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Die semiotische Haut der Dinge Felicidad Romero-Tejedor im Gespräch mit Holger van den Boom VORWORT EINE EINORDNUNG DER THEMENKREIS DESIGN UND DIE WISSENSCHAFTEN DESIGNOKRATIE SEMANTIK KONTEXTE ODER REPRÄSENTATIONEN KOGNITIVES DESIGN WELTERSCHLIESSUNG DURCH SCHEMATA EIN FALSCHER KONSTRUKTIVISMUS SEMIOTISCHER KONSTRUKTIVISMUS UND NUN? GLOSSAR kassel university press

Die semiotische Haut der Dinge - uni-kassel.de · mantik k ont E xt E od E r r E präs E ntation E n k ogniti VE s d E sign w E lt E rschli E ssung durch s ch E mata E in falsch E

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Die semiotische Haut der Dinge

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Design, als semiotische Haut der Dinge, stellt heute vor allem semantische Fragen. Im Ge-spräch miteinander versuchen die Autoren, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Sie plädieren für eine »Quadrivium-Semantik«, durch welche die vorherrschende »Trivium-Semantik« ersetzt oder mindestens maßgeblich ergänzt wird. Mit dem Ziel, eine neue »Moral der Gegenstände« aufzuzeigen.

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Eine Einordnung | 1

Die semiotische Haut der Dinge

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2 | Die semiotische Haut der Dinge

Holger van den Boomgeb. 1943. Ausbildung als Grafikdesigner. Abitur am Abendgymnasium. Studien in Philosophie, Mathema-tik, Theoretischer Physik, Linguistik und Psychologie als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Vol-kes. Promotion 1974. Wissenschaftlicher Mitarbeiter 1974 – 1977 am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Köln. Wissenschaftlicher Assistent 1977 – 1982 am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte der Technischen Universität Berlin. Habilitation 1982. Seither Professor für Designwissenschaft an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Dort Gründer und Leiter der Ar-beitsstelle für Designinformatik. Gastprofessuren im In- und Ausland. Beendigung der Lehrtätigkeit 2008. Lebt und arbeitet als Autor in Lübeck und Barcelona. Letzte Buchpublikationen: Theorie für Alles. Elemente einer Erkenntnistheorie der Physik (2006); Das Designprinzip. Warum wir in der Ära des Designs leben (2011); Realität Verstehen. Warum wir ein kognitives Design brauchen (2012).

Vorhergehende gemeinsame Bücher: Arte Fractal. Estética del Localismo (1998), Design. Zur Praxis des Entwerfens. Eine Einführung (2000, 2003, 2012).

Felicidad Romero-Tejedorgeb. 1967 in Barcelona. Studium Design an der Uni-versität Barcelona, 1990 Licenciatura. 1995 Promotion. Lehraufträge für Design an der HBK Braunschweig und der FH Hannover. Vertretungsprofessur an der FH Flensburg. Seit 2002 Professorin für Design digitaler Medien an der FH Lübeck. 2004 Gründung des Designlabors der FH Lübeck. Organisation und Gestaltung der Hochschulzeitschrift »Öffnungszeiten. Papiere zur Designwissenschaft«. Buchpublikationen: Der denkende Designer. Von der Ästhetik zur Kogni-tion. Ein Paradigmenwechsel (2007); Positionen zur Designwissenschaft (hgg. mit Wolfgang Jonas, 2010); Was verpasst? Gespräche über Gestaltung (2011).

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Die semiotische Haut der Dinge

Felicidad Romero-Tejedor im Gespräch mit Holger van den Boom

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4 | Die semiotische Haut der Dinge

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum: Romero-Tejedor, Felicidad und Holger van den Boom: Die semi-otische Haut der Dinge, Kassel University Press, 2013www.upress.uni-kassel.de

© Felicidad Romero-Tejedor, Holger van den Boom und kassel university press, Kassel 2013

Konzeption, Layout und Cover: Felicidad Romero-TejedorDruckerei: docupoint GmbH, Barleben

ISBN print: 978-3-86219-474-2ISBN online 978-3-86219-475-9

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Eine Einordnung | 5

Vorwort 7

1. Eine Einordnung 9 2. Der Themenkreis 25 3. Design und die Wissenschaften 39 4. Designokratie 53 5. Semantik 67 6. Kontexte oder Repräsentationen? 81 7. Kognitives Design 95 8. Welterschließung durch Schemata 111 9. Ein falscher Konstruktivismus 123 10. Semiotischer Konstruktivismus 137 11. Und nun? 149

Abschließend 25 Thesen 153

Glossar 155 Literatur 164

Inhalt

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6 | Die semiotische Haut der Dinge

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Eine Einordnung | 7

Wir erleben eine Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderun-gen, vor allem durch die digitalen Medien. Geschichte scheint jetzt vorrangig nur noch Technologiegeschichte zu sein. Diese Entwicklung ließe sich charakterisieren durch die Konzepte der Information und des Designs. Es sind dies die beiden Seiten einer Medaille. Information bedeutet Kommunikation, Vernet-zung und Komplexität. Design ist der Versuch, diese drei As-pekte der Gestaltung zu unterwerfen.

Ein solcher Versuch erfordert theoretische Anstrengungen, wie sie selten mit dem Begriff des Designs verbunden wurden. Die vorliegenden Gespräche nehmen Bezug auf zwei Strömungen, die das Thema Theorie konträr beleuchten vor dem Hintergrund eines Bildes von der Gesellschaft und der Welt. Die eine Rich-tung, die augenblicklich noch größere Popularität behauptet, will in der Theorie den Beobachter durch den Partizipanten ersetzen. Die andere Richtung, die wir in diesen Gesprächen verteidigen werden, versucht, die postmodernen Konsequenzen solcher Haltung zu vermeiden, durch eine zeitgemäße Fortset-zung des »Projekts der Moderne«.

Vorwort

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8 | Die semiotische Haut der Dinge

Als Gesprächspartner dieser Unterredungen verfolgen wir das Ziel, unsere in verschiedenen Schriften niedergelegten Über-legungen einem größeren Leserkreis bekannt zu machen und in knapper Form zu erläutern. Dabei sind Wiederholungen aus unterschiedlicher Perspektive zur Orientierung unvermeidlich, aber, wie wir hoffen, auch hilfreich. Die Form des Gesprächs nötigt uns, abstrakte Gedankengänge zu konkretisieren durch das Aufwerfen von Fragen, die ein unvoreingenommener Leser sich stellen könnte. Wir wünschten uns, auf diese Weise unsere Leser zu animieren, eigene Überlegungen anzustellen und die vorgetragenen Gedanken weiter zu denken.

Lübeck, Peñacaballera und Barcelona, Januar 2013, FRT, HvdB

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1. Eine EinordnungD

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10 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Zurzeit erlebt die Designwelt eine Phase der Euphorie in Hinsicht auf Theorie. In der Theorie streiten Standpunkte mit-einander, die jeweils ihren Platz zu behaupten versuchen (»Pro-duktsprache«, »Produktsemantik«, »Design Research«, »Design Thinking«, »Designrhetorik«, »Designmanagement« und ande-re). Eine unmittelbare Frage wäre, ob solche Theorie-Euphorie Relevanz für die Praxis hat. Es könnte ja sein, dass die Theo-retiker an der Praxis völlig vorbei reden. In unseren eigenen Veröffentlichungen denken wir an Anwendung für die Praxis. Durch Erkenntnisse, die den Rahmen einer Designwissenschaft abstecken sollen. Wir ziehen es vor, über »Designwissenschaft« zu sprechen, da unser Anliegen eine anwendbare Wissenschaft ist. Wir glauben nämlich, dass Design heute einen gesellschaft-lichen Stellenwert hat, der in der Designpraxis selbst noch kaum bewusst geworden ist.

HvdB: Designwissenschaft hätte aus dieser Sicht zuerst die Auf-gabe, Design als gesellschaftliches Phänomen zu beschreiben und zu erklären und dadurch die Praxis auf ein aufgeklärteres Niveau zu heben.

FRT: Was unterscheidet dann Designwissenschaft von Soziolo-gie?

HvdB: Der Erklärungsansatz der Designwissenschaft scheint mir in der Tat soziologische Ausgangspunkte zu haben. Was Soziologen in der Regel aber nicht sehen, sind die sehr spezi-fischen Merkmale dessen, was unter Design zu verstehen ist. Soziologen haben häufig einen etwas schlichten Zugang zum Design, das sie meist im Kontext der Konsumgesellschaft be-handeln. Über Design als Styling (»Produktästhetik«) gelangen sie kaum hinaus. Wünschenswert wäre hingegen, Design weni-ger gegenständlich und mehr nach der Seite seiner gesellschaft-lichen Dynamik zu befragen.

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Eine Einordnung | 11

FRT: Die große Varietät der Theorie-Ausrichtungen ist natür-lich schon ein Symptom der Postmoderne – oder welches Wort man dafür auch wählen möchte. Viele Theoretiker des Designs möchten Wissenschaft gern re-definieren, ja re-designen: das jetzt viel zitierte Wort »Forschung durch Design« (research through design, Christopher Frayling) würde es erlauben, die ›rigiden‹ Kriterien ›objektiver Wissenschaft‹ zu umgehen, hin zu einer ›unschärferen‹ Theorie, um einen eigenen Kriterien-Kontext für das Design zu schaffen. Ähnlich wie heute Theo-rien der Kunst, die von den Künstlern selbst gedacht werden (»Künstlertheorien«), neue Beachtung finden.

Theoretiker wie du, welche die Postmoderne in ihrer Entwick-lung kritisieren, da sie gravierende gesellschaftliche Probleme hervorgerufen hat, werden von einigen als visionär, von ande-ren als démodé eingestuft. Bekannte Soziologen wie Manuel Castells oder George Ritzer, vor allem aber Jürgen Habermas, sehen die Notwendigkeit, nach der Postmoderne nochmals auf die Moderne ihren Blick zu richten.

HvdB: Unser gegenwärtiger gesellschaftlicher Zustand lässt sich ganz treffend durch das Wort »Postmoderne« beschreiben. Die Postmoderne hat die Moderne beerbt, das Erbe jedoch zurückgewiesen. Das postmoderne Gesellschaftsverständnis sieht in der Moderne eine antiquierte Weltsicht: Die Welt werde gemäß der Moderne für objektiv erkennbar gehalten und daran ausgerichtet die gesellschaftlichen Institutionen für durch Ver-nunft begründbar. Die Moderne stand ganz im Zeichen einer Aufklärung, die sich an die Vernunft hielt. Das Konzept der Vernunft wird nun in der postmodernen Aufklärung durch das Konzept des Konsenses scheinbar überboten.

Designwissenschaft, wie ich sie sehe, sollte an die Moderne anschließen. Das Projekt der Aufklärung, wie Habermas sagt, ist noch nicht vollendet. Vernünftige Aufklärung ins Design einzu-

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12 | Die semiotische Haut der Dinge

bringen, ins Design, das heute einen maßgeblichen gesellschaft-lichen Stellenwert innehat, scheint mir möglich und notwendig.

FRT: Durch diese Gespräche möchte ich mit dir noch einmal auf deine neueren Schriften zurückkommen, in deren Mittel-punkt deine gesellschaftliche Kritik der Mentalitäten des post-modernen Design-Machens steht. Mir scheint, der Zugang zu deinen Arbeiten ist nicht unbedingt einfach. Leser brauchten oft Vorkenntnisse auf vielen Gebieten, um dir folgen zu können. Vielleicht gelingt es uns, behutsam das eine oder andere noch-mals zu erklären mit dem Ziel, den Zugang zu deinen Schriften zu erleichtern.

Wir werden uns gesprächsweise vor allem auf Das Designprin-zip von 2011 beziehen, sowie auf Realität verstehen von 2012. Du möchtest zunächst einmal Designer davon überzeugen, sich mit einem häufig einfach ausgeblendeten Aspekt des Designs zu befassen, den du »Designokratie« nennst. Hier könnten Desi-gner, die ihre Verantwortung ernst nehmen, nachdenklich wer-den. In der Weiterführung deiner Überlegungen zeigst du Alter-nativen zur Designokratie auf, mit Rückgriff auf die Kognition.

HvdB: Die Komplexität der Themen ist unvermeidlich, da die Dinge eben komplex sind. Ich habe Einstein zitiert, der gesagt hat, mach deine Theorie so einfach wie möglich, aber nicht noch einfacher. Gewisse Vereinfachungen würden den Sinn der Sache verderben. Dennoch gehöre ich zu den Autoren, die vor allem für sich eine Bringschuld sehen, sich klar zu artikulieren. Hierbei gibt es kein optimales Endstadium. Ich nehme aber für mich in Anspruch, meine Texte sehr sorgfältig auszuarbeiten. Wenn Leser mit meinen Büchern gelegentlich Schwierigkeiten hätten, läge mir viel daran, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

In der Tat sehe ich uns von einer Designokratie bedroht, die das lebendige Handeln immer mehr in ein hyperaktives Szenario

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Eine Einordnung | 13

vom Typ ›Dienstleistung‹, die man sich aber selbst erbringt, abrutschen lässt. Ich fasse das in die Formel »vor dem Tun ein Machen«. Würden wir auf diese Rolle des Designs mehr Aufmerksamkeit richten, könnte – so ist meine Hoffnung –, ein Umdenken stattfinden, nicht nur bei professionellen Designern, auch bei denen, die von diesem Design betroffen sind.

FRT: Also, wie würdest du dein Profil in einem Satz vermitteln?

HvdB: Für mich ist es ganz einfach: Es gibt zwei Möglichkeiten im Design. Gutes Design und schlechtes Design. Das schlechte Design charakterisiere ich als formalistisches, nominalistisches oder sozialtechnologisches Design. Das gute Design nenne ich einfach das kognitive Design. Natürlich gibt es dazwischen Übergänge.

Sehr wichtig für mich ist der gesellschaftliche Stellenwert von Design. Design ist für mich längst kein professionelles Problem mehr, sondern ein gesellschaftliches. Das unterscheidet meine von anderen Positionen. Bernhard Bürdek z. B. sieht das De-sign eng von der beruflichen »Disziplin« her, was für meine Bestrebungen viel zu kurz greift. Andere Autoren verstehen das Design als etwas so Nebulöses, dass man sich gar nichts mehr darunter vorstellen kann. Wir erleben gegenwärtig eine Flut von theoretischen Ansätzen in dem, was man sich angewöhnt hat, »Designwissenschaft« zu nennen. Das ist ein neues Phänomen.

FRT: Es ist für Viele schwierig, deine Überlegungen im Kontext des herrschenden Design-Diskurses zu positionieren. Ich denke, dass wir uns mitten in einem Paradigmenwechsel befinden. In der Wissenschaft gibt es normale Zeiten und Zeiten der Revo-lution (Thomas Kuhn). Mit der Zunahme designwissenschaftli-chen Denkens erhebt sich momentan so etwas wie eine optimi-stische Pionierzeit-Stimmung, wie wir sie seit Ulm nicht mehr erlebt haben. Was sagst du dazu?

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14 | Die semiotische Haut der Dinge

HvdB: Ja, die Stimmung ist da. Als ich vor Jahrzehnten begann, über Design nachzudenken und zu schreiben, gab es diese Stim-mung noch nicht. Theorie war damals ein Beiwerk zum Design, von dem sich die Praktiker nicht sicher waren, ob sie das wirk-lich brauchten. Da tut sich inzwischen etwas. Ob man da über seichtes oder profundes Meer kreuzt, wird sich zeigen.

FRT: Gerade spricht man viel über ein »Design Thinking«. Als würde man das designerische Denken in anderen Sparten direkt übernehmen können, um dadurch Innovationen zu fördern. Aus historischer Sicht der Designer entpuppt sich das »Design Thin-king« als harmlose Wiederholung altbekannter Strategien, wor-über sich manche ärgern. Ist dies mehr als ein Modewort, das demnächst wieder unauffällig in der Rüstkammer verschwindet?

HvdB: Die Freude an Worthülsen ist ja bei einer Berufsspar-te, die immer schon eine intime Nähe zum Marketing pflegte, irgendwie verständlich. Was am »Design Thinking« richtig ist, war immer schon richtig. Was daran falsch ist, nämlich die überzogenen Prätentionen, macht die Sache auf die Dauer lä-cherlich.

FRT: Ist Designmethodologie im Design breiter zu fassen als das »Design Thinking«?

HvdB: Design ist ein kreatives Fach. Und über Kreativität streiten die Gelehrten schon seit Jahrhunderten. Bereits Des-cartes, an der Schwelle zur Neuzeit, schrieb einen Discours de la Méthode (1637), um dem Denken auf die Sprünge zu helfen. Wir beide haben ja gemeinsam einen bescheidenen Versuch unternommen, das Designerdenken in methodische Bahnen für Anfänger zu lenken (Design. Zur Praxis des Entwerfens. Eine Einführung, 3. Auflage 2012). Irgendwie scheint unsere Bot-schaft bei denen, die etwas konkret Praktisches lernen wollten, angekommen zu sein. Methode im Design ist kein überflüssiges Beiwerk. Methode ist mit Arbeit verbunden, wie die Musik mit

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Geräusch. Eine lockere Disziplin »Design Thinking« enthebt nicht ernsthafter Arbeit.

FRT: Viele aktive Designer möchten von strenger Designme-thodik nichts wissen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man die gängigen Design-Methodologien anguckt und da häufig nur Diagramme über allzu konstruierte Zusammenhänge und Ablaufprozesse im Design vorfindet. Diese Grafiken sind aus großer Entfernung gezeichnet, ein wenig von oben herab. Sie beinhalten oft nur abstrakte Pedanterie. Die Autoren solcher Diagramme suggerieren Zusammenhänge, die sie selber nicht ausführen. Aktiven Designern verrät diese ›Methodologie‹ der von außen kommenden Theoretiker eher eine Impotenz für die Praxis.

HvdB: Der Kreative denkt, er braucht Kreativität und nicht Methode. Kreativität werde eher durch ein Glas Rotwein ge-fördert als durch Traktate über Vorgehensweisen, die ich gern Spiegelstrich-Methodologien nenne. Enge Methode gängelt. Das Gegenteil von Methodenabstraktheit ist aber nicht ›keine Methode‹, sondern Einübung ins Denken für denkende Desi-gner, wie du es formuliert hast (Der denkende Designer, 2007). Kant pflegte zu sagen, man könne nicht Philosophie, nur Philo-sophieren lernen.

FRT: Eine Zeitlang verbreitete sich der Glaube, die wahre Me-thodologie des Designs sei die des Designmanagements. Gibt es einen Aberglauben in der Gesellschaft, was Management angeht?

HvdB: Hinsichtlich des Managements spreche ich in gediege-nem Deutsch vom »Machen«. In der Tat scheint mir die postmo-derne Gesellschaft vom Aberglauben der Problemlösung durch Machen oder Managen, anstelle von Nachdenken, beherrscht zu sein. Es konnte nicht überraschen, dass eines Tages auch etwas wie Designmanagement die Bühne betreten würde. Man hielt

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16 | Die semiotische Haut der Dinge

Design plötzlich in erster Linie für eine Management-Aufgabe, womöglich ganz oben in der Unternehmensleitung anzusiedeln. Da mag es jetzt oft Designmanager geben, die aber Designer brauchen, wenn Design Realität annehmen soll. Designmanage-ment ist ganz gewöhnliches Management und hat nichts Spezifi-sches, was Design betrifft. Designmanagement ist kein Weg, auf dem Design zustande kommt.

FRT: Das Manko des Designmanagements ist wahrscheinlich auch seine enge Perspektive wirtschaftlichen Denkens. Das bedeutet, dass man im Design fremde Gesichtspunkte überbe-wertet. Man kann dann sehr schnell Quantitäten verfallen statt Qualitäten …

HvdB: Sicher ist Design ein Verkaufsargument. Aber wer ein-fach auf der Suche nach Verkaufsargumenten ist, mag sich wun-dern, wie schwer Design als Verkaufsargument zu realisieren ist. Denken wir an das Unternehmen Apple. Sein Verkaufsargu-ment ist Design …

FRT: … Gutes Design, kognitives Design …

HvdB: … Apples Produkt ist aber eben auch Design, nicht nur das Verkaufsargument. Design ist nicht nur eine Marketingstra-tegie für das Verkaufen von Hardware, sondern Design ist das Produkt selbst, dem eine Hardware beigegeben wird. Versteht man Designmanagement so, dürfte es dem Designer willkom-men sein. Man wird sehen, ob Apple diese Strategie nach dem Tod von Steve Jobs weiter betreiben kann.

FRT: Manchmal reklamieren Designer mit einem Hintergrund in Ingenieurausbildung, Design sei nach wie vor ein Formpro-blem und im Weiteren ein Herstellungsproblem. Sie verstehen das Design als Konstruktion der Form. Hier wären einige Ulmer und auch Ingenieure zu nennen, die im Design der DDR tätig

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waren. Ist die Konstruktion der Form im Industriedesign noch die hauptsächliche Fragestellung?

HvdB: Natürlich muss ein Staubsauger eine Form haben, die herstellbar ist, unter Beachtung von Herstellungskosten. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die Leute nicht den leisesten Staubsauger beim Kauf bevorzugten – und zwar deshalb, weil sie ihm nicht genügend Saugpotenz zutrauten. Man sieht daran, dass Formgeometrien und Technik oft nicht im Mittelpunkt des Kaufens und Nutzens von Seiten der Konsumenten sind. Viele andere Faktoren können in den Vordergrund treten. Faktoren, auf die Ingenieure nicht immer eine Antwort haben. Ich fasse diese Faktoren zusammen, indem ich sage, das Staubsaugen ist ein Handlungsszenario, das nicht allein von Ergonomie be-stimmt wird. Handlungsszenarien erzählen ›Geschichten aus dem Alltag‹. Wer jetzt einen Staubsauger gestaltet, muss sich fragen, wie das Szenario in zehn Jahren aussehen könnte. Die Hersteller von Pkws sind es längst gewöhnt, in Zukunftsszena-rien zu denken. Wer eine Milliarde Euro oder mehr investiert, muss sich ziemlich sicher darüber sein, was Autofahren in zehn Jahren für die Menschen bedeutet, wenn man bedenkt, welche Parameter des Lebens auf dem Globus sich bis dahin ändern könnten.

FRT: Statt Formen also Lebensformen, so dein Credo. Darauf-hin müssten doch irgendwie die Fragen einer Produktsemantik und Produktsprache (wie letztere in Offenbach zuerst von Jo-chen Gros formuliert wurde) auch auf deiner Linie sein.

HvdB: Inzwischen sind fast alle, die über Design schreiben, sich darüber einig, dass Design ein semantisches Problem ist. Speziell die »Produktsprache« liefert jedoch zwei kritisierbare Punkte: Einerseits ist sie zu sehr der industriellen Produkt-Ka-tegorie verhaftet, und damit zu sehr den vier P’s des Marketings (Product, Price, Place und Promotion). Andererseits bleibt der

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18 | Die semiotische Haut der Dinge

Begriff der Semantik vage. Die Beispiele für Produktseman-tik liegen meist im Bereich der Metaphorik. Ein Produkt sieht aus wie … Autos sahen früher einmal aus wie Boote auf vier Rädern. Heute sehen alle Autos aus wie andere Autos. Die Produktsemantik des Smart ging anfangs dahin, einmal gerade nicht auszusehen wie ein Auto. Eine Semantik, die auf meta-phorischer und rhetorischer Ebene bleibt, scheint mir für die Bedürfnisse der Zukunft zu oberflächlich und zu simpel. Ich glaube, dass die Designsemantik sich viel stärker an elaborier-teren und expliziteren Semantiken, wie der linguistischen Se-mantik, orientieren müsste. Semantik ist, um mich selber einer Metaphorik zu bedienen, wie eine scharfe Brille, durch die wir auf die Realität sehen.

FRT: Spricht man über Produktsemantik, muss man auch an Designrhetorik denken – wie du gerade erwähnt hast. Ob De-signrhetorik für die Aufgaben des Designs überzeugen kann, bleibt in den Sternen.

HvdB: Eine schöne rhetorische Wendung! Rhetorik, das ist eine alte Trivialität – will sagen, Rhetorik war im Mittelalter ein Lehrfach des triviums, das zusammen mit dem quadrivium die Lehrfächer der septem artes liberales, der sieben freien Künste ausmachte. Im Trivium stand Rhetorik neben Grammatik und Logik. Man könnte das heute so verstehen, dass die Designrhe-torik sich in der Nähe von Designlogik und Designgrammatik aufhält, was immer dies dann auch sein mag. Oder aber sich der Logik und Grammatik des Designs gerade als Drittes opponie-rend gegenüber stellt. Im alten Trivium drückte die Logik das notwendige Denken aus, die Grammatik die sprachliche Verfas-sung des Denkens und die Rhetorik die suggestive Überredung. Ich wünschte mir eine Designsemantik, die weniger suggestive Überredungselemente enthält, sondern mehr Überzeugungs-elemente, mehr Logik. Gerade dies macht für mich kognitives Design aus. (Im Übrigen bevorzuge ich statt einer Trivium-Se-

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mantik eine Quadrivium-Semantik, also statt einer geisteswis-senschaftlichen mehr eine naturwissenschaftliche Semantik.)

FRT: Logik und Grammatik sind beide etwas Systematisches. Bereits in Ulm begannen Designer über systematisches Design nachzudenken. Systematisches Design ist ein Design, das in Systemen denkt und infolgedessen zum Systemdesign führt. Nicht die einzelne Tasse, das Service ist das Problem. Wir ha-ben alle die stapelbaren Tassen vor Augen, die sich übrigens auch im privaten Bereich als nützlich erwiesen haben. Verkehrs-zeichen müssen von vornherein als System entwickelt werden. Heute geht man aber noch weiter in Richtung Systemdenken. Der Soziologe Niklas Luhmann hat das Systemdenken als Be-handlung von Komplexitätsproblemen dargestellt und damit eine neue Betrachtungsweise der Welt ermöglicht. Leute etwa, die aus dem Ingenieurbereich kamen, sahen eine Zeitlang, daran anschließend, im Design vorrangig Systemfragen gestellt. Man übernahm z. B. von Luhmann das Konzept »lose gekoppelter Systeme«, um den Stellenwert von Design in einer komplexen Gesellschaft zu beschreiben (W. Jonas, 1994). Design ist z. B. lose mit der Kunst gekoppelt, aber auch mit dem Wirtschaftssy-stem etc. Das macht es nach manchen Autoren unmöglich, eine scharfgeschnittene Definition von Design zu geben oder auch nur zu wünschen. Entspricht Letzteres auch deiner Meinung?

HvdB: Es ist auffällig, dass Design für viele Theoretiker – besser Metatheoretiker – ein »schlecht definiertes Problem« darstellt, wie Horst Rittel einmal gesagt hat. Gerade haben wir über Rhetorik gesprochen. Über vage Gegenstände lässt sich vorzüglich vage sprechen. Über rhetorische Gegenstände lässt sich gut in diversen Rhetoriken reden. »Unschärfe«, »schlechte Definiertheit«, »Unübersichtlichkeit« und was dergleichen mehr ist, sind verführerische Worte. Sie scheinen die Lizenz zu verge-ben, auf die »Anstrengung des Begriffs« (Hegel) zu verzichten. Unscharfen Problemen kann man aber in Wirklichkeit nicht mit

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20 | Die semiotische Haut der Dinge

unscharfem Denken beikommen. Im Gegenteil! Je tiefer die begrifflichen Sonden in den Gegenstand reichen, umso klarer wird seine interne Struktur.

Um der scheinbaren Unschärfe des Designbegriffs mehr Schärfe abzugewinnen, erscheint es mir erforderlich, zuerst den Hori-zont zu erweitern: Sieht man Design im Kontext der Gesell-schaftstheorien, auch der Gesellschaftstheorie Luhmanns, ent-hüllt sich überraschenderweise ein ziemlich scharf konturiertes Bild von Design: Design ist ein soziales System zur Ersetzung von Handlungsvollzügen. Das ausführlicher zu erklären wird uns sicher später noch beschäftigen. Hier möchte ich nur auf etwas aufmerksam machen: Ich habe gehört, dass in Tokio am Eingang eines großen Kaufhauses ein Roboter steht, der sich vor dem eintretenden Kunden tief verbeugt und in freudigen Worten eine automatische Begrüßung generiert. Früher stand dort ein Mensch, der dies als glaubwürdige Handlung vollzog. Beim Menschen hatten wir das Gefühl, freundlich zurücknicken zu sollen; durch den Roboter schauen wir achtlos hindurch. Vollzug, Handlungsvollzug, kann man grundsätzlich nicht an ein Design delegieren! Aus dieser negativen Bestimmung folgt ein höchst konturiertes Bild des Designs.

FRT: Designtheorie ist also sehr breit aufgefächert. Es gibt die Leute, die Designtheorie vorwiegend als private Designphiloso-phie oder »Künstlertheorie« eines Designers begreifen. Andere verstehen sich als essayistische Hermeneutiker und teilen Lob und Kritik aus. Hermeneutiker formulieren ihre Positionen häufig in Anlehnung an aktuelle Trends des intellektuellen Diskurses. Sie sind daher für Moden anfällig. Dann haben wir eine dritte Sorte von Designtheoretikern, die sich letztlich als Designwissenschaftler verstehen. Ich würde dich in diese dritte Sparte eintragen wollen …

HvdB: Das Etikett »Designwissenschaft« wende ich – trotz der deutlichen Inflation solcher Selbstzuschreibung – ganz gern auf

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meine Arbeit an. Ich stelle mir Designwissenschaftler als im Labor arbeitend vor. Du selbst hast ja an der FH Lübeck ein De-signlabor gegründet. Ich habe verschiedentlich für die Industrie gearbeitet, an ganz konkreten Fragestellungen. Das hat mich gelehrt, im Design vollmundige Sprüche für den Stammtisch zu reservieren. Die Industrie braucht »Design Research« als kno-chentrockene Forschung.

Hermeneutische Ansätze sind natürlich ebenfalls berechtigte Ansätze, dem Design kritisch zu begegnen. Aber, wie gesagt, sie bilden oft eine Art Theorie-Bricolage mit sehr subjektiven Elementen. Das allzu Persönliche schätze ich nicht. Es enthält meist mehr Selbstdarstellung als Sachdarstellung. Andererseits, hierzulande herrscht ja offiziell immer noch die Freiheit von Lehre und Forschung, eine Freiheit, die wir nicht kampflos auf-geben sollten. Die Bildungspolitik, scheint mir, ist an einer brei-ten Palette von Designtheorien eigentlich nicht sehr interessiert. Sie favorisiert überall eine Theorie, die sofort in Praxis umsetz-bar ist. So was macht Hermeneutikern normalerweise alsbald den Garaus. Ich habe allerdings den Eindruck gewonnen, vieles von dem, was uns jetzt paradigmatisch als »Design Research« verkauft wird, ist die alte Hermeneutik, aber durch neue Wort-hülsen kamufliert. Dadurch gibt es in Wirklichkeit mehr Design-Hermeneutiker als je zuvor. Die Praxis dieser Hermeneutik ist dann die Designrhetorik.

FRT: Stellt man »Design« und »Forschung« zusammen, spre-chen einige gern von Forschung »für, über und durch« Design (nach Christopher Frayling). Kann man mit Designmitteln wis-senschaftlich forschen?

HvdB: Wenn man polemisch sein möchte, ließe sich feststellen, dass wir gegenwärtig in allen gesellschaftlichen Feldern kaum noch etwas anderes sehen als Forschung durch Design. Die aus-ufernden Drittmittel-Forschungen zu allem und jedem ähneln oft eher Designergebnissen als falsifizierbaren Resultaten. Das

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22 | Die semiotische Haut der Dinge

Faktum Forschung durch Design ist also da. Ob es sich rechtfer-tigen lässt, ist eine andere Frage. Der Postmoderne ist ein stren-ger Begriff von Wissenschaft abhanden gekommen. Das drückt sich besonders deutlich in Richtungen wie dem »radikalen Kon-struktivismus« (Ernst von Glasersfeld) aus, der kritisch als die Erkenntnistheorie der Postmoderne beschrieben wird (Finn Col-lin, Paul Boghossian). Der radikale Konstruktivismus glaubt, die Wahrheitsfrage bzw. die Geltungsfrage durch die Designfra-ge ersetzen zu können: Man führt hier ins Feld, Erkenntnis sei »autonom« und »operativ geschlossen«. Solches Wunschdenken schlägt sich inzwischen sogar in Promotionsordnungen für Designer nieder, die explizit vorsehen, ein Bestandteil der Pro-motionsarbeit dürfe in Gestaltung bestehen. Das liegt auf einer Linie mit Bestrebungen, eine neuartige »Praxispromotion« für Ingenieure einzuführen, wobei die Doktorarbeit in einer typi-schen Ingenieurleistung bestehen soll. Nachdem nun auch, nach Vorschlägen der Bundesregierung, der Meisterabschluss im Handwerk dem akademischen Bachelorgrad der Universitäten gleichgestellt werden soll, kann also »Forschung durch Design« niemanden mehr überraschen. Statt Denken Machen: Das ist die falsche Devise der Postmoderne. Ob die Wissenschaft diese Krise überleben wird, bleibt abzuwarten.

FRT: Wie würdest du das bisher Gesagte zusammenfassen?

HvdB: Festzuhalten ist, dass wir im Design einen Theorie-Boom erleben, der sich in nie gekanntem Ausmaß in einschlä-gigen Publikationen zeigt. Seine magnetischen Pole sind das »Design Thinking« und das »Design Research«. Gegen beide erhebe ich Einwände: »Design Thinking« ist die vorwiegend ge-dankenlose Ausdehnung des Designmachens auf viele Bereiche, die früher vom Design unberührt waren. »Design Research« ist die Ausweitung des Designmachens insbesondere auf das Gebiet der sogenannten »Wissensproduktion«, unter Kreation eines eigenen Wissenschaftsstandards. »Design Thinking« wie

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Eine Einordnung | 23

»Design Research« spiegeln aber gar nicht eine Entwicklung im Design, sondern spiegeln einen gesellschaftlichen Zustand. Des-halb sage ich, Design ist heute ein gesellschaftliches Problem. Ein Problem, das die ganze Gesellschaft betrifft. Die postmo-derne Gesellschaft hat sich in eine bemerkenswerte Designokra-tie verwandelt. Doch davon werden wir sicherlich später noch sprechen.

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24 | Die semiotische Haut der Dinge

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2. Der ThemenkreisD

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FRT: In der Konzeptentwicklung zu diesen Gesprächen hattest du mir bei einer Tasse Kaffee auf einer Serviette deine Vorstel-lung der Designwissenschaft in Form einer schnell hinskizzier-ten Schemazeichnung erläutert [siehe Abbildung]. Sie scheint aber bei eingehenderer Betrachtung doch nicht so einfach zu sein, wie sie aussieht, wenn du mich fragst. Daher müsstest du mit mir klären, ob ich die Grafik richtig deute.

Wie ich das jetzt verstehe, siehst du eine »Komplexitätspyra-mide« mit drei Ebenen, die sich direkt oder indirekt auf Design beziehen. Die Pyramide steht auf einer Art physikalischer Basis (unterste Ebene). Durch wachsende Komplexität kommt eine zweite Ebene zustande, die von unserer Intelligenz vertreten wird. Ganz oben liegt die Zeichenebene. Hier finden wir die Zeichen und das Design. Von daher deine These, Design besteht aus Zeichen. Um Design zu verstehen, müssen wir die drei Ebenen in der »Komplexitätspyramide« einzeln aufsuchen und ausleuchten.

Sollten Designer diese drei Ebenen vor Augen haben, wenn sie entwerfen?

HvdB: Um deine Frage direkt zu beantworten: Ja, ich denke, dass Designer sich mit der »Komplexitätspyramide« beschäf-tigen sollten. Die »Komplexitätspyramide« hat der kanadisch-französische Astrophysiker Hubert Reeves als Metapher er-funden. Komplexität entsteht als Pyramide, da sich auf breiter Einfachheit nach oben hin immer weniger Dinge immer kom-plexer verbinden. Sein Beispiel ist die »Buchstaben-Suppe«. In der Suppe sind die Buchstaben-Nudeln chaotisch verteilt. Es macht Kindern Spaß, während des Essens die Buchstaben zu sammeln und zu ordnen – zu Silben, Wörtern und sogar Phrasen. Die Kinder erzeugen im Teller eine kleine »Komplexi-tätspyramide«. Die Buchstaben versammeln sich zu Silben, die Silben kombinieren sich zu Wörtern und die Wörter zu Phrasen. An den Silben beteiligen sich viele Buchstaben, an den Wörtern

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beteiligen sich schon weniger Silben und in den Phrasen gibt es noch weniger Wörter. Man sieht, wie es vom Einfachsten zum Komplexen hingeht. Nach oben wird die Pyramide immer schlanker. Weil nicht alle Buchstaben zu Silben werden, nicht alle Silben zu Wörtern und nicht alle Wörter zu Phrasen. Reeves sieht im Universum das gleiche Prinzip wirksam. In der Basis versammeln sich Atome, von denen einige irgendwann die Komplexität von Lebewesen annehmen, von denen wiederum einige Intelligenz entwickeln. Nur der Mensch hat eine Intelli-genz entwickelt, die noch eine weitere Stufe nach oben führte, er erfand die Zeichenebene.

FRT: Lass uns Punkt für Punkt vorgehen. Also, was meinst du mit »Zeichenebene«?

HvdB: Als Kind interessierte ich mich hauptsächlich für eine einzige Sache, fürs Zeichnen. Und Malen. Mir schwebte vage vor, eines Tages Kunstmaler zu werden. Maler bin ich nicht geworden (obwohl ich immer noch dann und wann der Versu-chung erliege, mich ganz privat künstlerisch zu betätigen, wie du weißt). Mein beruflicher Weg führte mich vom Zeichnen zu den Zeichen. Eigentlich besteht ja schon das Gezeichnete aus Zeichen. Zeichen sind eine Verallgemeinerung des Zeichnens. Von den ersten Höhlenbildern vor 35.000 Jahren führte der Weg zu abstrakteren bildlichen Darstellungen, aus denen sich nach und nach die Schrift entwickelt hat (wir sind also schon wieder bei den Buchstaben). Das Zeichnen findet auf einer Unterlage statt, auf einer Felswand oder auf einem Knochen oder auf Pa-pier. Das kann man verallgemeinern: Der Zeichenträger wird häufig Zeichenebene genannt. Diese Ebene ist abstrakt und fiktiv, aber man versteht, glaube ich, ganz gut, was gemeint ist. Alle Zeichen brauchen einen Träger, der sie festhält. Ich war immer beeindruckt von der Aussage des griechischen Philoso-phen Thales, der im 6. Jhrt. v. Chr. gemeint hat, alles bestehe aus Wasser. Wasser kann keine Zeichen tragen. Auf flüssiges Wasser kann man keine Zeichen einkerben – die wörtliche Be-

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deutung von »graphein«. Alles muss ursprünglich aus Wasser sein, dachte wohl Thales; unter anderem deshalb, weil Wasser auf einem Teich so eine glatte Oberfläche zeigt. Einfacher geht es nicht mehr. In der Teich-›Suppe‹ gibt es noch keine ›Buch-staben‹ und keine ›Silben‹ … Thales’ Konzept ist verwandt mit dem Konzept einer »tabula rasa«, wie es der englische Philo-soph John Locke im 18. Jhrt. nannte. Nach Locke sind wir bei der Geburt wie eine »abgeschabte Schreibtafel«. Leer wie die Wasseroberfläche. Leer wie die Zeichenebene, auf der noch kei-ne Zeichen sind. Schließlich gibt es aber immer mehr Zeichen auf der Zeichenebene und zwar so viele, dass ein Denker der Postmoderne, Jean Baudrillard, beobachten zu können glaubte, dass die Zeichenebene wie bei Thales inzwischen alles umfasst, will sagen, wir bewegen uns gedanklich nur noch auf der Zei-chenebene. Postmodern gesprochen: auf der Medienebene.

Irgendwann entschied ich für mich, nicht mehr Maler werden zu wollen, sondern ein neugieriger Erforscher der Zeichenebe-ne. Ich wurde zunächst durch eine dreijährige Berufsausbildung grafischer Zeichner, besuchte dann die Werkkunstschule, um dort Gebrauchsgrafik zu studieren, eröffnete mir aber nachher noch größere Horizonte, indem ich an der Universität alles mögliche studierte, was irgendwie einen Bezug zur Zeichenebe-ne aufwies. Mit etwas Glück kam ich an die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig als Professor für Industrial De-sign mit besonderer Berücksichtigung der »Bezugswissenschaf-ten«. Das erlaubte mir, weiterhin quasi auf der Zeichenebene zu arbeiten. Denn ich verstand Design als etwas, das aus Zeichen besteht.

FRT: Und dies bestätigt die auch in deinen Schriften wiederkeh-rende Aussage, »Design ist die semiotische Haut der Dinge«. Dies könnte dann bedeuten, dass Designer im Hintergrund die Semiotik – als Wissenschaft von den Zeichen – beachten müss-ten.

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30 | Die semiotische Haut der Dinge

HvdB: In der Tat verstand ich mich im Kontext des Designs im-mer auch als Semiotiker. Ich glaube wirklich, dass Design sich nicht nur gemäß der wörtlichen Bedeutung auf Zeichen bezieht (designare, signum), sondern tatsächlich eine semiotische Spar-te ist. Auch die industrielle Form ist zeichenhaft und nicht bloße geometrische Hülle. Sie trägt im weitesten Sinne Bedeutung. Eine bedeutungsfreie Form oder Gestalt oder Gestaltung kann es nicht geben – oder wenn es sie gibt, wäre das eben die völ-lige Bankrotterklärung des Designs. Die bedeutungsfreie Form ist eine beliebig erscheinende Form. Beliebigkeit sollte es im Design nicht geben.

FRT: Dies ist eine Aussage, die sicher anders verstanden werden müsste, als viele Designer bereit wären mitzugehen. Kein De-signer würde zugeben, er habe etwas Beliebiges gestaltet. Auch dann, wenn Designer nicht für ihre Entscheidungen argumentie-ren, sind sie überzeugt, keine beliebige Entscheidung getroffen zu haben. Aber bitte, lass uns bei deinen Ausführungen bleiben, wir waren bei der Frage nach der »semiotischen Haut der Din-ge« …

HvdB: Die Rede von der semiotischen Haut der Dinge enthält eine Anspielung sowohl auf Jean Baudrillard wie auf den rö-mischen Philosophen Lukrez, der im ersten Jahrhundert v. Chr. ein Buch Über die Natur der Dinge (De rerum natura) schrieb, worin er auch eine Theorie der Wahrnehmung entwickelte: Da-mit wir die Dinge wahrnehmen können, muss sich von ihnen ein materielles simulacrum ablösen, ein »dünnes Häutchen«, das in unsere Sinne wandert. Baudrillard erinnerte sich an diese Theorie und stellte die Behauptung auf, in der Postmoderne sei »alles Simulacrum«. Er meinte damit, dass wir keinen Blick auf die Realität werfen können, an den Lukrezschen Simulacren quasi vorbei. Wenn Lukrez Recht hat, kann er ja nicht wissen, wie die Dinge an sich sind, weil er immer nur Simulacren sieht. Man kann das Simulacrum nicht mit der Realität vergleichen. Entsprechend meint Baudrillard, in der Postmoderne sei uns die

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Realität abhanden gekommen und wir bewegten uns nur noch unter lauter Simulacren, d. h. Zeichen. Zeichen als Simulacren verstellen so den Blick auf die Realität, weil die Simulacren oder die Zeichen überall sind. Die postmoderne Gesellschaft ist in der Zeichenebene eingesperrt.

FRT: Hier können wir schon ahnen, dass du von den Designern verlangst, sie müssten die »Realität verstehen«. Darüber werden wir später ausführlicher reden.

HvdB: Meine Betonung der Realität hat damit zu tun, dass viele Designtheoretiker, die mit mir den Ansatz teilen, Design bestehe aus Zeichen, ihrerseits betonen, dies bedeute, Design diene der Kommunikation. Design sei eine Botschaft. Schon während ich im Kölner Universalien-Projekt am Institut für Sprachwis-senschaft arbeitete, wurde es mir zum grundlegenden Axiom, Sprache diene nicht der Kommunikation, sondern der Welt-erschließung. Dies war eine der wichtigsten Aussagen Noam Chomskys, des bedeutendsten Linguisten des 20. Jhrts. Es mag für viele überraschend sein: Weder Sprache noch Design noch Zeichen überhaupt dienen in erster Linie der Kommunikation; sie sind nicht in erster Linie Botschaft oder Nachricht; sie die-nen vielmehr unserem Weltverständnis.

FRT: Dein zentraler designwissenschaftlicher Ansatz kommt also aus der Semiotik. Ich dachte früher, dies hätte damit zu tun, dass du dich in deiner beruflichen Laufbahn zeitweise ganz auf Linguistik konzentriert hast. Aber es ist wohl gerade umgekehrt: Aus deiner praktischen Erfahrung als Grafikdesigner kommt der Gedanke, Design bestehe aus Zeichen, und von dort aus hast du die Notwendigkeit der Semiotik im Design gesehen. Daher dann auch die Beschäftigung mit der Linguistik …

HvdB: Die natürliche Sprache erscheint als Schrift auf der Zei-chenebene. Und die Schrift wiederum hat als Typografie große Bedeutung für einen Grafikdesigner. Unsere Alphabetschrif-

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32 | Die semiotische Haut der Dinge

ten suchten historisch eine Beziehung zum Sprachlaut. Das Phänomen der Schrift kann man letztlich nur verstehen, wenn man sich mit Sprachlauten befasst, der sprachlichen Phonetik und Phonologie. Phonetik ist die Physik und Physiologie der Lautproduktion und -rezeption. Die Phonologie, die eigentliche Grundlage der Schrift, gehört aber schon zum System einer jeweiligen Sprachstruktur. Die Wörter »nicht« und »Nacht« bil-den mit dem »ch« zwar nicht denselben phonetischen Laut ab, wohl aber dasselbe Phonem. Letzten Endes findet der Schriftge-stalter nur festen Boden unter den Füßen, wenn er sich auch mit der Sprache selbst befasst. Darauf hat der bedeutende schweizer Schriftgestalter Adrian Frutiger in seinen sehr inhaltsreichen Büchern hingewiesen. Der Schritt vom Zeichnen über das gra-phein (einkerben) zur Sprache ist also gar nicht so ein großer Schritt. Besonders auch deshalb nicht, weil es ›Sprachen‹ gibt, die nur sekundär gesprochen werden, primär aber geschrieben. So zum Beispiel die mathematische, die chemische oder die musikalische Notation. Sie alle bilden große und reichhaltige Provinzen auf der Zeichenebene. Die Linguistik faszinierte mich aber vor allem unter dem Aspekt der Universalität. Noam Chomsky hatte der Philosophie der tabula rasa John Lockes widersprochen: Bei der Geburt ist unser Geist keineswegs eine tabula rasa, sondern enthält schon als Anlage die Fähigkeit zur Sprache (»sprachliche Universalien«). Chomsky schloss sich dem schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure an, der zu Beginn des 20. Jhrts. zwischen langage und langue unter-schied, zwischen der Sprachfähigkeit und deren Ausprägung in den einzelnen Sprachen. Chomsky unterscheidet zwischen language und language universals. An der Universität Köln hatte ich seinerzeit, wie erwähnt, die großartige Gelegenheit, an einem Projekt zur Erforschung sprachlicher Universalien, kontrastiert mit der Typologie der Sprachen, mitzuwirken, das von dem schweizer Linguisten Hansjakob Seiler geleitet wurde. Auch hier ergab sich ein Bezug zum Design: Am Rande des Projekts trat bei einer Gelegenheit die Frage auf, wie man eine

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schriftlose Bedienungsanleitung für Traktoren erstellen kann, mit der analphabetische Bauern ihre Traktoren warten können. Es ging dabei um die Sprache der Usambaras, die im mittelöst-lichen Afrika beheimatet sind. Die Sprache repräsentiert einen vom indoeuropäischen Sprachtyp stark abweichenden Typ. Comicartige Darstellungen, die in ihrer narrativen Struktur dem indoeuropäischen Sprachtyp folgen, können die Usambaras nicht nachvollziehen. Die Erzählstruktur textloser Comics muss erstaunlicherweise auf ihren Sprachtyp Rücksicht nehmen – ein recht schwieriges kognitives Unterfangen. Sprache ist eben Welterschließung.

FRT: In der Pyramide deiner Einführungsgrafik gibt es interes-santerweise diese Zwischenebene, die von dir Intelligenz oder auch Kognition genannt wurde. Immer wieder wird von Psycho-logen wie Donald Norman so etwas wie ein kognitives Design eingefordert. Die Leute, die in Braunschweig bei dir promoviert haben, sagen häufig, sie forschten auf dem Gebiet des kogniti-ven Designs. Ich habe in meinem Essay Der denkende Designer ein kognitives Designmodell beschrieben. Doch wenn ich dein Buch Das Designprinzip lese, habe ich das Gefühl, dass du das kognitive Design noch fundamentaler als ich verstehst. Kannst du vielleicht in drei Sätzen mir und unseren Lesern helfen und sagen, was das kognitive Design für dich ausmacht?

HvdB: Kognitives Design steht einem anderen Design gegen-über, das wir im Alltag viel häufiger antreffen, ein Design, das im Sinne Baudrillards keinen direkten Kontakt mehr zur Realität unterhält. Ein solches Design nenne ich formalistisch. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass sein Verstehen ohne Be-dienungsanleitung nicht möglich ist. Kognitives Design ist für mich also zunächst einmal ein Design, bei dem Bedienungsan-leitungen tendenziell entbehrlich sind, ein Design, das für sich selbst spricht. Hier bin ich mit Donald Norman auf einer Linie. Dies wird im Zeitalter der digitalen Benutzeroberflächen im-

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34 | Die semiotische Haut der Dinge

mer wichtiger. Wird dieser Aspekt vernachlässigt, entsteht ein sozialtechnologisches Design, wie ich es im Anschluss an den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas nenne. Es ist ein Design, bei dem wir viele Verhaltensregeln lernen müssen.

FRT: Was unterscheidet deine Überlegungen hauptsächlich von psychologischen Ansätzen wie denen Donald Normans?

HvdB: Norman ist Psychologe. Ich hingegen lege den Fokus der Betrachtung auf die soziologischen Aspekte des kogniti-ven Designs. Ich glaube nämlich, dass sie hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Stellenwertes wichtiger sind als die rein psychologisch-kognitiven Aspekte. Deshalb betone ich das Wort Sozialtechnologie. Design betrifft nicht nur den Einzelnen in seinem Verstehen oder Nicht-Verstehen, sondern die ganze Gesellschaft, insofern die Sozialtechnologie einen gesellschaft-lichen Dirigismus enthält. Sozialtechnologie beschreibt einen gesamtgesellschaftlichen Zustand, den ich auch Designokratie nenne.

FRT: … Hm. Zurück zur Intelligenz oder Kognition …

HvdB: Was bedeutet Kognition? Im Zentrum unseres kognitiven Weltverhältnisses steht die Intelligenz. Intelligenz bildet eine eigene Komplexitätsebene im Universum. Es könnte sein, dass es auf anderen Himmelskörpern weitere Intelligenz gibt, die aber nicht zu der in der Komplexitätspyramide noch höher lie-genden Zeichenebene emporgestiegen ist. Eine Intelligenz, die keine Zeichen auf der Zeichenebene benutzt, z. B. keine Schrift. In meinen Überlegungen spielt das eine große Rolle. Intelligenz könnte ein universelles Phänomen sein, d. h. im Universum relativ häufig anzutreffen sein. Eine Intelligenz, die darüber hinaus auf einer Zeichenebene agiert, nenne ich eine kognitive Intelligenz. Sie ist eine Intelligenz, die über eine Benutzerober-fläche Prozesse steuern kann. Unsere menschliche Intelligenz ist

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Der Themenkreis | 35

in dieses Stadium eingetreten, bewahrt jedoch wesentliche Züge universeller Intelligenz, die für das kognitive Design eine aus-schlaggebende Bedeutung haben – ich möchte hier nur auf das Konzept der Symmetrie hinweisen …

FRT: Halt! Symmetrie kommt irgendwann später. Wir bleiben hier weiterhin bei der Einführungsgrafik: In deiner Skizze gibt es einen Pfeil nach unten. Wohin zeigt der Pfeil?

HvdB: Der Pfeil, der von der semiotischen Haut der Dinge auf die physikalische Basisebene zeigt, repräsentiert die Forderung nach kognitivem Design. Gemeint ist folgendes: Benutzerober-flächen zeigen auf die Realität. Sie erschließen Realität. Ich möchte ein ganz simples Beispiel wählen: Einen Lichtschalter an der Wand betrachte ich als semiotische Haut, als ein Simu-lacrum, ein kleiner Ausschnitt der Zeichenebene. Den Schalter kann man betätigen, woraufhin das Licht eingeschaltet ist. Kleinkinder entwickeln eine derart ausgeprägte Neugierde, dass sie den Schalter, wenn er für sie erreichbar ist, auch drücken würden, ohne zu wissen, was die Konsequenz davon sein wird (unsere kleine Nichte María ist ja eine wahre Meisterin auf dem Sektor). Haben sie verstanden, dass die Schalterbetätigung das Licht ein- und ausschaltet, finden sie das so interessant, dass sie das Spiel eine Weile fortsetzen wollen. Was liegt hier vor? Wir betätigen den Schalter direkt und unmittelbar, erwarten aber eine indirekte und mittelbare Auswirkung. Das ist eine Benutzeroberfläche. Benutzeroberflächen, sagte ich, zeigen auf die Realität. Dem Kind ist es zunächst völlig gleichgültig, wie die indirekte Auswirkung durch die direkte Wirkung auf den Schalter zustande kommt. Der Kausalitäts-Zusammenhang ist für das Kind zweitrangig. Etwas viel Wichtigeres ist das, was dem Kind Vergnügen bereitet. Es schaltet das Licht ein, drückt nochmal auf den Schalter und das Licht geht wieder aus. Das Kind hat durch Weiterschalten den ursprünglichen Zustand wie-derhergestellt. Wir haben es, um in der technischen Fachsprache

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36 | Die semiotische Haut der Dinge

zu bleiben, mit einer »zyklischen Trajektorie« zu tun. Alle Be-nutzeroberflächen sollten die Situation durch Weiterschalten in den ursprünglichen Zustand zurückführen können. Man spricht hier von Reversibilität. Wer diese Reversibilität nutzen kann, hat nicht nur die Benutzeroberfläche, sondern zugleich damit auch ein Stück Realität verstanden. Dazu nochmals ein Beispiel. Wir befinden uns auf einer Wanderung und haben ein wenig die Orientierung verloren. Derjenige von uns, der nun sagt, wir gehen nicht den Weg genau zurück, sondern wir gehen da und da weiter, um zum Ausgangspunkt der Wanderung zurückzu-kehren, hat offensichtlich ein kognitives Mapping (Norman) im Kopf, das es ihm erlaubt, durch Weitergehen zurück zu finden. Das ist wieder eine zyklische Trajektorie. Im altgriechischen Mythos legt Theseus den von Ariadne erhaltenen Faden aus, als er ins Labyrinth eindringt und zurückfinden muss (»Ariadnefa-den«). Dieser Vorgang ist nicht zyklisch, sondern regelgeleitet. Das Zurückfinden beruht nicht auf Orientierung, sondern auf Befolgen einer gelernten Regel.

FRT: Und hier nun ein gewagter Versuch zu verstehen, was dies für Designer bedeuten kann: Wenn ich als Anwender etwas betätige, möchte ich die indirekte Wirkung möglichst ›unmittel-bar‹ erfahren, möchte aber nicht wissen, was sich dazwischen verbirgt (z. B. möchte ich nicht wissen, wie ein Link auf einer Website programmiert wurde). Was der Schalter macht (aus kognitiver und nicht aus technischer Sicht) muss das Design selbst erklären. »Reversibilität« bringt mich zu einem vorigen Zustand zurück, bei dem ich noch orientiert war (also wie im »Äquilibrium« bei dem kognitiven Psychologen Jean Piaget). Anders als beim Ariadnefaden muss ich als Anwender nicht den gesamten Weg zurücklegen, indem ich mir alle Verzweigungen (der Bedienung) gemerkt habe. Das bedeutet, ich muss als An-wender keine Regel lernen. Ich muss nur mein Ziel verfolgen können. Dafür muss Intelligenz in das Design eingebaut sein … Keine einfache Aufgabe, wenn du mich fragst.

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Der Themenkreis | 37

HvdB: Kognitives Design ist wirklich keine einfache Aufgabe. Designer lassen sich gern von ›Nebenschauplätzen‹ wie ästhe-tischen Einzelheiten ablenken, statt die wirklich schwierige Aufgabe direkt und beherzt anzupacken. Daran aber führt kein Weg vorbei. Wir müssen lernen, die unmittelbare Wirkung mit der mittelbaren Auswirkung durch eine »Benutzerillusion« zu verknüpfen. Eine Benutzerillusion, die nicht umständlich mit mir kommunizieren will, sondern mich bei meinem alltäglichen Weltverständnis abholt.

FRT: Noch eine hier abschließende Frage. Ganz zum Anfang hast du die »physikalische Basis« in Anlehnung an Hubert Reeves als chaotisch verteilte Nudelbuchstaben in der Suppe anschaulich gemacht. Bestünde die »physikalische Basis« eines Industriedesigners in Kenntnissen von Materialien? Von Gra-fikdesignern oder Webdesignern in Papier, Farben, Computer oder … Oder verrenne ich mich da durch einen Vereinfachungs-drang?

HvdB: Es geht um die physikalische Basis von Komplexität. Designer sollten ein Gefühl für Komplexität entwickeln. Kom-plexität ist nicht Kompliziertheit. Materialien, Farbpaletten oder Computersoftware können kompliziert sein und entsprechende Kenntnisse erfordern. Aber Komplexität ist etwas anderes, etwas, was eine Beziehung zur Einfachheit aufweist – wie der Physik-Nobelpreisträger Murray Gell-Mann gesagt hat: »Ober-flächenkomplexität entsteht aus Tiefeneinfachheit.« Designer müssen lernen, mehr in die Tiefe zu schauen, um Oberflächen durchschaubarer zu machen.

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38 | Die semiotische Haut der Dinge

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Design und die Wissenschaften | 39

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40 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Inzwischen haben wir eine ganze Menge Themen unter-schiedlichster Art angesprochen. Wir werden uns nach und nach vielen Themen ausführlicher zuwenden, die du dir für den desi-gnwissenschaftlichen Hintergrund erarbeitet hast. Ich stelle hier nur noch die Frage nach einigen »Bezugswissenschaften«. Das macht bei dir besonderen Sinn, weil du nach einer Zeichner-Ausbildung und Praxis als Grafikdesigner Studien in Philoso-phie, Mathematik, theoretischer Physik, Linguistik und Psycho-logie betrieben hast. In deiner Designforschung, z. B. für die Volkswagen AG, hast du Elemente der genannten Disziplinen eingebracht. Insbesondere auch im Rahmen deiner Arbeit im damaligen Institut für Visualisierungsforschung und Computer-grafik an der HBK Braunschweig, der späteren Arbeitsstelle für Designinformatik. Als Linguist hattest du zuvor gearbeitet. Und du hast Soziologie für Designer unterrichtet. Besonders unge-wöhnlich: die Physik als Fundament für Designwissenschaft. Was fehlt, wäre etwa Literaturwissenschaft – wenn ich nicht wüsste, dass du erfolgreich über Arno Schmidt publiziert hast. Einige Theoretiker sind der Meinung, die »Bezugswissenschaf-ten« bereichern das Design, stehen aber außerhalb. Ich habe den Eindruck, dass es dir durch die Semiotik gelungen ist, die Wis-senschaften in den Dienst einer Designwissenschaft zu nehmen.

HvdB: Ich sehe alle die genannten Wissenschaften im Zusam-menhang mit der Zeichenebene. Die Semiotik bildet eine um-fangreiche Schnittmenge solcher unterschiedlichen Disziplinen. Im Mittelpunkt stand und steht für mich das Zeichen. Ich könnte mir vorstellen, die Behauptung verteidigen zu wollen, Design und Designwissenschaft seien Unterdisziplinen der Semiotik.

FRT: Zur Beziehung von Physik und Design: Du hast bei unse-ren Vorbereitungsgesprächen gesagt, du verstündest Physik als semiotische Konstruktion, also quasi als Design. Das klingt mir etwas abstrakt und fernliegend.

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Design und die Wissenschaften | 41

HvdB: Meine Beschäftigung mit der Physik, genauer gesagt mit der physikalischen Semantik, hat vor allem mit dem Konzept der Universalität zu tun. Ich spürte immer einen Widerwillen gegen ein partikuläres Design, also ein Design, das auf ganz speziellen, subjektiven Entscheidungen beruht. In der Regel nehmen wir ein solches Design als »Künstlerdesign« wahr, als eine besondere kreative Leistung, die von der Person des Desi-gners ausgeht und sich an vorwiegend emotionale Bedürfnisse der Nutzer wendet. Dieses Design gipfelt in den Leistungen der Stardesigner und wird in der Presse entsprechend gefeiert. In der Physik gibt es dazu einen heftigen Kontrast: Einstein fand sein Leben lang eine Physik, die auf spezielle Fälle zugeschnit-ten ist, unbefriedigend. Er strebte nach einer universellen Phy-sik, analog den sprachlichen Universalien Chomskys, nach einer Physik, wie die Physiker sagen, die für alle denkbaren Bezugs-systeme gilt, kurz: für alle möglichen Beobachter. Bei einem speziellen Design sind wir zu speziellen Beobachtern verurteilt. Einstein – ein guter Violinist – erklärte das einmal so, er liebe die Musik Mozarts, weil sie so klar und »universell« sei. Hin-gegen sei die Musik Beethovens nicht nach seinem Geschmack, und zwar deshalb, weil sich in dessen Musik zu sehr das persön-liche Genie Beethovens einmische, was gerade bei Mozart nicht der Fall sei. Mozart komponiere große, über alle Maßen schöne, pythagoreische Musik (ähnlich wie Bach), ohne uns jedoch mit einer »sprechenden« Musik, welche die Stimme Mozarts wäre, von dieser Schönheit abzulenken. Mozarts Musik wollte nicht etwas sagen, sie wollte etwas sein. Eine rhetorische Musik ge-fiel Einstein so wenig wie mir ein rhetorisches Design.

Einstein verstand seine Relativitätstheorie als eine semiotische Konstruktion, die in gewisser Weise schon darum gilt, weil sie alles »bloß Persönliche« abgestreift und hinter sich gelassen hatte. Diese Haltung Einsteins habe ich immer gut nachvollzie-hen können. Auf dem bescheideneren Gebiet des Designs habe ich das so genannte Autorendesign stets als weniger interessant

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42 | Die semiotische Haut der Dinge

gefunden gegenüber einem Design, das universelle Intelligenz unterstützt. Da spielt die wahre Musik.

FRT: Verstehe; der Designer und auch der Designtheoretiker sollten sich nicht in den Vordergrund stellen. Dürfen nicht ihre Unterschrift als Markenzeichen vor sich her tragen. Dann wäre ein Designer allenfalls ein Autorendesigner, d. h. ein Künstler. Selbst viele Designer würden deiner Haltung zustimmen, wenngleich das Publikum sich mehr für das Spektakel von De-sign als Kunst interessiert.

HvdB: Einstein hat sich nie in den Vordergrund gestellt. Das schützte ihn nicht davor, eine Zelebrität zu werden. Im Design sehe ich, wie in anderen Gebieten der Kultur auch, zu viel Zele-brität und zu wenig hanseatische Zurückhaltung.

FRT: Fahren wir fort mit den Wissenschaften: Physik setzt Ma-thematik voraus. Zur Beziehung von Mathematik und Design: Es ist kein Geheimnis, dass Mathematiker sich für Design in-teressieren, bekannt schon aus den Ulmer Zeiten. Einige haben wichtige Fortschritte in der Designmethodologie angeregt, z. B. Max Bense oder Horst Rittel. Du selbst hast Mathematik stu-diert. »Mathematik – wie Design – besteht aus Zeichen«, sagtest du bereits …

HvdB: Ja, Mathematik repräsentiert, wie das Design, eine Provinz auf der Zeichenebene. Anhand der Mathematik lässt sich, vielleicht noch klarer als in der Physik, die Beziehung zur Universalität herstellen. In meinem Studium war ich stark beeinflusst von der konstruktivistischen Schule um den Ma-thematiker Paul Lorenzen. Mathematik besteht wie das Design aus semiotischen Konstruktionen. Man könnte auch umgekehrt sagen, Design besteht wie die Mathematik aus semiotischen Konstruktionen. Semiotische Konstruktionen werden mit »Blei-stift auf Papier« hergestellt. Durch sie ergibt sich das berühmte

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Universalien-Problem: Seit dem Mittelalter beschäftigen sich die Mathematiker mit der Frage, ob ihre Konzepte sich auf ir-gendeine Form von Realität beziehen, oder ob es sich um rein menschliche Konzepte handelt, die an eine spezifisch-mensch-liche Intelligenz gebunden wären. Sind Zahlen eine Realität oder eine Erfindung? Der griechische Philosoph Platon hatte die Lehre vertreten, die mathematischen Konzepte seien Realitäten. Er unterschied den »wahren« Kreis von dem auf dem Papier »konstruierten« Kreis. Zum Ausgang des 19. Jhrts. gab es eine Schule mathematischen Denkens, die glaubte, die Zahlen sei-en Menschenwerk. Eine solche Mathematik nannte der große französische Mathematiker Henri Poincaré im Anschluss an das Mittelalter »nominalistisch«. Der Nominalismus handle bloß von Namen (Bezeichnungen) und nicht von Realitäten. Andere nannten eine solche Mathematik »psychologistisch«. Es gibt eine ganz wunderbare, mächtig zum Lachen reizende Rezension aus der Hand des bedeutenden Logikers und Mathematikers Gottlob Frege unter dem Titel Die Zahlen des Herrn Schubert. Frege, ein Vertreter des mathematischen Platonismus, macht darin den Psychologismus der Zahlen eines weiter nicht bedeu-tenden Autors lächerlich, aber so, dass man ein für allemal vom Psychologismus kuriert ist. Bei Zahlen gibt es kein Autoren-design. Nicht die Psychologie legt die Grundlagen der Mathe-matik, die Mathematik sorgt selbst für ihre Grundlagen. Etwas Ähnliches sehe ich für das Design. Nicht die Psychologie legt die Grundlagen des Designs, das Design muss selbst für seine Grundlagen aufkommen. Dazu könnte das Designerdenken vom Mathematikerdenken die Sicht auf Universalität übernehmen.

FRT: Durch die Erwähnung Platons hast du die Philosophie angesprochen. Dass es eine Beziehung zwischen Philosophie und Design gibt, ist ja geläufig. Hinter vielem Design steht eine mehr oder weniger private Designphilosophie. Hierzu sagtest du ganz knapp in unserem Vorgespräch, für dich stehe da im Mittelpunkt das Konzept der Kontingenz bzw. Nicht-Kontin-

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genz (auf gut Deutsch: Zufall bzw. Notwendigkeit). Was sollte sich dabei ein ratsuchender Master-Student denken?

HvdB: Das Konzept der Kontingenz und zugehörig der Nicht-Kontingenz steht im Zentrum jeder Philosophie. Man kann Philosophie sogar definieren als die Untersuchung der Nicht-Kontingenz. Gemeint ist damit, dass sich die Philosophie nicht mit dem befasst, was zufällig so ist, wie es ist. Sondern mit dem, was notwendigerweise so ist, wie es ist – daher immer schon die große Nähe von Mathematik und Philosophie. Das Kontingente ist das, was so ist, wie es ist, während es auch be-liebig anders sein könnte, als es ist. Der Apfel da ist von roter Schale, sie könnte genauso gut auch grün sein. Die Farbe des Apfels ist kontingent. Der Satz, dass zwei plus zwei gleich vier ist, ist nicht kontingent. Wer sagen würde, dass dieser Satz viel-leicht nicht im ganzen Universum gilt, sondern nur auf Erden, hat nicht verstanden, was er besagt. Zwei plus zwei gleich vier ist kein physikalischer Satz, der bisher immer zugetroffen hat, morgen aber falsch sein könnte. Er ist ein Satz, dessen Gültig-keit man beweisen kann. Die Philosophie hat hinsichtlich des Beweisens von Nicht-Kontingenz einen weicheren Begriff als die Mathematik. So glaubt sie, die Notwendigkeit von Moral beweisen zu können, ohne doch dies im mathematischen Sinne zu tun. Das hatte noch der Philosoph Baruch de Spinoza unter-nommen, als er eine Ethik more geometrico – d. h. in geometri-scher Beweisführung – versuchte.

Für mich ist die Differenz von Kontingenz und Nicht-Kontin-genz von fundamentaler Bedeutung, auch für das Design. Nicht-kontingentes Design wären die semiotisch-mathematischen Strukturen. Das ist der eine Pol. Der andere Pol ist kontingentes Design. Das ist ein Design, das sich keinen nicht-kontingenten Einschränkungen unterwirft, anders gesagt: keinen objektiven oder universellen oder realen Kriterien. Es ist ein Design, das die Ideen des Designers in den Vordergrund stellt, auch dann,

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wenn es sich um das Design einer tödlichen Waffe handelt. Gel-tungen, etwa auch moralische, kümmern solches Design nicht. Das kontingente Design bewegt sich zwischen solchen Polen, sollte aber tendenziell mehr in Richtung des nicht-kontingenten kognitiven Designs gehen, um die negativ wirkende Sozialtech-nologie zu vermindern.

FRT: Der amerikanische Paläobiologe Stephen Jay Gould hat die Entwicklung zur Intelligenz auf den Zufall zurückgeführt, also auf Kontingenz. Die darwinsche Evolution sei ganz und gar kontingent. Daher sei auch die menschliche Intelligenz so speziell, dass es wahrscheinlich keinen Sinn mache, überhaupt von außerirdischer Intelligenz zu sprechen. Kann das kognitive Design etwas aus der Biologie lernen?

HvdB: Gewiss. Die darwinsche Evolution beruht auf Mutation und Selektion. Mutation ist eine zufällige Variation des Erb-materials. Insofern der Mensch durch eine Myriade von Mu-tationen seine Komplexität erworben hat, beruht er sicherlich auf Zufall. Und schon an dieser Stelle kann Design viel aus der Biologie lernen, denn Variation und Auswahl liegen auch, all-gemein gesprochen, dem Design zugrunde. Nimmt man diesen Prozess in seiner physikalischen Dimension auf, so zeigt sich, wie der russisch-belgische Nobelpreisträger für Chemie Ilya Prigogine hervorgehoben hat, dass Naturformen generell als »dissipative Strukturen« aufzufassen sind. Dissipative Struktu-ren – das Design der Natur – sind Strukturen, die bei Streuung von Energie in die Umgebung entstehen, »fernab dem thermo-dynamischen Gleichgewicht«, wie die Physiker sagen.

FRT: Das versteht kein Mensch.

HvdB: Das versteht kein normaler Mensch, wenn man es nicht übersetzt. Und zwar in die Formel »Strukturformen frieren aus«. Ein Beispiel. Eis enthält mehr Struktur und damit mehr

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46 | Die semiotische Haut der Dinge

Information als flüssiges Wasser. Eis ist komplexer strukturiert als flüssiges Wasser. Das ist die Art, wie sich schon Thales die Entstehung von Strukturen aus dem unstrukturierten Wasser vorgestellt haben muss. Alles ist Wasser, auch Eis ist Wasser. Und wahrscheinlich sind auch Felsen Wasser … nur anders strukturiert.

Auch der Mensch ist Wasser, wenigstens an die neunzig Pro-zent. Sogar sein Gehirn besteht in der Hauptsache aus Wasser. Und dennoch ergibt sich in der Gehirnmasse eine Intelligenz, die als solche weder von der Biologie noch von der Psychologie erklärt werden kann. Unsere Intelligenz ist fähig zu beweisen, dass zwei plus zwei gleich vier ist. Wenn die Psychologie nicht die Grundlagen der Mathematik enthält, kann sie auch Intelli-genz nicht erklären. Bestünde das ganze Gehirn nur aus Zufall, wäre nicht zu verstehen, wie unsere Intelligenz ›zufällig‹ zu der Einsicht gelangen sollte, dass zwei plus zwei gleich vier ist. Das stand im Hintergrund der Aussage Einsteins, als er an den Kol-legen Max Born schrieb »Gott würfelt nicht«. Würde nämlich Gott in unserem Gehirn als biologische Struktur würfeln, wären wir nicht imstande zu begreifen, dass zwei plus zwei gleich vier ein nicht-kontingenter Satz ist. Was wir im kognitiven Design im Auge behalten sollten ist, dass Variation und Auswahl nicht das letzte Kriterium für Design bilden kann. Zufälliges Design wird dann zum kognitiven Design, wenn das Design in seinem Weltbezug den Zufall ausschließt.

FRT: Was ich nicht ganz verstehe, ist, wieso Design vom Zu-fallscharakter der Mutation lernen kann, aber keinen Zufall beinhalten darf.

HvdB: Variation und Auswahl ist ein Kreativitätsprinzip. Das gilt für die Natur wie für das Design. Doch das Ergebnis eines zufälligen Prozesses muss keineswegs zufällig sein. Z. B. fin-det ein Wissenschaftler zufällig eine Theorie, deren Gültigkeit jedoch keineswegs zufällig ist. Man unterscheidet hier in der

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Wissenschaftstheorie zwischen Entstehungszusammenhang und Geltungszusammenhang. Der zufällige Entstehungsprozess kre-ativen Designs darf nicht verbieten, oder darf nicht ausschlie-ßen, im Design eine Form von objektiver Geltung zu sehen.

FRT: Dennoch scheint klar, dass jemand wie du, der das kogni-tive Design propagiert und sich mit Donald Norman teilweise auf einer Linie sieht, stark von der Psychologie beeinflusst sein muss. Intelligenz und Kognition sind zwei wichtige Begriffe. Wieso treten sie so in den Vordergrund? Müssen Designer außer der Beschäftigung mit Wahrnehmungspsychologie und deren Gestaltgesetze noch weiter in die Psychologie eindringen? Wird Design in Händen von Psychologen sich nicht verändern, weil sie ja in der Regel nicht über hinreichende Formkreativität ver-fügen? Donald Norman ist schließlich nicht selbst zum Desig-ner geworden.

HvdB: Sicherlich ist die Psychologie, insbesondere die kog-nitive Psychologie, für das Design wichtig. Aber Design ist nicht angewandte Psychologie. Design ist kein psychologisches Problem, Design ist ein semantisches Problem. Durch Missach-tung psychologischer Gesetzmäßigkeiten kann die Semantik beeinträchtigt werden. Aber die Semantik kann nicht aus psy-chologischen Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden. Design ist und bleibt ein Kreativitätsphänomen. Wer die Gestaltgesetze missachtet, wird schlechte Gestaltung produzieren. Doch wer sie beachtet, mag zwar so etwas wie »gute Form« hervorbrin-gen, doch kognitives Design als semiotische Konstruktion hat seinen Schwerpunkt in der Semantik. Psychologie ist daher eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Design. Die kognitiv-semantische Dimension des Designs hat etwas mit universeller Intelligenz zu tun, mit zwei plus zwei gleich vier, wie von der Mathematik zu erörtern ist und nicht von der Psychologie. Ein Design, für das Psychologie eine hinreichende Bedingung wäre, würde dem »Psychologismus« verfallen.

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FRT: Auch ist in deiner Sicht der Designwissenschaft die So-ziologie kein Fremdwort. Du sagtest vorhin, die psychologische Perspektive sei zu eng und müsse sich zu einer soziologischen Perspektive öffnen. Und du hast aus der Soziologie ein wichti-ges Konzept gewonnen: »Geltung«, ein Konzept, das aber nicht in Soziologie aufgeht. Es hat letztlich mit Moral zu tun. Müssen wir über die Moral der Gegenstände im 21. Jahrhundert ver-mehrt reden?

HvdB: Unbedingt. Die soziologische Perspektive wird zunächst einmal schon dadurch nötig, dass die herkömmlichen De-signtheorien keinen genuin gesellschaftlichen Stellenwert des Designs angeben können. Sie berücksichtigen zwar historische und bisweilen auch ökonomische Zusammenhänge, können aber wenig dazu sagen, was Design als gesellschaftliches Phänomen ist. Doch auch die Soziologen selbst könnten dem Phänomen des Designs nicht recht beikommen, weil in ihren Nomenkla-turen nicht definiert werden kann, was Design ist. Design ist eben kein Fachwort der Soziologensprache; Soziologen, die über Design sprechen, nehmen das Wort aus der Alltagssprache auf. Design sollte zwar gesellschaftlich definiert werden, aber die Gesellschaftstheorie verfügt über zu wenige begriffliche Instrumente, diese Aufgabe einzulösen. Ich greife dazu auf das antike griechische Denken zurück. Das griechische Den-ken unterschied messerscharf drei Aktivitäten: »theoretische«, »praktische« und »poietische« Aktivität. Im Mittelpunkt steht die Praxis, die nicht zu verwechseln ist mit dem, was heute im umgangssprachlichen Sinne »Praxis« heißt (vgl. das Wort »Praktikum«). Praxis entspricht unserem soziologischen Kon-zept des sozialen Handelns. Gesellschaft geht aus der Praxis hervor. Das praktische Handeln ist jedoch nicht blind. Die der Praxis eigentümliche Sicht ist die Theorie (Theorie = Schau). Wer verantwortlich handelt, muss die Welt richtig sehen. The-orie und Praxis erschöpfen jedoch noch nicht das Spektrum menschlicher Aktivität. Hinzu kommt das Machen, die Poiesis. Die wir noch im Wort Poesie wiederfinden. Das Machen kennt

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den Unterschied von direkter Wirkung mit indirekter Auswir-kung. Licht einschalten bedeutet Poiesis. Wir drücken auf den Schalter und das Licht geht an, d. h. wir machen das Licht an. Die Kategorie der Poiesis wird notwendig, wenn wir über den Rahmen der Psychologie hinausgehen wollen, auf das Feld der Soziologie. Ich glaube, dass unsere postmoderne Gesellschaft ganz und gar dem Machen verfallen ist. Das geht so weit, dass selbst Theorie und Praxis heute mehr ein Machen sind. Wir machen Wissenschaft (»Wissensproduktion«) und wir machen Freunde und wir machen Urlaub. Die Ausbreitung des Machens ist zugleich die Ausbreitung des Designs, d. h. der Differenz von unmittelbarer Wirkung und mittelbarer Auswirkung. Unsere Gesellschaft ist insofern weniger von Demokratie, mehr von »Designokratie« gekennzeichnet. Es gibt Leute, die darunter etwas Positives verstehen möchten, in Analogie zur Demokratie. Aber Designokratie hat, soziologisch gesehen, den Stellenwert der alten Bürokratie übernommen. Ich fasse diesen Sachverhalt im Begriff der Sozialtechnologie zusammen.

FRT: Lassen wir das Gesagte kurz Revue passieren. In Orientie-rung an Physik und Mathematik, weg vom Autorendesign, hin zur Universalität. Aus der Philosophie die Nicht-Kontingenz. Aus der Biologie Variation und Auswahl als Kreationsprinzip komplexerer Strukturen. Psychologie für ein kognitives Design in Diensten der Semantik – ohne aber in Psychologismus zu verfallen. Soziologie sieht Design als gesellschaftliches Phäno-men; zu vermeiden als Sozialtechnologie (als »Designokratie«, wie du es nennst). Und jetzt habe ich noch eine meines Erach-tens ebenso wichtige Frage zu Linguistik und Design. Da gibt es ja auch viele Anknüpfungspunkte, wenn man über Semiotik, Semantik usw. redet.

HvdB: Wie schon gesagt, gibt es im Design ein weit verbreitetes Missverständnis, das darin besteht, Design als Kommunikation, als Botschaft, als Rhetorik zu begreifen.

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Zeichen können aber erst dann kommunizieren, wenn sie schon mit Semantik geladen sind. Die Semantik kann nicht aus der Kommunikation selbst kommen. Semantik kommt aus Welt-kategorisierung oder Welterschließung. Dies ist ein zentraler Punkt, den die Linguistik dem Design mitzuteilen hat. Design-theoretiker pflegen häufig einen zu verstümmelten Semantik-Begriff. Im Geist der Postmoderne glauben sie, Design als »Text« verstehen zu können, der Sinn und Bedeutung aus dem »Kontext« empfängt. Der Text in seinem Kontext könne dann in subjektiver Entscheidung »gelesen« werden. Doch woher soll der Kontext seine Bedeutung verleihende Kraft hernehmen? Sinn und Bedeutung entstehen nur im Weltbezug, nicht im Hineinstellen von Texten in andere und wieder andere Texte – vermeintlich erhellend Kontexte genannt. Zeichen, die sich nur unter Zeichen bewegen, bleiben ›sprachlos‹.

FRT: Fändest du es naiv, nach solchen Fragen noch der Ästhetik Raum zu geben? Die ästhetische Frage beschäftigt Designer sehr. Die Tradition des Zusammenhangs von Design und Kunst-hochschule wirkt noch mächtig.

HvdB: Im 18. Jhrt. definierte Alexander Gottlieb Baumgarten Ästhetik als »sinnliche Erkenntnis«, also als eine Erkenntnis, die wir nicht nur mittels der Sinne, wie alle Erfahrungserkennt-nis, aufnehmen, sondern eine Erkenntnis, die mit der Spezifität der einzelnen Sinne verbunden ist. So kann man Musik, die für die Ohren bestimmt ist, nicht in einen Text übersetzen. Ebenso kann man ein Gemälde, das für die Augen bestimmt ist, nicht in einen Text übersetzen. Daran sollte man denken, wenn man De-sign metaphorisch als »Text« bestimmt und zu »lesen« wünscht. Was am Design sinnlich ist, muss von der Ästhetik behandelt werden. Gleichwohl ist Musikwissenschaft oder Kunstwissen-schaft natürlich nicht einfach mit Ästhetik gleichzusetzen. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen.

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Design und die Wissenschaften | 51

FRT: Design, Informatik, Ingenieurwissenschaften. Kann De-sign von beiden lernen? Ich meine, wenn jemand für Designo-kratie verantwortlich ist, dann die Informatiker, häufig unter-stützt von Ingenieuren. Aber sie interessieren sich in der Regel nicht für großartige Reflexion darüber. Oder täusche ich mich? HvdB: Wenn man von Zeichen spricht, ist bald unvermeid-lich von Informationsverarbeitung die Rede. In der Tat sind es vorwiegend informatische Strukturen, die heute den formalen Aufbau von Designokratie, von Sozialtechnologie, ausmachen. Informatikdenken und Alltagsdenken geraten dadurch häufig in Konflikt miteinander. Man denke wieder an mein Lieblingsbei-spiel: Fahrkarten-Automaten. Wenn Designdenken irgendetwas leisten kann, dann dies, das Informatikdenken mit der Tatsache bekannt zu machen, dass die user Menschen sind, die zwar über universelle Intelligenz verfügen. Die aber funktioniert nicht im Stil der Informatik. Universelle Intelligenz ist eben stets an Uni-versalien orientiert und nicht an ›Spezialien‹. Das Spezielle, das Ideosynkratische, setzt den user auf die Dauer matt.

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Designokratie | 53

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FRT: Der umstrittene Victor Papanek – der in Österreich gerade eine Wiedergeburt erlebt – schrieb 1973, der einzige Beruf, der mehr Schaden anrichten kann als der Beruf des Industriedesi-gners, sei der Beruf des Werbemachers. Er nannte diesen Beruf verlogen, weil, so Papanek, die Leute daraufhin etwas kaufen, was sie nicht brauchen, und sie geben Geld aus, das sie nicht haben. Diese schmucklose Behauptung wirkt inzwischen an-tiquiert – aber die Sache selbst hat sich verschlimmert, würde ich sagen. Der Konsumismus – augenblicklich in der Krise – ist zum zentralen Lebensmodell der entwickelten Gesellschaften geworden (so Soziologen wie Lipovetsky, Bauman, Erner, Sast-re). Bei mehr als einer Gelegenheit hast du den Designern den Vorwurf gemacht, sich mit dem Design als gesellschaftliches Problem eigentlich nicht ernsthaft zu befassen. Sie sehen De-sign vorwiegend in beruflicher Dimension, nicht in gesellschaft-licher. Dies wäre natürlich für eine Sparte, die sich jetzt in For-schung und Theorie stark machen möchte, zu kritisieren.

HvdB: Autoren im Designbereich sprechen gern von der Ver-antwortung des Designers – praktizierende Designer hingegen glauben eher nicht, zur Rettung der Welt aufgerufen zu sein. Moralische Verantwortung ist ein schönes Etikett, aber als He-bel unbrauchbar, weil man nicht weiß, wo man ihn ansetzen soll. Verantwortung ist schön und gut, doch wie und was?

Konkrete Verantwortung setzt eine mehr als anekdotische Sicht auf den faktischen gesellschaftlichen Stellenwert des Designs voraus. Auf die kürzest mögliche Weise versuchte ich z. B. in Das Designprinzip den gesellschaftlichen Charakter des Designs zu umreißen durch die Formel: Design ist alles, was nach direkter Wirkung auf eine indirekte Auswirkung zielt. Dies haben wir schon kurz erwähnt. Design beinhaltet eine »Indi-rektisierung«. Beispiel Autofahren: Durch direkte Wirkung auf das Lenkrad erzielen wir als indirekte Auswirkung, um die Kurve zu fahren. Zwischen Wirkung und Auswirkung liegt eine

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mal kleinere, mal größere Distanz. Beinahe jede Aktivität in der gegenwärtigen Gesellschaft hat den Charakter von direkter Wirkung / indirekter Auswirkung angenommen. Das unmittel-bare, unvermittelte Handeln untereinander bleibt dabei auf der Strecke. Noch kürzer gefasst: Wir müssen vieles machen, bevor wir etwas tun können.

FRT: Also, um ein Ziel zu erreichen, stellen uns die Artefakte (Design) auf dem Weg dahin Bedingungen, die wir erfüllen müssen. Der Anwender wird mit Zeitverlust konfrontiert und muss sich mit Sachen befassen, die – wenn er sich ›korrekt‹ verhält – zu einer Belohnung führen (Erreichen des Ziels). An-dernfalls wird er bestraft durch Frustration. Ich denke hier gera-de an den digitalen Voice Recorder, den wir für diese Gespräche benutzen. Im Prinzip sah er sehr einfach aus, aber nachher stellte ich fest, dass man durch intuitives ›Herumprobieren‹ das Aufgenommene nicht so einfach wiedergeben konnte. Natürlich nur eine Sache von (lästigen) Minuten: Die Konfrontation mit der »Bedienungsanleitung« – die immerhin schon ziemlich gut war – beschrieb das von dir genannte »Machen«, bevor wir zum eigentlichen »Tun« – das Gespräch aufzunehmen – kommen konnten. Solcherlei Probleme sind mit der Entwicklung der Technik so richtig deutlich geworden, doch existierten sie auch davor – du musst dich nur an dein teures Designerstück von Wasserkessel erinnern, der nach wiederholt bewiesener Untaug-lichkeit schlicht im Recyclingprozess landete.

HvdB: Design ist das Zwischenglied, das Interface. Optimal wäre es, das Zwischenglied, das Medium Interface, im Handeln glatt übersehen zu können. Der routinierte Autofahrer »weiß« gar nicht mehr, dass er am Lenkrad dreht. Die gesellschaftliche Wahrheit ist jedoch, dass wir immer wieder nur user sind, d. h. auf den Gebrauch konzentriert sein müssen. Alle Rede vom user centered design stellt sich den Handelnden eben als user vor. Gemeinhin wollen wir aber nicht Gebrauchen (Indirektheit),

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sondern Handeln (Unmittelbarkeit). Denn wir sind zum Handeln auf der Welt und nicht zum Gebrauchen. Gerade das ist in der heutigen Gesellschaft auf weiten Strecken maßlos erschwert. Wir handeln nicht mehr, wir reagieren nur noch auf Signale. Wir können die Entwicklung natürlich nicht zurückdrehen, wir müs-sen sie weiter entwickeln: Hin zum kognitiven Design, das aus dem user wieder einen Handelnden werden lässt.

FRT: Meinst du, dass der Weg zu einem kognitiven Design fürs Handeln im partizipatorischen Designprozess (auch »social de-sign« genannt) zu sehen ist, wie Papanek und viele andere vor-geschlagen haben? Papanek dachte an Minderheiten wie Behin-derte oder Migranten. Klaus Krippendorff nimmt die Frage vom stakeholder her auf. Partizipatorisches Design ist ein aktuelles Thema für Designer und wird heute sogar als Forschungstrend angesehen. Interessen-Vereinigung im Design? Muss die Haus-frau mitentscheiden, wie die optimale Küche sein sollte? Wie stehst du zum partizipatorischen Design?

HvdB: Bereits in den 1920er Jahren florierte unter Psychologen die Idee eines partizipatorischen Designs. Die Frau des Ratio-nalisierungsforschers Frank Bunker Gilbreth, Lillian Moller Gilbreth, eine bekannte Psychologin, wollte Hausfrauen an der Entwicklung eines optimalen Küchendesigns beteiligen. Sie tat es in Form einer Befragung – und entdeckte dabei zu ihrer großen Überraschung, dass Hausfrauen nicht wussten, wie die optimale Küchengestaltung für sie aussehen sollte – außer sie sahen eine solche Küche. Menschen wissen nicht ohne weiteres, was für sie gut ist. Partizipation kann also nur bedeuten: direkte Mitwirkung im labormäßig forschenden Designprozess. Nicht mitreden, mitarbeiten.

FRT: Daher übernahm Lillian Gilbreth diesen Weg zur for-schenden Entwicklung. Sie baute im Labor eine Küche – als Bühne – und studierte die Arbeitsprozesse von Hausfrauen im

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Einzelnen durch Filmaufnahmen. Die Bewertung entstand nicht durch ein Mitspracherecht von Hausfrauen, sondern durch deren direkte Mitarbeit unter Führung professioneller Sichtweise. Die-se Art Forschung für Design wäre denn auch Designforschung im Sinne der Industrie.

HvdB: Im Übrigen glaube ich jedoch nicht, dass Partizipation uns dem Ziel kognitiven Designs ernsthaft näher bringt. Lai-enbeteiligung bringt am Ende nicht genügend Kriterien in den Prozess ein. Und zwar deshalb, weil die Laien, als user, schon längst ›verdorben‹ sind. Sie merken, ›betäubt‹ von täglicher Ausgesetztheit in der Sozialtechnologie, nicht mehr deutlich genug, wo ihr Tun durch ein erforderliches Machen behindert wird. Sie sind bereits ›abgerichtet‹ (vgl. das Marketing-Gerede von consumer education).

FRT: Lass uns inhaltlich auf deine Aussagen eingehen. Es ist ja so, Designer, Designtheoretiker, Designforscher, Design-Bindestrichler überhaupt fühlen sich ziemlich stolz, wenn der Beginn des 21. Jhrts. sich um das Design dreht. Es gibt nur noch Design, wo es früher gesellschaftliche Interaktion gab, wie du im Designprinzip sagst. Die Konsequenzen sind den Designern nicht bewusst.

HvdB: Design kann leicht zur Plage werden. Es gibt immer mehr »Zwischenwelten« (so der Kulturwissenschaftler Karl Eibl), immer mehr Indirektheit. Immer mehr Interaktivität statt Interaktion. Obwohl wir nie zuvor so viel kommunizierten und uns in den Netzen verbunden glauben, ist der Einzelne isolierter denn je. Neulich beobachtete ich ein junges Pärchen im Café, das sich nach ein paar Küssen so wenig zu sagen hatte, dass sie schnell zu ihren Handys griffen, um mit ihren wahrscheinlich vierhundert Freunden in Facebook zu kommunizieren. Der italienische Philosoph Mario Perniola hat ein treffliches Buch, Contra la Comunicazione (2004) geschrieben. Will sagen: Die

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großen Krankheiten unserer Gesellschaft (Depression, Burn-out) mit entsprechend großen Kosten im Gesundheitssystem (in Deutschland mittlerweile auf jährlich 10 Milliarden Euro geschätzt), sind auch die Folge einer die Menschen immer mehr isolierenden Kommunikation. Das Problem nimmt in den Medi-en inzwischen breiten Raum ein. Design, so könnte man Victor Papanek zustimmen, ist zum veritablen gesellschaftlichen Pro-blem geworden, das nur noch nicht mit genügender Sehschärfe von Soziologen ins Auge gefasst wurde. Nicht der Konsumis-mus ist das eigentliche Problem, sondern die Indirektisierung aller unserer Lebensverhältnisse. Eine neue Form von »Verding-lichung«, wie man früher unter den Linken sagte.

FRT: Ich möchte gerne mit dir diesem Begriff nachgehen, den du 2011 in das Designprinzip auf das heutige Design bezogen hast: »Designokratie«. »Kratein« heißt Herrschaft, Macht, Stär-ke (daraus ergeben sich Wörter wie Demokratie, Bürokratie, Aristokratie). Der Begriff »Designokratie« klingt für Designer zuerst sehr verführerisch – endlich übernimmt Design die Herr-schaft der Welt. Stardesigner wie Karim Rashid sehen das so. Er benutzt »Designokratie« im Sinne von »Demokratie im Design« – eine Art partizipatorisches Design. Du hingegen rückst diesen Begriff in die Nähe der »Bürokratie«. Ist das bloße Miesepete-rei? Du bringst die »Designokratie« in Verbindung mit der »So-zialtechnologie« von Jürgen Habermas.

HvdB: »Designokratie« im Sinne von »Demokratie im Design« ist reine Schönrednerei. Der Euphemismus verdeckt den wahren Charakter der Designokratie. Nämlich an die Stelle der alten, hässlichen Bürokratie getreten zu sein. Zweifellos ist Design zu einer Herrschaftsform avanciert. Jedoch nicht eine, bei der alle mitreden und mitwirken können. Vielmehr eine, von der alle betroffen sind. Das Wesen von Bürokratie war nach Max Weber, wir erinnern uns, eine Form der Rationalisierung, der sich die Gesellschaft selbst unterwirft, um Verlässlichkeit in ihre Abläu-

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fe zu bringen. Die neue Designokratie richtet noch viel mehr an: Sie sperrt nicht nur Menschen in rationalisierte Abläufe ein, sondern erzwingt von ihnen eine unfreiwillige Mitwirkung, die darin besteht, dass du immer zuerst etwas machen musst, bevor du etwas tun kannst. Du musst erst einen Fragenbogen ausfüllen, bevor du deinen Wohnsitz anmelden kannst. Der Fra-gebogen wird demnächst nur noch im Internet zu haben sein. Dazu brauchst du ein hochgezüchtetes Handy. Die zu zahlende Gebühr wickelst du ebenfalls über dein Handy ab. Dazu muss-test du dich quasi datenmäßig nackt ausziehen, die Bedienung des Handys lernen, das Ausfüllen des Formulars lernen, das Herstellen einer Verbindung zum Einwohnermeldeamt lernen und überhaupt lernen, dass »man« dies alles heute so machen muss, wenn du etwas ganz Simples tun willst: deinen Wohnsitz anmelden. Deinen Wohnsitz anzumelden passte noch in die Bürokratievorstellung Max Webers. Die kolossale Infrastruktur, in der du mehr Verrichtungsschritte lernen musst als in ein Buch passen, wäre sicher über die Vorstellungskraft Webers hinausge-gangen. Designokratie ist die Explosion der Bürokratie, die aber aussieht wie ein großartiges Feuerwerk.

FRT: Ich gehe davon aus, dass dein »Feuerwerk« eine Anspie-lung ist auf deine Bemerkung im Designprinzip, Design schaffe vorwiegend eigene Realitäten, aber Scheinrealitäten. Design, Designokratie, das heute herrschende Designprinzip, verursacht ein gesellschaftliches Grundproblem – wie ich dich verstehe –, weil Design sich vor die Handlung stellt und uns zu usern macht, zu Gebrauchern ohne Vollzug. Dafür aber basierend auf lauter Verhaltensregeln; der Soziologe Georg Simmel sprach schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts von »teleologischer Ket-te«.

HvdB: Statt von »teleologischer Kette« spreche ich von Indirek-tisierung. Und zwar von einer Indirektisierung durch Medien, auf die sich die alte soziale Interaktion nun als Interaktivität

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verlagert hat. Die alte soziale Interaktion setzte soziale Kom-petenzen voraus, die Interaktivität setzt Regelwissen voraus. Kompetenz ist kategorisches Geltungswissen, Regelwissen ist vom Kontext abhängiges »hypothetisches« Wissen (Kant). Wis-sen nach der Form »wenn …, dann …«. Kategorisches Wissen meint bedingungsloses Wissen oder, was dasselbe besagt, ein Wissen, das unter jeder Bedingung gilt. Regelwissen ist bedingt. Es setzt einen Kontext voraus, der durch die wenn-Bedingung formuliert wird. Soziales Handeln, soziale Interaktion, beruht auf kategorischem Geltungswissen (Kant spricht in letzter In-stanz vom »kategorischen Imperativ«), während die Interaktivi-tät über eine Benutzeroberfläche, das user interface, nur bedient werden kann, wenn ein entsprechendes kontextuelles Regelwis-sen vorhanden ist. Die heutige Gesellschaft resozialisiert sich ständig durch laufend neu zu erlernendes Regelwissen, wobei das Geltungswissen allmählich verschwindet. Dies scheint mir das eigentliche gesellschaftliche Problem hinter dem Design bzw. der Designokratie zu sein.

FRT: Du hast in Realität verstehen in diesem Zusammenhang über den Unterschied von »intentio recta« und »intentio obli-qua« gesprochen: Eine gerade, direkte, unmittelbare Intention gegenüber einer ›zurückgezogenen‹ Intention auf die Zeichen. Also eine Indirektisierung. Dein Beispiel: Den Mond angucken ist eine intentio recta, während die Brille zu putzen, um den Mond schärfer sehen zu können, eine intentio obliqua ist. De-sign muss es ermöglichen, von der indirekten Intention zur di-rekten zurückzukehren, von der Brille zum Mond. Dazu möch-test du ein Design, das als kognitives Design wieder soziale Kompetenz vermittelt – d. h. geltende Werte der Gesellschaft –, aber kein Regelwissen voraussetzt. Und wenn ich es richtig verstehe, erklärst du, dass unsere Gesellschaft die geltenden Werte durch Verhaltensregeln – also Regelwissen – ersetzt. Da-her kann man das Design als Spiegel der heutigen Gesellschaft ansehen.

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HvdB: In der Zweistufigkeit des Bewusstseins erkannten mit-telalterliche Denker den Unterschied von intentio recta und intentio obliqua. Gemeint war, dass wir von der Geradehin-Ein-stellung unsere Aufmerksamkeit auf etwas Näherliegendes ver-schieben können. Zum Beispiel vom Mond auf die Brille. Beim kognitiven Design geht es darum, die Aufmerksamkeit von der Brille weg wieder auf den Mond zu verschieben. Gleichnishaft gesprochen sind wir heute ständig mit unseren Brillen beschäf-tigt, woraufhin uns der Mond nur noch als eine »soziale Kon-struktion« erscheint, als eine Realität, die subjektiver Natur ist. Verkürzt gesagt: Der Mond erscheint wie von der Brille produ-ziert. Das ist der vom postmodernen Design verursachte Reali-tätsverlust. Realität verstehen bedeutet, die Brille als Medium bei Betrachtung des Mondes zu ›übersehen‹.

RTF: Google hatte vor, im September 2012 eine Brille auf den Markt zu bringen, die uns die Welt erklärt. Haben wir in Zu-kunft nur noch eine Google-konstruierte Weltsicht vor Augen?

HvdB: Es ist eben erstaunlich, wie schnell ultramoderne Technologie Metaphern umsetzt, die zuerst kritisch gegen sie gewandt wurden. Die Google-Brille beleuchtet prima unseren Sachverhalt: Wenn du mit der Google-Brille auf der Nase in das nächste Straßenbauloch fällst, nutzt dir die neue Weltsicht gar nichts. Vergisst du bei den Erklärungen aber, dass du eine Brille auf der Nase hast, erliegst du bald der Gefahr, von der Google-Weltsicht indoktriniert zu werden. Du hast die Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Ich würde empfehlen, die Brille so oft wie möglich abzusetzen, wenn du Realität verstehen willst. In Wirklichkeit wird es sich aber wieder um ein postmodernes Design handeln, in dem Sinne, dass du ständig mit der Brille beschäftigt bist, wie jetzt mit dem Handy, blind durch die Welt stolpernd. In der intentio obliqua zu leben heißt, das Handeln aufzugeben zugunsten ewigen Reagierens. Postmodernes De-sign stempelt den user zum behavioristischen Automaten.

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62 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Meine Studenten möchten bei der Gestaltung von Interak-tionen dem homo ludens dienen (vgl. Johan Huizinga). Wäre die Google-Brille nicht einfach nur ein Spielzeug?

HvdB: In diese Richtung ist schon oft argumentiert worden. Der Mensch sei neugierig, sei ein Entdecker. In der Tat sind manche Menschen hoffnungslos süchtig dem Spiel mit neuester Tech-nologie verfallen. Gesellschaftstheoretisch bedeutet dies aber, letzten Endes die ganze Gesellschaft als ein Gesellschaftsspiel zu betrachten, aus dem das Problem des Handelns, des sozialen Handelns und der Moral ausgeklammert bleibt. Spielen steht bekanntlich einem Ernst der Lage gegenüber. Wir können uns furchtbar leicht in den Untergang spielen. Siehe Finanzkrise und Casino-Mentalität. Infantiles Spielen bei Erwachsenen ist psychiatrisch eine Form von Selbstbetäubung. Der Spieltrieb entlastet zwar vorübergehend von den Bedrohungen durch die Realität, könnte aber ein Pfeifen auf dem letzten Loch sein. Umso dringender ist angesagt, die intentio recta auf Realität wiederherzustellen.

FRT: Du führst die Designokratie oder das Designprinzip auf die Allgegenwart des Machens zurück. Machen ist die Über-setzung des altgriechischen Wortes poiesis. Du stellst das Wort in den Zusammenhang von Theorie, Praxis und Poiesis. Man müsse als Designer in der Poiesis auch an Theorie und Praxis denken. Viele hören da zuerst nur Worte, möchten aber genauer wissen, was damit gemeint ist.

HvdB: Die alten Griechen sahen, wie schon angedeutet, drei verschiedene Möglichkeiten menschlicher Aktivität: Die soziale Handlung nannten sie Praxis. Die dazu benötigte Schau auf die Welt – Weltanschauung – nannten sie Theorie (wörtlich »Schau des Göttlichen«). Ferner erkannten sie unter den menschlichen Aktivitäten noch das Machen und Herstellen, die Poiesis, ein Wort, das wir nur noch in ›poetischem‹ Zusammenhang kennen.

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Designokratie | 63

Das Wort poiesis ging in unserem Sprachgebrauch weitgehend verloren, weil eine Unterform der Poiesis, die techne, später das ganze Gebiet der Poiesis beherrschte. Bekanntlich hat sich die Technik zum Motor der Geschichte entwickelt.

Bleiben wir aber vorerst bei der Poiesis als Machen. Die Post-moderne ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Theorie nach und nach als eine Poiesis zu begreifen versuchte. Eine Theorie, glaubt sie irrtümlich, hat man nicht, eine Theorie produziert man oder konstruiert man (»Wissensproduktion«). Wissen erwirbt man, indem man es produziert – so der Sozialkonstruk-tivismus der Postmoderne. Der postmoderne Geist kann über-haupt nicht mehr an Wissen denken, ohne gleich dessen Ent-stehungszusammenhang zu thematisieren. Dabei entrückt ihm völlig der Geltungszusammenhang des Wissens, ausgedrückt in der alten Frage nach der objektiven Wahrheit, nach dem Reali-tätsbezug des Wissens. Man lehnt die angeblich veraltete ›Zwei-stufigkeit der Ontologie‹ als naiv ab. Wissen als Wissenspro-duktion hänge nicht so sehr von einer Realität ab, sondern vom Kontext, in dem das Wissen entsteht und gebraucht wird.

FRT: Also heißt dies, die Postmoderne produziert ihr Wissen und Design stets aus dem Kontext heraus, und zwar weitgehend unabhängig von der Realität. Dies führt dazu, dass die Theorie im eigentlichen Sinn verschwindet und statt dessen sich die »Wissensproduktion« als Konstruktionsresultat einer Poiesis durchsetzt. Dies wiederum muss das Design beeinflussen, inso-fern Design auf Wissen fußt. So stellen Designer immer mehr Scheinrealitäten her, uninteressiert an objektiver Realität.

HvdB: Wenn die Theorie zur Poiesis wird, wenn man Theorie also macht, wird auch die Praxis zur Poiesis. Denn die Theorie hatte eine Rolle als Richtschnur für das Handeln, als Orien-tierungswissen für das Handeln, insbesondere für das soziale Handeln. Wenn Theorie also von gesellschaftlichen Agenten

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64 | Die semiotische Haut der Dinge

als gesellschaftliche Leistung produziert oder konstruiert wird (»Sozialkonstruktivismus«), wird notwendigerweise die Praxis ihrer unmittelbaren Geltungsorientierung beraubt. Ihr bleibt nur übrig, jetzt selber Poiesis, Machen zu werden. Die postmoderne Gesellschaft kennt nicht mehr Theorie, Praxis und Poiesis, sie kennt nur noch Poiesis. Sie kennt nur noch das Machen. Der Autofahrer macht, indem er am Lenkrad dreht, dass das Auto sich um die Kurve bewegt. Wir sehen, wie sich beim Handeln, das einfach geradehin vollzogen wurde und nun zum Machen geworden ist, ein Design einschiebt, um direkte Wirkung von indirekter Auswirkung zu trennen. Dieses Verhaltensmodell wird zum maßgebenden Modell des Verhaltens in der gegen-wärtigen Gesellschaft. Praxis als Poiesis bedeutet, unsere alten sozialen Handlungen durch ein Machen unter Bedingungen zu ersetzen. Lieben und Liebe machen, Küssen und einen Kuss machen – das sind sehr verschiedene Dinge, wie ich in Realität verstehen zu zeigen versucht habe. Indem wir Freunde machen – man denke an seine Facebook-Freunde – designen wir den Prozess der Freundschaft, die früher einmal kategorische, be-dingungslose Geltung besaß. Freundschaft galt, sie stellte keine Bedingungen (z. B. in Facebook zu sein), schuf keine Bedin-gungen und fand nicht in irgendeinem Bedingungsrahmen statt. Wahre Freundschaft ist nicht von einem Kontext abhängig. Dass Freundschaft zum Freundschaftsdesign werden kann, ist die Auswirkung der Designokratie auf das Privatleben.

FRT: Also Freundschaft wird durch die Transformation in »Freunde machen« oberflächlich. Du beschreibst Formalismus als die Betrachtung der Dinge oberflächlich nach der Erschei-nungsform. Designokratie ist so eine Konsequenz des um sich greifenden Formalismus. Sollte man das vorherrschende Styling als Formalismus verstehen? Otl Aicher hatte diesen schon als »Herausputzen« bezeichnet, andere, wie Wolfgang Fritz Haug in seiner Warenästhetik als »Lüge«; du sprichst vom »Schein« …

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Designokratie | 65

HvdB: Die alte Bürokratie galt schon Max Weber als hässlich. Die Designokratie hingegen hat sich nach Otl Aicher mächtig »herausgeputzt«. Der schöne Schein, das Styling, ist purer Formalismus. Den Formalismus interessieren Inhalte nicht. Insofern der Formalismus inhaltslos ist, nenne ich ihn auch »no-minalistisch«. Er besteht nur aus Zeichen als Marken, als Eti-ketten, die letztlich nichts bedeuten (»Formatierung«). Versteht man die Semantik im Design als Rhetorik, Symbolik oder Me-taphorik ohne repräsentationale Funktion, bleibt Design forma-listisch und nominalistisch. Es wendet sich jetzt, ähnlich vielen Kunstwerken, vornehmlich an Emotionen statt an Kognition. Der Sprachpsychologe Karl Bühler hatte in den 1930er Jahren plausibel gemacht, dass Sprache außer einer Ausdrucksfunktion und einer Appellfunktion vor allem eine Darstellungsfunktion wahrnimmt, ohne die Ausdruck und Appell bodenlos in der Luft schweben würden, ohne Halt und Bezug in der Realität. Seman-tik kann sich nicht vollständig auf Kontexte gründen. Worüber wir später ausführlicher sprechen werden. Design ohne realitäts-erschließende Semantik verfällt der Beliebigkeit und kann durch kein sachhaltiges Kriterium mehr eingegrenzt werden.

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66 | Die semiotische Haut der Dinge

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Semantik | 67

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68 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: In der Semiotik der Tradition Peirce / Morris steht die Semantik an der Seite von Syntaktik und Pragmatik. Du er-wähntest verschiedentlich, die Designbranche habe sich seit einer Reihe von Jahren fast unisono darauf geeinigt, Design als semantisches Problem anzusehen. Du hast eine ganz spezifische Sicht auf Semantik. Und »Produktsprache« geht dir nicht tief genug.

HvdB: Ja, eigentlich alle Autoren, die heute über Design schrei-ben, sind, soweit ich es beobachte, sich in dem einen Punkt ei-nig – immerhin! –, dass die Frage nach dem Design eine Frage nach der Semantik ist. Klaus Krippendorff hat in einem Artikel 1988 »Produktsemantik« als »eine neue Designtheorie« vor-geschlagen. In Nähe dazu bewegt sich eine Bestrebung aus der Hochschule Offenbach, namentlich durch Jochen Gros, »Pro-duktsprache« in den Vordergrund zu stellen. Krippendorff setzt aber die Semantik sofort in den Dienst der Kommunikation. Semantik meine stets Botschaft. Alles hängt also vom Konzept der Semantik ab. Hinter diesem Konzept verbergen sich alsbald verschiedene Autoren, verschiedene Auffassungen von Sprache und Kommunikation, einschließlich verschiedener Konzepte von Gesellschaft. Letztlich hängt die Vorstellung von Semantik vom grundsätzlichen Weltbild ab. Die Einigkeit, die sich auf Semantik bezieht, repräsentiert bei genauerem Hinsehen eine große Vielfalt und ein großes Durcheinander von Standpunkten, die alle ihre Quelle in weit von der Semantik abliegenden Wis-sensprovinzen haben, wie z. B. in der Erkenntnistheorie. Mein eigener Standpunkt hat sich zunächst im Kontakt mit der Se-miotik herausgebildet, wurde dann aber wesentlich unterstützt durch meine Arbeit als mathematisch orientierter Linguist.

FRT: Komplexere Semantiktheorien kommen hauptsächlich aus der Linguistik oder aus der Kommunikationswissenschaft her-aus, wie sie etwa von Krippendorff vertreten wird. Der kommu-nikationswissenschaftliche Ursprung ist in seiner Beschreibung eines semantic turn unübersehbar.

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Semantik | 69

HvdB: Was bei Krippendorff auffällt, ist, dass er eigentlich immer von der Sprache als Kommunikation ausgeht. Seine De-signtheorie, wonach auch Design Kommunikation ist, wendet sich aber von der Linguistik wieder ab. So geht er immer primär als Kommunikationstheoretiker an das Design heran. Und seine Vorstellung von der Sprache ist ebenfalls bestimmt vom kom-munikationswissenschaftlichen Ansatz. Er erklärt ausdrücklich, Design sei nicht ein Problem der Form und auch kein Problem des Produktentwurfs oder Designmanagements, sondern Design sei ein Problem der Semantik. In all diesem stimme ich ihm zu. Was ich nun dagegen einzuwenden habe, ist, dass die Designse-mantik nach meiner Auffassung gerade nicht in erster Linie mit Kommunikation zu tun hat, sondern mit der Handlung des Nut-zers. Die Handlung greift in die Welt ein. Design tritt nicht mit dem Nutzer in der Form einer Mitteilung in Verbindung, son-dern Design gibt das Bühnenbild einer Handlungsperformance vor, wie ich gern sage.

Meine Auffassung von Semantik im Design wird schon dadurch geprägt, dass ich nicht glaube, Sprache diene der Kommunika-tion. Das klingt paradox, meint aber folgenden ganz einfachen Sachverhalt: Theorien, die Gesellschaft auf Kommunikation gründen wollen, machen in der Regel den impliziten Fehler, Kommunikation wiederum auf Gesellschaft zu gründen (man nennt diesen logischen Fehler petitio principii, Voraussetzung des zu Erklärenden).

FRT: Also, dieselbe Sache wie Kommunikation oder Sprache kann einerseits nicht die Gesellschaft begründen, gleichzeitig aber in der Gesellschaft gegründet sein.

HvdB: Sprache gilt oft als typisch menschliche Erfindung. Man möchte damit verständlich machen, wie die Gesellschaft ent-standen ist. Natürlich können Lebewesen, die noch nicht in ei-ner Gesellschaft leben, nicht die Sprache erfinden, um daraufhin in einer Gesellschaft zu leben: Wenn Sprache schon ein soziales

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70 | Die semiotische Haut der Dinge

Phänomen ist, kann ihre Existenz nicht dazu taugen, das Phäno-men der Sozialität zu erklären.

Man bedenke, dass sich die englischen Termini society und community im Deutschen mühelos als »Gesellschaft« und »Gemeinschaft« wiederfinden lassen – was, wie man doch offensichtlich sieht, dasselbe bedeutet. Wenn Gesellschaft aus Kommunikation hervorgeht, muss man dafür sorgen, dass in der Erklärung, woher die Kommunikation kommt, nicht schon wie-der die Gesellschaft vorausgesetzt wird. Sonst kommt der Un-sinn dabei heraus, der schon Karl Marx unterlaufen ist, in seiner berühmten Behauptung, die Sprache sei notwendig geworden, weil Kooperation in der Arbeit notwendig wurde; andererseits habe Kooperation erst die Gesellschaft erschaffen. Ich will also sagen, die Kommunikation ist ein durchaus sekundäres Phä-nomen in unseren Zeichensystemen. Wenn der kleine Fritz das Wort »Zeichen« hört, denkt er automatisch an Kommunikation. Der Mensch hat in seiner Entwicklung aber nachweislich die Zeichen ›erfunden‹, um mit der Welt zurecht zu kommen. Die Sprache dient nicht der Kommunikation; die Sprache dient der Welterschließung. Das ist Noam Chomskys berühmt gewordene Position…

FRT: »Welterschließung« … also die Realität verstehen.

HvdB: Ja. Designsemantik, die für mich nicht in erster Linie die Frage nach der Kommunikation stellt, dient ebenso wie die Sprache oder die Kunst der Welt-Erschließung. Das Wort »Welt« ist hier von ganz besonderer Bedeutung. Welt ist der Horizont, innerhalb dessen wir uns bei allem bewegen, was wir tun. Die Welt ist kein »Kontext«. Die Welt besteht nicht aus Se-mantik, sondern, wie man gesagt hat, aus dem absolut Anderen der Gesellschaft, aus dem, was vonseiten der Gesellschaft durch Zeichen erst zu bannen ist.

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FRT: Was heißt hier nun wieder »das Andere der Gesellschaft«?

HvdB: Das Andere der Gesellschaft ist die Welt. Wir können auch den Gegensatz von Natur und Kultur bilden. Auf die Nu-ancen dieser Unterscheidung will ich jetzt nicht eingehen. Es kommt nur darauf an, dass die Gesellschaft / Kultur sich in der Welt vorfindet und mit der Welt irgendwie klar kommen muss. Die Welt ist für die Gesellschaft eine Gefahrenquelle, die Natur gilt immer als übermächtig. Und deshalb erfindet sich der My-thos übermächtige Partner der Gesellschaft, die Götter.

Die Welt ist also die fremde, ultimative Gefahrenquelle, für alles, was der Gesellschaft zustoßen kann. Die Gesellschaft er-findet sich eine symbolische Form (Ernst Cassirer), eine mythi-sche Kosmologie, die der Gesellschaft ihre ›letzte‹ Orientierung verleiht. Zeichen werden ursprünglich nicht in einer »partizi-patorischen Konversation« geschaffen, wie Krippendorff meint (oder auch Habermas). Ursprüngliche Zeichen wie Tabus, hei-lige Orte und sakrale Gegenstände werden geschaffen, um den angstvollen Blick zum uneinholbaren Horizont, hinter dem das Absurde lauert, zu besänftigen. Zeichen braucht man ursprüng-lich, wie alle archäologischen Zeugnisse zeigen, genau dafür: um zum Horizont zu zeigen. Abschließung des Welthorizontes durch abschließende Orientierung ist die wirkliche, menschheit-liche Ur-Aufgabe von Semantik.

FRT: Hast du Antworten zu diesen Fragen nicht in früheren Büchern ausführlicher dargestellt?

HvdB: Mein Freund (und früherer Lehrer) Theo Reucher hat mit mir zusammen zwei Bücher geschrieben, eins unter dem Titel Logische Ästhetik der Gesellschaft als Philosophie der Praxis (1977), das andere unter dem Titel Von der Logik des Sinns zum Sinn der Kunst (1981). Darin zeigten wir am Beispiel insbesondere der Höhlenmalerei und der frühgriechischen Pla-

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stik, welche bannende Kraft in der Möglichkeit liegt, Zeichen gegen die Gefahren der Welt zu stellen. Wir sind, wie Martin Heidegger glücklich formuliert hat, »in die Welt geworfen«, wir sind der Welt ausgesetzt. Symbole sind das ursprüngliche Mit-tel, sich die Welt gleichsam vom Leibe zu halten, auf Distanz zu halten, so auch Anthropologen wie Ernst Cassirer und Arnold Gehlen. Alle Zeichen sind ursprünglich »Hieroglyphen«, alle Zeichen sind ursprünglich heilige Zeichen. Wenn sie heilig sind, klingt es doch wohl ein bisschen komisch, Zeichen lapidar der Kommunikationsfunktion zuzuweisen.

FRT: Also, wie ich das hier verstehe, dienen die Zeichen oder »symbolischen Formen« (Cassirer) ursprünglich zur »Entla-stung« (Gehlen) von den Gefahren aus der Welt. D. h. dass wir uns am Ende tatsächlich durch Design, das aus Zeichen besteht, auf die Welt beziehen müssen, um die Realität zu verstehen.

HvdB: Von der symbolischen Form der Kunst spannt sich natür-lich ein sehr weiter Bogen zum profanen Design. Aber Design sollte nicht vergessen, wo es seine Wurzeln hat: im Zweck der Zeichen zur Welterschließung.

FRT: Du hast ja in Das Designprinzip kritisch geschrieben, »Postmodernes Design ist Kommunikationsdesign«. Das bedeu-tet natürlich, dass du Design gerade nicht als Kommunikation sehen möchtest.

HvdB: Der grundlegende Fehler des postmodernen Ansatzes ist es, Sinn und Bedeutung stets aus einem Kontext heraus konsti-tuiert zu sehen, der dann ja letztendlich selber wieder aus Sinn und Bedeutung bestehen muss. Es ist falsch, anzunehmen, dass Zeichen immer nur in einem Verweisungszusammenhang mit anderen und wieder anderen Zeichen stehen. Zeichen müssen irgendwann den Kontakt zur Welt – oder zum Welthorizont, denn die Welt ist kein Objekt – herstellen (oder wiederherstel-

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len, wenn sie ihn, wie in der Postmoderne, verloren haben). Sinn und Bedeutung wurden schon nach der mittelalterlichen Bestimmung aliquid stat pro aliquo – »etwas steht für etwas anderes« – zunächst einmal auf die Welt bezogen. Zeichen, die noch keine Bedeutung haben, können auch nicht kommuniziert werden, denn sie haben eben keine Bedeutung. Und eine Bedeu-tung erhalten sie nicht durch immer wieder neues und weiteres Einordnen in einen Zeichen-Zusammenhang, sondern nur da-durch, dass sie sich irgendwann einmal auf die Welt beziehen. Und erst dann kann man sie auch kommunizieren.

Nach der Postmoderne hingegen ist Sinn oder Bedeutung eines Objektes die Summe der vorstellbaren Kontexte, in denen es partizipieren kann, so Krippendorff und andere, nach einer For-mel Ludwig Wittgensteins im Tractatus. Bezeichnenderweise spricht Wittgenstein aber nicht von Kontexten, sondern von »Sachverhalten« (»die Form eines Gegenstands ist die Möglich-keit seines Vorkommens in Sachverhalten«). Sachverhalte sind in der Welt, sie sind nicht Zeichen.

FRT: Du sagtest vorher, die Produktsemantik bzw. die Pro-duktsprache denke auch in Metaphern.

HvdB: Ja, aber die Dinge kriegen nicht als Metaphern Bedeu-tung; Metapher ist immer, wie die Bezeichnung sagt, übertrage-ne Bedeutung. Dinge müssen zuerst etwas bedeuten, um dann metaphorisch verwendet werden zu können. Du kannst nicht eine Metapher aus dem Zylinder zaubern, wenn noch keine Bedeutung da ist. Und das steht wieder im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen Fehler zu glauben, ein Kontext könne Se-mantik konstituieren.

FRT: Das ist keine einfache Frage, wenn man doch als Postmo-derner oder Post-Postmoderner schon definitiv zu wissen glaubt, dass durch Kontexte Semantik konstruierbar sei, und damit das

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Design überall subjektive Welten gestaltet. Wenn die Semantik nicht aus dem Kontext kommt, woher dann? In meinem Buch Der denkende Designer habe ich eine »produktive Semantik« vorgeschlagen.

HvdB: Es gibt Metaphern, die gelungen sind. Apples Papierkorb ist eine Metapher, weil es wirkliche Papierkörbe als Sachverhal-te in der Welt gibt. Die Semantik generell ist aber nach Choms-kys generativer Grammatik selber generativ, d. h. erzeugend oder »produktiv«, wie du gesagt hast. Wir müssen die Semantik stets neu erzeugen in ihrem Vollzug, es genügt nicht, indem wir auf Kontexte hinschauen und uns Bedeutungen dort ›ausleihen‹. Nicht, indem wir unseren Blick scheinbar erweitern, verste-hen wir, was als Sinnangebot vor uns liegt, sondern nur durch aktiven, produktiven Nachvollzug. Es ist der Grundfehler von Kommunikationstheorie (aber auch von Hermeneutik), zu glau-ben, ursprüngliche Bedeutung entstehe durch Kontext. Im Kon-text wird Bedeutung höchstens modifiziert. Aber nicht konsti-tuiert. Konstituiert wird sie im Weltbezug. Der mittelalterliche, sicherlich etwas rohe Satz aliquid stat pro aliquo drückte aus, dass mit den Zeichen eine Art Pfeil verbunden ist, der auf etwas zeigt, auf etwas in der Welt (zuletzt auf den Welthorizont). Und nur wenn das schon klar ist, kann man jetzt auch über Kommu-nikation reden. Deshalb sagt Chomsky, die Wesensaufgabe der Sprache ist nicht Kommunikation, sondern Welterschließung. Du musst erst einmal mit Bedeutung in die Welt gehen und sie kategorisieren. Du musst zu Dingen sagen können Tisch, Stuhl, Hund, Sonne, Mond, Straße. Wenn du das hast, nämlich ein Lexikon, kannst du kombinieren. Dann hast du Elemente (Lexe-me), die schon eine Bedeutung haben.

Es wäre völliger Quark, eine Sprache ohne Lexikon aufbauen zu wollen, weil zunächst einmal auch im linguistischen Sinne Wörter eine Bedeutung im Lexikon haben. Und im Lexikon stehen sie nicht im Kontext, da stehen sie aus dem Kontext

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herausgerissen und haben trotzdem eine Bedeutung. Natürlich gewinnen sie dann im Kontext eine spezifischere Bedeutung. Die Bedeutung wird dort moduliert. Aber eine Bedeutung, die sie schon haben. Alle Zeichen stehen letztlich in einem Lexikon … Viele Leute lassen sich dadurch verwirren, dass Wittgen-stein sich angeblich in seinem späten Denken vom Weltbezug der Sprache abgewandt habe, um seine berühmte sogenannte »Gebrauchstheorie der Bedeutung« auf die »Sprachspiele« zu beziehen. Dabei vergisst man, dass der Weltbezug der Sprache selber ein eigentümliches Sprachspiel ist, was auch Wittgenstein so gesehen hat. Nicht alle Sprachspiele sind weltbezüglich, aber alle zeichenhaften Weltbezüge sind Sprachspiele. Auch das Le-xikon ist ein Sprachspiel! »Lexikon« ist ein Sprachspiel, dass jeder native speaker einer Sprache spielen kann. Jeder kann in anderen Wörtern seiner Sprache die Bedeutung von Wörtern erklären.

FRT: Also, das Design, das du vorschlägst, wäre eine Art lexi-kalisches Design?

HvdB: In gewissem Sinne ja. Jedes Lexikon-Sprachspiel funk-tioniert zirkulär. Ich sage hier schon einmal etwas ungeschützt, Benutzeroberflächen sollten die Handlungsperformance durch zirkuläre Redundanz unterstützen. Genauer gesagt geht es um ›Rotationssymmetrien‹ – das alles habe ich in Realität verstehen ausführlich dargestellt.

FRT: Das Wort »Redundanz« versteht jeder, »zirkuläre Redun-danz« klingt nach einer in sich wiederkehrenden Redundanz. In Realität verstehen erklärst du, Rotationssymmetrien im System (alle Symmetrien sind Rotationssymmetrien) lassen uns immer an den Ausgangspunkt zurückkommen (wie Ein- und Ausschal-ten des Lichts durch Weiterschalten). Für die Kognition bedeu-tet dies, dass wir immer wieder zurückkehren können möchten zu dem Punkt, wo wir den Zustand des Systems kennen (der

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Grund, warum Web-User am meisten den Zurück-Button drük-ken). Mit Symmetrie kehrt ins System Reversibilität ein. Nichts ist irreversibel, dadurch geht die Orientierung nicht verloren. Reversibilität bedeutet, dass man ein interaktives System nicht linear in Baumstruktur gestalten sollte …

HvdB: Gut, da muss ich also doch kurz über Rotationssymme-trie sprechen. Symmetrie und Orientierung stehen in direktem Zusammenhang zueinander. Woher wissen wir, dass wir dassel-be Haus, das wir vorhin von dort sahen, jetzt von hier sehen? Antwort: weil wir unsere alte Perspektive nahtlos in die neue transformiert haben. Da ist sozusagen nur eine Drehung (Rotati-on) im Spiel. Durch diesen Übergang sind wir uns der Identität des Hauses bewusst geworden. Das Haus entsteht in seiner Unabhängigkeit von unserer Perspektive durch den Wandel der Perspektive. Das so Identische ist Realität. Realität ist nicht eine Beschwörungsformel, kein Pochen auf Objektivität; Realität ist das »Eine vieler Weisen«, das, was im Wandel identisch bleibt. Orientierung bedeutet, eine Geografie unabhängig von ihrer jeweils aktuellen Gegebenheitsweise – wenigstens mental – in ihrer Gesamtheit überschauen zu können. – Übrigens gibt es Zeichnungen von Leonardo da Vinci, die eine Landschaft ge-treulich aus der von ihm natürlich nie gesehenen Vogelperspek-tive zeigen. Er kannte die Landschaft seiner Heimat so gut, dass er sie aus der Perspektive eines sie überfliegenden Vogels dar-stellen konnte (auch manche Savants sind zu solchen erstaunli-chen Leistungen imstande).

FRT: Lass uns zum Gedanken des »Lexikons« zurückkehren. Du sagtest vorhin, das Lexikon sei ein zirkuläres Sprachspiel. Wenn man als Designer das Wort »Lexikon« hört, denkt man si-cher schnell an die Offenbacher »Produktsprache«. Hintergrün-dig liebäugelte das Konzept mit einem Produktsprache-Lexikon aus semantischen Elementen, das von Kritikern des Konzepts immer wieder gegen es ins Feld geführt wurde. Dahinter ver-

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barg sich etwas wie eine leicht handhabbare Sammlung und Klassifizierung von Zeichen und Symbolen, und zwar idealer-weise in der Form, wie man es von einem Wörterbuch gewohnt ist. Ich glaube, dass du etwas ganz anderes meinst. Aus deiner Zeit als Linguist hast du natürlich ein differenzierteres Bild des Lexikons.

HvdB: Im linguistischen Lexikon stehen »Lexeme« anstelle von Wörtern. Lexeme unterscheiden sich von anderen Lexemen nicht durch lautliche Materialität, sondern durch strukturelle Differenzierung. Dies ist der ursprüngliche Ansatz des Struk-turalismus, wie er von Ferdinand de Saussure ausging. Be-kanntlich hat der Strukturalismus eine enorme Ausweitung auf andere Gebiete der Kultur erfahren, er wurde geradezu zu einer intellektuellen Bewegung. Mittlerweile hatte sich jedoch in der Linguistik, hauptsächlich durch die mathematisch orientierten Arbeiten Noam Chomskys, eine Wende vollzogen: Sätze bilden nicht nur einen strukturell lexikalischen Zusammenhang von syntagmatischen und paradigmatischen Relationen, vielmehr sind Sätze Konstruktionsprodukte, die in einem Generierungs-prozess entstehen, der im Gehirn nur zu Teilen bewusst vollzo-gen wird. Der größte Teil, nämlich auf der Ebene der »sprach-lichen Universalien« (Chomsky), findet unbewusst statt. – Ich sollte an dieser Stelle noch einflechten, dass die »sprachlichen Universalien« dasjenige repräsentieren, was wir von Geburt an im Gehirn als spezifisches System mitbringen (Affen aber nicht), das uns befähigt, eine Sprache zu erlernen (faculté de langage nach de Saussure). Wäre Sprache ein rein soziales, auf Kommunikation bezogenes Phänomen, und nicht primär ein kognitives, wäre nicht zu verstehen, warum wir dazu eine spezi-fische Anlage im Gehirn brauchen.

Die semantischen Elemente, die zur generativen Semantik ge-hören, lassen sich nur in einem sehr abstrakten »Lexikon« auf-finden. Noch spätere Ansätze führten das Konzept der sprach-

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lichen Handlung ein, also das Konzept von Handlungen, die mittels Sprache vollzogen werden (speech acts, zuerst behandelt von John Austin, später von John Searle). Speech acts wurden dann oft so verstanden, als könnten sie die generative Semantik ersetzen, indem sie eine neue Art von Gebrauchstheorie der Be-deutung zu beinhalten schienen. Das aber ist irrig. Searle ging es ursprünglich gar nicht um Semantik, sondern um Handlung. Ganz gewöhnliche Handlungen, die nur mittels Sprache voll-zogen werden (wie z. B. ein Gruß oder eine Schiffstaufe). Sie konstituieren nicht Bedeutung, sondern setzen sie voraus und modulieren sie. Speech acts sind Handlungen in der Welt, aber setzen die fertige Sprache als neurologisch-kognitives System voraus.

FRT: Diese Theorie, so würde ich sie verstehen, sagt uns, wie der Sprechakt in einer gegebenen Situation zu vollziehen ist. Sprache ist mehr als nur das Sprechen. Der deklarative Sprech-akt »Ich taufe dich hiermit auf den Namen ›Hoffnung des Mee-res‹« ist eine Handlung, die in einer Gesellschaft gilt – aber nur, wenn die vorgegebene ritualisierte Sprechaktformel zusammen mit einer entsprechenden Geste stattfindet (felicity conditions).

HvdB: Für das Design stellt sich die Frage, was wir aus Chomskys Auffassung von Semantik lernen können. Natürlich nicht ein einfaches Kombinieren quasi-lexikalischer Elemen-te. Vielmehr liegt dem lexikalischen Fundus ein universelles Muster zugrunde, das einen neurologisch-kognitiven Apparat voraussetzt, in seiner Universalität aber das konstituiert, was ich »universelle Intelligenz« nenne. Du hast in deinem Buch Der denkende Designer daher auch anstelle von Produktsemantik von produktiver Semantik gesprochen und genau dies scheint mir das Entscheidende zu sein: Semantik ist nichts Statisches, auch nichts behavioristisch Prozesshaftes, sondern etwas, was wie Handlung auf Vollzüge angewiesen ist, um überhaupt zu existieren.

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FRT: Im Designprinzip kritisierst du, nominalistisches De-sign sei »Geltung ohne Vollzug«. Wir finden heute oft ein Design vor, dessen ›Geltung‹ durch Autorität entsteht, nicht aber durch eine semantische Performance, und zwar meist zu Gunsten purer Effizienz. Dies erscheint natürlich, nachdem wir über Sprechakte geredet haben, als ganz inadäquat. Effizienz ist mit dem Nominalismus und Formalismus verbunden, die keinen Bezug zur Realität mehr herstellen und sich daher nur vom Kontext abhängig machen. Damit entsteht ein Design des anything goes (Feyerabend), ein Design der Beliebigkeit, denn das Machbare wird nicht mehr durch ein orientierendes Reali-tätsprinzip eingeschränkt.

HvdB: Semantik, die nicht in der Realität wurzelt, scheint ver-führerische Möglichkeiten zu eröffnen. Es geht dann nicht mehr um Handlung, sondern lediglich um Gebrauch, dessen Dimen-sionen vom Nutzer nach Belieben interpretiert und uminterpre-tiert werden können, abgesehen von dem Fall, wo das Design autoritäre Verhaltensregeln impliziert, die den Nutzer gängeln. Nominalistischer Formalismus ist, wenn man so sagen darf, eine Semantik durch Abwesenheit von Semantik. Ersatzweise wird dann gern von rhetorischen Elementen, wie Metaphorik, Symbolik, Polysemie gesprochen, die gewissermaßen wie an das Design äußerlich angeklebt wirken. Handlungsperformance verlangt hingegen nach einer Semantik, die für den Handelnden wie ein Fenster zur Welt wirkt. Eine solche Semantik »quatscht nicht vielsagend herum«, sondern dient dem Vollzug wie dem Fluss das vorgebahnte Flussbett. In Realität verstehen habe ich diese Rolle dem semantischen Schema zugewiesen.

Resümierend wäre zu sagen: Semantik, die Handlung fördern kann, hat selber schon den Charakter von Handlung, genauer von Vollzug. Semantik kann man nicht ›von Außen‹ beschrei-ben. Semantik ist keine Hinzufügung zum Design, nicht ein Angeklebtes. Semantik ist ein ›Forminneres‹, sozusagen ein

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80 | Die semiotische Haut der Dinge

formaler Inhalt der Form. Den inhaltlichen Aspekt von Form erfasste Immanuel Kant im Konzept des Schemas. Design hat nach meiner Auffassung gerade das Schema der Handlung zu gestalten.

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Kontexte oder Repräsentationen? | 81

6. Kontexte oderRepräsentationen?

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82 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Wir haben einiges aus der Linguistik heraus für die Se-mantik des Designs diskutiert. Jetzt sollten wir dies mit der Dar-stellungsfunktion der Sprache konfrontieren. In dem Objekt …

HvdB: … ich rede nicht gern von Objekten, weil das tatsächlich ein allzu isolierter Gesichtspunkt ist. Einige Designtheoretiker weisen darauf hin, dass die Leute mit dem Messer Brot schnei-den, aber auch ein Loch bohren, einen Brief öffnen, sich die Fingernägel reinigen. Nun gut, aber kann ich daraus irgendeinen Gestaltungshinweis gewinnen? Kann diese Art von ›Multifunk-tionalität‹, die der Nutzer erzeugt, schon in der Gestaltung be-rücksichtigt werden?

FRT: Nein. Solche Beschreibungen gucken die Dinge aus einer externen Perspektive an, die dem Designprozess nachträglich ist. Sie beschreiben Nutzungsmöglichkeiten – wie schneiden, bohren, öffnen, reinigen – aber sie geben tatsächlich keinen Hinweis, wie Designer ein Messer zu gestalten haben.

HvdB: Die vom Nutzer privatim eingeführten Möglichkeiten könnte man vielleicht in dem finden, was Karl Bühler in den 1930er Jahren »Ausdrucksfunktion« und »Appellfunktion« nannte. An diese beiden Funktionen, wenn sie im Design auf-treten, lassen sich – ich sage: vielleicht – vom Nutzer erfundene Gebrauchsmöglichkeiten anschließen. Dann ginge vom Messer ein Appell aus, falls die Situation es erforderlich macht, das Messer als Bohrer zu nutzen. Man könnte auch sagen, das Mes-ser drücke aus, dass es auch als Bohrer gebraucht werden kann. So etwas zählt für manche zur Produktsemantik. Für mich nicht. Insbesondere dann, wenn sie der Produktsemantik primär eine kommunikative Funktion zuschreiben. Es wäre dann so, als ob das Messer mir mitteilen wollte, es könne auch als Bohrer ge-nutzt werden.

Hier kommt indes ein wichtiger Punkt ins Spiel. Der Nutzer kann einem Messer nur dann ansehen (dekodieren), dass es

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auch als Bohrer geeignet ist, weil er auch unendlich viele andere Dinge als Bohrer benutzen kann. »Bohrer« ist nicht ein Gegen-stand, sondern, wie ich sage, ein Handlungsschema. Weil der Nutzer das Handlungsschema Bohrer zur Verfügung hat (d. h. dass er schon einmal mit irgendetwas gebohrt hat), kann vom Messer her ein Appell oder ein Ausdruck auf ihn wirken, es als Bohrer zu nutzen. Übrigens habe ich in meinem Buch Betrifft Design (1994) ein längeres Kapitel der tiefergehenden Analyse von Funktionen gewidmet.

Wenn wir sagen, das Messer hat die Funktion, zu schneiden, haben wir es nicht mit einer Appellfunktion noch einer Aus-drucksfunktion zu tun, vielmehr mit einer Darstellungsfunktion des Messers. Für Bühler stand die Darstellungsfunktion der Sprache an erster Stelle. Wir sagen jetzt, das Messer habe die Darstellungsfunktion, eine Handlungsfunktion (Schema), zu repräsentieren, die Funktion Schneiden. Damit stellt das Messer etwas dar, nämlich einen Weltausschnitt, eine Lebensform in der Lebenswelt.

Viele Leute nehmen an, jemand kaufe ein bestimmtes Auto, um mit dem Auto etwas auszudrücken. Als wollte der Käufer mit dem Auto etwas sagen, etwas mitteilen (»Mein Auto, mein Haus«). Natürlich kann man mit dem Auto oder mit dem Messer etwas sagen. Mit dem Messer kannst du drohen. Das ist eine Botschaft. Du brauchst nur das Messer vorzuzeigen, dann weiß der Bedrohte, was los ist. Es ist ein Appell, der Bedrohte möge beachten, was er tun kann und was nicht. Aber das Entscheiden-de für die Designsemantik ist doch die Darstellungsfunktion. Sie ist das Fundament jeder Semantik. Und das ist ganz simpel. Da ist nicht großes Theater zu machen: Wenn du nicht weißt, was der Typ, der gerade bei dir eingebrochen ist, in der Hand hat, wenn du das mit einer Taschenlampe verwechselst, aber es ist in Wirklichkeit ein Messer, dann hast du dich hinsichtlich der Darstellungsfunktion geirrt.

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84 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Was bedeutet das nun für die Produktsemantik?

HvdB: Wir können dem entnehmen, ein Messer muss aussehen wie ein Messer. Irgendwo ist mal ein Konsens darüber herge-stellt worden, was ein Messer ist. Wenn es zu groß ist, ist es kein Messer, wenn es zu klein ist, ist es auch kein Messer mehr. Also es gibt so etwas wie eine ›Definition‹. Eine Art Lexikonde-finition. Im Lexikon steht, was in »fokaler Instanz« ein Messer ist. Die kognitive Psychologie spricht beim Schema von fokaler Instanz. Die fokale Instanz des Musikinstruments ist … die Geige, klar; die fokale Instanz der Farben ist … rot. Man sieht, was gemeint ist. Ein Messer ist ein Messer und bleibt auch ein Messer in allen anderen Kontexten als der fokalen Instanz. Wer das Messer als Bohrer nutzt, weiß immer noch, dass es ein Messer ist. Der Ausdruck oder Appell des Messers aber kann sich für dich total verschieben: Du suchst irgendwas, um dei-ne Fingernägel zu reinigen und siehst da das Messer. Ich habe nichts anderes, dann nehme ich das. Vom Messer geht, abhängig vom Kontext, in dem ich mich befinde, ein Appell aus, der mir sagt: mich könntest du auch brauchen zum … Ich bin mental im Schema »Fingernägel reinigen« und suche die Welt ab, ob ich etwas darunter subsumieren kann.

FRT: Und was ist die Ausdrucksfunktion?

HvdB: Ein Messer drückt z. B. für eine Mutter mit ihrem Kind immer Gefahr aus. Oder reine Ästhetik, wie wir das beide ein-mal gesehen haben bei einem befreundeten Architekten, dass er ein besonderes Klappmesser aufmachte, in rein ästhetischer Geste. Dieses zweihundert Jahre alte Messer hatte etwas so Elegantes … Einst hatte es einem Aristokraten gehört, eine Antiquität. Das Messer nehme ich nicht in Gebrauch, sagte sein Besitzer, ich schneide nicht damit, ich gucke es mir nur an. Ich würdige es in seiner ästhetischen Daseinsform. – Nun, das ist Ausdruck. Natürlich ist das weiterhin ein Messer. Ein Messer

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Kontexte oder Repräsentationen? | 85

ist ein profaner Gegenstand. Ein Messer ist zum Schneiden da. Messer: Schneiden. Aber das Klappmesser drückte eine ganze Geschichte aus.

FRT: Lass uns über Design und Kontext sprechen … und über Polysemie.

HvdB: Also ich würde gern etwas bemerken zu Klaus Krippen-dorffs Aufsatz »Design muss Sinn machen. Zu einer neuen De-signtheorie« von 1989. Am Titel fällt schon auf, woran ich mich sofort stoßen würde …

FRT: … »Machen«

HvdB: Machen. Das geht typischerweise zusammen: Design und Machen. »Design macht Sinn«. Und der Wortspieler Krip-pendorff nimmt das wörtlich. Da stimmen wir beim Sinn wieder überein, beim Machen nicht. Von da ab nämlich divergieren unsere Ansichten. Krippendorff legt auf Kontext großen Wert, insofern er sagt, wenn man Design als Entwerfen betrachte, würde man die »dekontextualisierten Formen gestalteter Gegen-stände« zu Unrecht in den Vordergrund stellen.

FRT: Das verstehe ich nicht.

HvdB: Er geht sofort darauf aus, dass gestaltete Gegenstände, die einfach so in der Welt herum stehen, ein Tisch, ein Stuhl usw. je für sich de-kontextualisiert wären. Ihm scheint also die Kontextualität für die Semantik sehr wichtig zu sein: Etwas steht im Kontext eines größeren Zusammenhangs und gewinnt dadurch Sinn – meint er jedenfalls.

FRT: Daher seine Polysemie, nicht wahr? Weil das Design den Kontext nicht festlegen kann.

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86 | Die semiotische Haut der Dinge

HvdB: Richtig. Da ist ein Semantikbegriff im Spiel, der im Grunde genommen aus der Literaturwissenschaft kommt: Was bedeutet die fünfte Zeile des Epos Orlando Furioso Ariosts im Zusammenhang des ganzen Textes? Man unterscheidet schließ-lich zwischen dem, ›was der Dichter uns sagen wollte‹, und dem, was ein Text im weiteren Kontext bedeutet, im Kontext, zu dem der Dichter selbst gehört.

Im gleichen Sinne wird die Hermeneutik von Text und Kon-text auf das Design angewandt. Krippendorff erklärt – und da stimme ich zu –, dass man nicht das Entwerfen von puren Gegenstandsformen betrachten sollte. Design hat mehr mit Zeichen und Symbolen zu tun als eben mit »dekontextualisier-ten« Formen. Allerdings vertrete ich selbst einen viel breite-ren, letztlich aus der antiken und mittelalterlichen Philosophie kommenden Formbegriff (»Lebensformen«), bezüglich dessen die geometrischen Gegenstandsformen ohnehin nur ein ganz spezieller Fall sind. Und jetzt sagt er, dass Design es »mit Sinn-geben, Verständlichmachen oder Kommunikation« zu tun hat. »Verständlichmachen«, das kommt am ehesten meinem (und deinem) kognitiven Ansatz entgegen. Natürlich gibt es Kom-munikationsdesign im engeren Sinne, aber Design hat es nicht von vornherein und generell, bloß weil Design Semantik bein-haltet, mit Kommunikation zu tun. »Zwei plus zwei gleich vier« enthält für niemanden eine Mitteilung, obwohl hier Semantik vorhanden ist. Das ist mein alter Standpunkt schon seit vierzig Jahren. Ein Erstes, das ich in der Linguistik gelernt habe, war, dass die Sprache nicht der Kommunikation dient, sondern der Welterschließung. Die Welt wird gleichsam angesprochen, be-vor über sie kommuniziert wird; selbst der small talk spricht über das Wetter. Sprache braucht ein hypokeimenon, ein »Wor-über«. Und das gilt auch für die Semantik des Designs. Auch Design hat mit Welterschließung zu tun, mit einem »Worüber« und ist nicht primär, sondern nur sekundär etwas Kommunika-tives. Aber Kommunikation ist Krippendorff das Wichtigste:

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Kontexte oder Repräsentationen? | 87

Design sei auf Kommunikation und Kontextualität einzustellen. Dahinter steht ein bestimmter Ansatz von Semantik, der aus der Perspektive How to Do Things with Words (John Austin, 1962) kommt. Sinn entsteht danach immer nur im größeren Kontext, nicht bei isolierten Gegenständen. Der Punkt, den ich bestreite, ist, der Kontext konstituiere Semantik. Der Kontext konstituiert oder produziert aber gar nichts (er moduliert allenfalls). Die Bedeutung der fünften Zeile bei Ariost wird nicht durch die Be-deutung des ganzen Textes konstituiert, nur moduliert: Da wir andernfalls jede Zeile nur im Kontext des ganzen Textes verste-hen könnten, wäre es unmöglich, je die Bedeutung des ganzen Textes zu erfassen.

FRT: Also Semantik, als generative oder produktive Semantik, realisiert sich im Moment des ›Gebrauchs‹.

HvdB: Ja. Krippendorff meint indes, ohne Kontext gestaltende Designer schüfen Formen, nähmen aber nicht »auf deren Benut-zer Rücksicht, die sich an den von anderen entworfenen Gegen-ständen stoßen und sich ihnen anpassen müssen«. Das ist genau wieder mein Standpunkt. Die Frage ist aber, wie Krippendorff das mit seinen Kategorien »Kontext«, »Kommunikation« und »subjektiver Sinnbezug« überwinden will. Wenn du dich vor einem Straßenschild in China wiederfindest und es nicht ver-stehst, nützt dir ein noch so großer Kontext gar nichts: Dir fehlt nicht Kontext, dir fehlt Kompetenz. Sicher, die pure Design-form, die ihrem Inhalt entkleidet ist, steht für sich alleine da und hat keinen Stellenwert mehr in der Welt. Ich spreche dann von Formalismus. Du kannst die Form nicht mehr einordnen, sie steht einfach da. Daran ändert aber nicht der größere Kontext etwas, sondern der Weltbezug der Handlungsperformance, der in Form von erfüllten felicity conditions im Design präformiert sein muss. Wäre das chinesische Straßenschild ein universell verständliches Piktogramm, würde unser Problem schon ohne größeren Kontext verschwinden.

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88 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Wenn du sagst, dass Design »Universalität« beinhalten müsse …

HvdB. Ja, in der Tat: als Fluchtpunkt. Die Kompetenzquelle für Letztorientierung müssen, wie in der Sprache, die Universalien sein.

FRT: Du nennst gelegentlich das Beispiel des Korkenziehers. Seine Semantik erklärt sich durch ein »Schema«. Das Schema kann man nicht einem Marsmenschen kontextuell erklären, oder doch?

HvdB: Das Beispiel Krippendorffs ist ein Film. Er bezieht sich auf die ersten zehn Minuten. Ein Pilot fliegt über australische Gebiete der Aborigines. Er wirft eine leer getrunkene Coca-Cola-Flasche aus dem Flugzeug hinaus. Die Aborigines finden die Flasche, haben so was aber noch nie gesehen. Sie gewinnen sofort den Eindruck, dass der Gegenstand irgendetwas Hoch-wichtiges bedeuten müsse. Sie klassifizieren ihn als Artefakt. So weit stimme ich mit Krippendorff überein (oder mit dem Film). Der Film erzählt jetzt, was für viele Verwendungsweisen die Aborigines erfinden. Das passt Krippendorff natürlich ins Kon-zept. Die Aborigines spielen sofort Polysemie. Wichtig ist, sie praktizieren Polysemie an dieser für uns eindeutigen Flasche. Sie erkennen nicht, dass es sich um einen spezifischen Behälter für Flüssigkeit handelt. Der entscheidende Punkt ist der, dass Krippendorff glaubt, die Semantik der Flasche gehe darin auf, dass sie polysemisch ausprobiert wird. Sie wird sozusagen in Sprachspiele eingebettet. Wittgensteins Wort »Sprachspiel« scheint nach Interpretation vieler, denen ich nicht zustimme, einen repräsentationalen Begriff von Sprache oder Zeichen zu vermeiden. Krippendorff lehnt »Repräsentativität« ab. Er kriti-siert dies auch bei Searle, der trotz seiner Sprechakttheorie ei-nen repräsentationalen Begriff von Sprache vertritt, wo die Dar-stellungsfunktion Basis ist. Searle ist eben nicht nur an Austin,

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sondern auch an Chomsky geschult. So. Was ich jetzt auf die Aborigines anwenden würde, ist in der Tat, dass sie das Schema der Flasche nicht verstanden haben. Sie können das auch nicht rekonstruieren. Genau das, was die Flasche repräsentiert, näm-lich einen gewissen Ausschnitt der Welt, können sie nicht deko-dieren. Stattdessen probieren sie etwas aus, »Polysemie«. Das heißt, die Aborigines wissen nicht, was die Flasche bedeutet, darum legen sie eine Bedeutung hinein. Für sie ist die Flasche ›kein Fenster zur Welt‹. Sie sehen keinen schematischen Cha-rakter in der Flasche, der eine Handlung auf die Welt bezieht. Das Schema der Flasche kann man nur erkennen, wenn man weiß, dass es Flüssigkeiten gibt, und dass man Flüssigkeiten in Behältern aufbewahren kann, aus denen man trinkt. Das ist im Grunde ein Stück Physik, das den Aborigines nicht gegenwärtig ist, davon sind sie abgeschnitten. Sie dringen nicht – wenn ich so sagen darf – zur ›Physik‹ der Flasche vor. Für sie ist die Fla-sche kein Stück Theorie, wie ich das nenne, wenn ich sage, ko-gnitives Design sei theorieartig. Für sie existiert in der Flasche kein kognitives Schema.

Eine ›Theorieartigkeit‹, die wirklich »Schau des Göttlichen« wäre, würde übrigens die Flasche als göttlich betrachten. Als sakralen Gegenstand. Als Fetisch. Das ist ihnen (laut Film) zu fremd, sie probieren alles Mögliche aus, Polysemie. Natür-lich kannst du eine Flasche dazu brauchen, um in den Boden Zeichen zu ritzen. Du kannst alles für alles benutzen. Es gibt keine Einschränkung für Gebrauchsweise. Ich glaube, der Film erkennt nicht, dass von den Aborigines der seltsame gefundene Gegenstand zunächst einmal als sakral verstanden werden wür-de. Sakrale Gegenstände sind Symbole, die von sich aus auf die Götter jenseits des Horizonts zeigen. Sie sind der Ursprung aller Zeichen.

FRT: Dass es aber Polysemie gibt, damit bist du einverstanden.

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HvdB: Gewiss. Ich sagte schon, alles kann zu allem gebraucht werden. Ein in der Literatur erörtertes Beispiel wäre, dass in Kuba alsbald nach der Revolution Wasser zum öffentlichen Gut erklärt wurde; seine Nutzung brauchte nicht mehr bezahlt zu werden. Daraufhin musste man aber feststellen, wie der Was-serverbrauch rapide anstieg – weil die Leute zu faul waren, den Wasserhahn zuzudrehen! Es kostete ja nichts. Niemand hatte mehr das Gefühl, Wasser sei ein knappes Gut. Wasser war wie Luft. Die Entscheidung der Regierung hatte dazu geführt, das Schema von ›Wasser aus der Wasserleitung‹, in das von ›Luft aus der Luft‹ umzuformen.

FRT: Das gehört doch zur Produktsemantik?

HvdB: Ich sage ja auch, dass Design mit Semantik zu tun hat. Nur nicht mit einer Produktsemantik der Polysemie. Produktse-mantik, auch Produktsprache, bildet eine Denkschule, die in der Semantik nicht mit Darstellungsfunktion, sondern mit Appell- und Ausdrucksfunktion arbeiten möchte, mit Metaphorik, mit Symbolik, mit Rhetorik. Mit allem, nur nicht mit inhärentem Weltbezug, nicht mit Repräsentation und Kognition. Der Grund dafür liegt in einem unexplizierten Gesellschaftsverständnis, auf das wir später zu sprechen kommen müssen.

FRT: Wasser muss man bezahlen, Luft nicht. Ist das Geltung?

HvdB: Ja, das ist Geltung. Das ist kategorisch. Da wird nicht gedacht im Gebrauch, wenn ich Wasser verwende, muss ich es bezahlen. Wasser wird in kategorischer Geltung mit einem Wert verbunden. Du wirst im eigenen, aber nicht nur im eige-nen Interesse den Wasserhahn zudrehen. Als die kubanischen Kommunisten das Wasser wieder bezahlen mussten, war klar-gestellt, dass die Vergesellschaftung von Gütern ihre Grenzen hat. In einem Buch über Ökonomie habe ich mal ein gutes Beispiel gefunden: Karl Marx hatte sich einst vorgestellt, dass

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die produzierten Güter der kommunistischen Gesellschaft nicht mehr gehandelt werden, sie stehen nur noch in Regalen großer Magazine, und du kannst hingehen und nimmst dir nach deinen Bedürfnissen. Marx dachte, der neue Mensch sei so intelli-gent, so sozial, dass er sich nur nehmen werde, was er wirklich braucht. Mein Ökonomiebuch nahm das Beispiel mal ernst: Da stehen also im unteren Stockwerk Fernseher und in einem Stockwerk weiter oben Stühle und Hocker. Der Mann, der unten reinkommt, braucht einen Hocker, er denkt polysemisch, und er sagt sich, »oh, ein Fernseher, darauf kann man auch sitzen. Ich nehme einen Fernseher mit. Dann brauche ich nicht zum zwei-ten Stock hinauf zu gehen, wo die Hocker sind«. Ja. Genauso ist das. Der Mensch ist zu kreativ. Er nimmt einen Fernseher mit, nutzt ihn aber als Hocker. Also die Zuschreibung nach Hand-lungsschema, nach Welterschließung sagt: Ein Stuhl erschließt die Welt auf ganz andere Weise als ein Fernsehgerät. Wenn du bei der Polysemie bist, tust du gewissermaßen so, als wärest du ein Aborigine, der in das Magazin reingeht und denkt, »ich suche einen Stuhl, das dort ist auch gut. Das ist doch ein Stuhl hier. Ich suche eine Sitzgelegenheit, also nehme ich das mit.« Ohne das Wissen, dass dies da ein Fernseher ist. Er weiß nicht, dass er das umfunktioniert hat. Er hat das Schema Fernsehen als ein Stück Welterschließung, als verkörperte Theorie, Schau auf Realität, gar nicht gegenwärtig.

FRT: Das heißt, dass mit universeller Intelligenz keine Flasche für Aborigines gestaltet werden kann, weil sie die nicht brau-chen.

HvdB: Sie brauchen sie nicht, nein, sie haben keine Verwen-dung dafür. Dieses Schema Flasche brauchen sie nicht. Das Schema Korkenzieher brauchen sie nicht. Und viele andere Din-ge brauchen sie nicht. In einer Konsumgesellschaft hast du eine Unmenge Dinge, die du nicht brauchst. Und in einer Konsum-gesellschaft tritt ja häufig die Erscheinung auf, die Uta Brandes

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92 | Die semiotische Haut der Dinge

und Michael Erlhoff in einem Buch gefeiert haben (Non Inten-tional Design, 2006), dass die Leute die Sachen umfunktionie-ren. Die Autoren kappen in einem Schritt die Intention, sowohl die intentio recta wie auch die intentio obliqua.

FRT: Ich denke da an das Bild eines Kühlschranks als Buchregal.

HvdB: Kühlschrank als Buchregal. Das kann ja auch ein wit-ziger Ausdruck sein, ein eigener, quasi ironischer Zugang. Das heißt aber doch, dass das eigentliche Schema vorausgesetzt wird. Das ist ja nur lustig, wenn du weißt, dass Kühlschränke eigentlich etwas ganz anderes sind. Dieses, was sie eigentlich sind, ist nicht einfach nur eine polysemische Variante mehr. Es ist etwas völlig anderes. Es ist auch nicht einfach die Funktion im alten Sinne der Technik. Wir können technisch dem Ding keine Funktion mehr ablesen. Wir müssen darin ein Schema erkennen, oder eine »Gegebenheitsweise« von Realität (nach dem Mathematiker Gottlob Frege, Über Sinn und Bedeutung). Ein Korkenzieher ist eine Gegebenheitsweise eines Stücks Rea-lität, eine Flasche ist die Gegebenheitsweise eines Stücks Reali-tät. Darüberhinaus bietet natürlich die Flasche noch unendliche Möglichkeiten, sie polysemisch einzuordnen und zu verwenden. Daran sieht man auch, dass Gebrauch gar nicht das Entschei-dende ist, vielmehr das Handeln. Du kannst alles zu allem ge-brauchen, mit mehr oder weniger Glück. Jedenfalls versuchen. Du kannst versuchen … ich weiß nicht … mit einer Tafel Scho-kolade einen Nagel einzuschlagen. Du kannst es versuchen, und wenn der Versuch misslingt – na ja, dann probierst du es mit etwas anderem. Du hast ein Handlungsziel, der Gebrauch ist dir gleichgültig. Gebrauch ist nicht die entscheidende Kategorie, weil die auf der Stufe der intentio obliqua bleibt, wie ich sage, sondern einfach im Handeln (intentio recta), z. B. mit der Fla-sche. Die Flasche tritt im Vollzug des Handelns ganz zurück.

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Kontexte oder Repräsentationen? | 93

FRT: Beispiel war, die Aborigines brauchen die Flasche nicht, also verstehen sie die auch nicht, es gibt für sie keinen Hand-lungszusammenhang. Zuerst wollen wir die Handlung, erst dann benötigen wir das Ding, um es zu gebrauchen. Nur so erkennen wir das Schema.

HvdB: Nicht nur: Du kannst auch ein neues Schema anbieten.

FRT: Zum Beispiel Apple.

HvdB: Was wir an Apple rühmen, ist: Du bleibst nicht kleben an den ›Flaschen‹ – sage ich mal –, die Apple bereitstellt, son-dern du benutzt sie ohne an den Gebrauch zu denken. Du fährst Auto vermöge des Lenkrads, ohne im geringsten noch daran zu denken, dass du am Lenkrad drehst. Du siehst die Kurve und fährst automatisch um die Kurve. Krippendorff legt hier großen Wert auf das Unbewusste. Er sagt, für jemanden, der mit dem Auto um die Kurve fährt, ist das eine weitgehend unbewusste Handlung. Das ist nicht richtig! Es ist eine Handlung, deren Aufmerksamkeit bei der Straße bleibt, und nicht genötigt ist, zum Lenkrad zu gehen. Du bist mit der Intention da draußen, im Verhältnis zur Welt, nicht beim Lenkrad als einem Zeichen. Wenn du eine Flasche sakral anschaust, z. B. Flaschentypen sammelst – Bierflaschen sammeln, es gibt Leute, die machen so was –, dann bist du nicht mehr bei dem Schema Flasche als Flüssigkeitsbehälter, aus dem man trinken kann. Du bist nicht mehr in der Welt ›da draußen‹, du bleibst in der intentio obliqua stehen bei der Form, die dann formalistisch-nominalistisch ge-worden ist (»dekontextualisiert«).

FRT: Also Polysemie auf der Seite des Konsumenten kann De-sign nicht vermeiden.

HvdB: Nein. Das interessiert aber auch keinen Designer, weil er Polysemie nicht einbauen kann. Das wäre illusionär. Die-

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jenigen, die Polysemie im Design für wünschenswert halten, beachten nicht, dass sie durch typische Designfehler nahegelegt werden kann. In einem Atomkraftwerk habe ich einmal gese-hen, wie eine ganze Wand mit Anzeigeinstrumenten ausgefüllt war, die alle aussahen wie Amperemeter. Jedes bedeutete aber etwas Eigenes. Die Ingenieure in der Leitwarte mussten die darin steckende Polysemie sorgfältig auseinanderhalten, eine Gefahrenquelle (deshalb klebten sie kleine Zettel daran). Man hat inzwischen gelernt, im Flugzeugbau den früheren ›Instru-mentensalat‹ ähnlich aussehender Anzeigen zu vermeiden. Es kam zu leicht zu Verwechslungen.

FRT: Also, ich versuche zusammenzufassen. Zuerst siehst du Design als repräsentationales Zeichen. Als Linguist, der Choms-ky folgt, siehst du die Sprache nicht primär als Kommunikation; primär ist Sprache Welterschließung. Du bejahst den Vorrang der Darstellungsfunktion in Sprache und Design. Und du kri-tisierst die Produktsemantik: Objekte gewinnen nicht durch Kontext ihre Bedeutung. Sie haben vielmehr eine schematische, repräsentationale Bedeutung, die allenfalls im Kontext modifi-ziert wird.

Mit Bühler siehst du in der Sprache – daher auch im Design – die Darstellungsfunktion als Primärfunktion, während die Semantik der Kommunikationswissenschaft – auch im Design – die Appellfunktion und die Ausdrucksfunktion der Zeichen als konstitutiv sehen will. Du hast Argumente aufgeführt, die dafür werben, nicht Appell und Ausdruck als konstitutiv anzusehen, also nicht Botschaft, sondern Darstellung. Ohne Darstellung keine Botschaft.

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7. Kognitives DesignK

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FRT: In einem früheren Gespräch wurde schon klar, dass du kognitives Design nicht so sehr auf das Individuum beziehst, wie es ein Design tut, das eng der kognitiven Psychologie folgt (»kognitive Ergonomie«). Dadurch erscheint der Begriff »ko-gnitives Design« bei dir – anders als einige erwarten würden – nicht auf das Individuum fokussiert.

HvdB: In der Tat gehe ich nicht davon aus, kognitives Design stelle ein Problem aus Sicht des Individuums dar. Psychologie ist eine Form der Betrachtung individueller Leistungen, oder einmal anders gesagt, Psychologie ist die Wissenschaft vom Individuum. Soziologie hingegen ist die Wissenschaft von ge-sellschaftlichen Phänomenen. Man kann nicht einfach sagen, gesellschaftliche Phänomene seien Phänomene von Kollektiven aus Individuen. Sondern Gesellschaftlichkeit hat einen eigenen ontologischen Status, der nicht auf Individuen reduziert werden kann. Das kognitive Design hat nach meinen Vorstellungen etwas mit dieser gesellschaftlichen Ebene zu tun.

Bekanntlich waren sich Niklas Luhmann und Jürgen Haber-mas bei ihrem Meinungsstreit in einem Punkt einig: nämlich, dass Sinn, also Semantik, der Gegenstand von Soziologie ist. Man kann Sinn nicht auf individueller oder kollektiver Ebene untersuchen. Sinn ist ein spezifisch gesellschaftliches Phäno-men. Man kann auch umgekehrt sagen, das gesellschaftliche Phänomen ist der Sinn. Sinn und Gesellschaft sind insofern fast austauschbare Begriffe.

FRT: Worin liegt der Hauptunterschied zwischen »kollektiv« und »gesellschaftlich«?

HvdB: Mir ist wichtig, hervorzuheben, dass Gesellschaft nicht aus kollektiven ›Verabredungen‹ konstituiert wird (man denke an den fiktiven contrat social Rousseaus, Krippendorff spricht von »Partizipation«). Wenn Kollektive ›Verabredungen‹ treffen

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können, muss Gesellschaft im Voraus dazu schon bestehen. Kollektive Leistungen sind nicht konstitutiv für das Entstehen von Gesellschaft. Auch darin sind sich Luhmann und Habermas einig gewesen. Gesellschaft entsteht vielmehr als »ungesellige Geselligkeit«, wie Kant formuliert hat. Gesellschaft entsteht, wenn der eine den anderen zuerst unterwirft, den Unterworfe-nen dann aber braucht – so Hegels Herleitung in seiner Phäno-menologie des Geistes (1807).

FRT: Kannst du ein Beispiel geben?

HvdB: Gesellschaft ist ein mentales System, es besteht aus Sinn oder Semantik. Und nicht aus Personen (Luhmann). Sinnvoll-zug ist etwas, woran mehrere Personen beteiligt sein können, ohne jedoch den Sinn zu schaffen. Betrachten wir einen Gruß. Er ist eine soziale Handlung. Ein Gruß kommt nur zustande, wenn eine Semantik vorausgesetzt ist. Man kann das näher spezifizieren: Zwei Leute begegnen sich auf einem Flur und bei Annäherung bauen beide eine Erwartungserwartung auf (Niklas Luhmann). Du erwartest vom Gegenüber, dass er von dir erwar-tet, gegrüßt zu werden. In solcher Lage kommen soziale Hand-lungen zustande, die genau deshalb sozialer Natur sind, weil die Semantik von allen Beteiligten vorausgesetzt wird. Max Weber definierte die soziale Handlung als eine Handlung, die in ihrem Sinn einen Anderen (z. B. dessen Erwartungserwartung) berück-sichtigt.

Also sagen wir es mal mit einem summarischen Zugriff: Kogni-tives Design ist auf Semantik gegründet und Semantik ist ein soziales Phänomen, nicht ein individuelles. Kognition ist nicht so sehr ein individuelles Vermögen, sondern ein Problem der Semantik. Man könnte auch expliziter von kognitiver Semantik sprechen – und an dieser Stelle setze ich ja den Begriff der uni-versellen Intelligenz ein. Das ist nicht irgendeine verstiegene Idee. Intelligenz kann sich natürlich individuell äußern – je-

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mand ist intelligenter als ein anderer … aber universelle Intelli-genz ist ein Phänomen, das inhärent zum Universum gehört.

FRT: Hat das mit Schwarmintelligenz zu tun?

HvdB: Nein-nein. Schwarmintelligenz ist eine Intelligenz von Systemen, von quasi-individuellen Entitäten wie ein Schwarm. Vögel, die im Schwarm fliegen, bringen zusammen etwas zu-stande, was von außen aussieht wie Intelligenz. Schwarmintel-ligenz ist nicht Intelligenz im universellen Sinne. Universelle Intelligenz ist diejenige Intelligenz, die wir voraussetzen, wenn wir sagen, woanders im Universum könnte es vielleicht auch noch andere Intelligenz geben. Nur hinsichtlich als universell unterstellter Intelligenz macht die Frage Sinn, ob es irgendwo im Universum Intelligenz gibt. Der Erkenntnisaspekt in der Kognition ist also ein solcher universeller Aspekt.

FRT: Das wäre »Welterschließung«, nehme ich an.

HvdB: Ja, Welterschließung. Es könnte durchaus sein, dass es auf anderen Planeten etwas gibt, was das Stadium des Men-schen vielleicht noch nicht erreicht hat, z. B. keine Symbolsy-steme hat, aber doch schon eine Intelligenz ist, die etwa der von niederen Affen entspricht. Denen kann man eine gewisse Welt-erschließung nicht absprechen. Sie sind bereits in der Lage, sich ein Bild der Welt zu machen.

FRT: Du siehst also kognitives Design nicht als kognitive Ergo-nomie im Design. Das wäre für dich nicht allgemein genug.

HvdB: Die kognitive Psychologie ist nicht das Fundament kognitiven Designs, begleitet aber das kognitive Design. Das kognitive Design ist ein Design, das zu einer Intelligenz gehört, die im Prinzip universell ist. Von der wir also sagen, es könnte sie auch woanders noch geben. Sie ist die Intelligenz, die sich mit der Welt auseinandersetzt.

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FRT: Ist sie dann eine überkulturelle, eine rationale Intelligenz?

HvdB: … eine rationale, aber nicht nur die logische Intelligenz, sondern eine, die eben in der Lage ist, sich »ein Weltbild zu verschaffen«. Das ist eigentlich der Inhalt von Kognition: sich in einem Weltbild zu orientieren und von daher die Realität zu verstehen. Design hätte aus meiner Sicht die Aufgabe, das Bild von der realen Welt zu verstärken, zu fördern, zu erleichtern. Das wäre eine Hilfestellung für die Intelligenz, sich in der Welt zu orientieren.

FRT: Meinst du mit »Welt« sich in der Natur zu orientieren?

HvdB: Nicht nur in der Natur. Zur Welt gehört auch der Andere. Man könnte zunächst einmal von Lebensformen in der Lebens-welt sprechen (Edmund Husserl). Lebensformen werden vom kognitiven Design so unterstützt, dass sie vollzogen werden, indem sie die Welt in Ausschnitten zu bewältigen gestatten. Das ganze Argument grenzt sich ab gegenüber jener anderen globalen These, die besagt, Design habe es mit Kommunikation zu tun. Kommunikation hat eine Rolle, aber nicht die primäre. Primär hat Design etwas damit zu tun, ganz einfach gesagt, in der Welt besser zurechtzukommen.

FRT: Sind »Apps« Lebensformen?

HvdB: »Apps« können beides sein, Apps können eine Form von Terror sein, und sie können auch die Welt öffnen, erschließen. Die Frage ist jetzt, worauf beruht die Fähigkeit eines Designs, der Welterschließung eine Stütze zu sein. Diese Frage möchte ich von der Semantik her aufrollen, die in Richtung Repräsenta-tion weist. Mein Semantikverständnis setzt auf Repräsentation und nicht auf Kontextualität, weil die Semantik eben nicht in erster Linie Kommunikation ist, sondern nur auch Kommunika-tion sein kann. Um noch einmal auf Krippendorff zu sprechen zu kommen: Krippendorff hält, anders als ich, die Semiotik für

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nicht geeignet als Basis für Design. Und zwar deswegen nicht, weil, wie er sagt, die Semiotik eine »Zwei-Welten-Theorie« enthält: einmal die Zeichen, die auch selber aus Materie beste-hen, und zweitens die Welt, die von den Zeichen repräsentiert wird. Diese beiden Dinge werden in der Tat von der Semiotik zusammengeführt. Krippendorff favorisiert aber eine Ein-Wel-ten-Theorie, den typischen postmodernen Monismus: Er sagt, die Semantik sei nicht repräsentational, sie sei konsensuell, also im Konsens entstanden, »in konsensueller Konversation« – ein gesellschaftstheoretischer Monismus. Realität interessiert ihn eigentlich nicht.

Da steht Krippendorff nicht allein. Es gibt viele Leute, die eine repräsentationale Semantik ablehnen mit der irrtümlichen Begründung, Semantik komme aus dem Kontext, und gehe nicht mit einem Vollzug der Syntax einher. Hier ist indes das berühmte Beispiel des chinesischen Zimmers von Searle lehr-reich. Searle stellt sich vor, er, der kein Wort Chinesisch kann, sitze in einem Zimmer und er kriegt Input-Eingaben durch einen Schlitz. Auf den Zetteln stehen chinesische Zeichen drauf und seine Aufgabe ist es, mit Hilfe von einem Regelwerk, das ihm in einem dicken Handbuch mit Instruktionen vorliegt, aus einem Kartenstapel diejenige Karte herauszusuchen, die eine Antwort beinhaltet. Er hat also Input-Karten und er erzeugt Output-Kar-ten. Die gibt er dann durch einen anderen Schlitz hinaus. Von außen entsteht der Eindruck, das chinesische Zimmer könne Chinesisch. Da sagt Searle, es sitzt aber jemand drin, der nicht Chinesisch kann. Er hält sich nur stur an die Instruktionen. Also an das, was ich im Zusammenhang mit Design ›Bedienungsan-leitung‹ nenne …

FRT: … formalistisch-nominalistisch …

HvdB: Es ist ein rein formalistisch-nominalistischer Vorgang, ganz mechanisch, ohne Nachdenken; da sind nur syntaktische

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Zeichenformen für den Insassen des chinesischen Zimmers, sie bedeuten ihm gar nichts. Searle sagt, es sind Kritzeleien, kein Unkundiger kann damit etwas anfangen. Sie haben keine Bedeutung, und das heißt, sie sind nominalistisch. Sie sind nur Marken.

FRT: Und wie würdest du das machen?

HvdB: »Machen«? Moment, da sind zwei Dinge. Erstmal würde ich sagen, das formalistisch-nominalistische Design der Bedienungsanleitungen wird ganz gut in dem Beispiel des chi-nesischen Zimmers veranschaulicht. Der user wird durch das sozialkonstruktivistische Design generell in eine Art chinesi-sches Zimmer versetzt. Sein Input: Er soll etwas tun oder er will etwas tun und er findet im Design Manipulationsmöglichkeiten vor. Aber diese Manipulationsmöglichkeiten sind nur verbunden durch das Handbuch der Instruktionen, durch gelernte Schritte. Und ich sage nun mit Searle, es müsste sich aber um authenti-sche Semantik handeln.

FRT: Was heißt das?

HvdB: Das heißt Realität verstehen. Klar. Nur wie?

FRT: In dem China-Beispiel?

HvdB: Da gibt es ja kein Verstehen. Um das zu ändern, musst du jemand reinsetzen, der Chinesisch kann. Und dann sieht es von außen genau so aus. Nur braucht der kein Handbuch. Das ist ja der Witz, er kann auf das Handbuch verzichten. Er nimmt den Input, liest das, findet die Antwort und gibt die weiter.

Wie entsteht Semantik? Semantik entsteht, wenn die Zeichen in einen Weltbezug eintreten. Dieser Weltbezug entsteht, wie ich sage, in intentio recta, in Geradehin-Ausrichtung auf die Welt.

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Soll heißen, ich beziehe mich direkt auf meine Umgebung. Und in meine Umgebung will ich handelnd eingreifen. Ich habe es von vornherein mit Absicht zu tun, mit »Sinn«, wenn Max We-ber sagt, eine Handlung sei Verhalten, ausgestattet mit subjekti-vem Sinn. Du willst etwas tun und das, was du tun willst, ist die Voraussetzung für die Semantik von etwas, was wir als Design ansprechen. Die intentio recta könnte z. B. sein, du willst mit deinem Auto um eine Kurve fahren. Du sitzt im Auto drin und hast zwei Hände, mit denen du das Steuerrad bewegen kannst. Du versuchst also auf diese Weise, indem du auf das Steuerrad unmittelbar einwirkst, deine mittelbare Handlungsabsicht zu realisieren, heil um die Kurve zu kommen. Das gelingt auch dem geübten Autofahrer im Normalfall. Der anfangende Fahr-schüler hingegen sitzt erst einmal im Auto wie im chinesischen Zimmer: Er versucht, das Autofahren durch Regeln umzusetzen. Meine These ist nun, dass wir inzwischen fast den ganzen Tag im chinesischen Zimmer verbringen, weil wir immer und über-all Regeln anzuwenden haben. Handeln wird zum unerreichba-ren Zielpunkt in weiter Ferne.

FRT: Also gestalten Designer mit Vorliebe ›chinesische Zim-mer‹?

HvdB: So könnte man sagen, wenigstens was die regelgeleitete Sozialtechnologie betrifft. Wir haben beim Design immer die Trennung zwischen intentio recta und intentio obliqua, zwi-schen unmittelbarer Wirkung und mittelbarer Auswirkung. Es scheint, dass dies vielen Produktsemantikern gar nicht geläufig ist, wenn sie Gegenstände stets nur im Kontext vorkommend sehen. Man kann das auch so sagen: Wenn du noch auswendig gelernte Instruktionen beachten müsstest, um die Kurve zu meistern, wärst du verloren. Die Kurve ist nicht ein Kontext, der dich veranlasst, das Lenkrad besser zu verstehen. Im Ge-genteil: Das Lenkrad sollte so gestaltet sein, dass die Kurve die Aufmerksamkeit des Fahrers vom Lenkrad weg auf sich zieht

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– ziehen kann. Nur so können wir das ›chinesische Zimmer‹ verlassen.

An diese Frage wurde erinnert in einem Spiegel-Artikel (Nr. 28 / 9.7.12, S. 124) unter dem bezeichnenden Titel »Ahnungslos bis zum Aufprall«. Es ging um den Absturz am 1. Juni 2009 eines Air-France-Flugs, bei dem 228 Menschen ums Leben kamen. Das abschließende Gutachten hatte gezeigt, dass durch einen im Grunde minimalen technischen Fehler und ein gleich-zeitig massives »Fehlverhalten« der drei im Cockpit befindli-chen Piloten die Katastrophe zustande kam. Der Spiegel-Bericht zeigt ganz deutlich auf, dass die Piloten immer versuchten, in der intentio recta zu bleiben, aber in der intentio obliqua gefes-selt wurden. Sie hatten bei stockdunkler Nacht keine Rückmel-dung, in welchem Zustand sich das Flugzeug mit Bezug auf die Realität befand. Und was passierte? Sie verhielten sich in der Stresssituation gegen die Regeln. Sie hatten die Orientierung verloren und beachteten in dem Augenblick nicht mehr das Buch der Instruktionen …

FRT: Die formalistische ›Bedienungsanleitung‹.

HvdB: Das formalistisch Vorgeschriebene griff nicht mehr. Die Piloten waren blockiert. Sie waren bereits in Panik. Sie waren nicht mehr in der Lage, mit den Daten, die von der unmittelba-ren Wirkungsstelle kamen, hinauszugehen auf eine intentio rec-ta, um das Problem zu meistern. Sie hatten ein völlig falsches Bild davon gewonnen, in welchem Zustand, auf die Welt bezo-gen, sich ihr Flugzeug befand.

FRT: Und ein adäquates kognitives Design würde den Weltbe-zug aufrechterhalten haben?

HvdB: Offensichtlich ja. Da sind Fehler im Design gewesen. Einen Fehler, den hat der Hersteller des Autopiloten in aller

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104 | Die semiotische Haut der Dinge

Stille schon korrigiert. Das war kein Software-Fehler, das war ein Design-Fehler.

FRT: Von den Programmierern gemacht?

HvdB: Die Informatiker hatten korrekt programmiert. Nur auf der Ebene der Kognition ergab sich der Fehler. Der Computer funktionierte wie die Programmierer es vorgesehen hatten. Nur, die nicht fehlerhaften Meldungen, die vom Autopiloten kamen, erwiesen sich als semantisch total kontraproduktiv in der Situa-tion für die Piloten, um den Realzustand des Flugzeugs beurtei-len zu können. Sie waren sozusagen im chinesischen Zimmer gefangen, aber beachteten nicht mehr das Regelwerk, konnten auch nicht nach ›außen‹ schauen (intentio recta). Der Spiegel stellt dies so dar, als ob das auch zu den technischen Fehlern gehörte. Das gehört aber glasklar in die Fehlerliste des kogniti-ven Designs.

In einer Situation, in der du in Gefahr bist, die Orientierung zu verlieren, darfst du nicht auf die ›Bedienungsanleitung‹ zurück-kommen müssen. Es muss dir möglich sein, ohne Regel das Richtige zu tun. Das war die Idee auch der Piloten, sie wollten jetzt intuitiv von Hand fliegen. Sie mussten ihren ganzen Schatz von Wissen über die Welt des Fliegens einbringen, um ihr Flug-zeug in einer kontrollierten Lage zu halten. Das schafften sie nicht, weil inzwischen das Bild der Realität, das ihnen vor dem inneren Auge stand, falsch war; beeinflusst durch das Design, das sie direkt vor Augen hatten. Womit die Piloten nicht umge-hen konnten, war die Reihenfolge der Meldungen, die erschie-nen, und die Reihenfolge der Zustände ihrer Nutzeroberfläche. Die verstanden sie nicht mehr, obwohl die Meldungen, rein rational betrachtet, korrekt waren.

Dies zur Frage, was muss das kognitive Design leisten. Es müsste den Nutzer in die Lage versetzen, stets durch die Benut-

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zeroberfläche hindurch auf die Realität schauen zu können (aus dem ›chinesischen Zimmer‹ hinaus auf die Welt zu schauen). Wie macht man das? Darauf gebe ich die Antwort: Durch eine Semantik der schematischen Gegebenheitsweise von Realitäts-ausschnitten.

FRT: Ein Ziel des kognitiven Designs, wie du es beschreibst, ist die Kreation von »Benutzerillusionen«. Das sind Illusionen in einem positiven Sinn. Illusion steht ja normalerweise der Reali-tät entgegen. Wenn man dies noch anders deuten möchte, kann man sich die Illusionen eines Themenparks vorstellen, anhand deren man sich dort von den Belastungen der Realität erholen kann – so, wie es das Barocktheater seinerzeit wollte. Aber na-türlich weiß ich, dass du als Gegner des postmodernen Designs nicht solchen Illusionen das Wort reden möchtest. Widerspricht dies aber nicht doch der Welterschließung, insofern Illusionen, die virtuelle Realitäten sein können, keinen Bezug zur Realität haben müssen – durchaus postmodern gedacht?

HvdB: Das Wort »Benutzerillusion«, das ursprünglich von Informatikern verwendet wurde, war ein wenig scherzhaft ge-meint: Die Informatiker spielten darauf an, dass Nutzern eine Illusion vorgegaukelt werden müsse, da sie den technischen Hintergrund ja ohnehin nicht verstehen würden. Seitdem hat das Wort seinen provokativen Beigeschmack verloren und »Illusi-on« hat dann mehr mit »Illustration« (= Aufklärung) zu tun.

Benutzeroberflächen und Benutzerillusionen hängen zusammen wie Syntaktik und Semantik. Benutzeroberfläche wäre das De-sign, insbesondere das kognitive Design, und die Benutzerillusi-on wäre die schematische Gegebenheitsweise von Realität. Die Benutzerillusion muss den Handelnden durch die Welt leiten, anders gesagt, es muss sich um ein korrektes Bild der Welt han-deln. Um ein korrektes Bild der Realität.

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106 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Benutzerillusionen sollten also die sogenannten felicity conditions erfüllen.

HvdB: Die Benutzerillusion hängt an der syntaktischen Benut-zeroberfläche, sie ist die Tiefen-Semantik der Benutzeroberflä-che. Was die Benutzeroberfläche leisten muss, ist, dass du im Vollzug des Handelns das adäquate Schema semantisch generie-ren kannst aufgrund der Syntax der Benutzeroberfläche. Dazu müssen in die Benutzeroberfläche felicity conditions eingebaut sein, ›Glückens-Bedingungen‹. Das ist ein Begriff, der von John R. Searle herkommt aus seiner Theorie der Sprechhandlungen (Speech Acts, 1969). Es muss gewährleistet sein, mithilfe der Benutzeroberflächen-Syntax, die das Handeln glücken lassende Benutzerillusion fortlaufend intuitiv zu generieren – gerade eben beim Fliegen ist das extrem wichtig.

FRT: Ich zitiere dich, wenn du sagst, felicity conditions erfüllten »die Bedingungen dafür, dass uns im Handeln das Selbstver-ständliche glückt«.

HvdB: Das ist die Kurzformel, sie geht von dem aus, was wir glauben, was jetzt selbstverständlich ist.

FRT: In Realität verstehen wird klar, inwiefern du mit Hilfe von Kant, aber auch von Poincaré, Frege etc. erklärst, dass Designer den »Vollzug« vordesignen müssen. Was ist überhaupt Vollzug?

HvdB: Man könnte es mit einem informatischen Begriff so sa-gen: Wenn die »Benutzeroberfläche« nur mit Hilfe von Regeln bewältigt werden kann, aber nicht durch intuitiven Vollzug, wirst du daran gehindert, die Realität einzubeziehen. Wenn du also an den Regeln kleben musst, bist du blind für Realität. Für die Air-France-Piloten war das Katastrophale, dass sie sich an Regeln hätten erinnern müssen, die sie aber nicht beachteten. Gewiss, die Regeln standen in den Handbüchern richtig drin. Aber sie konnten kognitiv nicht mehr darauf zurückgreifen.

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Kognitives Design | 107

FRT: In der Kürze der Zeit?

HvdB: In der absolut kurzen Zeit, die ihnen noch zur Verfügung stand, überhaupt etwas zu tun. Auf Papier schreibst du: In der und der Situation ist das und das zu beachten. Und die Piloten müssen das auswendig lernen. Das ist aber absurd: ›Dienst nach Vorschrift‹ gilt ja sonst als eine Art Streik, der die Prozesse verlangsamt. Da steht nun im Spiegel, dass den Piloten die Re-geln auch abgefragt werden bei ihrem Training. Es ist wie eine Checkliste, sie müssen das wissen. Und sie wüssten das auch in anderen Situationen, nämlich in einer Situation, wo keine Panik besteht.

Vollzug soll also heißen: Intuition, intuitives Handeln. Das Ge-genteil von Regelanwendung. Intuition kommt von intuitus, und das heißt Anschauen. Du musst hingucken können und verste-hen, was gemeint ist, was die Situation enthält.

Ich will das ganz kurz mal anhand der Mathematik erläutern. Der »Formalismus« David Hilberts wurde mit Recht kritisiert durch den »Intuitionismus« Henri Poincarés. Poincaré hatte gegen Hilbert eingewendet, Mathematik lasse sich nicht auf ein komplettes Handbuch mit Regeln gründen. Heute würden wir sagen, Mathematik lässt sich nicht vollständig auf Computern programmieren. Kurt Gödel hat nämlich 1931 in einem berühm-ten Theorem mathematisch bewiesen: Das formalistische Pro-gramm von Hilbert ist im Kern rundweg falsch. Es gibt Sätze der Mathematik, die du intuitiv einsehen kannst, aber nicht aus einem vollständigen Handbuch lernen könntest. Das behauptete auch schon Poincaré. Dies hatte sehr viele und weitreichende Konsequenzen in der Mathematik und in der Wissenschaft. Der entscheidende Punkt: Intuition steht gegen rein formales, mechanisches Anwenden von Regeln. Und »formal« heißt hier: blind. In der Intuition gibt es kein »wenn … dann«. Intuition ist kategorisch, nicht auf Kontexte gegründet.

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108 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Also »wenn … dann« ist nicht intuitiv …

HvdB: Nein. Es ist überhaupt nicht intuitiv. Du musst da beim »Wenn« prüfen, ob die Anwendungs-Bedingungen erfüllt sind, erst dann gehst du zum »Dann«. Beim Satz »Wenn es regnet, ist die Straße nass« gucken wir, wie ist die Situation, regnet es? – Ja. – Dann ist die Straße nass«. Das ist genau, was nicht intuitiv ist. Hingegen: Du siehst die Straße durch Regen genässt. Das siehst du, das ist intuitiv.

FRT: Vollzug und Performance, eine Sache?

HvdB: Ja, ich würde sagen, Performance ist der englische Be-griff für Vollzug. Das deutsche Wort »Vollzug« hat verschiedene Anwendungen. Strafvollzug. Eine Handlung vollziehen heißt immer: ausführen. Das englische Wort performance meint dasselbe. Du muss die ›Aufführung‹ einfach durchziehen. Also deine Tanzperformance kannst du nicht ›machen‹, indem du auswendig gelernte Regeln anwendest. Sondern Tanzen ist ein unmittelbares Vollziehen. Du tanzt, du machst nicht den Tanz.

FRT: Performance hat demnach mit Dramaturgie zu tun.

HvdB: Performance hat sehr viel mit Dramaturgie zu tun. Daher sprechen wir auch von Aufführung. Aufführung ist dasselbe wie Vollzug im Deutschen. Ein Theaterstück wird aufgeführt. Ein Tanz wird aufgeführt. Musik wird aufgeführt. Dieses »Auffüh-ren« ist dasselbe wie »Ausführen«, das alles umfasst das Wort performance. Was aber natürlich wörtlich bedeutet, eine Form durchziehen.

FRT: Ist das dann formalistisch?

HvdB: Eben nicht. Das habe ich in Realität verstehen darge-stellt, inwiefern hier der mittelalterliche Formbegriff gültig

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ist. Form im mittelalterlichen Sinn ist alles, was einen konzep-tuellen Status hat. Im ›chinesischen Zimmer‹ des sozialkon-struktivistischen, sozialtechnologischen Designs gibt es keine performance. Stures Regelanwenden ist ein Verfahren der brute force. Es führt mit Gewalt zum Ziel, ist aber in Situationen, in denen der Handelnde auf Intuition umschaltet, ein veritables Handlungshindernis. Das kognitive Design ist ein performatives Design (analog den »performativen Verben« bei Austin und Searle).

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8. Welterschließungdurch Schemata

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112 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Gemäß deiner Überlegungen gilt: Regel nicht, Schema ja. Kognitives Design und Schema, sie gehören zusammen. Das kognitive Design orientiert sich weniger an der Gebrauchskate-gorie als mehr an der Handlungskategorie.

HvdB: Gebrauch ist schon eine Aktivität zweiter Stufe. Ge-brauch gehört immer zur intentio obliqua und nicht zur intentio recta des geradehin Handelns. Obwohl es da ein Kontinuum gibt. Wenn du sagst, ich benutze das Auto, um in die Ferien zu fahren, dann ist das praktisch schon intentio recta. Aber du weißt, was du in Wirklichkeit benutzt, wenn du mit dem Auto fährst: du nimmst seine Bedienelemente in Gebrauch. Auf die-ser Ebene bleibt Benutzung immer intentio obliqua, bleibt im-mer ›verbogene Einstellung‹.

FRT: Und daraufhin sollten Designer sich um Schemata küm-mern. Schema ist das, was im Design das Verstehen von Realität ermöglicht.

HvdB: Das ist richtig. Dem Handlungsschema können wir intui-tiv folgen in der Performance. Eigentlich könnte man sagen, das kognitive Design besteht aus einer solchen Semantik, die uns in die Lage versetzt, immer in der intentio recta zu bleiben und nie gezwungen zu sein, sich in die intentio obliqua zurück zu ziehen, nicht auf die zweite, die indirekte Stufe, aufzusteigen. Das ist natürlich so generell nicht durchführbar. Gewisse Hand-habungen muss man, je nach dem Stand der Technik, in gewis-sem Maße lernen. Wogegen ich mich wende, ist die erstaunliche Sorglosigkeit, mit der inzwischen jede Art von Nutzung an immer komplexere Bedienungsanleitungen gebunden ist. Am 4.8.12 haben wir beide gemeinsam eine Sendung des spanischen Fernsehens verfolgt, in der ein Zuschauer sich beim Sender beklagte, er könne viele Filme des Senders aus dem Internet mit dem iPad nicht problemlos anschauen. Die Moderatorin erklärte anhand einer Reportage, wo das Problem lag: in einer techni-

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schen Inkompatibilität zwischen dem Sendeformat und den Voreinstellungen des iPads. Die Reportage zeigte nun in nervtö-tender Ausführlichkeit, wie zu verfahren sei, um die Voreinstel-lung so zu ändern, dass die Inkompatibilität verschwindet. Der Vorgang war derart kompliziert, dass man die Reportage schon aufgezeichnet und mehrfach angesehen haben müsste, um ihren Anweisungen folgen zu können. Die Änderung der Voreinstel-lung betraf seltsamerweise den Ton und die vorzunehmende Einstellungsänderung war meilenweit von jeder Möglichkeit des sinnvollen Nachvollzugs entfernt. Natürlich ist das ein spe-zieller Fall – aber wir werden heute geradezu überschüttet mit einer Unmenge solcher speziellen Fälle. In dauerhafter intentio obliqua sind wir fortwährend damit beschäftigt, die Frustratio-nen des Nichtgelingens durch allerlei Ratsuche zu überwinden. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker … Da ist demnächst ein Sättigungsgrad erreicht, bei dem normale Menschen aussteigen und nicht mehr mithalten können (und wollen).

FRT: Du sprichst über universelle Schemata im kognitiven De-sign. Damit beziehst du dich auf universelle Intelligenz und appellierst an die Leser, physikalischen Grundlagenbeispielen zu folgen.

HvdB: Jedenfalls ist meine Behauptung, wenn ich wieder auf die septem artes liberales zurückkommen darf, dass die Seman-tik kognitiven Designs zum quadrivium gehören würde und nicht zum trivium. Es geht, zum wiederholten Mal gesagt, nicht um Rhetorik und nicht um Kommunikation. Nicht Kommunika-tion, sondern Kognition. Es ginge also um die vier quadrivium-Fächer, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Das sind Weltbezüge. Man bleibt nicht in der Sprache hängen, wie bei Grammatik, Logik und Rhetorik, sondern man geht hinaus aus der Sprache in die Welt. Im Hintergrund haben wir die Astronomie; Astronomie wurde begriffen als geometrisches Problem. Geometrie hatte auch mit Zahlen zu tun. Und davor

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stand ein Harmonie-Gedanke, die Harmonie der Welt bestehe aus der Sphären-Musik. Diese Musik hat auch wieder etwas mit Mathematik zu tun. Also es war da so eine Brücke geschlagen zwischen Astronomie und Musik, vermöge geometrischer und zahlentheoretischer Verhältnisse. Dieser Gedanke ist noch von Johannes Kepler ausgeführt worden im Sinne einer Theorie des Weltbildes, in dem, sagen wir mal, das intuitive Einsehen regiert und nicht das blind Regelhafte. Logik hingegen bestand nach mittelalterlicher Auffassung aus Regeln, wie ich gelegent-lich in verschiedenen Aufsätzen dargelegt habe, aus regulae ad directionem ingenii (Descartes). Der Blick im quadrivium geht nicht auf grammatische oder logische oder rhetorische Regeln. Sondern öffnet dem Weltblick den Weitblick des Panoramas von der Musik zur Astronomie. Da wird ein Fenster zur Welt aufgemacht. Das ist das, was ich meine, warum die Naturwis-senschaft dem Design mehr Führung bietet als die Geisteswis-senschaften. Ich glaube, in Zukunft werden Literaturwissen-schaftler und Kunstwissenschaftler im Design wieder weniger mitzureden haben.

FRT: Du sagst in Realität verstehen, kognitives Design bedeute, die Form mit Inhalt zu füllen. Klar, dass du Semantik meinst. Und noch stärker die Aussage, man müsse die Form als Univer-salie begreifen, als Begriff. Wenn ich das lese, ist auch nicht zu vergessen, dass du Theorie im kognitiven Design implementiert haben möchtest. Der Soziologe Manuel Castells sagt etwas Pas-sendes: Er glaubt nämlich, dass schon Beobachten, Analysieren und Theoretisieren dazu beitragen, eine andere und bessere Welt zu kreieren. Ich denke, das ist es, was kognitives Design in die Gesellschaft einbringen könnte.

HvdB: Deshalb sage ich, kognitives Design ist theorieartig. Ko-gnitives Design hat gewisse Züge mit der Theorie gemeinsam. Theoria heißt »Schau«, genauer sogar »Schau des Göttlichen«. Auf jeden Fall ist Theorie etwas, was nicht mit Sequenziellem –

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erst das, dann das, dann das … – zu tun hat; nicht mit einer Ket-te von Einzelschritten, sondern mit einer gesamten, intuitiven Erfassung von Situationen. Theorie ist keine Kette (»Konka-tenation«) einzelner Operationen, das bliebe völlig blind. Theo-rie muss dir etwas aufschließen, etwas eröffnen. Wenn du eine Theorie verstehst, gewinnst du einen ganzheitlichen Blick auf Horizonte und klammerst dich nicht mehr an einzelne, mühsam aneinander gereihte Dinge.

FRT: Kann man auch eine Theorie, sagen wir mal, für Tassen finden?

HvdB: Eine »Tassen-Theorie« würde gut in die Postmoderne passen. Es gibt aber nicht für alles und jedes eine Theorie. Theorie hat immer etwas mit einem Weltbild zu tun. Wenn es ›Theorien‹ für ganz nebensächliche Dinge gibt, ist das immer ein Zeichen für Verfall des Wissenschaftsethos. Dennoch kann man natürlich sagen, dass man Tassen im Licht z. B. einer De-signtheorie betrachten kann. Auch die Tasse enthält ein Schema; ein Schema nämlich, das den Becher ersetzt hat. Die Tasse gehört zu einer verfeinerten, ursprünglich aristokratischen Le-bensform. Das Ergreifen des Tassenhenkels sieht ›zierlicher‹ aus als das ganzhändige, etwas plump erscheinende Umgreifen des Bechers an der Rittertafel. Nach Norbert Elias (Über den Prozess der Zivilisation) gehört der Unterschied vom Becher zur Tasse in eine neue kulturelle Sublimierungsstufe.

FRT: Ich verstehe das so, es könne ein interessantes Thema für Designforscher sein, sich mit dem jeweiligen Schema für den Vollzug in bestimmten Situationen zu beschäftigen. Das Tassen-Schema gehört zu einer anderen Lebensform als das Becher-Schema. Das Tassen-Schema erscheint kultivierter.

HvdB: Das Konzept des Schemas wird ja heute im Umkreis der kognitiven Psychologie und der Neurowissenschaften ver-

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116 | Die semiotische Haut der Dinge

wendet. Ein Schema (σχεµα) bedeutet im Griechischen etwas Anschauliches, zugleich aber Überindividuelles. Als Goethe die Existenz des menschlichen Zwischenkieferknochens entdeckt hatte, glaubte er, dies sei durch pure Anschauung geschehen. Schiller hielt ihm im Gespräch mit Recht entgegen, da sei nicht Anschauung, sondern schematisches Denken im Spiel gewe-sen. In der Folge hat Goethe übrigens noch eine Reihe anderer wichtiger Entdeckungen in Botanik und Physiologie durch sein ›schematisches Denken‹ gemacht.

Das Schema ist einerseits anschaulich, andererseits allgemein. Also anschaulich in dem Sinne: man kann es mit den Augen sehen – so wie Goethe ›sah‹, wo der Zwischenkieferknochen steckte. Andererseits ›schematisiert‹ das Schema, es blickt also über den Einzelfall hinaus. Dieses Arbeiten mit Schemata hat Kant auf den Punkt gebracht, im Bezug auf abstraktere Verhält-nisse. Kant definiert das Schema als »ein allgemeines Verfahren, einem Begriff« – und also nicht irgendwelchen Gegenständen – »ein Bild zu verschaffen«. Also das Schema kommt vom Be-griff her und geht zur Anschauung hin. Das Schema ist ›begriff-liche Anschauung‹, obgleich das zuerst wie ein Widerspruch klingt.

FRT: Einen Moment, du hast gesagt, man müsse Form als Be-griff, als Universalie begreifen. Wie geht das mit Kant zusam-men?

HvdB: Als Begriff in einem breiten Sinn, wie er noch im Mit-telalter verstanden wurde: Form ist alles Konzeptuelle. Kant spricht von einem allgemeinen Verfahren – wir müssen noch sehen, wie das Verfahren aussieht –, aber es ist jedenfalls allge-mein. Ein allgemeines Verfahren ist allgemein wie der Begriff. Das Verfahren führt zu einem Bild, zu einem Begriffsbild. Das Bild ist kein Bild von Dingen in der Realität, das schematische Bild bildet nicht ab. Es versetzt Allgemeines in die Sphäre der

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Welterschließung durch Schemata | 117

Anschauung. Kurz: es macht Konzepte anschaulich. Das ist das Schema bei Kant. Kant selber gibt Beispiele, die sich auf Alltagsfälle beziehen. Er sagt, einen Kreis müssen wir anschau-lich mit dem Zirkel ziehen, um ihn zu verstehen. Wenn du der dreijährigen, wie du weißt: äußerst aufgeweckten María einen Kreis erklärst, das sei die Menge aller Punkte, die zu einem gegebenen Punkt gleich weit entfernt sind, versteht sie gar nichts. Der Begriff ist korrekt, aber er hat kein Bild. Wenn du aber sagst, was ich hier mit dem Zirkel ziehe, das ist ein Kreis, versteht sie sofort. Diese Figur hier, sie heißt Kreis. Und in der Regel machen sich dann Kinder nachträglich klar, was so einen Kreis kennzeichnet: dass ein Kreis einen Mittelpunkt hat. Dass es also in der Kreisfläche einen ausgezeichneten Punkt gibt, von dem alle Punkte in der Kreislinie gleich weit entfernt sind (der Einstechpunkt des Zirkels). Die ganze Mathematik gründet nach Kant auf dem Schema-Begriff. Schema bedeutet nicht, ein Bild herzustellen von Sachen da draußen, »jetzt zeichne ich mal … die Tür«, das ist kein Schema. Sondern Schema heißt, von einem Begriff herkommend, diesem ein Bild zu verschaffen. Das Schema einer Tür fehlt operierten Blinden, die im Prinzip jetzt sehen können. Blinde haben keine visuelle Intelligenz entwickeln können. Mit Türen haben sie, »sehend« geworden, Schwierigkeiten. Sie müssen sich weiterhin ihren Weg »erta-sten«. Ihnen fehlt das visuelle Schema der Tür (anstelle dessen haben sie ein haptisch-taktiles, akustisch unterstütztes Schema entwickelt).

FRT: Und du möchtest diese Schemata in das Design integrie-ren, statt dass Designer sich auf die Äußerlichkeit der Dinge konzentrieren?

HvdB: Deswegen sage ich, Designer arbeiten auf der Ebene der kognitiven Schemata. Design ist nur sekundär dinglich, in erster Linie schematisch. Natürlich muss das semantische Schema bewahrt werden in einer syntaktischen Form, wie alle Zeichen,

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118 | Die semiotische Haut der Dinge

die in irgendeine materielle Form gegossen werden müssen. Die syntaktische Form verwandelt sich in ein intuitives Bild für den, der die Form in der Handlungsperformance nachvollzieht.

FRT: Als Designer sollte ich etwas vor Augen haben, um sol-chen Gedanken folgen zu können. Lass uns zuerst deine Aus-sage »Regel versus Durchblick« illustrieren, wobei sich der Unterschied von Regelstruktur und Schemastruktur ergibt. Ich beginne mit der sequenziellen Regelstruktur, als zeitliche Kette von Schritten, die zu erledigen sind. 1. => 2. => 3. => …Das Problem hierbei ist die ›Ariadne-Reversibilität‹. Wenn ich mich nach den Regeln verloren habe, und nicht mehr weiß wo ich bin, muss ich die Schritte zurückgehen.

HvdB: Der Regel fehlt der ›Durchblick‹. Die einfachste Illustra-tion für Durchblick ist die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, der sogenannte Ouroboros (ein archetypisches Symbol bei C. G. Jung). [Abb.] Hierbei kann man an den Ausgangs-punkt zurückkehren, nicht indem man zurückgeht, sondern indem man weitergeht. Durch Weitergehen zurückkehren ist der Archetyp von Orientierung. Gemeint sind hier nicht Drehele-mente, die ja auch nur ›bis zum Anschlag‹ gehen können, um dann zurückgedreht zu werden, sondern z. B. ein Schalter, der durch nochmaliges Betätigen eine Situation in den Ausgangszu-stand zurückführt. Das hat viel mit Symmetrie zu tun, aber diese Bemerkung soll hier genügen.

FRT: Der Ouroboros vertritt die einfachste Situation: ein einzi-ger Knoten im Schemagraphen. Wie würde die Schemastruktur aussehen bei vielen, sagen wir sieben, Knoten?

HvdB: Eine gute kognitive Struktur sollte dann zusammenge-setzt sein aus mehreren Schlangen, die sich in den Schwanz beißen können. Ein Weg von A nach B kann dann über mehrere

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Welterschließung durch Schemata | 119

Wege von B nach A zurückkehren. An jedem Knotenpunkt, das ist wichtig, ergibt sich eine andere Perspektive auf die Welt. Aber das Entscheidende ist, dass alle Perspektiven durch Trans-formationen auseinander hervorgehen können. Und das besagt Orientierung im Ganzen. Das klingt so natürlich wieder sehr abstrakt.

FRT: Es wäre gut, wenn wir uns ein Beispiel aus der Praxis suchten. Nehmen wir doch einfach mal … die Akkuladung mei-nes Computers.

HvdB: Wir begegnen der Abbildung einer Batterie. Sie liegt ho-rizontal, weil Batterien gewöhnlich ›liegen‹ und nicht ›stehen‹. Der Handlungsaspekt befindet sich jedoch auf einer abstrakteren Ebene. Wir malen also zuerst das Bild einer Batterie (ein Akku ist weniger sinnfällig darzustellen). Damit sind wir auf der Dar-stellungsebene oder Zeichenebene. ›Hinter‹ der Kulisse des Pik-togramms ergibt sich ein Bezug auf eine Realität, und das ist die des Computers, genauer gesagt, sein Ladezustand. Der ›Körper der Batterie‹ ist hier zur Hälfte, und zwar auf der linken Hälfte, in Leserichtung, schwarz eingefärbt. Das bedeutet, dir steht die Hälfte der möglichen Arbeitszeit noch zur Verfügung.

FRT: Die Batterie erklärt mir also, in welchem Zustand der Computer ist, und der Computer ist jetzt meine Realität.

HvdB: Da ist ein Ausschnitt aus der Realität. Auf der ›semio-tischen Haut‹ befindet sich ein Simulacrum. Das Simulacrum ist die aufgemalte Batterie; die sagt dir also: Batterie. Was eine Batterie ist, das musst du wissen. Und an der ›Batterie‹ kannst du den Füllstand ablesen. Das ist noch kein Schema, das ist ja noch sehr konkrete Abbildung.

FRT: … das wäre noch eine Mitteilung, eine Botschaft. Aber Botschaft ist ja bei dir so gut wie verboten …

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120 | Die semiotische Haut der Dinge

HvdB: Nein, ich verbiete nichts! Das ist eine Anzeige. Sekun-där ist das eine Botschaft; primär ist hier aber eine Beziehung hergestellt zur Gesamtheit des Computers. Der Computer ist in einem energetischen Zustand, der dir auf dem Computer nochmals angezeigt wird. Der Computer ist ein Stück Realität, das sich in einem bestimmten Zustand befindet. Dieser Zustand wird hier angezeigt, durch Zeichen. Wenn du das abstrakt auf den Punkt bringst, worum es hier eigentlich geht, hast du zwei Pole, verbunden durch eine Kante – ein Schema.

Der eine Pol heißt hier ›leer‹ und der andere Pol heißt ›voll‹. Worauf es ankommt, ist, was das eigentlich tut als Schema. Es zeigt dir einen Füllstand an. Das heißt, irgendetwas bewegt sich, du hast eine Distanz und die Distanz ist eine Analogie für die gesamte Füllung und in dieser Gesamtdistanz wird geteilt, bildlich. Das ist das Schema. Die haben es dir schön hingemalt, sodass es dir besser gefällt, aber ein Strich würde auch genügen.

So, ich schlage jetzt zur Erläuterung eine kleine Änderung für unser Beispiel vor: Wenn ein Ladezustand erreicht wird, der nach ›leer‹ geht, könnte ich mir eine Nutzeroberfläche vorstel-len, die folgendes tut: Du greifst mit dem Finger hin (also ich male ein Dreieck), und schiebst das Dreieck einfach rauf bzw. nach rechts. Solche Verfahren gibt es ja schon für viele andere Fälle.

FRT: Damit befiehlst du dem Computer, den Zustand der Vollla-dung herzustellen.

HvdB: Genau. In Wirklichkeit ist das technisch noch ein kleines Problem, weil du nicht dauernd am Stromnetz bist. Aber der Idealzustand wäre, wenn du sagst, ich schiebe den ›Regler‹ her-auf und der Akku lädt wieder. Da passiert dann ein Prozess im Rechner.

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Welterschließung durch Schemata | 121

FRT: Das ist natürlich nur ein Beispiel, weil es sonst noch sinn-voller wäre, dass der Computer es selbst macht, dass er sich selbst dauerhaft in den Vollzustand stellt.

HvdB: Ja, das ist jetzt nur ein enges Beispiel für den Zusam-menhang von Anzeige und Tun. Du hast hier die unmittelbare Wirkungsstelle, d. h. du gehst mit dem Cursor hin und schiebst das. Das ist die unmittelbare Wirkung, aber die Auswirkung ist, dass der Akku lädt. Es könnte ja rein technisch so sein, dass der Computer, während er lädt, nichts anderes tun kann. Dann wür-de die Anzeige mir bedeuten, ah, ich warte noch ein bisschen, ich will jetzt noch weiter arbeiten. Aber wenn es dann ganz kri-tisch wird, gibt es die Meldung: bitte aufladen. Dann schiebst du den ›Regler‹ nach oben, und lädst auf, und du kannst während der Zeit nichts tun.

FRT: So wie bei einigen Fotokameras, die selbst gleichzeitig das Ladegerät sind.

HvdB: Ja, deine Fotokamera hat so eine Logik. Jetzt könnte es sein, dass du sagst, verdammt, ich kann zwei Stunden nicht arbeiten. Ich schiebe den ›Regler‹ nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann habe ich eine Stunde, die ich warten muss, die ich nicht arbeiten kann. Das ist das reine Schema oder die Gegeben-heitsweise von Zuständen, in denen dein Computer dir gegeben ist. Du kannst deinen Computer mit Hilfe dieses Schemas unter einer gewissen Perspektive betrachten, hier einer Zeitperspekti-ve.

Der grundsätzliche Zusammenhang ist hier, dass es sich um ein Schema handelt, ein Simulacrum auf der Zeichenebene, und dieses Simulacrum bezieht sich auf eine Realität, in der du dich mit deinen Gedanken aufhältst. Du willst durch die Darstellung hindurchgucken auf die Realität. Das ist Durchblick. Was den Piloten der Air-France-Maschine passiert ist, war, dass sie aus

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122 | Die semiotische Haut der Dinge

diesem Spiel nach Regeln nicht mehr herauskamen. Sie wussten nicht, wie kommen wir von A nach B. Das hätten sie im Regel-buch nachschlagen müssen oder im Gedächtnis haben müssen. Haben sie nicht, weil sie richtigerweise mit den Gedanken da draußen in der Realität waren, aber durch Meldungen gezwun-gen wurden, sich mit der Benutzeroberfläche zu befassen, die sie nicht mehr verstanden.

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Ein falscher Konstruktivismus | 123

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124 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Wenn das Schema ein Begriffsbild ist, wie im vorigen Ge-spräch geklärt, fragt es sich, wieso damit ein repräsentationaler Zeichenbegriff verbunden ist.

HvdB: Nicht Kommunikation, sondern Kognition: Mit Kom-munikation allein kommt niemand durch die Welt. Ohne Ko-gnition geht es nicht. Jedoch muss die Kognition sich die Welt vereinfachen. Über den Aspekt der Vereinfachung der Theorie gegenüber der Fülle der Daten sind brillante Untersuchungen veröffentlicht worden, etwa von dem bedeutenden amerika-nischen Mathematiker und Computerwissenschaftler Gregory Chaitin. Ich beziehe mich diesbezüglich auf ein bescheideneres Konzept, das des Schemas, das ich von Kant übernehme, aber in der Neurowissenschaft und Kognitionswissenschaft verorten möchte. Das Schema vereinfacht und verallgemeinert zugleich anschauliche Gegebenheiten. Mir scheint, gerade dies ist im De-sign erforderlich, wenn wir Realität verstehen wollen.

FRT: Als wir über Repräsentation und Kontexte gesprochen ha-ben, hast du klar dargestellt, dass diejenigen, die das Repräsen-tative im Design nicht berücksichtigen möchten, einen postmo-dernen Begriff von Wissenschaft und Design haben. Dies war eine Kritik, die sicherlich in der Linie deiner Kritik des falschen Konstruktivismus liegt.

HvdB: Im Mittelpunkt der Postmoderne steht eine Aussage zur Krise der Repräsentation. Dies war der Inhalt eines Buches über Kunstgeschichte, von dem Engländer Clive Bell geschrie-ben (Art, 1914). Dieses Buch wurde paradigmatisch für das Verständnis des Verlustes der Realität in der Postmoderne, zu-erst im Bereich der bildenden Kunst, mit späterer Ausweitung auf alle Gebiete der Kultur, einschließlich der Wissenschaft.

Krise der Repräsentation heißt im Kern, die Künstler fingen an, das Interesse an der unmittelbaren Realität zu verlieren – was

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Ein falscher Konstruktivismus | 125

meist an Picasso, aber auch an Matisse festgemacht wird. Bilder bilden nicht mehr ab, Bilder haben jetzt ihre eigene Gesetz-lichkeit. Bilder werden von dem regiert, was auf der Bildebene passiert, nicht von dem, was draußen vor der Bildebene sich abspielt. Bilder wollen gar nicht mehr abbilden, weil sie angeb-lich nicht mehr abbilden können, weil Abbildung ein subjektiver Akt sei. Das Konzept »Abbildung« wird in Zweifel getaucht. Das Konzept Repräsentation in der Kunst verschwindet. Das führt dann zur abstrakten Kunst. Abstrakt besagt gerade, von der Realität abgezogen und abgeschnitten. Der Bildraum wird ein autonomer Raum mit eigener Gesetzlichkeit. Damit schafft sich das Bild seine eigene Welt, eine Welt, die nicht unbedingt mehr etwas mit Realität zu tun hat. Eine Entwicklung, die im späten 19. Jahrhundert begann und das ganze 20. Jahrhundert beschäftigt hat. Man malt nicht mehr Realität. Oder man kann daraufhin auch sagen, die Malerei ist tot.

FRT: Duchamp spielte da ebenfalls eine große Rolle mit der Aussage, Malerei sei veraltet.

HvdB: Ja, Duchamp hat den ganzen Prozess quasi in der eige-nen Person nachvollzogen. Er hat zuerst das Bild in Bewegung umgesetzt. Aber es war noch ein Bild, Akt, eine Treppe herab-steigend (1912). Die Entwicklung gipfelte in Werken, die völlig abstrakt waren, wie die von Kandinsky.

FRT: Und das Bild Magrittes’, Dies ist keine Pfeife (1929)?

HvdB: Das ist Surrealismus, auch ein Aspekt der Krise der Re-präsentation. Magritte spielt mit dem Verhältnis von Bild und Realität. Er geht auf eine noch höhere Reflexionsstufe, von der her man sieht, man kann eigentlich nicht abbilden, aber man kann mit dem Abbilden spielen. Und wenn man das nun auf eine eigene Symbolwelt bezieht, hat man Dalí, der gesagt hat, »ich male meine Träume« – nicht die Realität.

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126 | Die semiotische Haut der Dinge

Da gab es 1976 eine berühmte Installation des französischen Künstlers Daniel Buren in einer Londoner Galerie, die ganz leer war, nur in Bodenhöhe fand sich ein etwa vierzig Zentimeter hoher Streifen aus vertikalen Strichen. Das war alles.

FRT: Aber dies alles blieb nicht nur auf die Kunst beschränkt. Sonst hätten wir die große Debatte über Postmoderne nicht, die Lyotard angezettelt hat.

HvdB: Lyotard verkündete das Ende der Glaubwürdigkeit »gro-ßer Erzählungen«. Ideologien, gleich welcher Art, überzeugen nicht mehr. An die Stelle der Erzählungen tritt das Wissen, aber ein Wissen, das in Form von Information aufbewahrt werden kann. Wissen ist käufliche Ware, Realität interessiert das Wis-sen nur instrumentalistisch. Die Krise der Repräsentation griff im 20. Jhrt. auf alle Gebiete der Kultur über, auf Wissenschaft, auf Philosophie, auf Literatur, auf Ökonomie. Alle diese Felder schienen sich vereint zu bemühen, die Realität ad acta zu legen.

Kognitive Systeme gelten seitdem gern als autonom, ihr Ver-hältnis zur Realität ist kein Abbildungsverhältnis, sagen uns die Kybernetiker, sondern eigengesetzlich (so auch Krippendorff). Das Gleiche vollziehe sich in der Sprache. Sie habe keine re-präsentationale Funktion, auch die Sprache sei autonom und in Kommunikation gegründet. Es gäbe nur noch Sprachspiele im Sinne Wittgensteins, die von keiner Weltabbildung mehr geführt seien. Die ganze Kognition ist nur noch ein innergesellschaftli-ches Spiel.

Krippendorff fasst die Situation in die Forderung, den Beob-achter durch den Partizipanten zu ersetzen. Das soll die neue Erkenntnistheorie sein. Erkenntnis werde von den an ihr Teil-nehmenden produziert durch konsensuelle Konversation.

Jetzt kann man sagen, die Veränderung lässt sich durch den Wechsel von zwei Konzepten ausdrücken. Das eine ist der

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Beobachter; der Beobachter ist nicht in der Sache drin, er steht außen davor. Statt Beobachtung gilt jetzt Partizipation, das ist das andere Konzept: Du bist damit mittendrin, bist Miturheber.

FRT: Wie steht das zum »Anything goes«?

HvdB: »Anything goes« heißt auch, du bist mittendrin, aber mach deinen Kram, und alle anderen, die auch mittendrin sind, machen ihren Kram. Und wenn die Ergebnisse verschieden sind, dann sind doch beide gleich gültig. Partizipation steht also dem Beobachten von Außen entgegen. Die objektivistische Haltung, die sich angeblich im Beobachter ausdrückt, gilt nicht mehr als intelligent, sie gilt als naiv. Intelligent sei, zu partizi-pieren, d. h. sein eigenes Vorkommen in dem, was man beob-achtet, mitzuvollziehen.

FRT: Lass uns verstehen, was in deiner Sicht falscher Kon-struktivismus ist. Wir haben die »Sozialkonstruktivisten«, auch die »radikalen Konstruktivisten«. Sie lehnen Universalität und Repräsentation in der Wissenschaft ab, kurzum: Sie lehnen Ob-jektivität ab und verkünden die Autonomie des Subjekts.

HvdB: Ich nenne einen Konstruktivismus falsch, wenn er sich außer in Entstehungszusammenhänge von Erkenntnis auch in den Geltungszusammenhang von Erkenntnis einmischt. Viele Geistes- und Sozialwissenschaftler haben es heute darauf ange-legt, die Geltungsmacht gerade der Naturwissenschaften zu un-tergraben, durch Hinweis auf den konstruktiven (= poietischen) Charakter von Theorie. Sie scheinen damit einen reflektierteren Standpunkt einnehmen zu können als die Naturwissenschaft selbst. Das aber ist Illusion. Es handelt sich offenbar um eine Immunisierungsstrategie gegen den rapiden derzeitigen An-sehensverlust der Geisteswissenschaften gegenüber den über-mächtigen Naturwissenschaften. Die Postmoderne ist insofern nicht nur die Krise der Repräsentation, sondern allgemeiner die Krise der Nicht-Kontingenz, d. h. dessen, was nicht anders

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sein kann als es ist – primär vertreten durch die mathematischen Theorien der Physik. Die Reflexion solcher Theorien im Raum der Geisteswissenschaft erkennt die mathematischen Symbole nur als Konstruktionsprodukte. Und zwar als Konstruktionspro-dukte einer Partizipationsgemeinschaft der Wissenschaftselite (»Sozialkonstruktivismus«). In Wirklichkeit sind die Geltungs-zusammenhänge weitaus komplizierter als sie von der Sozial-wissenschaft überblickt werden könnten. Man beschreibt nicht Partizipation, sondern begriffliche Konfigurationen, die man im Grunde nicht versteht.

FRT: Die Aktanten-Rolle bei Bruno Latour ähnelt der Partizi-panten-Rolle, proklamiert für die heutige Wissenschaft. Eine Theorie in der Wissenschaft setzt sich nach Latour durch, wenn man genügend Alliierte findet. Je mehr »Aktanten«, die bei der Theorie mitziehen, desto mehr Beachtung und Chancen zum Erfolg. Nach dieser Aussage hätte sicherlich Einstein seine spezielle Relativitätstheorie früh vergessen können. Er fand zu Beginn nur einen einzigen Alliierten, Max Planck. Dennoch hatte Einstein alsbald großen Erfolg – wenn etwas stimmt, stimmt’s. Das, denke ich, ist es, was du an dem falschen Kon-struktivismus kritisierst, dass er mehr am Konsens interessiert ist als an der Sache selbst. Latours Aussage, man solle zwischen physischen und sozialen Faktoren nicht unterscheiden, ist auch von vielen Konstruktivisten (nicht von den »falschen«) heftig widersprochen worden.

HvdB: Die alte teoria fällt nach dem falschen Konstruktivismus ganz und gar in die Sphäre der poiesis, des Machens: als eine Beziehung auf Nicht-Kontingenz hat Theorie damit aufgehört zu existieren. Die Sozialkonstruktivisten beteiligen sich nicht mehr an der Jagd nach der Wahrheit, der Realität, der Objekti-vität, der Universalität. Sie haben das Interesse daran verloren. Weil sie meinen, in der Wissenschaft werde abgestimmt. Das al-lein findet ihr Interesse. Krippendorff spricht von »konsensuel-

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ler Konversation«. Was ist das Motiv dahinter? Mir scheint, eine Art Selbstbehauptung durch übersteigertes Selbstbewusstsein, im eigentlichen Bewusstsein der Unterlegenheit gegenüber ei-nem so viel erfolgreicheren Wissenschaftsparadigma. Irgendwie scheint man aus der big science gern mal die Luft rauslassen zu wollen, ihre »Aufgeblasenheit« zerstören zu wollen.

FRT: Seit den 1980er Jahren hat Karin Knorr Cetina mit großer Resonanz dafür plädiert, Wissenschaft als Wissensproduk-tion aufzufassen. Sie spricht über wissenschaftliche Produkte und nicht über Wissen oder Erkenntnis. Sie sieht, wie andere Postmoderne, Wissen als eine Konstruktion an, über die eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern »verhandelt«. Da ist also wieder so etwas wie Konsens, ohne Interesse daran, worüber der Konsens hergestellt wird. Der Ort der Wissensproduktion ist das Labor. Knorr Cetina stellt sich eine Beteiligung von Labora-torien am Produktionsprozess vor. Ihre These richtet sich gegen das Konzept von Wissenschaft als Spiegel einer unabhängigen Wirklichkeit. Wenn sie damit Recht hätte, könnte sie das aber nicht wissen, wie schon Hegel hohnvoll vermerkte.

HvdB: Was Knorr Cetina ausführt, wäre interessant und beach-tenswert, würde sie nur darauf verzichten, die »Wissenspro-duktion« mit dem Geltungsaspekt von Wissen als Erkenntnis zu verwechseln. Naturwissenschaft wird von ihr als eine »Wis-senskultur« neben anderen klassifiziert. Dabei ist »Wissenskul-tur« ja ein Wort, das bestenfalls auf die Geisteswissenschaften zutreffen kann. Die Entwertung der Theorie zum »Wissens-produkt« in einer »Wissenskultur« ist so eigentlich schon ein »Dekonstruktivismus« (Finn Collin, nach einem Wort Derri-das). Heute haben viele Wissenschaftssoziologen den falschen Ehrgeiz, in Geltungsfragen der Wissenschaft mitzureden. Weil sie glauben, der Entstehungszusammenhang, für den allein sie tatsächlich zuständig sind, schließe den Geltungszusammen-hang ein. Die Sozialkonstruktivisten glauben, Geltung sei ein

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soziales Phänomen. Das ist ein gründlicher Irrtum: Geltung beruht auf Geltungsvollzug: Geltungsvollzug ist ein intuitiver Akt, der nicht von Außen betrachtet werden kann, etwa aus soziologischer Perspektive, ohne ihn zu zerstören. Das führt zu einem ›Soziologismus‹ der Wissenschaft. Die Soziologie ist nicht zuständig, ebenso wenig wie die Psychologie (›Psycholo-gismus‹), in Geltungsfragen der Wissenschaft mitzureden. Die Grundlagen insbesondere der Physik liegen nun wirklich nicht in der Soziologie und können von ihr nicht skeptisch in Frage gestellt werden. Der Soziologe ist und bleibt Außenstehender. Die Wissenschaftssoziologie sollte wieder bescheidener werden; sie braucht auch gar nicht zu wissen, ob eine Theorie wahr oder falsch ist.

Der Psychologismus der formalen Logik beruhte seinerzeit (Mitte bis Ende des 19. Jhrts.) darauf, dass seine Verfechter die Logik als solche überhaupt nicht verstanden. Die Diskussion darüber gilt inzwischen als erledigt. Kein Psychologe glaubt mehr, er hätte über Logik mitzureden. Lyotard hingegen glaub-te noch, den mathematischen Logiker Kurt Gödel sehr wohl verstanden zu haben: Der selber bestätige, die Mathematik sei prinzipiell unvollständig und daher seien ihre Grundlagen zwei-felhaft. Hier irrte sich Lyotard aber ganz gewaltig: Gödel selbst hielt sich für einen Platoniker in der Mathematik; sein Unvoll-ständigkeitssatz besage, dass Mathematik durch Regeln des Ma-chens (des ›Rechnens‹) nicht vollständig erfasst werden könne. Es gäbe also mathematisches Wissen, das außerhalb des Forma-lismus existiere, in einer platonischen Welt, zu der nicht Regeln, sondern nur die Intuition Zugang habe. Die Lieblingspropheten der Sozialkonstruktivisten sind übrigens unfehlbar Kurt Gödel und Werner Heisenberg. Beide werden von ihnen nach bloßem Hörensagen notorisch mehr als schief interpretiert.

FRT: Es gibt weitere einflussreiche Autoren, welche die heutige Diskussion stark beeinflussen. Wir könnten z. B. über den »radi-kalen Konstruktivismus« Ernst von Glasersfelds sprechen.

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HvdB: Der »radikale« Konstruktivismus von Glasersfelds ist nicht so radikal, wie er meint. Konfrontiert man seine Erkennt-nistheorie etwa mit den großen, wirklich radikalen Erkenntnis-theorien des deutschen Idealismus, kann man den »radikalen Konstruktivismus« nur als naiv bezeichnen. Ich nenne ihn eine Erkenntnistheorie ›von der Seite‹, im Gegensatz zu einer Erkenntnistheorie ›von innen‹. Eine ernst zu nehmende Er-kenntnistheorie startet immer im Inneren der Erkenntnis, nicht bei einer treuherzig vorausgesetzten Beziehung zwischen der Realität und dem Erkennenden. Das ist günstigsten Falls eine neurowissenschaftliche, also naturwissenschaftliche Theorie der Informationsaufnahme und –verarbeitung, aber keine Erkennt-nistheorie. Im Übrigen ein Fehler, der regelmäßig dem Sozial-konstruktivismus unterläuft.

Der Sozialkonstruktivismus besteht nicht in einer wirklichen ›Kritik der Erkenntnis‹ wie Kant sie unternahm. Der Sozialkon-struktivismus nimmt eine skeptische, aber nur scheinbar abge-klärte und aufgeklärte Haltung auf der Metaebene ein – also eine Infragestellung objektiver Wissenschaft sehr von ›oben herab‹, in Form »trockener Versicherungen« (Hegel), betreffend die Behauptung, die Entstehung von Wissenschaft schließe ihre Geltung ein. Der Sozialkonstruktivismus, auch der radikale Konstruktivismus, bildet einen falschen Konstruktivismus: Der Beobachter ist kein kontingentes Konzept, dass beliebig durch einen Partizipanten ersetzt werden kann. Konsens ist Politik, nicht Wissenschaft. Konsensethik, Partizipationsethik, ohne Abstützung in objektiven, universellen Kriterien, wird leicht zur Mitmacher-Ethik, ja zur Mitläufer-Ethik. Und das ist das Letzte, was wir uns in Wissenschaft und Gesellschaft wünschen können.

FRT: Welche Folgen hat das alles, auf deinen Designbegriff bezogen?

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HvdB: Auf meinen Designbegriff bezogen sage ich, wir müssen in der Tat erst einmal bei der Behauptung ansetzen, die zunächst ganz weit weg vom Design scheint, nämlich der Behauptung von der Krise der Repräsentation. Diese angebliche Krise der Repräsentation ist, wie ich meine, postmoderner Unsinn. Es gibt keine Krise der Repräsentation in der Wissenschaft. Ganz im Gegenteil! Die ›Krise der Repräsentation‹ ist eine Mentalität des 20. Jahrhunderts, hat aber mit Realität so gut wie nichts zu tun. Es handelt sich einfach um ein innergesellschaftliches Aufgeben der Bezugnahme auf Realität, die jedoch an vielen Punkten der Gesellschaft geradezu krass ihr Gegenteil erfährt: Also mir kann keiner sagen, dass die Physik, die dazu geführt hat, nach 50 Jahren das Higgs-Boson mittels einer gigantischen Apparatur (CERN) zu finden, eine ›gesellschaftliche Konstruk-tion‹ ist. Das Higgs-Teilchen ist nun mit Gewissheit kein bloßer Konsens in der Konversation von Physikern. Der Zeitungsleser schlägt die Zeitung auf und sagt, »die haben das Higgs-Teilchen gefunden«. Ein Sozialkonstruktivist, der dasselbe liest, sagt, »na gut, da haben die Physiker sich wieder untereinander irgendet-was zurechtgefummelt. Die meinen, in diesen vielen Spuren, die sie da finden, in den vielen Computerbildern, konnten sie so was identifizieren, aber das Ganze ist natürlich eine soziale Konstruktion.« So spräche kritiklos-kritischer Laienmund. Die-se läppische Infragestellung leugnet schlicht die Sensation, dass die Menschheit soeben ein unglaublich interessantes, unsere Weltsicht umkrempelndes Stück Realität gepackt hat, das sie vorher nicht in der Hand hatte.

FRT: Okay, dann ist ja klar, dass du die Gleich-Gültigkeiten der Postmoderne nicht akzeptierst, weil dies auch bedeuten würde, im Design gibt es keine objektiven, wissenschaftlichen Ziele.

HvdB: Objektivität und Wissenschaftlichkeit wären ein falscher Universalismus, sagt Krippendorff. Sein Standpunkt beinhal-tet eine Kritik an den Erben des Ulmer Paradigmas, dem er selbst entstammt. Er, wie viele andere, behaupten, es gäbe den

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typischen, universellen user nicht. Es gäbe viele user. User verschiedener Herkunft, verschiedener kultureller Prägung, usw. Das ist genau »Multikulti«. Es gibt nur den Multikulti-User. Dem kann man ja meinetwegen zustimmen, das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist, dass von der heutigen Sozialtech-nologie her ein typischer User erst geschaffen wird, der eben immer user bleibt und nicht zum Handeln kommt. Das Problem kognitiven Designs liegt also nicht auf der User-Ebene, der Ebene des Gebrauchs, sondern auf der Ebene der Möglichkeit direkten Handelns. Man muss wieder hervorheben, was der letzte Fluchtpunkt für Kognition ist: Der letzte Fluchtpunkt für Kognition ist für mich die universelle Intelligenz. (Und die universelle Intelligenz ist im Kern mathematische Intelligenz.) Universelle Intelligenz ist nicht der Psychologie zugänglich. Wir sagen, die Grundlagen der Mathematik werden nicht von der Psychologie gelegt, das wäre »Psychologismus«.

FRT: Also die kritische Vorstellung Krippendorffs von einem »universellen user« fällt in die Psychologie …

HvdB: Das ist ein polemischer Begriff von Krippendorff; er führt einen unzulänglichen Begriff von Universalität ein, den er sich nämlich selbst psychologisch konstruiert hat. Sicher wür-den sich einige Softwarepsychologen dem Vorwurf von Krip-pendorff aussetzen. Das ist ja nicht das Problem. Den typischen User gibt es von Hause aus nicht, aber es gibt etwas in der Ko-gnition, wo sich letzten Endes alles fokussiert. Und das ist die Intelligenz, die im Universum den Namen Intelligenz verdient. Die Frage allein, ob es im Universum noch andere Intelligenz gibt, macht nur Sinn, wenn wir voraussetzen, dass wir selbst eine Intelligenz besitzen, die im Universum prinzipiell ihres-gleichen haben könnte.

FRT: In den 1990er Jahren begann der Trend, den heute das De-sign besonders pflegt und stilisiert: Es war Christopher Frayling, der die wortspielerischen Differenzierungen von research into,

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for, through art and design einführte. Kurz danach wandelte Bruce Archer die Formel in research about, for, through design um. Wollte Frayling die Kunst noch unbedingt mit im Boot haben, so verzichtete Archer auf die Kunst, um sich nur noch auf design research zu konzentrieren. Da hatten sich ja auch an einigen Kunsthochschulen Künstler schon zu eifrig als ›For-scher‹ gemeldet. Natürlich lässt sich im Englischen nett mit den Worten search und research spielen. Jede Art von Suche nach einer Lösung könnte daraufhin als research eingestuft werden.

HvdB: Im Englischen heißt vielerlei research. Unter anderem auch die wissenschaftliche Forschung. Ich glaube aber beob-achtet zu haben, dass deutsche Interpreten des design research das, was an meiner Heimathochschule, der HBK Braunschweig, »künstlerisches Entwicklungsvorhaben« genannt wurde, art research, beim design research eher nicht als »designerisches Entwicklungsvorhaben« verstehen möchten, sondern in Reso-nanz zu scientific research. Wenn ich nicht irre, hat diese Inter-pretation sich schon im schillernden Dunstkreis designerischer Entwicklungsvorhaben in die Promotionsordnungen eingeschli-chen. Klar, wenn der Sozialkonstruktivismus, den ich einen falschen Konstruktivismus nenne, sich auf der akademischen Bühne, wie dargestellt, so breit machen konnte, verwundert es nicht, Erkenntnis und Design miteinander verwechselt zu sehen. Indem ich sage, Design sei theorieartig, scheine ich sogar selbst in die Falle getappt zu sein. Zu beachten ist jedoch, dass ich für ein theorieartiges, kognitives Design, eine Forschungshaltung fordere, die nicht auf designartiger Theorie fußt, sondern auf Forschung nach dem Paradigma des quadriviums.

FRT: John R. Searle schrieb 2010 ein Werk Making the Social World. The Structure of Human Civilization (deutsch 2012). Schon früh im Buch spricht er über ein Prinzip. Für ihn sind die »enormen Komplexitäten der menschlichen Gesellschaft […] unterschiedliche Oberflächenäußerungen einer zugrundeliegen-

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den Gemeinsamkeit« (deutsche Ausgabe, S. 17). Wie ich das verstehe, geht es immer um die Suche nach einem Prinzip. Du hast ebenfalls ein Prinzip beschrieben, das Designprinzip, das Prinzip der Designokratie. Du betrachtest auch Oberflächenäu-ßerungen, aber eines tieferliegenden Problems. Du hast auch eine Theorie für alles geschrieben, und damit das Gebiet der Physik betreten. Was treibt dich, ähnlich wie Searle, zu versu-chen, mit quadrivium-Wissenschaft humanwissenschaftliche Fragen zu beantworten?

HvdB: Ich unterscheide eine trivium-Semantik von einer qua-drivium-Semantik, entsprechend den two cultures von Charles Percy Snow. In jedem Falle handelt es sich um Semantik, und die ist ein humanes Phänomen. Die Trivium-Semantik geht im Kern davon aus, die Bedeutung des »Textes« (Derrida) entstehe durch den Kon-Text; Semantik sei stets Auslegung. Die zugehö-rige Methode ist die Hermeneutik. Ich behaupte hingegen (übri-gens im Verein mit Searle), Semantik sei im Kern Darstellung, wie schon Karl Bühler klargestellt hatte; Bedeutung entsteht im Weltbezug, nicht kontextuell. Der Weltbezug gehört zu dem semiotischen Konstruktivismus, den ich gegen den falschen Sozialkonstruktivismus ins Feld führe.

FRT: Searle sagt, es gebe Bereiche, deren Ontologie ein ganz einheitliches Prinzip zeigt: Physik und Atom, Chemie und che-mische Bindung, Biologie und die Zelle, Genetik und das DNA-Molekül, Geologie und die tektonischen Platten. Das Prinzip heißt Repräsentation. Und dieses Prinzip ist für Dich auch im Design maßgebend, während das falsche Designprinzip, also die Designokratie, das Repräsentationsprinzip verwirft, zum Scha-den der Orientierung einer ganzen Gesellschaft.

HvdB: Um diese Fragen noch näher zu diskutieren, würde ich gern mit dir ein Gespräch über den semiotischen Konstruktivis-mus führen. Ich bin ja mit den Sozialkonstruktivisten in dem

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einen Punkt einig, dass Erkenntnis nicht passive Abbildung ist, sondern Konstruktion. Bei der Konstruktion kann man aber leicht in die Irre gehen: Konstruktion ist nicht Beliebigkeit, ist nicht Willkür, ist nicht reine Subjektivität. Konstruktion in der Erkenntnis ist immer Re-Konstruktion, ist Re-Präsentation, ist Darstellung. Wissenschaft besteht nicht aus Vorstellung, Wis-senschaft besteht aus Darstellung. Faraday hatte nur eine Vor-stellung über Elektrizität, Maxwell fasste diese Vorstellung in Darstellung durch Gleichungen – und fand in seiner Darstellung die elektromagnetischen Wellen, die Faraday ganz unzugänglich geblieben waren. Das ist etwas, was nicht der Sozialkonstrukti-vismus oder radikale Konstruktivismus erklären kann. Das kann nur der semiotische Konstruktivismus erklären!

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138 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Im Kontrast zum »falschen Konstruktivismus« sprichst du also vom »semiotischen Konstruktivismus«. Was verstehst du darunter? Du hast dich als Semiotiker und Konstruktivist zu erkennen gegeben. Du bist ja als an Sprachwissenschaft, Ma-thematik und Philosophie Interessierter in dieser Tradition zu finden.

HvdB: Den semiotischen Konstruktivismus verstehe ich als philosophische Vorausorientierung zur Designwissenschaft. Der semiotische Konstruktivismus ist nicht meine Erfindung. Sein prominentester und sicherlich genialster Vertreter war der fran-zösische Mathematiker und theoretische Physiker Henri Poinca-ré. Er sah das mathematische Forschen, das er mit allergrößtem Erfolg betrieb, als eine intuitive Vollziehung zeichenhafter Kon-struktionen an, deren Gültigkeit wiederum durch zeichenhafte Konstruktionen bewiesen wurde.

FRT: Es wäre wünschenswert, den Zusammenhang von Zeichen und Konstruktion noch etwas näher aufzuklären, nicht zuletzt im Hinblick auf die Möglichkeit einer Designwissenschaft. Auf dieser Ebene hast du seit Jahrzehnten gearbeitet. Du schlägst vor, die Designwissenschaft aus dem semiotischen Konstrukti-vismus heraus zu entwickeln. Kannst du die abstrakten Begriff-lichkeiten etwas inhaltlicher erklären?

HvdB: Ich möchte zunächst über den semiotischen Konstrukti-vismus unabhängig vom Design sprechen. Mein eigener semio-tischer Konstruktivismus übernimmt Züge des Pythagoräismus, des Platonismus, des mathematischen Intuitionismus oder Kon-struktivismus. Lass mich zunächst erklären, wie ich persönlich zu dieser philosophischen Ausrichtung gelangte.

Wie schon erwähnt, begann ich mit vierzehn Jahren eine Ausbil-dung als grafischer Zeichner. Aus dieser Tätigkeit erwuchs dann alsbald mein Interesse an den Zeichen überhaupt und damit

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auch an der Wissenschaft von den Zeichen, der Semiotik. Spezi-ell die Semantik wurde für mich von entscheidender Bedeutung. Da ich von der Gebrauchsgrafik her kam, fasste ich die Seman-tik vorzugsweise vom Bild her auf. Ich war also von vornherein vor allem an einer »repräsentativen« Funktion der Zeichen interessiert, wie sie Karl Bühler beschrieben hatte. Das Bild ist eine Darstellung, das Bild enthält Erkenntnis. Diese Devise ließ sich dem Ausspruch des von mir sehr verehrten Malers Paul Klee entnehmen, der gesagt hatte, »Kunst gibt nicht Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar«. Das Bild, die Darstellung, so weit war mir klar, macht sichtbar. Die Darstellung kann Schlüs-sel zur Wirklichkeit sein. Später sprach ich von »Welterschlie-ßung«, gemäß der Phänomenologie Edmund Husserls.

FRT: Husserl sprach in seiner Phänomenologie davon, etwas als Phänomen zu betrachten, bedeute, es als in der Lebenswelt gegeben zu sehen. Dabei suchte er die »eidetische« Essenz der Dinge, in Anlehnung an Platon (eidos, Idee). Für dich sind Bil-der etwas, das diese Wirklichkeit »erschließt«. Du überträgst den Begriff der Welterschließung von Husserl auf die Semiotik, insbesondere auf die Bildlichkeit.

HvdB: Husserl bezog die Welterschließung auf die Intentio-nalität des Bewusstseins. Dies stand immer in der Gefahr, »psychologistisch« fehlgedeutet zu werden. Die große Front gegen den Psychologismus kam aus der Semiotik, der ich mich anschloss. Die erkenntnistheoretische Funktion der Zeichen ist also ihr kognitiver Aspekt, während ihr kommunikativer Aspekt dem gegenüber in den Hintergrund tritt. Der primäre Aspekt der Zeichen ist, dass sie auf etwas zeigen. Zeichen zeigen die Welt auf. Um etwas aufzeigen zu können, muss aber zugleich etwas sichtbar gemacht worden sein.

FRT: Ich verstehe, das Kommunikative bleibt ein Nebenaspekt der Welterschließung, weil zuvor das Sichtbarmachen, wie Paul Klee es verstand, stattfinden musste.

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140 | Die semiotische Haut der Dinge

HvdB: Breite Strömungen heutiger Theorie sehen indes die Verhältnisse leider umgekehrt. Bis hin zu dem Extrem, auf eine repräsentative Funktion der Zeichen könne ganz verzichtet wer-den, wenn man die Semantik in der Kommunikation begründet sieht. In letzter Zeit habe ich mich diesbezüglich vor allem mit den Schriften Klaus Krippendorffs beschäftigt. Ich muss geste-hen, erst neuerdings eingesehen zu haben, dass er mir weit und breit als der wichtigste Theoretiker in dem uns interessierenden Feld erscheint, mit dem sich eine ernsthafte Auseinanderset-zung lohnt. In den achtziger Jahren las ich einige Artikel zur Produktsemantik von ihm, die mir damals jedoch so fade und langweilig erschienen, dass ich seitdem von Krippendorff nichts mehr gelesen hatte. Erst im Zusammenhang mit der Vorberei-tung für ein neues Buch über Design und Information, an dem ich gerade arbeite, nahm ich erneut die Lektüre von Krippen-dorffs Arbeiten auf. Ich kann sagen, dass ich in vielen Punkten diametral entgegengesetzter Ansicht bin, aber seine Ansichten als scharf formuliert und intelligent argumentiert ansehe, so dass ich mich im Folgenden implizit oft auf Krippendorff bezie-he. Das Beeindruckende bei Krippendorff ist der breite Umfang seiner wissenschaftlichen Interessen. Produktsemantik stellt nur einen relativ unwichtigen Bestandteil dessen dar.

Krippendorff macht den Vorschlag, ausgehend von einer kyber-netischen Betrachtung, den Beobachter durch den Partizipanten zu ersetzen. Der Beobachter wird oft charakterisiert als dem beobachteten System äußerlich gegenüberstehend. Die postmo-derne Theorie glaubt, dieses Bild des Beobachters sei grund-sätzlich falsch. Vielmehr sei der Beobachter in das System in-volviert, dass er beobachten möchte. Insbesondere lehre dies die Physik. Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation sage aus, der Beobachter sei stets Teil des beobachteten Systems. Ob-jektive Erkenntnis sei daher unmöglich. Zweifellos ist dies ein interessanter Gedanke, der von Physikern diskutiert wird. Meine persönliche Meinung ist, dass die Heisenbergsche Unbestimmt-

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heitsrelation keineswegs die Unmöglichkeit von Objektivität ausdrückt. Die Unbestimmtheit folgt rein mathematisch aus der Tatsache, dass die Matrizen-Multiplikation im Allgemeinen nicht kommutativ ist. Ich will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen (vgl. mein Buch Theorie für Alles, 2006), aber dar-auf hinweisen, dass diese Frage die Physiker betrifft und nicht willkürlich von Hermeneutikern nach gusto interpretiert werden kann. Der Zusammenhang, in dem sich die Objektivitätsfrage stellt, ist denn auch ein anderer.

FRT: Du möchtest also darauf hinweisen, dass das Gerede von Vagheit und Unschärfe im Design nicht die Linie ist, die von Designern weiter verfolgt werden sollte. Dir geht es vor allem um objektivere Parameter, die ein durchaus scharf bestimmtes Design zur Folge haben. Das würde bedeuten, dass du auch dem Künstlerischen im Design keine Priorität einräumst. Den not-wendigen Realitätsbezug kann man nur in naturwissenschaft-lichen Maßstäben finden, in einer Quadrivium-Semantik. Du sprichst dabei über die repräsentationale Funktion, die wieder-um in einem Schema gründet, das seitens unserer Denkformen als selbstverständlich erlebt wird.

HvdB: Ende des neunzehnten Jahrhunderts glaubten viele Theo-retiker im Anschluss an John Stuart Mill, die formale Logik als Denklehre fiele in das Gebiet der Psychologie. Durch die Ar-beiten Freges, aber vor allem auch Edmund Husserls (Logische Untersuchungen, 1900) war dann abschließend und endgültig klargestellt, dass die Psychologie in logischen Geltungsfragen nicht mitzureden hat (»Psychologismus der Logik«). Die Sache war damit erledigt. Die Postmoderne jedoch wärmte den Ge-danken in Form eines »Soziologismus« der Geltung wieder auf. Soziologen glaubten plötzlich, Geltung sei ein rein soziales Phä-nomen. In Extremform hieß das, Mathematik sei gesellschaft-lich begründet. Mathematiker sehen eine solche Behauptung natürlich als groben Unfug an. Die Mathematik sorgt selbst für

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ihre Grundlagen. Der Nachvollzug eines Beweisgangs ist ein intuitiver Akt, den man nicht von Außen betrachten kann, ohne ihn zu zerstören. Was bei der Mathematik eigentlich sogleich als unsinnig erscheint, wird jedoch nach wie vor im Bezug auf em-pirische Wissenschaften, insbesondere auch im Bezug auf die Naturwissenschaften, für durchaus hoffähig gehalten. Wissen-schaftssoziologen und Wissenschaftshistoriker überbieten sich in ihren Analysen, die Wissenschaft als soziale Konstruktion zu beschreiben (»Sozialkonstruktivismus«).

FRT: Daher sind heutige Designtheoretiker gerade so verliebt in die Möglichkeit, eine Designtheorie zu »erfinden«, die sich selbst die Lizenz ausstellt, mit unscharfen, gar mit wider-sprüchlichen Konzepten zu hantieren. Sie wollen beliebig ›an-schlussfähig‹ bleiben. Alles lässt sich ja durch geeignete Inter-pretation in ein vorteilhaftes Licht tauchen.

HvdB: Im Gegensatz zum Sozialkonstruktivismus erklärt der semiotische Konstruktivismus, dass die Soziologie als solche, ebenso wenig wie die Psychologie, zuständig ist, in Geltungs-fragen der Wissenschaft mitzureden. Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie sind womöglich imstande, den Entstehungszusammenhang von Wissenschaft zu erklären, hin-sichtlich des Geltungszusammenhangs aber haben sie nichts beizutragen. Aus der Zurückweisung dieses verfehlten Ehrgei-zes gewinnt der semiotische Konstruktivismus einen Ausgangs-punkt.

FRT: Lass mich hier nochmals betonen, dass der semiotische Konstruktivismus dasjenige ist, was du als Theorie im Design verfolgst. Das steht mit einer Chomskyschen kognitiven Lin-guistik in Zusammenhang. Der semiotische Konstruktivismus ist auf universelle Kognition ausgerichtet und erstrebt daher ein kognitives Design – durch Schemata, die von unseren Denk-strukturen ausgehen.

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HvdB: Ich möchte hier nur skizzieren, wo nach Ansicht des semiotischen Konstruktivismus die Wurzeln der Semantik lie-gen. Der Mensch ist, wie Ernst Cassirer ihn definiert hat (Philo-sophie der symbolischen Formen, 1923), homo symbolicus. Der Mensch ist das Zeichen verwendende Tier. Cassirer hob hervor, dass Symbole erst dann gesellschaftliche Bedeutung bekom-men, wenn zugleich mit ihnen die zugehörige symbolische Form konstituiert wird. Wenn also, wie ich sage, die Zeichen-ebene auf der Ebene des Bewusstseins erscheint. Die symbo-lische Form Kunst findet daher ihre erste massive Ausprägung in den frühen Felsmalereien. Zweifellos sind dies nicht die ein-zigen gesellschaftlich relevanten Symbole. Noch andere findet man in Form von Architektur vor, etwa in der Megalith-Archi-tektur. Beispiel Stonehenge. Alle diese ersten Symbole haben, wie der Religionswissenschaftler Mircea Eliade herausgefunden hat, dieselbe Funktion: eine ›Mitte‹ zu bezeichnen. Eine Mitte wovon? Die Mitte der Welt. Kosmische Symbole kennzeichnen bei ihrem ersten Auftreten die Mitte des Universums. Häufig finden wir in den Mythen der Völker eine solche Mitte des Kosmos: als Baum, als sakraler Ort, als Berggipfel, als Steinar-chitektur. Die Mitte verweist als solche auf den umgreifenden Kreis, den Welthorizont (Husserl). Um es kurz zu machen: Die Zeichen wurden menschheitsgeschichtlich entdeckt, um auf den Welthorizont zu zeigen. Dies ist im Wesentlichen der Inhalt aller Mythen. Die Gesellschaft entdeckt sich in dem, was sie als das ›Andere‹ ihrer selbst anspricht, die Natur, den Kosmos. Mythen, welche die eigene Kultur in den Mittelpunkt der Welt rücken, haben die Funktion, der Gesellschaft eine je abschließende Orientierung zu bieten. Man hat dies oftmals in die Formel ge-bracht »Wo immer Kultur ist, ist eine Kosmologie«.

FRT: Kulturelle Symbole ändern sich aber doch von Kultur zu Kultur. Eine Kosmologie in der Kultur würde bedeuten, dass es keine universalen Symbole geben kann, da sie in der spezifi-schen Kosmologie der Kultur entstanden sind. Denkst du eher

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144 | Die semiotische Haut der Dinge

wie der Strukturalist Claude Lévi-Strauss, der die »universel-len« Denkstrukturen suchte, die sich nachher in jeweiligen kul-turellen Symboliken ausdrückten?

HvdB: Welt und Mitte – das sind nach Eliade und in gewisser Weise auch nach Lévi-Strauss die universellen ursprünglichsten Themen mythischer Kosmologie, von vornherein repräsentiert durch Symbole. Die umschließende Vollständigkeit der Welt kann durch ihre Mitte repräsentiert werden. In der Mitte sind die göttlichen Mächte von jenseits des Welthorizontes anwesend (re-präsent). Der Übergang eines Ortes oder Gegenstandes in die Sakralität der Mitte ist der historisch-genetische Ursprung der Repräsentation, der Ursprung der Zeichenebene. Ein pro-faner Ursprung der Zeichen, wie er vom falschen Konstruk-tivismus angenommen wird (»konsensuelle Konversation«, Krippendorff) ist unvorstellbar. Das Symbol ist im Ursprung eine Entdeckung, keine Erfindung. Das Symbol ist die Entdek-kung einer Beziehung zwischen Mitte und Welt. Das Zentrum eines Kreises ist kein beliebiger Punkt, er ist der Mittelpunkt. So kann – und muss – etwas in der Welt die Welt repräsentieren. Es ist also der äußere Horizont, der die innere Mitte definiert. Der Archetyp des Symbols ist der Kreis mit seinem Mittelpunkt (wie er in vielen Kulturen erscheint). Übersetzt man das in Phy-sik, so erhalten wir das Bezugssystem mit seinem Nullpunkt, dem »Ursprung« des Koordinatensystems. Die moderne Kos-mologie zeigt die Gleichberechtigung aller Bezugssysteme, aller »Mitten« auf. Die Gleichberechtigung aller »Mitten« ist kein moralisches Postulat, sondern eine Symmetrie, eine Universalie des Universums. Die Gleichberechtigung wird nicht postuliert, sie wird bewiesen. Verschiedene Beobachter (»Mitten«) sind nicht durch das »anything goes« des falschen Konstruktivismus zu verknüpfen. Sie sind nur dadurch zu verknüpfen, dass sie, die alle kontingent anders sein können, so verknüpft werden, dass etwas allen Gemeinsames nicht anders sein kann (Nicht-Kontingenz der Symmetrien in der Physik). Dass die Physik des

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Universums universell sein kann, ist dann der Maßstab für je-den anderen Konsens: dies war das Vernunftziel der Aufklärung.

Das Bezugssystem – Reference Frame – muss als Ursprung der Zeichen-Referenz verstanden werden. Das Bezugssystem als Gegebenheitsweise (Frege) in einer semiotischen Konstruktion unterliegt stets dem selben Maßstab, dem selben Kriterium, dem Kriterium der Nicht-Kontingenz. Das Zeichen ist im Ursprung etwas, das ›von selbst‹ Zeichen wird, ›von selbst‹ Bedeutung annimmt. Die Mitte und damit die Semantik ist keine Verein-barung, keine Konvention. Ebenso wenig wie die Sprache kann das Zeichen auf der Zeichenebene erfunden werden, an irgend-einen Nutzen angeknüpft werden. Der Beobachter und seine Zeichen sind im Ursprung nicht kontingent.

FRT: Aus der mathematischen Nichtkontingenz hast du den Gestaltcharakter der Erfassung der Welt im schematischen Bild anschaulich gemacht. Das Argument ging so. Wenn man die Zahl sechs darstellen möchte, ist es nicht so gut, sechs Elemente linear aneinander zu reihen, sie ist besser erfassbar in einer Pyramide mit einer Basis von drei Elementen, darüber zwei Elemente und schließlich eine Spitze mit einem Element. Man erfasst diese Gestalt viel schneller – und zwar auf einmal –, anstelle sechs Elemente abzuzählen. Dies kann man auch auf andere Designkontexte übertragen. Man weiß z. B., dass wir Gesichter in Gestaltform auch unter ungünstigen Wahrneh-mungsbedingungen im Bruchteil einer Sekunde erfassen. Aus solchen Beispielen können wir mentale Denkformen erschlie-ßen, die uns die Schemata verraten, welche den Gebrauchshand-lungen zugrunde liegen. Sind dies psychologische, soziale oder doch kognitive Universalien?

HvdB: Kant definierte das Schema als ein »allgemeines Ver-fahren, einem Begriff ein Bild zu verschaffen«. Universalität liegt im Verfahren, das zum Bild führt. Daran hätte meiner

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146 | Die semiotische Haut der Dinge

Meinung nach das Design anzuschließen. Design besteht aus Zeichen, bildet die semiotische Haut der Dinge. Zeichen werden ursprünglich als Bilder entdeckt, im logisch einfachsten Fall als das Bild einer Mitte. Die Zeichenebene ist inzwischen mit einer ungeheueren Vielfalt von Schemabildern im Sinne Kants angefüllt. Diese Schemata müssen wir im Design nutzen. Fest-zuhalten bleibt, dass die Schemata alles andere als beliebig sind. Letzten Endes sind sie nichtkontingent.

FRT: Dein »semiotischer« Konstruktivismus enthält eine Se-mantik, die du aus der Quadrivium-Semantik herleitest. Dies ist offensichtlich ein anderes Semantikverständnis, als es dem von Krippendorff beobachteten Semantic Turn (2006) zugrunde liegt. Krippendorff wendet sich ja ausdrücklich gegen die Se-miotik mit ihrer Dreiteilung von Syntax, Semantik und Pragma-tik und ihrer »zweistelligen Ontologie«.

HvdB: Der semantic turn Krippendorffs spielt auf den linguistic turn an, den Richard Rorty auf Wittgenstein zurückbezog und in der Philosophie des 20. Jahrhunderts insgesamt wirksam sah. Sprache ist jedoch nicht nur Semantik. Semantik ohne Syntax, aber auch ohne Pragmatik, ist sozusagen nicht lebensfähig. Es gibt keine ›freischwebenden‹ Bedeutungen. Bedeutungen gehören nun einmal zu Zeichen. Es sind immer Zeichen, die Bedeutungen haben. Worauf der Erfinder des »semiotischen« Konstruktivismus, Henri Poincaré, stets hingewiesen hat, war die unvergleichlich viel größere Leistungsfähigkeit der Darstel-lung gegenüber der Vorstellung. Darstellungen sind semiotische Konstruktionen. Man kann nicht einfach Bedeutungen konstru-ieren. Nochmals unser Beispiel: Anhand seiner Gleichungen – und dies war eben nur anhand seiner Gleichungen möglich – ersah Maxwell das Schema der elektromagnetischen Welle. Wir brauchen ein Design, dass, wenn ich so sagen darf, ähnlich den Maxwellschen Gleichungen funktioniert: Es muss mehr in ihnen stecken als in ihnen codiert wurde. Das Design muss, um

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es überspitzt zu sagen, ›intelligenter‹ sein als der Designer. Das kann es nur, wenn Design die semiotische Haut der Dinge ist und nicht eine freischwebende semantische Interpretation.

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150 | Die semiotische Haut der Dinge

FRT: Ich möchte zum Abschluss unserer Gespräche noch ein-mal auf die wichtige Frage der Universalität zurückkommen. Man könnte denken, du fordertest ein »universelles Design«, wie es Designer und Techniker im Munde führen. Universelles Design wird von vielen Leuten verstanden als eine Art Richt-linien-Design, bezogen etwa auf ISO, DIN usw., aus Rationa-lisierungs- und Kostengründen. Ich glaube, man würde dich gründlich missverstehen, wollte man dich als Funktionalisten im Sinne der Ingenieure und Designer, die sich immer noch mit der Ergonomie der 1960er Jahre befassen, einstufen.

HvdB: Universelles Design in meinem Sinne bedeutet nicht die Plattheit eines »Designs für alle«, eines Designs, das über einen einzigen Kamm geschoren wird. Die Universalität liegt für mich nicht im dinglichen Bereich, nicht auf der Dingebene. Univer-salität liegt für mich auf der Ebene der Handlungsmuster, die letzten Endes von universeller Intelligenz bestimmt ist. Univer-salität hat mit dem semiotischen Konstruktivismus zu tun: Dass die Zeichen ›intelligenter‹ als ihre Urheber sein können (»die Darstellung ist mächtiger als die Vorstellung«), muss auch das Design bestimmen. Design besteht aus Zeichen; in diesen Zei-chen steckt im günstigen Fall ein Überschuss gegenüber dem, was durch sie explizit codiert ist. Dieser Überschuss wird getra-gen von universeller Intelligenz. Das ist diejenige Intelligenz, die, wenn man so sagen darf, auch das Design der Marsbewoh-ner bestimmen würde. Solche Universalität schert nicht alles über einen Kamm; sie erlaubt es, handelnd über das jeweilige Design hinauszugehen. Nicht die Menschen sind ›universell‹; ihre Handlungsmuster sind ›universell‹.

FRT: Der Club of Rome hat sich mit gewissen Tatsachen befasst, die zeigen, dass die Menschheit jede Art von technischen Fra-gen bewältigen kann. Der Mensch kann zum Mond fliegen und sicher auch eines Tages zum Mars. Was sie aber offensichtlich nicht kann, ist, die ökologische Frage hier auf der Erde gemäß

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Und nun? | 151

den vorhandenen Einsichten umzusetzen – obwohl die Lösung viel einfacher wäre als beim Marsflug.

HvdB: Ja, darum betone ich alles, was unsere universelle In-telligenz stützt. Zum Mars werden wir wahrscheinlich auch mithilfe eines Designs gelangen können, das nicht eine Revolu-tion erfahren hat, wie sie nötig wäre, um Handlungsweisen zu unterstützen, die eine moralische Dimension haben. Dazu wäre es erforderlich, das Konzept der Nichtkontingenz gesellschaft-lich sozusagen wieder ›flott zu machen‹. Nichtkontingenz ist die moralische Dimension im Verstehen der Realität – eine solche Dimension haben wir zuletzt in der Epoche der Aufklärung gesehen, als der optimistische Eindruck vorherrschte, die Erklä-rung der Welt führe zur Aufklärung der Menschheit. Dieser Op-timismus hat uns völlig verlassen. Und zwar deswegen, weil wir nicht mehr an ein wirkliches Verständnis der Realität glauben. Wir glauben vielmehr, auf ewig in unsere Subjektivität einge-schlossen zu sein. Diese Einkapselung in das Subjektive müssen wir aufsprengen, wenn wir auf dem Mars und auf der Erde für weiteren Fortschritt sorgen möchten. Die Aufklärungsepoche hielt sich an die Vernunft; wir halten uns an unsere Artefakte, denen es nicht an Verstand, aber an Vernunft fehlt. Mein Plä-doyer wäre, das ›Vernünftige im Verständlichen‹ zu fördern. Mir scheint, dies betrifft nicht zuletzt uns Designer. Wir haben noch immer eine zu kleinkarierte Auffassung von unseren Aufgaben. Hier müssen wir größer denken. Wir müssen unsere Artefakte nutzen, Realität zu verstehen unter moralischem Blickwinkel.

FRT: Was ist im Rückblick auf unsere Gespräche das Haupthin-dernis für ein »größeres Denken« im Design?

HvdB: Mir scheint, dass Haupthindernis im Designsektor ist die Lässigkeit, mit der wir derzeit an eine Designwissenschaft herangehen. Wir sind nicht im vollen Umfang für die Folgen der Sozialtechnologie und der Designokratie verantwortlich.

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152 | Die semiotische Haut der Dinge

Da sitzen auch die Ingenieure, die Wirtschaftler und vor allem unsere naiven Politiker mit im Boot. Aber wir wären wenigstens für die Designwissenschaft in vollem Umfang verantwortlich. Und mir scheint es durchaus unverantwortlich, was da aus Be-quemlichkeit veranstaltet wird: Eine Wissenschaft, die nicht das Design bis auf den Grund analysiert, sondern selber Design sein will – mit der Begründung, Design sei allzuständig, auch in der Wissenschaft. Wie immer man den »Konstruktivismus« im Einzelnen auffassen möchte, so kann er doch nicht die Einkap-selung in den Subjektivismus á la »radikaler Konstruktivismus« bleiben. Der Konstruktivismus muss sicherstellen, es noch mit der Welt zu tun zu haben, die in ihm re-konstruiert wird. Dies leistet, verortet in einer großen Perspektive, der semiotische Konstruktivismus. Ich würde gern eine jüngere Generation dazu auffordern, die Lässigkeit der gegenwärtigen Generation auf-zugeben und wieder zu ernsthafter Arbeit zurückzukehren. Nie gab es soviel Designtheorie wie heute, machen wir das Richtige daraus!

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Literatur | 153

1. Design besteht aus Zeichen. 2. Design ist ein semantisches Problem. 3. Sprache, Zeichen und Design dienen der Welterschließung. 4. Wissenschaft, die das Design nicht bis auf den Grund ana-

lysiert, ist eine Form von Trägheit. 5. Wir sind von einer Designokratie bedroht. 6. Designokratisches Design ist formalistisch, nominalistisch

und sozialtechnologisch. 7. Design benötigt statt einer Trivium-Semantik eine Quadri-

vium-Semantik. 8. Semantik nur in den Dienst der Kommunikation zu stellen,

reicht nicht. 9. Semantik ist wie Handlung auf Vollzüge angewiesen, um

überhaupt zu existieren. 10. Handeln ist intentio recta. Gebrauchen bleibt auf der Stufe

der intentio obliqua. 11. Design hat das Schema der Handlung zu gestalten. 12. Regel nicht, Schema ja. 13. Design repräsentiert einen Weltausschnitt, d. h. eine Le-

bensform in der Lebenswelt. 14. Orientierung heißt, eine Design-Geografie in ihrer Gesamt-

heit überschauen zu können.

Abschließend 25 Thesen

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154 | Die semiotische Haut der Dinge

15. Durch Weitergehen zurückkehren, das ist der Archetyp von Orientierung.

16. Design gestaltet Performances. 17. Design muss den Weltbezug der Handlungsperformance

als erfüllte felicity conditions präformieren. 18. Nicht die Menschen sind ›universell‹; ihre Handlungsmu-

ster sind ›universell‹. 19. Design sollte »Universalität« als Fluchtpunkt anvisieren. 20. Die Postmoderne ist die Krise der Nicht-Kontingenz. 21. Sozialkonstruktivisten glauben irrtümlich, in der Wissen-

schaft werde abgestimmt. 22. Wissenschaft besteht nicht aus Vorstellungen – sondern aus

Darstellungen. 23. Design ist nicht unscharf, die Debatten darüber sind un-

scharf. 24. Dem Design fehlt es nicht an Verstand, aber oft an Ver-

nunft. 25. Wer das Buch von Alan Sokal, Beyond the Hoax: Science,

Philosophy and Culture nicht liest, ist selber schuld.

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Glossar | 155

BenutzerillusionSuggestive Vorstellungen der Nutzer vom Funktionieren eines Designs, die nicht mit der technischen Funktion übereinstimmen müssen, aber die »felicity conditions« des Handelns erfüllen sollen.

BenutzeroberflächeAus der Informatik kommende Verwendung einer Differenzierung des Linguisten Noam Chomsky zwischen Oberflächenstruktur und Tie-fenstruktur. Die Benutzeroberfläche ist die dem Gebrauch zugewandte ›Seite‹ eines Gebrauchsgegenstandes. Die Benutzeroberfläche ist Trä-ger der Benutzerillusion.

BeobachterIn der mittelalterlichen Sprache derjenige, der irgendwo auf der Lauer liegt. Der Beobachter eines Geschehens wird als außerhalb des Ge-schehens befindlich gedacht. Heute wird die Möglichkeit eines reinen Beobachterstatus angezweifelt: Beobachter seien immer Teil des beob-achteten Systems, also Partizipanten. Daher die Forderung im Design nach Partizipation vormals außenstehender Experten, zu denen auch die Nutzer selbst gezählt werden sollen. Man hat allerdings auf die Ge-fahr hingewiesen, dass Partizipanten schnell zu kritiklosen Mitläufern werden können. In der Physik wird der objektive Beobachter durch ein universalisierbares Bezugssystem definiert.

ErkenntnistheorieDie philosophische Theorie des Erkennens. Erkenntnistheorie darf nicht mit einer empirischen Wissenschaft des Erkennens verwechselt werden, also z. B. nicht mit einer Psychologie des Erkennens. Die Erkenntnistheorie analysiert Erkenntnisse, ohne dabei schon auf ander-weitige Erkenntnisse zurückzugreifen.

Glossar

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156 | Die semiotische Haut der Dinge

Darstellungwird im Gegensatz zur Vorstellung gebraucht. Das lat. Wort für Dar-stellung ist Repräsentation. Der semiotische Konstruktivismus geht von der Tatsache aus, dass Darstellungen mehr enthalten können als ihre Urheber sich vorstellten. In der Postmoderne wurde häufig ein reprä-sentationaler Semantikbegriff angezweifelt zugunsten einer Semantik der Kontexte. In der Linguistik hat sich jedoch ein nur kontextueller Semantikbegriff als unzulänglich erwiesen.

Designokratiewird in diesem Buch verstanden als gesellschaftliche Vorherrschaft des Designs. Die Designokratie ist mit der Sozialtechnologie verbunden. Die Designokratie geht von einem Design ›vollendeter Tatsachen‹ aus, das ein hohes Maß an Lernbereitschaft und Lernaufwand beim davon Betroffenen voraussetzt, was heute vielfach zur Belastung wird.

Felicity conditionsDiejenigen Bedingungen des Handelns, die erfüllt sein müssen, damit das Handeln gelingt. Gegenteil: Handlungshindernisse. Die Glückens-bedingungen des Handelns müssen vom Design erfüllt werden.

FormalismusVernachlässigung des Inhalts zugunsten der bloßen Form. Zunächst in der Kunstgeschichte verwendet. In der Mathematik versteht man unter Formalismus eine Syntaktik ohne Semantik, verbunden mit der These, Mathematik sei durch syntaktische Operationen vollständig darstellbar (widerlegt durch den »Unvollständigkeitssatz« K. Gödels). Im Design ergibt der Formalismus eine bedeutungsleere Form, die oft unter Hin-weis auf die Gestaltungsfreiheit begründet wird. In den Schriften der Autoren erscheint der Formalismus als eine Gestalt des Nominalismus, d. h. der formalen Vorherrschaft des Namens oder der Marke gegen-über einer bedeutungsvollen Problemlösung.

GebrauchIn der alltäglichen Lebenswelt hat nicht der Gebrauch von etwas Priorität, sondern die Handlung. Der ›Gebraucher‹ (user) wird durch die Umformung der Handlung in Gebrauch genötigt, Regeln des Ge-brauchs (Bedienungsanleitung) zu befolgen, die das Handeln zu einem bloßen Machen stempeln.

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Glossar | 157

GegebenheitsweiseNach dem Mathematiker Gottlob Frege ist die Semantik der Zeichen geteilt in Referenz und Gegebenheitsweise. Die Darstellungen »3 + 1« und »2 + 2« enthalten verschiedene Gegebenheitsweisen derselben Zahl 4. Die Zahl 4 wird referiert als das Identische vieler Gegeben-heitsweisen dieser Zahl. Dies beinhaltet eine formale Symmetrie, die nach Vorschlag H. van den Booms den universellen Charakter des Designs ausmachen sollte, indem die Benutzeroberfläche zur Gege-benheitsweise einer Handlung wird (Realität verstehen. Warum wir ein kognitives Design brauchen, 2012).

Geltungist die unter keinen Bedingungen (= »kategorisch«) stehende Gültigkeit semantischer Konzepte. Vgl. »kategorischer Imperativ« des Moralge-setzes nach Kant. Gegensatz: die unter Bedingungen stehende Regel (»wenn, … dann«). Handlungen werden von kategorischen Geltungen geführt, der Gebrauch hingegen von konditionalen Regeln. Je mehr sich unser tägliches Handeln in Gebrauch verwandelt, umso stärker verlieren wir den Sinn für Geltungswissen anstelle von Regelwissen. Geltung ist ›selbstverständlich‹, Regel ›vorgeschrieben‹. Es ist klar, dass Design so weit wie möglich ›selbstverständlich‹ sein sollte (Erfül-lung der felicity conditions).

HandlungNach dem Soziologen Max Weber ein Verhalten mit subjektivem Sinn. Handeln ist intentionales Verhalten. Verhalten kann objektiven Sinn haben, d. h. Sinn in einem übergeordneten Zusammenhang: Das scheinbar ›sinnlose‹ Verhalten des Eichhörnchens, im Herbst Eicheln zu vergraben, erscheint im Winter objektiv sinnvoll, wenn es sie wie-derfindet. Der subjektive Sinn eines Handelns (die Absicht) sollte mit einem objektiven Sinnzusammenhang in Verbindung stehen. Eine solche Verbindung kann durch Design gefördert oder behindert werden.

Hermeneutiknach dem Götterboten Hermes benanntes Verfahren, Sinn dadurch zu konstituieren, dass er ausgelegt (interpretiert) wird. Nach Heidegger gehört die hermeneutische Haltung zur Grundexistenz des Menschen. So versichert sich auch der Gläubige des Sinnes der Bibel durch ihre Auslegung. Nach Derrida ist nicht nur die Bibel, sondern ›alles‹ Text

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158 | Die semiotische Haut der Dinge

und damit der Auslegung bedürftig. Hermeneutik steht immer in der Gefahr allzu subjektiver Auslegung. In der Designtheorie erlangten hermeneutische Positionen zeitweise eine gewisse Dominanz: Desi-gnobjekte seien ›Texte‹, die keiner Erklärung, nur einer Auslegung fähig und bedürftig seien. Damit wäre Designtheorie stets nachträglich zum Design.

Intentio recta / Intentio obliquaMittelalterliche Unterscheidung von ›Geradehin‹-Einstellung und ›schiefer‹ oder reflexiver Einstellung. Beispiel: Fernsehen und plötzlich eine Fliege über den Bildschirm laufen sehen. Daher auch Ferneinstel-lung und Naheinstellung genannt. Design verurteilt den Anwender oft dazu, in die Naheinstellung abgelenkt zu werden, während eine Hand-lung in Ferneinstellung vollzogen wird. Fährt der Autofahrer um eine Kurve, sollte er nicht durch Instrumente-Ablesen abgelenkt werden.

KognitionErkennungsleistung des Menschen (von lat. cognoscere, Erkennen). Der Kognition steht die Emotion gegenüber. Die Kognition unter-scheidet sich vom Wissen: Kognition zielt auf Erkenntnis, Wissen ist bloße Kenntnis. Die Kognition ist eine Orientierungsleistung für die Handlungspraxis. Kognitives Design verschafft dem Handelnden Ori-entierung.

KontingenzNach der mittelalterlichen Logik ist etwas, das weder notwendig noch widersprüchlich ist, kontingent. Das Kontingente ist also das, was eben so gut anders sein könnte. Es wird auch als Zufälliges oder Beliebiges betrachtet. Der Durchmesser der Erdkugel (12700 km) ist kontingent, d. h. durch keine Notwendigkeit festgelegt. Gegensatz: Nichtkontin-genz.

KonstruktivismusEine erkenntnistheoretische Position, nach der allgemeingültige Aus-sagen nicht aus einer Menge von Daten abgeleitet werden können. Der Konstruktivismus besagt, dass Theorien menschliche Erfindungslei-stungen sind, die aber an der Realität überprüft werden müssen. In der Mathematik: Mathematische Objekte wie z. B. komplexe Zahlen sind gedankliche Konstruktionen, deren innere Logik jedoch nichtkontin-

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Glossar | 159

gent ist. Der Mathematiker Leopold Kronecker erklärte: »Die natürli-chen Zahlen hat Gott gemacht, alles übrige ist Menschenwerk.«

LinguistikWissenschaft von der Sprache. Nach Noam Chomsky unterscheidet man die Tiefenstruktur sprachlicher Universalien (= die angeborene Grammatik für alle Sprachen) von der Oberflächenstruktur der Gram-matik einzelner Sprachen. Dieser Unterscheidung ist die Bezeichnung »Benutzeroberfläche« entlehnt.

MachenDie antiken Griechen unterschieden zwischen Theorie (theoria), ethi-schem Handeln (praxis) und Machen (poiesis). Der Schreiner macht einen Stuhl. Darin liegt seine spezifische Kompetenz. Problematisch ist es, Theorie und Praxis als Machen zu verstehen, Theorie als bloße »Wissensproduktion«, moralisches Handeln als bloße »Regeleinhal-tung«. Gebrauch eines Designs nach Bedienungsanleitung ist stets ein »Machen, dass …«. Wenn Gebrauchen aber Handeln sein soll, muss das Machen daraus verschwinden und der Einheit von Theorie und Praxis Raum geben.

NichtkontingenzWas nicht anders sein kann als es ist, ist nichtkontingent. Das Nicht-kontingente ist das Notwendige. Es gilt als zeitlos, universell und logisch durchsichtig. Das so zu Charakterisierende wird als in sich »selbstverständlich« angesehen. Dass jeder Kreis einen Mittelpunkt hat, ist nichtkontingent. Insofern Design in seiner Nutzung Züge der Selbstverständlichkeit haben sollte, muss Design eine Beziehung auf Nichtkontingenz herstellen.

NominalismusNach der mittelalterlichen Erkenntnistheorie die Lehre, dass Allge-meinbegriffe keine eigene Existenz haben, sondern lediglich mensch-lich-psychologische Konzepte sind, die durch bloße Namen vertreten werden. So könnte »Liebe« kein realer Sachverhalt sein, sondern nur eine Redeweise. In der Logik ist der Nominalismus mit dem Forma-lismus verbunden. Im Design bezieht sich diese Verbindung auf eine inhaltslose, beliebige (d. h. nicht allgemeingültige) Form.

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160 | Die semiotische Haut der Dinge

OntologieLehre vom Sein. Gemeint ist die Frage, wie viele Stufen des Seins fundamental zu unterscheiden sind (z. B. sind Dinge und Lebewesen fundamental verschieden?). Postmoderne Erkenntnistheoretiker weisen oft eine »zweistufige« Ontologie von Zeichen und Realität zurück, zugunsten einer monistischen Ontologie der Zeichen. Monistische Erkenntnistheorien widersprechen jedoch dem »gesunden Menschen-verstand« und sind im Raum der Wissenschaft stets gescheitert.

Pragmatikals Teilgebiet der Semiotik schließt sie die Semantik und die Syntaktik ein. Pragma: griech. Handlung. Der Pragmatismus vertritt die Lehre, dass die Wahrheit einer Theorie sich auf ihre Bewährung in der Hand-lungspraxis zurückführen lässt (Peirce). Die »Theorieartigkeit« von Design muss sich also ebenfalls in der Handlung bewähren.

PsychologismusDie Behauptung, vielfach vorgetragen im letzten Drittel des 19. Jhrts., die Logik gründe sich auf Psychologie (»Denkgesetze«). Damit war die Prätention verbunden, die ganze Mathematik in psychologischer Sicht erklären zu können. Die These wurde scharf zurückgewiesen und gera-de zu lächerlich gemacht vonseiten des Mathematikers Gottlob Frege. Kurz darauf schrieb Edmund Husserl seine Logischen Untersuchungen, die den Psychologismus ein für allemal erledigten. In der Postmoderne hat jedoch der Psychologismus als Soziologismus (»Sozialkonstruk-tivismus«) eine Auferstehung gefeiert. Die Argumente, die gegen den Psychologismus vorgebracht wurden, sind indes auch gegen den Sozio-logismus nach wie vor gültig und triftig.

Quadrivium-SemantikDie mittelalterliche »Artistenfakultät« der septem artes liberales (sie-ben freie Künste) gliederte sich in trivium (Dialektik, Grammatik, Rhe-torik) und quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik). Aus dieser Spaltung ergab sich bis heute ein »Streit der Fakultäten« nämlich der two cultures (C. P. Snow), die zwei sehr unterschiedliche Semantikkonzeptionen beinhalten. Die Trivium-Semantik gründet sich auf die Sprache, die Quadrivium-Semantik auf Mathematik. Nach Galilei ist das Buch der Natur in mathematischen Zeichen verfasst. Auf die Quadrivium-Semantik gründete der französische Mathematiker Henri Poincaré seinen so genannten semiotischen Konstruktivismus,

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Glossar | 161

der von der erstaunlichen Tatsache ausgeht, dass die Untersuchung der mathematischen Konstruktionen zur Beschreibung der Welt mehr über die Welt verraten kann als ihre Urheber darin kodifiziert hatten – eine Möglichkeit, die der Trivium-Semantik verschlossen bleibt. In vorlie-gendem Buch wird vorgeschlagen, die Designsemantik als Quadrivi-um-Semantik aufzufassen.

Repräsentationale FunktionDer Sprachpsychologe Karl Bühler unterschied hinsichtlich der Spra-che eine Appell-Funktion, eine Ausdrucks-Funktion und eine Darstel-lungs- oder Repräsentations-Funktion, mit letzterer an erster Stelle. Die Darstellungsfunktion bezieht sich auf eine zweistufige Ontologie von Zeichen und Welt. Zeichen erschließen die Welt. Anstelle einer reprä-sentationalen Semantik wird – kritisierbar – von der Trivium-Semantik eine Ausdrucks-Funktion bevorzugt (»Alles ist Text«, Derrida).

SemantikAls Teilgebiet der Semiotik befasst sich die Semantik mit dem Be-deutungsaspekt der Zeichen. Vorausgesetzt wird von der Semantik die syntaktische Form, aufgenommen in die Semantik. Wenn Design aus Zeichen besteht bzw. die »semiotische Haut der Dinge« ist, kann eine bedeutungsleere Form nur Formalismus und Nominalismus sein. Design ist von daher ein semantisches Problem. Unterschiede bei den Designtheorien ergeben sich vor allem aus verschiedenen Konzepten von Semantik. Gegenwärtig dominiert die These, die Semantik sei eine gesellschaftliche Konstruktion und unterhalte keine direkte Beziehung auf die Welt. Gegenstand des vorliegenden Buches ist die Widerlegung dieser These.

SemiotikWissenschaft von den Zeichen (semeion). Sie wird gewöhnlich ein-geteilt in Syntaktik, Semantik und Pragmatik, wobei ein Einschlie-ßungsverhältnis vorliegt: Pragmatik schließt Semantik und Syntaktik ein, Semantik schließt Syntaktik ein. Insofern ist von einer pragmati-stischen Begründung der Semiotik zu sprechen (Peirce, Morris). Der pragmatistische Ansatz kann auch die Designtheorie führen.

SchemaKant definiert ein Schema als »ein allgemeines Verfahren, einem Begriff ein Bild zu verschaffen«. Schema ist nicht das Bild, sondern

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162 | Die semiotische Haut der Dinge

genau genommen das Verfahren, das zum Bild führt. Es ist allgemein wie der Begriff. Schemata sind daher Bilder von Begriffen, nicht von realen Sachverhalten. Der Schema-Begriff Kants entspricht dem Be-griff der Gegebenheitsweise Freges. In Realität verstehen macht H. van den Boom den Vorschlag, die Quadrivium-Semantik des Designs auf das Schema zu gründen. Im Übrigen hat der Schema-Begriff einen wichtigen Stellenwert in der Kognitionswissenschaft.

Semiotischer Konstruktivismuswurde der Idee nach von dem französischen Mathematiker Henri Poin-caré seiner Erkenntnistheorie zugrunde gelegt. Im Mittelpunkt steht die Einsicht, dass die Semantik mathematischer Konstruktionen auf der Zeichenebene in der Regel mehr Information enthalten, als sein Urhe-ber hineingelegt hat. So sind die elektromagnetische Welle, die heisen-bergsche Unbestimmtheitsrelation oder die kosmologische Konstante Einsteins Entdeckungen, die auf der Zeichenebene gemacht wurden. Nach Meinung H. van den Booms sollte eine solche ›Semantik des Überschusses‹, eine Quadrivium-Semantik, einer Trivium-Semantik, die alles, was sie ›findet‹, in die Zeichen hineininterpretiert, in der Designsemantik vorgezogen werden.

Sozialkonstruktivismusein falscher Konstruktivismus, der die Auffassung vertritt, Semantik beruhe auf sozialem Konsens und unterhalte keine realistische Bezie-hung zur Welt. Im Gegensatz dazu betont der semiotische Konstrukti-vismus die Re-Konstruktion gerade der Realität.

SozialtechnologieNach dem Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas die technolo-gische Auswirkung einer falsch konstruierten Soziologie. Im weiteren Sinne die sozialen Auswirkungen einer Technik, die immer stärker die geistigen Ressourcen ihrer Anwender beansprucht. Sozialtechnologie führt zu Stressreaktionen und Burnout. Designer sind aufgefordert, gegen Sozialtechnologie aufzutreten.

SyntaktikAls Teilgebiet der Semiotik befasst sich die Syntaktik mit den rein for-malen Beziehungen der Zeichen untereinander, d. h. insofern die Zei-chen auf der Zeichenebene nebeneinander stehen. Die Syntaktik ist als

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Glossar | 163

»Geometrie des Zeichenraumes« aufgefasst worden (R. Carnap). Die wahre Natur der syntaktischen Form wird erst in der Semantik sichtbar, die wiederum ein Handlungsaspekt ist. Gleiches gilt im Design.

Trivium-SemantikIm Anschluss an das mittelalterliche trivium eine Semantik, die sich an »Texte« anschließt. Jacques Derrida verkündete: »Alles ist Text. Es gibt kein Außerhalb des Textes.« In der Designsemantik würde das bedeuten, alle Gestaltung als »Text« anzusehen, der einer Auslegung bzw. einer »Dekonstruktion« (Derrida) bedarf. Eine Trivium-Semantik kann daher Design nur nachträglich interpretieren, aber nicht vorgängig seine Gestaltung leiten.

UniversalitätVon altersher die Sicht, das Universum sei in der Substanz durch uni-verselle Eigenschaften bestimmt, nicht durch spezielle. Universalität ist ein Kennzeichnen von Nichtkontingenz. Universelles Design meint nicht ein ›Design für alle‹, sondern ein Design mit nichtkontingenten Merkmalen. Ein solches Design nähme Bezug auf universelle Intelli-genz.

WelterschließungInsbesondere nach der phänomenologischen Philosophie (E. Husserl, M. Heidegger) ist es die Aufgabe des menschlichen Bewusstseins, sich die Welt zu erschließen. Gemeint ist, immer elaboriertere Zugänge zur Welt aufzufinden, die eine menschliche Aufwärtsentwicklung ermög-lichen können. Nach Auffassung des semiotischen Konstruktivismus wird die Welterschließung wesentlich getragen von der Zeichenver-wendung, die auf die Entdeckung der Zeichenebene folgte. Unsere Zeichen erschließen uns die Welt. Insofern Design aus Zeichen besteht, ist seine Primäraufgabe die Welterschließung.

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Die semiotische Haut der Dinge

Felicidad Romero-Tejedorim Gespräch mit

Holger van den Boom

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Design, als semiotische Haut der Dinge, stellt heute vor allem semantische Fragen. Im Ge-spräch miteinander versuchen die Autoren, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Sie plädieren für eine »Quadrivium-Semantik«, durch welche die vorherrschende »Trivium-Semantik« ersetzt oder mindestens maßgeblich ergänzt wird. Mit dem Ziel, eine neue »Moral der Gegenstände« aufzuzeigen.