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Die S3-Leitlinie„Psychosoziale Therapien bei
schwerenpsychischen Erkrankungen“
-
und was jetzt?
Stefan Weinmann, Thomas BeckerWiss. Beirat Psychiatrie-Verlag, 11.06.2015, Günzburg
LEITLINIENENTWICKLUNG
ArbeitsgruppeTeamleitung T. Becker, S.
Riedel-Heller, S. Weinmann
Expertengruppe17 Expert/innen
Konsensusgruppe40 Organisationen
Externes Peer-Review
Leitlinienentwicklung supervidiert durch Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) Methoden-Standards
• ABFOLGE DER SUCHE UND BEWERTUNG
WWW.DGPPN.DE
Definition klinisch relevanter Fragestellungen Diskussion in Konsensus-Runde
Entwicklung von Kriterien für die Evidenzsuche
Entwicklung von Kriterien für die Evidenzbewertung Systematische Reviews/Meta-Analysen, Studien
Literatur-Recherche und Extraktion der StudienChecklisten, Extraktionstabellen, Evidenztabellen
Zusammenfassung/ Synthese der Review- und Studien-Ergebnisse zu den jeweiligen Interventionen
• STRUKTURIERTE KONSENSUSFINDUNG
WWW.DGPPN.DE
Erster formalisierter Gruppenprozess - Diskussion der präsentierten Evidenz
- Einschätzung der klinischen Relevanz - Einigung über Bereiche, in denen Evidenz fehlt
Beantwortung der klinischen Fragestellungen - Formulierung evidenz- und konsensbasierter Empfehlg.
Zweiter formalisierter Gruppenprozess- Konsentierung der Empfehlungen mit Empf.-Stärke- Diskussion des Entwurfs des Hintergrundtextes
Ausarbeitung des endgültigen Leitlinientextes- Zirkulation Experten- und Konsensrunde/ DGPPN
Kommentare
Von der Evidenz zur Empfehlung
Evidenz EmpfehlunghochMetaanalysenhochwertiger RCTmoderatkontroll. StudienBeobachtungsstudien
schwach/sehr schwachExpertenmeinung
KKP – klinischer Konsensuspunkt
A „soll“starke Empfehlung B „sollte“Empfehlung
C „kann“Empfehlung offen
Kriterien für „up/down grading“• Konsistenz der Studienergebnisse• Klinische Relevanz der Endpunkte und Effektstärken• Nutzen-Risiko-Verhältnis• Ethische Verpflichtungen• Patientenpräferenzen• Anwendbarkeit, Umsetzbarkeit
Was ist das Besondere an dieser Leitlinie?
Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen (SMI)
• Schizophrene, schizoaffektive, andere psychotische Störungen, bipolare affektive Störungen, schwere depressive Störungen, schwere Persönlichkeitsstörungen
• Erkrankungsdauer mindestens 2 Jahre • signifikante Effekte auf Aktivitäten des täglichen Lebens
und soziales Funktionsniveau
Ruggeri et al 2000
Die Zielgruppe:
1. Diagnose- übergreifende
r Ansatz
Somatische
Therapiever-fahren
(Direkte) Beeinflussung psychopatho-logischer Symptome
individuums-zentriert
Sozio-therapeutisc
he Interventione
n Verbesserung
individueller Möglichkeiten, in der Gemeinschaft zu leben
Einbezug des sozialen Umfeldes
Psycho-therapeutische Verfahren
Beeinflussung dysfunktionaler emotionaler, kognitiver u.Ver-haltensmuster
individuums-zentriert
Das Behandlungsspektrum psychischer Störungen
Therap. Milieu, Empowerment/ Recovery, Empathie
Behandlung somatischer Erkrankungen
2. Breiter Zugang, breite
Outcomes
Querschnittthemen
Interventionen auf Systemebene
Einzelinterventionen
•Therapeutische Haltung•Therapeutisches Milieu•Empowerment•Recovery•Selbsthilfe
•Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische teambasierte Behandlung
•Case Management•Arbeitsrehabilitation•Unterstütztes Wohnen
•Psychoedukation•Training sozialer Fertigkeiten•Ergotherapie•Künstlerische Therapien•Sport & Bewegung
Psychosoziale Interventionen
Interventionen auf
Systemebene
Einzel-interventionen
• Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische teambasierte Behandlung
• Casemanagement• Arbeitsrehabilitation (supported Employment ,
trad. Vorgehen)• Unterstütztes Wohnen
• Psychoedukation• Training sozialer Fertigkeiten• Ergotherapie• Künstlerische Therapien• Sport und Bewegung
Querschnitts-themen
• Milieutherapie (Therapeutische Gemeinschaften, Milieugestaltung)
• Therapeutische Beziehung (Empowerment, Recovery)• Recovery
• Selbsthilfe und verwandte Konzepte
3. Adressierung grundlegender
Aspekte psychosozialen
Handelns
Die Bedeutung eines Migrationshintergrundes für die Behandlung schwer psychisch kranker Menschen
Psychosoziale Therapien bei Kindern und Jugendlichen Psychosoziale Therapien im höheren Lebensalter
4. Schnittstellen in der psychiatrischen
Versorgung von schwer psychisch
kranken Menschen
Kapitel 5.1-5.3
Sozialrechtliche Rahmenbedingungen Sozialpsychiatrische Behandlung und
Rehabilitation in den verschiedenen Settings (ambulant, teilstationär, stationär)
Integrierte Hilfen zur Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung
Sozialpsychiatrische Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinde
Vernetzung und Kooperation5. Verankerung der
einzelnen Interventionen im
deutschen Versorgungssystem
Kapitel 4 (Matrixkapitel)
Methodische Herausforderungen
Auswahl der „Interventionen“:• nach Verfügbarkeit in der Literatur?
- Evidenzsuche und –bewertung dessen, was beforscht wird?
- Prüfung der Übertragbarkeit ins deutsche System?
• nach dem, was die Konsensusgruppe als relevante „Intervention“ betrachtet?- Welche Optionen in der Behandlung gibt es in
Deutschland?- Suche und Bewertung nach „Evidenz“
Vorgehen S3-LL• Kernbestandteile/ psychosoz.
Kerninterventionen- System-Interventionen- Einzelinterventionen- Grundlagen/ Hintergrund (Recovery,
Milieutherapie, Empowerment)• Wo und wie werden diese (Prinzipien) in
Deutschland angeboten/ umgesetzt?• Sind die Ergebnisse (Evidenz) nach
Deutschland übertragbar?
Bewertung der „Evidenz“:
Vieles, was bei Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung wichtig ist, sind keine „Interventionen“, also nicht experimentell prüf- und untersuchbar mittels randomisierter (auch oft nicht mittels kontrollierter oder rein epidemiologischer) Studien
Beispiel für die Frage nach Übertragbarkeit:
Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische
teambasierte Behandlung – ist sie wirksam?
Ambulante gemeindepsychiatrische Ansätze (nach Becker 2008)
nicht primär aufsuchendprimär aufsuchend
HomeTreatment
ACT
Sozialpsy-chiatrische Dienste
Instituts-ambulanzen
Team
Akuität
Case Manageme
nt
CMHT
(CMHT: Community Mental Health Team, ACT: Assertive Community Treatment)
Intensive Case Management
Multiprofessionelle gemeinde-psychiatrische teambasierte Behandlung
1) Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische Teams (Community Mental Health Teams =CMHT)
2) Aufsuchende gemeindepsychiatrische Behandlung (Assertive Community Treatment = ACT)
3) Akutbehandlung im häuslichen Umfeld (Home Treatment)
Effekte von Akutbehandlung im häuslichen Umfeld (Home Treatment)
MetaanalyseCochrane Review
MetaanalyseNICE-
LeitlinieSchizophreni
e
Randomisierte
kontrollierte Studie
Joy 2006 NICE 2009 Johnson 2005
McCrone 2009
Krankheitsassoziierte Merkmale
Sterbefälle ~ ~ ~ Symptomschwere + + + Allgemeinzustand ~ + k.A.Behandlungsassoziierte
Merkmale
stationäre Aufnahmen in akuter Phase
k.A. ++ ++
stationäre Wiederaufnahmeraten ++ ~ ++1
stationäre Behandlungszeiten k.A. ++ ++ Behandlungsabbrüche ++ ++ k.A.Merkmale sozialer Inklusion/Exklusion
Beschäftigungssituation ~ k.A. k.A. Haftstrafen, Gewaltaktivitäten ~ k.A. ~Zufriedenheit und erlebte Belastungen
erlebte Belastungen, Angehörige ++ k.A. k.A. Patientenzufriedenheit ++ ++ + Angehörigenzufriedenheit ++ k.A. k.A.Kosteneffektivität
Kosteneffektivität + ++ ++
++: signifikanter Vorteil in Interventionsgruppe gegenüber Kontrollgruppe; +: tendenzielle Überlegenheit ohne signifikanten Unterschied in Interventionsgruppe gegenüber Kontrollgruppe, oder kleine Stichprobe~: Ergebnisse vergleichbar in beiden Gruppenk.A.: keine Angaben zu dieser Zielgröße: Reduktion, : Erhöhung
Gemeindepsychiatrische teambasierte multiprofessionelle ambulante Behandlung in definierten Regionen soll zur Versorgung von Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung etabliert werden.Empfehlungsgrad: A, Evidenzebene: Ia
Multiprofessionelle gemeindepsychiatrische Teams sollen Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung wohnortnah und erforderlichenfalls aufsuchend behandeln.Empfehlungsgrad: A, Evidenzebene: Ia
Menschen mit schweren psychischen Störungen in akuten Krankheitsphasen sollen die Möglichkeit haben, von mobilen multiprofessionellen Teams definierter Versorgungsregionen in ihrem gewohnten Lebensumfeld behandelt zu werden.Empfehlungsgrad: A, Evidenzebene: Ia
Empfehlungen 1-3
Umsetzung der Leitlinie?
Zentrale Herausforderungen für die Anwendung:- Adressaten- Entscheidungsspielraum- Interessen- Indikatoren??
Umsetzung der Leitlinie- Implementierbarkeit (was erhöht die Aufnahme der LL)
- Adaptierbarkeit an lokale Bedingungen- Nutzbarkeit - Relevanz, - Validität, - Kommunizierbarkeit- Implikation für Ressourcen- Evaluierbarkeit
- Interventionen zur Förderung der Anwendung der LL
- Rahmenbedingungen im dt. Gesundheitssystem
Der Effekt der Implementierung psychiatrischer Leitlinien auf die Versorger (Psychiater, Allgemeinärzte) und die Versorgungsergebnisse
Wenig Evidenz zu Implementierung, nur 18 publizierte Studien! - 9 RCT, 6 nicht-randomisierte kontrollierte
Studien, 3 Prä-Post-Studien- Studies mit positivem Outcome benutzten
- complex multifaceted interventions - specific psychological methods to
implement guidelines
Welche Methoden kamen zur Leitlinienimplementierung zum Einsatz?1. Laufende Qualitätsverbesserung2. Akademische Vermittlung3. Verbreitung von Schulungsmaterial4. Interventionen, die Patienten mit einbeziehen5. Marketingtechniken6. Audit und Feedback7. Erinnerungshilfen
Girlanda et al 2013
Unklarheit über wirksame Strategien
zur Änderung von Therapien und
Versorgungsmodellen
Gross et al Med Care 39:85-92 (2001); Bero et al BMJ 314:465-68 (1998)Grol,Grimshaw Lancet 362:1225-30 (2003)
effektiv ab und zu effektiv selten effektivBesuch von Peers vor Ort
Prüfung und Rückmeldung
Schriftliche Verbreitung von LL
Erinnerungshilfen(manuell/elektronisch)
Einbindung lokalerMeinungsführer
Passive Fortbildung(z.B. Vorträge)
Interaktive Fortbildungim Qualitätszirkel
Lokale Konsensus-prozesse
Kombinierte Strategie
Patientenbeteiligung
Was bewirkt Veränderung (Leitlinienkonformität)?
PROZESS
Juli 2009 Kick-off-Veranstaltung
Januar 2011Letztes von 7 Konsensus-treffen
November 2012Erscheinen der Leitlinie
Mai 2013 Internet-präsenz unter dem Dach der DGPPN
2014 Erscheinen der Patienten-Leitlinie & der Warte-zimmerversion
2017 geplante Aktualisierung der Leitlinie
2014 Entwicklung einer Kurzversion der Leitlinie
Daneben sind zahlreiche Publikationen in Fachjournalen entstanden. Inhalte der Leitlinie wurden auf verschiedenen Kongressen, Tagungen, in Workshops etc. vorgestellt.
Bsp. Patienten- und Angehörigen-Leitlinie
• unter Mitarbeit von Vertretern des BPE e.V. und des BApK
• Entwicklung von 2 Versionen: eine „Langversion“ und eine Ultrakurz- bzw. Wartezimmerversion
• VerschiedeneSprachen …
• AKTIVITÄTEN ZUR LEITLINIE
WWW.DGPPN.DE
Hier findet sich eine Vielzahl an Veröffentlichungen in Fachjournalen zur und um die Leitlinie
Zudem sind zu (fast) allen Themen Präsentationsfolien entwickelt worden
Weitere Publikationen- Zeitschriftenartikel- Bücher für Professionelle- Bücher von/ für Betroffene(n)
LL als Referenz für Publikationen?
(Psychiatrie-)politische Modelle- Versorgungsverträge § 118 SGB V- Integrierte Versorgung § 140 a SGB V/ § 140 d SGB V (Gesamtbudget)
- Versorgungsvertrag § 17 d KHG- „Basismodell“ Steinhart/Wienberg/Koch- …….
Ohne Paradigmenwechsel in der Psychiatrie ist diese Leitlinie gar
nicht umsetzbar
Paradigmenwechsel:- Psychische Gesundheit als Teil der Person, nicht die Person als psychiatrischer Patient
- Eine wertgeschätzte soziale Rolle verbessert Symptome/ Belastung und verringert Klinikaufnahmen eher als Behandlungen, die notwendig erscheinen, damit die Person wieder Verantwortung und soziale Rollen übernehmen kann
- Menschen mit psych. Erkrankung sind grundlegend normal
- Behandlung muss Evidenz-basierte Interventionen miteinbeziehen, aber orientiert an Recovery-Zielen
Paradigmenwechsel kommt von „außen“ oder innerhalb der Psychiatrie ……?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
Katrin Arnold, GünzburgEsra-Sultan Ay, GünzburgThomas Becker, Günzburg/UlmUta Gühne, LeipzigSteffi Riedel-Heller, LeipzigStefan Weinmann, Berlin/ Basel