAN anzu- sehen.

Eigenschafen der gequollenen Polymeren und ein Vergleich mit biozogischen Systemen

Die gepfropften Folien sind sowohl im ungequollenen als auch gequol- lenen Zustand durchsichtig; das angepfropfte PAN ist demnach - im Gegensatz zum Homopolymeren - transparent. Obgleich bei zahlreichen oberflachen-gepfropften Folien im Quellungsgleichgewicht mehr als 90 Gewichtsprozente niedermolekulares Losungsmittel sind, haben diese ge- quollenen Polymeren zwei bemerkenswerte Eigenschaften :

a) Sie vergroSern zwar ihr Volumen durch die Quellung, doch bleibt da- bei die geometrische Form der ungequollenen Folie weitgehend er- halten.

b ) Sie besitzen eine gewisse Elastizitat und Steifheit.

Abb. 6. Form elner rechteckigen und rlngformigen oberflachengepfropften Folie vor der Quellung durch Wasser und lm Quellungsgleichgewlcht. (Die Korper wurden, urn bessere Kontraste bei der

Aufnahme zu haben, angeflrbt)

Diese Formbestandigkeit beim Quellungsvorgang 1aBt Abb. 6 an zwei Beispielen erkennen. Je eine rechteckige und eine ringformige gepfropfte Folie sind hier im trockenen Zustand und im Quellungsgleichgewicht abgebildet. Die diinnen ungequollenen Folien werden durch die Wasser- aufnahme zu dicken, prall gefullten Korpern aufgetrieben, wobei gleich-

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Die Oberflachen-Pfropfung von Polyvinylpyrrolidon

zeitig eine VergroBerung in allen Richtungen eintritt, die sich z. B. bei der ringformigen Folie in einer erheblichen VergroBerung ihres Radius bemerkbar macht. Verbiegt man diese gequollenen Polymeren, schnellen sie beim Nachlassen der verformenden Krafte in ihre ursprungliche Form zuruck. LaBt man sie aus nicht zu groBer Hijhe - um ein ReiRen ihrer Haut zu vermeiden - auf eine feste Unterlage fallen, springen sie von ihr ah.

Diese Eigenschaften gequollener oberflachen-gepfropfter Polymerer erinnern an entsprechende mechanische Eigenschaften, die in den Zellen biologischer Systeme eine Folge des osmotischen Drucks sind, und die sich z. B. in der Elastizitat und Steifheit von Pflanzenteilen bemerkbar machen. Tatsachlich ist die Bhnlichkeit im Verhalten oberflachen-ge- pfropfter Polymerer und biologischer Zellen bei der Quellung nicht nur eine rein auBerliche, sondern durch dasselbe Phanomen bedingt. I n den Zellen besteht ja eine ahnliche Struktur wie bei den oberflachen-gepfropf- ten Polymeren: Als semipermeable Wand dient in der Zelle das Plasma- lemma, uiid maagebend fur die Tendenz der Zelle zur Wasseraufnahme ist der Quellungsdruck des Plasmas bzw. der osmotische Druck dee Zell- safts. Wie bei den gepfropften Folien ubt das Innere der Zelle bei der Quellung einen Turgordruck auf die Zcllwand aus, der sie elastisch dehnt, und in Analogie zu G1. 1 gilt fur die Saugfahigkeit einer Zelle die Bezie- hung :

Saugfahigkeit der Zelle = Osmotischer Wert des Zellsafts - Turgordruck (Gl. 3)

Wir danken der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT fur die Un- terstiitzung mit Sachmitteln und die Gewahrung eines Stipendiums.

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