Die Paradoxien Des E. M. Cioran

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Die Paradoxien des E.M. Cioran

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  • 5/26/2018 Die Paradoxien Des E. M. Cioran

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    D ie P a r a d o x i e n d es E . M . C io r a nEin Gesprch mit Leonha rd Reinis ch

    R: E. M. Cioran oder, wenn m an den rum nischen G eburtsnam en ausspricht, Joran,lebt seit mehr als 30 Jahren in Paris. Wir sitzen ber den Dchern der Stadt, in derNh e der Place de l Orleans, bei diesem Gesprch m it einem Man n, dessen Philoso-phie mich seit 20 Jahren beschftigt, als das erste Buch von ihm deutsch erschien. Eshie Lehre vom Zerfall eigentlich schlecht bersetzt, weil decomposition ebendas Aktivere beinhaltet, was wir Menschen mit dem Ganzen, was Geschichte undLeben heit, betreiben. Das Buch hat mich damals tief beeindruckt, es traf in eineZeit, da Albert Camus und andere uns eine Philosophie des revoltierenden Menschenlieferten, und das war Ciorans Buch ein doch grerer Tiefschlag, wenn ich es einmalbertrieben sagen darf. Seitdem sind vier weitere Bcher deutsch erschienen, zu-letzt 1973 der Band mit dem Titel Die verfehlte SchpfungAuch hier wiederder ganze tiefe Pessimismus eines Menschen, der sich mit dem Schreiben nicht amLeben hlt, sondern vom Tode vielleicht noch ein bichen abhlt. So lautet meineerste, sehr provokatorische Frage an ihn: Warum leben Sie eigentlich noch?C: Diese Frage ist fr mich so wichtig wie selbstverstndlich. Ich mu sagen, daich das Leben immer als etwas absolut Problematisches gelebt habe. Und ich warimmer erstaunt, da ich weiterleben konnte. Ich war ungefhr 17 Jahre alt, als ichdies verstand: da ich leben kann, aber nur abseits des Lebens, parallel zum Le-ben. Und ich war damals berzeugt, da ich vielleicht noch zehn Jahre lebenknnte oder mit einer groen Anstrengimg vielleicht zwanzig. Es war richtig para-dox fr mich ich bin jetzt ein alter Mann, 65 Jahre alt , als krzlich ein Ju-gendfreund, den ich nach 35 Jahren zum erstenmal wiedersah, zu mir sagte: DasLeben hat einen Sinn, weil Du so lange leben konntest. Also als junger Mensch wardas Leben fr mich etwas absolut Unmgliches.R; Darf ich da unterbrechen. Dieser Freund hat gesagt: Das Leben hat einen Sinn.Sagen Sie selber auch: Das Leben hat einen Sinn?C: Ich sage das nicht, aber mein Freund sagte, er wre fast bestrzt, da ich amLeben bin, hatte immer geglaubt, ich wrde Selbstmord begehen. Nun, ich habenicht Selbstmord begangen, aber nicht, weil das Leben einen Sinn htte, sondernweil ich durch den Selbstmordgedanken leben konnte.. . die Selbstmordidee istkeine zerstrerische, sondern eine bekrftigende Idee, wrde ich sagen.R: Und die Antwort des Selbstmordes auf das Leben ist fr Sie auch eine positiveAntwort?C: Das wrde ich behaupten.R: Daran hngt es, weshalb ich am Anfang schon auf Albert Camus zu sprechenkam. In der Zeit nach 45 war ja die Verzweiflung am Leben, ich glaube, so hnlichhie sogar Ihr erstes Buch ...C: Auf Rumnisch. Ich war 21 Jahre alt, ich war Student in Bukarest, und dasZentralthema war die Verzweiflung.R: Es gehrte also schon in die Lebensphilosophie hinein, in der Sie ja gebhebensind, auch wenn man sie besser eine Todesphilosophie nennt.

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    K l e t t - C o t t a V e r l a g , J . G . C o t t a ' s c h e B u c h h a n d l u n g N a c h f o l g e r G m b H , R o t e b h l s t r . 7 7 , 7 0 1 7 8 S t u t t g a r t

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    Die Paradoxien des E. M. Cioran 6C: Ich war damals sehr von e inem deutschen Philosophen beeinf lut der heuteberhaupt nicht mehr gelesen wird den ich aber sehr bewundere : Georg Simmel.R: Ja Georg Simm el ist leider fast vergessen un d von einigen seiner Schler sogarver leugnet . Ich denke gerad e an Georg Lukcs der in seiner Zerstrung der Vernunft so bs artig b er seinen groen Leh rer schreibt von dem er brig ens sehrvie l ge lernt ha t . Beim Erwhnen des Namens Simmel rege ich mich immer e twasber die Undankbarkei t von Schlern auf .C : Sie wissen da H eidegger in derse lben Zeit auch b er den T od geschr iebenhat. Meiner Meinung nach stellt seine Auffassung des Todes eine terminologischewie soll ich sagen Transformation der Metaphysik des Todes dar die Simmel inse inem Buch Lebensanschauung entw ickelt hat. b rigens zitiert He ideg ger inse inem Kapite l ber den Tod Simmel der meiner Meinimg nach der grte philo-sophische Essayis t Deutschlands war se iner Genera t ion wenigstens.R: Es gibt e twas von Simmel was mich immer s tark berhr t ha t : ich meine se inenEssay be r den Frem den wo er nicht nur den Jude n a ls den Frem den dargestel l that sondern gleichzeitig auch schon das was spter in der gngigen PhilosophieEntf remdung genannt wird. Im Grund genommen is t se in Grundgedanke Ihnensehr verwandt: da man nmlich e igentl ich nur daneben lebt . S ie sagen: Das Lebenneben dem Leben trotz der Mglichkeit des Selbstmordes und ohne da man ihn voll-z ieht . Un d damit kom me ich noch mal auf das ers te Buch das in Deu tschland vonIhnen erschienen ist: Ihre Lehre vom Zerfall oder von der decomposition. Uber-setzt ha t dam als Pau l Celan un d das interessiert mich in dop pelter Hin sicht: erstensvom To de Celans her der wohl nicht zuf l lig e in Selbstmordtod war un d zum a nde-ren mi t de r F rage : Waren S ie mi te inander bekannt be f reu nde t?C : Be freun det wre zu viel gesagt; denn Celan war e igentl ich e in unm glicherM ensch. Als er mein Bu ch bersetz te sah ich ihn fast tglich. Er konn te der reiz-vollste Mensch sein ganz hflich und entgegenkommend. Aber spter lit t er manmu schon so sagen an Verfolgungswahn. Ich gebe Ihnen e in Beispie l : Ich t ref fe ihnauf der Strae un d er sagt: Kom men Sie mit. Es gibt hier eine Bch erei die Sie viel-le icht nicht kennen. Dabei kauf t e r e in sehr teures Wrterbuch. Und e ingepackt ein Geschen k. Ich wollte das nicht ann ehm en. Er war sehr grozgig von Natu r aus.R: Ja er wa r ein sich selbst He rschen ken der un d gleichzeitig jem and ich hab eihn ja auch e inige Male getroffen der immer glaubte wen n er in M nch en aufe iner Straenbahn war er habe irgendeinen Antisemiten gesehen der ihn verfolge .C : Ich hab e niemanden g etroffen in meinem L eben der so ver le tzbar war . Er wardie absolute Ver le tzbarkei t f r mich. Ein G esprch mit ihm war ersch pfend weilman s tndig aufpassen mute nicht e twas zu sagen das ihm mif ie l . Einmal warich bei ihm eingeladen un d kam volls tndig erschpf t nach H ause . Man kann n m-lich nicht e in Gesprch mit jemandem fhren dessen man immer bewut is t . EinGesprch mu irgendwie halbbewut se in.R: Ich glaube: wir sprechen je tz t e in bich en halbbe wu t und das is t auch gutfr unser Gesprch. Ich meine nmlich da zwischen Celan und Ihnen nicht nurrumlich e ine Gemeinsamkeit besteht . Beide kommen Sie aus dem Orient wenn manes so ber tr ieben sagen kann beide habe n Sie dann in Paris Ihre He imat g efund enbeid e sind Sie Menschen die unerh r te Sprachdisz ipl in getr ieben hab en; denn IhreVerach tung der L itera tur besteht ja dar in da Sie in der Litera tur so e ine Art

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    656 Die Paradoxien des E M CioranKrebs wuchs des W ortes sehen. Celan ha t es in seinen Sprachgit tern auchgleicherm aen gez gel t : es knne nur noch gesagt werde n was nicht unb edin gt ver-schwiegen werd en m u. Also insofern gibt es viele Beziehung en und m eine E in-gangsfrage warum Sie berhaupt noch da s ind und nicht Selbstmord begangen ha-ben hat eben umgekehr t Celan mit seinem Selbstmord beantwortet .C: Ja aber man m u nicht vergessen er konnte das nicht vermeiden . Ich bin ineinem Dorf geboren. Mein Vater war ein or thodoxer Pr iester und i rgendwie bin ichursprnglicher als Celan urwch siger wollen wir mal sagen ich ha t te viel leichtmehr Lebenskraf t im ganz pr imit iven Sinne. Das Leben hat mich immer unheim-lich interessiert . W issen Sie es gibt von Bau delaire einen Ausdruck das ist frmich eine Art Resume meines Lebens. Baudelaire spr icht von Ekstase und Abscheuvor dem Leb en. Dies beides hab e ich imm er wieder gelebt . Also f r mich is t derSelbstmord so ein Extremfall dieses Doppelerlebnisses.R: Da s ind wir wieder beim Zentral thema Ihrer Phi losophie. Es scheint mir wich-t ig da wir uns be w u t werd en da na ch 45 sehr viele junge Men schen in demDoppelspiel CamusCioran die beiden Mglichkei ten des Menschen in der Revolteun d des Zerfal ls durch D ekomposi t ion gesehen habe n un d bei de ein bic hen auchsagten: Die beste Lsung am S chlu wre da man dieser Sinnlosigkei t un d dieserRevolte letzt l ich doch wieder eine Bejahung des Lebens abgewinnt im Wissenum die Absurdi tt auf die wir auch noc h zu sprechen kom me n; denn Ionesco is t jaeiner der besten Freund e die Sie b erh au pt habe n neb en Becket t und da gibt esja diesen groen Zusam me nhang wob ei mich eines al lerdings etwas verw und er t : Inirgendw elchen biograph ischen N otizen be r Sie s teht Sie ht te n in jener Zei t auchfr die Temps modernes und mit Sar tre zusammengearbei tet . Ich kann mir dasnicht rec ht vorstellen weil doch Sar tre Ihre Auffassung genauso verachten m tewie Sie die seine.C : Ja das s timmt. Fr mich hat Sa r tre nichts bed eute t . Sein We rk ist mir f remdund seine Erscheinung interessiert mich eigentlich nicht. Nicht einmal Das Seinund das Nichts. Irgendwie ist das alles uerlich fr mich. Er hat das Nichtsbeschr ieben aber von aue n al les is t w ie die Franzosen sagen fabr izier t . W asm ich interessiert ist sein u eres Schicksal abe r nich t seine Philosophie.R: N un Sar tres Denken is t ja imm er auch ein pol it isches aber ich meine: Was eror iginell dazu gebra cht hat is t doch der Existentialismus der Ihne n als Leben sphilo-sophen ja eigentlich sehr nahe ist .C : D as schon. Ab er wie soll ich sagen Pascal oder Kierke gaard das ist nichtsf r ihn. E r ist sozusagen f r de n objektiven Existentialismus ich w rde de n me ineneinen subjektiven nennen. Ich habe eine religise Dimension. Die hat er sichernicht . Ich habe einfach keine t iefe Beziehung zu ihm.R: Also die religise Dimen sion die ich selber brige ns niem and em vo n au e n herabsprec hen mc hte Sie hab en s ie ganz best imm t auch wen n Sie wahrscheinl ichfr Orthodoxe i rgendwelcher Kirchen unannehmbar s ind. Sie wrden im Mit telal terverbra nnt worden sein wegen Ihre r Bcher . Sie ht ten sozusagen den Selbstmordauf dem Sc hei terhaufen gem acht weil Sie das Buch geschr ieben ha ben.C: Wissen Sie da das letzte Buch Die verfehl te Schpfung in Spanien verbotenw u r d e?R: Das ist ja klar . Obwohl das Buch im Grunde religis ist . Es ist ja sogar eine

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    Die Paradoxien des E M Cioran 657Theologie drin keine dogmatische aber glauben Sie e igentlich an den Teufe l?C: Ich glaube fr mich der Teufe l war immer e ine groar t ige Idee ich habeimm er an den Teu fe l gedach t . Un d ich m u sagen ohne den Teu fe l kann manb erh aup t nichts erklren ohne ihn kann m an vor a l lem die Geschichte nicht ver-s tehen. Dasse lbe gi l t fr die Erbsnde. Ich kann mich gut an das Gesprch er in-nern das ich vor einigen Jahren m it dem Kardinal Danie lou geha bt habe . Ichsagte ihm da ohne die Erbsnde das Chr is tentum keinen Sinn habe und die Ge-schichte unbegre if l ich wrde . Darauf ha t e r mir geantworte t : S ie s ind zu sehr Pes-simist die Erb s nd e das ist nich t so wichtig. Also f r mic h ist die E rbs n deeine Idee die unentbehr l ich is t um die Geschichte zu verstehen.R: Ich mu sogar sagen: F r mich is t s ie unentbehr l ich um mein bic hen Chr is tse inzu realisieren sonst kn nte ich sagen : D an n b in ich doch gleich irgend ein for t-schrittsglubiger Sozialist.C: Und ich hab gesag t : Hochwrden Sie sind zu sehr Pessimist. Wenn nmlich frdie Kirche solche Ideen nebenschlich w erden dann is t das e in Symptom. U nd ichha b mit ihm sogar gestr it ten damals ich kann m ich gut er innern: W en n d ie Kirche soliberal ist dan n ist es aus dan n hat das keinen Sinn me hr. Un d ich bin selbst wieSie wissen kein Chr is t obwohl mein Vater Stadtpfarrer in Hermannstadt war undeine gewisse Rolle in der orthodoxen Kirche in Siebenbrgen gespielt hat. Fr michist wie soll ich sagen die Religion sehr wich tig. Aber ich persnlich kann nichtglaub en. Ohn e das religise Erlebn is kn nte ich nich t leben aber des Glaub ensse lbst bin ich absolut unfhig. Ich kann das nicht mehr annehmen; ich habe immer R: Ha be n Sie das mal analysiert bei sich oder habe n Sie versu cht zu erklrenwarum Sie so denken?C: Nein aber ich habe immer Mystiker ge lesen habe auch mystische Er lebnissegehabt in meinem Leben. Zum Beispie l ich betrachte a ls den Hhepunkt mei-nes Leb ens ein Erlebn is das ich noch vor 30 Jah ren geh abt habe vielleicht mehr.Es war auf e inmal ich fhlte da s ich die Zeit Vergangenheit Gege nwart u ndZu ku nf t in mir konzentr ier t haben da ich das Zentrum der Zeit bin . Dan n ha beich viel Mystik gelesen weil ich glaube da in mir selbst ein my stischer Zug ist;diese Verzckungen diese Exzesse der W ahnsinn die mystischen b er tre ibungendas habe ich viel mehr in der Mystik als in der Literatur gefunden. Aus demselbenG run d ha be ich m ich zeitlebens fr Dostojew ski interessiert weil er imm er Grenzsi-tuationen beschrieben hat. Und was ist die Mystik anders als eine Grenzsituation?Man is t immer am Rande von e twas. Ich mu sagen: ich habe keine Religion inmeinem Leben keinen best immten Glauben aber die Mystiker da habe ichmich immer wiedergefunden. In einem anderen Zeitalter wre ich vielleicht in einKloster gegang en aber auf jeden Fa ll fh le ich mic h heim isch in diesem Kreis.R: Sie sind gelegentlich auch ein Gnostiker genannt worden.C : Ja mein letztes Buch Die verfehlt e Sch pfung ist von den Gn ostikera b eein-flu t wo rden aber es ist eine Sache von geistiger Ve rwa ndts chaf t. Eig end ich b inich nicht von den Gnostikern sondern von ihren Nachfolgern beeinf lu t von denBogomilen un d von den Ka tharem . Die Bogomilen haben in Bulgar ien gelebt s iegeh ren zum Ideenk reis des Balkan un d ich glaube das ist kein Zufall ich fh lemich wirklich wie ein mod erner Bogom ile. D ie Idee da die W elt von einem

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    658 Die Paradoxien des E M Cioranschlech ten Gott gescha ffen ist etwas wie eine zerstrte Idee Gottes der also nichtdurch den Skandal der Schpfung kompromit t ie r t is t .R: Es hat sich also der Teu fel als der M chtig ere gezeigt solange es Sch pfim ggibt. Das ist die Weltgeschichte als Zerfallsproze. Da sind wir fast wieder bei Da-nielou gelandet.C: Ja ja das is t e ine Zentra l idee fr mich: wenn man die Idee des Teufe ls wegltkann m an den Weltg ang nicht verstehen er is t unbegre if l ich. Die Bogomilen hie endiesen Teu fel Satanael der Sch pfer ist eigentlich eine Karikatu r Gottes R: Der Af fe Gottes hie es auc h einmal.C: G ut Affe Gottes . Nac h dem Tode Gottes s ind wir zwar a l le un vermeidl icher-weise Rational is ten wir glauben nicht mehr an Gott und Teufe l aber die Idee desTeufe ls is t fr mich absolut notwendig. Und wir s ind heute ja auch a l le sagenwir : Manicher Bogomilen und Katharer ; auch wenn wir theore t isch dagegen s indsind wir doch innerlich davon berzeugt.R: Da f rage ich mich ob Sie mit dieser Behauptimg recht haben. Leszek Kolakow-ski der polnische Philosoph hat vor kurzem einen wichtigen Essay geschriebenKann der Teufel erlst werden? 1 wo er zunchst Ihren Gedank en sehr nahe-kommt a l lerdings dann die Frage s te l l t ob die Erbsnde nicht schon e in Grundmo-tiv ja eine M glichkeit be deu tet die Erls ung erheischt un d ermglicht. Sie gehenja fast unerlst jedenfa lls soweit ich Ihr e B cher gesehen habe aus dieser We ltwenn Sie e inmal weggehen.C: Fr mich gibt es keine Erlsimg auer im buddhistischen Sinne. Sie wissen imBuddhismus gibt es die Idee da man das Nirwana auch im Leben erre ichen kann.Also ich glaube der Men sch kann nicht objektiv erlst sein abe r es gibt A ugen-blicke wo m an erlst ist. Da s sind die groen Augenb licke im Leb en we nn m anber die Geschichte hinauslebt . Ich habe Ihnen vorhin e in Beispie l e rwhnt: dasGef hl da ich das Zen trum d er Zeit bin . Es war e in so s tarkes Er lebnis da ichmeine Faus t in den M und stecken mu te um nicht zu schre ien. Also so e twaswie eine Ekstase.R : Da s hie e allerdings da Ihrem W esen christliche Mystik nhe rliegt als derBuddh ismus. br igens das woll te ich eben noch sagen ich ha be of t be i Ihren B-che rn d ie Empf indung gehabt : I ch will d as nich t so sehen. Ich we i natrlich daich m ich dam it auch gleichzeitig ins Un rech t setze. Ab er das eine das ist mir schonklar: da d ie heutig e Zeit Ihn en so viel me hr Rec ht gibt als Sie es vor 20 oder 30Jahren erw ar ten konnten. Den n die ganze For tschr i tts ideologie die Sie von Anfangan bek m pft habe n der Zivi l isa tionsmensch den Sie mit bi t te rer I ronie verur te il thab en der steht ja nu n vor einer gewissen Ratlosigkeit um es ganz besch eiden aus-zudrcken. Oder um es mit Ihren Worten zu sagen vor denen ich geradezu Angsthab e sie zu zitieren Sie schreib en: M eine Vision von der Zu ku nf t ist so deutlichda ich htte ich Kinder sie auf der Stelle erdrosseln wrde.C : Also ich m u sagen ich ho ffe Sie hab en keine Kinder.R: Ich sage Ihnen sogar ich habe vier Kinder.C: Da kann ich ruhig sprechen. Also fr mich gilt: ich htte im Leben alles ma-chen knnen nur ke ine Kinder zeugen. Ich woll te nicht he ira ten weil ich frch te te

    1 Zuerst deutsch im MERK UR Nr. 319 Dez em ber 1974.

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    Die Paradoxien des E M Cioran 6 9Kinder zu hab en. So wie ich gegen den sogena nnten For tsc hr i t t b in die Progressionso bin ich gegen die For tp f lanz ung .R: D as ist keine neue Ide e von Ihnen . Es gibt scholastische Philosophe n die schonbei der theoret ischen Frage was wrde denn eigent l ich wenn al le Mnner Mnchew rden und al le Fra uen No nnen gesagt ha be n: Ja das w re eigent l ich die Er lsungdes Menschen von s ich selbst un d zu Gott hin . Das hab en s ie noch gesagt aber daswar fr sie eine total positive Aussage.C ; Also f r mich ist es ein persnlich es Erlebn is. W en n ich ein Kind sehe ode rzum Beispiel ein Baby dan n we rde ich unheim lich t raur ig . W en n meine F reu nd emir eine Geb ur tsanzeige schicken wei ich nie wie ich antworten sol l. Ich kannberhaupt n ich t an twor ten . I ch knnte berhaupt n ich t d ie Veran twor t img ber -nehm en jema nden in diese W elt zu s trzen. Un d we nn das Leb en der Men sch dieGeschichte morgen aufh ren w rden ich w rde nicht t raur ig sein .R: Herr Cioran Sie hab en zwar nicht geheiratet hab en auch keine Kinder geh abteine Freundin haben Sie doch. Das Problem der Sexual i tt is t bei Ihnen nicht ganzausgeklamm ert . Es gehr t abe r mit zu diesem Problem. Das Lo b der Faulhe i t dasLo b der Indif ferenz Sie hab en es gesungen auc h ein gewisses Lob der totalen En t-hal tsamkeit gegenber der For tpf lan zun g. Aber es bleibt etwas was Sie doch viel-leicht sagen: Die Menschen brauchen es noch um als Tiere wenigstens zu exis t ieren.C: In meiner Jugend um es ganz ehr l ich zu sagen vergt ter te ich die Dirnen.Im Balkan war das Bordel l ein Ersatz fr den Salon. In Hermannstadt ging ichzwei- oder dreimal in der Woche ins Bordel l . Fr mich war das wie ein Empfang.Fr mich hat te das Geschlechts leben nur einen Sinn: mit Dirnen zu schlafen.R: Sie verstehen unter den Dirnen die Fra ue n?C: Ja . F r mich war die Fra u die Dirne. Eine Frau die nicht Dirne war interes-s ier te mich berhaupt n ich t . Der Wechsel in meinem Leben kam nach dem Einzugder Deu tschen in Par is . Ich begann ein regelmiges Verhl tnis zu Frau en zu ha -ben die nicht Dirnen waren un d betrach te das als die ers te groe Nieder lage me i-nes Leben s; denn f r he r war ich ganz f rei . Von nun an bega nn ich von Fraue n ab-hngig zu we rden und verstand was ich f r he r nicht gut verstande n hab e: da ichd ie Frauen n ich t en tbehren kann . I ch mu aber h inzufgen da ich d iese Nieder -lage ganz ohne groe Schwier igkei ten angenommen habe. Und einer der Grndeda f r l iegt in der Erkenntnis da ich doch auch ein Tier bin . . .R: Ein bichen is t das Tierseinwollen oder das Zum-Tier-Zurckkommen ohnehinein Pun kt Ihrer Phi losophie. Sie wollen ja sagen da der M ensch nu r eine zu f r hgewordene bessere Form des Affen der Schpfung nmlich des Teufels is t undman htte eigentlich diesen Apfel nicht essen sollen. Man htte eigentlich beimTier leben bleiben sol len in dem Sie s ich ja noch am ehesten zu Ha use fhle n.C: Gen au. Ich glaube da der W eg den der Mensch eingeschlagen hat ein I r rweggewesen is t . Der Mensch ht te Tier bleiben mssen mit einem gewissen Zuschlagsagen wir : ein nachdenkliches Tier . Aber wir s ind zu weit gegangen un d das kan nnur schlecht enden.R: Ich wei nur nicht wer da zu weit gegangen is t?C : De r Mensch is t n icht nur Alleinherrscher der W elt gewo rden er is t im Be-griff au ch die Tie re ausz urotten er ist allein auf der W elt er ist m it sich selbst ge-

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    660 Die Paradoxien des E M . Cioranblieben un d das geht nicht . M an spr t es ist ein Un beha gen nicht blo das Un-beh age n in der Kultur von dem Fre ud ge sprochen hat es is t v iel t iefer .R: Ich kan n nur eines sagen: F r mich hat die Gesch ichte einen Sinn weil ich s iein einem Heilszusam men hang in einem Sinnzusamm enhang wie m an es nenne nmag br inge. Ich kann nicht einsehen da man sagt : Ich ht te eigent l ich l ieber einTier sein wollen m chte die F rau au ch nur als Tier sehen. Ich habe eben auc h inder For tpf lan zun g und weil ich Geschichte akzept iere einen Sinn gesehen w h-rend Sie sagen: Das beste is t d ie Welt geht zumindestens in bezug auf diese Men-schen zug rund e ja dar be r hinaus un d das m te n Sie mir noch erklren: dieMe nschhei t sei schuld daran Mensch ge worden zu sein .C: Die M enschen s ind nicht eigent l ich schuld aber s ie s ind wie in einem Verhng -nis. Ich kann nicht erklren wie dieser Proze h t te verhinder t w erde n k nnen.Abe r was ich feststelle ist da der W eg den wir geg ang en sind ein falsche r ist .Warum s ind wir da? Nur um zu leben . . . und um das Leben zu er le iden v ie l le ich tals Zuscha uer aber nicht als Schpfer .R: Genau was Sie da sagen: Des Menschen Weg is t ein falscher Weg und gleich-zei t ig zu sagen: Er er leidet diesen Weg den er pltzl ich gehen m u da s s inddie al ten Paradoxien die w ir schon einmal festgestel l t hab en.C: Ich m chte das bibl isch erklren. Das kann wirkl ich paradox kl ingen aber ichpersnl ich ha be de n Eindruck ich bin aus der Ha nd G ottes gefallen. Also ichglaube da de r Mensch der von morgens bis abend s sich bett igt ein wie soll ichsagen ein verda mm ter M ensch is t er gehr t der Hlle. Das is t kein Leben. SehenSie das Tier mac ht be rha up t nichts. Es it un d s ieht zu.R: Da m it s ind wir nun wieder beim Adam -und-Ev a-Problem beim Snd enfal l . InIhren Augen is t es auch der Sndenfall . Wir selber sind vielleicht was heit wirzuminde stens ich w rde sagen bin so ein bich en glckl ich da ich in diesen gr-l ichen Zwiespal t geraten bin un d ich we i genau da ich mich ers tens vom Tierunterscheide in einer Fra u niemals nur das Tier sehen wrd e un d zweitens da ichauf der anderen Sei te sage: Ich knnte mit diesem Paradies der Tiere nicht viel an-fangen.C: W issen Sie mit der Frau das brau che n wir nicht sehr einfange n. Ma n m u hierabsolut aufr icht ig sprechen. Man m u die Ehr l ichkei t haben einen Ge schlechtsaktzu betrachten. Er is t etwas auerordent l ich Wicht iges und zur selben Zei t etwasganz Nichtiges er ist fast lcherlich.R: In diesem Punkt widersprechen wir uns berhaupt nicht . Es ging mir um dieEinschtzung der Frau als menschl ichen Par tner .C : Gut aber f r mich ist d ie Frau ein nebenschl iches Problem . Ich knn te ohneFra u physisch nicht leben aber das is t sagen wir metaph ysisch unwicht ig . Diewicht igen Probleme bestehen auerhalb dieser s t rengen Notwendigkei t oder ge-nauer : dieser Fatal i tt . Sie lst das wicht ige Problem des Menschseins berhauptnicht . Ich ha be immer de n Eindruc k da das Lebe n das wir leben nicht das r icht igeLeb en is t . Da s r icht ige Leb en w ie sol l ich sagen f r mich is t es ein kon temp la-t ives Leben.R: Ge nau . Da von sind wir auc h ausge gang en. Ich sagte : Sie sind auf der einenSei te fast ein Mnch Sie folgen auf eine eigene und eigenar t ige Weise dem evan-gel ischen Gebot der Armut und schl iel ich auch der Enthal tsamkeit in bezug auf

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    Die Paradoxien des E M Cioran 66die Frau. Gleichzei t ig haben Sie aber dem Trieb Tr ibut gezahl t und s ich gesagt :Das Biologische mu ich ja in Anspruch nehmen. Da gibt es fr mich al ler lei In-konsequenzen.C: Wissen Sie ich werde Ihnen auch jetzt nochmal eine indirekte Antwort geben.Flauber t hat einmal gesagt : Ich bin ein Myst iker und ich glaube an nichts . DiesW ort ist wie ein Stem pel auf me in Leb en wie soll ich sagen in dieser Un verein -barkei t s ind al le W idersprc he die ich gelebt habe einb egr if fen : um M ystiker zusein das heit an eine Grenz e gelangt zu sein un d etwas doch beh au pte t zu habenund zu gleich s ich nicht zu beteil igen. Ich f hle mich in der We lt als ein M enschder sich an nichts beteiligt.R: Das klingt als kn ne m an das W ort M ystiker durc h Zyniker ersetzen. Ichglaube Ihre Rel igion besteht in einer gewissen Form der Forderung von Asozial i -tt weil eine Sozialitt von solchen Heiligen wie wir sie he ute bera ll pred igenhren da diese Sozial itt eigent l ich etwas ganz Falsches tut nmlich n ur jenesMit leid zurechtm acht das wie Nietzsche imm er schon meinte das Schl immste is twas man an Hochmut gegen andere aufbr ingen kann .C: Ich bin absolut einverstanden. Das mu ich ganz zugestehen: Ich bin absolutasozial obwohl ich das Leiden m einer Mitmen schen ganz von nahe kenne. Ich binkein Sozialist weil fr m ich die soziale Fr ag e unlsba r ist. Also nic ht aus M itleidlo-sigkei t n icht aus Mangel an Interesse am Mitmenschen; aber ich betrachte das alsetwas das nicht wicht ig ist . Das Elen d is t nebensc hl ich. Ich hab e jahrelang m itKar toffeln gelebt ich ha be fast nur Ka r toffeln gegessen. Ich ha be das Elen d ge -kannt aber das is t unwicht ig . Wicht ig is t was einer ist Das grte Erlebnis in Pariswa r f r mic h als Philosoph ein B ettler der aus Beruf Be ttler wa r.R: Ich f ind e einen schnen Aphor ismus von Ihnen der dazu gehr t : Schauen Siesich die Fresse des Menschen an der auf i rgendeinem G ebiet Erfolg hat te der s ichabgemht hat . Sie f inden da nicht die mindeste Spur von Mit leid . Er is t aus demStoff aus dem der Feind gemacht is t .C : Wissen Sie ich ha be viele Le ute gekannt deren Le ben ein Erfo lg war . Ich m usagen: Diese Leute s ind eine groe Enttuschung fr mich gewesen. Im Gegentei ldie Leute die ihr Lebe n verfehl t hab en die s ind viel in teressanter. Ich wrd e essogar schrfer ausdrcken: wenn jemand mit seinem Leben zufr ieden is t dann is ter metap hysisch uninteressant . Die Men schen die wirkl ich interessant sind s inddiejen igen die sich nicht wie soll ich sagen objek tiv verw irklicht h ab en .R: Ein gewisser Widerspruch tut s ich Ihnen hier selber auf . Sie haben viele Bchergeschrieb en sind viel diskutiert sicherlich auc h viel attack iert wo rden . Gleichzeitigmu man sagen: Sie haben s ich auf eine Weise manifest ier t in diese Geschichtehinein die Sie so hassen un d dad urc h sind Sie sich selbst ein Paradox .C; Es gibt Paradoxe im Lebe n die ma n anne hm en m u ohne zu versuchen s ie zuerklren. Ich bin ein Gegn er der Geschichte un d Sie hab en absolut recht ich ge-hre da nicht hin . Aber was wicht ig is t : wo fr einer sich un bed ingt einsetzt. F rmich ist es die Richtung meines Denke ns oder meines Er lebens f r mich s trebe ichan die Geschichte zu berwinde n. Ich kann das nicht weil es unm glich ist . Un dSie wissen da wir speziel l in W esteuropa im Abe ndland von Gesch ichte wie an-gesteckt sind das ist unsere Krankheit.R: Spr icht hier nicht Ihre Verbind ung zu dem Volk mit aus dem Sie s tamm en?

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    K l e t t - C o t t a V e r l a g , J . G . C o t t a ' s c h e B u c h h a n d l u n g N a c h f o l g e r G m b H , R o t e b h l s t r . 7 7 , 7 0 1 7 8 S t u t t g a r t

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    66 2 Die Paradoxien des E M CioranM an spricht ja oft von dem ausg esproc henen Sinn der Ru m nen f r die Skepsis jaden Nihilismus.C: Ich kenne Deutschlan d ich kenn e Frankre ich un d I ta lien ich kenn e Spanienun d En glan d. Aber es gibt kein Volk das so skeptisch-nihilistisch so pessimistischis t wie die Rumnen. Denn das Grunder lebnis der Rumnen is t das Er lebnis derVergeblichkeit und das habe ich in meiner Kindheit ge lebt ja ich mu sagen: Daswar fr mein ganzes Leben eine belastende Erbschaf t .R: Ich glaube in Ihrem letzten Buc h schreiben Sie ma l: Ich hasse die Ok ziden ta-len weil sie das lieben weil sie es geradezu fordern da man sie hat. Also Siehassen sie und fhlen sich als Orientale?C: Ja ich fhle mich a ls Orienta le . Als ich nach W esteuropa kam kam ich mitdem G ef hl: W esteuro pa is t ohne Zuku nf t . Das is t e in verdam mter wie soll ich sa-gen e in zukunf ts loser Erdte i l . Se lbstverstndlich hat auch Osteuropa keine Zu-kunf t das wei e in jeder aber das hat auch keine Geschichte . Zukunf t exis t ie r tnicht ; von dor ther ha t man e ine gute Perspektive ber Europa. Ich lebe je tz t se i tbe r 30 Jahren in Westeuropa aber ich lebe a ls Auslnder fh le mich Auslnder .R: Je tz t komm en wir wirkl ich auf das Th em a zurck was le tz ten End es zumzentra len Problem fr Ihre Bcher wird. Soweit ich e in bich en geschichtsbew utund in greren Tradit ionen lebe und eben Kinder habe so habe ich auch das Ge-fh l: W enn Sie die For tschr i t tsgesinnung geieln dann kr iegen Sie im Au genblickun erh rt viel Rec ht. Sie sagen : Osteu ropa ha tte keine Gesch ichte un d ich alsOrienta le darf ich Sie so nennen? habe das Gefhl die e inzige Geschichtedie wirkl ich gemacht wird und zwar auf unheilvolls te Weise und im Weltmastabunte r dem groen Affe n Gottes genan nt der Teu fe l ist d ie Geschichte des Okzi-dents sozusagen uns ere Geschich te die mit ihrer Fat alit t nu n dem nch st zu einertotalen Katastrophe fhrt. So etwa lese ich es aus Ihren Bchern.C : Als ich vor dem K rieg hierh er kam sagten die Le ute auf der Stra e: Die La geist so; wir m ssen das tun wir m ssen das ma chen . Gleich nach d er N iederlag eFrankre ichs whren d des Krieges bem erkte ich hier in Paris und d ann spter derFranzose ha t nur noch e ine Idee : weg von der Geschichte keine V erantwo rtungm ehr. Alle lebt en in dieser Rich tung . Das ist vielleicht scharf a usged rckt abe r ichw rde mehr sagen: Dies Ge fhl ist je tz t bl ich in Eng land auch in Deutsch land imganzen Westen Europas.R: Ist das nicht eine ganz gro e Inkon sequ enz Ihre r eigenen Philosophie da Siesozusagen den Europern die Verantwortungslosigkei t vor der Geschichte vorwer-fen obwohl Sie ja selber sagen: Die einzige Rettung ist da man geschichtslos ist?C : Selbstverstndlich. Aber we nn ich gegen die Gesc hichte bin so auf einer meta-physischen Ebene. Dieses Westeuropa is t nicht gegen die Geschichte aus metaphy-sischen Grnden sondern aus Unfhigkeit aus Erschpfung. brigens hat auchFrancis Bondy diese Inkonsequenz bemerkt vor 20 Jahren in e iner Besprechungder N euen Z rcher Zeitun g wo er sagte : Auf der einen Seite ist Cioran geg en dieGeschichte auf der anderen sagt er: Europa will aus der Geschichte heraus.R: Ich h abe m ich in unserem Gesprch schon an Ihre Paradoxien gewhnt aber Siemssen ja mit denen leben.C: Nein. Dieser Erdte i l war das Zentrum der Weltgeschichte se i t Jahrhunder tenun d wir in Osteuropa habe n dieses W esteuropa ang ebete t und desw egen bin ich

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    Die Paradoxien des E M Cioran 663auch n ach Par is gekomm en. Um zu sehen das is t b loe pure Vergan genhei t . W r-den die Westeuroper die Geschichte aus metaphysischen oder myst ischen Grndenablehnen wie zum Beispiel Indien dan n wrd e ich zust imm en; aber es ist aus purerM digkei t aus pure r Aushhlung. Es s ind Vlker die keine Mission me hr h aben .R: Wenn wir jetzt schon so weit in die Politik gekommen sind und wahrscheinlichdie buddhist ischen Strmungen in Westeuropa als eine etwas lcher l iche Mode an-sehen die sie ja weitge hend auch sein m ag: Kom mt es nicht fast darauf hinausda Sie jetzt hoffen da viel leicht China die W eltgeschich te demn chst in denGrif f bekommt.C: Dav on bin ich berz eugt auc h fr die Zu kun f t Chinas bin ich absolut b er-zeugt . 1890 kam de r grte russische Phi losoph von damals W ladimir Solowjewnach Par is und hiel t einen Vortrag ber den Panmongolismus. Die Leute fanden ihnlcher l ich. W as er vorhergesagt ha t ist he ute Re al i tt : Die Zu kun f t is t dor t .R: Da mu ich aber etwas einschrnken. Fr Solowjew wa r doch zum Teil der Pan-mongolismus eine Bedrohung des dr i t ten Roms und nicht so sehr Westeuropas er hat ja an das dr i t te Rom in Moskau auch noch geglaubt bis zu seinem Ende.C : Vergessen Sie nicht da er sich fast zum K atholizismus bek ehrt hat. Aber ver-s tehen Sie: Ich persnlich glaube da Eu ropa in 10 20 oder 50 Jahre n vol ls tndigvon Ru lan d beherrsc ht wird nicht mili trisch aber die Hege mo nie R uland sscheint mir eine unverm eidl iche. Den noch w irkt das his tor isch provisor isch die Zu -kun f t gehr t best imm t China oder den Negern oder ich we i nicht . Dem geg enb erlebt und de nkt Eu ropa als ein zukunf ts loser Erdtei l . Aber alles das m u ich hinzu -fge n is t doch nebensch l ich. Histor ische Probleme das is t Journal ismus imGrunde. Vielleicht ist die Philosophie der Geschichte auch ein Journalismus.R: Da kommen wir wirkl ich in eine schwier ige Sache. Welt- und Heilsgeschichtewie sie fast in allen Religionen gelehrt wird wa r doch niema ls blo er Journa lismussondern Bestandtei l auch der Selbstverwirkl ichung des je einzelnen Menschen.Schl ielich hat auch die groe The rese von Avila noch die Pps te beraten s ie warauch nicht so eine ganz unpoli t ische Frau.C: Ich habe vor einem Monat einen merkwrdigen Mann getroffen einen Minis teraus dem L ibano n politisch links eingestellt sogar radikal. W as mich an ihm inte r-essier te: er war ein Fanat iker des Vedanta und in der indischen Metaphysik sehrbewander t . Ich habe ihn gefragt : Wie knnen Sie zugleich Minis ter sein und An-hn ger einer Metaphysik die hun der tproz ent ig unhistorisch ja ant ihis tor isch is t?Seine Antw ort : Theoret isch is t es ein W iderspru ch aber prakt isch nicht . F r m ichist die Ge schic hte ein Schein un d insofern ich in diesem Sc hein lebe tue ich meinePflicht bin ich ein Minister . Das ist mein Beruf aber das ist nicht wichtig; ichma che es gut aber ohne zu glauben. F r mich is t das W icht igste anderswo. Is t dasnicht die Antwort auf Ihre Fragen?R: Das ist d ie Antwort auf Ihr e Frage an den M inister aber nicht auf me ineFrage. Wir f ingen ja an: Warum haben Sie s ich nicht das Leben genommen?W aru m tun Sie so viel in eine Geschichte hinein die von Ihnen als nicht einmal er -lsungsmg lich angese hen ist . W as f r m ich eigentlich das Schlimm ste war was Siemir in diesem Gesprch gesagt habe n rger als die grte Weltkatas trophe die auchim Evangel ium schon angekndigt is t .C : W issen Sie ich glaub e m an mu aufr ichti g mit sich selbst sein un d sich auc h

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    66 4 Die Paradoxien des E M . Cioranzu a l len Widersprchen bekennen. Ich habe immer wieder gesagt , da ich nicht frdie Weltabgeschiedenheit veranlagt bin, obwohl diese Abgeschiedenheit mein Idealwar. Und ich glaube, wir alle, die in der jdisch-christlichen Tradition erzogenworden s ind, s ind nicht dafr begabt . Das is t der Grund, weshalb ich nie e in r icht i-ger Buddhist sein konnte.R: Jetzt bin ich fast versucht, diese Frage, die ich stellen wollte, wieder selber inFrage zu stellen. Sie sagten ursprnglich, die Rumnen seien von Natur aus nichtnur Skeptiker, sondern sogar Zyniker. Meinen Sie sich selber auch damit?C: Die griechischen Zyniker gehren zu meinen Lieblingsautoren. Diogenes warder Mann, den ich unheimlich schtzte, und der Philosoph, den ich in dieser grie-chischen, abendlndischen Tradition am meisten schtze, ist Pyrrhon, der Skeptiker.R: E ins bewundere ich an Ihnen: da Sie im Grunde genommen dieses Leben rea-lisiert haben. Sie sagen uns mit Recht: Wenn Ihr nicht lernt, jeden Tag ein neuesBedrfnis e inzuste l len, dann kommt Ihr nicht mehr weiter . Eigentl ich sagt das derClub of Rome schon heute . Die Frage ble ibt : Wie glauben Sie und damit kom-men wir wieder zur Geschichte lt sich so etwas kollektiv realisieren?C: Absolut nicht. Denn ich betrachte mich ja als einen Vertreter des Endes derGeschichte . Ich glaube wirkl ich, da die Menschheit enden wird, wenn a l le Men-schen wie ich sein werden. Das ist keine berheblichkeit R: Bei Ihrer Zeugungsunlust is t das vollkommen klar . Am Ende unseres Gesprchsstelle ich mir die weitere Weltgeschichte fast als einen Kampf der Kinderlosen ge-gen die Kinderbesi tzer vor , zwischen denjenigen, die noch e ine Zukunf t hier erwar-ten und denen, die sagen: Zukunf t ha t das eh nie gehabt . Hab ich je tz t ber tr ieben?C: Nein, S ie haben nicht ber tr ieben. Es wird immer Menschen geben, die nichtmehr an die Zukunf t glauben. Ich glaube, da die For tschr i t ts idee je tz t wirkl ichberwunden is t , aber es wird schon weitergehen. Die Zukunf t wird wahrscheinl ichals Zukunf t e ine unheimliche Rolle spie len, aber die Menschheit wird den Glaubenan die Zukunf t mehr und mehr ver l ieren. Ich glaube, wir t re ten in e ine Phase derGeschichte ein, wo die Tragdie, wie soll ich sagen, alltglich werden wird.R: W en n Sie gesagt h t ten: D as Pr inzip Ho ffn un g ha t ausgespie lt , dann ht t eich gesagt: Ja, das hat nun wirklich ausgespielt. Aber das Prinzip Glaube?C: Vie l le icht wird die Menschheit die Wahrhei t entdecken ich meine die Wahr-heit als vollstndige Hellsicht, wenn keine Illusion mehr besteht. Aber dann wirddie Geschichte aufhren.R: Nach dem Pr inzip Ho ffn un g un d dem Pr inzip Glaub e e ine le tz te Frag e: dasPrinzip Freiheit. Was halten Sie davon, weil Sie damals in Berlin lebend, unter denNazis, nach Paris gegangen sind, um Ihr Denken in seiner, wir sagten es schon,asozia len Form fast f r s ich al lein zu erhal ten? Was be deu te t Ihn en Fre ihei t?C: Freiheit ist fr mich das Recht, Hretiker zu sein. Ich knnte nicht leben ineinem Staat, wo die eine offizielle Philosoph ie gilt; de nn ich bin in meinem Te m pe -rament Hretiker, sogar ein Abtrnniger. Freiheit ist fr mich die Mglichkeit,nicht nur anders zu denken als die anderen, sondern seine eigentlichen Wider-sprche ungezwungen zu leben. Wo keine Fre ihei t is t , mu man die innerenWidersprche verheimlichen und das is t n icht gut fr das Gle ichgewicht e inesMenschen. Wenn Sie so wollen, ist Freiheit fr mich einfach die einzige Form derGesundheit .

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