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Aus dem Institut fur physikalische Chemie der Universitat Koln und dem Organisch-chemischen Institut der Universitat Mainz Die Polymerisation und Pfropf - Mischpolymerisation des Acroleins unter dem EinfluB von Co - 60 - Gamma - Strahlen Polymere Acroleine. 14. Mitteilung Von ARNIM HENGLEIN. WOLFRAM SCHNABEL nnd ROLF C. SCHULZ (Eingegangen am 20. Marz 1959) ZUSAMMENFASSUNG: Die Polymerisation des Acroleins im reinen Zustand und in Losung unter dem EinfluB von y-Strahlen wird beschrieben und mit anderen Polymerisations-Methoden verglichen. Bei der Block-Polymerisation entsteht ein stark vernetztes, glasartiges Polymerisat, das in waBriger schwefliger Saure unloslich ist. In Losung polymerisiert das Acrolein vie1 ra- scher; die relative Geschwindigkeit der Polymerisation ist am groI3ten in waBriger Losung. Das hier erhaltene Polymere enthalt reaktionsfahige Aldehyd-Gruppen und ist loslich in schwefliger Saure. Acrolein 1aBt sich auf Polym-thacrylester aufpfropfen. Sowohl oberflachliche als auch durchgehende Pfropfung vorgeformter Proben des Polymethacrylesters ist moglich. Das aufgepfropfte Polyacrolein enthalt reaktive Aldehyd-Gruppen, die zahlreiche chemische Veranderungen an dem Pfropf-Mischpolymeren ermoglichen. Bei der Bestrahlung des festen Polyacroleins unter AusschluB von Sauerstoff tritt Ver- netzung ein. SUMMARY: The polymerization of acrolein in bulk and in solution under the influence of y-rays has been studied and the results have been compared with other methods of polymeri- zation. A strongly crosslinked glassy polymer which is insoluble in aqueous sulfite is formed in the bulk polymerization. Polymerization in solution occurs a t a much higher rate. The relative rate of polymerization in solution was found to be highest for aqueous solutions. The polymer obtained here is soluble in aqueous sulfite and undergoes all the reactions characteristic of the aldehyde group. Acrolein can be grafted on polymethyl methacrylate. Surface as well as total grafting of given forms of polymethyl methacrylate can be achieved. The grafted polyacrolein contains reactive aldehyde groups. Subsequent chemical changes in these graft copolymers can, therefore, be carried out. Polyacrolein was found to crosslink when irradiated in the solid state in the absence of oxygen. 181

Die polymerisation und pfropf-mischpolymerisation des acroleins unter dem einfluß von Co - 60 - gamma - strahlen. Polymere acroleine. 14. Mitteilung

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Aus dem Institut fur physikalische Chemie der Universitat Koln und dem Organisch-chemischen Institut der Universitat Mainz

Die Polymerisation und Pfropf - Mischpolymerisation des Acroleins unter dem EinfluB von Co - 60 - Gamma - Strahlen

Polymere Acroleine. 14. Mitteilung

Von ARNIM HENGLEIN. WOLFRAM SCHNABEL nnd ROLF C. SCHULZ

(Eingegangen am 20. Marz 1959)

ZUSAMMENFASSUNG:

Die Polymerisation des Acroleins im reinen Zustand und in Losung unter dem EinfluB von y-Strahlen wird beschrieben und mit anderen Polymerisations-Methoden verglichen. Bei der Block-Polymerisation entsteht ein stark vernetztes, glasartiges Polymerisat, das in waBriger schwefliger Saure unloslich ist. In Losung polymerisiert das Acrolein vie1 ra- scher; die relative Geschwindigkeit der Polymerisation ist am groI3ten in waBriger Losung. Das hier erhaltene Polymere enthalt reaktionsfahige Aldehyd-Gruppen und ist loslich in schwefliger Saure.

Acrolein 1aBt sich auf Polym-thacrylester aufpfropfen. Sowohl oberflachliche als auch durchgehende Pfropfung vorgeformter Proben des Polymethacrylesters ist moglich. Das aufgepfropfte Polyacrolein enthalt reaktive Aldehyd-Gruppen, die zahlreiche chemische Veranderungen an dem Pfropf-Mischpolymeren ermoglichen.

Bei der Bestrahlung des festen Polyacroleins unter AusschluB von Sauerstoff tritt Ver- netzung ein.

SUMMARY:

The polymerization of acrolein in bulk and in solution under the influence of y-rays has been studied and the results have been compared with other methods of polymeri- zation. A strongly crosslinked glassy polymer which is insoluble in aqueous sulfite is formed in the bulk polymerization. Polymerization in solution occurs a t a much higher rate. The relative rate of polymerization in solution was found to be highest for aqueous solutions. The polymer obtained here i s soluble in aqueous sulfite and undergoes all the reactions characteristic of the aldehyde group.

Acrolein can be grafted on polymethyl methacrylate. Surface as well as total grafting of given forms of polymethyl methacrylate can be achieved. The grafted polyacrolein contains reactive aldehyde groups. Subsequent chemical changes in these graft copolymers can, therefore, be carried out.

Polyacrolein was found to crosslink when irradiated in the solid state in the absence of oxygen.

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ARNIM HENGLEIN, WOLFRAM SCHNABEL und ROLF C. SCHULZ

Einleitung

Pfropf-Mischpolymere der Struktur

- - - _ _ _ AAAAAAAAAAAAAAAAAA- - - - I B B B B I

lassen sich herstellen, indem ein Polymeres An in Kontakt mit einer monomeren Vinylverbindung B ionisiereader Strahlung ausgesetzt wird1-6). Diese Methode ist aus zwei Grunden von sehr allgemeiner An- wendung: Einmal lassen sich in der vorgegebenen Form des ,,Gerust<<- Polymeren A, bestimmte Teile wahlweise mit B uberpflanzen, z.B. eine Schicht unter der Oberflache (Oberflachen-Pfropfung) , ein Teil des In- nern (eingelagerte Pfropfung) oder das gesamte Innere (durchgehende Pfropfung) 4-6). Ferner lassen sich die Eigenschaften des urspriinglichen Polymeren A, durch geeignete Wahl des Monomeren B in bestimmter Weise verandern.

Von noch weiter reichender Bedeutung werden solche Pfropfungen, wenn die erhaltenen Pfropf-Mischpolymeren selbst durch chemische Reaktionen leicht verandert werden konnen. ES ist deshalb von Inter- esse, als monomere Komponente solche Vinylverbindungen zu verwen- den, deren Polymere Gruppen grofier Reaktionsfahigkeit ') enthalten. Acrolein, dessen Polymere haufig freie reaktionsfahige Aldehyd-Gruppen enthalten '-11), erscheint hierfur besonders geeignet. I m folgenden wer- den Versuche zur Homopolymerisation des Acroleins durch Gamma-

A. CHAPIRO, Chim. e t Ind. 76 (1956) 754; Ind. Plast. mod. 1957, 34, Februar-Heft; A. CHAPIRO, M. MAGAT und J. SEBBAN, FP. 1130099 vom 31. 5. 1955.

2 ) W. K. W. CHEN, R. B. MESROBIAN, D. S. BALLANTINE, D. J. METZ und A. GLINES, J. Polymer Sci. 23 (1957) 903.

3, A. HENGLEIN und W. SCHNABEL, Naturwissenschaften 44 (1957) 376. 4) A. HENGLEIN und W. SCHNABEL, Makromolekulare Chem. 25 (1958) 119. 5) A. HENCLEIN, W. SCHNABEL und K. HEINE, Angsw. Chem. 70 (1958) 461. 6 ) A. HENGLEIN, K. HEINE, W. HOFFMEISTER, W. SCHNABEL, CH. SCHNEIDER und H.

URL, Beitrag Nr. 962 zur Internationalen Konferenz iiber die friedliche Anwendung der Atomenergie, Genf, Sept. 1958.

7) W. KERN und R. C. SCHULZ, Angew. Chem. 69 (1957) 153. 8 ) R. C. SCHULZ und W. KERN, Makromolekulare Chern. 18/19 (1956) 4. g, R. C. SCHULZ, H. FAUTH und W. KERN, Makromolekulare Chem. 20 (1956) 161; 21

(1956) 227. 10) R. C. SCHULZ, I. LOFLUND und W. KERN, Makromolekulare Chem. 28 (1958) 58. 11) R. C. SCHULZ, Kunststoffe 47 (1957) 303.

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Die Polymerisation und Pfropf-Misrhpolymerisation des Acroleins

Strahlen beschrieben, da entsprechende Untersuchungen noch nicht durchgefuhrt worden sind; ferner wird gezeigt, daB Acrolein als mono- mere Komponente fur Pfropfversuche geeignet ist.

Experimenteller Teil

Das Acrolein wurde durch Destillation in einem Strom reinen Argons vom Stabilisator befreit. Bei den Versuchen zur Polymerisation in Substanz wurde das destillierte Monomere unter Vakuum in eine Glasrohre von 8 mm Durchmesser bis zu einer Hohe von 5 cm ab- gefullt ; die Rohre wurde anschlieaend abgeschmolzen. Nach der Bestrahlung wurde das Polymerisat durch Trocknung im Vakuum bei 45 "C vom restlichen Monomeren befreit. Bei den Versuchen zur Polymerisation in Losung wurde das destillierte Acrolein mit dem Losungsmittel in einem reagenzglasformigen Bestrahlungsgefaa gemischt. Das GefaS hatte einen Schliffaufsatz mit verschliefibarer Gaseinleitung und -ableitung. Vor der Bestrah- lung wurde die Luft aus dem GefaS durch Iangeres Einleiten von reinem Argon entfernt. Die Bestrahlungen erfolgten im Gamma-Strahlungsfeld einer Co-60-Quelle von 50 Curie, deren Installation an anderer Stelle bereits beschrieben wurde12).

Abb. 1. Vorrichtung zur Pfropf-Mischpolymerisation unter y-Bestrahlung (vgl. Text)

Viskosimetrische Messungen erfolgten an waRrigen Sulfit-Losungen des Polyacroleins bei 20°C. Die Losungen enthielten 1 g des Polymeren in 100 ccm; ihr SO,-Gehalt betrug 5 yo, und sie enthielten ferner 5 Yo Kochsalzll). Die X,,,/c-Werte wurden in mittlere Mole-

la) A. HENGLEIN, Angew. Chem. 71 (1959) 15.

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kulargewichte umgerechnet; eine entsprechende Beziehung zwischen diesen beiden Gro- Ben ist inzwischen durch osmotische und infrarot-spektroskopische Endgruppen-Bestim- mungen ermittelt worden13).

Bei den Pfropfversuchen wurde eine Folie des Geriist-Polymeren vor der Bestrahlung einer wal3rigen oder methanolischen Acrolein-Losung ausgesetzt. Das Acrolein diffundiert hierbei in die Folie, die anschlieBend allein bestrahlt wird. Zum Eintauchen und Bestrah- len der FoLie unter Ausschlul3 von Sauerstoff diente das GlasgefaB nach Abb. 1 : Die Folie F befindet sich im Rohr R, im Strahlungsfeld. Wahrend der Bestrahlung ist die Acrolein- Losung in R,, das durch den Bleiklotz Pb vor der Einwirkung der Strahlung geschutzt ist. Vor der Bestrahlung wurde die Luft aus dem GefaB durch Argon verdrangt (Einleitung: GI, Ableitung: G2). Zum Eintauchen von F in die Monomeren-Losung wurde das GefaB vor der Bestrahlung in einer Lage gehalten, in der die Losung 1; iiber das Verbindungsrohr V, nach R, gelangt und dort die Folic vollig umgibt. Nach der Bestrahlung wurde die Folie von monomerem Acrolein im Vakuum-Trockenschrank befreit. Die Folie wurde dann in waBriger Sulfit-Losung gewaschen, , um das PuBerlich anhaftende Homopolymere des Acroleins zu entfernen.

Die Homopolymerisation des Acroleins

a) Polymerisation in Substanz Bei der Bestrahlung des reinen Acroleins beobachtet man zunachst

eine Trubung der Flussigkeit durch das ausfallende Polymere, das stark gequollen ist. Diese kleinen Gelkorperchen sedimentieren zum Boden des GefaSes. Bei der weiteren Bestrahlung polymerisiert das in dem abgesetz- ten Gel enthaltene Monomere weiter und neue Gelkorperchen scheiden sich aus der Fliissigkeit iiber dem festen Bodenkorper ab. Wahrend der Reaktion ,,wachst" somit das Polymerisat von unten nach oben im Be- strahlungsgefal3; es entsteht als transparenter glasartiger Korper, der die Form des BestrahlungsgefaiBes besitzt. I n bezug auf Durchsichtigkeit und Harte hat dieses Polyacrolein ahnliche Eigenschaften wie Plexiglas. Das Polymere ist quellbar, aber nicht loslich in wal3riger schwefliger Saure. Die Farbreaktion auf freie Aldehyd-Gruppen mit fuchsinschwefliger Saure fallt negativ aus. Es ist deshalb anzunehmen, daiB die Aldehyd-

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18) H. CHERDRON, Dissertation, Mainz 1958.

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Die Polymerisation und Pfropf-Mischpolymerisation des Acroleins

Gruppe des Acroleins an der Polymerisation beteiligt ist, wodurch ein stark vernetztes unlosliches Polymeres gebildet wird. Ahnliche glasartige Produkte entstehen bei der Polymerisation des Acroleins unter dem Ein- flu6 basischer Stoffe, z. B. von Nat r i~mhydroxydl~) . Fur die Struktur dieser Produkte werden die Formeln (I) und (11) d i ~ k u t i e r t l ~ ) .

In Abb. 2 sind Zeit-Umsatz-Kurven fur zwei verschiedene Intensitaten aufgezeichnet. Die Konstanten k und a in der Beziehung

wurden ermittelt :

k = 1,94.10-5

a = 0,60

loot 100 -

80 -

Bestrohlungszeit in Stdn. -+ Abb. 2. Die Polymerisation des Acroleins ohne Losungsmittel bei zwei Dosisleistungen. Umsatz in

Abhangigkeit von der Bestrahlungszeit. Ternperatur: 20°C

1 . - . . relativer Um- d [MI dt [MI

([MI: Konzentration des Monomeren; -

satz pro Stunde zu Beginn der Reaktion; I: Dosisleistung in r /h) Zum Vergleich seien die entsprechenden Konstanten fur einige andere

Polymere angefiihrt, die aus Daten von CHAPIR015) errechnet wurden:

14) H . SCHULZ und H. WAGNER, Angew. Chem. 62 (1950) 105. 15) A. CHAPIRO, Ind . Plast . mod. 1956, 67, November-Heft .

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ARNIM HENGLEIN, WOLFRAM SCHNABEL und ROLF C. SCHULZ

Pol ymeres

Polystyrol . . . . . .

Polyvinylacetat . . . Polyacrylnitril . . . .

k a

i , 0 . 1 0 - 5 0,5

' i,i.10-3 0,5 i,4.10-5 0,8

Bestrahlungszeit in Stdn. -+ Abb. 3. Polvmerisation des Acroleins in verschiedenen Losungsmitteln. Konzentration des

Acrolelns: 15 Vo1.-%. Dosisleistung: 1,4. lo5 r/Stde. Temperatur: 20°C 186

Die Polymerisation und Pfropf-Mischpolymerisation des A4croleins

digkeit in waBriger Losung ubertrifft die der Polymerisation in Substanz um mehr als das zehnfache. In allen anderen Losungsmitteln erfolgt die Polymerisation langsamer als in Wasser ; die relative Geschwindigkeit der Polymerisation in i-Propanol und Methanol ist jedoch noch groBer als die der Substanz-Polymerisation.

In den Losungen wird die Strahlung im wesentlichen durch das Lo- sungsmittel absorbiert, das in vie1 grol3erer Konzentration vorhanden ist als das Acrolein. Die Auslosung der Polymerisation erfolgt demnach hauptsachlich durch freie Radikale aus der Radiolyse des Losungsmit- tels. I n Wasser werden pro 100 eV absorbierter Strahlenenergie 6 freie Radikale (H-Atome plus OH-Radikale) gebildetI6). Die kinetische Ket- tenlange der Polymerisation in wafiriger Losung ist demnach

Zahl der pro 100 eV umgesetzten Acrolein-Molekeln (2)

- - G(Po1ymer) G(R)wasser 6

n =

Aus den Daten in Abb. 3 errechnet sich n fur die Polymerisation in Was- ser zu 1,O. lo3. Die viskosimetrischen Polymerisationsgrade dieser Pro- dukte betrugen 103-5. lo3. Sie sind somit etwas hoher als nach G1. 2 zu erwarten ware. Dieses Ergebnis zeigt, daB Obertragungsreaktionen bei der Polymerisation des Acroleins in waBriger Losung keinen groBen Ein- fluB hahen. Die hohen Polymerisationsgrade sind vielleicht auf eine teil- weise Vernetzung der Polymerisate zuruckzufuhren (vgl. unten).

Bei den Polymerisationsversuchen nach Abb. 3 fie1 das Polyacrolein als weiBes ungequollenes Pulver aus. Fur den Exponenten a in G1. (1) ergab sich 0,71 bei der Polymerisation in waBriger Losung (untersuchter Intensitatsbareich: 1-20. lo4 r /h) . Diese Abweichimg vom 1°p5-Gesetz ist wieder darauf zuruckzufuhren, daB das Polymere im Reaktions- medium unloslich ist, weshalb sich kein stationarer Zustand wahrend der Reaktion einstellt. a > 0,s wurcle auch bei der Polymerisation des Acryl- nitrils in Wasser beobachtet 17), wo ahnliche Verhaltnisse in bezug auf die Unloslichkeit des gebildeten Polymeren bestehen.

Die G(R)-Werte der organischen Losungsmittel in Abb. 3 unterschei- den sich nicht wesentlich von dem des Wassers. So entqtehen freie Radi- kale in Alkoholen mit G = 6,l-6,8 l 8 ) . Die geringere Geschwindigkeit der Polymerisation in jenen Losungsmitteln ist deshalb nicht auf eine klei-

16) Vgl. M. LEFORT in M. HAISSINSKY, ,,Actions chimiques et biologiques des radiations",

17) E. COLLINSON und F. S. DAINTON, Discuss. Faraday SOC. 12 (1952) 212. I*) A. HENGLEIN, J. LANGHOFF und G. SCHMIDT, J. physic. Chem. im Drtick.

Masson et Cie., Paris 1955, Ser. 1.

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nere Startgeschwindigkeit zuruckzufiihren. Vielmehr mogen zwei Grunde fur die groSe Geschwindigkeit der Polymerisation in waoriger Losung verantwortlich sein : a) Der nicht-stationare Reaktionsverlauf durch die Ausfallung des gebildeten Polymeren, die von der Art des Losungsmit- tels abhangen diirfte. b) Die Maskierung der Aldehydgruppe des Acro- leins durch das Losungsmittel ; in Wasser hat das Acrolein vermutlich die Struktiir eines Aldehyd-Hydrats.

Das in wal3riger Losung erhaltene Polymere ist den Produkten ahnlich, die in waSrigem Medium durch Redox-Systeme l9) gebildet werden. Diese Polymeren sind im Gegensatz zum Substanz-Polymeren in waSriger schwefliger Saure loslich. In ihren Ultrarot-Spektren ist die Bande der Carbonylgruppe nur schwacb vertreten, sie enthalten aber starke Ab- sorptionsbanden der C-0-C-Gruppierung. Jedoch lassen sich Aldehyd-r Gruppen chemisch nachweisen, z. B. durch fuchsinschweflige Saure oder durch Benzsulfhydroxamsaure. Diese Eigenschaften werden durch die schon friiher diskutierte Strukturformel I11 verstandlich, wonach die Aldehydgruppen des Polymeren als Aldehydhydrat-Gruppen (a) vor- liegen, die mit alkoholischen Gruppen (b) oder mit anderen Aldehyd- gruppen Halbacetale oder Aldehydhydrat-ather (c und d) bildenll). Ver- netzungsstellen, die zwischen zwei Makromolekeln durch solche Grup- pen gebildet werden (e), verschwinden bei der Auflosung in schwefliger Saure.

. . --CH,-CH-CHz-CH-CHz-CH-CHz-CH-CH,-CH-CHz-CH-.. I

CH,OH (b)

OH

I I I ( 4 / \ / \ / \ / I

CH I

CH I

(a) OH HO 0 0 0 0 0

CH I

CH HOCH

I / \ /

I I ( 4 ( 4 CH CH

. . -CH,-CH-CH,-CH-. . (111)

Die Vernetzung des Polyacroleins durch Strahlung Die hohen Polymerisationsgrade der in waSriger Losung hergestellten

Polyacrolein-Proben veranlaflten uns, nach einer Vernetzung des Poly- acroleins unter dem EinfluS der y-Strahlung zu suchen. Makromoleku- lare Substanzen, die im festen Zustand durch ionisierende Strahlung ver- netzt werden, lassen sich meist auch in Losung vernetzene* 20-22). Was-

lo) R. C. SCHULZ, H. CHERDRON und W. KERN, Makromolekulare Chem. 24 (1957) 141. 2'J) P. ALEXANDER und A. CHARLESBY, J. Chim. physique 52 (1955) 694; J. Polymer Sci.

") A. HENGLEIN und CH. SCIINEIDER, Z. physik. Chem. (N.F.) 18 (1958) 56. ") A. HENGLEIN, J. Amer. chem. SOC. im Druck.

23 (1957) 355.

Die Polymerisation und Pfropf-Mischpolymerisation des Acroleins

aer ist hierfiir ein besonders geeignetes Losungsmittel ; die Geschwindig- keit der Vernetzung in wafiriger Losung ubertrifft die der Vernetzung im festen Zustand oft um mehr als das 10fache20y22). Polymere der Struktur

R, R, I I

I I ** R,

. ' -C-CH2- C-CH2- . *

sind im allgemeinen vernetzbar, wenn wenigstens e-ae der Gruppen R,, R, ein H-Atom istZ3). Fur Polyacrolein ist diese Bedingung erfullt. Tat- sachlich wird Polyacrolein im festen Zustand durch Strahlung langsam Yernetzt; dies zeigt Tab. 1, aus der hervorgeht, dalj die reduzierte Vis- kositat des Polyacroleins mit steigender Dosis zunimmt, bis es schlieljlich unloslich wird.

Tab. 1. Bestrahlung des festen Polyacroleins * ) unter AusschluS von Sauerstoff. qsp/c in Abhangigkeit von der Dosis

Dosis in r

0 3,3.106 1,s. 107 2,6.107

Loslichkeit in wafiriger schwefhger Saure

vollig loslich, Losung klar vollig loslich, Losung klar

kleiner Anteil unloslich, Losung triib Gel

0,155 0,162 0,278

nicht mehr viskosi- metrisch mel3bar

* ) Das Polymere wurde hergestellt durch Polymerisation in 15Vol yoiger waSriger Losung (Dosisleistung: 1 , l . lo4 r/Stde. Zeit: 18 Stdn.; Umsatz: 17%).

Pfropf- Mischpolymerisation des Acroleins

Als Trager-Polymeres fur die Pfropfversuche diente Polymethacryl- ester, dessen Pfropfung durch andere Monomere bereits beschrieben wurde5). Wie aus den friiheren Untersuchungen bekannt ist5), 1a13t sich wahlweise eine durchgehende oder oberflachliche Pfropfung des Tragers erreichen, wenn der Diffusionskoeffizient des Monomeren in dem Trager- Polymeren groo ist und wenn der NERNST-Koeffizient fur seine Vertei- lung zwischen dem Trager und der Losung nicht zu grolj ist. Fur die Dif- fusion des Acroleins aus einer methanolischen Losung in eine Polymeth- acrylester-Folie sind diese Bedingungen erfullt. Das System verhalt sich

23) A. CEAPIRO, Ind. Plast. mod. 1957, 41, Januar-Heft.

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wie das friiher beschriebene System Polymethacrylester-methanolische Acrylnitril-Losung5).

I n Abb. 4 a wird die Menge des eindiffundierten Acroleins in Abhangig- keit von der Diffusionszeit gezeigt. Die Menge des aufgenommenen Mono- meren wurde dabei auf die gesamte Oberflache der Folie bezogen. Nach langeren Zeiten 16st sich die Folie in der 40y0igen Losung auf; in der 20y0igen Losung bleibt die Form der Folie auch nach langer Einwir- kungszeit erhalten, und es stellt sich ein Gleichgewicht in bezug auf die Menge des eingedrungenen Monomeren ein.

Diffusionszeit (Stdn. ) Bestrohlungrreit (Stdn.) --+ - + -

Abb. 4. a ) Diffusion des Acroleins aus methanolischen Losungen in eine Polyrnethacrylester-Folie (30 x 8 x 1 mm). Menge des pro cmz Oberflache der Folie eindiffundierten Acroleins in Abhangigkeit

von der Zeit. Temperatur: 20°C. Konzentration des Acroleins in der Methanol-Losung: 0 : 40 V01.-%; 0 = 20 Val.-%

b) Pfropf-Mischpolymerisation des Acroleins in der Polymethacrylester-Folie. Diffusionszeit vor der Bestrahlung: 5 Stdn. Pro cmZ Oberflache aufgepfropftes Acrolein in Abhangigkeit von der Be-

strahlungszeit. Dosisleistung: 4 . lop r/Stde.

Bei den Versuchen nach Abb. 4 b wurde die Folie 5 Stunden dai me- thanolischen Acrolein-Losung ausgesetzt und dann verschieden lang be- strahlt. Nach 5 Stunden sind nach Abb. 4a 3 bzw. 17 mg Acrolein pi0 cm2 aufgenommen worden. Diese Mengen sind nach Abb. 4 b nach ca. 20 Stunden polymerisiert. Ein Vergleich mit Abb. 2 lehrt, daB die rela- tive Geschwindigkeit der Polymerisation des Acroleins in einer Poly- methacrylester-Folie vie1 grol3er ist als die seiner Polymerisation in Snb- stanz. Die grol3e Geschwindigkeit bei der Pfropf-Polymerisation macht das Acrolein zu einer brauchbaren monomeren Komponente bei solchen Versuchen. Die Polymerisation des Acrylnitrils in einer Polymethacryl- ester-Folie verlauft mit etwa derselben relativen Geschwindigkeit 5 ) .

Bei langeren Bestrahlungszeiten (Abb. 4b) wird jedoch mehr Acrolein aufgepfropft als der Menge des eindiffundiei ten Monomeren entspricht.

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Die Polymerisation und Pfropf-Mischpolymerisation des Acroleins

Diese Erscheinung kommt dadurch zustande, dal3 Acrolein laufend aus der Losung L im Rohr R, (Abb. 1) uber die Gasphase zur Folie F ge- langt. Diese Nachdiffusion wahrend der Bestrahlung wird vermieden, wenn in R, eine wal3rige Losung des Acroleins verwendet wird, iiber der sein Dampfdruck geringer ist.

Die gepfropften Folien weisen zahlieiche winzige Risse an ihrer Ober- flache auf. Unter dem Polarisationsmikroskop zeigen die Folien Doppel- brechung, die entlang der Risse besonders ausgepragt ist. Offenbar herr- schen in der Folie an den Stellen, an denen die Pfropfung erfolgte, erheb- liche Spannungen, die wohl auf die ca. 60%ige Kontraktion des eindif- fundierten Acroleins bei seiner Polymerisation zuriickzufiihren sind. Oberflachlich gepfropfte Folien werden aber trotz dieser Risse von der Pfropfschicht liickenlos umgeben. Dies erkennt man hei ihrer Quellung in Chloroform, in dem nur das Trager-Polymere loslich ist. Die Pfropf- schicht an der Oberflache erweist sich als semipermeable Membran, die das Chloroform durchlal3t und die Makromolekeln des ungepfropften Tragers im Innern zuruckhalt. Bei der Quellung solcher Folien wird das bei anderen Systemen bereits beobachtete Quellungs-Gleichgewicht er- reicht, in dem sich der osmotische Druck im Innern und der Turgordruck der elastisch gespannten Membranschicht des Pfropfpolymeren die Waage halten3-5). Durchgehend gepfropfte Folien quellen ebenfalls beschrankt ; hier wirkt das eingepflanzte Polyacrolein als unlosliches gespanntes Netz- werk der Losungsmittel- Aufnahme des Trager-Polymeren entgegen ".

Das aufgepfropfte Polyacrolein hat eine ahnliche Struktur wie das in wal3riger Losung hergestellte Homopolymerisat. Es enthalt zahlrei- che Aldehydgruppen, die zu chemischen Reaktionen fahig sind. Zu ihrem Kachweis eignen sich die Reaktionen mit fuchsinschwefliger Saure und mit Benzsulfhydroxamsaure-Fe(II1)-salzen, die zu violett bzw. rotbraun gefarbten Folien fuhren. Durch diese Anfarbung lal3t sich die Dicke der Pfropfschicht unter der Oberflache der Folie leicht erkennen und aus- messen. Das aufgepfropfte Polyacrolein Ial3t sich - ahnlich wie Homo- P o l y a ~ r o l e i n ~ ~ ) - gemlo einer CANNIZZARO-Reaktion unter Bildung von Alkohol- und Carboxylatgruppen disproportionieren. Die letzteren tau- schen Kationen aus und lassen sich durch Saure in die Carboxylgruppen uberfuhren.

Der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT danken wir fur die Unter- stiitzung mit Sachmitteln und fur die Gewahrung eines Stipendiums. Die Untersuchungen wurden ferner gefordert durch Mittel des FONDS DER

CHEMISCHEN INDUSTRIE und der Firma DEGUSSA (Frankfurt-M).

*4) R. C. SCHULZ, E. MULLER und W. KERN, Naturwissenschaften 45 (1958) 440. 191