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Die Rache der Kerneeten

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Nr. 425

Die Rache der Kerneeten

Am Ort des falschen Zaubers

von Hubert Haensel

Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen.

Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu­kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird.

Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge­meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde.

Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei­ter. Seit den Untersuchungen auf Cyrsic, die den dortigen Wissenschaftlern Auf­schluß über die Funktion von Atlans Zellaktivator gaben, scheint sich Chirmor Flog in immer größerem Maß für dieses Gerät und seinen Träger zu interessieren.

Aber statt Atlan sofort nach Säggallo, der Residenz des Neffen, kommen zu las­sen, wird der Arkonide nach Jardiehanoor, der Staubwelt, beordert. Und dort erlebt er DIE RACHE DER KERNEETEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Verkonder - Der Arkonide und der Wahrheitsspürer als Schiffbrüchige.Wassleng - Kommandant der KYR.Darziner - Chef des Stützpunkts auf Jardiehanoor.Lardor - Das Opfer eines lebensgefährlichen Versuchs.

1.

Schnell blieb die KYR, das aus drei Rie­senkugeln bestehende Organschiff, zurück. Auf seiner Kreisbahn um den Planeten ent­fernte es sich mit gleichbleibender Ge­schwindigkeit, während das winzige Beiboot mit Atlan und dem Havaren Verkonder an Bord in die äußeren Schichten der Atmo­sphäre eintauchte. Seit ihrem Start von Cyr­sic hatte Atlan sich immer wieder vorzustel­len versucht, was ihn erwarten würde. Aber auch jetzt, da ein Zusammentreffen mit Chirmor Flog kurz bevorstand, wußte er nur unwesentlich mehr. Gedankenverloren starr­te er auf die rötlichen Staubschleier, die den Planeten gleich einer schützenden Wolken­decke einhüllten. Jardiehanoor war einst so etwas wie ein Urlaubssitz für den Neffen ge­wesen. Aber durfte Atlan deshalb eine para­diesische Welt erwarten? Seine diesbezügli­che Frage blieb unbeantwortet. Verkonder wußte es nicht, und für den Roboter hinter den Kontrollen gab es offenbar nur die An­weisungen, die er über Funk von der Plane­tenoberfläche aus erhielt. Seine Aufgabe war es, das Beiboot sicher zu landen. Rötlich fahles Licht erfüllte die enge Kabine. Wal­lende Nebel außerhalb der dicken Scheiben erweckten den Eindruck, das Boot würde stillstehen. Doch das war nur eine Täu­schung, hervorgerufen durch das Fehlen jeg­licher Bezugspunkte, an denen man sich hät­te orientieren können. Mit abnehmender Hö­he schien der Staub dichter zu werden, und gleichmäßig geformte Wolken entstanden aus dem wirbelnden Durcheinander. Dabei hatte es den Anschein, als würde jedes ein­zelne der winzigen Staubpartikel von sich aus zu leuchten beginnen. Eine helle Aura legte sich um das Boot, die wie ein weit aus­

gedehnter Schutzschirm wirkte. Atlans fra­gender Blick traf Verkonder. »Ich weiß nicht mehr als du auch«, sagte der Havare.

»Vielleicht handelt es sich um eine Natur­erscheinung, die noch von der Katastrophe herrührt, die irgendwann stattgefunden hat.«

Atlan hielt diese Erklärung nicht unbe­dingt für zutreffend, schien es ihm doch, als würde der sie umgebende Nebel eine unbe­stimmbare Art von Eigenleben entwickeln.

Endlos lange Minuten vergingen, in denen der Staub noch dichter, das Leuchten noch intensiver wurde.

Dann allerdings kam der Augenblick, in dem ein erster greller Blitz unmittelbar in Flugrichtung aufzuckte. Es war, als würden die Staubwolken aufreißen und in ihnen ge­speicherte Energien schlagartig freigeben.

Der Bug des Beiboots schien aufzuglü­hen. Atlan und Verkonder wurden in ihre Sitze gepreßt, unfähig, sich zu bewegen, während der Roboter mit mechanischer Sturheit versuchte, den beginnenden Absturz unter Kontrolle zu bringen.

Die Funkverbindung zur Bodenstation riß ab. Wie aus dem Nichts heraus war vor dem Schiff ein leuchtender Wirbel entstanden, der sich in immer enger werdenden Spiralen zur Planetenoberfläche hinabschraubte.

Atlan spürte die taumelnden, ruckartigen Bewegungen des Beiboots, dessen Antrieb plötzlich nur noch periodisch zündete. Dann tauchten sie in den leuchtenden Wirbel ein und wurden zum Spielball entfesselter Ge­walten.

Hatte eben noch eine bedrückende Stille geherrscht, so klang nun das Kreischen überbeanspruchten Materials doppelt laut. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Millio­nen und aber Millionen winzigster Staubpar­tikel die Außenhülle des Bootes so weit ab­geschliffen hatten, daß unweigerlich die Ex­

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plosion des Triebwerks folgen mußte. Aus dem rötlichen Leuchten schälten sich

undeutliche Konturen heraus. In Sekunden­schnelle wuchsen sie vor dem Beiboot auf und wurden zu einer steil aufragenden Fels­formation.

Verkonder schrie entsetzt auf, während Atlans Blick sich förmlich an dem Hindernis festbrannte. Noch einmal versuchte der Ro­boter, den Flug zu stabilisieren. Für einen Augenblick sah es auch so aus, als könne er den Rand des Wirbels durchbrechen.

Doch dann streifte das Boot eine schlanke Felsnadel. Eine Tragfläche splitterte und wurde abgerissen. Die Maschine begann zu trudeln und stürzte endgültig ab.

Im gleichen Augenblick, als Atlan den Bergrücken auf sich zuschießen sah, erfolgte auch schon der vernichtende Aufprall. Me­tall schrammte über Stein, faustgroße Fels­brocken zerschlugen die Scheiben. Eine Se­rie harter Stöße drohte Atlan aus den Gurten zu reißen, dann stellte sich das Boot auf die Nase und überschlug sich.

Von irgendwoher kam das Dröhnen einer Explosion. Der Roboter verging in den Flammen einer lodernden Feuersäule, die Atlan nur um Haaresbreite verfehlte. Aber noch immer war das Beiboot nicht zum Stillstand gekommen, schrammte es über harten Felsen, eine Spur der Verwüstung hinter sich herziehend.

War dies das Ende? Endgültig und unwi­derruflich?

Du vergißt das Goldene Vlies, meldete sich plötzlich sein Extrasinn.

Noch lange nicht kannte Atlan alle Kräfte, die dem Anzug der Vernichtung innewohn­ten. Doch würde er ihn auch diesmal retten können? Er selbst zweifelte.

In den wenigen Sekunden, die ihm blie­ben, bevor die Flammen ihn erreicht hatten, zogen die Ereignisse der letzten Stunden noch einmal an Atlan vorüber.

*

Hatten Atlan und vor allem Verkonder

Hubert Haensel

selbst erwartet, auf Verkonders Nachricht an den Neffen des Dunklen Oheims eine schnelle Antwort zu erhalten, so wurden bei­de zunächst enttäuscht.

Das Zögern Chirmor Flogs ließ Atlan da­mit rechnen, daß man ihn auch diesmal nicht nach Säggallo holen würde. Der Neffe schi­en nach wie vor mißtrauisch zu sein und At­lan nicht auf Säggallo haben zu wollen, ob­wohl er sich von dem Pthorer die dringend ersehnte Hilfe erhoffte. Aber andererseits war es gerade dieser Atlan gewesen, der ihn durch den Diebstahl der Ärgetzos in seine mißliche Lage gebracht hatte. Denn die le­bensverlängernden Kügelchen hatten sich anschließend als unbrauchbar, ja sogar ge­fährlich erwiesen.

Atlan und der Havare hatten in der rund 1600 Meter durchmessenden Hauptkugel der KYR eine Kabine zugewiesen bekommen.

Während Verkonder die Wartezeit vor al­lem damit überbrückte, daß er auf einem speziellen Lesegerät Mikrofilme betrachtete, hing Atlan seinen düsteren Erinnerungen nach. Zwar hatte es in seinem zehntausend­jährigen Leben viele Frauen gegeben, doch keine von ihnen war so gewesen wie Thalia, die Tochter Odins. Thalia, nach der Einnah­me veränderter Ärgetzos rapide gealtert, hat­te den Tod einem ihr unerträglich scheinen­den weiteren Leben an Atlans Seite vorgezo­gen. Sie, die junge, schöne Frau mit dem goldblonden Haar hatte es nicht verwinden können, plötzlich zur Greisin geworden zu sein. Ein aufflammender Bildschirm riß At­lan aus seinen Gedanken. Eine typische Scuddamoren-Aura zeichnete sich ab, dahin­ter ein Teilausschnitt aus der Zentrale der KYR.

»Kommt!« dröhnte es aus dem Lautspre­cher. »Die Antwort von Säggallo ist einge­troffen.«

»Es scheint, die Warterei hat endlich ein Ende«, murmelte Atlan mehr zu sich selbst als für Verkonder bestimmt, der sich sofort erhoben hatte und auf das Schott zuschritt. »Seit unserem Start von Cyrsic sind etliche Stunden vergangen. Zeit genug für den Nef­

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fen, seine Entscheidungen zu treffen.« Kaum hatten sie ihre Unterkunft verlas­

sen, als sie auch schon von zwei Scuddamo­ren in die Mitte genommen wurden, die sie zur Zentrale begleiteten.

Wassleng, den Atlan an seiner Aura er­kannte, erwartete sie. Der Kommandant be­deutete Verkonder und Atlan, sich zu setzen.

»Ich habe den Befehl, euch nach Jardieha­noor zu bringen«, eröffnete er dann über­gangslos.

»Der Staubplanet?« Verkonder fuhr auf. »Was sollen wir dort?«

Enttäuschung begann sich in seinem Ge­sicht abzuzeichnen. Sicher hatte auch er ge­hofft, endlich die Hauptwelt des Marantro­ner-Reviers zu erreichen.

Ohne auf die gestellte Frage einzugehen, erwiderte Wassleng:

»Die KYR wird Jardiehanoor in Kürze er­reicht haben. Ein Beiboot bringt euch dann auf den Planeten, wo man euch bereits er­wartet.«

»Das ist alles?« fragte Verkonder. Wassleng antwortete nicht, sondern dreh­

te sich einfach um und ging. »Wieso fliegen wir nicht nach Säggallo?«

wollte Atlan daraufhin von Verkonder wis­sen. »Und was hat es mit dem Staubplaneten auf sich?«

»Ich kann dir auch nicht sagen, wieso man uns noch immer von Säggallo fernhält. Jardiehanoor allerdings wurde vor langer Zeit vom Neffen selbst als Urlaubssitz ge­nutzt.

Irgendwann muß es jedoch zu einer schrecklichen Katastrophe gekommen sein. Nur Gerüchte zeugen heute noch von den damaligen Geschehnissen, und auch diese wurden im Lauf der Zeit in ihrem ursprüng­lichen Gehalt verfälscht und dürften kaum noch der Wahrheit entsprechen.«

Atlan verzichtete darauf, Verkonder zu unterbrechen und ihn nach dem Inhalt dieser Gerüchte zu fragen. Aus eigenem Erleben wußte er, wie schnell Wahrheit und Dich­tung miteinander verwoben wurden.

»Jardiehanoor wird seither nur noch der

›Staubplanet‹ genannt«, erklärte Verkonder weiter. »Chirmor Flog soll diese Welt nie wieder besucht haben. Offiziell geriet sie in Vergessenheit.«

»Weshalb bringt man uns dann ausge­rechnet dorthin?« fragte Atlan verwundert.

»Vermutlich«, so spekulierte Verkonder, »hat der Neffe sich nach Jardiehanoor bege­ben, um uns dort zu treffen. Das würde die lange Wartezeit erklären, denn Chirmor Flog wird vor uns an Ort und Stelle sein wollen. Außerdem ist der Planet ein neutraler Ort, an dem Chirmor Flog kaum Verrat zu befürch­ten hat. Denn dein Zellaktivator ist etwas, was viele gerne besitzen würden.«

Atlan verzichtete auf eine Antwort. Für ihn stand nunmehr fest, daß Säggallo Ge­heimnisse barg, die ein Fremder nicht sehen durfte. Zum anderen konnte er sich vorstel­len, daß der Neffe für seine Reise weitrei­chende Sicherheitsmaßnahmen getroffen hatte. Sicher wurde Chirmor Flog auf sei­nem Flug zum Staubplaneten von einer Un­zahl zuverlässiger Untergebener und Leib­wachen begleitet. Unter diesen Umständen würde sich wohl kaum eine Gelegenheit bie­ten, die verlorene Freiheit wiederzuerlangen, geschweige denn etwas zu unternehmen, was dem Neffen des Dunklen Oheims zum Nachteil gereichen konnte. Es hieß also wei­terhin abwarten. Hatte Wassleng behauptet, Jardiehanoor in Kürze erreicht zu haben, so vergingen doch etliche Stunden, bis endlich die Zielsonne auf den Bildschirmen auf­tauchte. Von ihren Galionsfiguren gesteuert, schwenkte die KYR auf die Umlaufbahn des einzigen Planeten ein, die wie Atlan schnell feststellen konnte, innerhalb der ökologi­schen Zone lag. Beim Anblick des Planeten fühlte Atlan sich unwillkürlich an eine Welt jenes Sonnensystems erinnert, das so etwas wie seine zweite Heimat geworden war. Auch der Mars zeigte sich von weitem als rötliche Kugel.

Allerdings wurden dann erste Unterschie­de offenbar, die jede Ähnlichkeit schnell verblassen ließen. Keine Differenzierungen in der Färbung zeichneten sich ab, die auf

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Vegetation hingedeutet hätten, keine weißen Polkappen, aus deren Vorhandensein man auf das Vorkommen von Eis oder Schnee und damit auch Wasser hätte schließen kön­nen.

Aber erst als die KYR in eine stabile Kreisbahn um Jardiehanoor einschwenkte, erkannte Atlan seinen Irrtum. Das Rot des Planeten stammte nicht von seiner Oberflä­che. Vielmehr wurde es von Dunstschleiern erzeugt, die jegliche Sicht auf das, was sich darunter verbarg, unmöglich machten.

Kurz nach dem Eintritt der KYR in den Orbit wurden Verkonder und er von einem Scuddamoren in einen der Hangars geführt, die unmittelbar an die Zentrale angrenzten. Ein kleines, torpedoförmiges Beiboot mit ausschwenkbaren Stummelflügeln für den atmosphäregebundenen Flug stand startbe­reit in den Gleitschienen.

»Beeilt euch beim Einsteigen!« forderte der Scuddamore. »Der Neffe des Dunklen Oheims wartet auf euch.«

Während Atlan sich wortlos abwandte und mit einem Satz im Innern des Beiboots verschwand, blieb Verkonder stehen und streckte fordernd seine Arme aus.

»Ich benötige einen Raumanzug und Waf­fen.«

Die düstere, schattenhafte Erscheinung des Scuddamoren vollführte eine ablehnende Bewegung.

»Ein Anzug liegt für dich bereit, Verkon­der. Waffen wirst du auf Jardiehanoor nicht benötigen. Ihr werdet direkt zum Stützpunkt des Neffen gebracht. Also steig ein.«

Verkonder wußte, daß es sinnlos war, weitere Forderungen zu stellen. Deshalb folgte der Havare Atlan so schnell er konnte. Hinter ihm schloß sich der Einstieg. Fast gleichzeitig liefen die Triebwerke des Bei­boots an.

Atlan hatte sich inzwischen in einem der Sessel hinter dem robotischen Piloten be­quem gemacht. Nachdenklich sah er Ver­konder zu, wie dieser sich den Raumanzug anlegte. Er selbst trug noch immer sein Gol­denes Vlies. Offenbar hatten die Scuddamo-

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ren die Möglichkeit, die dieser Anzug sei­nem Träger bot, noch immer nicht erkannt. Andernfalls würden sie ihn Atlan kaum ge­lassen haben.

Der Start erfolgte fast unbemerkt. Atlan verspürte nur einen kurzen Andruck. Gleich darauf konnte er durch die transparenten Scheiben der Kabine hindurch Jardiehanoor sehen, der wie ein drohendes, glühendes Un­geheuer im All hing.

2.

Ein letzter Ruck, der Atlan mitsamt sei­nem Sitz aus dem brennenden Wrack hin­auskatapultierte, beendete für ihn das Infer­no des unkontrollierten Absturzes. Hart schlug er irgendwo auf und fühlte, wie die Gurte unter der Belastung zerrissen. Schlag­artig wurde es dann still um ihn, und er tauchte hinab in die Dunkelheit des Verges­sens.

Doch lange konnte er nicht ohne Bewußt­sein gelegen haben. Er erwachte von den be­lebenden Impulsen seines Zellaktivators, der sich in diesem Moment fast schmerzhaft in seiner Brust bemerkbar machte.

Noch immer leicht benommen von dem harten Aufprall, richtete Atlan sich auf. Wenn auch schwach auf den Beinen, so hat­te er den Absturz doch unerwartet gut über­standen. Sicher war es nur dem Goldenen Vlies zu verdanken, daß er keine Verletzun­gen davongetragen hatte.

Aber wo war Verkonder? Mit einiger Wahrscheinlichkeit befand der

Havare sich noch immer in dem Wrack, aus dem die Flammen inzwischen an mehreren Stellen meterhoch in den Himmel schlugen.

Atlan war mehr als zwanzig Meter weit aus dem Wrack herausgeschleudert worden, das an einem terrassenförmig abfallenden Berghang zerschellt war. Unmittelbar neben ihm begann einer der fast senkrechten Fels­stürze, der mehr als dreißig Meter weit in die Tiefe führte. Ein geröllbedecktes schma­les Band schloß sich an, das dann seinerseits ebenfalls wieder steil abfiel. Die sich aus­

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breitende Qualmwolke machte es Atlan un­möglich zu erkennen, was danach folgte. Mit Schaudern dachte er daran, was hätte geschehen können, wäre das Beiboot nur wenig eher aufgeschlagen.

Schnell näherte er sich dem Wrack. Dessen Bug war bis zur Unkenntlichkeit

deformiert worden; beide Tragflächen schie­nen wie mit scharfen Klingen abrasiert, die Passagierkabine war mehrfach aufgerissen und in sich verschoben und lag unter einem schier undurchdringlichen Wust glühender Stahlplatten, zerfetzter Träger und aus den Verankerungen gerissener Triebwerksaggre­gate begraben.

Trotz der Gefahr, in die er sich dabei be­gab, fühlte Atlan sich zur Hilfe verpflichtet. Er hätte jedem lebenden Wesen in dieser La­ge geholfen, sogar einem Neffen des Dunklen Oheims.

Ohne das Goldene Vlies allerdings wäre er zur Untätigkeit verdammt gewesen. Doch so spürte er nichts von der sengenden Hitze, die über ihn hinwegstrich, nichts von dem glühenden Metall, das seine Hände ver­brannt hätte, wären sie ungeschützt gewe­sen.

Meter um Meter kämpfte Atlan sich vor­wärts, schob mit schier übermenschlicher Anstrengung armdicke Stahlträger zur Seite, die ihm den Weg versperrten, riß rotglühen-de Platten aus ihren Verankerungen und warf sie achtlos hinter sich.

Der Schweiß rann ihm in Strömen über die Stirn und brannte wie Feuer in seinen Augen. Trotz der belebenden Impulse, die seinen Körper durchliefen, fühlte er sich schnell schwächer werden.

Aber dann hatte er es geschafft. Ein Teil der Kabine war freigelegt.

Atlan sah Verkonder bewußtlos in seinem Sessel hängen, oder vielmehr dem, was noch davon übrig war. Zum Glück hatte der Ha­vare es noch geschafft, den Helm seines Raumanzugs zu schließen, sonst wäre wohl jede Hoffnung umsonst gewesen.

Ohne länger zu zögern, zog Atlan den Ha­varen zu sich heran.

Nachdem er den Gefahrenkreis des aus­glühenden Wracks endlich verlassen hatte, warf Atlan ihn sich kurzerhand über die Schulter und lief mit ihm bis an den äußer­sten Rand des Felsplateaus. Obwohl zu die­sem Zeitpunkt kaum noch die Gefahr be­stand, daß das Beiboot in einer explosiven Reaktion des Haupttriebwerks in die Luft flog, suchte er hinter einem mehr als manns­großen Felsblock Deckung.

Dann machte Atlan sich daran, den Hava­ren aus seinem unbrauchbar gewordenen Raumanzug herauszuschälen.

Soweit Atlan es beurteilen konnte, war auch Verkonder ohne ernsthafte Verletzun­gen davongekommen. Bis auf einige leichte Verbrennungen an den Beinen, die jedoch innerhalb weniger Tage wieder verheilt sein würden, hatte sein unglaublich dürrer Kno­chenkörper den Absturz unverhofft gut über­standen.

Als Verkonder dann nach einiger Zeit wieder zu sich kam und die Augen auf­schlug, galt seine erste Frage dem Neffen.

»Hat Chirmor Flog uns gefunden und ge­rettet?«

Obwohl er das spöttische Grinsen um At­lans Mundwinkel sicher nicht richtig deuten konnte, sah er sich gleich darauf nach allen Seiten um. Viel konnte er dabei aber nicht erkennen, denn noch immer hing die dunkle Wolke über dem Felsen.

»Ich habe dich aus den Trümmern hervor­gezogen«, sagte Atlan.

»Du? Welchen Grund solltest du dafür ge­habt haben …?«

»Ist es nicht Grund genug, ein lebendes Wesen vor dem sicheren Tod zu bewahren?«

Atlan erhielt keine Antwort auf seine Feststellung. Nicht einmal ein einfaches Danke.

»Was machen wir nun?« fragte der Hava­re nach einer Weile. Offenbar unschlüssig erhob er sich und trat dann nervös von ei­nem Bein aufs andere.

»Die Scuddamoren werden uns finden«, sagte er schließlich.

»Meinst du?« gab Atlan zurück.

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»Weshalb ist dann noch kein Raumschiff hier aufgetaucht und hat uns an Bord ge­nommen? Ja, nicht einmal ein lumpiger Gleiter ist auf der Suche nach uns.«

»Ist es so schlimm?« erkundigte sich Ver­konder, und in seiner Stimme schwang Be­sorgnis mit.

Atlan nickte. »Hätte der Robotpilot Gelegenheit gefun­

den, unsere letzte Position durchzugeben, wären wir längst abgeholt worden. Aber wahrscheinlich brach die Funkverbindung zu früh ab.«

»Hm.« Verkonder setzte sich wieder. »Nur du kannst uns weiterhelfen«, sagte

Atlan. »Von uns beiden bist du derjenige, der mit den herrschenden Verhältnissen am besten vertraut ist. Also, in welcher Rich­tung liegt der Stützpunkt des Neffen und wie weit ist er entfernt?«

»Du irrst«, erklärte Verkonder zögernd. »Für mich ist Jardiehanoor eine fremde Welt, genau wie für dich. Und selbst Was­sleng und seine Scuddamoren werden die Lage der Station nicht kennen.«

»… folglich auch nicht die Richtung, in die unser Flug führen sollte«, fügte Atlan hinzu. »Wir sind also auf uns allein gestellt. Wollen wir nicht verhungern oder verdur­sten, müssen wir auf jeden Fall diese karge Felsregion verlassen.«

*

Aus der Lage des ausgeglühten Wracks und den Schleifspuren, die der Aufprall auf dem felsigen Boden hinterlassen hatte, konnte Atlan auf die Flugrichtung schließen, die das Beiboot zuletzt gehabt hatte. Es war nur logisch, anzunehmen, daß der Stütz­punkt des Neffen in eben dieser Richtung zu suchen war. Denn weshalb hätte der Robot­pilot auf einem unbewohnten Planeten Um­wege fliegen sollen?

»Wenn wir Glück haben, erreichen wir unser Ziel in einem Tag«, stellte Atlan wie nebenbei fest. »Wenn nicht, dann vielleicht erst in fünf oder in zehn Tagen.«

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Verkonder nickte nur. Immer wieder wan­derte sein Blick über den rötlichen Himmel, auf der Suche nach einem Gleiter oder gar einem Raumschiff.

Die Rauchschwaden hatten sich verzogen. Es war wieder hell geworden, wenn es auch eine düstere und beklemmend wirkende Hel­ligkeit war, die das Licht der Sonne vermis­sen ließ.

»Ich glaube, dort drüben können wir einen gefahrlosen Abstieg wagen.« Verkon­der deutete mit dem ausgestreckten Arm in die von ihm bezeichnete Richtung. Zwar fiel auch dort der Rand des Plateaus steil ab, doch gab es etwas, das wie ein schmaler Pfad, stellenweise von Abbrüchen und Ge­röllansammlungen unterbrochen, schräg in die Tiefe führte.

»Versuchen wir es«, stimmte Atlan zu. Bewußt verzichtete er darauf, die Flugfä­

higkeit des Goldenen Vlies zu nutzen. Zum einen wagte er nicht, diese Fähigkeit in den Energiewirbeln der Atmosphäre unter Be­weis zu stellen, denn zu frisch war die Erin­nerung an den erlittenen Schiffbruch. Zum anderen wollte er den Spezialkurier des Nef­fen nicht unbedingt mit der Nase auf etwas stoßen, was dieser nicht von sich aus fest­stellen konnte.

Also blieb Atlan nichts anderes übrig, als ohne Hilfsmittel den Abstieg zu versuchen. Den zu überwindenden Höhenunterschied schätzte er auf etwa dreißig Meter, was al­lerdings wegen der ständig bewegten Staub­schleier auch alles andere als zutreffend sein konnte.

Schon sein erster prüfender Tritt zeigte ihm, daß auf die Festigkeit des Gesteins nicht unbedingt Verlaß war. Als unter ihm mehrere faustgroße Steine ausbrachen und polternd und eine kleine Geröllawine auslö­send in der Tiefe verschwanden, drohte er abzurutschen. Doch schnell fanden seine ta­stenden Finger neuen Halt. Vorsichtig und mit den Beinen in der Luft hängend, zog er sich weiter, bis seine Füße erneut den schmalen Sims erreichten.

»Atlan?« rief Verkonder von oben herab.

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Durch das plötzliche Poltern aufgeschreckt, beugte er sich über den Rand des Steilhangs.

»Alles in Ordnung«, gab der Pthorer zu­rück. »Du solltest aber vorsichtiger sein als ich.«

Er selbst hatte nicht viel zu befürchten, da er sich im Notfall auf den Anzug der Ver­nichtung verlassen konnte. Verkonder aller­dings würde einen Absturz nur schwerlich überleben. Dennoch atmete Atlan erleichtert auf, als er endlich loslassen konnte. Die letz­ten beiden Meter sprang er und kam federnd auf. Verkonder folgte ihm dann sogleich, und er schaffte es ebenfalls, wenn er auch mehrmals nur an einer Hand über dem Ab­grund hing und es so aussah, als würde er im nächsten Moment in den sicheren Tod stür­zen. Merklich blaß geworden, wagte er sich dann an den zweiten Abstieg. Wieder über­nahm Atlan die Führung. Von dem goldenen Schimmer seines Anzugs war nicht mehr viel zu sehen. Er war über und über von ro­tem Staub bedeckt, der an manchen Stellen zentimeterdick auf den Felsen haftete und der bei jeder Berührung aufwirbelte, als ver­füge er über eine Art von Eigenleben.

Am Fuß dieser zweiten Steilwand begann eine weite Ebene, die sich irgendwo im rötli­chen Dunst verlor. Atlan konnte sich aber nur kurz auf die neue Umgebung konzentrie­ren, die ihn dort unten erwartete, denn der Abstieg erwies sich als weitaus schwieriger als angenommen. Zudem breitete sich die Dämmerung über das Land, und niemand wußte, wie lange es dauern würde, bis end­gültig die Nacht hereinbrach. Bis dahin hieß es festen Boden unter den Füßen zu haben, denn in der Dunkelheit würde jede Kletterei an Selbstmord grenzen.

Zum erstenmal sah Atlan so etwas wie ei­ne Pflanze auf Jardiehanoor. Eigentlich war es mehr ein verkrüppelter, abgestorbener Ast, der dort aus dem Gestein herausragte, wo dieses rauh und brüchig war.

Atlan konnte das Gewächs erreichen, wenn er die Hand danach ausstreckte. Doch schon bei der ersten flüchtigen Berührung brach es ab und verschwand in der Tiefe,

noch ehe er zupacken konnte. Ohne sich weiter um den verbliebenen

kurzen Stumpf zu kümmern, setzte Atlan dann seinen Weg fort. Eigentlich hatte ihn der Ast nur interessiert, weil seine helle, ris­sige Rinde frei von jeglicher Staubablage­rung gewesen war – ganz im Gegenteil zu den Steinen, zwischen denen er wuchs.

Wenige Meter oberhalb Atlans kletterte Verkonder mit verbissener Anstrengung. Auch er hatte die mit der Dämmerung her­aufziehende Gefahr erkannt.

Die länger werdenden Schatten begannen das menschliche Auge zu narren. Jeder Fels­vorsprung, jeder noch so kleine Stein schien plötzlich in Bewegung zu geraten.

Die bangen Augenblicke häuften sich, in denen vor allem Verkonder nur noch an den Fingern einer Hand über dem gähnenden Abgrund hing und verzweifelt nach neuem Halt suchte. Mehrmals konnte Atlan den Ha­varen vor dem unvermeidlich scheinenden Absturz bewahren, indem er ihm durch Zu­rufe den richtigen Weg wies. Denn allem Anschein nach bot sich jedem von ihnen aus seiner jeweiligen Perspektive ein völlig an­dersartiger Anblick.

Endlich erreichte Atlan ein schmales Fels­band, das kaum mehr als fünf Meter über dem eigentlichen Talboden verlief. Noch während er erleichtert aufatmete und Ver­konder helfend die Arme entgegenstreckte, ließ ihn ein seltsames Schaben herumfahren.

Woher das Geräusch kam, blieb ihm je­doch verborgen.

Erst als Verkonder warnend aufschrie, nahm er die flüchtige Bewegung ebenfalls wahr.

Zu spät, um noch irgend etwas gegen den mit ungestümer Wucht vorgetragenen An­griff unternehmen zu können.

Etwas, das große Ähnlichkeit mit einem meterlangen, biegsamen und mit scharfen, lanzettförmigen Blättern versehenen Ast hat­te, klatschte Atlan vor die Brust. Der Auf­prall ließ ihn zurücktaumeln. Gleichzeitig fühlte er eine Berührung an seinen Beinen, die ihn festhalten wollte.

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Ein zweiter Ast sauste heran; Atlan fing ihn noch in der Luft ab. Seine Finger krall­ten sich um Blätter, die wie Glas splitterten.

Wieder ertönte jenes schabende Geräusch in unmittelbarer Nähe. Aber Atlan konnte sich noch so sehr anstrengen, er sah einfach nicht, was da auf ihn zukam.

Doch dann flogen aus der Höhe mehrere Steine herab. Bevor sie fast senkrecht zu Bo­den polterten, blieben sie für wenige Augen­blicke unbewegt in der Luft hängen, von ei­nem bis dahin unsichtbaren Hindernis abrupt gestoppt.

Ein düster rotes Etwas, das sich perfekt an seine Umgebung anzupassen verstanden hat­te, verlor seine Tarnfarbe. Fast weiße, borki­ge Rinde kam zum Vorschein und ein längli­cher, mehrfach gegliederter Körper, der At­lan unwillkürlich an einen verästelten Strauch erinnerte.

Offensichtlich geriet das Tier – oder war es eine Pflanze? – in Panik. Vielleicht hatte Atlan seinen Lebensraum verletzt, und es setzte sich jetzt gegen den vermeintlichen Angreifer zur Wehr.

Wie dem auch sei, jedenfalls schlossen sich spitze Stacheln um Atlans Hüfte. Fast gleichzeitig aber bäumte sich das Wesen auf, verlor den Boden unter den Wurzeln und klatschte dann haltlos zurück.

Alles in Atlan verkrampfte sich. Er ahnte, daß sein Anzug der Vernichtung sich gegen den Angreifer zur Wehr gesetzt hatte – in ei­ner Weise, die dieser nicht überstehen konn­te.

Tatsächlich zerfielen innerhalb kürzester Zeit Blätter und Äste zu feinkörnigem Staub. Nur ein wenig vom Stamm blieb er­halten. Es erinnerte Atlan an jenes Stück morschen Holzes, das er in der Steilwand abgebrochen hatte.

Inzwischen hatte auch Verkonder die letz­ten Meter hinter sich gebracht. Schwer at­mend trat er auf Atlan zu.

»Ich glaube, es hätte meiner Hilfe gar nicht bedurft«, stellte er zögernd fest. Doch Atlan wehrte kurz ab.

»Ohne dich hätte ich den Standort des

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Angreifers nicht so schnell ausfindig ge­macht.«

»Ich konnte von oben seine Umrisse er­kennen, du sicher nicht.«

»Allerdings«, nickte Atlan. »Aber wir sollten uns endlich darum kümmern, wo wir die Nacht verbringen. Man kann schon jetzt kaum noch die Hand vor Augen erkennen.«

»Bleiben wir hier«, schlug Verkonder vor. »In die Ebene hinabsteigen können wir oh­nehin nicht mehr. Auch wissen wir nicht, was uns dort unten erwartet.«

Er fürchtet sich, signalisierte Atlans Ex­trasinn. Offenbar weiß er mehr über Jardie­hanoor, als er zugibt.

Er weiß nichts. Wenn, dann würde er es sagen, denn schließlich geht es auch um sei­ne Haut.

Bist du dir dessen wirklich sicher? Wessen kann man sich schon sicher sein?

gab Atlan lautlos zurück. Und an Verkonder gewandt, sagte er:

»Gibt es Tiere auf dieser Welt, die uns ge­fährlich werden könnten?«

Daß der Havare ohne Zögern antwortete, überzeugte Atlan endgültig von dessen Auf­richtigkeit, zumindest was die Angaben über den Staubplaneten betraf.

»Ich glaube nicht«, erwiderte Verkonder. »Allerdings fehlen mir die nötigen Informa­tionen, um das mit Sicherheit behaupten zu können. Als Jardiehanoor vor langer Zeit der Urlaubssitz des Neffen war, wurde wohl al­les Leben ausgelöscht, das gefährlich hätte werden können.

Nur, was ist schon endgültig? Im Lauf vieler Jahrtausende findet die Natur immer wieder Möglichkeiten der Regeneration. Der Angriff auf dich hat es bewiesen.«

»Wir wissen also so gut wie nichts«, faßte Atlan mit wenigen Worten zusammen. Ihm fiel auf, daß Verkonder eine ungewöhnliche Nervosität zeigte. Doch mußte die Ursache dafür nicht unbedingt in einer unmittelbaren Gefahr begründet sein.

Atlan konnte sich vorstellen, daß die psy­chische Verfassung des Havaren seit ihrem Schiffbruch nicht mehr die beste war. Wenn

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der Zellaktivator nicht rechtzeitig herbeige­schafft wurde, würde Chirmor Flog auch ihm einen Teil der Schuld daran anlasten. Und was das letztlich für die Zukunft Ver­konders bedeutete, lag klar auf der Hand.

Anstatt dich unsinnigen Betrachtungen hinzugeben, solltest du dich nach einer Blei­be für diese Nacht umsehen, meldete sich Atlans Extrasinn. Die Zeit drängt.

»Wir bleiben hier«, bestimmte Atlan, oh­ne auf diese letzte Bemerkung einzugehen. »Gemütlich wird es zwar nicht werden, aber wir haben schon anderes überstanden.«

Weshalb begebt ihr euch nicht in die Höhle?

Irritiert blickte Atlan um sich. Es war be­reits zu dunkel, als daß er mehr als nur schattenhafte Umrisse hätte erkennen kön­nen. Indes begann er sich allmählich zu erin­nern, daß er, kurz bevor er angegriffen wor­den war, irgendwo eine Vertiefung im Fels bemerkt hatte. Das mußte in unmittelbarer Nähe gewesen sein.

Ganz recht, bestätigte sein Extrasinn. Fünf Meter zu deiner Linken wirst du die Öffnung finden. Die Höhle ist nicht groß, aber sicher ausreichend, um zwei Menschen Unterschlupf zu gewähren. Obwohl Jardie­hanoor nicht nur tagsüber keine Sonne, son­dern auch des Nachts nicht den Schein der Sterne kannte, wurde es keineswegs so voll­kommen finster, wie Atlan anfangs befürch­tet hatte. Ein düsteres rotes Leuchten ging von den träge dahinziehenden Staubschwa­den aus. Zwar war dessen Intensität größe­ren Schwankungen unterworfen, dennoch blieb stets ein gewisser Schimmer, der aus­reichte, um Atlan und Verkonder sich zu­rechtfinden zu lassen.

Die offenbar natürlich entstandene Höhle führte kaum mehr als zwei Manneslängen weit in den Fels hinein. Sie war unbewohnt.

Auch hier hatte sich überall roter Staub abgelagert, der bei jedem Schritt aufwirbel­te, die Atemwege jedoch in keiner Weise reizte.

»Hier bleiben wir«, entschied Atlan. »Wenn du einverstanden bist, Verkonder,

übernehme ich die erste Wache.« Der Havare hatte nichts dagegen einzu­

wenden.

*

An Bord der KYR wußte man noch nichts vom spurlosen Verschwinden des Beiboots und der beiden im Augenblick für Chirmor Flog wichtigsten Personen. Zwar war der Flug des Schiffes verfolgt worden, doch hat­te man dieses schon kurz nach dem Ein­tauchmanöver in die Planetenatmosphäre aus den Ortungen verloren. Nichts Unnatür­liches für eine Welt wie Jardiehanoor, die von immerwährenden energetischen Entla­dungen umspielt wurde.

Um so härter traf Wassleng die Nachricht, daß Atlan und Verkonder seit Stunden über­fällig waren und vermißt wurden. Wie es schien, herrschte im Stützpunkt des Neffen bereits helle Aufregung.

Der Kommandant der KYR wurde einem Verhör unterzogen. Natürlich ohne Ergeb­nis, da jeder erhaltene Befehl prompt und auf das Genaueste ausgeführt worden war. Er hatte sich nichts vorzuwerfen.

Und eben das sagte er auch jenem Scud­damoren, der sich über Funk mit dem Na­men Darziner vorgestellt und gleichzeitig Sondervollmachten des Neffen vorgewiesen hatte.

Der einzige Erfolg war, daß Darziner tob­te.

Wassleng bekam den Auftrag, jeden Qua­dratzentimeter der Planetenoberfläche mit den Geräten der KYR abzusuchen. Darziner hingegen wollte einen Suchtrupp aufstellen, der, wenn es erforderlich sein sollte, jeden Meter staubbedeckten Bodens umgraben würde.

Beides waren Unterfangen, die von vorn­herein nur wenig Aussicht auf Erfolg ver­sprachen. Wassleng wußte das und wahr­scheinlich auch Darziner.

Aber wußte es auch der Neffe des Dunklen Oheims? Und vor allem: verstand er es?

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3.

Atlans Wache verlief ruhig. Abgesehen von wiederholtem Donnergrollen in weiter Ferne und dem gelegentlichen Aufzucken eines Blitzes am Horizont.

Trotz der hinter ihm liegenden körperli­chen Anstrengungen verspürte der König von Atlantis keine Müdigkeit, was er wohl vor allem dem Zusammenwirken von Zel­laktivator und Goldenem Vlies zu verdanken hatte.

Wie schon tagsüber, so herrschte auch jetzt eine angenehme, gleichbleibende Tem­peratur. Die dichten Staubschleier in der At­mosphäre verhinderten, daß übermäßig Wär­mestrahlung an den Weltraum abgegeben wurde – wie sie auch ein zu großes Aufhei­zen der jeweils der Sonne zugewandten Sei­te des Planeten unterbanden.

Verkonder schlief. Sein leises Schnarchen übertönte das stete Knistern der vorbeizie­henden Staubwolken. Wie Irrlichter flamm­ten sie immer wieder auf und schütteten ihr geheimnisvolles Flackern über der Land­schaft aus.

Atlan fragte sich, wie Jardiehanoor früher ausgesehen haben mochte, vor der angebli­chen Katastrophe. Ob es diesen feinen roten Staub auch damals schon gegeben hatte …

Ein aufkommender leichter Wind trug dem Pthorer leise Geräusche zu. Sie erinner­ten ein wenig an das Schnauben eines größe­ren Tieres.

Doch nur ein vager Schatten war alles, was Atlan erkennen konnte. Zu schnell ver­schwand die Erscheinung wieder im Dunkel der Nacht.

Was blieb, war das Gewitter, das langsam näherkam.

Dann wurde es Zeit, den Havaren zu wecken. Verkonder schien schlecht geträumt zu haben, falls seine Rasse überhaupt Träu­me kannte. Jedenfalls benötigte er mehrere Minuten, bis er sich in der fremden Umge­bung wieder einigermaßen zurechtgefunden hatte.

Hubert Haensel

Den Helm des Goldenen Vlieses geöffnet, so streckte Atlan sich in der Höhle aus. Es dauerte nur wenige Minuten, bis tiefe, gleichmäßige Atemzüge davon kündeten, daß er eingeschlafen war.

*

Mit gemischten Gefühlen trat Verkonder seine Wache an, die bis zum Morgengrauen dauern würde. Die träge vor der Höhle vor­beitreibenden Staubwolken, die den An­schein erweckten, als würden sie von innen heraus glühen, waren ihm unheimlich.

Vielleicht war es falsch gewesen, die Nä­he des Wracks zu verlassen. Denn nichts sehnte er sich dringender herbei, als einen Trupp Scuddamoren, der ihn und Atlan schnell zu Chirmor Flog bringen würde.

Von Anfang an war ihm Jardiehanoor un­heimlich.

Verkonder war versucht, diese Empfin­dung seiner Fähigkeit als Wahrheitsspürer zuzuschreiben.

Doch das hätte bedeutet, daß es irgendwo in seiner Umgebung denkende Wesen geben mußte – und Verkonder war davon über­zeugt, daß dem keinesfalls so sein konnte.

Vielleicht sollte er wieder versuchen, mit Atlans Extrasinn in Verbindung zu treten. Aber er war zu unkonzentriert, um auch nur die Spur einer Erfolgsaussicht zu haben.

Verkonder merkte, daß ihn das Grauen beschlich. Eng preßte er sich an den Fels, als könne dieser ihm Schutz vermitteln.

Und dann kam der Augenblick, in dem je­mand ihn von hinten antippte.

Gleichzeitig ertönte jenes schaurig schril­le Wehklagen, das Verkonder schlagartig an seinen schon vergessenen Traum erinnerte. Von unsäglicher Pein geschüttelt, sank er haltlos in sich zusammen.

*

Atlan schreckte auf, ohne jedoch zu wis­sen, was ihn geweckt hatte. Verwirrt starrte er in die rötlich trübe Finsternis, die sich

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13 Die Rache der Kerneeten

langsam in die Höhle hereinwälzte. Donnerhall dröhnte von den Felswänden

herab. Das allgegenwärtige Knistern, das von den Staubwolken ausging, wurde lauter.

Im Widerschein eines niederzuckenden Blitzes sah Atlan die reglose Gestalt vor dem Höhleneingang liegen. Noch während er hineilte und sich über sie beugte, schloß er mit der Rechten den Helm des Goldenen Vlieses.

Es war Verkonder. Aus seinem Blick sprach der Ausdruck

kreatürlich empfundener Furcht. Beide Hän­de hatte er fest gegen seine Schläfen ge­preßt.

Erst Atlans Berührung schien einen Bann zu brechen. Wie ein Besessener begann Ver­konder plötzlich um sich zu schlagen und zu schreien.

Und da sah Atlan das Wesen vor sich. Wäre er auf Pthor gewesen, in der Ebene

Kalmlech, zu einer Zeit, da es die Horden der Nacht noch gab, der Anblick eines drei­köpfigen Drachen hätte ihn kaum aus der Ruhe bringen können.

So aber, waffenlos und den zitternden Verkonder eisern festhaltend, blieb ihm als einziger Ausweg nur die Flucht.

Zwei, drei schnelle, platzgreifende Schrit­te, dann wirbelte Atlan schon wieder herum. Die Erfahrung eines langen, an Abenteuern nicht eben armen Lebens hatte ihn einige Ungereimtheiten bemerken lassen.

Wogten rings um das Geschehen düster glühende Staubschleier, so war doch das schmale Felsband frei von ihnen. Dafür stand dort das mächtige Ungeheuer, das schon bei der ersten unvorsichtigen Bewe­gung abstürzen mußte. Der Himmel mochte wissen, wie es überhaupt hinauf gelangt war.

Als wieder ein greller Blitz die Wolken teilte und ohrenbetäubender Donner Staub und Geröll aus der Steilwand brach, ging der Drache zum Angriff über.

Zwei seiner Köpfe schoben sich auf Atlan zu, züngelnd und mächtige Zähne entblö­ßend. Der dritte allerdings verwandelte sich auf erschreckende Weise. Er löste sich ein­

fach auf und verschwand, während gleich­zeitig aus dem verbliebenen Halsstumpf ein langer, biegsamer Tentakel hervorschnellte.

Verkonder schrie auf. Bleib! forderte Atlans Logiksektor, der

das Irreale des Geschehens um Bruchteile früher begriffen hatte.

Zwei geifernde Mäuler und ein sich win­dender Fangarm stießen zu.

Einen Herzschlag lang zögerte Atlan. Doch dann riß er beide Arme in die Höhe und schnitt mit ihnen wie mit Schwertern durch die Bestie hindurch.

Was blieb, war ein langsam verwehender rötlicher Schleier. Staub rieselte herab, kroch in wellenförmigen Bewegungen über den Boden und formte schließlich neue, große Wolken.

Ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen folgte Verkonder der gespenstisch anmutenden Szene. Er schrie noch immer.

Für Atlan war es klar, daß der Havare ir­gendwelchen äußeren Einflüssen unterlag, die er selbst jedoch nicht zu spüren bekam. Was immer es sein mochte, Verkonder war sicher kein Mann, der allzu leicht in Panik verfiel.

Erste schwere Tropfen klatschten auf den Fels. Schnell wurde aus ihnen ein wahrer Wolkenbruch, der Verkonder innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnäßte.

Das Gewitter schien allmählich abzuklin­gen.

Doch hatte Atlan erwartet, daß der Regen sämtlichen Staub wegwaschen würde, so wurde er schnell enttäuscht.

Die Staubschleier schienen sich vielmehr neu zu formen. Gestalten, wie sie nur den Visionen einer Apokalypse entsprungen sein konnten, entstanden zu einem kaum Sekun­den währenden Dasein.

Tentakel, Klauen, Hände – alles reckte sich Atlan entgegen und schien ihn mit sich ziehen zu wollen. Je weiter er sich auf den Höhleneingang zurückzog, desto größer wurde das Durcheinander, desto heftiger die Bewegungen der nebelhaft aufwallenden Gebilde.

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Menschenähnliche Wesen entstanden aus rotem Staub. Ihre Blicke lockten; ihre Arme versuchten, Atlan zu greifen.

»Hörst du ihren Ruf?« Verkonder starrte ausdruckslos vor sich hin.

Aber nur das monotone Plätschern des Regens erfüllte die Luft. Das Gewitter hatte aufgehört. Mit einer ruckartigen Bewegung öffnete Atlan den Helm des Goldenen Vlie­ses.

Obwohl er darauf gefaßt war, zuckte er doch unwillkürlich zusammen. Wie aus wei­ter Ferne vernahm er plötzlich den Lockruf einschmeichelnder Stimmen.

Als hätten sie nur darauf gewartet, gerie­ten die Nebel erneut in hektische Bewegung. Von allen Seiten stürmten Trugbilder auf Atlan ein. Sie winkten und versuchten gar, ihn mit sich zu ziehen. Was freilich mit dem Anzug der Vernichtung in Berührung kam, zerfiel innerhalb weniger Augenblicke zu Staub, doch nur um sich gleich darauf zu neuen Spukgestalten zusammenzuballen.

Atlan konnte nicht verstehen, was die Stimmen ihm zuriefen. Sie schienen ein al­tertümliches Garva-Guva zu benutzen. Doch auch so wußte er, was von Verkonder und ihm erwartet wurde.

Sie sollten den schattenhaften Wesen fol­gen!

Immer drängender wurde ihr Rufen. Ihre Gesten waren eindeutig. Jedoch schien der Einfluß, den sie auf Verkonder ausübten, all­mählich nachzulassen.

Der Havare wurde zunehmend ruhiger. Schließlich erhob er sich, als wäre nichts ge­schehen, und blickte zusammen mit Atlan den letzten Staubschleiern nach, die sich langsam in der Ferne verloren.

Er war es auch, der dann das Schweigen brach.

»Folgen wir diesen … diesen … ich weiß nicht, was es war.«

Atlans »Nein!« klang endgültig. »Vielleicht wollten diese Gebilde uns den

Weg zum Stützpunkt weisen.« »Als Sendboten der Scuddamoren gar?«

Die wegwerfende Handbewegung drückte

Hubert Haensel

aus, was Atlan davon hielt. »Dann hätte ihr Vorgehen weit weniger aggressiv ausfallen können. Oder vergißt du so schnell?«

Nachdenklich geworden verneinte Ver­konder.

»Ich hatte das Gefühl, der Schädel wolle mir zerplatzen. So intensiv war der Ruf …«

»Konntest du verstehen, was sie sagten?« »Wir sollten ihnen folgen. Aber verstehen

– nein, das konnte ich nicht.« Diese Aussagen deckten sich mit Atlans

eigenen Beobachtungen. Waren gar schwa­che telepathische Kräfte im Spiel gewesen? Verkonders ganzes Verhalten schien dafür typisch. Auch die äußeren Anzeichen rasen­der Kopfschmerzen, die er offensichtlich noch immer nicht ganz überwunden hatte.

Aber was war es wirklich gewesen, was wie ein böser Spuk über sie gekommen war? Entstanden aus Wolken leuchtenden Stau­bes, gewachsen, bewegt und wieder zu Staub zerfallen.

Obwohl jede dieser schattenhaften Gestal­ten den Eindruck eines gezielt handelnden Wesens zu erwecken vermocht hatte, wollte Atlan doch nicht glauben, daß sie intelligent waren. Vielmehr hielt er es für wahrscheinli­cher, daß irgend jemand oder irgend etwas die wallenden Nebel als willkommene Werkzeuge benutzte. Ob im Guten oder im schlechten Sinn, das blieb dahingestellt.

Verfolgte man jedoch diesen Gedanken konsequent weiter, dann mußte man zu dem Schluß kommen, daß Jardiehanoor keines­wegs die unbewohnte Welt war, als die sie gemeinhin galt.

*

Im ersten Morgengrauen brachen Atlan und Verkonder auf. Beide hatten sie kaum noch Schlaf gefunden, obwohl der Rest der Nacht ohne weitere Zwischenfälle verlaufen war.

Nach kurzem Geschicklichkeitstraining im unteren Teil der Steilwand standen sie schließlich am Anfang einer endlos schei­nenden Ebene. Der Fels war naß und glit­

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schig vom vergangenen Regen, doch zu At­lans Verwunderung wirbelte der rote Staub noch genauso leicht auf wie am Vortag.

Der Boden, den sie betraten, war hart und ohne Bewuchs, bestand jedoch nicht aus Ge­stein sondern aus einer zähen lehmigen Mas­se, deren düstere Färbung offenbar von einer intensiven Verbindung mit den sich überall ablagernden Staubpartikeln herrührte.

Das Licht des anbrechenden Tages zau­berte geheimnisvoll wirkende Schatten, die die Ebene weithin wie eine trostlose, zer­furchte Kraterlandschaft wirken ließen. Daß dem nicht so war, bewies jeder Schritt aufs neue, den die beiden Männer taten. Nur leichte Unebenheiten waren zu spüren, die aber keinesfalls mit dem zu vereinbaren wa­ren, was das Auge zu sehen glaubte.

Atlan hatte die einmal gewählte Richtung beibehalten und sich nicht von dem Gesche­hen der Nacht beirren lassen. Auch Verkon­ders Proteste hatten ihn nicht umstimmen können. Falls wirklich eine geheimnisvolle Macht im Hintergrund Wert darauf legte, sie beide an ein bestimmtes Ziel zu dirigieren, so würde sie es sicher nicht bei dem einen erfolglos verlaufenen Versuch belassen.

Allerdings glaubte Atlan nicht daran, daß sich ihm irgendwo die Möglichkeit bieten konnte, den Fängen Chirmor Flogs zu ent­kommen. Und dieser Glaube war letztlich ausschlaggebend gewesen.

Zeit, vom einmal gewählten Weg abzu­weichen, war auch später noch. Die Rich­tung, die der nächtliche Spuk gewiesen und diejenige, die Atlan eingeschlagen hatte, la­gen nur um wenige Bogengrade auseinan­der.

Sie kamen zügig voran. Das hinter ihnen liegende Gebirge war bereits in den leuch­tenden Staubschwaden verschwunden, als Atlan erstmals die scheinbare Symmetrie der schmaler werdenden Schatten bemerkte.

Was er da vor sich sah, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als eine verwirrende Anzahl geometrisch exakter Muster. Jeder der kaum fingertiefen Rillen im Boden, je­der Schatten und jedes noch so kleine Stein­

chen – alles ergänzte sich in nahezu vollen­deter Weise zu einem harmonischen Gan­zen.

Eine optische Täuschung schied aus, nachdem Atlan sich mehrmals über die Au­gen gewischt hatte. Wer aber konnte dieses riesige Mosaik geschaffen haben, in dem je­de Linie wie eine Herausforderung an den Betrachter wirkte?

Wohl kaum war es nur eine Laune der Natur.

»Was hältst du davon?« wandte Atlan sich an seinen Begleiter und machte dabei mit der Rechten eine alles umfassende Be­wegung.

Verkonder schien ebenfalls beeindruckt. Wie lange mochten sie schon über dieses

ineinander verschlungene Konglomerat aus Kreisen und Dreiecken, aus Rechtecken, Quadraten und Pyramiden hinweggeschrit­ten sein, ohne es zu bemerken?

»Das Ganze bildet eine Einheit, so unge­heuer großflächig es auch sein mag«, stellte Verkonder nach einer Weile des Nachden­kens fest.

In der Tat glaubte auch Atlan, in all den Linien und Mustern ein Bild zu erkennen. Die grob skizzierte Wiedergabe einer mo­dernen Stadt.

Was er sah, konnten schlanke turmähnli­che Bauwerke sein, umkreist von weiten Spiralen. Dazwischen kühn geschwungene Straßen, Brücken und kugelförmige Paläste.

»Wer mag dies geschaffen haben? Und wie kommt es, daß nirgendwo Verwehungen zu erkennen sind? Allein der Gewitterregen der vergangenen Nacht müßte alles ver­wischt haben.«

Verkonders Fragen blieben unbeantwor­tet.

Atlan hingegen hätte viel dafür gegeben, zu wissen, wozu dieses Mosaik angelegt worden war. Zweifellos zeugte es von der Intelligenz seines Schöpfers und einem nicht zu verleugnenden Sinn für Schönheit und Ästhetik. Beides Werte, die in den Randge­bieten der Schwarzen Galaxis nur selten vor­kamen.

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Doch war das Bild wohl kaum geschaffen worden, um einsame Wanderer zu erfreuen. Dazu hatten Raumfahrer aller Rassen den Planeten Jardiehanoor zu lange gemieden.

Weshalb siehst du es dir nicht von einem anderen Standort aus an?

Atlan fand den Einwand seines Logiksek­tors zwar berechtigt aber kaum für ange­bracht, um die Frage nach dem unbekannten Künstler zu klären. Dennoch tat er, wie ihm geraten worden war, und schritt zügig aus.

Die Überraschung war perfekt, als er sich umwandte und dorthin zurückblickte, wo Verkonder noch immer stand.

Nichts war mehr von dem Bild einer fremden Stadt zu erkennen. Statt dessen sah Atlan unzählige parallel verlaufende Linien, die wie Pfeile in seine Richtung zeigten. Un­willkürlich fühlte er sich an Wegweiser erin­nert. Und der riesenhafte dunkle Fleck weit im Hintergrund, der wie eine Sperre wirkte, bestärkte ihn in dieser Annahme.

»Was ist?« rief Verkonder. »Kannst du et­was erkennen?«

»Von hier aus ist alles genauso«, gab At­lan schnell zurück. Seine Entdeckung wollte er lieber für sich behalten. Das Rätsel der seltsamen Bodenzeichnungen wurde da­durch zwar keineswegs geringer, doch hoffte Atlan, über kurz oder lang eine Antwort auf alle seine Fragen zu erhalten.

»Gehen wir weiter!« bestimmte er schließlich. »Wenn wir nur herumstehen, er­reichen wir unser Ziel nie.«

»Du hast recht, Atlan. Ich erwarte zu viel von meinem weiteren Leben, als daß ich es auf diesem Staubplaneten beschließen möchte.« Die Doppeldeutigkeit von Verkon­ders Aussage war offenbar.

Daß Atlan sich immer wieder umdrehte, während sie schweigend nebeneinander her­gingen, schien ihm nicht aufzufallen. Der Pthorer glaubte, etwas gehört zu haben, was anders war als das stete Knistern der vorbei­ziehenden Wolken.

Die Muster im Boden waren längst nicht mehr zu sehen, als er das Gefühl hatte, beob­achtet zu werden. Für wenige Augenblicke

Hubert Haensel

zeichnete sich ein Schatten inmitten des Staubes ab. Atlan glaubte, die Umrisse eines größeren Tieres erkennen zu können.

Doch verschwand die Erscheinung viel zu schnell. Genauso gut hätte es sein können, daß die Staubschleier erneut damit began­nen, alle möglichen Spukgestalten zu bilden.

*

Scuddamoren-Kommandant Wassleng hatte einen Fehler begangen. Um Atlan und Verkonder wiederzufinden, hatte er auf eige­ne Faust gehandelt und drei robotbemannte Beiboote ausgesandt, nachdem eine ortungs­technische Erfassung der Planetenoberfläche sich als äußerst langwierig, wenn nicht gar unmöglich erwiesen hatte.

Alle drei Boote wurden vermißt. Sie waren spurlos verschwunden. Die Verbindung zu ihnen war kurz nach

dem Eintauchmanöver in die Atmosphäre von Jardiehanoor abgerissen. Weder über Funk noch durch die auf Hochtouren laufen­den Ortungen der KYR, ließ sie sich wieder­herstellen. Das einzige, was man hatte fest­stellen können, waren vorübergehend ver­stärkte Turbulenzen gewesen. Doch sie in Zusammenhang mit dem Verschwinden dreier gut ausgerüsteter Beiboote zu bringen, wäre lächerlich gewesen. Durch ihre unun­terbrochenen Funksprüche hatte die Besat­zung des Organschiffs nur Darziners Auf­merksamkeit auf sich gezogen.

»Ich warne dich«, drohte er dem Kom­mandanten unter nochmaligem Hinweis auf seine Bevollmächtigung durch den Neffen. »Jede weitere Einmischung in die internen Belange von Jardiehanoor kann dich den Kopf kosten. Du hast nur deine Befehle aus­zuführen, Wassleng, und die besagen, daß du die Vermißten orten sollst.

Jardiehanoor ist für jeden gefährlich, der nicht über die nötige Ausrüstung verfügt. Also laß dir den Verlust deiner Schiffe eine Warnung sein.«

Auch der Schattenschild konnte nicht ver­bergen, daß Wassleng förmlich in sich zu­

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sammensank. Diejenigen Besatzungsmit­glieder, die das Pech hatten, sich ausgerech­net jetzt in der Zentrale aufzuhalten, beka­men seinen ganzen Zorn zu spüren.

4.

Lang und ermüdend war der Marsch ge­wesen, bis Atlan zum erstenmal das Gefühl hatte, der Staub vor ihnen würde lichter wer­den.

Sie mochten inzwischen an die zwanzig Kilometer zurückgelegt haben, ohne daß sich die Eintönigkeit der Landschaft in ir­gendeiner Weise verändert hatte. Längst la­gen die seltsamen Mosaikzeichnungen hinter ihnen. Zwar waren sie wiederholt auf Linien und Schattenrisse im Boden gestoßen, doch waren all diese Auffälligkeiten, auf deren Wahrnehmung man sich zuletzt bewußt kon­zentriert hatte, nichts weiter als verwischte Fragmente gewesen. Bruchstücke, die weder einen Sinn noch irgendwelche Regelmäßig­keiten hatten erkennen lassen.

Ein leichter Wind war aufgekommen, der eine angenehme Frische mit sich brachte. Aber auch Unmengen von Sand, der wie Feuer auf der Haut brannte und einen schier unerträglichen Juckreiz hervorrief.

Verkonder verlangsamte sein Tempo schließlich so weit, daß Atlan wiederholt auf ihn warten mußte.

»Sie rufen wieder!« stellte der Havare fest und blieb endgültig stehen. »Hörst du? Sie suchen …«

Atlan lauschte. Doch da war nichts außer dem leisen Säu­

seln des Windes und dem Knistern des Stau­bes, an das er sich schon so sehr gewöhnt hatte, daß er es nicht mehr bewußt wahr­nahm.

Nur tief in seinem Innern spürte er eine aufkommende Unruhe.

»Verkonder, was weißt du?« fragte er. »Nichts. Ich …« Mitten im Satz brach der Havare ab. Ent­

setzt starrte er an Atlan vorbei ins Leere. Aus dem Gefühl der Unruhe wurde die

Gewißheit drohender Gefahr. Atlan wirbelte herum. Was er sah, übertraf seine schlimm­sten Befürchtungen.

Ein Riese von einem Mann stand hinter ihm. Ein bärtiges, muskulöses Ungeheuer, mehr als drei Meter groß und von einem dü­steren roten Leuchten umspielt.

Spuk! dachte Atlan. In Gedanken sah er wieder den Drachen vor sich, gegen den er gekämpft hatte.

Der Riese riß seine Arme in die Höhe. Er schwang eine Keule, die kaum kleiner war als ein mittlerer Baumstamm.

Scheingefechte, tat Atlan den bevorste­henden Angriff ab und wollte sich wieder abwenden.

Doch das bösartige Fauchen, mit dem die mächtige Waffe auf ihn herabsauste, belehr­te ihn eines Besseren.

Sich ducken, springen und abrollen, war eins. Im Bruchteil von Sekunden kam Atlan wieder auf die Füße, jedoch außer Reichwei­te des Angreifers. Dort wo er eben noch ge­standen hatte, wirbelten Sand, Staub und Steine auf.

Weniger die Tatsache, daß eine von we­henden Nebelschleiern geformte Waffe den Boden aufriß, als vielmehr die völlige Laut­losigkeit, mit der dies geschah, wirkte be­ängstigend. Atlan ließ den so unverhofft auf­getauchten Gegner nicht mehr aus den Au­gen. Während dieser erneut zum Schlag aus­holte, wechselte er abermals seinen Stand­ort. Ein einziger Satz brachte ihn in den Rücken des schwerfällig wirkenden Riesen. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte At­lan, daß Verkonder wieder die Hände um seine Schläfen verkrampft hatte. Teilnahms­los, als würde ihn alles überhaupt nichts an­gehen, starrte der Havare vor sich hin. War der Riese wirklich oder doch nur ein Schein­gebilde? Atlan zögerte nicht mehr, das fest­zustellen. Entschlossen sprang er vor, die Arme zum Dagorschlag über den Kopf erho­ben. Er rannte ins Leere. Von einer Sekunde zur anderen war nichts als Staub um ihn her­um, der sich schnell verflüchtigte.

Fast zur gleichen Zeit schreckte Verkon­

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der auf. »Was war …?« Noch während er die Frage aussprach,

schien er sich zu besinnen. Atlan glaubte, et­was wie Verwunderung in seinen Zügen zu erkennen.

»Jemand hat uns gewarnt, Atlan. Ich konnte es deutlich verstehen.«

Was Verkonder vernommen hatte, mußte ihm auf telepathischem Weg mitgeteilt wor­den sein. Aber Atlan hatte nichts derglei­chen bemerkt.

Konnte es sein, daß nur der Havare ge­meint gewesen war?

»Woher stammte die Warnung?« wollte Atlan wissen.

Verkonder machte eine Geste, in etwa ei­nem menschlichen Schulterzucken ver­gleichbar.

»Von überall und nirgends – ich weiß es nicht. Vielleicht kam sie auch aus unserer unmittelbaren Umgebung.«

Mehr war nicht zu erfahren. Atlan mußte einsehen, daß es sinnlos war, Verkonder weiterhin mit Fragen zu belästigen, die die­ser doch nicht beantworten konnte.

Auf Jardiehanoor schien es keine festen Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit zu geben. Zumindest die Keule des Riesen hatte den Anschein erweckt, echt gewesen zu sein. Und doch hatte sie sich, genau wie alles andere auch, plötzlich aufgelöst.

Atlan erkannte, daß er und Verkonder bis­her viel zu oberflächlich gewesen waren. Wie leicht konnten sie eine wirkliche Gefahr übersehen, indem sie diese nur als Illusion einschätzten. – War es gar das, worauf alles letztlich hinauslief?

»Es wird heller.« Verkonders Bemerkung brachte Atlan zu

den Problemen der unmittelbaren Gegenwart zurück. Tatsächlich schienen die allgegen­wärtigen Staubwolken lichter zu werden.

Der Augenblick kam, in dem zum ersten­mal die Sonne am Firmament sichtbar wur­de. Blendend lag ihr Schein über dem Land und machte es den an das rötlich trübe Däm­merlicht gewöhnten Augen schwer, Einzel-

Hubert Haensel

heiten zu erkennen. Die Ebene hatte sich verändert. Wenn auch zunächst nur spärlich gesät, so

wurde schon bald zartes, saftiges Grün zur bestimmenden Komponente. Es waren Moo­se, die sich auf dem kargen Boden festge­setzt hatten. Dazwischen Dutzende verschie­denartigster Blumen, die, von bunt schillern-den Insekten umschwärmt, ihre Blüten der Sonne entgegenstreckten.

Nach all dem Düsteren, das sie auf ihrem Weg begleitet hatte, war dies eine Wohltat. Atlan kam gar nicht auf den Gedanken, daß alles sich als Täuschung erweisen könne. Mit leichter Hand strich er über einige Blu­men hin. Sie waren echt.

Verkonder, wohl ohne einen Sinn für die Schönheiten der Natur geboren, stapfte acht­los darüber hinweg. Er hätte kein Kind der Schwarzen Galaxis sein dürfen.

Irgendwo plätscherte leise ein Bach. Mächtige, weit ausladende Bäume säumten seine Ufer, um wuchert von dichtem Unter­holz, das es schwer machte, bis ans Wasser vorzudringen.

Atlan bahnte sich seinen Weg zwischen Dornen und Gestrüpp hindurch, gefolgt von Verkonder, der sich dabei mehr als nur ein­mal die Hände aufriß.

Die Uferböschung war lehmig und sanft abfallend, das Wasser dennoch kristallklar. Flinke Schatten huschten dicht unter der Oberfläche davon, als die beiden Männer sich näherten.

Erst jetzt wurde ihnen der quälende Durst, der ihre Zungen am Gaumen kleben ließ, richtig bewußt. Zwar hatten sie während der vergangenen Nacht Regenwasser auffangen können, doch die Schwüle des Tages und der lange Marsch hatten ihre Körper von neuem ausgelaugt. Das Wasser schien reich an Mineralien zu sein; es schmeckte erfri­schend und belebend zugleich. Nachdem sie getrunken und sich den hartnäckig haftenden Staub abgewaschen hatten, zogen sie sich in den Schatten eines der großen Bäume zu­rück. Der Hunger machte sich nun unange­nehm bemerkbar. Doch es gab weder Früch­

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te, noch war es ihnen gelungen, einen der Fi­sche zu fangen. Diese hatten sich als zu flink erwiesen. Was Atlan auffiel, war, daß es so­wohl in der Nähe des Baches als auch in den am dichtesten bewachsenen Zonen keine Ablagerungen von Staub gab.

»Ob es früher überall auf Jardiehanoor so ausgesehen hat?«

»Möglich«, meinte Verkonder nur. »Aber das interessiert mich jetzt nicht. Ein kräfti­ger Bissen wäre mir lieber.« Dabei mahlte er laut und vernehmlich mit den beiden Silber­backen, die bei ihm, wie bei jedem Havaren, die Funktion von Zähnen ausübten.

»Vielleicht finden wir etwas Eßbares, wenn wir den Bach entlang gehen«, schlug Atlan vor. »Schaden kann es auf keinen Fall.«

»Meinetwegen«, sagte Verkonder. »Aber wenn wir uns auf die Suche ma­

chen, dann gleich, bevor ich mich an das Herumsitzen gewöhnt habe.«

Sie scheuchten Insekten auf und bunte Falter, aber nichts, was dazu angetan gewe­sen wäre, ihren Appetit zu stillen. Immer häufiger schielten sie zum Wasser hin, ob sich nicht doch ein Fisch zu weit daraus her­vorwagte.

»Wir brauchen einen langen und spitzen Ast«, seufzte Atlan schließlich. »Möglichst gerade sollte er auch sein. Vielleicht würden wir dann mehr Erfolg haben.«

Der Wunsch war zwar vorhanden, doch die Mittel zu seiner Realisierung waren spär­lich.

»Das dort sieht aus wie ein verdorrter Busch.« Verkonder deutete auf einen dunklen Fleck inmitten des ansonsten üppi­gen Grüns. »Unter Umständen läßt sich da­mit etwas anfangen.«

Atlan nickte nur. An der bezeichneten Stelle ragten tatsäch­

lich lange dürre Äste büschelförmig in den Himmel. Schon in der Form seines Wuchses unterschied sich dieses Gestrüpp von den anderen Pflanzen in der Umgebung.

Allein das hätte Atlan zur Warnung gerei­chen sollen. Doch er achtete nicht darauf.

Der Ast, den er sich als Speer für den Fischfang ausgewählt hatte, erwies sich trotz seiner vermeintlichen Dürre als überaus wi­derstandsfähig. Selbst mit einiger Anstren­gung vermochte Atlan ihn nur zu biegen, keineswegs aber abzubrechen.

Noch einmal zerrte er mit aller Kraft. Der ganze Busch schien sich zu schütteln.

Mit leisem Klappern fiel irgend etwas zu Boden.

Atlan bückte sich, um die Ursache des plötzlichen Geräusches herauszufinden.

Dort, wo der Busch im Boden wurzelte, befand sich als Stamm eine knollenartige Verdickung. Sie war aufgeplatzt und hatte ihren Inhalt freigegeben.

Was nun weiß und seltsam ausgebleicht vor Atlan lag, waren nichts anderes als Kno­chen. Verkonder zuckte bei ihrem Anblick erschrocken zurück und musterte den ver­meintlichen Busch mit sichtbarem Unbeha­gen.

Atlan fühlte sich an sein Erlebnis in der Steilwand erinnert, als er von einer Pflanze angegriffen worden war. Doch im Gegensatz zu jener gab es hier keine Blätter. Nicht ein­mal Knospen waren erkennbar.

Bedeutete dies, daß der Busch abgestor­ben war?

»Vielleicht verhungert«, grinste der Ptho­rer.

In der Tat schienen die Knochen sich seit längerem im Verdauungstrakt der fleisch­fressenden Pflanze befunden zu haben. Sie waren spröd und brüchig und zerbröselten, als Atlan sie berührte. Aus den kargen Über­resten auf das Aussehen des Tieres zu schließen, das hier sein Ende gefunden hatte, was so gut wie unmöglich.

Die zufällige Entdeckung signalisierte Gefahr. Allzu leicht konnte sich jeder Baum, jeder Strauch als mordgieriges Ungeheuer erweisen.

»Sieh dich vor!« warnte Atlan seinen Be­gleiter, doch hätte es dieses Hinweises nicht bedurft.

»Hier sind Spuren«, erwiderte Verkonder. Im weichen Boden der Uferböschung zeich­

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neten sich mehrere tiefe Abdrücke ab. »Die sind frisch«, stellte Atlan nach kurz­

er Prüfung fest. »Kaum älter als einen Tag. – Sieh, hier hat sich Wasser angesammelt. Es wird wohl von dem Gewitterregen stam­men.«

Mit den Fingern fuhr er die hufförmigen Vertiefungen nach. Die Abdrücke lagen nicht allzu weit auseinander. Sie führten bis an den unmittelbaren Rand des Baches – dort wirkte der Boden auf einer größeren Fläche wie festgestampft – und weiter am Wasser entlang flußabwärts.

»Das Tier hat die Pflanze, die ihm gefähr­lich werden könnte, geschickt umgangen«, überlegte Verkonder. »Wir sollten ihm fol­gen.«

»Ein Versuch kann nicht schaden«, nickte Atlan.

Die flüchtigen Schatten, auf die er schon mehrfach aufmerksam geworden war, und das gelegentliche wie aus weiter Ferne kom­mende Schnauben – bestand zwischen bei­dem und den Spuren hier ein Zusammen­hang? Atlan hielt es keineswegs für ausge­schlossen.

»Hörst du das auch?« Verkonder war ste­hengeblieben und lauschte angestrengt.

Das laue Lüftchen, das noch immer weh­te, brachte unbestimmbare Geräusche und einen merkwürdig strengen Geruch mit sich. Beides kam aus jener Richtung, in die die Spuren führten.

Nach einer Weile hörten sie es deutlicher. Es klang wie das wütende Schnauben eines kämpfenden Tieres.

Der Geruch war intensiver geworden und erinnerte an die Dämpfe einer schwachen Säure.

Beides zusammen ließ vermuten, daß ir­gendwo im unüberschaubaren Dickicht ein Kampf auf Leben und Tod stattfand.

»Es interessiert mich, was dort vorne ge­schieht«, sagte Atlan und ließ Verkonder einfach stehen. Der Havare mußte laufen, um nicht den Anschluß zu verlieren.

Atlan folgte den Hufspuren im feuchten Boden. Sie führten wieder vom Bach weg,

Hubert Haensel

das Ufer schräg aufwärts und verschwanden schließlich im Unterholz, das an dieser Stel­le nicht so dicht und dornig war wie anders­wo. Fast war es ein kleiner Pfad, der zwi­schen den einzelnen verfilzten Büschen hin­durch führte. Die Abdrücke verloren sich dann aber auf dem härter werdenden Unter­grund.

Noch während Atlan sich umschaute, wurde es still. Als hielte die Natur den Atem an.

Aus, dachte er. Du kommst zu spät. Aber schon im nächsten Moment zerriß

ein schrilles, in höchster Todesnot ausgesto­ßenes Wiehern die Luft. Nur unweit von At­lan entfernt wirbelten Laub und Erde auf. Abgerissene Äste wurden emporgeschleu­dert und klatschten unmittelbar vor ihm wie­der ins Dickicht zurück.

Jetzt gab es kein Halten mehr. Atlan stürmte vorwärts, gefolgt von Verkonder, der alle möglichen Flüche und Verwün­schungen in seiner Muttersprache ausstieß. Atlan konnte zwar kein Wort davon verste­hen, die Klangfarbe jedoch war eindeutig. Verkonder schien ihn in die hinterste Ecke der Hölle zu wünschen.

Eine kleine Lichtung tat sich vor ihnen auf. Wie angewurzelt blieb Atlan stehen. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht da­mit, ausgerechnet auf Jardiehanoor auf eine Fleisch gewordene terranische Sagengestalt zu stoßen.

Aus brennenden Augen verfolgte er das Geschehen, das sich kaum mehr als fünf Meter von ihm entfernt abspielte. Der Aus­gang des ungleichen Kampfes, egal wie lan­ge er noch dauern mochte, stand von vorn­herein fest. Da half es auch nicht, daß das Tier sich wie irrsinnig gebärdete, mit seinen Läufen um sich schlug und gleichzeitig mit aller Macht versuchte, das Horn, das es auf der Stirn trug, zum Schaden seines Gegners einzusetzen.

Zu nahe hatte es sich an die Fänge der fleischfressenden Pflanze herangewagt, und es würde seine Unvorsichtigkeit mit dem Leben büßen. Unnachgiebig war die Um­

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klammerung der biegsamen Äste. Aus un­zähligen Blättern versprühte eine dunkle Flüssigkeit. Überall dort, wo sie sich auf dem Boden ausbreitete, stiegen kaum sicht­bare Nebelschleier auf. Der ätzende Ge­stank, der von ihnen ausging, wurde schier unerträglich.

Doch Atlan schien das nicht zu stören. Unbewegt stand er am Rand der Lichtung und hatte nur Augen für das Tier, das immer wieder geschickt der Säure auswich. Sicher, es war fremdartig, doch wirkte es gleichzei­tig unendlich vertraut. Sein eleganter, sehni­ger Körper war der eines rassigen Zuchtpfer­des, dabei war es kaum größer als ein Pony. Dunkel, beinahe schwarz, glänzte sein Fell. Das fast einen halben Meter lange, künstle­risch gedreht wirkende Horn mitten auf der Stirn des Tieres funkelte im Schein der hochstehenden Sonne wie poliertes Elfen­bein. Ein Einhorn! Es hatte die beiden Män­ner bemerkt, die zu ihm herüberstarrten. Oh­ne auch nur einen Augenblick lang in seinen Bewegungen innezuhalten, gab es den Blick aus großen, sanftmütig wirkenden Augen zurück.

Atlan war seltsam berührt. Wo hatte er zuletzt eines dieser eleganten,

sagenumwobenen Geschöpfe gesehen? Er erinnerte sich. Es war auf Pthor gewesen, in der Großen

Barriere von Oth. Die Kunstmagierin Mal­venia hatte im Eistal in einer dreißig Meter hohen Statue eines Einhorns gelebt. Aber Malvenia würde ihm nichts mehr darüber sa­gen können. Nach jener bedeutungsvollen Auseinandersetzung der Magier am Skatha-Hir war sie, um dem Weltenmagier zu hel­fen, zusammen mit Jarsynthia und deren An­hängern in die Verbannung gegangen.

Sollte von Jardiehanoor aus die Einhorn­legende zur Erde und wer weiß wie vielen anderen, namenlosen Planeten gebracht wor­den sein? Bekanntlich hatten alle Dinge auf Pthor/Atlantis ihren Ursprung in der Schwarzen Galaxis. Und das Weltenfrag­ment wiederum hatte auf seinen Reisen durch Raum und Zeit unzählige Welten be­

rührt und die Keime für spätere Sagen und Legenden hinterlassen.

Unwillkürlich mußte Atlan an Odin den­ken, den machtvollen Kämpfer, an Fenrir und an Mjöllnir und dessen Hammer des To­des. Was war aus Pthor geworden? Gab es den Dimensionsfahrstuhl überhaupt noch, oder hatten die dunklen Mächte im Hinter­grund bereits Rache geübt für die einschnei­denden Veränderungen, die letztlich auf sein Konto gingen?

Atlan schüttelte die Schwermut von sich ab, die ihn ob solcher Gedanken befallen wollte. Jetzt war weder der richtige Ort noch die Zeit für solcherlei Betrachtungen. Ein Lebewesen rang mit einem qualvollen Tod. Er allein konnte es retten.

»Nicht, Atlan!« schrie Verkonder auf, als der Pthorer sich anschickte, die Lichtung zu überqueren.

»Was hast du dagegen?« Atlan ließ sich nicht aufhalten.

»Du begibst dich unnötig in Gefahr. Soll das Tier doch sterben.«

Große dunkle Augen waren auf Atlan ge­richtet, als er sich vorsichtig dem Busch nä­herte. Die Pflanze schien seine Anwesenheit sofort zu spüren. Äste und Blätter zuckten herum und wandten sich dem vermeintli­chen neuen Opfer zu.

Verkonder fluchte unbeherrscht. »Dein Zellaktivator ist viel zu wichtig!« brüllte er aus Leibeskräften. »Ich befehle dir, sofort aufzuhören!«

Nichts anderes hatte Atlan erwartet. Er quittierte das Geschrei mit einem Lachen. Wenn sie längere Zeit zusammenbleiben mußten, würde er dem Havaren vielleicht noch zeigen können, was Menschlichkeit war. Die Saat des Guten war auf Pthor auf­gegangen, weshalb sollte ähnliches nicht auch in den Randbezirken der Schwarzen Galaxis möglich sein.

Atlan sah nicht, daß Verkonders Rechte impulsiv zur Hüfte zuckte. Aber dort befand sich keine Waffe, die ihn hätte aufhalten können.

Seine ganze Aufmerksamkeit wurde be­

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reits von der fleischfressenden Pflanze bean­sprucht. Äste peitschten auf ihn herab und glitten von den Segmenten seines Anzugs ab. Ein Schwall ätzender Flüssigkeit schlug ihm entgegen – da er den Helm geschlossen hatte, konnte sie ihm nichts anhaben.

Atlan packte zu. Aber es war nicht viel, was er auszurichten vermochte. Nur einige Blätter fielen abgerissen zu Boden.

Dennoch schien die Pflanze ihn instinktiv als die gefährlichere Beute einzustufen. Während das Einhorn ein wenig seiner ver­lorengegangenen Bewegungsfreiheit zurück­erlangte, wurde Atlan von einem wahren Geflecht aus Ästen und Tastfäden eingefan­gen. Im nächsten Augenblick verlor er den Boden unter den Füßen und stürzte unmittel­bar vor die um mehr als das Dreifache ange­schwollene Wurzelknolle. Offenbar produ­zierte die Pflanzen bereits Unmengen von Verdauungssekret. Sie würde sich den Ma­gen verderben. Doch soweit sollte es nicht kommen. Als zwei der Äste sich eng um At­lans Hüfte legten und dabei die beiden Stummel berührten, die an dieser Stelle des Goldenen Vlieses saßen, gab es so etwas wie einen Überschlagsblitz. Selbst für Atlan ging alles viel zu schnell, als daß er dem Gesche­hen hätte folgen können. Er fühlte nur, daß sich der unbarmherzige Griff der Pflanze plötzlich lockerte. Was ihn noch behinderte, fiel von ihm ab und machte gleichzeitig eine erschreckende Veränderung durch. In Se­kundenschnelle verwelkten die Blätter, ver­loren die Äste ihre Biegsamkeit, wurden starr und reckten sich anklagend gen Him­mel.

Das Einhorn hatte sich endgültig losgeris­sen. Es stand jetzt nur wenige Schritte von Atlan entfernt, scharrte ungeduldig mit dem rechten Vorderhuf und schnaubte verhalten durch die Nüstern.

Es war ein prachtvolles Tier, wenn auch sein glänzendes Fell durch den vorangegan­genen Kampf an vielen Stellen gelitten hatte und matt und unansehnlich geworden war. Als Atlan vorsichtig auf es zuging, hob es nur leicht den Kopf, verhielt sich ansonsten

Hubert Haensel

aber ruhig. »Brav«, murmelte Atlan leise. »Ich tue dir

nichts. Aber du bist genau das, was ich ge­sucht habe.«

Das Einhorn ließ ihn gewähren, als er ihm sanft den Hals tätschelte. Es stieß sogar ein freudiges Wiehern aus und drängte sich an ihn.

Atlan glaubte, nicht richtig gehört zu ha­ben.

Von irgendwoher war eine Antwort ge­kommen.

Gleich darauf brach ein zweites Einhorn aus dem Unterholz hervor. Es verhielt kurz, schien prüfend Witterung aufzunehmen und kam dann langsam näher.

Sein Fell war nicht ganz so dunkel wie das des ersten Tieres, aber auch jede seiner Bewegungen verriet Ausdauer und Ge­schmeidigkeit. Die Hufe schienen den Bo­den kaum zu berühren, als es herangetrabt kam.

Soviel Zutraulichkeit hatte Atlan nicht er­wartet. Einhörner wurden in den Mythen meist anders geschildert.

Er winkte Verkonder zu sich. »Komm endlich! Wenn sie uns aufsitzen

lassen, sind wir um eine Sorge ärmer und kommen gleichzeitig schneller voran.«

Indes schien der Havare eine gewisse Scheu vor den Tieren zu entwickeln. Vor al­lem ihre mächtigen Hörner musterte er im­mer wieder mit deutlichem Unbehagen.

Aber da Atlan sich ohne Zögern auf den Rücken des größeren Tieres schwang, blieb ihm keine Wahl. Er mußte damit rechnen, zurückgelassen zu werden. Und das wäre für ihn weitaus schlimmer gewesen als alles an­dere.

Allerdings bedurfte es mehrerer Versu­che, bis er endlich mehr recht als schlecht auf seinem Einhorn saß. Krampfhaft klam­merte er sich fest. Mit einer Hand im Fell, mit der anderen am Ansatz des Hornes.

»Na also.« Atlan mußte sich ein Lachen verbeißen. »Es geht doch ganz gut.« Die ha­gere Gestalt Verkonders in leicht vornüber­gebeugter Haltung, mit einer alten Rüstung

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angetan und einer langen Lanze versehen, und der Don Quichotte von Jardiehanoor wäre fertig gewesen.

Verkonder schien nie zuvor geritten zu sein. Dennoch hielt er sich tapfer, wenn auch sein Gesichtsausdruck Bände sprach.

Auf ihren Reittieren, die jedem noch so leichten Schenkeldruck willig gehorchten, durchquerten sie den Bach und schlugen dann ihre ursprüngliche Marschrichtung wieder ein. Nun ging es flott voran.

Schnell ließen sie die bewachsene Umge­bung des Wasserlaufs hinter sich zurück. Die Sonne verschwand wieder hinter düster glimmenden Staubschleiern, die einen Hauch von Unwirklichkeit über der Land­schaft ausbreiteten.

Es klang seltsam, aber der feine rötliche Staub schien die Nähe der Pflanzen zu mei­den.

Doch Atlan hatte ganz andere Sorgen, als daß er Zeit gefunden hätte, darüber nachzu­denken. Die Gefahr, sich im Kreis zu bewe­gen, war groß. Denn aus einer langgestreck­ten Hügelkette, die sich vor wenigen Minu­ten erst am Horizont abgezeichnet hatte, war eine schier endlose Reihe meterhoher Sand­dünen geworden. Sie zu umgehen, war so gut wie unmöglich.

*

Chirmor Flogs Delegation, die den frühe­ren Stützpunkt des Neffen auf Jardiehanoor neu belegt hatte, hatte Suchtrupps gebildet. Mit gut einem Dutzend Gleiter, ausgerüstet mit Projektoren neuester Entwicklung, wa­ren Scuddamoren unterwegs. Die Energie­wirbel der Atmosphäre konnten ihnen nichts anhaben.

Es wäre ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen gewesen, hätte man nicht we­nigstens ungefähr sagen können, wo das Beiboot mit Atlan und Verkonder an Bord abgestürzt sein mußte. Dennoch blieb ein Gebiet von mehreren tausend Quadratkilo­metern, das abzusuchen war. Unter den ge­gebenen Umständen auch bei Einsatz mod­

ernster technischer Hilfsmittel ein Spiel mit dem Zufall.

Chirmor Flog wollte Gewißheit haben. Auch wenn Verkonder und dieser Atlan den Tod gefunden hatten, der Zellaktivator wür­de sich vielleicht noch retten lassen.

Seit Stunden kreisten die Gleiter nun schon in immer enger werdenden Spiralen. Zwar vermochten die Scuddamoren sich mit Hilfe ihrer eigens für die Verhältnisse auf Jardiehanoor entwickelten Projektoren unge­fährdet in der Luft zu halten, die schlechten Sichtverhältnisse konnten sie damit aber nicht beeinflussen. Ebenso wie die Arbeit der Ortungsanlagen.

Unter Umständen konnten Tage vergehen, bis ein Erfolg zu verzeichnen war.

Chirmor Flog tobte. Wenn nicht bald Ein­schneidendes geschah, würden Köpfe rollen. Es war ein unverzeihlicher Fehler gewesen, Atlan und Verkonder in einem ungeschütz­ten Beiboot der KYR auf den Staubplaneten zu holen.

Der Scuddamore Darziner wußte, wie sehr seine Position gefährdet war. Entspre­chend intensiv fielen seine Bemühungen aus. Ruhepausen gab es nicht.

Dennoch kam die Meldung überraschend. Ein Unterführer namens Delmheff gab an, Wrackteile geortet zu haben. Sie sollten sich in einem Gebirgszug im Nordwesten der Station befinden, etwa zweieinhalbtausend Kilometer von dieser entfernt.

Darziner hatte die Meldung noch nicht zu Ende gehört, als er auch schon mit höchst­möglicher Beschleunigung Kurs auf den be­zeichneten Treffpunkt nehmen ließ. Der Gleiter schoß förmlich durch die leuchten-den Staubschleier hindurch.

Eine knappe halbe Stunde später schälten sich die Umrisse einer Bergkette aus dem rötlichen Dunst heraus. Der Pilot folgte der Funkortung und landete schließlich in den äußersten Ausläufern des Gebirges.

Delmheff wartete bereits auf die Neuan­kömmlinge.

»Meine Leute untersuchen das Wrack«, erklärte er. »Viel ist nicht übrig geblieben.

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Aber es sieht ganz so aus, als wären dieser Atlan und der Spezialkurier spurlos ver­schwunden.«

»Das könnte bedeuten, daß sie den Ab­sturz überlebt haben …«

»Wir werden es hoffentlich bald erfah­ren.«

»Wurde die Ursache des Unglücks schon ermittelt?«

»Noch nicht«, sagte Delmheff. »Die Nachforschungen sind mit einigen Schwie­rigkeiten verbunden, da das Plateau von Trümmern übersät ist.«

»Ich nehme an, der Verlust geht auf das Konto der Kerneeten.« Darziners Schatten­schild schien aufzuflammen, als er fortfuhr: »Chirmor Flog hätte schon längst den Befehl zur Vernichtung dieses Planeten geben sol­len.«

»Du kennst seine Gründe, es nicht zu tun«, erwiderte Delmheff. »Aber laß uns keine Zeit verlieren. Meine Leute werden ih­re Arbeit bald beendet haben.«

Der Anblick des ausgebrannten, völlig zertrümmerten Beiboots war keineswegs da­zu angetan, Hoffnungen in Darziner zu wecken. Der Aufprall auf die Felsen mußte mit solcher Wucht erfolgt sein, daß keiner der beiden Passagiere bei Bewußtsein ge­blieben sein konnte. Den Flammen waren sie dann wohl nicht mehr entkommen. Ein Scuddamore aus Delmheffs Gruppe machte Meldung:

»Wir konnten nur die Überreste des Ro­boters finden. Von zwei eventuell verkohl­ten Leichen war keine Spur. Allerdings muß einer der beiden beim Absturz hinausge­schleudert worden sein. Wir fanden einen der Sitze und einen unbrauchbar geworde­nen Raumanzug in einiger Entfernung vom Wrack.

Der andere scheint sich entweder aus ei­gener Kraft gerettet zu haben oder er wurde von außen her befreit. Mit einiger Sicherheit können wir auf letzteres schließen.«

»Wo sind die beiden jetzt?« »Wir wissen es nicht. Der Staub hat alle

möglichen Anhaltspunkte verweht.«

Hubert Haensel

Noch ehe Darziner darauf irgend etwas erwidern konnte, erfolgte der Angriff. Es ging alles so schnell, daß kaum einer der überraschten Scuddamoren Zeit fand, seine Waffe zu ziehen.

Dutzende humanoider Gestalten brachen ringsum aus den Staubschleiern hervor. Nur die weißen Gewänder, die sie trugen, hatten sie vorzeitig verraten, sonst wäre die Über­raschung perfekt gewesen.

Mit allem, was irgendwie als Waffe zu gebrauchen war, stürmten sie auf die Scud­damoren ein. Steine flogen durch die Luft, Knüppel und Keulen wurden drohend ge­schwungen, und auch eine Energiewaffe trat fauchend in Aktion.

Einer von Delmheffs Untergebenen stieß einen gellenden Schrei aus, riß die Arme in die Höhe und sackte dann haltlos in sich zu­sammen. Die düstere Aura, die ihn umgeben hatte, erlosch schlagartig.

Jetzt feuerte auch Darziner. Aber für je-den Angreifer, den er beseitigte, schienen wie aus dem Nichts hervorgezaubert zwei neue auf ihn einzudringen.

Plötzlich blitzte es rings um die Kämpfen­den auf. Es war, als würde jedes einzelne Staubmolekül in einer kleinen Explosion verglühen.

So überraschend der Angriff erfolgt war, so schnell wurde er dann auch abgeschlagen.

Einer der Scuddamoren, die bei den Glei­tern zurückgeblieben waren, mußte die Si­tuation erfaßt und die Projektoren ausgelöst haben. Darziner war überzeugt davon, daß sie andernfalls einen schweren Stand gegen die Angreifer gehabt hätten. Man würde künftig vorsichtiger sein müssen.

5.

Seit mehr als einer Stunde ritten Atlan und Verkonder nun schon durch eine Wüste, die nicht nur aus Sand, sondern überwiegend aus feinem rötlichen Staub bestand. Inzwi­schen hatten sie fast völlig die Orientierung verloren. Wohin man auch blickte, dem Au­ge zeigte sich nur eine trostlose, eintönige

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Dünenlandschaft. Atlan hatte einsehen müssen, daß es wohl

besser gewesen wäre, dieses Gebiet zu um­gehen. Doch für Selbstvorwürfe war es zu spät. Es genügte auch, daß Verkonder hin und wieder die gräßlichsten Flüche von sich gab.

Es war unangenehm warm, beinahe schwül. Obwohl sie sich kaum bewegten, schwitzten die beiden Männer. Und Schweiß, Sand und Staub erzeugten zusam­men einen unangenehmen, lästigen Juckreiz.

Die beiden Einhörner waren in einen leichten, wiegenden Trab verfallen. Atlan bewunderte die Tiere ob ihrer Kraft und Ausdauer. Bis jetzt zeigten sie kaum Ermü­dungserscheinungen.

»Ich glaube, es zieht ein Sturm herauf«, unterbrach Verkonder eine seiner Schimpfti­raden. Immer noch suchte er regelmäßig den Himmel ab, ob sich nicht irgendwo ein Or­ganschiff oder doch wenigstens ein Gleiter der Scuddamoren zeigte. Im Augenblick aber türmten sich nur dunkle Wolken im Ze­nit, die unübersehbar ein Unwetter ankün­digten.

Atlan wandte sich kurz um. »Da braut sich einiges zusammen«, bestä­

tigte er. »Ausweichen können wir nicht. Wir müssen also abwarten, was auf uns zu­kommt.«

Schon kurze Zeit später frischte der Wind auf. Er peitschte Sand und Staub vor sich her und ließ die Sicht schlagartig bis auf we­nige Meter absinken.

Innerhalb von Minuten brach ein Sturm los, der es unmöglich machte, sich noch nor­mal miteinander zu verständigen. Die Ein­hörner wurden merklich nervös. Sie began­nen, unruhig hin und her zu tänzeln und rea­gierten kaum noch auf einen fordernden Schenkeldruck. Atlan sprang in dem Augen­blick ab, als sein Reittier zu bocken begann. Nur mit Mühe konnte er es beruhigen und dazu bringen, daß es sich auf der windabge­wandten Seite einer der größeren Dünen hin­legte. Atlan bedeutete Verkonder, der fast auf Tuchfühlung hinter ihm geritten war, es

ihm gleichzutun. Der Havare verstand. Er stieg ebenfalls ab und zwang sein Einhorn zu Boden.

Kleidungsstücke vor ihre Gesichter ge­preßt und über die Nüstern ihrer Tiere ge­deckt, lagen sie dann nebeneinander im Sand und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Die Einhörner verhielten sich jetzt ruhig. Instinktiv schienen sie zu spüren, daß sie in dieser Lage sicherer waren als irgend-wo sonst in der Wüste.

Der Sturm hatte seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht, als Atlan es aufgab, die Minuten zählen zu wollen. Es wurde eine kleine Ewigkeit.

»Sie rufen wieder!« Verkonder mußte schreien, um sich ver­

ständlich zu machen. Jedoch blieben sie diesmal von skurrilen Spukgestalten ver­schont.

Irgendwann wurde das Toben des Stur­mes leiser. Als dann endlich die schwarzen Wolken aufrissen und dem gewohnten Schimmer des dahintreibenden Staubes Platz machten, lagen Atlan, Verkonder und die beiden Tiere unter einer hohen Schicht ange­häuften Sandes begraben. Es dauerte aber nicht lange, bis sie sich daraus befreit hatten und ihren Weg fortsetzen konnten.

»Es hätte schlimmer kommen können«, meinte Atlan nur und erntete dafür einen verständnislosen Blick des Havaren.

Auf dem Kamm der nächsten Sanddüne angekommen, stieß Verkonder einen über­raschten Schrei aus.

Vor ihnen, eingebettet in der endlosen Wüste, lag wie ein kleines funkelndes Juwel eine Oase. Ein See, Bäume und viel Grün darum herum, luden förmlich zur Erholung ein.

Verkonder trieb sein Tier zu einer schnel­leren Gangart an. Inzwischen hatte er sich an die ihm ungewohnte Art der Fortbewegung gewöhnt und saß aufrecht und keineswegs mehr verkrampft auf dem Rücken des Ein­horns.

Doch seine Erwartung, die Oase innerhalb weniger Minuten erreichen zu können, er­

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füllte sich nicht. Die flirrende Luft machte ein Abschätzen von Entfernungen unmög­lich. Je schneller Verkonder darauf zu ritt, desto mehr hatte er das unbestimmte Gefühl, sein Ziel würde sich vor ihm zurückziehen.

Endlich hielt er inne. »Verdammt!« war alles, was er zu sagen

hatte. Etwas außer Atem wartete er, bis At­lan zu ihm aufgeschlossen hatte.

Die Oase lag jetzt halb verdeckt hinter ei­ner größeren Erhebung. Sie schien zum Greifen nahe aber doch gleichzeitig unend­lich weit entfernt. Atlan ließ sie nicht eine Sekunde lang aus den Augen. Als er sich dann seinem Begleiter zuwandte, lag ein bit­teres Lächeln um seine Mundwinkel.

»Du jagst einem Phantom nach, Verkon­der. Einer Luftspiegelung. Das dort vor uns mag zwar eine Oase sein, nur ist sie sicher unerreichbar weit entfernt.«

»Ich sehe Wasser«, erwiderte der Havare zornig. »Ich sehe es mit meinen eigenen Au­gen. Deshalb werde ich solange weiterreiten, bis ich es erreicht habe.«

»Dann viel Vergnügen!« wünschte Atlan sarkastisch. Verkonder verstand nicht, wie es gemeint war.

Weiter ging es; den nächsten steilen Hang hinauf, auf dem Kamm entlang und dann durch lockeren, vom Wind angehäuften Sand wieder hinab. Oft genug sanken die Tiere ein und hatten dann Mühe, das Gleich­gewicht zu halten. Aber Verkonder trieb sie erbarmungslos vorwärts. Er hatte nur ein Ziel vor Augen, das ihm wichtig erschien. Das ihn offenbar aber auch mit Blindheit schlug.

Irgendwann würde er seinen Irrtum sicher bemerken. Atlan sagte nichts mehr dazu. Ihm war es letztlich egal, wohin sie ritten, solange sie nur ungefähr die einmal einge­schlagene Richtung beibehielten.

Wieder war die vermeintliche Oase scheinbar zum Greifen nahe. Verheißungs­voll schimmerte der blaue See zwischen zwei hochaufragenden Dünen. Aber als Ver­konder Minuten später an Ort und Stelle an­langte, war da nichts mehr außer Sand und

Hubert Haensel

feinem rötlichen Staub. Wütend sprang er ab.

»Hier war es!« schrie er fast außer sich vor Erregung. »Hier war Wasser!«

Atlan schüttelte den Kopf. »Ich sagte es dir vorhin schon«, erklärte er in einem Ton­fall, in dem man einem widerspenstigen Kind etwas beizubringen versucht. »Du hast dich getäuscht. Was du gesehen hast, war nichts anderes als eine Fata Morgana.«

Verkonder tobte durch den heißen Sand. In diesen Augenblicken erinnerte nichts an ihm noch an den Spezialkurier des Neffen, der sicherlich eine hervorragende Ausbil­dung genossen hatte.

Atlan blickte ihm mit unbewegtem Ge­sichtsausdruck hinterher.

Mein Gott, dachte er, vielleicht würde es dir an seiner Stelle ähnlich ergehen. Weißt du denn, ob sein Metabolismus genauso lan­ge ohne Wasser auskommen kann wie der eines Menschen? Und dann ist Verkonder noch immer überreizt. Diese telepathischen Rufe, die er vernommen hat, scheinen ihm viel von seiner bisherigen Selbstbeherr­schung genommen zu haben.

Endlich hielt der Havare inne. Aber schon im nächsten Moment wirbelte

er herum und rannte die nächste Düne hin­auf. Atlan trieb sein Einhorn hinterher. Das zweite Tier folgte ihm sofort.

Er hörte Verkonder triumphierend schrei­en.

»Dort vorne ist sie! Wir haben uns nur in der Richtung getäuscht!«

Tatsächlich konnte auch Atlan die Oase sehen, als er die Düne etwa zur Hälfte hin­aufgeritten war. Sie lag links von ihnen, scheinbar nur wenige hundert Meter ent­fernt. Aber zweifellos wieder nur eine Luft­spiegelung, denn ein unstetes Flimmern ließ alles seltsam verschwommen erscheinen.

Aber Atlan sah noch etwas anderes. Verkonder entdeckte es fast gleichzeitig. »Scuddamoren!« rief er überrascht aus.

»Das sind Scuddamoren!« Sechs dunkle Schatten bewegten sich auf

die Oase zu. Ihre fließenden Bewegungen

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und die düstere Aura, die sie umgab, ließen keine Zweifel aufkommen.

Verkonder begann wie ein Irrer zu winken und zu brüllen. Seine Stimme mußte weithin zu hören sein, doch die Scuddamoren nah­men keine Notiz von ihm. Unbeirrbar folg­ten sie ihrem Weg, der sie mitten durch die noch immer bestehende Luftspiegelung hin­durchführen mußte.

Sollten sie das Trugbild, genau wie Ver­konder auch, für Realität halten?

Der Havare schien sich plötzlich zu besin­nen. Atlan ließ es geschehen, daß er sich auf sein Einhorn schwang und wie die wilde Jagd davonstürmte.

Der Pthorer ritt langsam hinterher. Sicher hatte es über kurz oder lang so

kommen müssen. Eine erneute, mehr oder weniger freiwillige Gefangennahme durch die Truppen des Neffen schien auch die ein­zige Möglichkeit zu sein, Jardiehanoor je­mals wieder verlassen zu können.

Trotz dieser Überlegungen wurde Atlan das unbestimmte Gefühl nicht los, daß es doch noch etwas auf dieser Welt gab, das ihm hätte helfen können. Er hatte die gei­sterhaften, manchmal aber sehr real wirken­den Erscheinungen nicht vergessen, die aus den leuchtenden Staubwirbeln heraus ent­standen waren. War auf diese Weise ver­sucht worden, Kontakt zu ihm aufzuneh­men? Je länger er darüber nachdachte, für desto wahrscheinlicher hielt er es. Aber – wer war der große Unbekannte im Hinter­grund? Und weshalb hatte er sich nicht nachdrücklich bemüht, Atlans Aufmerksam­keit auf sich zu lenken?

Verkonders triumphierendes Geheul ver­stummte langsam. Für wenige Augenblicke war er verschwunden, dann sah Atlan ihn auf die Gruppe der Scuddamoren zu reiten.

Endlich schienen die Wesen in ihren Schattenschilden aufmerksam geworden zu sein. Sie blieben stehen.

Atlan stockte förmlich der Atem, als Ver­konder mitten durch sie hindurchritt. Gleich­zeitig verschwanden die Scuddamoren so spurlos, als hätte es sie nie gegeben.

Atlan begriff. Der Havare aber schien die schattenhaften

Gestalten an ganz anderer Stelle zu sehen, denn er setzte seinen Weg fort, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Er hatte nichts davon bemerkt, daß er die Luftspiegelung zerstört hatte. Atlan drückte seinem Einhorn die Fersen in die Flanken. Laut wiehernd verfiel es in eine schnellere Gangart. Für kurze Zeit verlor er den Havaren dabei aus den Augen. Als er ihn dann in einiger Ent­fernung wieder vor sich sah, war Verkonder eben im Begriff, von seinem Reittier abzu­steigen. Allem Anschein nach weigerte es sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Verkonder konnte schimpfen und fluchen, soviel er wollte, es half ihm nichts.

Atlan sah die hell verfärbte Stelle im Sand und wußte sofort, was er davon zu halten hatte.

»Nicht weitergehen, Verkonder!« rief er. »Bleib stehen!«

Aber der Havare hörte ihn entweder nicht oder wollte ihn nicht hören. Vielleicht glaubte er auch, die Scuddamoren fast er­reicht zu haben.

Auf jeden Fall war es zu spät. Verkonder warf die Arme in die Höhe, als

die trügerische, dünne Sandschicht unter ihm einbrach. Zwar versuchte er noch, zur Seite zu springen, doch erreichte er damit nur, daß er wesentlich schneller einsank.

Atlan hatte die Gefahr erkannt, die seinem Begleiter von dem Treibsand drohte. Er trieb sein Einhorn zu noch größerer Eile an.

Verkonder war inzwischen bis zu den Schultern eingesunken. Er verhielt sich jetzt aber vollkommen ruhig. Aus weit aufgeris­senen Augen starrte er Atlan entgegen.

»Reiche mir deine Hand!« Unendlich langsam streckte Verkonder

einen Arm aus. Jede ruckartige Bewegung ließ ihn ein wenig tiefer sinken.

Es fehlten nur Zentimeter. Dennoch war es Atlan ohne Hilfsmittel unmöglich, den Havaren auf festen Boden zurückzuziehen. Kurz entschlossen sprang er vor. Er fühlte nichts davon, daß der feine Sand sich wie ei­

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ne eiserne Klammer um seine Hüften legte und ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in die Tiefe zog.

Verkonder schrie entsetzt auf, als Atlan vor seinen Augen verschwand, er aber gleich darauf eine tastende Hand an seinem Gürtel spürte.

Sand drang ihm in Mund und Nase ein und ließ ihn bereits einen Hauch des Todes ahnen, da wurde er plötzlich angehoben. Er wußte nicht, wie ihm geschah. Der Sand schien sich förmlich vor ihm zu teilen und ihn freizugeben.

Verkonders tastende Hände stießen auf et­was Festes. Schnell packte er zu und zog sich langsam daran in die Höhe. Seine Füße fanden wieder ausreichenden Halt. Mit letz­ter Kraft brachte er sich dann in Sicherheit und blieb schwer atmend liegen.

Atlan erschien in seinem Blickfeld. Der Pthorer wirkte wie eine der Spukgestalten des Planeten. Über und über war er mit ro­tem Staub bedeckt, der aus sich heraus zu glühen schien und ihm so etwas wie eine eng anliegende Aura verlieh.

Doch der Schein verschwand so schnell, daß Verkonder sich anschließend fragte, ob er dies wirklich gesehen oder ob er sich er­neut getäuscht hatte. Denn daß die Scudda­moren nicht tatsächlich existent gewesen waren, hatte er inzwischen eingesehen.

»Bist du in Ordnung?« fragte Atlan. Verkonder fühlte so etwas wie Dankbar­

keit in sich aufsteigen, aber er hütete sich, es den Pthorer merken zu lassen. Und das un­gewohnte Gefühl verschwand schnell wie­der.

»Mir ist nichts geschehen«, antwortete er. »Wenn du willst, setzen wir unseren Weg fort.«

Atlan nickte nur. Er fragte sich, weshalb ausgerechnet Scuddamoren erschienen wa­ren. Sollte es ein Hinweis gewesen sein – oder sah er auch schon Gespenster?

*

Darziner hatte die weitere Untersuchung

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des Wracks Delmheff überlassen und war mit seinem Gleiter wieder gestartet. Er glaubte nicht daran, daß noch irgendwo Hin­weise auf den Verbleib der beiden Vermiß­ten zu finden waren.

Nach einigen Überlegungen kam er zu dem Schluß, daß es erfolgversprechender war, das Gebiet zwischen der Absturzstelle und Chirmor Flogs Stützpunkt näher in Au­genschein zu nehmen. Vielleicht hatten die Schiffbrüchigen sich in diese Richtung ge­wandt. Wenn er seinen Kopf retten wollte, dann mußte er sie finden. Und er mußte bald Erfolg haben.

*

Atlan hörte das Triebwerksgeräusch als erster. Noch während er sich darauf konzen­trierte, wurde es lauter. Die staubdurchsetzte Atmosphäre Jardiehanoors war kein sehr gu­ter Schallträger, dennoch ließ sich unzwei­felhaft erkennen, daß das gleichmäßige Summen von rückwärts kam.

Auch Verkonder wurde darauf aufmerk­sam.

»Diesmal sind sie es wirklich«, ließ er At­lan wissen.

Er hielt sein Einhorn an und starrte hinauf zum Himmel, wo er jeden Augenblick die Umrisse eines scuddamorischen Gleiters zu sehen hoffte. Aber da war nichts außer den rotglühenden Staubschleiern, die geheimnis­voll knisternd dahintrieben.

Eine Weile blieb das Geräusch fast kon­stant, dann schien es sich mit zunehmender Geschwindigkeit zu entfernen und ver­stummte schließlich.

»Nichts«, sagte Atlan. Er wußte nicht, ob er erleichtert oder bedrückt sein sollte. Be­drückt deshalb, weil sie noch tagelang durch diese Wüste reiten konnten.

Unbewußt wartete Atlan darauf, daß et­was geschehen würde.

»Sie kommen wieder, und dann werden sie uns finden«, behauptete Verkonder. »Ich fühle es.«

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29 Die Rache der Kerneeten

*

Die folgende Stunde verlief ereignislos, abgesehen davon, daß die beiden Einhörner erste Anzeichen von Ermüdung erkennen ließen.

»Wir werden bald rasten und den Tieren eine Erholungspause gönnen müssen«, sagte Atlan. »Vielleicht sollten wir dann auch schon unser Nachtlager aufschlagen.« Er lachte. »Wir werden wohl unter freiem Him­mel kampieren müssen. Zum Glück sieht es nicht nach einem neuen Gewitter aus. – Weißt du, wie lange die Rotationsdauer Jar­diehanoors ist?«

»Nein. Ich kann es nur schätzen. Dem­nach dürfte jetzt später Nachmittag sein.«

»Das dachte ich mir auch. Sehen wir uns also nach einem geeigneten Platz um?«

»Meinetwegen«, brummte Verkonder mißgelaunt. Er hatte erwartet, daß der Glei­ter, den sie gehört hatten, bald zurückkom­men würde. Seine Enttäuschung darüber, daß dem nicht so war, ließ er sich deutlich anmerken.

Um so überraschter war er, als er das kur­ze Aufblitzen dicht über dem Horizont be­merkte. Es kam genau aus der Richtung, in die sie ritten.

Auch Atlan war es nicht entgangen. Es war wie eine große reflektierende Metallflä­che gewesen.

»Sehen wir es uns an«, schlug er vor. Verkonder hatte nichts dagegen einzu­

wenden. Allerdings wiederholte sich die Erschei­

nung nicht. »Wenn wir uns wieder getäuscht haben

…« Der Havare ließ offen, was er noch sa­gen wollte.

Sie mochten bereits mehr als die Hälfte der geschätzten Entfernung zurückgelegt ha­ben – auch Atlan war inzwischen davon überzeugt, einer erneuten Halluzination zum Opfer gefallen zu sein –, als sie es zum zweitenmal sahen.

Wieder war es wie ein Blitz, der vom Erd­

boden zum Himmel hinaufzuckte. Gleich­zeitig aber erschien der obere Rand einer Kuppel über den Dünen.

Das Ganze dauerte nur Sekunden und ver­schwand, bevor Atlan und Verkonder Ein­zelheiten erkennen konnten.

»Weiter!« keuchte der Havare. Eine selt­same Erregung hatte sich seiner bemächtigt. Aber auch Atlan konnte sich der Faszination etwas unsagbar Fremden nicht entziehen.

Und dann sahen sie es … Von der Höhe einer der vielen Dünen aus

bot sich ihnen ein phantastischer Anblick. Mitten aus den leuchtenden Staubwirbeln heraus erhob sich eine riesige transparente Kuppel in den Himmel.

Atlan schätzte ihren Durchmesser auf mehrere Kilometer; die Höhe mochte in ih­rem Scheitelpunkt kaum weniger als fünf­hundert Meter betragen. Das Ganze hätte an einen schützenden Energieschirm erinnert, wären nicht die vielen symmetrischen Figu­ren und Muster gewesen, die wie ein riesiges Bildnis die Kuppel überzogen. Vielleicht be­saßen all diese reliefartigen Verzierungen tatsächlich einen tieferen Sinn. Atlan hatte Ähnliches erst vor kurzem gesehen. Aber je­ne schattenwerfenden Muster in der Ebene hatten noch etwas anderes dargestellt. Eine Stadt, grob skizziert in ihren Umrissen. Und genau diese Stadt sahen Atlan und Verkon­der nun vor sich. Es war ein Anblick, den keiner von beiden auf Jardiehanoor erwartet hatte.

Unter der Kuppel erhoben sich schlanke Türme, umschlungen von kühn geschwun­genen Spiralen; Schwebestraßen schlängel­ten sich in mehreren Etagen zwischen Häu­sern, Plattformen und kugelförmigen Bau­werken dahin. Und überall, ob auf den Dä­chern der Gebäude, zwischen den Straßen und Gleitbändern oder entlang der Periphe­rie der Kuppel, grünte und blühte es. Ein Meisterwerk moderner Architektur, eine ge­lungene Synthese von Natur und künstlich Geschaffenem, wie sie besser nicht hätte sein können.

Atlan konnte sich kaum losreißen von

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dem Anblick dieser unglaublich utopisch wirkenden Stadt voll wilder Schönheit und Vollkommenheit. Sie schien ihm so real zu sein, daß er nicht an eine erneute Halluzina­tion glauben wollte.

Waren die Zeichnungen in der Ebene ein Hinweis gewesen?

Wenn ja, dann hatten Verkonder und er hier ihr vorläufiges Ziel erreicht. Die Frage war nur, was bei dem Versuch, in diese Stadt einzudringen, geschehen würde. Denn daß er es versuchen würde, stand für Atlan seit jenem Augenblick fest, als er die Kuppel erstmals in voller Größe vor sich gesehen hatte.

Noch war die Entfernung zu groß, um Ge­naueres erkennen zu lassen. Aber Atlan glaubte, daß die grellen Reflexe, durch die er und Verkonder überhaupt erst aufmerk­sam geworden waren, von Fahrzeugen her­vorgerufen wurden.

»Was weißt du darüber?« fragte er seinen Begleiter. »Wie lange besteht diese Stadt schon?«

Verkonder schüttelte den Kopf. »Ich bin genauso überrascht wie du«, er­

klärte er. »Nach allem, was ich weiß, ist Jar­diehanoor unbewohnt. Seit der Katastrophe hat den Planeten niemand mehr betreten, von einigen Wissenschaftlern vielleicht ab­gesehen. Chirmor Flog wird auch zum er­stenmal zurückgekehrt sein.«

»Dann ist sozusagen unter seinen Augen etwas entstanden, wovon er keine Ahnung hat. Eine Zivilisation, die eine solche Stadt aufbaut, muß über beachtliches technisches Wissen verfügen.«

»Ich ahne, worauf du hinaus willst«, sagte Verkonder. »Du glaubst, daß hier jene Un­bekannten leben, die deiner Meinung nach die Spukgestalten erschaffen und gelenkt ha­ben.

Vielleicht irrst du dich aber auch.« »Ich will es jedenfalls wissen. Du kannst

entweder mit mir kommen oder auch hier­bleiben, ganz wie du willst.«

»Ich begleite dich, Atlan. Eine bessere Gelegenheit, Kontakt zu Chirmor Flog auf-

Hubert Haensel

zunehmen, wird sich mir wohl nicht wieder bieten.«

Sie trieben ihre Tiere weiter auf die Stadt zu, die wirklich war und keine Fata Morga­na. Denn weder erlosch sie während der nächsten Minuten, noch rückte sie von ei­nem Augenblick zum anderen in unerreich­bare Ferne.

Bald waren sie so nahe gekommen, daß sie nur noch einen kleinen Teil der Kuppel vor sich sahen. Atlan konnte sich einer merkwürdigen Beklemmung nicht erwehren. Plötzlich fühlte er sich irgendwie bedrückt, ohne jedoch sagen zu können, weshalb das so war. Eben noch hoffnungsvoll und guter Dinge, stieg jetzt eine gewisse Melancholie in ihm auf.

Trotz ihrer Schönheit wirkte die Stadt be­drückend. Eine Aura unvorstellbarer, gren­zenloser Trauer ging von ihr aus. Als würde sich etwas Schreckliches in ihr manifestie­ren.

Atlan sah sich nach Verkonder um und mußte feststellen, daß es dem Havaren ähn­lich wie ihm erging. In sich zusammenge­sunken saß er auf seinem Einhorn und stierte ins Leere. Atlan mußte ihn mehrmals an­sprechen, bevor er überhaupt reagierte.

»Ich fühle unendliches Grauen«, sagte der Wahrheitsspürer langsam und betont. »Es geht von dieser Stadt aus. Aber es ist gleich­zeitig so, als wolle uns jemand etwas mittei­len.«

»Holen wir uns die Informationen doch an Ort und Stelle«, schlug Atlan spontan vor. »Weshalb sollten wir noch zögern?«

Allerdings hatte er es sich leichter vorge­stellt, in die Stadt einzudringen. Nachdem sie zur Hälfte um die Kuppel herum geritten waren, hatten sie noch immer nicht die Spur einer Öffnung gefunden. Fast schien es, als wären die Gebäude und alles andere herme­tisch von der Außenwelt abgeriegelt.

Doch dann entdeckte Verkonder die Platt­form, die zur Hälfte aus der Kuppel heraus­ragte, deren andere Hälfte aber im Innern abgeschlossen war. Atlan hätte die Flugfä­higkeit seines Anzugs nutzen können, um

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hinaufzugelangen, doch verzichtete er be­wußt darauf. Wenn er sich aufrecht auf den Rücken seines Reittiers stellte und leicht ab­stieß, konnte er den Rand der Plattform mit den Händen fassen.

Keine fünf Minuten später standen er und Verkonder nebeneinander in wenigen Me­tern Höhe über dem Wüstenboden und über­legten, wie sie von hier aus in die Kuppel eindringen konnten.

6.

Es war leichter, als sie es sich vorgestellt hatten. Nachdem sie eine Weile ergebnislos nach einem Öffnungsmechanismus gesucht hatten, entstand plötzlich wie von Geister­hand geschaffen ein Durchgang in dem glas­artig wirkenden Material der Kuppel.

»Da«, sagte Atlan überrascht. »Wir schei­nen willkommen zu sein.«

Wohltemperierte, angenehm riechende Luft schlug ihnen entgegen, nicht der schwüle, stickige Dunst, der über der Wüste lag. Sie zögerten nicht länger, die Stadt zu betreten. Hinter ihnen schloß sich die Öff­nung so schnell, daß sie erschrocken vor­wärts taumelten.

Verkonder trommelte mit den Fäusten ge­gen die Kuppelwandung. Er erzielte nicht die geringste Wirkung damit, abgesehen da­von, daß seine Hände zentimetertief in das seltsame Material eindrangen, dann aber auf unnachgiebigen Widerstand stießen. Er fluchte ungehalten.

»Nimm dich zusammen!« forderte Atlan und ließ Verkonder nicht für einen Augen­blick aus den Augen. Der Havare schien sich einer erneuten Krise zu nähern. Aber war er wirklich so labil, oder gab es auf Jardieha­noor etwas, das schuld war an seinem au­genblicklichen Zustand?

»Wir sind in eine Falle gelaufen! Ich füh­le es – überall sind bösartige Schwingungen. Sie haben es auf mich abgesehen!«

Atlan wurde abgelenkt, als sich ihnen ein Fahrzeug näherte. Das war Grund genug für ihn, sich näher mit ihrer neuen Umgebung

zu befassen, ohne weiter auf Verkonder ein­zugehen.

Die nächsten Gebäude, kleine, bungalow­ähnliche Häuser, standen etliche hundert Meter entfernt. Über ihren Dächern verlief eine der freitragenden Straßen, die sich zur Kuppel hin dem Boden entgegen neigte, kurz vor der Plattform, auf der Atlan und Verkonder standen, einen weiten Bogen be­schrieb und dann zwischen weitläufigen Parkanlagen wieder verschwand.

Das Fahrzeug war inzwischen herange­kommen. Es fuhr so langsam, daß ein Fuß­gänger mit ihm hätte Schritt halten können. Atlan wunderte sich noch darüber, mußte dann aber erkennen, daß kein Empfangsko­mitee kam, um sie abzuholen.

Interessiert betrachtete er das Fahrzeug, das auf unsichtbaren Feldern wenige Zenti­meter über der Straße schwebte. Es erinnerte ein wenig an einen fliegenden Tropfen, des­sen Oberfläche von bunten Schlieren über­zogen wurde. Das Innere war leer. Atlan konnte gepolsterte Sitzbänke erkennen, je­doch nichts, was eine Steuerung des seltsa­men Gefährts ermöglicht hätte.

In der Kurve angelangt, wurde es noch langsamer. Die Farben verschwammen zu dunklen, verwirrenden Mustern, um aber gleich darauf, als der Tropfen wieder be­schleunigte, helle und freundliche Töne an­zunehmen.

»Wir werden wohl zu Fuß gehen müs­sen«, stellte Atlan anschließend fest. Als er sah, daß Verkonder zögerte, fügte er hinzu: »Ich glaube nicht, daß uns hier Gefahr droht. Auf mich macht die Stadt einen friedlichen Eindruck – vielleicht gerade deshalb, weil sie eine unsagbare Trauer ausstrahlt.«

Du setzt irdische Maßstäbe, wurde Atlan von seinem Extrasinn zurechtgewiesen. Ver­giß nicht, wo du dich befindest. Trauer be­deutet Tod. Man kann auch trauern, weil man keine Opfer zum Töten hat.

Manchmal hatte Atlan noch immer das Gefühl, daß sein Extrasinn verwirrt zu sein schien. Da er keine Erklärung dafür wußte, verzichtete er auf eine Antwort.

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»Komm endlich!« rief er Verkonder zu, während er seitlich von der Plattform hinab­sprang. Federnd kam er auf und ging dann, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, am Straßenrand entlang auf die nächsten Häuser zu. Nach einer Weile hatte Verkonder ihn eingeholt. Er sagte nichts, doch ein Blick in seine Augen ließ Atlan erschrecken.

Der Havare hatte sich verändert. Unter der pergamentartigen Haut zeichneten sich seine kantigen Backenknochen deutlicher ab als jemals zuvor. Sein Gesicht hatte einen brutal wirkenden Ausdruck angenommen.

Sie erreichten das erste Gebäude, ohne auch nur ein Wort miteinander gewechselt zu haben. Ein schmaler, kiesbedeckter Weg führte zwischen bunten Blumen hindurch zu einer reich verzierten Pforte. Die noch unbe­kannten Erbauer dieser Stadt schienen eine besondere Vorliebe für geometrische Muster zu haben.

Atlan überlegte, ob er versuchen sollte, in das Haus einzudringen, oder ob eine solche Handlung bereits als feindlicher Akt einge­stuft würde. Obwohl einige der großflächi­gen Fenster weit geöffnet waren, entschied er sich schließlich dagegen und beließ es bei der Suche nach einem Türmelder oder etwas Ähnlichem. Als er nichts dergleichen fand, klopfte er einfach.

Nichts rührte sich. »Die Vögel sind ausgeflogen«, grinste At­

lan, ohne bei seinem Begleiter auch nur die Andeutung einer Reaktion hervorzurufen. »Versuchen wir es anderswo.«

»Ich habe dich gewarnt«, brummte Ver­konder endlich.

»Und ich habe deine Warnung in den Wind geschlagen. Belassen wir es dabei.«

Atlan fand auch beim nächsten Haus meh­rere Fenster unverschlossen. Allerdings gab es keine Möglichkeit, die Tür zu öffnen.

»Die Leute scheinen keine Angst vor Ein­brechern zu haben«, stellte er fest. »Ich möchte es aber auch nicht versuchen. Ich schlage deshalb vor, daß wir ins Zentrum der Stadt gehen.«

»Hm«, machte Verkonder nur.

Hubert Haensel

Sie ließen die kleine Siedlung hinter sich, durchquerten den anschließenden Park, der einen überaus gepflegten Eindruck machte, und vertrauten sich dann einem langsamen Gleitband an, auf das sie auf ihrem Weg ge­stoßen waren.

Atlan schaute zur Kuppel empor, ohne je­doch mehr als einen fahlen rötlichen Schein weit über sich erkennen zu können. Wolken, die über der Stadt scheinbar stillstanden, versperrten ihm die Sicht.

Dafür sah er etwas anderes, was er zu­nächst für einen großen Vogel hielt. Erst nach mehrmaligem Hinsehen entpuppte er sich als recht eigenwillig konstruiertes Flug­zeug. Langsam zog es seine Kreise über den höchsten Gebäuden der Stadt und sank noch tiefer.

»Es wird Zeit, daß wir jemandem begeg­nen«, sagte Atlan.

Aus dem einen Gleitband waren inzwi­schen drei geworden, die sich jedoch schon nach einer kurzen Strecke wieder trennten und in verschiedene Richtungen führten. At­lan hätte die Gelegenheit zum Umsteigen nutzen können, aber er blieb auf dem mittle­ren Band. Ein Ziel konnte so gut oder so schlecht sein wie das andere.

Dann sah er endlich den ersten Bewohner dieser Stadt. Eine humanoide, aufrecht ge­hende Gestalt, die langsam auf einige der letzten flach gebauten Häuser zuschlenderte. Wegen der Entfernung und der wallenden Gewänder, die dieses Wesen trug, war es Atlan jedoch unmöglich, Näheres über des­sen Körperbau zu erkennen.

Mehrstöckige Gebäude ragten jetzt zu beiden Seiten auf – Türme, die nur aus ge­färbtem Glas zu bestehen schienen. Ein brei­tes Gleitband kam Atlan und Verkonder ent­gegen. Es war wohl vor allem für den Trans­port von Gütern bestimmt.

Über ihnen, scheinbar frei schwebend, hing die leicht ansteigende Fläche einer Straße. Sie war von unten her durchsichtig und ließ mehrere Fahrzeuge erkennen, die in beiden Richtungen dahinkrochen.

Und dann waren Atlan und Verkonder

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plötzlich gezwungen, ihren Weg zu Fuß fortzusetzen. Das Band, das sie benutzt hat­ten, verschwand einfach im Boden.

»Auch eine Möglichkeit, das Laufen nicht zu verlernen«, meinte Atlan.

Das Verhalten des Havaren machte ihm Sorgen. Verkonder schien Schmerzen zu empfinden, denn immer häufiger massierte er sich die Schläfen. Atlan hingegen ver­spürte nichts von einem äußeren Einfluß, der stark genug gewesen wäre, ihn zu irritieren.

Das Gefühl namenloser Trauer ließ sich mit einiger Konzentration übergehen.

*

»Mir ist diese Stadt unheimlich!« Sie hatten einen größeren freien Platz er­

reicht, der von vier und fünfstöckigen Ge­bäuden begrenzt wurde. Im Hintergrund er­hob sich eines der kugelförmigen, von mächtigen Säulen gestützten Bauwerke.

»Du warst es doch, der sich erhofft hatte, von hier aus Kontakt zu Chirmor Flog oder den Scuddamoren aufnehmen zu können«, erinnerte Atlan seinen Begleiter.

Verkonder schien sich endlich gefangen zu haben. Im Schatten der Häuser, so hatte er erst vor wenigen Minuten erklärt, waren die von ihm als bedrohlich empfundenen Impulse schwächer geworden.

»Ich habe mich wohl getäuscht«, erwider­te er zögernd. »Hier ist alles viel zu fremdar­tig, als daß es eine Daseinsberechtigung hät­te. Ich glaube nicht, daß dem Neffen des Dunklen Oheims die Existenz dieser Stadt bekannt ist. Von ihr geht eine deutliche Be­drohung aus. Wenn du es auch nicht merkst, Atlan, ich spüre es. Chirmor Flog hätte längst die Waffen sprechen lassen.«

»Du meinst, hier gibt es etwas, das eine Gefahr darstellt? Für den Neffen, wohlge­merkt.«

»Alles hier ist eine Gefahr«, sagte Ver­konder. »Aber frage mich nicht, wieso – ich fühle es einfach.«

»Wir werden sehen«, meinte Atlan nur. In diesem Augenblick verließen zwei We­

sen das kugelförmige Gebäude. Atlan stieß Verkonder an und machte ihn auf sie auf­merksam.

»Kennst du sie?« wollte er wissen. Die beiden, die jetzt langsam, als hätten

sie unendlich viel Zeit, auf den Platz hinaus spazierten, trugen weiße, wallende Gewän­der. Atlan schätzte ihre Größe auf fast zwei Meter.

»Ich weiß nicht«, sagte Verkonder nach einer Weile. »Mir ist keine Rasse mit diesen Merkmalen bekannt.«

Die Fremden hatten haarlose, ovale Schä­del mit eng anliegenden spitzen Ohren. Eine Nase war nur andeutungsweise vorhanden, wohingegen der Mund unnatürlich breit war und von dicken, wulstigen Lippen umrahmt. Die tief in den Höhlen liegenden und weit auseinanderstehenden Augen verstärkten den Eindruck seltsam unfertiger Gesichter noch.

»Sie scheinen uns nicht gesehen zu ha­ben«, bemerkte Atlan. »Obwohl sie genau auf uns zukommen.«

Zeitlupenhaft langsam wirkten die Bewe­gungen der Fremden. Sie waren kaum mehr als dreißig Meter entfernt und benötigten dennoch gut fünf Minuten, bis sie Atlan und Verkonder erreicht hatten.

Und dann schritten sie vorbei, ohne auch nur für einen Augenblick innezuhalten. At­lan fühlte ihre Blicke durch sich hindurchge­hen, als sei er Luft für sie.

»Puh«, machte er. »Die sind ganz schön eingebildet.« Und in Garva-Guva, der Spra­che des Marantroner-Reviers, rief er ihnen hinterher.

Genauso gut hätte er versuchen können, mit einer der gläsernen Hauswände zu spre­chen.

Mit zwei schnellen Schritten hatte er die Fremden eingeholt und legte einem von ih­nen seine Hand auf die Schulter. Nichts. Nicht einmal ein erschrockenes Zusammen­zucken.

»Wartet!« schrie er. Unbeirrbar schritten die beiden weiter. »Da kommen noch welche«, rief Verkon­

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der. »Versuchen wir bei denen unser Glück.«

Eine ganze Gruppe von Weißgekleideten überquerte den Platz. Sie unterhielten sich nicht, sie gestikulierten nicht, und sie er­weckten auch sonst nicht den Anschein, daß sie in irgendeiner Weise miteinander in Ver­bindung standen. Und doch war jede ihrer automatenhaft erscheinenden Bewegungen gleich. Atlan stellte sich ihnen in den Weg. Sie nahmen nur insoweit Notiz von ihm, als sie sich teilten und rechts und links an ihm vorbeigingen. Atlan hielt einen von ihnen fest. Das Wesen wehrte sich nicht, ja es schien überhaupt nichts dabei zu finden, daß es den anderen plötzlich nicht mehr folgen konnte.

»So erreichst du nichts«, sagte Verkonder. Atlan nickte. »Ich glaube auch. Wir müs­

sen es anders anfangen.« Er ließ den Frem­den wieder los. »Meinetwegen geh hin, wo der Pfeffer wächst!«

»Bitte?« fragte Verkonder. »Wohin soll er gehen?«

»Ach, nichts«, beeilte sich Atlan abzu­winken. »Es war nur eine Redensart von mir. Ich glaube, die Gruppe kam auch aus der Kugel.«

»Das stimmt. Vielleicht handelt es sich dabei um ein Wohnhaus. Wir sollten es uns auf jeden Fall ansehen.«

»Genau das«, sagte Atlan, »wollte ich eben vorschlagen.«

*

Ein mächtiges, offenstehendes Portal bil­dete den Eingang des kugelförmigen Gebäu­des. Rasch schritt Atlan hindurch, dicht ge­folgt von Verkonder. Der Havare war mitten auf dem freien Platz plötzlich zusammenge­fahren und hatte sich wieder die Hände auf die Schläfen gepreßt.

»Da war es wieder«, erklärte er. »Irgend etwas wollte mich warnen.«

»Eine Gefahr für uns?« »Nein. Eher etwas, das wohl nur mich be­

trifft. Ich fühlte so etwas wie Haß auf alles,

Hubert Haensel

was dem Neffen ergeben ist.« Atlan zog die Brauen empor. »Feinde des herrschenden Regimes?« »Kaum«, sagte Verkonder. Aber so, wie

er es sagte, klang es nicht besonders glaub­haft.

Atlan ahnte, daß er nicht mehr erfahren würde, selbst wenn der Havare mehr wußte, als er zugab. »Komm!« forderte er Verkon­der deshalb auf. »Sehen wir uns hier drinnen um.«

Dem Eingang gegenüber befand sich eine große, metallene Tür. Sie bildete das andere Ende einer geräumigen Halle, von deren Wänden grelles Licht ausstrahlte.

Die Leuchtanzeige unmittelbar neben der Tür ließ auf einen Fahrstuhl oder etwas Ähnliches schließen. Atlan drückte auf einen farbig besonders markierten Knopf am unte­ren Ende der Skala. Wenn der daraufhin auf­flammende Lichtpunkt die Etage markierte, in der sie sich gerade aufhielten, dann befan­den sich noch zwei Stockwerke unter der Er­de und fünf über ihnen.

Völlig geräuschlos rollte die Tür zur Sei­te. Atlan wurde nicht enttäuscht. Die geräu­mige, mit gepolsterten Sitzen ausgestattete Aufzugskabine wirkte auf ihn wie eine un­ausgesprochene Einladung. In dieser Stadt schien man sehr um das körperliche Wohl ihrer Bewohner besorgt zu sein.

»Wohin?« wollte Verkonder wissen. »Irgendein Stockwerk«, sagte Atlan und

drückte wahllos auf einen der Knöpfe. »Es dürfte egal sein, wo wir anfangen.«

Sie warteten noch darauf, daß der Aufzug sich endlich in Bewegung setzte, als dieser sein Ziel bereits erreicht hatte.

»Anerkennenswert«, bemerkte Atlan, als die Tür aufglitt. »Ich habe nicht das gering­ste gespürt.«

Ein schmaler, langer Korridor lag vor ih­nen. In gewissen Abständen zweigten zu beiden Seiten Türen ab, die wohl in dahin­terliegende Wohnungen führten.

Atlan versuchte, einige der Türen zu öff­nen. Sie waren sämtlich verschlossen und widerstanden allen noch so hartnäckigen Be­

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mühungen. Suchend tastete er sogar die Wände ab, fand jedoch nichts, was seine Be­mühungen gelohnt hätte. Kein verborgener Mechanismus, der auf Druck oder Wärme reagiert hätte.

Schulterzuckend gab Atlan nach einiger Zeit seine erfolglosen Versuche auf. Immer­hin war es auch denkbar, daß die Verriege­lungen nur auf die Gehirnschwingungen der Wohnungsinhaber ansprachen. Das aller­dings hätte bei den Erbauern der Stadt einen Wissensstand vorausgesetzt, den Atlan nicht vermutet hätte.

»Versuchen wir es anderswo«, schlug Verkonder dann vor. Mit dem Aufzug fuh­ren sie in die oberste Etage des Gebäudes hinauf. Als sie ausstiegen, fielen ihnen so­fort die großen Panoramafenster auf, die einen nahezu vollkommenen Rundblick über die Stadt boten. Von oben gesehen, wirkte sie noch imposanter, noch geheimnisvoller. Atlan erschrak, denn die Dämmerung hatte sich bereits über das Land gesenkt, und in Kürze würde die Nacht hereinbrechen. Zwar konnte es nicht völlig dunkel werden, denn die leuchtenden Staubschleier, sie sich in der Ferne an der Kuppel brachen, verbreiteten einen fahlen, gespenstischen Schimmer, doch würde der Schein nicht genügen, um sich während der Nachtzeit irgendwo dort draußen zurechtzufinden. Nirgends schien es Lampen zu geben, und auch aus den vielen Fenstern drang kein Licht nach außen.

Unwillkürlich gewann Atlan den Ein­druck, daß die Stadtbewohner unbemerkt bleiben wollten. Eine hellerleuchtete Kuppel wäre sicherlich weithin sichtbar gewesen.

»Was nun?« fragte er. »Wir hätten uns eher nach einer Bleibe für die Nacht umse­hen sollen.«

»Und nach Getränken und etwas zu es­sen«, fügte Verkonder hinzu. »Ich habe Hunger und Durst.«

»Wenn wir nur in eine der Wohnungen hineingelangen könnten …«

Atlans Wunsch blieb vorerst unerfüllt. Vom fünften Stock fuhren sie wieder in den vierten hinunter, von da aus in den dritten

und schließlich in den zweiten. Sie hatten al­le diesbezüglichen Hoffnungen schon aufge­geben, als sie endlich eine Tür fanden, die nicht ganz geschlossen war. Es war die An­gelegenheit weniger Minuten, bis sie diese so weit aufgewuchtet hatten, daß sie sich oh­ne Schwierigkeiten in den darunterliegenden Raum zwängen konnten.

Er war nicht groß, strahlte aber dennoch eine gemütliche, anheimelnde Atmosphäre aus. Verkonder ging achtlos an den schönen Dingen vorüber, die Atlan sofort ins Auge stachen. Besonders gefielen ihm einige klei­ne Skulpturen, Schnitzereien aus einem röt­lichen, harten Material, die ihn irgendwie an wunderschöne, verästelte Korallen erinner­ten.

Einige Bilder hingen an den Wänden. Das immer wiederkehrende Motiv war die Kü­stenlandschaft eines Planeten: strahlend blauer Himmel, schäumende, grüne Bran­dung und riesige Korallenbänke. Aber nir­gendwo das Abbild eines der Stadtbewohner oder gar der Stadt selbst. Ebenfalls nichts, was an Jardiehanoor erinnert hätte, so wie selbst Atlan den Planeten kannte.

Was stellten die Gemälde dann dar? Wa­ren sie ein Rückblick in die Vergangenheit des Staubplaneten? Atlan zweifelte nicht daran, daß diese Vermutung zutraf. Er unter­zog auch die beiden anderen Räume, die noch zu dieser Wohnung gehörten, einer ge­naueren Untersuchung. Der eine war eine kleine Naßzelle, in der er sich schnell frisch machte, der andere enthielt Schlafgelegen­heiten für drei Personen.

Als Atlan dann zu Verkonder zurückkehr­te, um ihn auf die Möglichkeit einer kalten Dusche und das außerdem erfrischende kri­stallklare Wasser aufmerksam zu machen, grinste ihm der Havare herausfordernd ent­gegen.

»Setze dich, Atlan. Solltest du Hunger oder Durst haben, kannst du dich gerne be­dienen.«

Atlan war für einen kurzen Augenblick sprachlos, als er Verkonder mit vollen Ba­cken kauen sah.

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»Woher stammt das alles?« wollte er dann wissen und deutete auf das herrschaftliche Menü, das einen ganzen Tisch füllte.

Verkonder nahm einen tiefen Schluck ei­nes perlenden Getränks zu sich, das wie Kromyat von Pthor roch und Atlan an ange­nehmere Zeiten erinnerte.

»Selbstbedienung«, erklärte er dann leichthin. »Der Kasten dort drüben hat alles ausgespuckt.« Dabei deutete er über seine Schulter.

Eine normale robotgesteuerte Servieranla­ge. Atlan verstand. Verkonder hatte wohl wahllos einige Schalter gedrückt und dann innerhalb kürzester Zeit die ausgewählten Speisen und Getränke erhalten.

»Wie ich sehe, geht es dir inzwischen wieder besser. Keine bedrückenden Gefühle mehr?«

»Nein«, antwortete Verkonder mit vollem Mund. »Im Augenblick fühle ich mich so wohl wie schon lange nicht mehr.«

Womit wieder einmal bewiesen wäre, dachte Atlan bei sich und grinste insgeheim, daß Essen und Trinken Leib und Seele zu­sammenhält.

Auch er griff dann reichlich zu und hörte erst wieder auf, als er wirklich gesättigt war. Die kargen Reste des Mahles wanderten in den Müllschlucker.

»Und nun«, sagte Verkonder, »schlage ich vor, daß wir die Nacht über hierbleiben. Etwas Besseres kann uns gar nicht passie­ren.«

Atlan war einverstanden. Allerdings be­stand er darauf, daß sie abwechselnd Wache hielten. Da er sich dank seines Zellaktivators frischer fühlte als Verkonder, übernahm er wieder die erste Hälfte der Nacht. Er hatte viel Zeit, um über alles nachzudenken. Al­lerdings kam er zu keinem brauchbaren Er­gebnis, und was blieb, waren offene Fragen.

Nachdem dann der Havare die zweite Wa­che angetreten hatte, war Atlan sehr schnell eingeschlafen. Aber es wurde ein unruhiger, von Träumen geplagter Schlaf.

*

Hubert Haensel

Am nächsten Morgen sah alles viel freundlicher aus. Atlan begann den Tag mit einer ausgiebigen Dusche, und auch Verkon­der ließ sich für eine gründliche Toilette sehr viel Zeit. Das anschließende Frühstück bot ihnen Gelegenheit, sich nochmals mit den Ereignissen des vergangenen Tages aus­einanderzusetzen.

»Ich glaube nicht mehr daran, daß diese Stadt oder ihre Bewohner etwas mit dem Neffen des Dunklen Oheims zu tun haben«, bekannte Verkonder endlich, nachdem Atlan ihn darauf angesprochen hatte. »Wahrscheinlich wissen die Scuddamoren nicht einmal von ihrer Existenz.«

»Das wäre sehr gut möglich«, nickte At­lan. »Die Frage ist dann nur, wann und wie diese Ansiedlung entstanden ist.«

»Sicher erst nach der Katastrophe. Chirm­or Flog hätte eine derart hochentwickelte Technik nicht auf einer Welt geduldet, die ihm und seinen engsten Vertrauten vorbe­halten war.«

»Wir können also mit einiger Wahr­scheinlichkeit sagen, daß die Erbauer der Stadt erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Jardiehanoor gelangten.«

»Vielleicht waren sie Schiffbrüchige, so wie wir auch«, nickte Verkonder. »Das wür­de ihre Bemühungen erklären, auf sich auf­merksam zu machen.«

»Ich weiß nicht.« Atlan gab sich skep­tisch. »Wenn etwas zu plausibel klingt, ist es meistens nicht zutreffend. Die Zeichnungen in der Ebene, die doch allem Anschein nach einen Hinweis auf diese Stadt bildeten, die Spukgestalten, die uns in eine ganz be­stimmte Richtung drängen wollten, und dann die gedanklichen Rufe, die du so inten­siv vernehmen konntest – das alles kann un­möglich Hunderte oder gar Tausende von Jahren alt sein. Inzwischen müssen längst die Nachfahren jener Schiffbrüchigen leben. Sie haben wohl kaum noch Interesse daran, jemanden um Hilfe zu bitten. Und weshalb sollten die Fremden Unterschiede zwischen uns beiden machen? Sie kennen uns nicht, wissen nichts über die Umstände, unter de­

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nen wir nach Jardiehanoor gelangt sind. Dennoch spürtest du angeblich Haß, wäh­rend ich nicht das geringste wahrnehmen konnte.«

Verkonder hatte dafür nur eine einzige Er­klärung:

»Ich bin ein Kind dieser Galaxis, Atlan. Du hingegen stammst von Pthor und bist erst vor kurzem hierhergelangt.«

»Gibt es da eine Unterscheidungsmög­lichkeit?«

»Nicht für uns, vielleicht aber für ande­re.«

»Lassen wir es dabei«, schlug Atlan schließlich vor. »Vielleicht finden wir die eine oder andere Antwort auf unsere Fragen, wenn wir uns weiter umsehen.«

Nachdem sie die Spuren ihrer Anwesen­heit beseitigt hatten, verließen sie die Woh­nung. Sie ließen die Tür einen Spalt breit ge­öffnet. Unter Umständen mußten sie noch einmal auf diese Unterkunft zurückgreifen.

Im Aufzug trafen sie auf einen der Be­wohner der Hauses. Atlan grüßte freundlich, erhielt jedoch keine Antwort. Der glatzköp­fige Fremde schien ihn und Verkonder nicht einmal zu bemerken.

»Sie kommen mir vor wie Schlafwand­ler.« Atlan fuchtelte dem Wesen unmittelbar vor der Nase herum, ohne auch nur ein ein­ziges Blinzeln zu erzwingen. »Der Kerl träumt am hellichten Tag.«

Dabei war er nicht einmal sicher, ob er wirklich einen männlichen Vertreter dieser Rasse vor sich hatte. Der Körperbau dieser Hominiden ließ keine äußerlichen Unter­scheidungsmerkmale erkennen. Vielleicht waren sie auch eingeschlechtlich.

Verkonder winkte geringschätzig ab. Nachdem er erst einmal erkannt hatte, daß ihm in dieser Stadt kaum Gefahr drohte, war er drauf und dran, überheblich zu werden. Allerdings bemerkte Atlan, daß er kurz zu­sammenzuckte, als sie das Gebäude verlie­ßen und auf den Platz hinaustraten.

Die Straßen und Wege waren belebter als in den Abendstunden des Tages zuvor. Aber es war noch immer ein Leben wie in Zeitlu­

pe, das sich hier abspielte. Atlan begann, Vergleiche zu ziehen. Er

erinnerte sich der Begegnung mit den Druuf, damals, als das Solare Imperium Perry Rhodans noch in den Anfängen begriffen war.

Die Druuf: Geschöpfe aus einer anderen Zeitebene. Er hatte gegen sie gekämpft – erst im Dienst Arkons und dann, zehntau­send Jahre später, als Bürger Terras.

Entstammten die Bewohner der Stadt ebenfalls einem anderen Universum, in dem die Zeit langsamer ablief?

Noch einmal versuchten Atlan und Ver­konder, Kontakt aufzunehmen. Wiederum blieb es nur bei dem Versuch.

»Wir sind Luft für sie!« schrie Verkonder plötzlich auf. »Wir, die wir vom Neffen per­sönlich erwartet werden.« Atlan reagierte den Bruchteil eines Augenblicks zu spät, um seinen Begleiter noch zurückhalten zu kön­nen.

Der Havare begann zu toben. Wie ein Berserker trampelte er in der nächsten Ein­pflanzung herum und hielt erst ein, als nichts mehr von den Blumen und Sträuchern übrig war. Allerdings fand er dann schnell ein neues wehrloses Opfer. Mit Gebrüll stürmte er auf den Stadtbewohner los, der es gewagt hatte, in seine Nähe zu kommen.

Verkonder schlug zu – einmal, zweimal. Der andere wehrte sich nicht, sondern folgte stur und unbeirrbar seinem Weg.

Das machte den Havaren noch wütender. Als er den Fremden in den Würgegriff

nehmen wollte, schritt Atlan ein. Die folgen­de Auseinandersetzung war schnell beendet. Atlan setzte zum Wurf an, und der Havare wirbelte durch die Luft. Er schlug so ungün­stig auf den Boden auf, daß er vorüberge­hend das Bewußtsein verlor.

»Das nächste Mal beherrsche dich lieber«, murmelte Atlan leise vor sich hin. Ein wenig konnte er mit Verkonder mitfühlen. Die gan­ze Stadt schien so etwas wie ein riesiger, in sich geschlossener Mechanismus zu sein, der inmitten einer feindlichen Umwelt nur für sich selbst existierte und der wohl nur je­

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mandem begreiflich werden konnte, der selbst darin integriert war.

Der Havare kam allmählich wieder zu sich. Während er Atlan noch zornig anstarr­te, erhob sich ringsum ein Gemurmel wie aus Hunderten von Kehlen gleichzeitig.

Atlan wirbelte herum. Die Menge war in Bewegung geraten. Als

wären sie aus einem langen Dornröschen­schlaf erwacht, begannen einige der Men­schen – Atlan hatte keine andere Bezeich­nung für die Hominiden – zu laufen. Immer mehr wurden es, die sich in Richtung auf das vermutliche Zentrum der Stadt entfern­ten. Nichts an ihnen wirkte jetzt noch lang­sam.

Vereinzelte Rufe wurden laut. Atlan muß­te sich anstrengen, um verstehen zu können, was die Leute sich gegenseitig zuriefen.

Als er dann endlich den Sinn der Worte erfaßt hatte, war der große Platz zwischen den Gebäuden schon so gut wie leergefegt. Für Verkonder allerdings schien eine Welt zusammenzubrechen.

7.

»Sie haben Chirmor Flog gefangen!« Immer wieder und immer lauter hallte der

Ruf durch die Straßen. Es war wie ein Freu­denschrei, der die Bürger der Stadt aus ihrer Lethargie riß und ihnen neue Kräfte verlieh.

»Sie haben den Neffen des Dunklen Oheims!«

Große Aufregung hatte sich aller bemäch­tigt. Zu Hunderten strömten sie aus den Ge­bäuden, sammelten sich und marschierten dann vereint durch die Straßen. Atlan sah nur lachende, fröhliche Gesichter. Aber auch jetzt nahm niemand von Verkonder und ihm Notiz.

»Das ist unmöglich«, murmelte der Hava­re. Er war merklich blaß geworden. »Ich glaube es einfach nicht.«

»Weshalb hörst du nicht genauer hin?« meinte Atlan spöttisch, obwohl auch für ihn nur schwer vorstellbar war, daß Chirmor Flog sich einfach gefangennehmen ließ.

Hubert Haensel

Dazu wäre wohl ein größeres Wunder nö­tig gewesen. Aber was wußte er schon von den Mitteln, über die die Stadtbewohner ver­fügten? Vielleicht waren sie den Scuddamo­ren weit überlegen und hatten nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihnen ihre Stärke zu beweisen. Sie haben Chirmor Flog gefan­gen! Der Jubel hätte nicht größer sein kön­nen. Unsagbare Freude und Erleichterung, aber auch Haß und Verbitterung lagen in diesen Worten. Atlan glaubte, jede noch so feine Nuance herauszuhören.

»Ich will es sehen!« forderte Verkonder. »Warum nicht«, erwiderte Atlan. »Die

Menge wird uns hinführen. Wir brauchen ihr nur zu folgen.«

Wenn es tatsächlich der Neffe war, den die Bürger der Stadt in ihre Gewalt gebracht hatten, dann mußten sie ihm feindlich ge­sinnt sein. Wiederholt fragte Atlan sich nach dem. Warum, ohne jedoch eine halbwegs brauchbare Antwort darauf zu finden. Jar­diehanoor war früher ein Stützpunkt des Neffen gewesen – hier hatte er seinen Ur­laub verbracht. Wie konnten dann heute Kräfte auf dieser Welt existieren, die ihn ge­fangennahmen? Irgendwo fehlte da der Zu­sammenhang.

Je weiter sie sich dem Zentrum der Stadt näherten, desto erregter wurde die Menge. Die einzelnen Gruppen fanden sich zu einem Triumphzug zusammen, an dessen Ende At­lan und Verkonder dahinschritten.

Nach nicht einmal zehn Minuten ging es plötzlich nicht mehr weiter.

»Dort vor uns gerät alles ins Stocken«, sagte Atlan, nachdem er von einem Trep­penaufgang aus die Lage überschaut hatte. »Da sind Tausende von Menschen unter­wegs. Ich kann leider nicht allzu viel erken­nen, aber ich habe den Eindruck, daß sie sich um etwas versammelt haben.«

»Sehen wir es uns aus der Nähe an!« Verkonders Stimme zitterte vor Erregung.

Offenbar war er doch nicht so sehr davon überzeugt, daß es unmöglich war, Chirmor Flog zu überwältigen, wie er es Atlan gegen­über behauptet hatte.

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Sie bahnten sich einen Weg durch die Menge. Obwohl sie oft genug ihre Ellenbo­gen gebrauchen mußten, um vorwärtszu­kommen, blieben sie nach wie vor unbeach­tet. Niemanden schien es zu stören, daß sich zwei Fremde in der Stadt aufhielten.

Duldete man sie gar nur aus dem Grund, um Zeugen des Sieges über den Neffen zu haben?

Die feindliche Einstellung der Stadtbe­wohner Chirmor Flog gegenüber hätte auch erklärt, weshalb Verkonder wiederholt bös­artige Schwingungen oder auch etwas wie eine Warnung verspürt hatte, während Atlan davon so gut wie unbehelligt geblieben war. Immerhin war Verkonder ein Spezialkurier des Neffen, während der Pthorer sich genau­genommen als Gefangener der Scuddamoren zu betrachten hatte.

Inzwischen waren sie in dem Gewühl steckengeblieben und mußten sich wohl oder übel dem Tempo der Stadtbewohner anpassen. Nur noch schrittweise kamen sie vorwärts. Atlan bemühte sich zwar, das Ge­schehen zu überblicken, aber eingekeilt in einer wahren Traube von Menschen war es ihm nicht einmal möglich, sich auf die Ze­henspitzen zu stellen. Von allen Seiten wur­de gedrängt und geschoben, doch niemand schien dabei ungeduldig zu werden.

Wenn Atlan den Kopf hob, sah er weit über sich das funkelnde Band einer kühn ge­schwungenen Straße. Kein Fahrzeug beweg­te sich auf ihr.

»Sie sind alle hier«, stellte Verkonder fest. »Da muß schon eine kleine Sensation geboten werden.«

»Wenn sie Chirmor Flog haben«, sagte Atlan, »dann ist das eine Sensation.«

Die Straße, durch die sie geschoben wur­den, mündete in einen großen freien Platz. Dennoch ging es nur unmerklich schneller voran, da bei der Gestaltung des Stadtkerns großer Wert auf Grünanlagen gelegt worden war und niemand Anstalten machte, diese Flächen zu betreten.

Aber was sie dann sahen, verschlug bei­den die Sprache.

In endloser Reihe pilgerten die Bürger der Stadt an einer Art Käfig vorbei. Drei Seiten wurden von Spiegeln gebildet, die konkav waren, und nur die vierte Seite war so, wie man sich gemeinhin einen Käfig vorstellt. Nur sie bestand aus dicken, dicht beieinan­der stehenden Metallstäben. Das Ganze war ein Würfel mit kaum mehr als einem Meter fünfzig Kantenlänge. Atlan starrte durch das Gitter hindurch, unfähig, in diesem Augen­blick auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Das Wesen, das in diesem winzigen Käfig gefangen war, faszinierte ihn, stieß ihn gleichzeitig aber auch mit aller Macht ab.

»Der Neffe des Dunklen Oheims«, flü­sterte Verkonder fast ehrfürchtig. Er schien nicht wahrzunehmen, was der einst Mächti­ge in Wirklichkeit war. Atlan dagegen sah es um so deutlicher. Chirmor Flog war ein Gnom! Ein verkrüppelter, bleichhäutiger Gnom, der sich in eine Ecke des Käfigs ge­flüchtet hatte und um Gnade winselte.

Was immer Atlan sich unter dem Neffen vorgestellt hatte, die Wirklichkeit erschien ihm eher traurig.

Chirmor Flog war nichts als ein müder Abklatsch der Menschen, die sich um ihn her versammelt hatten, die ihn bespuckten und in jeder nur denkbaren Weise zu demü­tigen suchten. Er war kaum größer als ein­hundertzwanzig Zentimeter, hatte einen viel zu groß geratenen Kopf auf einem ver­krümmten, buckligen Körper, weit abstehen­de, spitze Ohren und gelblichen Flaum an­stelle einer Glatze. Auch sein Gesicht wirkte irgendwie unfertig. Ein Eindruck, der durch die Albinoaugen nur noch verstärkt wurde. Die offensichtliche Verwandtschaft zu den Menschen um ihn her konnte jedoch nie­mand leugnen.

Flog kauerte vor einem der Spiegel und stierte ins Leere. Immer wieder schreckte er auf, wenn er angespuckt oder mit Dreck be­worfen wurde. Und wenn er dann eines sei­ner grotesk verzerrten Spiegelbilder sah, bot er nur noch den Anblick eines Häufchens Elend.

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Jeder der Bürger versuchte auf seine Art, den Neffen zu reizen:

»Wo sind deine Freunde, du Mißgeburt der Hölle? – Siehe, wir sind gekommen, um über dich zu richten. Das Urteil wird schrecklicher sein als der Tod, den du uns zugedacht hattest …«

Chirmor Flog schlug sich die Hände über den Kopf. Mit langen Stangen brachten die Menschen ihn wieder dazu, daß er sie und seine Spiegelbilder ansah. Spott und Hohn waren die Antwort auf seinen gequälten Aufschrei.

Verkonder rührte sich nicht. In Hockstel­lung hatte er sich neben dem Käfig nieder­gelassen und hielt die Augen geschlossen. Fühlte er gar mit dem Neffen?

Auch Atlan wurde plötzlich von Mitleid gepackt. Was immer Chirmor Flog in sei­nem langen Leben zu verantworten hatte, wieviel Angst und Schrecken er auch ver­breitet haben mochte, es war trotz allem menschenunwürdig, so mit ihm zu verfah­ren, ihn in einer Weise zu demütigen, die jegliche Achtung vor intelligentem Leben vermissen ließ.

Atlan merkte nicht, daß sich Gedanken­gänge einschlichen, die nicht seine eigenen waren. Innerhalb kürzester Zeit war Verkon­der in eine Konzentration verfallen, die wohl nur in Extremsituationen in dieser Stärke er­reicht werden konnte. Er hatte es erneut ge­schafft, Verbindung zu Atlans Extrasinn auf­zunehmen.

Du mußt Chirmor Flog retten! Wohl ein dutzendmal dachte der Havare

nur diesen einen Satz, bevor er schweißge­badet aufschreckte. Es war nicht leicht ge­wesen, und er wußte nicht, ob der erhoffte Erfolg sich auch einstellen würde. Auf Dy­koor waren es andere Umstände gewesen, die es ihm ermöglicht hatten, ohne Atlans Wissen mit dessen Extrasinn zu kommuni­zieren.

Was Verkonder nicht ahnte: Atlan über­legte bereits, wie dem gequälten Neffen zu helfen war. Dieser verängstigte, zitternde Gnom bedeutete kaum noch eine Gefahr.

Hubert Haensel

Vielleicht ließ sich mit ihm eine Überein­kunft treffen, die für beide Seiten Vorteile bot.

Für Chirmor Flog konnte sie bedeuten, daß er eine eingeschränkte Freiheit wieder­erlangte – Atlan hatte keineswegs die Ab­sicht, ihn laufenzulassen -; für Pthor und dessen Bewohner wäre damit unter Umstän­den die endgültige Hinwendung zum Guten ausgelöst worden.

Du Narr, wie kannst du Mitleid haben mit einer Bestie?

Atlan schrak zusammen, als er unverhofft die Stimme in seinem Innern vernahm.

Die Bestie, wie du den Neffen nennst, gab er lautlos zurück, ist immerhin ein mit Intel­ligenz ausgestattetes Wesen.

Entschuldigt das seine Taten? Nein! Atlan hatte nicht die Absicht, sich auf ei­

ne längere Diskussion einzulassen. Dennoch steht ihm das Recht zu, sich zu

verteidigen. Dann rette ihn, du Narr. Rette Chirmor

Flog, und du wirst sehen, wo du bleibst. War das ein Vorschlag gewesen, eine For­

derung oder gar eine Warnung? Atlan wußte es nicht. In letzter Zeit hatte sein Extrasinn wiederholt recht eigenartige Anweisungen und Ratschläge gegeben, die er sich nicht er­klären konnte.

Er beschloß deshalb, vorerst abzuwarten und zusammen mit Verkonder aus einiger Entfernung zu beobachten, was weiter ge­schah.

*

Nach und nach verlief sich dann die Men­schenmenge, und in gleichem Ausmaß schienen sich Wut und Haß der Leute zu le­gen. Nur noch vereinzelt erschienen sie vor dem Käfig, um den Neffen wie ein Stück Vieh zu betrachten und ihn zu verspotten.

Atlan gewann den Eindruck, daß die Stadtbewohner in ihre alte Lethargie zurück­fielen, sobald sie sich erst einmal von dem Gefangenen abgewandt hatten. Je weiter sie sich entfernten, desto langsamer wurden ihre

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Bewegungen. Fast schien es, als lebten sie nur für ihre

Rache, als bekäme ihr Leben nur in den we­nigen Augenblicken einen Sinn, in denen sie den Neffen demütigen konnten.

»Versuchen wir es jetzt?« fragte Verkon­der leise, als fürchte er sich davor, von ir­gend jemand außer Atlan gehört und ver­standen zu werden.

Atlan sah sich um. Es war niemand mehr in ihrer Nähe.

Chirmor Flog sank förmlich in sich zu­sammen, als er schnelle Schritte auf sich zu­kommen hörte. Furchterfüllt starrte er Atlan und Verkonder entgegen.

Während Atlan um den Würfel herum­ging und ihn interessiert von allen Seiten be­trachtete, blieb der Havare unmittelbar vor dem Käfig stehen. Er mußte sich bücken, um mit dem Gefangenen auf eine Höhe zu kommen.

»Wer bist du?« fragte er stockend. »Ich dachte, du kennst Chirmor Flog.« Atlan war überrascht. »Nein.« Verkonder schüttelte den Kopf.

»Ich habe ihm nie persönlich gegenüberge­standen.«

»Es gibt dennoch keine Zweifel. Flog ist nach Jardiehanoor gekommen, um sich mit uns zu treffen. Die Bürger dieser Stadt müs­sen davon erfahren haben – und sie wußten die sich bietende Gelegenheit zu nutzen.«

»Man nennt mich den Neffen des Dunklen Oheims«, sagte da der Gnom mit brüchiger Stimme, aber in einwandfreiem Garva-Guva. »Befreit mich aus ihrer Ge­walt, und ich werde es euch zu danken wis­sen.«

»Wer ist der Dunkle Oheim?« fragte At­lan wie aus der Pistole geschossen. Die Ant­wort ließ allerdings eine Weile auf sich war­ten.

»Ich weiß es nicht«, behauptete der Gnom.

»Weißt du es wirklich nicht, oder willst du es uns nicht sagen?«

»Weshalb sollte ich schweigen, hängt doch mein Leben von euch ab.«

»Es ist gut, wenn du wenigstens das er­kannt hast, Chirmor Flog.«

»Was kannst du uns bieten?« wollte Ver­konder wissen. Nur mühsam verhaltene Gier sprach aus seinem Blick.

»Freiheit für Pthor!« forderte Atlan. »Wer oder was ist Pthor?« »Die Gelegenheit ist günstig«, drängte

Verkonder, ohne auf anderes zu achten. »Wer weiß, wann sie den Käfig von hier wegholen.«

Aber Atlan zögerte. Die Frage des Neffen hatte ihn zumindest nachdenklich werden lassen. Den Ausschlag zu seinem weiteren Handeln gab dann jedoch sein Extrasinn, das sich erneut meldete.

Du wolltest die Rätsel der Schwarzen Galaxis ergründen, Freund Atlan. Vergiß nicht, daß du hier den Schlüssel zu vielen Geheimnissen in der Hand hältst. Willst du ihn achtlos wegwerfen?

Nein, das wollte er nicht. Schon gar nicht, wenn er an das unsagbare Leid dachte, das Pthor im Auftrag der Herren der Schwarzen Galaxis über unzählige Welten gebracht hat­te. Wenn es ihm wirklich gelang, mit dem Neffen zu fliehen, gewann er damit einen nicht hoch genug einzuschätzenden Vorteil. Doch wie sollten sie Chirmor Flog befreien? Sein Käfig schien aus einem Stück gegos­sen. Nahtlos fügten sich die Seitenteile an­einander, und auch die Metallstäbe ließen keinen Ansatzpunkt erkennen. Atlan tastete fast jeden Quadratzentimeter der Oberfläche ab. Er fand nichts, was auf einen wie auch immer funktionierenden Öffnungsmechanis­mus hingedeutet hätte. Aber nach allem, was sie in den wenigen Stunden ihres Aufent­halts in der Stadt gesehen hatten, konnte die angewandte Technik nicht so fremdartig sein, als daß eine rein mechanische Funkti­onsweise hätte unentdeckt bleiben können.

»Irgendwie müssen sie Chirmor Flog doch hineingebracht haben«, überlegte Ver­konder.

Atlan reagierte ungehalten und warf ihm einen wütenden Blick zu.

»Weshalb hilfst du uns nicht weiter?«

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wandte er sich dann an den Neffen. »Schließlich geht es um dich und nicht um uns.«

»Ich kann es nicht«, antwortete der Gnom. »Ich war ohne Besinnung.«

»Das ist auch eine Entschuldigung.« At­lan konnte es sich selbst nicht erklären, wes­halb er plötzlich so gereizt war.

Zum wiederholten Mal sah er sich um. Ihm fiel auf, daß nirgendwo Wachen postiert waren, wie es der Bedeutung des Gefange­nen angemessen gewesen wäre. Waren die Bewohner der Stadt sich seiner so sicher, daß sie einen Fluchtversuch gar nicht erst in Erwägung zogen?

Keiner der Hominiden zeigte sich. Sie hatten ihr Schauspiel gehabt und sich an der Hilflosigkeit des Neffen ergötzt. Wollten sie ihn nun dadurch zermürben, daß sie sich nicht mehr um ihn kümmerten?

Verkonder schien ähnliche Gedanken ver­folgt zu haben. Er sprach aus, was Atlan dachte:

»Sie müssen doch wissen, daß zwei Frem­de sich in ihrer Stadt aufhalten.«

»Vielleicht halten sie uns für ungefähr­lich.«

Noch während Atlan das sagte, fiel sein Blick auf einen Stein am Rand einer der vie­len Anpflanzungen. Er hob ihn auf und wog ihn prüfend in der Hand.

»Könnte gehen«, murmelte er dann, mehr zu sich selbst als für Verkonder bestimmt.

Im nächsten Augenblick schlug er zu. Mit aller Kraft schmetterte er den Stein gegen einen der Spiegel.

Das Resultat war ein fürchterlicher Krach. Chirmor Flog schrie entsetzt auf und glaubte wohl, sein Ende sei gekommen. In der re­flektierenden Oberfläche des Würfels ent­stand jedoch nicht einmal ein Kratzer.

Atlan versuchte es noch einmal, mit ge­nau demselben Erfolg. Dann warf er den Stein mit einer resignierenden Bewegung von sich.

»Das kann doch nicht alles gewesen sein?« fragte Verkonder leise.

Aber es war fast alles. Atlan hatte höch-

Hubert Haensel

stens noch die Möglichkeit, den Anzug der Vernichtung einzusetzen, wenn er auch nicht wußte, wie dies vor sich gehen sollte.

Dicht preßte er sich an den Käfig; die bei­den jeweils zwanzig Zentimeter langen an­tennenförmigen Höcker auf den Achseln des Goldenen Vlieses berührten einen der Spie­gel. Fast gleichzeitig ertönte ein unheilvolles Kreischen. In Sekundenschnelle spielte sich dann alles ab.

Nacheinander wurden die Seiten des Wür­fels matt, zeigten Risse und Sprünge und platzten förmlich auseinander. Feinkörniger roter Staub war alles, was blieb. Staub, wie er überall auf Jardiehanoor anzutreffen war.

Diesmal spürte auch Atlan die Impulse des Hasses, die über sie hereinbrachen. Sie hatten den Neffen des Dunklen Oheims be­freit und sich damit gegen die Stadtbewoh­ner gestellt, also mußten sie auch damit rechnen, von diesen als Feinde eingestuft zu werden.

Verkonder nahm kaum wahr, daß Atlan den Rückzug befahl. Er hatte genug damit zu tun, sich auf den Beinen zu halten. Nur Chirmor Flog wollte unverzüglich davonren­nen, wurde jedoch von einer hart zupacken­den Hand daran gehindert.

»So nicht, Freundchen!« funkelte Atlan ihn wütend an. »Wir haben dich herausge­holt, also wirst du uns auch Gesellschaft lei­sten. Oder willst du zurück in deinen Käfig? Dort kommen schon die ersten, um dich wieder einzufangen.«

Atlan deutete auf eine aufgebrachte Horde Weißgekleideter, die aus einer der Straßen herangestürmt kam. Alle Langsamkeit schi­en von ihnen abgefallen zu sein. Sie schwan­gen verwegen aussehende Waffen, und ihre wütenden Schreie ließen nichts Gutes erwar­ten.

»Zurück zur Plattform!« Atlan zog den Gnom einfach hinter sich her. Verkonder reagierte nur zögernd, folgte ihnen dann aber doch so schnell er es unter den gegebe­nen Umständen vermochte.

»Sie haben Chirmor Flog entführt! Haltet sie auf!

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43 Die Rache der Kerneeten

Immer größeres Echo fand das Gebrüll der Verfolger. Steine flogen heran, waren aber zu schlecht gezielt, um jemanden ge­fährden zu können.

Und dann blitzte es vor ihnen auf. Atlan hatte plötzlich das Gefühl, die Welt

um ihn her würde in einem einzigen Aufglü­hen vergehen. So stark war der blendende Schein gewesen, den er unmittelbar vor sich gesehen hatte, daß er für kurze Zeit nur noch schemenhaft erkennen konnte, was geschah.

Bedrückende Stille breitete sich aus.

*

Überall blitzte es nun in unablässiger Rei­henfolge auf.

Das grelle Licht, von vielfältigen Refle­xionen nur noch verstärkt, schmerzte den Augen.

»Sie haben uns«, stöhnte Verkonder. Tränen verschleierten Atlan die Sicht,

aber er erkannte dennoch, daß ihre Verfolger wie aufgescheuchtes Wild auseinanderlie­fen. Sie schienen sich ebenfalls nicht erklä­ren zu können, was geschah.

Dann begriff Atlan. Der Angriff galt nicht Verkonder und ihm …

Er galt der Stadt. »Seht!« Der Untergang vollzog sich mit er­

schreckender Lautlosigkeit. Häuser, Brücken und Straßen sanken in sich zusam­men. Alles wirkte wie ein Haufen bunter Spiegelscherben, die jemand zerschlagen hatte.

Plötzlich starrte Verkonder voller Entset­zen in die Höhe. Atlan folgte seinem Blick und zuckte ebenfalls zusammen.

Zum Ausweichen war es bereits zu spät. Ein mehrere hundert Meter langes Teil­

stück hatte sich aus einer der zusammenbre­chenden Schwebestraßen gelöst. Es stürzte genau auf Atlan, Verkonder und den Neffen zu.

Im letzten Moment verging es in einem irrlichternden Aufblitzen, nur wenige Meter über den Köpfen der Männer. Nur noch fei­

ner roter Staub rieselte auf sie herab. »Scuddamoren!« Verkonders Aufschrei

zeugte von einer ungeheuren Erleichterung. Er ließ aber auch die Anspannung deutlich werden, unter der er zuletzt gestanden hatte.

Auch Atlan sah die schattenhaften Gestal­ten, die von allen Seiten auf sie zukamen. Sie trugen merkwürdig geformte Waffen mit sich, die ihn entfernt an Projektoren erinner­ten.

Worauf die Scuddamoren diese Waffen auch richteten, alles splitterte wie Glas und zerfiel innerhalb weniger Sekunden zu Staub.

Ein erstickter Schrei ließ Atlan herumfah­ren. Er war schnell genug, um das er­schreckende Ende des Neffen noch miterle­ben zu können. Chirmor Flog stand steif und starr wie eine aus Marmor gehauene Statue, bevor er einfach umkippte und in Hunderte winziger Bruchstücke zerplatzte. Alles, was von ihm blieb, war ein schnell verwehender rötlicher Schleier.

Einer der Scuddamoren kam auf Atlan und Verkonder zu, noch bevor sie Zeit fan­den, sich von ihrer Überraschung zu erholen.

»Ich bin Darziner«, klang es dumpf hinter dem Schattenschild hervor. »Ich bin erleich­tert, euch endlich gefunden zu haben.«

Mit zitterndem Arm vollführte Verkonder eine kreisförmige Bewegung.

»Was hat das alles zu bedeuten?« wollte er wissen.

Darziner produzierte eine Serie undefi­nierbarer Töne, die wohl ein Äquivalent menschlichen Lebens darstellten.

»Uneingeweihte«, sagte er, »geraten im­mer wieder in die Fallen der Kerneeten.«

Atlan verstand, daß alles wieder nur ein Trugbild gewesen war – ein sehr reales al­lerdings. Die Stadt, ihre Bewohner, selbst der angebliche Chirmor Flog waren nichts anderes als Scheingebilde gewesen, von Wolken roten Staubes geformt.

Aber bisher hatte er angenommen, daß die Hominiden für alles verantwortlich waren.

Wenn nun auch sie nicht wirklich existiert hatten, wer steckte dann hinter allem? Atlan

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und Verkonder erhielten die Antwort darauf, als Darziner ihnen die Geschichte der Ker­neeten berichtete.

*

Vor undenkbar langer Zeit war Jardieha­noor ein schöner, freundlicher Planet gewe­sen. Nicht umsonst hatte der Neffe des Dunklen Oheims, Chirmor Flog, auf dieser Welt einen feudalen Urlaubssitz errichten lassen, von dem aus es ihm möglich war, die Geschicke des Marantroner-Reviers auch während seiner Abwesenheit von Säggallo in gewohnter Weise zu lenken.

Jardiehanoor war ohne hochstehendes tie­risches und pflanzliches Leben gewesen. Aber in seinen Meeren hatte bereits eine Entwicklung begonnen gehabt, die schließ­lich dazu führte, daß korallenähnliche Kri­stallbänke sich im Lauf vieler Jahre über alle Küsten ausbreiteten und sogar erste eigen­ständige Inseln aus den Tiefen der Ozeane heraus entstanden.

Irgendwann fand jemand heraus, daß die komplizierten halborganischen Muster die­ser Kristalle mit zunehmender Größe auch so etwas wie ein eigenes Bewußtsein ent­wickelten. Chirmor Flog, der zweifellos eine nicht zu unterschätzende Gefahr darin sah, gab den Befehl, dieser bedrohlichen Ent­wicklung ein für alle Mal einen Riegel vor­zuschieben.

Tausende und Abertausende von Kernee­ten wurden vernichtet – zerstäubt, denn Jar­diehanoor sollte nicht durch Sekundärwir­kungen offensiver Waffensysteme unbe­wohnbar gemacht werden.

Was niemand hatte vorhersehen können, war, daß der Staub sich nicht innerhalb kür­zester Zeit niederschlug, sondern daß er sich im Gegenteil in der Atmosphäre verteilte und dort einen dichten Mantel um den Pla­neten bildete. Auch in dieser Form hatten die Kerneeten ihr einmal entwickeltes Be­wußtsein behalten. Sie zwangen Chirmor Flog nicht nur zur Aufgabe seines Stütz­punkts, indem sie mit immer neuen Trugbil-

Hubert Haensel

dern die Besatzung verwirrten, sondern auch des ganzen Planeten.

Korallen. Auf den Bildern, die Atlan ge­sehen hatte, waren also die eigentlichen Her­ren Jardiehanoors in ihrer früheren Existenz dargestellt worden.

Er fand, daß die Kerneeten eine durchaus positive Entwicklung genommen hatten. Selbst das, was von ihnen noch geblieben war, schien nach Schönheit und Vollkom­menheit zu streben. Anders waren die vielen bunten Blumen und die Ästhetik der Bau­werke und Fahrzeuge wohl nicht zu erklä­ren.

Trauerten die Kerneeten ihrem verlore­nen, wirklichen Leben nach?

In ihrer jetzigen Form spielten sie immer wieder die erhoffte Rache durch. Deshalb auch der Haß, der von dem Kollektivbe­wußtsein ausgegangen war, allem gegen­über, was in Zusammenhang mit dem Nef­fen oder den Scuddamoren stand.

Wahrscheinlich lag auch die Antwort auf die Frage, weshalb der rötliche Staub Pflan­zen und Wasser mied, während er doch sonst alles auf Jardiehanoor bedeckte, in der Mentalität der Kerneeten begründet.

In ihren Pseudostädten, so erklärte Darzi­ner, richteten sie über gefangene Pseudo-Neffen. Atlan und Verkonder hätten es selbst erlebt.

Inzwischen aber hatten die Scuddamoren eine Waffe entwickelt, die Chirmor Flog ei­ne Rückkehr nach Jardiehanoor ermöglichte. Mit Hilfe der Projektoren war es möglich, sämtliche Truggebilde der Kerneeten zu neutralisieren. Wäre es anders gewesen, hät­te der Neffe des Dunklen Oheims den Staub­planeten längst vernichten lassen. So aber konnte er darauf hoffen, die Künste der Ker­neeten eines Tages zu ergründen und für sei­ne eigenen Zwecke zu nutzen.

Zu mißbrauchen, dachte Atlan, wäre der treffendere Ausdruck gewesen.

Freudiges Wiehern ließ ihn aufsehen. Ein Einhorn kam in leichtem Trab auf ihn zu. Stolz hatte es den Kopf mit dem mächtigen Horn erhoben.

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45 Die Rache der Kerneeten

Das Tier mußte länger als einen Tag drau­ßen vor der nun nicht mehr existierenden Kuppel auf Atlans Rückkehr gewartet ha­ben. Er erkannte es an den matten Flecken in seinem glänzenden Fell, die vom Kampf mit der fleischfressenden Pflanze herrührten.

Keine fünf Meter trennten das Einhorn noch von Atlan, als einer der Scuddamoren seine Waffe abfeuerte. Atlan hätte aufschrei­en können. Wie ein Stich fuhr es ihm durch die Brust, als er das Tier tödlich getroffen stürzen sah. Ohne daß ihn jemand daran hin­dern konnte, sprang er hinzu und strich dem Einhorn über die Nüstern. Ein einziger Blick aus tiefgründigen Augen dankte es ihm, be­vor die gequälte Kreatur unter letzten Zuckungen starb. Atlan wandte sich zu dem Scuddamoren um, der noch immer seine Strahlwaffe in der Hand hielt.

»Weshalb hast du das getan?« fuhr er ihn zornig an.

»Du bist wichtig für den Neffen. Wir ha­ben die Aufgabe, dich zu schützen.« »Aber ich wurde nicht angegriffen.«

»Es sah so aus.« Damit wandte der Scud­damore sich ab und ließ Atlan einfach ste­hen.

»Es wird Zeit«, sagte Darziner und deute­te auf die Gleiter. »Wir müssen zurück zum Stützpunkt. Du hast eine Aufgabe zu erfül­len, Atlan. Bereite dich darauf vor.«

Ein letzter Blick ging in die Runde. Nichts war von der Stadt geblieben – nichts außer trostloser roter Wüste.

8.

Der Flug nahm mehr als eine Stunde in Anspruch. Darziner gab sich während dieser Zeit äußerst wortkarg. Die einzige Erklä­rung, die ihm noch zu entlocken war, war die, daß die Kerneeten den Gleiter nicht an­greifen würden.

»Die Projektoren, die wir an Bord mitfüh­ren«, erklärte er, »hüllen uns in ein ständiges Neutralisationsfeld. Uns kann also nichts ge­schehen.«

»Dann war es ein großer Fehler, Verkon­

der und mich ohne diese Vorrichtung von der KYR aus zum Stützpunkt bringen zu wollen«, stellte Atlan daraufhin fest. Er er­hielt keine Antwort.

Der Stützpunkt des Neffen erinnerte an ei­ne große radförmige Raumstation, nur mit dem Unterschied, daß er sich zu mehr als ei­nem Drittel unter der Oberfläche Jardieha­noors erstreckte. Aber auch so war der An­blick noch mehr als imposant.

Atlan schätzte den äußeren Durchmesser auf mindestens drei Kilometer. Die Station bestand aus zwei ineinanderliegenden Rin­gen, deren gemeinsames Zentrum von einer alles überragenden Kugel gebildet wurde.

Darziner steuerte den Gleiter auf dieses Zentrum zu. Als sie dann in einen Hangar einflogen, kam Atlan sich klein und unbe­deutend vor. Wer aus dieser Station entkom­men wollte, hatte von vorneherein kaum ei­ne Chance.

»Folgt mir!« befahl Darziner, nachdem sie gelandet waren und den Gleiter verlassen hatten.

Vom Hangar aus gelangten sie in einen taghell erleuchteten Gang, der sich spiralför­mig in die Höhe wand. Das grelle Licht schmerzte den Augen, die noch an die über­all auf Jardiehanoor herrschende rötliche Dämmerung gewöhnt waren. Sie benutzten Antigravschächte und Laufbänder.

»Wohin bringst du uns?« fragte Atlan nach einer Weile, als er vollständig die Ori­entierung verloren hatte. Sein fotografisches Gedächtnis konnte ihm nur den Rückweg aufzeigen, nicht aber seinen augenblickli­chen Standort innerhalb des Stützpunkts.

»Chirmor Flog erwartet uns?« »Ihr werdet den Neffen nicht sehen«, er­

widerte Darziner endlich. »Er befindet sich nicht auf dem Staubplaneten.«

»Nein?« machte Atlan überrascht. »Aber aus welchem Grund hat man uns dann her­geholt?«

»Du wirst es früh genug erfahren. – Hier hinein!«

Darziner drängte sie in einen mittel­großen, kahlen Raum, der von seiner sterilen

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Atmosphäre her durchaus ein Krankenzim­mer hätte sein können. Außer einer Schlaf­gelegenheit an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers und einem Videoempfänger standen in der Mitte nur noch zwei einfache Sessel und ein kleiner runder Tisch. In ei­nem der Sessel kauerte eine in sich zusam­mengesunkene Gestalt, die nicht darauf rea­gierte, daß Darziner sie ansprach.

»Wer ist das?« »Lardor. – Er wurde vom Neffen ge­

schickt. An ihm sollst du unter Beweis stel­len, was dein Gerät wirklich vermag. Wenn Lardor aber stirbt …« Darziners Handbewe­gung war eindeutig. Atlan nickte.

»Ich werde mein Bestes geben«, ver­sprach er, und er meinte es ehrlich. Lardor rührte sich auch dann noch nicht, als Atlan sich in den freien Sessel ihm gegenüber fal­len ließ. Der Pthorer erkannte, daß er einen Noot vor sich hatte, einen der untersetzten, breitschultrigen Echsenabkömmlinge. We­sen dieser Rasse hatte er erstmals auf Xudon kennengelernt. Aber auch ohne daß er Ver­gleiche anstellte, wußte er, daß mit Lardor einiges nicht stimmen konnte. Die normaler­weise hellblaue Schuppenhaut des Noots war dunkel verfärbt und wies viele fast schwarze Flecken auf. Der Kopf, dem eines Frosches nicht unähnlich, wirkte schlaff und eingefallen. Am Schlimmsten aber war es um das fingerlange, in der Schädelmitte sit­zende Rauchhorn bestellt, das wie ein über­flüssiges Anhängsel seitlich herabbaumelte.

»Was ist mit ihm?« wollte Atlan wissen, nachdem der Noot auf wiederholte Versu­che, ihn anzusprechen, nicht reagiert hatte.

»Er ist krank«, sagte Darziner schnell. »Eine unheilbare Seuche, die er sich auf sei­nem Heimatplaneten Trimor zugezogen hat. Diese Krankheit führt innerhalb kürzester Zeit zum Tod. Lardor hat das letzte Stadium erreicht, in dem bereits alle Sinneswahrneh­mungen ausgelöscht sind.«

»Wie lange hat er noch zu leben?« »Einen halben Tag vielleicht, länger auf

keinen Fall.« »Ich werde ihm helfen.«

Hubert Haensel

»Das ist gut. Der Neffe hat nichts anderes von dir erwartet. Wenn du versagst, wird Lardor sterben. Aber er ist alt, und sein Tod bedeutet keinen Verlust für uns. – Und nun komm, Atlan. Die Operation ist vorbereitet. Es wird alles schnell gehen.«

Die Zeit drängt! dachte Atlan bitter. Mit gemischten Gefühlen folgte er dem Scudda­moren in die Krankenstation. Ob er wollte oder nicht, er war gezwungen, die zweite Operation innerhalb weniger Tage über sich ergehen zu lassen, nachdem der Zellaktiva­tor sich wieder in die alte Mulde in seiner Brust gesenkt hatte.

Atlan hätte viel dafür gegeben zu wissen, wie dringend Chirmor Flog seiner Hilfe be­durfte. Hatte bei dem Neffen bereits der zu erwartende rapide Zellverfall eingesetzt, so wie dies bei Thalia der Fall gewesen war, oder fürchtete er sich nur davor, eines Tages alt zu werden und schließlich zu sterben?

Als Atlan aus der Narkose wieder auf­wachte, konnte noch nicht viel Zeit vergan­gen sein, wie er an vielen kleinen Details zu erkennen glaubte. Die frische Wunde schmerzte etwas; sie war genäht worden. Aber als ihm jemand seinen Zellaktivator in die Hand drückte, waren alle Schmerzen wie weggeblasen. Zweiundsechzig Stunden hätte er ohne dieses für ihn lebenswichtige Gerät auskommen können, kaum länger.

Atlan versuchte aufzustehen, fühlte sich aber noch schwach auf den Beinen. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er nackt war.

»Meinen Anzug!« forderte er. Ein Robo­ter brachte ihm das Goldene Vlies, in das er dann schnell hineinstieg. Danach war ihm wohler.

Er brauchte nicht lange zu warten, bis Darziner erschien und ihn durch eine verwir­rende Vielzahl großzügig angelegter Gänge und Räumlichkeiten zur Unterkunft des kranken alten Noots führte.

Atlan betrat allein das Zimmer. Schon auf den ersten Blick erkannte er, daß das Befin­den des Echsenwesens sich verschlechtert hatte. Abschätzend wog er den Zellaktivator in seiner Hand.

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Sicher, er würde helfen können, doch was kam dann?

Atlan hatte Mitleid mit dem Noot, der für den Neffen nichts anderes war als ein Ver­suchskaninchen. Schnell hängte er ihm des­halb den Aktivator um und setzte sich dann in den Sessel gegenüber. Die Robotkameras, die dicht unter der Decke des Raumes schwebten und ihre Objektive auf das Ge­schehen gerichtet hatten, entgingen ihm nicht. Deshalb also hatte Darziner ihn allein gelassen.

Atlan nahm an, daß die fliegenden Kame­ras jede noch so winzige Kleinigkeit direkt nach Säggallo übermittelten, wo Chirmor Flog in diesem Augenblick, wahrscheinlich vor den Empfängern kauerte und der weite­ren Entwicklung entgegenfieberte.

Atlan wußte nicht, ob auch der Ton über­tragen wurde, was eigentlich unnötig gewe­sen wäre. Jedenfalls setzte er sein freund­lichstes Grinsen auf und winkte dann direkt in eine der Kameras.

*

Man mußte kein Mediziner mit Fremdras­senerfahrung sein, um zu erkennen, daß der Noot sich rasch erholte. Nach nicht einmal zehn Minuten schlug er zum erstenmal die Augen auf. Jedoch irrte sein Blick noch ziel­los durch den Raum, ohne irgendwo länger zu verweilen oder gar Erkennen zu zeigen. Lardor verfiel dann in einen kurzen, unruhi­gen Schlaf. Atlan, der ihn unentwegt beob­achtete, bemerkte, daß sich die Farbe der Schuppen aufhellte. Die schwarzen Flecken verschwanden fast völlig, und ein helles Blau wurde wieder dominierend.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde wachte der Noot erneut auf. Diesmal be­merkte er Atlan.

»Wer … bist … du …?« kam es stockend aus seinem breiten Froschmaul.

»Mein Name ist Atlan. Aber das wird dir nichts sagen …«

»Oh doch.« Lardors Gesicht wurde zur schmerzverzerrten Grimasse. »Alle Vulkane

Trimors sollen dich verschlingen – du bist schuld an meinem Tod. Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet.«

»Aber ich …«, begann Atlan, wurde je­doch sofort unterbrochen.

»Kannst du mir helfen, ja oder nein?« Der Noot schrie es förmlich aus sich hinaus.

»Ich habe es bereits getan«, antwortete Atlan. »Sieh dich doch an.«

Eine Weile war es still, während Lardors Augen immer weiter aus ihren Höhlen her­vorquollen.

»Bei der Unversehrtheit meines Rauch­horns«, stieß er schließlich hervor. »Du sagst die Wahrheit.«

»Hast du daran gezweifelt?« »Ja«, gab Lardor offen zu. »Oder was

würdest du von jemandem halten, dessent­wegen du zum Tode verurteilt wirst?«

»Du behauptest, ich sei schuld an deiner Krankheit …«

»Das wollte ich damit sagen.« »Aber, verdammt, ich war nie auf Trimor.

Ich kenne deine Heimatwelt nicht.« Wieder war es für kurze Zeit still in dem

Raum. Auch die Kameras erzeugten nicht das leiseste Geräusch.

»Ich glaube, wir reden aneinander vor­bei«, brach Lardor schließlich das Schwei­gen. »Du scheinst wirklich nichts zu wissen. Außerdem muß ich dir zugute halten, daß du mir geholfen hast. Nur noch wenige Stun­den, und ich wäre tot gewesen.«

Atlan erhob sich und begann eine unruhi­ge Wanderung durch das Zimmer. Immer wieder blieb er plötzlich stehen und schaute zu den Robotkameras hoch, die jede seiner Bewegungen verfolgten.

»Ich fange an zu verstehen«, sagte er. »Chirmor Flog hat dich absichtlich mit einer tödlichen Krankheit infizieren lassen. Er wollte die Wirkungsweise meines Zellakti­vators unter extremen Umständen testen. Auf ein Leben kommt es ihm dabei nicht an. Wie fühlst du dich jetzt?«

»Wie neugeboren«, behauptete Lardor spontan. »Ich habe die Seuche überwunden. Mir ist, als wäre ich wieder jung.«

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Eine Stunde hatte der Noot den Zellakti­vator getragen und war, wenn seine Anga­ben stimmten, völlig geheilt worden. Äußer­lich war ihm jedenfalls nichts mehr anzuse­hen.

Ein kratzendes Geräusch ließ Atlan zur Decke hochblicken. Durch eine Öffnung, die eben erst entstanden war, verschwanden die Kameras aus dem Raum.

Der Test ist beendet! signalisierte Atlans Extrasinn.

Tatsächlich betraten wenig später Darzi­ner und einige andere Scuddamoren das Zimmer. Sie machten keinen Hehl aus ihrer Verwunderung, hatten sie Lardor doch vor kurzem noch als todkranken Mann gesehen, der bereits völliger Apathie anheimgefallen war.

»Du hast das Unmögliche tatsächlich ge­schafft«, wandte sich Darziner an Atlan, und in seiner Stimme lag etwas, das der Pthorer als Bewunderung deutete.

Atlan antwortete nichts darauf. Eine Er­klärung hätte sicher nur die Begierde der Scuddamoren geweckt.

Nun würde Chirmor Flog wohl endgültig davon überzeugt sein, daß nur Atlan ihm helfen konnte. Die Demonstration an dem todkranken Noot hätte eindrucksvoller nicht sein können. Darziner deutete auf den gene­senen Alten.

»Bringt ihn fort!« befahl er. Lardor sträubte sich, aber er konnte gegen die Scud­damoren, die ihn mit sich schleppten, nichts ausrichten.

»Was habt ihr mit ihm vor?« wollte Atlan wissen. Da Darziner ihm nicht antwortete, mußte er das Schlimmste annehmen. Aber er hatte keine Möglichkeit, noch etwas für den alten Noot zu tun. Wahrscheinlich hatte Chirmor Flog sogar den Befehl gegeben, ihn zum Schweigen zu bringen, um damit einen lästigen Mitwisser loszuwerden. Atlan be­zweifelte, daß seine Rettungstat unter diesen Umständen überhaupt einen Sinn gehabt hatte.

Nachdem Lardor von den Scuddamoren weggeschafft worden war, wandte Darziner

Hubert Haensel

sich wieder Atlan zu. »Ich werde dir jetzt deine Unterkunft zei­

gen«, sagte er. »Du stehst unter Bewachung und hast den Raum nicht eher zu verlassen, als wir Nachricht von Säggallo erhalten. Der Neffe wird seine Entscheidung jedoch bald getroffen haben.«

Atlan war überrascht, eine ganze Zimmer­flucht zugewiesen zu bekommen, die alles enthielt, was er zu seiner Bequemlichkeit benötigte. Bevor Darziner dann verschwand, bat er ihn um verschiedene Materialien. Der Scuddamore versprach, sie ihm schnellstens zu besorgen.

*

Atlan war empört über die barbarischen Methoden des Neffen. Während er allein war, hatte er Zeit genug, sich über sein wei­teres Vorgehen klar zu werden. Er konnte den alten Noot nicht vergessen, nicht dessen resignierenden Blick, als die Scuddamoren ihn fortgeschafft hatten. Welcher Brutalität mußte ein Lebewesen fähig sein, das sich nichts daraus machte, andere mit tödlichen Krankheiten zu infizieren, nur um des eige­nen Vorteils willen? Der Begriff Bestie war für Chirmor Flog sicherlich zutreffend.

Atlan hatte dem kranken Noot helfen kön­nen. Gleichzeitig aber sah er das Problem, das nun auf ihn zukam, immer größer wer­den. Der Neffe schien von Grund auf böse, sein Charakter so negativ, daß es wohl un­möglich war, ihm mit dem Zellaktivator zu helfen.

Wie allerdings Chirmor Flogs Reaktion auf einen Fehlschlag ausfallen würde, dar­über gab Atlan sich keiner Illusionen hin. Es würde ein Spiel auf Leben und Tod werden, bei dem nur einer gewinnen konnte.

Wahrscheinlich stellte der Neffe in die­sem Augenblick bereits Überlegungen an, wie er den Zellaktivator Atlans für sich al­lein in Anspruch nehmen konnte. Obwohl ihm über Verkonder bekannt geworden war, daß das lebenserhaltende Gerät auf die Zell­schwingungen seines augenblicklichen Be­

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sitzers eingestellt war und er nicht wissen konnte, ob es ihm jemals möglich sein wür­de, diese Einstellung zu seinen Gunsten zu verändern. Aber es entsprach der Mentalität des Bösen, daß ewiges Leben immer nur für einen da sein konnte – für die eigene Person.

Der Grund aller Hoffnungen, Zweifel und Befürchtungen lag neben Atlan auf dem Tisch. Da er bereits die Erfahrung gemacht hatte, daß der Aktivator, sobald er ihn sich umhängte, wieder in seine Brust eindrang, hatte er sich eine Platte angefertigt, die dies verhindern sollte. Das benötigte Material hatte Darziner ihm besorgt.

Die Metallplatte schmiegte sich eng um Atlans Brustkorb und würde unter dem Gol­denen Vlies nicht auftragen. Gerade als er die letzte Probe zufriedenstellend beendet hatte, betrat Verkonder das Zimmer.

»Es geht weiter, Atlan. Die Scuddamoren haben Nachricht von Säggallo erhalten, daß sie uns unverzüglich an Bord der KYR zu bringen haben.«

»Hat der Neffe selbst den Befehl gege­ben? Erwartet uns etwa wieder eine neue Zwischenstation?«

Verkonder zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Atlan. Mir wurde nur

bedeutet, daß Darziner persönlich unser Pi­lot sein wird.« Er stockte und starrte ver­blüfft auf die Brustplatte, die Atlan soeben endgültig anlegte. »Was hast du vor?« fragte er dann.

»Ich habe nicht die Absicht, mich einer dritten Operation zu unterziehen«, antworte­te Atlan. »Sobald ich mir den Aktivator um­hänge, wird er wieder in meiner Brust ver­schwinden. Aber ich werde das Gerät in ab­sehbarer Zeit benötigen – dann nämlich, wenn ich Chirmor Flog gegenüberstehe. Aus diesem Grund habe ich mir einen Schutz an­gefertigt, der von dem Aktivator nicht durchdrungen werden kann.«

Ihm entgingen die begehrlichen Blicke nicht, mit denen Verkonder immer wieder das für ihn lebenswichtige Gerät anstarrte.

»Du kannst ihn auch mir übergeben«, sag­te der Havare schließlich. »Dann kannst du

dir die Mühe sparen.« Naiver hätte er es wohl kaum anfangen

können. »Ich will dich nicht damit belästigen«, er­

klärte Atlan lächelnd, hängte sich den Zel­laktivator um und schloß das Goldene Vlies.

Verkonders Blick zeigte dessen Enttäu­schung nur zu deutlich.

*

Der Flug zurück zur KYR verlief diesmal ohne Zwischenfälle. Nie kamen die wallen­den Staubschleier in der Atmosphäre Jardie­hanoors nahe an das Beiboot aus dem Stütz­punkt heran. Die Wirkung der Projektoren drosselte die Aktivitäten der Kerneeten völ­lig.

Nur wenige Minuten dauerte es, bis das riesige Organschiff, das den Planeten noch immer in einem stabilen Orbit umkreiste, in Sicht kam. Darziner wurde ein Landeplatz in einem Hangar der Hauptkugel zugewiesen.

Sobald die Schotte geschlossen und die Halle mit Sauerstoff geflutet waren, mußten Atlan und Verkonder aussteigen. Ein Kom­mando, aus mehreren Robotern und einem Scuddamoren bestehend, holte sie ab und geleitete sie zur Zentrale, wo sie bereits von Wassleng erwartet wurden.

»Der Neffe des Dunklen Oheims hat mir Anweisungen übermitteln lassen«, eröffnete der Kommandant der KYR in einem Ton­fall, der die Wichtigkeit dieser Mitteilung deutlich hervorhob. »Dir, Atlan, soll ich sa­gen, daß er über deinen Erfolg bei Lardor sehr zufrieden ist und dir große Ehre zuteil werden läßt, indem er künftig ebenfalls Nutznießer deiner Kräfte wird.«

»Wir fliegen nach Säggallo?« wollte At­lan wissen. Ihm war nicht entgangen, daß die KYR inzwischen Fahrt aufgenommen hatte.

»Im Direktflug«, bestätigte Wassleng. Das Organschiff beschleunigte mit

Höchstwerten. Atlan sah sich dadurch in sei­ner Vermutung bestärkt, daß Chirmor Flog schon ungeduldig auf die ersehnte Hilfe

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wartete. KYR mit Überlichtgeschwindigkeit ihrem Würde er dem Neffen bald von Angesicht neuen Ziel entgegenraste: der Hauptwelt des

zu Angesicht gegenüberstehen? Wenn ja, Marantroner-Reviers. was erwartete ihn?

Sieh dich vor! Diese lapidare Warnung seines Extrasinns

verfolgte ihn die nächsten Stunden, während

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 426 von König von Atlantis mit:Der Arkonide und der Herrschervon H. G. Francis