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Die Reformierte Kirche in Herisau – Ein Kulturdenkmal

Die Reformierte Kirche in Herisau – Ein Kulturdenkmal · 2019. 11. 13. · Ein Kulturdenkmal. Baugeschichtliches (907–2001) 907 1225 1516–1520 1529 1559 1606 1741 1782–1783

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Die Reformierte Kirche in Herisau –

Ein Kulturdenkmal

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Baugeschichtliches (907–2001)

907

1225

1516–1520

1529

1559

1606

1741

1782–1783

Herisau wird erstmals urkundlich mitder Salvator Basilika als Kirchenort er-wähnt. Die alte Pfarrei umfasst dasganze Appenzeller Hinterland.

Einweihung des Kichenneubausdurch den St.Galler Abtbischof Ru-dolf von Güttingen.

Neubau der Kirche im spätgotischenStil durch den Konstanzer Münster-baumeister Lorenz Rieder.Charakteristika: mächtiger Kirchturmmit rustikalem Mauerwerk, schlichterLangbau mit hellem Chorraum, an-grenzende St.Anna-Wallfahrts-kapelle.

Herisau tritt als letzte Kirchhöri vonden äusseren Rhoden zur Reforma-tion über.

In einer grossen Feuersbrunst brenntdie Kirche völlig aus.

Teilweise Zerstörung im Dorfbrandund Wiederaufbau durch Jakob Mit-telholzer und Kaspar Germann.

Baumeister Johannes Grubenmannvon Teufen AR gibt dem Kirchturm sei-ne markante Gestalt mit achtseitigemHelm und ausladender Glockenstube.

Durchgreifende Renovation im Roko-kostil durch Architekt und StuckateurAndreas Moosbrugger aus dem Vor-arlberg.

Die Holzdecke wird durch ein Gipsge-wölbe ersetzt und mit aufwändig ge-stalteten Stuckaturen verziert. Kanzelund Taufstein aus Stuckmarmor wer-den ebenfalls von Andreas Moos-brugger geschaffen. Erstellung derWest- und Nordempore durch denHerisauer Zimmermeister Hans JakobKnellwolf.

Überführung der grossen Glockeaus dem aufgehobenen Reichs-kloster Salem.

Nordseitiger Archiv-Anbau (heute Sa-kristei) durch Baumeister Konrad Lan-genegger.

Einbau der ersten Orgel im Chor derKirche.

Renovation der Kirche im Stil der Neu-gotik.

Gesamt-Renovation unter Rückbesin-nung auf ursprüngliche Bauqualitä-ten durch Architekt Max Rohner.

Ersatz der alten Orgel durch eineneue Orgel auf der Westempore.Freilegung des spätgotischen Wand-tabernakels im Chor.Glasgemälde an drei Spitzbogenfens-tern im Chor nach Entwürfen von Kö-bi Lämmler.

Renovation der Aussenfassade.

1807

1811

1879

1906

1959–1960

1961

2000

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Kirchturm und Glocken

Obwohl der Turm mit seiner mittelal-terlichen, rustikalen Turmschaft aneinen Wehr- oder Wachtturm erin-nert, geht man heute davon aus,dass er schon von Anfang an alsKirchturm gedacht war. Er geht imKernbestand wohl auf das 13. Jahr-hundert zurück.In der Turmstube des etwa 52 m ho-hen Turmes hängen sechs Glocken.Die Grösste davon wurde 1756durch den Glockengiesser Fanz An-ton Grieshaber für das Kloster Salemennet dem Bodensee geschaffen.1807 erwarb die Gemeinde Herisaudiese Glocke für 8000 rheinische Gul-den. (8000 Gulden entsprachen um1810 in Herisau dem Wert von acht

mittelgrossen Bauernhäusern.) DieGlocke hat einen Durchmesser von218 cm, ist 177 cm hoch und wiegtgeschätzte 9'120 kg.Auf einem Lastkahn wurde die Glo-cke über den Bodensee nach Ror-schach transportiert. Zwanzig Pferdezogen darauf den Wagen mit derkostbaren Last durch St.Gallen nachHerisau. Um den drohenden Einsturzder baufälligen Holzbrücke über dieSitter zwischen Stocken und Kräzernzu verhindern, führten kluge Fuhr-leute zuerst die Pferde über die Brü-cke, verbanden darauf Pferde undWagen mit langen Seilen und liessendiesen so durch die Pferde unbe-schadet über die gefährdete Brückeziehen.Die Salem-Glocke trägt die Inschrift:‚Im Anfang war das Wort, und dasWort war bei Gott, und das Wort warGott'. In der Folge wurden die bishe-rigen Glocken 1871 eingeschmol-zen, neu gegossen und ertönen seit-her in einem harmonischen Geläut.Es ist auf das der katholischen KirchePeter und Paul abgestimmt. Dassechsteilige Geläut der evangelisch-reformierten Kirche zählt zu denschönsten der Schweiz.

Die Führung mit Erläuterungen überKirche, Kirchturm und Glocken ist fürGruppen oder Familien möglich.Anmeldung und nähere Informatio-nen beim Mesmer der Evang.-ref.Kirchgemeinde, Tel. 071 351 26 15

Kirchturmführung

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Meditative Gedanken zu den Glasbildern

Entwürfe von Köbi Lämmler, Kunstmaler aus St.GallenGestaltung von Andreas Kübele aus St.GallenTexte von Esther Furrer, Pfarrerin in Herisau (2011)

Glasgemälde und ihre Bedeutung

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Die Weisung zum Leben

Durch den Tod ins Leben

Gott hat seinem Volk gezeigt, wer erist: Ein Gott, der da ist. Ein Gott, derbefreit. Nach der Befreiung aus derKnechtschaft in Ägypten, zeigt sichGott – Jhwh – Ich bin da – in der Wüs-te noch von einer anderen Seite:Als ein Gott, der sich eine dauerndeBeziehung zu seinem Volk wünscht.Mose hört die Worte auf dem BergSinai/Horeb und schreibt sie auf.Es ist ein Gesetz, das aus Dankbarkeitzu Gott leicht zu erfüllen ist, denn esliegt dem menschlichen Herzen nah.So schwingt in der hebräischen Formder 10 Weisungen / Gebote nebendem „Du sollst“ ein „Du wirst“ mit.Die Gottesbegegnung und die Wei-sung lassen den Himmel in hellengelblichen Feldern schwirren. Nachdem Bundesmahl und der Verlesungder Weisung verpflichtet sich Israeldarauf, nach ihr zu leben. Wie gutist es zu wissen, wie Leben gelingenkann.

Das mittlere Fenster stellt die wich-tigste Hoffnung der Christen dar.Kreuz und Auferstandener sagenuns: Leben ist stärker als Tod. Im unte-ren Teil sind die drei Kreuze und dieDunkelheit von Karfreitag zu sehen.Rot angedeutet: Blut, Schmerz, Trau-er. Der eine rote Fleck erinnert an einHerz. Da ist einer seinen Weg der Lie-be bis zum Ende gegangen.

Wie gut für uns zu wissen, dass esseither kein Dunkel mehr gibt, woGott nicht auch wäre. In meiner Trau-er, in meinem Sterben bin ich nichtmir überlassen.Gott bleibt der Anwesende. Der Im-manuel, Gott mit uns.Im selben Bild, darüber: Licht. DerAuferstandene. Uns zugewandt, dieHände erhoben. Zeigt er seine Wund-male wie in alter Malerei häufig?Oder ist es die Geste der Freude, desGlücks, der Leichtigkeit? Oder stehter vor allem da vor uns und segnetuns? Als wollte er sagen: Du gehstauf mich zu, wie sehr auch immer dudich verstrickst. Deine Zukunft isthell.

Kurz bevor Jesus gefangengenom-men wird, feiert er mit seinen Jün-gern und Jüngerinnen das Passah-mahl, das an die Befreiung aus derKnechtschaft in Ägypten erinnert.Die zwölf Apostelfiguren stehen sym-bolisch für alle, die Jesus nachfolgen.So können sie auch für uns stehen.Ich bin eingeladen, mich von Chris-tus durch Brot und Saft der Traubenstärken zu lassen. Er gibt, was ich mirselber nicht geben kann. Kostbares.Ich atme auf. Lieben fällt leichter. Zu-versichtlich gehe ich unter seinemSegen weiter. Mit dieser Ahnung:Gott ist mein Anfang und meine Voll-endung.

Gestärkt werden

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Besonderheiten und Geschichten

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Rokoko-Stuckaturen

1782 wurden im Netzgewölbe desChors sowie an der Decke des Schiffsdurch Meister Moosbrugger Roko-ko-Stuckaturen eingefügt. Er brach-te das Kunststück einer gelungenenStilvereinigung zwischen Spätgotikund Spätbarock fertig, von der eingeradezu berückender Zauber aus-geht.Vorbild für die dekorative Ausgestal-tung waren wohl die Motive der da-mals in Herisau blühenden feinenGoldstickerei auf Baumwollgewe-ben.

Spätgotischer Tabernakel

Der Wandtabernakel an der nordsei-tigen Chorwand erinnert an die Zeit,als die Kirche noch katholisch war. Imsogenannten Sakramentshäuschenwurde die geweihte Hostie für dieEucharistie aufbewahrt. Solche Zier-gehäuse waren typisch für die goti-sche Baukunst. Beim Umbau 1782wurde es mit Verputz zugedeckt. Beider Gesamtrenovation 1959/60 wur-de der Tabernakel wieder sichtbar ge-macht und unter Verwendung desoriginalen Steinwerkes rekonstru-iert.Heute befindet sich hinter dem neu-en schmiedeeisernen Gitter eine Kan-ne für den Abendmahls-Traubensaft.

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Der Wappenstein

Der Wappenstein an der Nordseiteder Kirche war ehemals über demHauptportal angebracht. Es zeigtden Appenzeller Bären mit 2 Schlüs-seln (Jahrzahl 1517). Dies hat fol-gende Bewandtnis: Im Jahre 1512standen 600 Appenzeller im Söld-nerheer, welches Papst Julius II. half,die Franzosen aus Mailand zu ver-treiben. Dafür erlaubte der Papst denAppenzellern, fortan die Schlüsseldes Vatikans in ihr Landeswappenaufzunehmen.Sie machten jedoch von dieser Ehrekeinen Gebrauch. Im selben Jahr er-teilte Papst Julius II. einen Ablasszum Kirchenneubau.

Der Bourbaki-Gedenkstein

Ostseits vor der Kirche steht die klei-ne Bourbaki-Stele. Das aus weissemMarmor gefertigte Denkmal wurdezur Erinnerung an die 21 hier ver-

storbenen Soldaten der französi-schen Bourbaki-Armee erstellt. ImRahmen des Deutsch-FranzösischenKriegs (1870–1871) nahm die Ge-meinde Herisau im Februar / März1871 insgesamt 1150 Angehörigeder in die Schweiz abgedrängtenBourbaki Armee auf. Aus Mitleid mitden völlig erschöpften und fast aus-nahmslos katholischen Interniertenwurde diesen erlaubt, ihre Gottes-dienste in der reformierten Kirche ab-zuhalten und ihre Toten auf demFriedhof zu bestatten. Nach Aufhe-bung des Ebnet-Friedhofs (1876)wurde der Gedenkstein an seinenheutigen Standort versetzt

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Die Seitenkapelle

An der Nordseite des Langhauses be-findet sich die Seitenkapelle. Sie wur-de beim Bau der Kirche (1516 bis1520) als Wallfahrtskapelle samt ei-genem Altar erbaut. Sie war mit ei-nem runden Schwibbogen mit demKirchenschiff verbunden. Die Frauenhielten sich bei überfüllter Kirchenicht nur auf der Seitenempore, son-dern auch in dieser Kapelle auf undlauschten der Predigt. Ob das so ge-nannte Frauenchörli seither auch„Schwatzchörli“ hiess, steht in kei-ner Chronik geschrieben.Bei der Gesamtrenovation 1959/60wurde der Raum zur Taufkapelle um-gebaut und mit einer Tür versehen.Das masswerklose Spitzbogenfens-ter ist mit einem farbenglühendenGlasgemälde ausgestattet, das dieTaufe Jesu am Jordan darstellt.

� Entwurf von Köbi Lämmler

Literatur

Steinmann, Eugen. Reformierte Kirche von Herisau. Basel 1976 (Schweizerischer Kunstführer)Steinmann, Eugen. Die reformierten Kirchen beider Appenzell. Herisau 1978.Herisau: Geschichte der Gemeinde Herisau. Herisau 1999Herisau: Bilder einer Gemeinde, Herisau 1984

� Die Reformierte Kirche Herisau ist Eigentum der Einwohner-gemeinde Herisau. Die Kirche steht unter Denkmalschutz.�

Nach dem Neubau des evangelisch-reformierten Kirchgemeindehausessoll die Seitenkapelle als Raum derStille genutzt werden.

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