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Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:89–107 DOI 10.1007/s12399-013-0371-y Online publiziert: 08.11.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Prof. Dr. C. Scherrer () Universität Kassel, Nora-Platiel-Str. 1, 34127 Kassel, Deutschland E-Mail: [email protected] Die Post-hegemoniale USA? Christoph Scherrer Zusammenfassung: Seit der Finanzkrise gelten die USA als post-hegemonial. Dies ist über- trieben und Folge unscharfer Bestimmungen von Hegemonie. Sicherten die USA im Fordismus kapitalistische Verhältnisse nach Außen militärisch und nach Innen mit Produktivitätspakten ab, so verfechten sie heute die neoliberale Stärkung der Rechte der Kapitaleigner mittels Globali- sierung, Finanzialisierung und Militarisierung. Derzeit besteht eine verschränkte Hegemonie des US-Nationalstaats und der emergenten transnationalen Bourgeoisie. Schlüsselwörter: Hegemonie · Vereinigte Staaten von Amerika · Transnationale Bourgeoisie · Militärische Vormacht · Technologische Vormacht The Post-hegemonic USA? Abstract: Many consider the U.S. as post-hegemonic nowadays. This is an exaggeration and results from an imprecise definition of hegemony. During Fordism the U.S. defended capitalist relations militarily abroad and with productivity pacts domestically. Today they pursue a neolib- eral strategy of strengthening the rights of property holders via globalization, financialization and militarization. Thus, the current state of hegemony consists of a linkage between the U.S. state and an emerging transnational bourgeoisie. Keywords: Hegemony · United States of America · Transnational bourgeoisie · Military leadership · Technological leadership

Die Post-hegemoniale USA?; The Post-hegemonic USA?;

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Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:89–107DOI 10.1007/s12399-013-0371-y

Online publiziert: 08.11.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Prof. Dr. C. Scherrer ()Universität Kassel, Nora-Platiel-Str. 1, 34127 Kassel, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Die Post-hegemoniale USA?

Christoph Scherrer

Zusammenfassung: Seit der Finanzkrise gelten die USA als post-hegemonial. Dies ist über-trieben und Folge unscharfer Bestimmungen von Hegemonie. Sicherten die USA im Fordismus kapitalistische Verhältnisse nach Außen militärisch und nach Innen mit Produktivitätspakten ab, so verfechten sie heute die neoliberale Stärkung der Rechte der Kapitaleigner mittels Globali-sierung, Finanzialisierung und Militarisierung. Derzeit besteht eine verschränkte Hegemonie des US-Nationalstaats und der emergenten transnationalen Bourgeoisie.

Schlüsselwörter: Hegemonie · Vereinigte Staaten von Amerika · Transnationale Bourgeoisie · Militärische Vormacht · Technologische Vormacht

The Post-hegemonic USA?

Abstract: Many consider the U.S. as post-hegemonic nowadays. This is an exaggeration and results from an imprecise definition of hegemony. During Fordism the U.S. defended capitalist relations militarily abroad and with productivity pacts domestically. Today they pursue a neolib-eral strategy of strengthening the rights of property holders via globalization, financialization and militarization. Thus, the current state of hegemony consists of a linkage between the U.S. state and an emerging transnational bourgeoisie.

Keywords: Hegemony · United States of America · Transnational bourgeoisie · Military leadership · Technological leadership

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1 Einleitung

Die Wahrnehmung der weltpolitischen Stellung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) unterlag in den letzten Jahrzehnten raschen Stimmungsumschwüngen. So schrieb der Kommentator Fareed Zakaria 2004 den USA „umfassende Unipolarität“ zu (zitiert in Marcus 2004), bereits vier Jahre später lamentierte er über die „postamerikanische Welt“ (Zakaria 2008). Angesichts des Zerfalls der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre, dem Wirtschaftsaufschwung unter Präsident Clinton und der raschen Zerschlagung des Taliban-Regimes in Afghanistan und des Bath-Regimes im Irak, konnte in der Tat der Eindruck entstehen, dass die USA allein die großen Linien der Weltpolitik vorgeben könnten. Nachdem nun die USA 2008 selbst von einer tiefgreifenden Finanzkrise erfasst wurden, der Aufbau Afghanistans und des Iraks als wirtschaftlich stabile und demokra-tische Gesellschaften als gescheitert angesehen werden muss, und Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien trotz Weltwirtschaftskrise ein beeindruckendes Wirtschafts-wachstum vorzuweisen haben, scheint die Macht der USA mächtig geschrumpft zu sein. Doch kann sich die Stellung einer Weltmacht, die über Jahrzehnte gereift ist, innerhalb weniger Jahre und ohne Weltkrieg, so schnell ändern? Plausibler erscheint mir das Argu-ment eines der führenden Apologeten US-amerikanischer Macht, Robert Kagan, dass nämlich der Niedergang einer Großmacht das Resultat fundamentaler Veränderungen in der internationalen Verteilung unterschiedlichster Formen von Macht über einen längeren Zeitraum ist (2012). Ein hegemonialer Entscheidungskrieg ist meist dazu nötig, der selbst wiederum die Zuspitzung eines längeren Prozesses ist (Bousquet 1980).

In diesem Beitrag bemühe ich mich, der Versuchung einer ereignisgetriebenen Zeitdia-gnose zu widerstehen. Der Fokus wird entsprechend auf strukturelle Faktoren US-ame-rikanischer Vormachtstellung gerichtet. Die Betonung struktureller Faktoren soll jedoch nicht, wie bei den meisten solcher Analysen (zum Beispiel Callinicos 2009), in Aussagen über die Zukunft münden. Die Geschichte lehrt uns, dass Imperien oder hegemoniale Staaten bisher immer von anderen abgelöst wurden, und für diese Ablösungen liegen plausible Erklärungen vor (z. B. Hopkins und Wallerstein 1980). Die Bestimmung der Zeitpunkte solcher Ablösungen hat sich jedoch selbst ex post als schwierig herausgestellt (Busch 1985), ex ante ist es noch wesentlich schwieriger. Die Tatsache, dass Großbritan-nien zwei Hegemonialzyklen (1688–1792 und 1792–1914) beherrschen konnte (Model-ski 1987), sollte hinsichtlich der Spekulation über das Ende des amerikanischen Zeitalters zur Vorsicht mahnen. Basierend auf einer historischen Analogie mit den USA gegenüber England im 19. Jahrhundert, sagen manche den Aufstieg Indiens und Chinas voraus (z. B. Subramanian 2011; Zakaria 2008). Wenngleich vieles dafür spricht, dass sich insbeson-dere China dynamisch entwickelt, so bleibt zum einen unklar, inwiefern diese Länder Antworten auf die Verwundbarkeit des amerikanischen Imperiums (Foukas und Gökay 2012) bieten können und zum anderen werden mögliche Widersprüche in der rasanten Entwicklung dieser Länder kaum thematisiert. Ebenso wenig, wie ich über die Zukunft der USA hier spekulieren werde, werde ich mich über die zukünftige Entwicklung die-ser Länder äußern, auch wenn deren Dynamik Folgen für die globale Stellung der USA haben wird. Mein Augenmerk richtet sich auf die derzeitige Situation.

Dieser Beitrag wird eine von mir zu Beginn dieses Jahrtausends in die Debatte über die Hegemonie der USA eingebrachte These, nämlich die These einer doppelten Hege-

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monie (Scherrer 2001), aktualisieren, konkretisieren und mit einem neuen Begriff bele-gen, nämlich der verschränkten Hegemonie. Darunter verstehe ich die Verschränkung der Hegemonie des US-amerikanischen Nationalstaates mit der Hegemonie einer emergenten internationalen Bourgeoisie. Die inhaltliche Füllung des Begriffs Hegemonie entnehme ich den Werken von Antonio Gramsci.

Diesen Beitrag beginne ich mit einer Darstellung meines theoretischen Zugangs. Sodann werde ich die derzeitige Vormachtstellung der USA anhand der klassischen Dimensionen Militär, Wirtschaft, Kultur und Institutionen, beleuchten, um dann auszu-loten, inwiefern die These der doppelten Hegemonie zutrifft. Konkret untersuche ich, inwiefern das von der US-Regierung vorangetriebene neoliberale Projekt auch die Inter-essen der internationalisierten Kapitalfraktionen sowohl in den kapitalistischen Kernlän-dern als auch in den zentralen Herausforderstaaten berücksichtigt.

2 Verschränkte Hegemonie

Die Schulen im Feld der internationalen Beziehungen und der internationalen politischen Ökonomie füllen den Begriff Hegemonie recht unterschiedlich. Hier soll die gramsciani-sche Belegung des Begriffs benutzt werden, sprich Hegemonie wird dann ausgeübt, wenn es gelungen ist, partikulare Interessen weitgehend zu universalisieren und mit staatlicher Gewalt zu panzern (Gramsci, Gef., H. 6, § 88, 783). Die Betonung liegt hier auf weit-gehend, da Gramsci einen Herrschaftszustand nicht erst dann als hegemonial bezeichnet, wenn alle diese Herrschaft für legitim halten und ihr zustimmen. Die Gegner können innerhalb oder außerhalb der nationalen Gesellschaft verortet werden.

Gramsci verwendete den Begriff Hegemonie allerdings nicht primär für zwischen-staatliche Verhältnisse, sondern für innergesellschaftliche. Ihn interessierten die Prozesse der Hegemonialwerdung einer gesellschaftlichen Klasse. Robert Cox, der Gramsci für die internationale politische Ökonomie fruchtbar gemacht hat, verbindet die gesellschaft-liche mit der zwischenstaatlichen Ebene, indem er aufzeigt, dass die Hegemonie eines Staates gegenüber anderen Staaten auf der Hegemonie einer gesellschaftlichen Klasse innerhalb dieses Staates beruht (Cox 1987). Für die USA ist dies die Bourgeoisie als Sammelbegriff für die Geldvermögensbesitzer sowie die Eigentümer und Manager von Unternehmen, wobei die international orientierten Kapitalfraktionen unter ihnen führend sind (Gill 1990; Scherrer 1999). Andere Arbeiten in der Tradition von Gramsci haben die Entstehung einer internationalen Bourgeoisie in der Nachkriegszeit beschrieben. Für die Herausbildung einer solchen internationalen Bourgeoisie haben Teile des US-amerika-nischen Kapitals eine entscheidende Rolle gespielt (van der Pijl 1984; Gill 1990). Es ist nun meine These, dass es im Zuge der Verallgemeinerung neoliberaler Ideen und Prak-tiken zu einer Verschränkung der Interessen der hegemonialen Bourgeoisie in den USA, und damit entsprechend den Projekten des US-amerikanischen Staates mit den Interessen internationalisierter Kapitalgruppen in anderen Ländern kam.

Die Rolle der Nationalstaaten wurde in den Arbeiten zur transnationalen Bourgeoi-sie eher vernachlässigt. Doch nicht nur aufgrund der zuletzt in der Finanzkrise deutlich gewordenen Bedeutung der Nationalstaaten sollte die Vergemeinschaftung von Men-schen über die Nationalstaaten nicht vernachlässigt werden, sondern auch aufgrund theo-

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retischer Überlegungen. Der Verzicht auf eine kollektive Identität für das Fortbestehen der Legitimation von Marktergebnissen ist nämlich schwer vorstellbar. Zum einen bedarf das Lohnverhältnis für seine nachhaltige Akzeptanz den Anschein von Gemeinsamkeiten zwischen Kapital und Arbeit, zum anderen erscheint ein durch die Konkurrenz erzwun-gener Marktaustritt weniger legitim, wenn die Marktteilnehmer nicht über Gemeinsam-keiten jenseits der Marktteilnahme verfügen. Solche Gemeinsamkeiten können über Glaubens- oder Sprachgemeinschaften entstehen; historisch hat sich die nationale Identi-tät als besonders wirkmächtig erwiesen. Im Zeitalter der Globalisierung hat die nationale Anrufung nicht gänzlich an Wirkung verloren, unter einigen Bevölkerungsteilen sogar an Bedeutung hinzugewonnen (Castells 2002).

Wie ist nun diese Verschränkung genau zu verstehen? Bastiaan van Apeldoorn, dessen Arbeiten ebenfalls ein neogramscianisches Theorieverständnis anleiten, sieht den Einfluss wesentlich von Seiten des Kapitals auf den Staat gerichtet, und zwar einerseits struktu-rell vorgegeben und andererseits durch eine personelle Verquickung. Insbesondere in den USA würden die geopolitischen Strategen Karriere in international ausgerichteten Unter-nehmen bereits durchlaufen haben oder nach dem Staatsdienst noch anstreben. Im Staats-dienst würden sie allerdings weniger die Interessen ihrer vorhergehenden oder künftigen Beschäftigter vertreten, sondern mehr das Allgemeininteresse des Kapitals (Van Apel-doorn und de Graaf 2012). Die Revolving Door zwischen Privatunternehmen und Staat ist tatsächlich für die USA ausgeprägt, doch sehe ich die Verschränkung zwischen diesen beiden Institutionen als ein wechselseitiges Verhältnis. Es ist nicht nur das Kapital, das den Staat organisiert, sondern es sind auch staatliche Akteure, die Teile des Kapitals orga-nisieren und mit diesem ähnliche Ziele verfolgen. Ein Beispiel soll hier zur Illustration genügen. Die verfassungsmäßige Beschränkung des US-Präsidenten in der Innenpolitik macht für diesen die Außenpolitik zu einem Profilierungsmetier und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Bei der Verfolgung seiner außenpolitischen Ambitionen sind die internationalorientierten US-Unternehmen natürliche Verbündete, und zwar aufgrund ihrer Interessenstruktur und ihrer Ressourcen (Scherrer 1999, S. 53–55).

Die Verschränkung von Staat und internationalem Kapital jenseits des Nationalstaats wird mit dem Begriff „internationalisierter Staat“ (Brand et al. 2007) treffend gefasst. Die im Staat verdichteten Kräfteverhältnisse führen bei einer zunehmenden Transnationali-sierung der jeweils eigenen Bourgeoisie im Zusammenspiel mit internationalen Kräften zu einer Ausrichtung der staatlichen Apparate auf deren Bedarfe. Weniger zutreffend ist die von Brand et al. vorgeschlagene Bezeichnung für die internationalen Organisationen, Foren und Regime als „Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zweiter Ord-nung“, da diese Metapher nahelegt, dass die Global Governance nur die in den jeweili-gen Einzelstaaten verdichteten Kräfteverhältnisse widerspiegelt. Für die heutige Global Governance ist jedoch kennzeichnend, dass Akteure aus den jeweiligen Nationalstaaten (oder die Vertreter dieser Nationalstaaten) unabhängig vom historischen Kräfteverhältnis im Nationalstaat auf diese einwirken. So haben sich das US-Kapital und die US-Regie-rung bereits in den 1970er Jahren, zu einer Zeit als die US-amerikanischen Gewerkschaf-ten durchaus noch mächtig waren, für internationale Handels- und Kapitalverkehrsregeln eingesetzt, die für Lohnabhängige von Nachteil waren (Scherrer 1999, S. 185–206).

Die Verschränkung der nationalstaatlichen mit der klassenbasierten Hegemonie im Weltmaßstab fußt auf der Open-Door-Tradition der USA, deren „nicht-territorialer“

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Imperialismus (Van Apeldoorn und de Graaff 2012, S. 596) bei der Öffnung fremder Märkte auch die Interessen der Kapitalgruppen anderer Zentren mitberücksichtigt. Dies beinhaltet insbesondere, dass der Zugang zu Ressourcen gemäß dem Kriterium Kaufkraft (und nicht politische Monopolisierung) und zu Verbrauchern gemäß dem Kriterium des Preis-Leistungs-Verhältnisses gesichert wird. Wenngleich die US-Regierungen vom Ideal der Open Door immer wieder abweichen und den eigenen Kapitalgruppen Vergünstigun-gen zuschanzen (Williams 1959), die den fremden Kapitalien nicht offen stehen, so sind sie im Schnitt nicht allzu sehr von diesem Ideal entfernt und sichern Märkte, ja sogar Zugang zum eigenen Steueraufkommen (zuletzt in der Finanzkrise, siehe unten) für aus-ländische Kapitalien (Stokes und Raphael 2010). Umgekehrt gilt, dass ohne Zugang zu den Ressourcen des US-amerikanischen Staates, hier insbesondere das Militär und die Steuerkraft (siehe unten zur Krisenbewältigung), das Projekt dieser emergenten inter-nationalen Bourgeoisie insbesondere hinsichtlich der Sicherung der privaten Eigentums-ordnung nicht denkbar ist.

Inhaltlich bedeutet die verschränkte Hegemonie von US-Staat und internationaler Bourgeoisie die Sicherung einer privaten Eigentumsordnung weltweit unter Wahrung der Interessen des US-Kapitals als Ganzes und der relativen Handlungssouveränität des US-Staates gegenüber anderen Staaten. Im Folgenden werde ich deshalb in einem ersten Schritt die derzeitige Machtposition der USA anhand der in den Internationalen Bezie-hungen üblichen Machtressourcen identifizieren und dann in einem nächsten Schritt untersuchen, inwiefern das von den USA vertretene Projekt der Sicherung der privaten Eigentumsordnung von den Regierungen und Kapitalgruppen sowohl in den anderen Zentren des Kapitalismus als auch in der dynamischen Peripherie mitgetragen wird.

3 Klassische Dimensionen der Vormachtstellung der USA

Ein Großteil des akademischen Feldes der Internationalen Beziehungen wird von der Frage nach den globalen Machtverhältnissen beherrscht. Entsprechend umfangreich ist die Literatur zur globalen Stellung der USA. Die Realisten in ihren jeweiligen Erschei-nungsformen sehen in der militärischen Schlagkraft sowie der wirtschaftlichen (und tech-nologischen) Stärke die ausschlaggebenden Machtressourcen (z. B. Tellis et al. 2000). Im Institutionengefüge der internationalen Beziehungen, in der Fähigkeit Bündnisse zu schließen und in der kulturellen Attraktivität (soft Power) erkennen die Idealisten in ihren jeweiligen Spielarten weitere Machtressourcen (z. B. Nye 2011). Ich werde diese klas-sischen Dimensionen zunächst als Ausgangspunkt der machtpolitischen Verortung der USA in der gegenwärtigen Welt heranziehen.

3.1 Mit Abstand führende Militärmacht ohne globales Gegenbündnis

Die von den USA geführten Kriege im Mittleren Osten bewerten nun im Abstand von zehn Jahren einige Kommentatoren als Rückschläge im Streben der USA nach Welt-herrschaft (Hildebrandt 2009; Dodge 2007). Gemessen am propagandistischen Ziel, Afghanistan und den Irak zu wirtschaftlich starken Demokratien zu entwickeln, hat das US-amerikanische Militär versagt. Gleichwohl wurde deutlich, dass sich die USA solche

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Kriege durchaus leisten können und es ihnen gelingt, im weit entfernten, schwierigen Gelände militärische Siege zu erringen. Zudem verschafften sie sich Präsenz auch in solchen Weltgegenden, in denen sie zuvor nicht über militärische Basen verfügten. Dies bringt sie zudem an die Südflanke Russlands und die Westflanke Chinas. Freilich hatten diese Kriege die nicht-intendierte Folge, dass das Ziel der Eindämmung des Irans verfehlt wurde, da zwei entscheidende Feinde des Irans, Saddam Hussein und die Taliban, ver-nichtet wurden. Zudem erhöhten diese Aktionen die Popularität der USA im arabischen Raum nicht (Hurst 2009).

Gleichwohl dürfte die Stellung der USA in dieser an Rohöl reichen und damit strate-gisch wichtigen Region gestärkt worden sein. Zuletzt nutzten die USA den „arabischen Frühling“ zum Ausbau ihres Einflusses in den arabischen Ölstaaten (für gegenteilige Ansichten s. Bericht von Keiswetter 2012). Ein von den USA als Schurkenstaat bezeich-netes Regime, Libyen, ist bereits gefallen, so dass neben dem Iran und dem machtpoli-tisch unbedeutenden Kuba nur noch Nordkorea von dieser ursprünglichen Liste der rogue states (Nordkorea, Kuba, Irak, Iran und Libyen; Lake 1994) übrig bleibt. Gegen-über Nordkorea gelang es den USA 2006 das traditionelle Bündnis mit der Volksrepublik China zu lockern, indem sie die chinesische Regierung dazu brachten, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Wirtschaftssanktionen zuzustimmen (Resolution 1718 des UN-Sicherheitsrates). Mithin sind die USA zwar militärisch nicht allmächtig, aber seit dem Ende des Kalten Krieges konnten sie ihre militärische Präsenz weltweit ausbauen und die von ihnen zu Feinden erklärten Regime entweder vernichten oder in ihrem Handlungs-raum stark einschränken (Beckley 2011, S. 73–76).

Die von Präsident Obama präferierte Form der Kriegsführung mit Drohnen erhöht die Reichweite US-amerikanischer Militäreinsätze (Kagan 2012; kritisch zu dieser Kriegs-führung: Mazzetti 2013) mit dem zusätzlichen Vorteil, dass die eigene Bevölkerung weni-ger durch menschliche Verluste aufgeschreckt wird. Durch eine Teilprivatisierung der Streitkräfte wurde dieses Risiko bereits in den letzten Jahren gemindert. Die Teilpriva-tisierung erlaubt den höheren Chargen der Streitkräfte zudem eine Teilhabe an der Ein-kommensexplosion für Manager in den letzten Jahrzehnten, indem sie nach ihrer Karriere in den regulären Streitkräften in den privatwirtschaftlichen Militärsektor überwechseln können (Stichwort: Blackwater; Eppacher 2012). Dies führt zu einer stärkeren Interessen-verzahnung zwischen militärischer Führung und Kapitalgruppen.

Das Führen zweier Kriege und die Aufrechterhaltung einer globalen Präsenz mit 666 Militärstützpunkten (DoD 2012, S. 23) stellt eine enorme finanzielle Belastung dar, die zum Höhepunkt dieser Kriege im Jahre 2011 auf ca. 711 Mrd. US-$ geschätzt wird und damit doppelt so hoch liegt wie die Militärausgaben der anderen großen Mächte zusam-men (zum Vergleich: China als Zweitplatzierte: 143 Mrd. US-$; sipridatabase). Doch im historischen Vergleich sind die Ausgaben relativ gering für das Aufrechterhalten des Imperiums (Kennedy 2002, S. 15). Zeitgleich waren weniger US-amerikanische Sol-daten und Soldatinnen außerhalb der USA stationiert als zu Zeiten des kalten Krieges: ca. 500.000 gegenüber ca. 750.000 (1957, vor Vietnam). Zudem betrugen die US-Militär-ausgaben weniger als 4 % des Bruttoinlandsproduktes, Mitte der Fünfzigerjahre waren es 10 % (Kagan 2012). Vorherige Imperien sollen deutlich mehr als 10 % ihrer Wirtschafts-leistung für die militärische Bereitschaft ausgegeben haben (Kennedy 1987).

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Insgesamt kann festgehalten werden, dass derzeit kein einziges Land nur annähernd an die militärische Schlagkraft der USA herankommt. Die USA beherrschen die für eine effektive Kriegsführung benötigten zentralen Ressourcen: Öl, Logistik, und innovative Militärtechnik. Aufgrund der ständigen Kriegsführung verfügen die US-amerikanischen Streitkräfte zudem über einen großen Erfahrungsvorsprung.

Steht eine solche militärische Übermacht im Gegensatz zur unterstellten Hegemonie der USA? Nein, solange die USA fähig sind, Bündnisse zu schmieden, die stark genug sind, Gegner in Schach zu halten oder gar zu besiegen. Im Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein gelang es der Bush-Regierung die berühmte Koalition der Willigen zu schmieden, und im Falle des „arabischen Frühlings“ konnten sogar einige der damals Unwilligen, insbesondere Frankreich, für eine militärische Intervention gewonnen wer-den. Die Fähigkeit der US-amerikanischen Regierung, nicht nur die NATO anzuführen, sondern auch von anderen Ländern Unterstützung zu erhalten, zeigt sich in den UN-Sank-tionen gegenüber dem Iran und Nordkorea.

Derzeit sehen sich die USA zudem keinem feindlichen Bündnis gegenüber (Brooks und Wohlforth 2008). Stattdessen sind Momente von leash-slippage zu beobachten, sprich innerhalb der von den USA geleiteten Bündnisstrukturen versuchen einzelne Staa-ten oder Staatengruppen (z. B. die Europäische Union) durch die Entwicklung eigener militärischer Kapazitäten die „US-Kette zu lockern“, allerdings mit begrenztem Erfolg (Layne 2006).

3.2 Vorherschaft der US-Konzerne

Viele Kommentatoren sehen in den hohen Außenhandelsdefiziten der USA und in der damit einhergehenden hohen Verschuldung Zeichen des Niedergangs ihrer Vormacht-stellung (Calleo 2009). Beide Entwicklungen können aber auch als Zeichen der Stärke bewertet werden. Gerade aufgrund der weltwirtschaftlichen Vormachtstellung können es sich die US-Wirtschaftssubjekte leisten, über ihre Verhältnisse zu leben, sprich mehr zu konsumieren als zu produzieren und sich dafür zu verschulden (wobei sich die Schul-den vornehmlich bei den ärmeren Bevölkerungsteilen und dem Staat ansammeln; Young 2009). Dazu trägt die Stellung des US-Dollars als Weltgeld bei, denn dies erlaubt es den US-Wirtschaftssubjekten, sich in der eigenen Währung zu verschulden (Ivanova 2013). Diese Stellung ist nicht zuletzt aufgrund der Euro-Krise keiner ernsthaften Konkurrenz ausgesetzt. Nicht nur die militärische Übermacht sondern auch die wirtschaftliche Ver-flechtung stellt sicher, dass auf mittlere Sicht keiner der Gläubiger ernsthaft seine Schul-den eintreiben könnte. China, Deutschland und Japan, deren Wirtschaftssubjekte die größten Gläubiger der USA sind, können an einer Ablösung des US-Dollars als Leitwäh-rung kaum Interesse haben. Eine beschleunigte Schwächung des US-Dollars entwertet ihren bisherigen Forderungsbestand und gefährdet einen der wichtigsten Absatzmärkte. Den Zugang zu diesem gewaltigen Absatzmarkt setzen die US-Unterhändler zur Öffnung der Märkte ihrer Handelspartner strategisch ein. Da viele Unternehmen der Handelspart-ner erleichterten Zugang zum US-Markt gewinnen wollen, üben sie auf ihre jeweiligen Regierungen Druck aus, den US-Forderungen nachzugeben. Das US-Handelsdefizit gerät somit zum Rammbock der Liberalisierung des Außenhandels in vielen Ländern (Scherrer 1999; Norrlof 2010, S. 95).

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Das Handelsdefizit wird zudem als Zeichen industrieller Schwäche gewertet. Die De-Industrialisierung der USA ist nicht zu übersehen. Doch die hohen Wertschöpfungsanteile der globalen Produktionsnetzwerke befinden sich vornehmlich in den USA. Der Anteil der wissens- und technologiebasierten Branchen am Bruttoinlandsprodukt liegt in den USA mit 40 % deutlich über dem der EU und Japans mit 32 % und 30 % (NSB 2012: Kap. 6). In China stammen hingegen 90 % der Hochtechnologieexporte aus Fabriken mit ausländischen Eigentümern (Beckley 2011, S. 68). Auf wichtigen Märkten der Elek-tronik verfügen US-amerikanische Firmen quasi über eine Monopolstellung, die ihnen traumhafte Renditen verschafft. 2012 wiesen IBM, Intel, Apple und Microsoft Umsatz-renditen zwischen 15–33 % auf. Die deutschen Firmen unter den Global 500 des Fortune Magazins, also Firmen mit starker Marktstellung, erzielten 2012 im Durchschnitt nur eine Umsatzrendite von 4,4 % (eigene Berechnung basierend auf Fortune Global 500).

Seit Jahrzehnten wird der technologische Niedergang der USA beschworen (Presto-witz 1993), und auch derzeit wird das Ausmaß der technologischen Führung US-ame-rikanischer Forschungsinstitutionen und Firmen kontrovers diskutiert. Einige Studien attestieren den USA eine düstere Zukunft aufgrund geringerer Zuwachsraten bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung insbesondere gegenüber einigen asiatischen Ländern (NSB 2012; Atkinson und Andes 2011). Diese bewerten jedoch eher ein Poten-zial (Ausgaben und Zahl der Wissenschaftler etc.) und weniger das Resultat, sprich zitierte Publikationen, Patente und wirtschaftlich erfolgreiche Innovationen. Zudem sind die Auftraggeber dieser Studien zum Teil an zusätzlichen staatlichen Ausgaben für For-schung und Entwicklung interessiert, welche mittels eines Bedrohungsszenarios wohl leichter zu erhalten sind.

Zu einem positiveren Urteil kam eine Studie des militärnahen Forschungsinstituts Rand Corporation, die zum einen auf den nach wie vor sehr hohen Anteil der USA an den weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklung (40 %) und zum anderen auf den Anteil an den in allen drei Märkten (USA, EU und Japan) patentierten neuen technischen Erfindungen (38 %) im Jahre 2003 hinwies (Galama und Hosek, 2008, S. xvi). 2009 lag der letztere Anteil allerdings nur mehr bei 29 % (OECD 2011, S. 182). Den „IT Industry Competitiveness Index“ der Economist Intelligence Unit führen die USA gleichwohl an und konnten ihren Vorsprung von 2009 in 2011 sogar noch ausbauen. Hier ist nicht der Ort, diese Debatte zu entscheiden. Festgehalten werden kann jedoch, dass zwar andere Nationen ihr Potenzial für Forschung und Entwicklung stark erhöht haben, die USA aber nach wie vor in Bezug auf die Resultate einen deutlichen Vorsprung aufweisen können.

Vor 2008 standen die US-Banken fast einsam an der Spitze des globalen Finanzwesens. Nach der Krise erholten sie sich recht schnell, auch dank der krisenbedingten „Marktbe-reinigung“. Unter den 28 als global systemrelevant angesehenen Banken im Jahre 2012 befindet sich nur eine chinesische Bank, drei japanische Banken, acht US-amerikani-sche Banken und 17 europäische Banken. Gemessen am Vermögen führen drei US-Ban-ken diese Liste an (International Financial Reporting Standards). Die Eigenkapitalquote (Tier 1) der US-Banken auf dieser Liste liegt im Durchschnitt über denen der anderen Banken. Sie dominieren zudem die lukrativen, komplexeren Finanztransaktionen. Drei US-Banken begleiteten die größten globalen Fusionen und Übernahmen (M&A) 2011 und 2012. US-Banken platzieren nach wie vor die meisten neuen Aktien (IPO) und erzie-len dabei die höchsten Einnahmen. US-Institutionen besetzen die ersten fünf Plätze im

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globalen Kreditkartengeschäft. Ungefähr die Hälfte aller von Investmentgesellschaften verwalteten Gelder stammt aus den USA. Der weltgrößte Vermögensverwalter, die New Yorker Firma BlackRock, besitzt auch erhebliche Anteile am deutschen Industrievermö-gen. Ferner residiert der weltgrößte Hedgefonds in den USA. Das Dreifirmen-Oligopol der Rating-Agenturen unter Führung von S&P besteht aus US-amerikanischen Agenturen (Rügemer 2012).

Obgleich die City of London weiterhin den ersten Platz unter den globalen Finanz-plätzen hält (Pickford 2013), so sind US-Finanzinstitute dort dominant (Augar 2000). Die europäischen Banken befinden sich derzeit wegen der Eurokrise in Gefahr. Die chinesi-schen Banken haben die Krise sehr gut überstanden, da sie noch nicht internationalisiert sind. Ihnen steht der Test erst bevor, ob sie sich bei der von der chinesischen Regierung anvisierten weiteren Liberalisierung des chinesischen Finanzwesens auch gegenüber der scharfen internationalen Konkurrenz behaupten können oder ob es ihnen ähnlich wie den japanischen Banken Ende der 1980er Jahre ergehen wird. Letzteren wurden eine eigene Immobilienblase und die Schwankungen des Wechselkurses des Yen gegenüber dem US-Dollar zum Verhängnis (Heinz 2000).

3.3 Hohe kulturelle Ausstrahlung

Kulturelle Hegemonie wird insbesondere aus der liberalen (idealistischen) Tradition der internationalen Beziehungen unter dem Begriff „weiche Macht“ als ein wesentliches Element der US-Hegemonie in der Nachkriegszeit im Westen angesehen (Russett 2011, S. 64). Die Dimensionen der kulturellen Hegemonie umfassen Einstellungen zum Kon-sum, zur Wirtschaftsordnung und zum politischen System. Auf diesen Gebieten sind Ein-stellungen, die sich in den USA in der Nachkriegszeit herausgebildet haben, nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Öffnung Chinas und Indiens weitgehend universalisiert worden. Zumindest in den städtischen Agglomerationen vollzog sich weltweit ein Wan-del von produktionsbezogenen zu konsumbezogenen Einstellungen. Das Primat des pri-vaten Eigentums gilt dort gleichfalls, obgleich Einstellungsunterschiede bezüglich des Einflusses politischer Autoritäten bestehen (Pew Research 2012; PIPA 2006). Demokra-tische Wahlen werden formal heute in wesentlich mehr Ländern abgehalten als zur Blüte des Fordismus. Wahlen haben einen universalen normativen Status erhalten, wie es sich jüngst wieder in den Protesten gegen die Wahlscharade von Präsident/Premierminister Putin in Russland, in den arabischen Ländern oder auch bei der Streikbewegung von 2011 in der Volksrepublik China gezeigt hat.

Kulturelle Einflussnahme erfolgt vornehmlich, aber nicht ausschließlich über Medien. Prägend sind auch Austauschjahre in Schulen und Universitäten oder die Anstellung bei einem Konzern. Bezüglich dieser Transmissionskanäle sind US-Organisationen weiter-hin führend. Wenngleich Bollywood und die brasilianischen Telenovelas den US-Medien Konkurrenz machen, bleiben diese Konzerne auf vielen Gebieten Trendsetter. Die ersten fünf Plätze der weltgrößten Medienkonzerne werden von US-amerikanischen Firmen besetzt (Winseck 2011). Der jüngste Trendsetter ist Facebook.

Für den Schüleraustausch und insbesondere für ein Studium bleiben die USA die erste Wahl für junge Menschen (WES 2012). 90 % der Chinesen, die zwischen 1987 und 2007 in den USA einen Doktorgrad in den Natur- und Ingenieurswissenschaften erwarben,

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blieben übrigens in den USA und stärkten dort die Konkurrenzfähigkeit (Beckley 2011, S. 66). US-Firmen dominieren die Welt der transnationalen Konzerne zwar nicht mehr so wie früher, doch die Werte der transnationalen Konzerne aus anderen Ländern unter-scheiden sich nicht wesentlich, insbesondere gegenüber ausländischen Belegschaften, die selten in den Genuss der am Heimatsstandort ausgehandelten Kompromisse mit der orga-nisierten Arbeiterschaft kommen (Fichter et al. 2011).

Die kulturelle Attraktion der USA, andere sprechen vom kulturellen Imperialismus (Hamm und Smandych 2011), spiegelt sich auch in den Preisen wider, die Hochschu-len und Unternehmen für ihre Produkte erzielen können. Unter den wertvollsten Marken der Welt belegen laut Interbrand 2012 die US-amerikanischen Konzerne die ersten acht Plätze von zehn, laut MilwardBrown die ersten neun Plätze von zehn.

Etliche Autoren befürchten einen Verlust der weichen Macht der USA aufgrund der Finanzkrise, die das liberale Modell gegenüber autoritären Entwicklungsstaaten weniger attraktiv erscheinen lässt (z. B. Zakaria 2008). Gewiss hat die neoliberale Priorisierung von privaten Wirtschaftssubjekten unter den Lohnabhängigen der Welt an Popularität eingebüßt (Pew Research 2012) und die als arrogant geltenden US-Unterhändler wer-den den Prestigeverlust durch die Finanzkrise auf dem diplomatischen Parkett der Welt zu spüren bekommen haben (Altman 2009). Die geringere Zustimmung zu marktwirt-schaftlichen Lösungen hat jedoch die europäischen Regierungen nicht davon abgehalten, auf die Eurokrise mit einer drastischen Austeritätspolitik zu reagieren. Und die relativ rasche Erholung der USA von der Finanzkrise, nicht zuletzt aufgrund einer umfassenden Sozialisierung von Verlusten und des im Umfang bisher präzedenzlosen Eingreifens der Notenbank (Cecchetti 2009), hat den Prestigeverlust wohl begrenzt und zugleich deut-lich gemacht, dass die US-Regierung die private Eigentumsordnung durch staatliches Handeln zu sichern versteht.

4 Die USA als Hort des globalen Kapitals

Die Vormachtstellung der USA ist somit weiterhin gegeben. Doch sind sie auch hege-monial im Sinne, dass sie die Interessen verbündeter Akteure berücksichtigen und somit Zustimmung zu ihren Weltordnungsprojekten erfahren?

In den fünfziger Jahren beruhte die hegemoniale Stellung der USA gerade in West-europa auf ihrem Lösungsvorschlag für den für Europa so lange zermürbenden Klas-senkampf. Diese als Fordismus bezeichnete Konstellation beinhaltete die Erhöhung der Produktivität durch das moderne Management der Massenindustrie bei gleichzeitiger Beteiligung der Lohnabhängigen an den Produktivitätsgewinnen, so dass im nationalen (bzw. europäischen) Raum für die Massenproduktion auch die Massenkaufkraft entstand (Berghahn 1986).

Seit den siebziger Jahren wurden die USA hingegen zum Vorreiter des neoliberalen Projektes. Ein zentraler Bestandteil dieses Projektes ist die Stärkung der Rechte der Kapi-taleigner und des Privateigentums schlechthin. Konkret bedeutete dies eine Schwächung der organisierten Arbeiterschaft und anderer zivilgesellschaftlicher Kräfte, wie Verbrau-cher- und Umweltorganisationen, die ein Stakeholder- anstelle eines Shareholderverst-ändnisses von Eigentum haben. Diesen Prozess belege ich mit dem Begriff Prekarisierung

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(Castel und Dörre 2009). Dies ging einher mit einer Stärkung wirtschaftlicher Subjekte und Körperschaften gegenüber Staaten bei grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten (Globalisierung) und der Stärkung der Rechte von Geldvermögensbesitzern und Finanz-intermediatoren (Finanzialisierung). Da alle drei Prozesse auf Widerstand stießen, fand zudem ein Ausbau der privaten und staatlichen Sicherheitsapparate nach innen und nach außen statt (Militarisierung).

Während dieses Projekt von der US-Regierung gemeinsam mit der konservativen Regierung Großbritanniens und der deutschen Bundesbank vorangetrieben wurde, stam-men sowohl die Vordenker dieses Projektes als auch die zentralen Akteure seiner Umset-zung aus den Netzwerken der transatlantischen Kapitalfraktionen, deren Knotenpunkte sich Mont Pelerin Gesellschaft, Bilderberg, Trilateral Commission, Business Roundtable etc. nennen (van der Pijl 1984; Gill 1990; Mirowski und Plehwe 2009).

Diese Netzwerke, die im Lauf der Zeit den Kreis der Mitglieder auf Kapitalgruppen und ihre organischen Intellektuellen jenseits des nordatlantischen Raums ausgedehnt haben und als emergente internationale Bourgeoisie gelten kann (Carroll und Sapinski 2010), unterstützten die US-Regierung in ihrem Bemühen, andere Länder von der Not-wendigkeit der Hinwendung zur Prekarisierung, Globalisierung, Finanzialisierung und Militarisierung zu überzeugen. Hier ist nicht der Raum zur Darstellung der Genese des neoliberalen, globalen Konstitutionalismus (Gill 2001), deshalb beschränke ich mich auf eine Analyse der Zustimmung zu den genannten Bestandteilen dieses Projektes im letzten Jahrzehnt. Dabei bediene ich mich aus Darstellungsgründen einer Unterscheidung von Kees van der Pijl: Lock’sche Kerngebiete und Hobbes’sche Herausforderstaaten (van der Pijl 2006; Übersetzung Christoph Scherrer). Mit Kerngebieten bezeichne ich die reichen Staaten mit Technologieführerschaft, hier vor allem die mittel- und nordeuropäischen Länder, Japan und die USA. Zu den Herausforderstaaten zähle ich die so genannten BRICs: Brasilien, Russland, Indien und China.

4.1 Prekarisierung

Die Schwächung gewerkschaftlicher Macht wurde in den USA ab Ende der 1970er Jahre vorangetrieben. Insbesondere die Liberalisierung des Außenhandels unterhöhlte die gewerkschaftlichen Bastionen in den fordistischen Industrien und die Deregulierung bewirkte dasselbe in den dem Außenhandel nicht direkt ausgesetzten infrastrukturel-len Dienstleistungen. Aggressive Managementstrategien verhinderten das Aufkommen gewerkschaftlicher Macht in den aufstrebenden Industrien (insbesondere: Elektronik, Lüthje 2001). Jüngst konnten unter Ausnutzung der Folgen der Finanzkrise für die öffent-lichen Haushalte die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst geschwächt werden, die zuletzt noch die einzigen mit einer nennenswerten Mitgliederdichte waren (Adler 2011).

Die Folge dieses Klassenkampfes von oben war eine deutliche Spreizung der Einkom-men nach Funktion und Qualifikation. Die hohen Managergehälter in den USA wurden zu Vorbildern für die Manager in anderen Ländern. Ein Beispiel ist der Daimler-Vorstand, der durch die Fusion mit dem US-Konzern Chrysler 1998 rasch in die Stratosphären dor-tiger Vergütungen gelangte (Grässlin 2005). In allen Kernlanden fand eine Prekarisierung von Arbeit statt (Castel und Dörre 2009), die von den dortigen Kapitaleliten befürwortet

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und in nicht wenigen Fällen sogar von sozialdemokratischen Parteien umgesetzt wurde (Beck und Scherrer 2005).

Ähnlich wie die Einzelstaaten in den USA reagieren die europäischen Staaten auf die zur Eurokrise mutierte Finanzkrise mit einem drastischen Austeritätskurs, der insbeson-dere bisherige sozialpolitische Errungenschaften zurücknimmt. Wenngleich auf makro-ökonomischer Ebene Differenzen unter den Kapitaleliten bestehen, herrscht beim Abbau sozialpolitischer Leistungen und der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Konsens unter den transatlantischen Eliten (Kuttner 2013).

Die Arbeitsbedingungen der Masse der Lohnabhängigen in den BRIC-Staaten sind seit langem prekär, wobei es durchaus bedeutsame Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Insbesondere Brasilien hebt sich von den anderen Ländern ab. Mit dem Amtsantritt des Kandidaten der Arbeiterpartei, Lula, im Jahre 2003, zielen mit Erfolg etliche Politi-ken auf eine Verbesserung der rechtlichen und materiellen Stellung der Lohnabhängigen ab (Belik 2013). In den anderen Ländern werden die internationalen Kernarbeitsnormen entweder nicht ratifiziert (China), wenig respektiert (Russland) oder haben aufgrund des übergroßen Arbeitskräfteangebots keine Relevanz (Indien; Scherrer und Hänlein 2012). Erst in den letzten Jahren stieg das Lohnniveau der einfach qualifizierten Arbeitskräfte in China, zum einen als Resultat eines geringeren Arbeitskräfteangebots und zum anderen aufgrund von spontanen Streiks (s. die Beiträge in Scherrer 2011a). In diesen Staaten beginnt der Aufbau eines sozialen Sicherungsnetzes. Gleichwohl gilt für diese Länder, dass diese Initiativen nicht von den führenden Kapitalfraktionen ausgehen, sondern ihnen abgetrotzt werden müssen (Mosoetsa und Williams 2012).

4.2 Globalisierung

In den von den USA selbst einmal ins Leben gerufenen internationalen Organisatio-nen sehen manche Kommentatoren eine geschwächte Stellung der USA (APSA 2009, S. 8–15). Dafür bestehen jedoch bisher wenig Anhaltspunkte. In ihren Militärbündnissen geben die USA nach wie vor den Ton an. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind sie gleichfalls weiterhin die wichtigste und zumeist durchsetzungsfähige Initiativkraft (zur Haltung Chinas s. Koller 2011). Die Vetomacht der USA im internationalen Wäh-rungsfonds (IWF) bleibt unangetastet. Auf dem Feld des Welthandels nutzte die US-Re-gierung das Außenhandelsdefizit zur Durchsetzung der Liberalisierung des Außenhandels vieler Länder. Diese Politik wurde weitgehend von den führenden Kapitalfraktionen in den Kernlanden mitgetragen. Als im Rahmen der WTO klar wurde, dass viele Länder der Peripherie nicht zu weiteren Liberalisierungen bereit waren, solange nicht die USA, die EU und Japan ihren Agrarprotektionismus aufgeben, hat die USA als erste Handelsmacht den Weg der bilateralen Freihandelsabkommen beschritten. Diese sogenannten Freihan-delsabkommen sind vor allem Investitionsabkommen, die die Rechte wirtschaftlicher Körperschaften gegenüber den territorialen Körperschaften, sprich den Staaten, stärken (Gathii 2011).

In den Herausfordererstaaten, den BRICs, herrscht eine ambivalente Haltung zur Glo-balisierung vor. Sie beruht auf der Tradition von Friedrich List, die besagt, dass die eigenen Grenzen für die sich zuerst entwickelte ausländische Konkurrenz erst dann geöffnet wer-den sollten, wenn der eigene kapitalistische Modernisierungsprozess konkurrenzfähige

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Unternehmen hervorgebracht hat. Diese Einsicht verbietet allerdings nicht die Nutzung des Weltmarktes für die eigene Exportwirtschaft. Im Gegenteil, sie ermuntert sogar dazu (List 1841). Als Mitglieder der WTO, der zuletzt Russland im Jahre 2012 beigetreten ist, profitieren die BRICs von den unter US-Führung liberalisierten Märkten. Entsprechend unterstützen die BRICs den Globalisierungsprozess, versuchen aber ihre derzeitigen und künftigen Industrien soweit wie möglich vor der etablierten ausländischen Konkurrenz zu schützen und zugleich ihre eigenen Binnenmärkte zu liberalisieren sowie durch Investi-tionen in die Infrastruktur und das Bildungswesen die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

4.3 Finanzialisierung

Im Prozess der Finanzialisierung hat das US-amerikanische Finanzkapital in den USA einen hegemonialen Status erworben, der durch die Finanzkrise angekratzt wurde, bisher jedoch (noch) nicht zu einer spürbaren Handlungseinschränkung des Finanzkapitals und insbesondere der Geldvermögensbesitzer geführt hat (Scherrer 2011b). Da die Finanz-krise ihren Ausgangspunkt in den USA hatte, hatten nicht wenige Kommentatoren ange-nommen, dass diese Krise nachhaltig die Stellung des US-Finanzkapitals unterminieren würde. Dies war aber nicht der Fall (siehe oben). Deutliches Zeichen für die Wahrneh-mung der USA als Hort des Kapitalismus unter den Geldvermögensbesitzern der Welt ist die Tatsache, dass im Falle von Finanzkrisen US-Finanzanlagen stärker nachgefragt werden. So legten internationale Anleger 2008 ihr Geld vermehrt in den USA an (Fratz-scher 2011).

Diese Wahrnehmung beruht auf der Beobachtung, dass bei internationalen Finanz-krisen eben nicht nur der IWF, sondern vor allem das US-Schatzamt die Interessen der internationalen Anleger schützt. Ein prominentes Beispiel war der US-amerikanische Rettungsfonds für die Anleger, die von der mexikanischen Pesokrise von 1994 betroffen waren, der auch Anlegern, die von außerhalb der USA stammten, geholfen hat (DeLong et al. 1996). Das entschiedene Eintreten für die Interessen der Investoren wiederholte sich in der Finanzkrise. Das Schatzamt und vor allem die Notenbank haben die Märkte mit Liquidität überflutet. Ausländische Finanzinstitute haben davon nicht nur indirekt pro-fitiert (durch die Stabilisierung der Finanzmärkte), sondern auch direkt. Beispielsweise erhielt die Deutsche Bank 8,5 Mrd. US-$ dank der staatlichen Rettung des Versiche-rungskonzerns AIG, der im gigantischen Ausmaße Kreditausfallversicherungen verkauft hatte (SIGTARP 2009, S. 20). Zugleich gewährte die Notenbank günstig Zugang zu Zen-tralbankgeld, wovon ausländische Banken vornehmlich Gebrauch gemacht haben (Broz 2012).

Die Finanzkrise erreichte die BRIC-Staaten stärker durch den Exportkanal als durch den Finanzkanal1. Die nicht so lange zurückliegenden Finanzkrisen in Brasilien und in Russland hatten in beiden Ländern zu einem vorsichtigeren Verhalten der Banken geführt, während die noch bestehenden staatlichen Kapitalverkehrskontrollen in China und Indien die Möglichkeiten für die Banken dieser Länder, international zu agieren, beschränkt haben. Gleichwohl lässt der liberalisierte internationale Kapitalverkehr die BRICs nicht unberührt. Reiche Brasilianer legen seit langem einen Teil ihres Geldvermögens im Aus-

1 Siehe exemplarisch dazu auch den Beitrag zu Lateinamerika von Becker et al. in diesem Band.

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land an und nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es zu einer massiven Kapitalflucht aus Russland (Mirkin et al. 2013), die auch derzeit noch stattfindet, wie in der Zypern-krise deutlich wurde. Für Indien entwickeln sich die Malediven immer stärker zu einer Steueroase. Für China mehren sich ebenfalls Anzeichen für Kapitalflucht (Sender 2012; Yuk 2012; kritisch: Shibo und Long 2012). Zudem fordert eine starke Lobby, den chi-nesischen Finanzsektor stärker zu liberalisieren, wenngleich Beharrungskräfte bremsen (Huang und Wang 2012).

4.4 Militarisierung

Die Militärstrategie der USA wird von den Kapitaleliten durchaus kontrovers diskutiert. Die Kontroverse berührt allerdings weder den Anspruch auf eine weltweite Präsenz noch den Kampf gegen Gruppen, die mit Gewalt die globale Zirkulation von Menschen und Waren stören. Vielmehr stehen eher taktische Fragen im Vordergrund, bspw. in welcher Form und mit welchen Bündnispartnern militärisch interveniert werden soll. Während der Vergeltungsschlag gegenüber Afghanistan in den Kernlanden eine breite Zustimmung fand, war der folgende Einmarsch im Irak auch in den USA umstritten. Trotz der Zurück-haltung der deutschen Regierung bei den US-Feldzügen, unterstützt sie in vielfältiger Weise die weltweite militärische Präsenz der USA (Pflüger 2002).

In den BRIC-Staaten herrscht jedoch deutlich weniger Zustimmung zur US-ameri-kanischen globalen Militärstrategie. Am deutlichsten wird Widerspruch von den in der Tradition der sozialistischen Staaten stehenden Ländern geäußert. Sowohl die russischen als auch die chinesischen Streitkräfte überlebten den Systemwandel ihrer Länder weit- gehend intakt, entsprechend hat sich das Feindbild wenig geändert. Die Ausdehnung der NATO auf die östlichen EU-Staaten, die Unterstützung ukrainischer Nationalstaatlichkeit und die vermeintliche Ermunterung der georgischen Regierung, unter russischem Mili-tärschutz stehende ehemalige Gebiete Georgiens zu überfallen, haben das Feindbild auf-gefrischt. Dies zeigt sich auch jüngst im Falle des syrischen Bürgerkrieges. Gleichwohl bestehen auch Zonen der Kooperation, da zum Beispiel die radikale islamistische Bewe-gung in Russland ebenfalls als Gefahr wahrgenommen wird (U.S. – Russia 2012). Die Angst um Sibirien angesichts der dynamischen chinesischen Entwicklung dürfte zudem die Kooperationsbereitschaft erhöhen.

Die chinesische Regierung steht im Dauerkonflikt zu den USA über Taiwan. Zudem zeigen Konflikte mit Japan und Vietnam um Inseln im chinesischen Meer, dass das chi-nesische Militär seine Einflusszone erweitern möchte. Gleichwohl ist es der chinesischen Regierung bewusst, dass ihre Wirtschaftsstrategie, die einerseits auf den Zufluss von Res-sourcen aus aller Welt und andererseits auf weltweite Absatzmärkte setzt, auf die globale Reichweite des US-Militärs angewiesen ist (Koller 2011). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten gegenüber den USA nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch geöff-net (Ayres und Mohan 2009). Brasilien hingegen hat unter der Lula-Regierung auf ein Zurückdrängen der militärischen Präsenz der USA in Lateinamerika hingewirkt und auch den Feldzug gegen den Irak kritisiert. Gleichwohl wird insbesondere unter den latein-amerikanischen Kapitaleliten die weltweite US-Präsenz nicht infrage gestellt (Cammack 2005). Somit eint alle BRIC-Staaten sowohl der Wunsch nach einem Rückzug der USA

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aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft als auch die Anerkennung der Notwendigkeit, die Weltwirtschaft gegen gewaltsame Störungen abzusichern.

5 Fazit

Die Analyse der internationalen Stellung der USA anhand klassischer Machtdimensionen ergibt, dass sie derzeit signifikant mächtiger als andere Nationen sind. Der Abstand dürfte hinsichtlich der Militärmacht am größten sein, zumal den USA kein feindliches Mili-tärbündnis gegenübersteht. Ihr wirtschaftlicher Vorsprung ist deutlich geschrumpft, ins-besondere im Vergleich zur außergewöhnlichen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn auch die industrielle Basis geschrumpft ist, so liegt die Technologie-, Finanz- und Markenführung in vielen Wertschöpfungsketten bei US-Kapitalgruppen, was sich in einer besonders hohen Profitabilität niederschlägt. Marktorientierte und liberaldemokra-tische Einstellungen, für die die USA stehen, sind heute weiter verbreitet als je zuvor. Als Vormachtnation sind die USA kein Vorbild für multilaterales Verhalten, eher tonangebend bzw. blockierend in den internationalen Regimen.

Im Vergleich zu früheren Phasen US-amerikanischer Vormachtstellung fällt diese heut-zutage nicht wesentlich geringer aus. Eine Ausnahme könnten die Jahre direkt nach dem Zerfall des sowjetischen Lagers darstellen, doch auch damals mussten die USA Rücksicht auf andere Mächte nehmen. In dem Moment, wo die Regierung der USA dachte, dass sie es eigentlich nicht mehr müsste, wurden ihre Grenzen in der irakischen Tragödie bald sichtbar. Dem eingangs erwähnten Stimmungswechsel in der Einschätzung der USA von Unipolarität hin zu einer postamerikanischen Welt fehlt deshalb an diesen klassischen Machtdimensionen gemessen die Basis.

Die US-Vormachtstellung findet durchaus Zustimmung in vielen Staaten, wohl vor allem deshalb, weil sie nicht ausschließlich zum Nutzen der US-Bürger eingesetzt wird, sondern zur Sicherung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse. Sicherten die USA im fordistischen Zeitalter kapitalistische Verhältnisse durch eine Abwehr der äußeren kom-munistischen Herausforderung mit militärischen Mitteln und der inneren Infragestellung mittels des fordistischen Produktivitätspakts, so verfechten sie heute das neoliberale Projekt der Stärkung der Rechte der Kapitaleigner und der Geldvermögensbesitzer. Dies bedeutet eine Zurücknahme des fordistischen Kompromisses, die mittels Globalisie-rung, Finanzialisierung und Militarisierung erfolgt. Das Ergebnis ist eine zunehmende Prekarisierung der Lohnabhängigen. Dieses Projekt einer emergenten internationalen Bourgeoisie (Carroll und Sapinski 2010) wird nicht allein, aber doch zentral mithilfe der geschilderten Machtressourcen der USA weltweit verfolgt. In Abwesenheit eines Welt-staates ist der US-Staat nicht nur das verdichtete Verhältnis seiner innergesellschaftli-chen Kräftekonstellation, sondern zudem ein zentraler Magnet auf dem Feld der Global Governance, welches von staatlichen und wirtschaftlichen Eliten hegemonial durchdrun-gen wird. Insofern besteht derzeit eine verschränkte Hegemonie von US-amerikanischem Nationalstaat und der emergenten internationalen Bourgeoisie. Wie lange sie andauern wird, ist eine Frage, die nur durch Spekulation beantwortet werden kann.

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