10
1.15 Argumentation gegen die Existenz … – Ph. 3.5, 204b35‒205a7 239 §1.15 Argumentation gegen die Existenz eines unendlichen einfachen Körpers – Ph. 3.5, 204b35‒205a7 Kommentare zur Stelle: Themistios: Ar 125 (§1.15.2) Iohannes Philoponos: Ar 214 (§1.15.3) §1.15.1 Aristoteles, Physica 3.5, 204b35‒205a7 (ed. Ross) οὐδὲ δὴ πῦρ οὐδ' ἄλλο τι τῶν στοιχείων οὐδὲν ἄπειρον ἐνδέχεται εἶναι. ὅλως γὰρ καὶ χωρὶς τοῦ ἄπειρον εἶναί τι αὐτῶν, ἀδύνατον τὸ πᾶν, κἂν ᾖ πεπερασμένον, ἢ εἶναι ἢ γίγνεσθαι ἕν τι αὐτῶν, ὥσπερ ῾Ηράκλειτός φησιν ἅπαντα γίγνεσθαί ποτε πῦρ⁶⁵⁷ (ὁ δ' αὐτὸς λόγος καὶ ἐπὶ τοῦ ἑνός, οἷον ποιοῦσι παρὰ τὰ στοιχεῖα οἱ φυσικοί)· πάντα γὰρ μεταβάλλει ἐξ ἐναντίου εἰς ἐναντίον, οἷον ἐκ θερμοῦ εἰς ψυχρόν. In Ph. 204b35‒205a7 liefert Aristoteles ein zweites Argument gegen die Annahme eines unendlich großen, einfachen Körpers⁶⁵⁸ (vgl. oben §1.14.1 zu Ph. 204b22‒35, v.a. „Kontext“). Dieses in Ph. 204b24 mit dem Ausdruck „οὔθ' ἁπλῶς“ angekün- digte Argument⁶⁵⁹ soll zeigen, dass überhaupt kein einfaches Element (weder eines der vier Elemente, noch etwas neben ihnen) unendlich groß sein könne. Erwiesen wird jedoch nicht direkt die Unmöglichkeit der Annahme eines einfa- chen unendlichen Elements, sondern die Unmöglichkeit der Annahme einer Im- plikation der These, dass es ein einziges, unendliches Element gebe, nämlich der, dass in diesem Falle alles (bzw. das All: „τὸ πᾶν“) mit diesem einzigen Element gleichzusetzen wäre („ἀδύνατον τὸ πᾶν […] ἢ εἶναι ἢ γίγνεσθαι ἕν τι αὐτῶν“). 657 = DK 22 A 10. 658 Hussey (1983, 80) identifiziert in dem Abschnitt Ph. 204b35‒205a7 zwei Argumente gegen die Annahme eines einfachen unendlichen Körpers; er sieht nämlich in Ph. 204b35‒205a1 („οὐδὲ δὴ πῦρ οὐδ' ἄλλο τι τῶν στοιχείων οὐδὲν ἄπειρον ἐνδέχεται εἶναι“) eine selbstständige These „no one of the elements can be infinite“, die mit dem Argument von Ph. 204b14‒19 (kein Element eines zusammengesetzten Körpers könne unendlich sein, weil es die anderen Elemente vernich- ten würde) zu begründen sei. Obwohl ein Verweis auf Ph. 204b14‒19 in Ph. 204b2 („χωρὶς τοῦ ἄπειρον εἶναί τι αὐτῶν“) angenommen werden kann (vgl. Wagner 1983, 514 zu b1‒2), ist er zu wenig explizit, um ihn als separates Argument zu betrachten. Außerdem liefert der Satz „ὅλως γὰρ καὶ χωρὶς τοῦ …“ eine Begründung für die vorausgehende These „οὐδὲ δὴ πῦρ …“ (204b35‒ 205a1; Hussey übersetzt hier dagegen: „Neither can fire, or any other of the elements, be infinite. And in general, even apart from them’s being infinite, it is impossible that …“). 659 „ἀλλὰ μὴν οὐδὲ ἓν καὶ ἁπλοῦν εἶναι σῶμα ἄπειρον ἐνδέχεται, οὔτε ὡς λέγουσί τινες τὸ παρὰ τὰ στοιχεῖα, ἐξ οὗ ταῦτα γεννῶσιν, οὔθ' ἁπλῶς“ (Ph. 204b22‒24), vgl. dazu oben Anm. 605. Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 12/7/14 11:11 PM

Die Prinzipienlehre der Milesier (Kommentar zu den Textzeugnissen bei Aristoteles und seinen Kommentatoren) || §1.15 Argumentation gegen die Existenz eines unendlichen einfachen Körpers

  • Upload
    maria

  • View
    218

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

  • 1.15Argumentation gegen die Existenz Ph. 3.5, 204b35205a7 239

    1.15 Argumentation gegen die Existenz eines unendlichen einfachen Krpers Ph. 3.5, 204b35205a7

    Kommentare zur Stelle: Themistios: Ar 125 (1.15.2) Iohannes Philoponos: Ar 214 (1.15.3)

    1.15.1 Aristoteles, Physica 3.5, 204b35205a7 (ed. Ross)

    ' . , , , , ( ' , ) , .

    In Ph. 204b35205a7 liefert Aristoteles ein zweites Argument gegen die Annahme eines unendlich groen, einfachen Krpers (vgl. oben 1.14.1 zu Ph. 204b2235, v.a. Kontext). Dieses in Ph. 204b24 mit dem Ausdruck ' angekn-digte Argument soll zeigen, dass berhaupt kein einfaches Element (weder eines der vier Elemente, noch etwas neben ihnen) unendlich gro sein knne. Erwiesen wird jedoch nicht direkt die Unmglichkeit der Annahme eines einfa-chen unendlichen Elements, sondern die Unmglichkeit der Annahme einer Im-plikation der These, dass es ein einziges, unendliches Element gebe, nmlich der, dass in diesem Falle alles (bzw. das All: ) mit diesem einzigen Element gleichzusetzen wre ( [] ).

    657= DK 22 A 10.658Hussey (1983, 80) identifiziert in dem Abschnitt Ph. 204b35205a7 zwei Argumente gegen die Annahme eines einfachen unendlichen Krpers; er sieht nmlich in Ph. 204b35205a1 ( ' ) eine selbststndige These no one of the elements can be infinite, die mit dem Argument von Ph. 204b1419 (kein Element eines zusammengesetzten Krpers knne unendlich sein, weil es die anderen Elemente vernich-ten wrde) zu begrnden sei. Obwohl ein Verweis auf Ph. 204b1419 in Ph. 204b2 ( ) angenommen werden kann (vgl. Wagner 1983, 514 zu b12), ist er zu wenig explizit, um ihn als separates Argument zu betrachten. Auerdem liefert der Satz eine Begrndung fr die vorausgehende These (204b35205a1; Hussey bersetzt hier dagegen: Neither can fire, or any other of the elements, be infinite. And in general, even apart from thems being infinite, it is impossible that ).659 , , , ' (Ph. 204b2224), vgl. dazu oben Anm. 605.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 240 Physica

    Diese Implikation wird hier mit der Lehre des Heraklit ( ) illustriert und abgesehen von der Unendlichkeitsfrage ( [] ), also auch fr den Fall, dass als rumlich begrenzt aufgefasst wird ( ), aufgrund der aristotelischen Lehre von der zwischen den Gegenstzen erfolgenden Vernderung (vgl. v.a. Ph.1.5 u. GC 2.4) widerlegt. Die fr die Interpretation dieses Arguments wichtigs-ten Fragen sind:1. Worin besteht genau die mit dem Satz ()

    beschriebene Unmglichkeit, und wie wird sie durch den Satz , begrndet?

    2. Wird hier Heraklit, wie v.a. in der frheren Forschung meist angenommen, eine der stoischen Lehre von der analoge Auffassung zugeschrie-ben, oder ist der Satz so zu verstehen, dass alle Dinge zu Feuer werden, aber nicht gleichzeitig?

    Da laut Aristoteles alle Elemente auseinander entstehen knnen, kann der Ver-weis auf seine eigene Vernderungslehre im letzten Satz des Textes ( ) kaum als Beweis der These dienen, dass es theoretisch unmglich sei, dass alles zu einem einzigen Element wird. Viel-mehr ist die im Satz () beschriebene Annahme als eine angesichts der aristotelischen Vernderungslehre absurde (im Sinne von zu absurden Konsequenzen fhrende) Vorstellung abzulehnen. In einer hnlichen, aber ausfhrlicheren Weise wird diese Annahme, wie in der modernen Forschung v.a. Cherniss (1935, 28f.) erkannte, in GC 2.5 (332a626) widerlegt. Dort wird die Unmglichkeit der Annahme, dass alles eins sei ( ), mit der These begrn-det (vgl. an unserer Stelle): Ausgehend von der Theorie der sich zwischen Gegenstzen vollziehenden wird gezeigt, dass die Elemente nicht aus einem einzigen, als Substrat aller Dinge angenommenen Element entstehen knnen. Auch der

    660So u.a. Emminger (1878, 146), Zeller (1923, 867f.), DK (1963, 146, Anm. zu 22 A 10), Wiers-ma (1943, 204), Mondolfo (1958, 7882; 1966, 119125; 1972, 115), Barnes (19791, 318, Anm. 15), Conche (1986, 286). So schon Them., In Ph. 86.3187.3, Philop., In Ph. 433.36 u. Simpl., In Ph. 480.2730.661So u.a. Burnet (1920, 159, Anm. 3), Ross (1936, 550), Cherniss (1935, 29, Anm. 108), Kirk (1954, 321f.; 1959, 75f.).662Diese Auffassung findet sich allerdings schon bei den antiken Kommentatoren, vgl. unten 1.15.2 u. 1.15.3.663Zu dieser Argumentation vgl. unten 3.4.1 u. 3.5.1.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 1.15Argumentation gegen die Existenz Ph. 3.5, 204b35205a7 241

    betreffende Satz in Ph. 205a45 ( ' , ) hat in GC 2.5 seine ausfhrlichere Entsprechung (vgl. ' (). ' (), s. Ar 12).

    Die aus dieser Parallelitt von Cherniss gezogene Konsequenz, dass auch die an der Physik-Stelle kritisierte Theorie der sog. materielle Monismus sei, wurde von zahlreichen Forschern akzeptiert, z.T. auch von solchen, die seiner Inter-pretation nicht insgesamt zustimmen. Kontrovers sind dagegen die Schlsse, die Cherniss aus seiner Interpretation der Stelle hinsichtlich der Bedeutung des Heraklit-Satzes in Ph. 205a34 gezogen hat. Dieser Satz ( ) betrifft ihm zufolge nur die Annahme eines einzigen Elements (Feuer) als des materiellen Substrats der Dinge: For, if Aristotle meant to refer to an Herac-litean doctrine of the reduction of the universe to fire and said that his refutation of this held for the other theories too, he would have to mean that each of the other Ionians taught that the world would one day be dissolved into air or water of the infinite (Cherniss 1935, 29, Anm. 108). Diesen Schluss versucht Cherniss mit sprachlichen Argumenten zu sttzen: Da das Subjekt des Satzes sei, sei auch im nchsten Satz ( , , ) (und nicht ) und entsprechend im Heraklit-Satz ( ) (und nicht ) als Subjekt anzunehmen. Demnach werde Heraklit nicht die These zugeschrieben, dass einmal alles zu Feuer werde, sondern die These, dass das Feuer zu allen anderen Dingen werde, d.h. als Substrat aller Dinge fun-giere.

    Diese Interpretation hat in der Forschung zu heftigen Diskussionen gefhrt. Die angefhrten sprachlichen Argumente von Cherniss und seine Kon str uktion der Stze und wurden von den meisten For-schern zu Recht abgelehnt. Als falsch erweist sich bei nherer Betrachtung auch das oben angefhrte Argument, dem zufolge der Heraklit-Satz nicht in dem

    664Neben Kirk (1954, 322) hat diese These z.B. auch Mondolfo (1958, 80f.; 1966, 121f.) ange-nommen. 665Vgl. zu dieser Auffassung Kirk (1954, 322).666S. v.a. die Auseinandersetzung zwischen Kirk und Mondolfo (Kirk 1954, 321f.; Mondol-fo 1958, 7882; Kirk 1959, 75f.; Mondolfo 1966, 11925; Mondolfo 1972, CLXXXVII; 109; 113117) sowie die Kritik an Cherniss Interpretation bei Wiersma (1943, 204) und Maddalena (1940, 149).667S. die Kritik an Cherniss sprachlicher Auffassung der Stelle bei Maddalena (1940, 149, Anm. 1), Wiersma (1943, 204, Anm. 2) und Marcovich (1965, 298), der auf die Syntax in GC 332a6 ver-weist. In den allermeisten modernen Physik-bersetzungen wird an der Stelle die traditionelle Syntax beibehalten, s. z.B. Carteron (1952, 100), Martnez (1996, 78), Apostle (1969, 51), Coughlin (2005, 54), Hussey (1983, 11), Wagner (1983, 71), Hope (1961, 50), Zekl (1987, 127). Die Auffassung

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 242 Physica

    Sinne alles wird einmal zu Feuer verstanden werden knne, weil damit eine analoge Theorie auch allen anderen Ioniern zugeschrieben werden wrde. Cher-niss hat nmlich die Bedeutung der Tatsache verkannt, dass Aristoteles im Satz ausdrcklich von zwei verschiedenen Annahmen spricht: Die Annahme, alles sei eins, ist mit dem auch in GC kriti-sierten materiellen Monismus gleichzusetzen; die Annahme, alles werde zu eins, wird von Aristoteles als eine zwar zu gleichen Konsequenzen fhrende, gegen die erstere aber theoretisch abzugrenzende Position dargestellt und, da es sich hierbei in Aristoteles Augen offensichtlich um eine seltenere Position handelt, mit dem konkreten historischen Beispiel ( ) illustriert. Folglich ist Cherniss nicht zuzustimmen, dass der Kontext der Stelle, d.h. die Kritik am materiellen Monismus, gegen die Inter-pretation des Heraklit-Satzes im Sinne von alles wird einmal (u.z. gleichzeitig) zu Feuer spreche. Dass es sich hierbei tatschlich um einen gleichzeitigen und nicht nur partiell erfolgenden Prozess handelt, zeigt die Konfrontation dieser bei-den Interpretationsvarianten mit dem aristotelischen Argument, das Heraklits Position widerlegen soll: Es ist nur die These, dass irgendwann alles zugleich zu Feuer wird, die zu den gleichen Schwierigkeiten fhrt wie der materielle Monismus, whrend die These, dass alle Dinge auf verschiedenen Etappen ihres Vernderungszyklus zu Feuer werden, sich mit Aristoteles Vernderungstheorie durchaus vereinbaren lsst.

    von Cherniss wurde v.a. von Kirk (1954, 321f.), Kerschensteiner (1955, 389, Anm. 5) und Mondolfo (1958, 80f.; vgl. idem 1966, 123) akzeptiert.668Es liegt nahe, das Prsens in Ph. 205a4 als Hinweis auf den zyklischen Charak-ter des Prozesses zu interpretieren; vgl. die Interpretationen des Ausdrucks und Diskussionen bei Zeller (1923, 867f.: es werde alles dereinst zu Feuer werden), DK (1963, 146, Anm. zu 22 A 10: (nicht ) drckt den steten Epochenwechsel aus), Burnet (1920, 159, Anm. 3: gegen Zellers Futur), Mondolfo (1958, 78f., 82: beim Prsens beziehe sich auf a repeated fact und sei als sometimes zu bersetzen), Kirk (1959, 75: pace Mondolfo, heie nicht sometimes, sondern at some (one) time), Mondolfo (1966, 120: lehnt die Kritik von Kirk ab).669Vgl. die genaue Erklrung bei Wiersma (1943, 204f., Anm. 3). Dass die Ekpyrosis in Aristote-les Sicht zu den gleichen Konsequenzen fhrt wie der materielle Monismus, wird von Kirk (1954, 322) nicht erkannt, der argumentiert, die Ekpyrosis-Interpretation would be quite irrelevant to Aristotle' argument; he is not interested in things becoming one out of many, but in being or becoming many out of one.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 1.15Argumentation gegen die Existenz Ph. 3.5, 204b35205a7 243

    1.15.2 Ar 125Themistios, In Aristotelis Physica Paraphrasis 86.2887.23 (CAGV.2,ed. Schenkl)

    Lit.: Reinhardt (1942, 24); Todd (2012, 96f.)

    KontextThemistios Kommentar zu Ph. 3.5, 204b35205a7. Zu der Aristoteles-Stelle s. oben 1.15.1.

    KommentarAr 125 stellt keine Paraphrase, sondern einen freieren, mit einem Exkurs been-deten und besonders in seinem ersten Teil rhetorisch geprgten Kommen-tar dar, der die tieferen Sinnzusammenhnge der kurzen aristotelischen Aussage erklren soll und auf die detaillierten Probleme, die in der modernen Forschung in Bezug auf die Stelle diskutiert werden (vgl. oben 1.15.1), kaum eingeht. Er be-steht aus drei Teilen, von denen die beiden letzten klare Entsprechungen in Phi-loponos und Simplikios Kommentar zu der Stelle haben (wobei grere Text-abschnitte des Philoponos mit Themistios Punkten II u. III ganz bzw. beinahe identisch sind). Dies lsst auf einen hnlichen Text in Alexanders Kommentar schlieen.

    I Allgemeine Aussage ber die Absurditt der Annahme eines einzigen aktual existierenden Elements (In Ph. 86.2887.3)

    Den konkreten, auf Aristoteles Hinweis in Ph. 205a67 ( ) basierenden Argumenten gegen die Annahme eines einzigen Elements schickt Themistios eine spezifischere (hauptschlich gegen Heraklit gerichtete) und rhetorisch gefrbte Kritik voraus: Die Annahme eines einzigen aktualen Elements einerseits und das Prinzip, dass die Dinge in das ver-gehen, woraus sie entstanden sind, andererseits htten Heraklit zu der absurden Vorstellung eines zuknftigen Vergehens unserer ganzen Welt in das von ihm an-

    670Vgl. die der Stelle unmittelbar folgende Aussage: , , . , (Them., In Ph. 87.2324).671Dies zeigt sich z.B. in den radikalen Urteilen, der bildhaften und emotional gefrbten Dar-stellung der Lehre Heraklits, den rhetorischen Fragen etc.672Vgl. Philop. Ar 214 (s. unten 1.15.3) und Simpl., In Ph. 481.518.673Zu der Phrase vgl. Todd (2012, 171, Anm. 906; 126, Anm. 204).

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 244 Physica

    genommene Element gefhrt. Themistios ist hier von der aristotelischen Erwh-nung von Heraklits Lehre in Ph. 205a34 inspiriert: eine, wie oben gezeigt, nicht eindeutige Formulie-rung, die er im Sinne von alles wird einmal zu Feuer versteht und als Ankn-digung eines zuknftigen Weltenbrands deutet. Seiner grotesken Darstellung von Heraklits Lehre als einer dsteren Prophezeihung liegt Reinhardt (1942, 24) zufolge die christliche Interpretation Heraklits zugrunde.

    II Die auf Ph. 205a67 basierende Argumentation gegen die Annahme eines einzigen aktual existierenden Elements (In Ph. 87.316)

    Themistios nimmt an, dass das in Ph. 205a67 genannte Argument ( ) sich wie Ph. 205a45 ( ' , ) ausdrcklich be-sagt sowohl gegen die Annahme eines einzigen der vier Elemente als auch eines von ihnen verschiedenen Elements anwenden lsst: Die Vertreter beider Theorien werden, wie es Themistios in Bezug auf Heraklit (in dem er einen Reprsentanten der ersteren Auffassung sieht) formuliert, dabei ertappt, dass sie die Grundla-gen zur Erklrung von Entstehung preisgeben ( , In Ph. 87.34), so dass ihre Theorien die Genesis als unmglich erscheinen lassen.

    1.Das Mittelding (In Ph. 87.48)Anders als im Falle eines einzigen der vier Elemente (vgl. unten II.2) rekurriert Themistios hier nicht auf die aristotelische Kritik aus GC 2.5, sondern geht in sei-nem Argument von der durch Ph. 204b2429 implizierten Charakterisierung des Mitteldings als eines von den Gegenstzen freien Stoffs aus: Da das Mittelding zu keinem der vier Elemente eine Gegenstzlichkeit aufweise, knne es sich in sie nicht umwandeln, was es als das angebliche der Dinge disqualifiziert, weil alles andere erst aus den vier Elementen entstehe. Themistios lsst also, auf dem aristotelischen Prinzip (Ph. 205a67) basierend, nicht zu, dass der gegensatzfreie Stoff eine Qualitt an-

    674Vgl. Simpl., In Ph. 480.2730, wo die Lehre des Heraklit mit der stoischen vergli-chen wird, ohne jedoch die letztere Heraklit zuzuschreiben. Als zuknftiges Ereignis wird die Umwandlung ins Feuer in Philoponos Komm. zu Ph. 204b2235 betrachtet, offensichtlich jedoch schon mit Blick auf den Satz in Ph. 205a34 (In Ph. 433.56). 675Vgl. Clem., Protr. 1.8.3: .676Vgl. Ar 124 (und oben 1.14.2) zu Themistios Kommentar zu Ph. 204b2429 (wo jedoch weder mit dem Mittelding identifiziert noch explizit als frei von jeglichen Ge-genstzen bestimmt wird). 677hnlich Philoponos Ar 214 (vgl. unten 1.15.3) und Simplikios, In Ph. 481.24.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 1.15Argumentation gegen die Existenz Ph. 3.5, 204b35205a7 245

    nimmt, ohne frher die ihr gegenstzliche Qualitt besessen zu haben. Anders als Aristoteles in GC 2.5, 332a24 (Ar 12, vgl. unten 3.5.1) schlussfolgert er nicht, dass das Mittelding vor der Vernderung diese gegenstzliche Qualitt besessen haben muss.

    Themistios erklrt hier nicht, warum er sich in seinem Komm. zu Ph. 189a34b8 trotz der jetzigen Kritik am Mittelding dem aristotelischen Lob fr die An-nahme des gegensatzfreien Mitteldings als Substrat angeschlossen hat und wie seine aktuelle Kritik mit dem dort geuerten Prinzip (In Ph. 22.78) zu vereinbaren ist. Weiter unten (vgl. Punkt III) versucht er allerdings zu zeigen, dass seine Widerle-gung des Mitteldings nicht gegen die aristotelische, ebenfalls gegensatzfreie Hyle spreche.

    2.Eines der vier Elemente (In Ph. 87.816)Anders als das Mittelding besitzt laut Themistios jedes der vier Elemente gegen-stzliche Qualitten, was es ihm ermglicht, sich in das Gegenstzliche zu ver-wandeln ( ); als das einzige und Substrat der Vernderung knne jedoch keines von ihnen angenommen werden, und zwar aus folgenden Grnden:1. behlt es in der Vernderung die Qualitt, die es zu dem macht, was es ist,

    z.B. die Wrme im Falle des Feuers, dann fhrt die Vernderung dazu, dass es zu gleicher Zeit gegenstzliche Qualitten habe, was unmg-lich ist dieses Argument stammt aus GC 2.5, 332a1317;

    2. behlt es bei der Vernderung diese Qualitt nicht, dann bleibt es nicht als das ursprngliche Element erhalten, was beim nicht erlaubt ist;

    3. kann es sich in ein anderes der vier Elemente verndern, das sich auch zu-rck in das erste Element verwandeln kann, dann gibt es keinen Grund, ge-rade dieses und nicht das andere Element als anzusetzen.

    Der gesamte Text von 87.816 erscheint in leicht vernderter Form auch bei Phi-loponos (In Ph. 434.919, vgl. unten 1.15.3); dieselben Argumente werden auer-dem von Simplikios genannt (In Ph. 481.514).

    678Vgl. Them., In Ph. 22.511.679Vgl. Them., In Ph. 22.610 (Komm. zu Ph. 1.6, 189b38; vgl. 1.9.1), wo diese Option neben einer weiteren, ebenso unbefriedigenden (das Element nimmt die gegenstzliche Qualitt gar nicht an) genannt und mit einer hnlichen Begrndung abgelehnt wird: .

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 246 Physica

    III Vergleich zwischen der Annahme eines einzigen Elements und der der materia prima (In Ph. 87.1623)

    Themistios, der Aristoteles die Annahme einer von den Gegenstzen freien ( , In Ph. 87.1718) materia prima zuschreibt, versucht jetzt zu zeigen, dass die in 87.48 geuerte Kritik am Mittelding, der zufolge es sich als gegensatzfreies nicht in die vier Elemente umwandeln knne, nicht gegen die aristotelische Hyle gerichtet werden knne. Zu diesem Zweck unterscheidet er zwei Auffassungen der Art, wie das materielle Prinzip die Vernderung und somit die Genesis ermglicht: Entweder verndere sich das Element selbst ( ), oder es fungiere als unvernderliches Substrat und Ort der Ver-nderung ( ); ersteres sei, wie oben in Bezug auf das Mittelding gezeigt, fr etwas Gegensatzfreies unmglich, letzteres dagegen, das auf die aristotelische Hyle zutreffe, sei mit der Freiheit von den Gegenstzen durchaus vereinbar.

    Ausgehend von dieser Unterscheidung zeigt Themistios die berlegenheit des aristotelischen Hyle-Konzepts auch ber die in 87.816 (oben II.2) behandelte, monistische Position der Naturphilosophen: Whrend es sich fr jedes der vier Elemente als unmglich erweist, sich in die anderen Elemente zu verndern und zugleich erhalten zu bleiben (um berhaupt als Substrat aller Dinge fungieren zu knnen), liegt eine und dieselbe Hyle allen der Genesis unterworfenen Dingen zugrunde, allerdings ohne in sie umgewandelt zu werden (In Ph. 87.2122).

    Themistios vergisst jedoch die entscheidende Frage zu beantworten: Warum kann nicht auch in Bezug auf das Mittelding angenommen werden, dass es hn-lich wie die Hyle als unvernderliches Substrat der Vernderungen fungiert? So erklrt Simplikios an der entsprechenden Stelle seines Kommentars (In Ph. 481.1922) offensichtlich im Anschluss an die aristotelische Kritik an den frhe-ren Lehren (vgl. In Ph. 480.22481.18) und mglicherweise zugleich in Auseinan-dersetzung mit Themistios bzw. anderen Kommentatoren , dass das Mittelding seinen Vertretern zufolge deswegen keine Gegenstze habe, weil es als be-trachtet werde; demnach entstnden aus ihm die vier Elemente, wenn es mit den sie charakterisierenden Qualitten geformt werde (

    680Der Text in 87.1623 erscheint, ergnzt um einige zustzliche Erklrungen, auch in Philopo-nos Kommentar zu der Stelle (Ar 214, vgl. unten 1.15.3).681Eine Verteidigung der aristotelischen Materie gegen die Kritik an dem Anaximander zu-geschriebenen Stoff findet sich auch bei Simplikios und Philoponos in ihren Kommentaren zu Ph. 204b2235, vgl. Philop., In Ph. 427.2227 (vgl. oben 1.14.3) und Simpl., In Ph. 480.921 (vgl. oben 1.14.5); dort wird die Hyle allerdings gegen den in Ph. 204b3435 formulierten Einwand ( ' ) verteidigt.682Zu einer exakten und einleuchtenden bersetzung des Textabschnitts 87.1621, der in Todds (2012, 97) bersetzung unklar erscheint, s. Whrle (2012, 103).

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 1.15Argumentation gegen die Existenz Ph. 3.5, 204b35205a7 247

    , 481.2122). Dieselbe Intention schreibt Simplikios brigens auch den Anhngern eines ein-zigen der vier Elemente zu ( , ' , , 481.2224) und weist darauf hin, dass aus diesem Grund nur die leicht zu pr-genden ( ) Elemente als postuliert wrden.

    1.15.3 Ar 214Philoponos, In Aristotelis Physicorum libros tres priores commentaria 434.21435.18 (CAG XVI, ed. Vitelli)

    Lit.: Edwards (1994, 100f.); Dhrsen in: Flashar Bremmer Rechenauer (2013, 275)

    KontextPhiloponos Kommentar zu Ph. 3.5, 204b35205a7, bes. 205a45 (Lemma: [= Ph. 204b3536]), im Rahmen des detaillierten Teils seines Kommentar zu Ph. 3.5, 204b4205a8. Zu der Aristoteles-Stelle s. oben 1.15.1.

    KommentarPhiloponos gesamter detaillierter Kommentar zu dem Argument in Ph. 204b35205a7 (In Ph. 433.23435.18) besteht aus drei Teilen, von denen die zwei letzten, Ar 214 umfassenden Teile klare Entsprechungen in Themistios und Simplikios Kommentaren zu der Stelle haben (vgl. oben 1.15.2):1. Erklrungen zur Struktur der aristotelischen Argumentation an der Stelle

    [433.23434.9]2. Die auf Ph. 205a67 basierende Argumentation gegen die Annahme eines

    einzigen, aktual existierenden Elements [434.9435.4], und zwar:

    683Eine Unterscheidung zwischen wandelbaren () und unwandelbaren () Prinzipien fhrt auch Philoponos in seinem Kommentar zu GC 2.5 (In GC 237.22238.16) ein; dort werden die Elemente der naturphilosophischen Monisten als und jeweils den brigen drei Elementen sowie andern Dingen zugrunde liegend bestimmt (vgl. auch Philop., In GC 9.3010.13). Vgl. unten 3.4.2.684Vgl. denselben Punkt im allgemeinen Teil von Philoponos Kommentar zu der Stelle: In Ph. 428.111.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM

  • 248 Physica

    2.1. eines der vier Elemente [434.921] Dieser Text ist beinahe identisch mit dem entsprechenden Punkt bei Themistios, s. 1.15.2 (II.2) (gendert ist allerdings die Reihenfolge von 2.1 u. 2.2).

    2.2. des Mitteldings [434.21435.4; erst ab hier Ar 214] Der Hauptteil des Tex-tes ist mit dem entsprechenden Punkt bei Themistios identisch, s. oben 1.15.2 (II.1). Philoponos stellt der Erklrung des Arguments einen einfh-renden Satz voraus und ersetzt den abschlieenden, rhetorisch gestalte-ten Satz des Themistios ( ' , In Ph. 87.8) durch das Argument, dass das Ewige nicht zwecklos existieren knne ( ).

    3. Vergleich zwischen der Annahme eines einzigen Elements und der der ma-teria prima [435.418] - Die erste Hlfte des Texts (435.410) ist identisch mit dem entsprechenden Text des Themistios, s. oben 1.15.2 (III). Dem Argu-ment, dass sich das Mittelding, als gegensatzfrei, nicht in die vier Elemente umwandeln knne, whrend die gegensatzfreie Materie des Aristoteles sich als solche in die Elemente nicht umzuwandeln brauche, sondern dasjenige sei, in dem sich die Vernderungen der Gegenstze ineinander abspielten ( , Them., In Ph. 87.2021; Philop., In Ph. 435.8), fgt Philoponos einen weiteren Punkt (435.1018) hinzu, in dem er auf einen wichtigen Unterschied zwischen dem Mittelding und der Hyle verweist: Whrend das Mittelding aktual als quali-ttsloser Krper ( ) existiere, was seine Qualifizierung durch das Gegenstzliche und folglich jegliche Genesis ausschliee, existiere die aristotelische Materie aktual nie ohne Form und Qualitt, was eine Vern-derung (die in einer Einwirkung seitens des Gegenstzlichen bestehe, , vgl. GC 1.7, 323b29324a8) und somit auch die Genesis ermgliche.

    1.16 Argumentation aus dem Ort gegen die Existenz eines unendlichen einfachen Krpers Ph. 3.5, 205a7b1

    Kommentare zur Stelle: Simplikios: Th 420 / Ar 177 / As 148 (1.16.2)

    685Vgl. Philop., In Ph. 398.2426 u. 406.28407.2.

    Brought to you by | New York University Bobst Library Technical ServicesAuthenticated

    Download Date | 12/7/14 11:11 PM