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Die stählernen Schwingen von Orxh

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 222

Die stählernen Schwingenvon Orxh

Ein Totgeglaubter erscheint - unddie Welt des Friedens revoltiert

von Peter Terrid

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn esmuß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im-periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein-de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera-tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein-wohl völlig außer acht lassen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßigeThronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver-schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge-gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu-tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba-naschol, den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen.

Die große Chance eines neuen Schlages gegen den Thronräuber sieht Atlan indem Moment gekommen, als es ihm und Fartuloon, seinem Erzieher und Lehrmei-ster, gelingt, die Leiche Gonozals VII. von Hocatarr zu entführen und mit Hilfe desletzten noch in seinem Besitz befindlichen Lebenskügelchens aus dem Reich der To-ten zurückzuholen.

Der Kristallprinz bringt seinen Vater nach Xoaixo, der Welt des Friedens, die sichdurch das Erscheinen des Totgeglaubten sofort in einen Unruheherd verwandelt.

Hauptschauplatz des turbulenten Geschehens sind DIE STÄHLERNEN SCHWIN-GEN VON ORXH …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und der Bauchaufschneider machen ein Experiment.Thaher Gyat und Zihat Baluch - Zwei alte Herren versetzen einen Planeten in Aufruhr.Gonozal VII. - Ein Totgeglaubter erscheint.Nander Guntakal - Gouverneur von Xoaixo.Guma Tarthing - Ein Spitzel der POGIM.

1.

Verzweiflung war noch die schwächsteUmschreibung für den Zustand, in dem ichmich befand. Ich saß in einer Zwickmühlegefangen, die bösartiger selbst der tote Sof-gart nicht hätte erdenken können.

»Es war dein Wille und Entschluß!« erin-nerte mich das Extrahirn.

Natürlich, es war Fartuloons Idee gewe-sen, aber ich hatte sie aufgegriffen unddurchgeführt. Letztlich trug ich die Verant-wortung für das Geschehene.

»Vorwürfe helfen jetzt nicht viel«, meinteFartuloon gelassen. »Wir müssen etwas un-ternehmen.«

Ich machte eine Handbewegung, die mei-ne Ratlosigkeit offenkundig machte.

Mit zusammengebissenen Zähnen be-trachtete ich meinen Vater.

Er war mein Vater, so, wie ich ihn kannte.Fartuloon und seine Helfer hatten ganze Ar-beit geleistet. Die Auswirkungen, die dieEinbalsamierung hervorgerufen hatte, warennicht mehr zu sehen.

In dem Sessel saß ein hochgewachsenerMann, knapp vierzig Jahre alt. Das markanteGesicht, das meinem so ähnlich sah, mußtejeder Arkonide kennen – so hatte GonozalVII. Imperator des Großen Imperiums, zuseinen Lebzeiten ausgesehen. Jeder wußteauch, daß der Imperator bei einem Jagdun-fall auf dem Planeten Erskomier ums Lebengekommen war. Seither regierte sein BruderOrbanaschol das Imperium. Genaugenom-men war Gonozal VII. immer noch tot, ob-wohl ich versucht hatte, ihn mit meinemletzten Lebenskügelchen aufzuwecken. DerVersuch war kläglich fehlgeschlagen. Auf-geweckt hatten wir den Körper; den Geist,

den Verstand, die Persönlichkeit meines Va-ters hatten wir nicht zurückrufen können.Vor uns saß ein lebender Leichnam.

Ich konnte den Blick nicht von der Gestaltwenden.

Diese lebende Leiche war mein Vater.Hatte ich das Recht, so mit seinem Leib zuverfahren? Was wußten wir schon über dieandere Seite jener Grenze, die das Lebenvom Nicht-Leben trennte. Fartuloon hattebehauptet: wäre dieser Körper beseelt, erwürde mir auch in dieser Form helfen wol-len. Das mochte stimmen, aber was, wennFartuloon sich irrte?

»Atlan!« erklang Fartuloons Stimme undriß mich gewaltsam in die Wirklichkeit zu-rück. »Ich habe einen Plan.«

»Laß hören!« sagte ich lustlos.»Es hilft uns nichts, wenn wir Gonozal

anstarren und ihn und uns bedauern«, stellteder Bauchaufschneider sachlich fest. »Ichgebe zu, daß dein Vater ein tragischesSchicksal erlebt. Es ist unsere Sache, dafürzu sorgen, daß seine Wiederbelebung einenSinn bekommt. Ich habe Befehl gegeben,das System Llaga-del-Amrgh anzufliegen.Dort wird der Imperator zum ersten Mal ein-gesetzt werden. Stimmst du mir zu, Atlan?«

Ich nickte stumm.Er sprach von meinem Vater wie von ei-

ner neuartigen Waffe. In diesem Augenblickwiderte er mich an.

*

Von den Planeten des Llaga-del-Armgh-Systems genoß Xoaixo den Rufeines wahren Paradieses. Von den vier Kon-tinenten galt Sighan als der schönste, spezi-ell an der Westküste. Von den Stätten an derWestküste wurde vor allem Ahjod seiner

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Schönheit wegen gerühmt, dort lagen die ex-klusivsten – und teuersten – Heime. Vondiesen Heimen wiederum galt jenes als daserlesenste, das den Namen »Die stählernenSchwingen von Orxh« führte. Dort wohntedie Creme de la Creme Xoaixos. Seinen Na-men verdankte das Heim Thaher Gyat.

Thaher Gyat genoß den Ruf, die wider-wärtigste, unausstehlichste, übellaunigstePerson zu sein, die das Große Imperium zubieten hatte.

Der Mann kokettierte wie eine alte Jung-fer mit seinem Alter; seinen gelegentlichenAndeutungen zufolge hätte er die Erschaf-fung des Universums als technischer Direk-tor miterlebt haben müssen. Thaher Gyatüberragte die meisten seiner Bekannten ummehr als zwei Köpfe, dafür war er nur halbso umfangreich wie sie. Seine Bewegungenwaren gezeichnet von der Grazie einesschrottreifen Ballettrobots, seine Rede laut,anmaßend und voll Bosheit. Seine Flücheließen selbst Kralasenenoffiziere schamrotwerden, seine Komplimente riefen gelegent-lich Ohnmachten hervor. Thaher, Gyat ver-schlang Nahrungsmittel, als wolle er seinenLeibesumfang binnen einer Woche verzehn-fachen, dazu trank er unmäßig.

Thaher Gyat war ein Scheusal, aber erwar der Mann, der Orbanaschol ins Gesichtgesagt hatte, er sei ein aufgedunsenerSchwachkopf.

Der Mann drehte sich ächzend im Bettherum und starrte blinzelnd an die Decke.

»Bei allen Göttern Xoaixos«, seufzte erwehleidig. »Schon wieder Morgen!«

In dem Raum brannte nur eine schwacheNotbeleuchtung. In diesem Licht konnteThaher von dem großen Chronometer nebenseinem harten Bett ablesen, daß die Sonne invierzig Minuten aufgehen würde. Thaherholte tief Luft, dann sprang er aus dem Bett.Sekunden später lief ihm eiskaltes Wasserüber die mageren Schultern; auf die An-nehmlichkeit eines warmen Duschbades ver-zichtete der alte Mann. Nach dem Bad zoger Sportkleidung an und verließ das Zimmer.

Die Gänge der »Stählernen Schwingen

von Orxh«, waren menschenleer. Leiseschritt der Mann die Korridore entlang. DieWärme seiner Handfläche, die er gegen einegekennzeichnete Platte preßte, ließ die Türzum Übungsraum geräuschlos aufschwin-gen.

»Guten Morgen«, wünschte Zihat Baluchfreundlich. Sein braungebrannter, muskulö-ser Körper glänzte leicht im Licht derDeckenlampen. Nur auf der Stirn war derSchweiß deutlicher zu sehen. »Du hast dichverspätet.«

»Man wird langsam alt«, murmelte Tha-her grinsend und streckte sich auf der Han-telbank aus. Dann begann er das schwereGewicht zu stemmen, wieder abzusetzen, er-neut zu heben.

Zihat Baluch legte das Sprungseil zur Sei-te und kam näher. Kopfschüttelnd bemerkteer:

»Ich möchte wissen, wo du in deinemKörper die Muskeln untergebracht hast, diedu für diese Übung brauchst. Vermutlichverstecken sie sich im Innern deiner Kno-chen.«

Thaher nahm den Spott kommentarloshin. Er kannte Zihat seit vielen Jahren, seitsie mit dem gleichen Schiff nach Xoaixo ge-kommen waren.

Zihat Baluch war einige Jahre jünger alsThaher, aber jenseits von einhundert Jahrenzählte der Unterschied nicht mehr viel. Ba-luch war, wie Thaher, Arkonide, aber er be-saß im Gegensatz zu seinem Freund noch al-le Haare. Zihat Baluch lag knapp unter derDurchschnittsgröße von Arkoniden, er wareher stämmig und muskulös und trotz seineshohen Alters noch sehr beweglich und aus-dauernd. Zihat Baluchs Gesicht strahlteFreundlichkeit und Friedfertigkeit aus, wäh-rend Thahers Raubvogelphysiognomie sei-nem Spitznamen »Der große Giftige« vol-lauf entsprach. Es ließ sich kaum ein Paardenken, das so gegensätzlich gewesen wäre,aber jedermann auf Xoaixo wußte, daß diebeiden Männer fast unzertrennlich waren.Zihat Baluchs Aufgabe bestand darin, dasPorzellan, das Thaher genußvoll zerschlug,

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leidlich zu kitten. Er entledigte sich dieserAufgabe mit soviel Geschick, daß Thahertrotz seines mehr als rüpelhaften Benehmensnicht aus dem Heim gewiesen wurde. Ge-naugenommen wäre dies auch unmöglichgewesen, denn Gyat Thaher war der Besitzerder »Stählernen Schwingen von Orxh«.

Zwei Stunden lang trainierten die beidenMänner an den Geräten, hart und intensiv.Sportlich gesehen waren beide in Höchst-form. Obwohl die Reize des Planeten Xoai-xo zum Müßiggang verführten, achteten dieMänner sorgfältig darauf, ihre körperlicheLeistungsfähigkeit weitestgehend zu erhal-ten.

Nach den Trainingsstunden nahm GyatThaher ein zweites Duschbad, dann zog ersich vollständig an. Als er den großen, ge-meinschaftlichen Speiseraum betrat, trug erweite, schmutzigbraune Hosen, reichlich mitirisierenden Schmuckbändern bestickt. Al-lerdings war deutlich zu sehen, daß dieseArbeit weder von einem Fachmann nochvon einem Robot erledigt worden war.Ebenso schlampig gefertigt wirkte die weiteJacke mit dem schiefen Kragen und dendeutlich erkennbaren Flicken, die allerdingszum größten Teil von den zahlreichen Ordenund Ehrenzeichen verdeckt wurden, mit de-nen sich Gyat Thaher zu schmücken liebte.Bei jedem Schritt klingelten die glänzendenMetallstücke gegeneinander.

»Morgen!« knurrte Thaher und schobsanft, aber nachdrücklich eine Frau zur Sei-te, die sich an der Essensausgabe angestellthatte. Die Frau drehte sich empört herumund wollte protestieren, aber dann erkanntesie, mit wem sie es zu tun hatte. Verzerrt lä-chelnd wich sie zurück und machte ThaherPlatz.

Thaher entschied sich für gebratenes Ge-flügel und eine riesige Portion knusprigenGebäcks. Daß er das gebratene Wildgeflügelmit einer süßsauren Sauce förmlich ertränk-te, wunderte nur einen betagten Arkoniden,der im Hintergrund des Speisesaals saß undangewidert das Gesicht verzog. Aus den Au-genwinkeln heraus sah Thaher die Grimasse

und beschloß, sich zu revanchieren. Erfahre-ne Gäste schmunzelten, als Thaher sichdurch die Menge schob und auf den freienPlatz gegenüber dem neuen Gast zusteuerte.

Thaher grinste den Mann freundlich an,dann setzte er das Tablett ab. Dabei standihm das Geschirr des alten Mannes im We-ge. Schnell schob Thaher das Frühstücksge-schirr seines Gegenüber so zusammen, daßdem Mann kaum noch Platz blieb. Thaherignorierte die Fassungslosigkeit des Mannes,setzte sich und streckte die Beine aus. DieFüße legte er nach alter Gewohnheit aufeinen freien Stuhl. Thaher griff nach demGeflügel, packte eines der Tiere mit beidenHänden und halbierte es mit einem kräftigenGriff. Sauce spritzte herum und traf auchden Gast, der Thaher Gyat mit einem Aus-druck fassungslosen Staunens betrachtete.Gierig schlug Thaher die Zähne in das safti-ge Fleisch; er kümmerte sich nicht darum,daß die schwere rote Sauce in dicken Trop-fen an seinen Mundwinkeln entlang in denKragenausschnitt tropfte. Mit saucenfeuch-ten Fingern griff Thaher nach den Keksenund stopfte sich einen davon in den Mund.

Der Anblick des unbekümmert essendenThaher, der zudem deutlich hörbar schmatz-te, ging über die Kraft des Gastes. Er rafftesich auf und sprach Thaher an:

»Hören Sie«, begann er. »Ich habe keineLust, mir dies noch länger stillschweigendanzusehen!«

»Appetit bekommen?« erkundigte sichThaher mit vollem Mund. Sofort griff ernach einem Geflügelbein und drückte es sei-nem Gegenüber in die Hand. Sekunden spä-ter starrte auch die seidene Hose des Gastesvon Saucenflecken.

Angewidert legte der Gast das Geflügel-bein auf die Servierplatte zurück. Sein Ge-sicht nahm langsam einen Ausdruck wüten-der Entschlossenheit an. Betont energischschob er Thahers Geschirr zurück und ver-schaffte sich selbst mehr Platz. Thaher schi-en dies nicht zu stören, ungerührt nahm ereinen Keks und stippte ihn in die Tasse sei-nes Tischnachbarn.

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Die Tasse enthielt heißen Argyrt-Tee, einGetränk, das leicht anregend wirkte, wenn esheiß und ohne Zucker genossen wurde. Je-der Krümel Zucker und jedes Grad Abküh-lung verstärkte hingegen die sedative Wir-kung des Getränks, das sich seines feinenAromas wegen großer Beliebtheit erfreute,vor allem bei jenen Mitmenschen, die essich leisten konnten, in der Form einer TasseArgyrt-Tees das Monatseinkommen einesRaumsoldaten zu verzehren. Es war ein Ge-tränk für Stutzer und Neureiche, und daswußte Thaher Gyat selbstverständlich.

Die Augen seines Gegenübers wurdengroß und rund. Der Mann merkte, daß er imMittelpunkt des allgemeinen Interesses standund dabei war, zum Gesprächsgegenstanddes Tages aufzurücken. Wenn er sich nichtschnell und vor allem eindrucksvoll derÜbergriffe des hageren Flegels erwehrte,würde man ihn wochenlang mit dieser Ge-schichte veralbern.

»Mein Herr!« begann der Mann ener-gisch. »Ich gestatte mir die Feststellung, daßSie ein ausgemachter Flegel sind, dessenTischmanieren jeder Beschreibung spotten!«

Thaher zog die linke Braue in die Höhe.»Sie sehen auch nicht sehr manierlich

aus«, meinte er ungerührt und deutete aufdie befleckte Hose des Mannes. Die Tatsa-che, daß er als Zeigestock ein Stück Fleischverwendete und so den Fleckenkatalog aufder Hose stark vergrößerte, führte zu einemunterdrückten Gelächter im Hintergrund.

Der Gast stand auf. Stehend überragte erden sitzenden Thaher beträchtlich, und die-ser Umstand schien sein Selbstvertrauen zustärken.

»Ich heiße Huzur Mistis«, stellte er fest.»Ich war Oberster Richter am Handelsge-richt zu Olp'duor!«

Olp'duor war, wie Thaher Gyat genauwußte, einer der größten, wenn nicht der ab-solut größte Handelshafen von Arkon II.Huzur Mistis hatte zweifellos eine beachtli-che Karriere hinter sich.

»Oberrichter?« fragte Thaher kauend.»Mit solchen Hosen?«

Huzur Mistis sah an sich herunter, be-trachtete die Flecken und schloß in einemAnfall ohnmächtiger Wut die Augen.

»Natürlich nicht«, fauchte er. »Ich bin oh-ne die Hosen Richter geworden!«

Das einsetzende Gelächter machte HuzurMistis schnell klar, daß er verloren war. Eswürde nur wenige Tage dauern, bis er aufdem ganzen Planeten als der Richter ohneHosen bekannt sein würde.

»Ein interessantes Muster, das Sie da aufihren Hosen haben«, bemerkte Thaher. »Eserinnert mich an eine Sternenkarte, an einganz bestimmtes Gebiet sogar …«

»Die stählernen Schwingen von Orxh!«ergänzte der Chor der Gäste, es klang aufmerkwürdige Weise erleichtert.

Thaher grinste still, während der pensio-nierte Richter sich erstaunt umsah.

Man hatte Mistis gesagt, daß die»stählernen Schwingen von Orxh« etwasganz Besonderes sei. Mit dieser Auslegungder Worte hatte Huzur Mistis nicht gerech-net. Der Mann winkte einen Robot heran.Die Maschine kam dem Befehl sofort nach.

»Ich wünsche, daß dieser Mann zum Ver-lassen des Speiseraums veranlaßt wird!« be-stimmte Huzur Mistis. »Außerdem möchteich den Inhaber sprechen!«

Thaher legte die Beine auf den Tisch.»Das tun Sie bereits seit geraumer Zeit«,

verkündete er grinsend. Im Hintergrund desSpeisesaals wurde es sehr ruhig; jedermannwartete ab, wie sich Mistis aus dieser Klem-me befreien würde.

Dem Richter war anzusehen, daß er wederein noch aus wußte. Ratlos wanderte seinenBlick von dem leicht zerbeulten Robot zuThaher, dann zu den Gästen, die ihn erwar-tungsvoll anstarrten.

Bevor Thaher etwas gegen die Attackeunternehmen konnte, hatte Huzur Mistis dieoffene Schale mit Gelee ergriffen und denInhalt auf Thahers kahlen Schädel geschüt-tet.

»Sie haben mir gezeigt«, begann HuzurMistis freundlich, »wie man den Farbtonmeiner Hosen besser zur Geltung bringt. Ich

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erlaube mir, mich mit einem alten Hausmit-tel gegen Kahlköpfigkeit zu revanchieren!«

Aus den Augenwinkeln heraus sah Thaherdas Grinsen seines Freundes Zihat Baluch.Thaher wußte, daß die Szene jetzt auf Mes-sers Schneide stand. Der plötzliche Mut desRichters hatte Thaher förmlich überrumpelt;gab er sich jetzt geschlagen, war der Ruhmder »stählernen Schwingen von Orxh« füralle Zeiten vernichtet.

Die Orden und Ehrenzeichen an ThahersBrust klingelten, als sich der Mann aufrich-tete. Unwillkürlich trat Huzur Mistis einenSchritt zurück, als Thaher sich in voller Län-ge vor ihm aufbaute.

Thaher streckte ihm die Hand entgegenund lächelte den Mann an.

»Gratuliere!« sagte er. »Sie sind mir of-fenbar ebenbürtig. Darauf müssen wir trin-ken!«

Huzur Mistis strahlte über das ganze Ge-sicht, während sich bei den Gästen Fas-sungslosigkeit breitmachte. Gab sich Thaherwirklich geschlagen?

Thaher Gyat griff nach der noch halbvol-len Tasse und drückte sie Huzur in dieHand; er selbst bediente sich am Fruchtsafteines anderen Gastes, der die Szene mit an-gespannter Aufmerksamkeit verfolgte.

»Auf Ihr Wohl!« sagte Thaher, setzte denFruchtsaft an und leerte das Glas in einemZug. Sofort folgte Huzur Mistis seinem Bei-spiel.

Erst als er die Tasse wieder auf den Tischstellte, begriff der Richter, daß Thaher ihnerneut hereingelegt hatte. Er hatte die Tassemit dem inzwischen längst erkalteten Ar-gyrt-Tee geleert. Huzurs Augen schlossensich halb, dann begann der Mann zuschwanken und fiel schließlich in die vor-sorglich ausgebreiteten Arme Thahers. Zu-frieden lächelnd übergab Thaher den Schla-fenden an einen Robot.

»Bringt ihn ins Bett und sorgt dafür, daßer ausschläft!« befahl er. Anschließendwandte er sich an den Chef der vollroboti-schen Küche.

»Die Frühstückszeit ist beendet!« stellte

Thaher nach einem Blick auf die Uhr fest.»Abräumen!«

Es bereitete ihm großen Spaß, zu verfol-gen, wie die Gäste, die von dieser Anord-nung überrascht worden waren, in aller Eilesoviel in sich hineinstopften, wie sich in derkurzen Zeit bewerkstelligen ließ, die dieServierrobots für diese Arbeit benötigten.

»Der Befehl für das Mittagessen fehltnoch«, erinnerte der positronische Küchen-chef.

Thaher sah nachdenklich an sich herunter.»Ein wenig Mäßigung wird nicht scha-

den«, murmelte er. »Es wird Wasser undKonzentrate nach Belieben geben!«

Während sich der Küchenrobot entfernte,ging ein wehleidiges Stöhnen durch die Rei-hen der Gäste. Sie wußten, was ihnen bevor-stand. Vor jedem Gast würden die ewiggrinsenden Servierrobots ein großes Glasmit klarem Wasser abstellen, dazu gab es fürjeden Tisch eine große Schüssel, die bis zumRand mit unappetitlichen, braunen Würfelngefüllt waren. Eingeprägte Buchstaben ver-rieten, welches normale Gericht von denWürfeln vorgetäuscht werden sollte. DerGast hatte freie Auswahl, was ihm aber we-nig half, da die Würfel seit langer Zeit in ei-ner riesigen Kiste gestapelt worden warenund sich die Aromastoffe im Laufe der Zeitzu einem nichtssagenden Gebräu vereinigthatten. Eingeweihte wollten herausgefundenhaben, daß besagte Konzentratwürfel Anlaßder großen Flottenmeuterei von '34 gewesensein sollten. In den vielen Jahren, die seitherverstrichen waren, konnte sich der Ge-schmack schwerlich verbessert haben.

»Muß das sein?« erkundigte sich einezaghafte Frauenstimme. Thaher drehte sichherum und erkannte Galacca Kidal, eine äl-tere Frau von zierlicher Gestalt, aber großemDurchsetzungsvermögen.

»Pah!« machte Thaher. »Jeder Tag zeigtes mir aufs neue. Seit dieser Orbanaschol ander Macht ist, ist der Mumm verschwunden.Damals, als wir noch einen richtigen Impe-rator hatten, haben sich die Männer um dieEhre geprügelt, in der ruhmreichen Flotte

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Gonozals VII. Konzentrate essen zu dürfen.Nur Schwächlinge vertragen diese wissen-schaftlich einwandfreie, rationelle Nahrungnicht!«

»Wenn Sie es so sehen«, murmelte Galac-ca Kidal und lächelte schwach. »GlaubenSie, daß Orbanaschol dadurch zu stürzen ist,wenn wir uns vorwiegend von Nahrungs-konzentraten ernähren?«

Bevor Thaher auf diese Frage eine Ant-wort geben konnte, war die Frau bereits ver-schwunden. Der Speisesaal war jetzt fastleer, denn die Trainer sahen es nicht gerne,wenn die Bewohner lange auf sich wartenließen. Der letzte, der auf dem Übungsplatzeintraf, hatte üblicherweise einen Kilometermehr zu laufen als die übrigen Bewohner.

Die »stählernen Schwingen von Orxh«waren ein Heim, in dem sehr viel Sport ge-trieben wurde. Wer den Mindestanforderun-gen seiner Altersklasse nicht genügte, suchtevergeblich um einen Platz nach. In solchenFällen kannte Thaher Gyat keine Gnade, we-der Geld noch Rang und Namen machtenauf ihn einen Eindruck.

Wenn alle Plätze belegt waren – ein Ziel,das Thaher nur selten verfehlte –, lebtenüber vierhundert Männer und Frauen in den»stählernen Schwingen von Orxh«, und kei-ner von ihnen beklagte sich über schlechtesEssen oder die ruppige Behandlung, dieThaher Gyat seinen Gästen gegen erstklassi-ge Bezahlung angedeihen ließ.

Zu den »Spezialitäten« seines Hauses ge-hörte, daß er selbst sich nicht an den sportli-chen Übungen beteiligte, sondern sein Ver-gnügen darin fand, neben den Trainingsplät-zen zu stehen, die Hände in die magerenHüften gestemmt, und die schwitzenden undschnaufenden Gäste der »stählernen Schwin-gen von Orxh« mit Spott und Hohn zu über-schütten.

An diesem Tag mußte Thaher von diesemVergnügen Abstand nehmen, er wurde inAhjod gebraucht, um Verwaltungsärger zubeseitigen. Kleinere und unbedeutendereHeime versuchten immer wieder, ThahersStil zu kopieren, aber dank den Beziehungen

des Mannes zu hohen und höchsten Stellender planetaren Verwaltung konnten dieseImitationen meist recht schnell beseitigtwerden.

Thahers Gleiter stand, deutlich von denFahrzeugen der Gäste getrennt, auf einemPlatz vor dem Eingang. Die »stählernenSchwingen von Orxh« bestanden aus insge-samt achtundfünfzig Gebäuden, die von ei-nem auf den ersten Blick verwirrenden, abersorgsam ausgetüftelten System von Gängenund überdachten Wegen verbunden waren.In je einem der fünfzig flachen, stets son-nenbeschienenen Flachbauten lebten jeweilsacht Personen, sorgfältig so ausgesucht, daßdiejenigen zusammenlebten, die sich am we-nigsten vertrugen. Zank und Streit und Zer-würfnisse waren an der Tagesordnung, undauch das war geplant. Thaher vertrat dieAuffassung, daß nichts einen Menschenmehr in Schwung hielt als entweder Liebeoder Haß, und er handelte nach dieser Devi-se. Da Haß im allgemeinen länger währte alsLiebe, sorgte er für immer neue Zwistigkei-ten unter den Gästen.

Natürlich blieb diese Form von Personal-politik nicht lange ein Geheimnis, abermerkwürdigerweise verringerte sich die Zahlder Gäste, die obendrein für das zweifelhafteVergnügen schwer zu zahlen hatten, trotzdes Rufes der »stählernen Schwingen vonOrxh« nicht. Im Gegenteil – hatten die ge-schundenen Gäste ihren Aufenthalt hintersich, pflegten sie mit Erfahrungsberichtennicht zu geizen. Wer ihnen zuhörte, mußteden Eindruck bekommen, als sei das Para-dies Xoaixo von tödlicher Langeweile – mitAusnahme der »stählernen Schwingen vonOrxh«. Dort war es immer turbulent. Alleindas immer noch ungelüftete Geheimnis desmerkwürdigen Namens bildete für die Gästeein schier unerschöpfliches Gesprächsthema.Thaher Gyat hatte sich bislang standhaft ge-weigert, zu erklären, was es mit den»stählernen Schwingen von Orxh«, auf sichhatte. Zwar gab er immer wieder Hinweise,aber diese Andeutungen waren offenkundigdazu bestimmt, den Schleier des Geheimnis-

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ses immer dichter zu machen.Thaher fuhr, wie man es bei seinem Ruf

als größtes Ekel der bekannten Galaxis er-warten konnte, schnell und rücksichtslos. Erfuhr bei Höchstgeschwindigkeit bis aufHandbreite auf voranfahrende Gleiter auf,schnitt, wo sich ihm eine Gelegenheit bot,und verwendete eine schauerlich klingendeSirene, mit der er sich den Weg freibrüllte.Die Beleidigungen, mit denen er andereFahrer zu überschütten pflegte, waren vonfast sprichwörtlicher Unverschämtheit.

Es fiel Thaher nicht im Traum ein, dieReservierungen zu beachten, mit denen dieParkplätze unmittelbar neben dem Verwal-tungsgebäude für höhere Dienstränge freige-halten werden sollten. Besonderes Vergnü-gen empfand er dann, wenn er den Platz desamtierenden Gouverneurs mit Beschlag be-legen konnte. Auch an diesem Morgen kamseine Exzellenz wieder einige Minuten zuspät und fand seinen Platz von Thahers häß-lichem Gleiter belegt.

Nander Guntakal lief dunkelrot an, als erThahers Gleiter sah. Leise befahl er seinemChauffeur:

»Verständigen Sie ein Abschleppunter-nehmen und schaffen Sie dieses Ding hierweg. Ich kann mir diese Anmaßung nichtlänger gefallen lassen!«

Einige hundert Meter über dem erzürntenGouverneur stand Thaher Gyat am Fensterund blickte vergnügt grinsend auf die Szene.Er wußte, wie das Spiel weiterlaufen würde.

Nander Guntakal entschloß sich, den Ab-transport von Thahers Gleiter abzuwarten.Er wollte seinen kleinen Triumph auskosten.

Es dauerte nicht lange, bis der Abschlepp-wagen kam. Man tat auf Xoaixo gut daran,seine Exzellenz nicht lange warten zu las-sen; der Mann galt als ungeduldig, reizbarund einflußreich. Für einen kleinen Unter-nehmer war dies eine gefährliche Mischungvon Eigenschaften.

Der Abschleppunternehmer war ein stäm-miger Zaliter, der seinem Schicksal dankbarwar, daß er die unmittelbare Nähe Arkonshatte verlassen dürfen. Auf Xoaixo war er

halbwegs sicher, wenn es Orbanaschol ein-fallen sollte, die Zaliter wieder einmal dieMacht des Imperiums spüren zu lassen.

»Entferne dieses Fahrzeug!« befahl Nan-der Guntakal herrisch. »Aber schnell!«

»Sofort, Erhabener!« murmelte der Zaliterunterwürfig. »Ich werde mein Bestes tun!«

Er befestigte ein langes Seil aus Stahlfa-sern bester arkonidischer Fertigung am Heckvon Thahers Gleiter. Nander Guntakal sah,wie der Mann plötzlich zusammenzuckte.Interessiert trat Guntakal einen Schritt näher.

Auf dem Heck von Thaher Gyats Gleiterklebte eine handtellergroße Plakette. Ver-wirrt las Nander Guntakal den Text.

»Wer dieses Fahrzeug gegen den Willendes Eigners benutzt, abtransportiert oderanderweitig behandelt, tut dies auf eigeneGefahr!«

Der Zaliter sah ratlos den Gouverneur an,dieser musterte ebenso verwirrt die Plakette.Neben dem Text war eine Fotografie desBesitzers angebracht, auf der Thaher Gyatdem Betrachter eine bemerkenswert langeZunge herausstreckte.

»Worauf wartest du?« herrschte NanderGuntakal den Zaliter an. »Vorwärts!«

»Aber …«, begann der Unternehmer; eineHandbewegung des Gouverneurs ließ ihnverstummen. Wortlos kletterte der Zaliter inden Führerstand seines Fahrzeugs und ließden Motor an. Dann setzte sich der Ab-schleppgleiter langsam in Bewegung. DasStahlseil straffte sich, aber Thahers Gleiterrührte sich nicht von der Stelle, obwohl dastragende Prallfeld aktiviert war und derGleiter zwei Handbreit über dem betoniertenBoden schwebte.

»Mehr Energie!« bestimmte Nander Gun-takal energisch. »Los, Mann!«

Der Zaliter blinzelte ratlos. Er wußte, daßdie Aggregate seines Gleiters stark genugwaren, um das abzuschleppende Fahrzeug inzwei Teile zu reißen. Fraglich war nur, werdann für den Schaden haftete. Der Gouver-neur sicherlich nicht, Guntakals Geiz galt alsberüchtigt. Und sich mit Thaher Gyat anzu-legen, war nicht die Sache des ängstlichen

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Zaliters. Auf der anderen Seite würde ergrößte Schwierigkeiten bekommen, wenn erGuntakals Anordnungen nicht befolgte.Schweiß trat auf die Stirn des Mannes, als erlangsam dem Motor mehr Energie zuführte.

Das Stahlseil begann zu schwingen; einanschwellender Brummton lag in der Luft.Thahers Gleiter verharrte auf seinem Platzund rührte sich nicht.

Nander Guntakal verlor die Geduld. Erstieß den Zaliter weg und nahm selbst denPlatz hinter dem Steuer ein. Mit einer ener-gischen Handbewegung stieß er den Hebelfür die Energiezufuhr nach vorne.

Der Motor des Gleiters brüllte auf, undNander Guntakal spürte mit steigender Be-friedigung, daß sich der Abschleppgleiterbewegte. Hinter ihm erklang ein dumpfesKnirschen, aber Guntakal kümmerte sichnicht darum. Er lächelte verzerrt und ver-stärkte die Energiezufuhr.

Ruckartig bewegte sich der Abschlepp-gleiter nach vorn, während der Zaliter einenentsetzten Schrei ausstieß. Guntakal bremsteden Gleiter ab und drehte sich herum. SeineAugen weiteten sich, der Unterkiefer klapptenach unten.

Thahers Gleiter hatte sich zwar ein be-trächtliches Stück bewegt, aber das beein-druckte Nander Guntakal wenig. Erschrecktwar er über das mindestens zwanzig Meterdurchmessende Loch in seinem Regierungs-gebäude. Ein riesiges Stück der Außenwandwar herausgerissen worden, auf dem Bodenlag ein abgestürzter Bürorobot und wedeltemit einem Bündel Akten hilflos in der Luft.Im ersten Stockwerk stand eine junge Frauan der Öffnung und schrie gellend.

Weiter oben hatte Thaher Gyat große Mü-he, seinen Lachanfall in erträglichen Gren-zen zu halten. Er allein wußte, daß er beimVerlassen des Gleiters einen überaus starkenTraktorstrahlprojektor aktiviert hatte, der aufdie Außenwand des Gouverneurspalastszielte und dafür sorgte, daß sich das Fahr-zeug keinen Millimeter von der Wand ent-fernte, es sei denn, die Wand machte die Be-wegung mit.

Der Zaliter stand schreckensbleich nebendem Trümmerstück, gedankenlos ergriff erdas Aktenbündel, das ihm der halbzerstörteRobot in die Finger drückte.

Nander Guntakal brauchte einige Zeit, biser sich von seinem Schreck erholt hatte. Erverließ den Gleiter des Zaliters, schritt andem Mann vorbei und betrat seinen Palast.Er war fest entschlossen, mit dem unver-schämten Besitzer des falsch geparktenGleiters abzurechnen.

*

Thaher Gyat hatte die Füße auf den kost-baren Tisch des Gouverneurs gelegt. Mitdieser Maßnahme kam er dem ersten Wut-ausbruch des Regierungschefs des Planetenzuvor. Nander Guntakal war ein Mann, derdaran gewöhnt war, daß man vor ihm zitterteund seine Tobsuchtsanfälle wie Heimsu-chungen des Schicksals über sich ergehenließ. Eine Person wie Thaher Gyat war inseiner Welt noch nicht aufgetaucht.

»Sie haben mich herbestellt«, eröffneteThaher das Gespräch. »Was wollen Sie?«

Er vermied es geflissentlich, den Gouver-neur mit »Erhabener« anzureden, wie Nan-der Guntakal es gewohnt war. Auch dieseFrechheit trug dazu bei, den Gouverneur umseine Fassung zu bringen.

Guntakal bedachte Thaher mit seinemstandardisierten Drohblick, der aber ohneWirkung blieb. Guntakal brummte etwasUnverständliches, dann zerrte er aus einemBündel von Akten eine Mappe hervor, dieerstaunlich dick war.

»Dies hier«, begann Guntakal, »sind Be-schwerden, die Sie und Ihr Heim betreffen!Wie Sie sehen können, liegt ziemlich vielgegen Sie vor!«

»Ich höre«, erklärte Gyat ungerührt. Ermachte es sich in seinem Sessel etwas be-quemer, wobei seine Füße über den Schreib-tisch rutschten und eine deutlich sichtbareSpur hinterließen.

»Hier ist beispielsweise die BeschwerdeIhres östlichen Nachbarn«, fuhr Guntakal

10 Peter Terrid

fort. Er kam langsam in Fahrt und betrachte-te wohlwollend das Aktenbündel. Er würdejetzt diesem knochigen Scheusal nacheinan-der alle Vorwürfe vortragen, bis Gyat umGnade winseln würde.

»Der Mann führt bewegte Klage über dasBenehmen Ihrer Gäste. Es, heißt, daß auf Ih-re Veranlassung hin mehr als ein DutzendMänner und Frauen die Bewohner des Nach-barheims belästigt haben.«

Thaher Gyat erinnerte sich natürlich anden Vorfall. Schließlich hatte er ihn selbstinszeniert.

Besagter Nachbar hatte die Frechheit be-sessen, ein freies Stück Küstenland einzu-zäunen und dort begonnen, aufwendige Son-nenplätze zu bauen. Gegen solche Menschenhatte Thaher eine tiefe Abscheu. Er wußte,daß dies nur der erste Schritt war, dem wei-tere folgen würden, bis die Küste in der Nä-he Ahjods ähnlich aussehen würde wie vieleandere Küsten auch – mit hohen, häßlichenHäusern übersät.

Um dies zu verhindern, hatte Thaher zu-sammen mit seinen begeisterten Stammgä-sten ein wüstes Schauspiel in Szene gesetzt.Zu Dutzenden waren seine Freunde und erüber den Zaun geklettert; vor allem den vie-len ehemaligen Soldaten unter den Heimbe-wohnern hatte es ein ungeheures Vergnügenbereitet, an längst vergangene Zeiten anzu-knüpfen. Natürlich waren sie nicht annä-hernd so betrunken gewesen, wie sie ge-spielt hatten, und auch die wüste Massen-schlägerei war nur gestellt, aber die er-schreckten Gäste hatten fluchtartig das Wei-te gesucht, als Thahers Horde über sie her-eingebrochen war.

Thaher wußte genau, daß man ihn persön-lich dafür nicht belangen konnte, und als diePolizei angerückt war, hatten sich seine Gä-ste mit verblüffender Geschwindigkeit ab-setzen können.

»Noch etwas?« wollte Thaher wissen.Nander Guntakal merkte, daß er mit die-

sen Methoden bei Thaher Gyat nicht weiter-kam.

»Ich habe mir Ihre Personalakte geben

lassen«, fuhr der Gouverneur fort. »Und ichhabe überrascht festgestellt, daß über Siesehr wenig bekannt ist, genaugenommenwesentlich weniger, als gesetzlich zulässigist. Es fehlen Angaben über Ihre früherenTätigkeiten, über die Einkünfte, von denenSie leben. Woher beispielsweise kamen dieMittel, die Sie zum Bau Ihres Heimesbrauchten?«

»Mein persönliches Geheimnis!« behaup-tete Thaher grinsend. »Sie können meinet-halben versuchen, mehr herauszufinden. Eswird Ihnen nicht gelingen!«

Nander Guntakal machte ein verblüfftesGesicht, dann begriff er, was Thaher meinte.

Der gesamte Planet Xoaixo diente gleich-sam als planetares Altersheim. Wohlhaben-de Bürger des Großen Imperiums verlebtenhier die letzten Jahre ihres Lebens in einemangenehmen, milden Klima und allem nurerdenklichen Luxus, sofern sie ihn bezahlenkonnten. Es galt als ausgemacht, daß Xoaixomehr Fürsten und Edle beherbergte als jederandere Planet der bekannten Galaxis, Arkonselbst eingeschlossen.

Aber es gab auf Xoaixo nicht nur freiwil-lige Pensionäre. Orbanaschol hatte es sicheinfallen lassen, einen Teil seiner politischenGegner auf diese vergleichsweise sanfte Artkaltzustellen. Auf Xoaixo wimmelte es vonOppositionellen, vor allem Anhängern undGefolgsleuten des toten Imperators GonozalVII. Die meisten Bewohner des Planetenaber waren, schon aus Altersgründen, über-aus konservativ und hielten zu Orbanaschol.Er war Imperator, und das reichte.

Orbanaschols Taktik ging in den meistenFällen auf. Die noch energischen alten Ar-koniden, die Gonozal die Stange hielten, er-schöpften sich in dem stillen, aber hartnäcki-gen Widerstand ihrer greisen Mitbewohner.

Immerhin gab es auch Spitzel auf demPlaneten, Personen, die jeden eventuell nochvorhandenen Widerstandswillen feststelltenund – wo nötig – unauffällig abstellten. Daman solche Arkoniden schlecht unter derBerufsbezeichnung Spitzel in den amtlichenListen führen konnte, erhielten sie Scheini-

Die stählernen Schwingen von Orxh 11

dentitäten, die sie vor neugierigen Fragernschützen sollten.

Nander Guntakal hatte begriffen. ThaherGyat war einer dieser POGIM-Spitzel, undim stillen bewunderte der Gouverneur dieGerissenheit seines Gegenübers. Ein Heimzu bauen, das nahezu ausschließlich hartge-sottene Orbanaschol-Gegner beherbergte,war ein raffinierter Trick. Jetzt wußte derGouverneur auch, welchem Zweck diemerkwürdigen Aktionen und Einfälle Gyatsdienten – sie sollten die zähen alten Herrenbeschäftigen, damit ihnen die Lust auf poli-tische Aktionen verging.

Nander Guntakal lächelte freundlich. Wasblieb ihm anderes übrig? Vor dem Zugriffder POGIM und ihrer Spitzel war niemandsicher, nicht einmal der Gouverneur vonXoaixo. POGIM-Männer hatten weitrei-chende Vollmachten. War nicht vor kurzerZeit erst eine der schillerndsten Gestaltender feinen arkonidischen Gesellschaft, dasOberhaupt einer berühmten Sippe, kurzer-hand verhaftet worden? Guntakal hatte seinespeziellen Quellen, die ihn über alles aufdem laufenden hielten, was auf der Kristall-welt vorging, und so wußte er, daß Regir daQuertamagin seine Gegnerschaft zu Orbana-schol mit dem Tode gebüßt hatte.

Auch Thaher Gyat lächelte. Er wußte, daßer für absehbare Zeit seine Rune haben wür-de. Nander Guntakal war zwar ziemlichskrupellos, aber beileibe kein Held. Die we-nigen Andeutungen, die Thaher sorgfältigeingestreut hatte, genügten, um den Gouver-neur zu überzeugen. Genau das war es, wasThaher Gyat hatte erreichen wollen.

Guntakal klopfte mit der flachen Hand aufdie Mappe.

»Ich werde das erledigen lassen«, ver-sprach er freundlich. »Ich nehme an, daßdies in Ihrem Interesse ist.«

»Und im Interesse der Sache«, verkündeteThaher und stand auf.

Der Gouverneur ließ sich sogar dazu her-ab, Thaher die Hand zu geben, als dieser dasprotzige Büro verließ. Sobald Thaher gegan-gen war, machte sich der Gouverneur daran,

die Mappe durchzuarbeiten und die Perso-nen vorzumerken, die sich Thaher Gyat inden Weg stellten. Nander Guntakal war festentschlossen, diesen Menschen beizubrin-gen, daß sie Thaher Gyat in Ruhe zu lassenhatten.

2.

Guma Tarthing war für arkonidische Ver-hältnisse ungewöhnlich klein, dazu sehrschlank, fast zierlich. Tarthing trug gernegutgeschnittene, aber unauffällige Anzüge,verwendete dezente Parfüms und las gerne.Er lächelte gerne und oft und zeigte dabeiseine kleinen, weißen Zähne. Sein Haar warweiß und schon ein wenig schütter, um diesauszugleichen hatte er sich einen Bart wach-sen lassen. Sorgfältig wachte er darüber, daßdie Barthaare stets in einem ehrfurchtgebie-tendem Weiß strahlten. Guma Tarthing hattekleine Hände mit kurzen, sehr zierlichenFingern.

Er war ein Mann, dem man zutraute, daßer stundenlang am Meer saß, meditierte oderdie Vögel fütterte. Man hätte ihm bedenken-los Kinder zur Aufsicht anvertraut, wenn esauf Xoaixo Kinder gegeben hätte. Er machteganz den Eindruck eines freundlichen altenHerren, der vielleicht insgeheim an einemphilosophischen Werk schrieb.

Was Guma Tarthing wirklich schrieb, wa-ren Geheimberichte an die POGIM. Vögelzu füttern wäre ihm nicht eingefallen, undKinder haßte er inbrünstig ihrer Unbefan-genheit und Ehrlichkeit wegen. Sie machtenLärm und brachten Unruhe in sein Leben.Womöglich wären sie sogar neugierig gewe-sen.

Und Neugierde konnte Guma Tarthingüberhaupt nicht gebrauchen. Er wollte seineRuhe.

Guma Tarthing hatte sich vor vielen Jah-ren, kurz vor seiner Volljährigkeit überlegt,welchen Beruf er einschlagen sollte. Und erhatte sich für den eines ausgemachtenSchurken entschieden. Böse und Gute gab esauch ohne seinen Entschluß, hatte er sich ge-

12 Peter Terrid

sagt. Die Bösen gingen zwar ein größeresRisiko ein, aber dafür verdienten sie auchentschieden mehr. Guma Tarthing war mitsich und seiner Arbeit zufrieden. Immerhinhatte er genug verdient, um seinen Lebens-abend auf Xoaixo verbringen zu können.

Die politischen Verhältnisse waren eini-germaßen stabil, es sah ganz danach aus, alswürde Orbanaschol länger regieren als Tar-thing leben würde, daher machte sich derMann keine Sorgen um die Zukunft. Zu sei-ner Freude fand er auch nach seiner Pensio-nierung noch etwas zum Spionieren undVerraten. Auf diese Weise konnte er dierechtmäßig verdiente Rente der POGIMnoch etwas aufbessern.

Das einzige, was Guma Tarthing nochfehlte, war ein großer, ein triumphaler Er-folg. Er hatte nie herausbekommen können,wer die Chefs drei oder vier Rangstufenüber ihm waren, wie sie aussahen. Gern hät-te sich Tarthing einmal mit einem dieserMänner unterhalten, aber dazu würde er nurGelegenheit haben, wenn er einen außerge-wöhnlich dicken Fisch an Land zog. Für sichhatte er diese Hoffnung fast begraben, aberirgendwo in seinem Schädel war dieser ge-heime Wunsch immer noch rührig.

Guma Tarthing sah Thaher Gyat aus derStadt zurückkommen und lächelte. Natürlichwar Gyat nicht der dicke Fisch, aber schonein ansehnlicher Fall. Seit Jahren lieferteTarthing seine Berichte über den Besitzerder »stählernen Schwingen von Orxh« nachArkon, ohne je eine Antwort bekommen zuhaben. Wahrscheinlich war man dort derAnsicht, daß Gyat harmlos sei, solange ersich aufs Reden beschränke. Immerhin wur-den Guma Tarthings Berichte bezahlt, alsoarbeitete der Mann weiter.

»Sind Sie erfolgreich gewesen?« fragteTarthing freundlich, als Thaher den Raumbetrat. Er war nahezu allein in dem großenSpeisesaal, denn die anderen Gäste hatten esvorgezogen, nach den strapazenreichenSportübungen etwas zu schlafen, bevor siesich auf die Konzentratwürfel stürzten.

»Selbstverständlich«, erklärte Thaher

grinsend. »Kennen Sie irgend jemand, dermir erfolgreich Widerstand leisten könnte?«

Es war hauptsächlich diese Überheblich-keit Gyats, die Tarthings Haß geweckt hatteund ihm immer wieder Nahrung lieferte, zu-mal er spürte, daß dieses Auftreten Gyatsnicht die Kompensationsversuche einesMinderwertigkeitskomplexes waren, son-dern auf einem durchaus gesunden Selbst-vertrauen beruhte – etwas, das Tarthing im-mer gefehlt hatte.

»Wo sind die anderen?« wollte Thaherwissen.

»Beim Mittagsschlaf«, berichtete ZihatBaluch. »Der Trainer hat die alten Herrenfürchterlich geschunden. Immerhin, diesportlichen Durchschnittsleistungen sind seiteinem halben Jahr zusehends angestiegen.Sportlich gesehen, sind unsere Freunde erst-klassig für ihr Alter!«

Die Bemerkung über das Alter der Heim-bewohner machte auf Thaher einen erhei-ternden Eindruck. Immerhin waren auch erund Zihat Baluch ziemlich alt, wie alt genau,das verschwiegen sie, wie es auch die Mehr-zahl der anderen Gäste, vor allem die Frau-en, taten.

»Sie hätten auch teilnehmen sollen«, sagteBaluch mit einem Seitenblick auf GumaTarthing. »Schaden könnte es nicht.«

Tarthing lächelte zurückhaltend.»Ich bin nicht sehr sportlich veranlagt«,

sagte er freundlich. »Meine Begabungen lie-gen auf anderen Gebieten.«

»Sie sollten uns endlich einmal etwas ausdem geheimnisvollen Roman vorlesen, densie in der Stille Ihrer Wohnung offenbar fer-tigstellen«, sagte Thaher. »Vielleicht gibt esdann wieder etwas zu lachen.«

Mit dieser letzten Bemerkung hatte Tha-her einmal mehr seinen Ruf als Ekel unter-strichen. Er fiel nie aus seiner Rolle, selbstin Augenblicken wie diesem nicht, wo einetwas freundlicherer Ton zu erwarten gewe-sen wäre. Guma Tarthing zuckte mit keinerWimper und steckte den kleinen Seitenhiebwiderspruchslos ein.

»Wenn die Zeit reif ist«, versprach er,

Die stählernen Schwingen von Orxh 13

»werde ich daraus vorlesen, und es wird si-cher sehr lustig zugehen.«

Im stillen freute er sich über den boshaf-ten Doppelsinn, den diese Worte aus seinemBlickwinkel erhielten. Tarthing war sich si-cher, daß keiner in den »stählernen Schwin-gen von Orxh« über seine Doppelrolle auchnur das geringste wußte.

»Sie gestatten, daß ich mich zurückzie-he!«

Tarthing verließ den Raum und ließ Tha-her und Zihat allein.

Thaher setzte sich auf einen freien Sesselund lehnte sich zurück.

»Manchmal«, sagte er so leise, daß nurZihat Baluch ihn verstehen konnte, »frageich mich, ob all das, was wir hier tun, wirk-lich einen Sinn hat. Orbanaschol sitzt festerauf dem Thron denn je, und solange er ge-gen die Maahks kämpft, wird ihn auch kei-ner von dort verjagen können. Ein Bürger-krieg in einer solchen außenpolitischen Lagewäre für das Imperium das sichere Ende.«

»Dann müssen wir warten«, sagte Baluchund nahm neben seinem Freund Platz. »Wirmüssen warten, bis der Zeitpunkt gekommenist, Orbanaschol zu stürzen und ihn und sei-ne Clique mit einem Schlag durch vertrau-enswürdige Männer und Frauen zu erset-zen.«

»Das kann lange dauern«, seufzte Thaher.»Ich habe Angst, daß wir beide diesen Zeit-punkt nicht mehr erleben werden, unsereFreunde im Heim noch viel weniger. Wirsind viel zu alt, um noch etwas ausrichten zukönnen.«

Solche Niedergeschlagenheit war ZihatBaluch neu; er kannte Thaher nur als energi-schen, harten und mitunter boshaften Leiterdes Heimes.

»Seit Jahren haben wir eine Organisationaufgebaut«, sagte Thaher, mehr zu sichselbst als zu Baluch gewandt. »Wir habenKontakte geknüpft, Freunde geworben, unddies alles unter großer Gefahr. Bislang ist al-les glattgelaufen, aber wann hört dieseGlücksträhne auf? Wann wird irgendeineraus der Organisation so senil, daß er zu

plaudern anfängt und der POGIM eine Mög-lichkeit an die Hand gibt, die ganze Organi-sation aufzurollen?«

»Dieses Risiko war uns klar, als wir mitunserer Arbeit anfingen«, versetzte Baluch.

»Aber es wird von Jahr zu Jahr größer«,murmelte Thaher. »Eine Untergrundorgani-sation braucht Erfolge, sonst fällt sie früheroder später auseinander. Vielleicht sinkt un-sere stolze Organisation eines Tages auf dasNiveau eines Traditionsvereins ab, der weh-mütig über längst vergangene Zeiten sin-niert.«

»Noch ist es nicht soweit«, versuchte Zi-hat Baluch den Freund zu beruhigen. »Bisdie Organisation auf Xoaixo die nötige Grö-ße und Schlagkraft hat, werden noch einigeJahre vergehen. Dann können wir uns umandere Probleme kümmern.«

Thaher sah Baluch an und grinste.»Recht hast du«, sagte er und stand auf.

»Ich werde mich etwas um unsere Gästekümmern. Sorge du bitte dafür, daß keineretwas anderes zu sich nimmt als Wasser undKonzentrate. Im Ernstfall kann man auchkeine Lebensmittel schmuggeln.«

Zihat Baluch nickte und zog sich zurück.Thaher überlegte kurz, dann entschloß ersich, die Funkstation des Heimes aufzusu-chen. Vielleicht gab es Neuigkeiten.

*

Rasch überflog Thaher Gyat die wenigenNotizen, die der Funker gemacht hatte. ZurZeit hatte der Mann Mittagspause, da umdiese Uhrzeit weder Nachrichtensendungennoch wichtige Durchsagen zu erwarten wa-ren.

Die Funkstation des Heimes war gut aus-gerüstet. Über Satelliten war sie mit allenanderen Stationen des Planeten verbunden,über eine Relaisstrecke auch mit Arkon undanderen Planeten des Großen Imperiums.Neben dem eigentlichen Funkgerät stand,ein Hyperkomfernschreiber, der in dem Au-genblick zu rattern begann, als Thaher gera-de den Raum verlassen wollte.

14 Peter Terrid

»Um diese Zeit?« wunderte er sich.Er ließ die Tür wieder zugleiten und ging

zum Fernschreiber hinüber. Halblaut las erden Text ab, der von der Maschine geschrie-ben wurde.

»Im Norden von Ahjod wurde ein unbe-kannter Mann gesichtet, der an der Küsteentlanggeht. Der Mann ist festzunehmen.Auf Anwendung von Gewalt ist zu verzich-ten!«

Thaher Gyat schüttelte verwirrt den Kopf.Die Meldung hatte offenbar keinen Absen-der und auch keinen bestimmten Empfänger.Vor allem war sich Thaher nicht klar, wasdiese Meldung überhaupt zu besagen hatte.

Thaher überlegte sekundenlang, dann rißer den bedruckten Streifen aus der Maschi-ne. Er entfernte auch den Durchschlag unddas Farbpapier. Anschließend verließ er dieFunkstation.

Auf dem kürzesten Wege suchte er ZihatBaluch auf.

Baluch war nicht minder verwundert alsThaher, als er die Meldung las.

»Ich weiß nicht«, meinte er, »was dieseNachricht zu besagen hat, aber ich meine,wir sollten in jedem Fall nachsehen. Viel-leicht erleben wir eine Überraschung.«

Thaher überlegte laut.»Aufgenommen wurde die Meldung vom

Hyperkomfernschreiber. Sie muß also ausdem Raum kommen. Aber das nächste Ver-sorgungsschiff ist erst in einigen Tagen fäl-lig. Wachboote gibt es nicht – wer mag die-se Nachricht abgesetzt haben?«

»Wir werden es bald herausbekommen«,versprach Baluch; er ging zum Schrank hin-über, holte den Waffengurt heraus undschnallte ihn sich um. Thaher bewaffnetesich ebenfalls. Im Norden Ahjods war dieKüste des Meeres noch unverbaut, und dasaus gutem Grund. Dort trieben sich die Pat-handokhs herum, eine Art schwimm- undtauchfähiger Flugdrachen mit langen zahn-gespickten Kiefern. Wenn diese Tiere inganzen Schwärmen angriffen, nahmen selbstunerschrockene Raumsoldaten die Beine indie Hand.

Die beiden Männer benutzten ThahersGleiter. Das Fahrzeug enthielt einige Zusat-zeinrichtungen, die für jeden Uneingeweih-ten böse Überraschungen bereithielten.

»Norden ist ein reichlich dehnbarer Be-griff«, meinte Zihat Baluch, als der Gleiteran der Küste entlangschwebte. »Das könneneinige hundert Kilometer sein. Wie wollenwir dort den einen Mann finden?«

»Vielleicht erwartet er uns und gibtRauchzeichen«, hoffte Thaher; er hatte hin-ter dem Steuer Platz genommen. »Ich möch-te wissen, was der Bursche dort will. DieGegend ist ziemlich verrufen.«

Nördlich von Ahjod, weiter landeinwärts,erstreckte sich ein weites Gebiet, das in kür-zeren Abständen immer wieder vom Meerüberflutet wurde. Da es einstweilen aufXoaixo genügend Platz gab, hatte man aufdie Mühe verzichtet, das Gebiet trockenzule-gen und zu bebauen. Dort gab es etlicheMilliarden bösartiger Insekten. Einige Artenproduzierten langsam wirkende Gifte, gegendie Besucher des Gebiets stets eine kleineKiste mit Antidoten mitführen mußten.

Es gab allerdings Gerüchte, die wissenwollten, daß diese Landschaft bei weitemnicht so unbewohnt war, wie es gemeinhingeglaubt wurde. Auch Thaher hatte davongehört, aber er konnte sich nicht vorstellen,daß es dort größere Anlagen geben sollte.

Thaher hielt den Gleiter in geringer Höhe,um besser die Küste absuchen zu können.Die Sonne Llaga-del-Armgh hatte die Mit-tagshöhe schon überschritten, aber siebrannte heiß auf die beiden Männer in deroffenen Schale des Gleiters herab. Von derSee wehte ein frischer Wind, der angenehmeKühlung brachte.

»Nichts zu sehen!« stellte Baluch fest.»Ob der Mann bereits gefunden wordenist?«

Thaher zuckte mit den Schultern. Im nied-rigen, klaren Wasser der Bucht erkannte ereinige Dutzend Akolas. Er wußte, daß dieAkolas jetzt ihre Paarungszeit hatten undentsprechend bösartig waren. Wehe demSegler, der zwischen ihnen über Bord ging;

Die stählernen Schwingen von Orxh 15

er würde binnen Sekunden zerfleischt wer-den.

Xoaixo besaß neben seinen unbestreitba-ren Reizen auch einige handfeste Nachteile,die aber dort, wo zahlreiche Menschen leb-ten, mit dem für Arkoniden üblichen techni-schen Aufwand beseitigt worden waren. VorAhjod beispielsweise schwammen viertau-send Robots in der See und vernichteten alleAkolas, die sie innerhalb einer bestimmtenZone antrafen. So war die Sicherheit der Ba-denden garantiert.

Nur vor den »stählernen Schwingen vonOrxh« schwammen einige, wenn auch imi-tierte Akolas herum, die Thaher zur Erzie-hung seiner Gäste erforderlich erschienen.

Immer noch rätselte Thaher an dem Funk-spruch herum. Er begriff nicht, wozu die ge-heimnisvolle Meldung taugen sollte. Thaherfand nur eine halbwegs plausible Erklärung:

Irgendwo in den Sümpfen steckte ein be-sonderes Heim. Dort war der Mann wahr-scheinlich entwichen und würde jetzt ge-sucht. Daß die Meldung auf Thahers Hyper-komfernschreiber gelaufen war, mußte ei-nem zufälligen Versagen der Technik zuzu-schreiben sein.

»Ich habe ihn!« rief Baluch plötzlich aus.»Dort unten, mehr nach links!«

Thaher befolgte die Anordnung, und Se-kunden später sah auch er den Mann, derlangsam über den weißen Sand des Strandesging. Er schien die Männer in dem Gleiterüberhaupt nicht wahrzunehmen.

Thaher setzte das Fahrzeug einige hundertMeter von dem einsamen Wanderer in denSand; Zihat Baluch sprang sofort heraus undging auf den Fremden zu.

*

Zwei Dinge erkannte Thaher Gyat nahezugleichzeitig. Als erstes fiel ihm auf, daß erdas Gesicht des Fremden kannte. Das zweitewar der Schwarm Pathandokhs, der sich ineiniger Entfernung sammelte und zum An-griff ansetzte.

Thaher stieß einen warnenden Ruf aus,

der Zihat Baluch zusammenzucken ließ. DerMann reagierte schnell und umsichtig. Wäh-rend Thaher den Gleiter startete, lief Baluch,so schnell er konnte, auf den Fremden zu.Mit einem Ruck schoß der Gleiter vorwärts,und Baluch sprang auf, sobald das Fahrzeugihn erreicht hatte.

Der Gleiter stoppte auf der Höhe desFremden, Sekunden bevor der erste Angrei-fer auf die Gruppe herabstieß.

Thaher war gewohnt, ohne langes Fragenzu handeln. Er packte den Fremden beimArm und zerrte ihn unsanft an Bord. Nebensich hörte er das Krachen eines Blaster-schusses, dann den gellenden Schrei einesgetroffenen Pathandokhs, der neben demGleiter auf den Boden prallte und den Sandblutig färbte. Der Fremde ließ sich wider-standlos an Bord zerren, und sobald derMann in der offenen Schale des Gleiters lag,zog auch Thaher seine Waffe.

Es waren mindestens zwanzig Pathandok-hs, die sich versammelt hatten und die dreiMenschen angriffen. Thaher versuchte, denMann, den er an Bord gezerrt hatte, eineWaffe in die Hand zu drücken, aber derFremde reagierte nicht.

Thaher fluchte erbittert. Er beachtete denFremden nicht länger, sondern konzentrierteseine Aufmerksamkeit auf den Gleiter unddie Pathandokhs. Der ganze Schwarm hatteinzwischen den Gleiter erreicht und at-tackierte die Insassen.

Thaher gab eine Serie von ungezieltenSchüssen in die Luft ab. Mindestens einender Pathandokhs mußte er dabei getroffenhaben, wie ihm der schrille Schrei des Tiereszeigte. Der Gleiter ruckte nach vorne, dannzwang Thaher das Fahrzeug in eine extremenge Kurve. Etwas knirschte, während sichder Gleiter bewegte.

»Beeile dich!« rief Zihat Baluch. »Langekönnen wir uns nicht halten gegen eine sol-che Meute!«

Er traf zweimal tödlich, der dritte Pathan-dokh kreischte auf und zog sich mit einergroßen Wunde an der Schwinge zurück.Thaher hatte den Gleiter auf Kurs gebracht,

16 Peter Terrid

jetzt ließ er das Fahrzeug mit höchster Ge-schwindigkeit zurückrasen.

Die Pathandokhs waren vorzügliche Flie-ger und außerordentlich hartnäckig, wennsie sich einmal für eine bestimmte Beuteentschieden hatten. Immer wieder schraub-ten sie sich schnell und gewandt in die Höheund stürzten dann mit angelegten Schwingenauf die Beute herab. Thaher klemmte dasSteuer fest. Der Gleiter jagte jetzt schnurge-rade über den Strand, während Thaher dieHände zur Abwehr der Pathandokhs freibe-kam.

»Verfluchtes Alter!« knurrte Thaher, alsnacheinander drei Schüsse ihr Ziel verfehl-ten. Ein Pathandokh prallte gegen die Wind-schutzscheibe des Gleiters. Das Glassit zer-sprang und krümelte in das Innere.

Thahers Reflexe waren in Anbetracht sei-nes Alters noch sehr gut, aber er mußte ein-sehen, daß sie für diese gefährliche Lagenicht voll ausreichten. Hätte er den etwasjüngeren Zihat Baluch nicht an seiner Seitegehabt, wäre die Situation lebensgefährlichgeworden. Baluch kämpfte mit sichtlicherBegeisterung, aber er war erfahren genug,um sich nicht hinreißen zu lassen. So ruhig,als stünde er im Schießstand, zielte er undfeuerte. Und er traf.

Der Gleiter ließ eine blutige Spur hintersich, aber die Pathandokhs gaben ihren ver-bissenen Angriff nicht auf. Fast gleichzeitigsetzten drei der Flugechsen zum Sturz aufThaher an. Zwei der Angreifer konnte deralte Mann außer Gefecht setzen, dem drittenPathandokh entging er nur durch eineschnelle Körperbewegung. Der Flugdracheschnappte zu und bekam Thahers linkenArm zu fassen. Thaher schrie auf, aber erbesaß genügend Selbstbeherrschung, um mitder Waffenhand zielen und treffen zu kön-nen. Dem Pathandokh wurde der Halsdurchtrennt. Während der Körper von derBordwand des Gleiters auf den Boden fiel,gruben sich die Fänge des Pathandokhs ineiner letzten Zuckung noch tiefer in ThahersArm. Der Mann stöhnte unterdrückt auf.

Besorgt warf er einen Blick auf den unbe-

kannten Passagier. Der, Mann saß auf sei-nem Platz und starrte geistesabwesend vorsich hin. Thaher spürte, wie ihn ein Gefühlder Wut überkam, und er tobte dieses Gefühlan den Pathandokhs aus.

Erst als der Schwarm auf ein Viertel zu-sammengeschmolzen war, gaben die restli-chen Tiere auf. Eine Zeitlang verfolgten sienoch den Gleiter, kreischten die Insassen bö-se an, dann drehten sie ab und waren baldverschwunden.

Zihat Baluch übernahm die Steuerung desGleiters, während Thaher sich bemühte, denKiefer der Flugechse von seinem Arm zuentfernen, bevor die Leichenstarre einsetzte.Auf dem Boden des Gleiters bildete sich ne-ben Thahers Sitz eine zusehends größer wer-dende Blutlache. Der Mann verbiß den wü-tenden Schmerz, der durch seinen Körperzuckte, dann riß er die Zähne des Pathan-dokhs endgültig aus seinem Fleisch undschleuderte den häßlichen Schädel der Echseüber Bord. Die Wunde schmerzte und blute-te heftig, aber Thaher sah sofort, daß kein le-benswichtiges Gefäß verletzt worden war.

Zihat Baluch sah Thahers schmerzverzerr-tes Gesicht und grinste.

»Was willst du«, meinte er erheitert, »esist genau wie in alten Zeiten, als wir in derFlotte Dienst taten. Ich bin gespannt, wasunsere Freunde sagen werden.«

Thaher warf einen Blick auf den Passagierund lächelte schwach.

»Es wird eine große Überraschung ge-ben«, murmelte er. »Jetzt möchte ich Orba-naschols Gesicht sehen!«

3.

Guma Tarthing saß neben Galacca Kidalan der großen Tafel und kaute mißmutig aufeinem Konzentratwürfel herum. Angeblichaß er gerade bestes Fleisch, aber von demAroma war nicht mehr viel herauszu-schmecken. Immerhin war das Wasser klarund kalt.

Galacca Kidal erörterte mit ihrerTischnachbarin ein verwickeltes Problem

Die stählernen Schwingen von Orxh 17

der Rentenberechnung. Nach ihrer Darstel-lung war sie von der Versicherung ziemlichschamlos um beträchtliche Summen geprelltworden, und die zierliche Frau machte ausihrer Entrüstung keinen Hehl.

Gespräche dieser Art zerrten an GumaTarthings Nerven, aber er zeigte, wie man esvon ihm gewohnt war, ein freundliches, in-teressiertes Gesicht.

Der Speisesaal war bis auf den letztenPlatz gefüllt. Zwischen den einzelnen Tisch-reihen gingen Servierrobots, die nachSchmieröl rochen und dennoch widerlichknirschten und quietschten. Ältere Modelleließen sich wahrscheinlich nur noch in Mu-seen auftreiben, dachte Tarthing grimmig.

Als Thaher Gyat erschien, verstummtendie Gespräche schlagartig. Jedermann konn-te den Verband sehen, den Thaher am linkenArm trug. Neben ihm stand, gleichfalls mitsehr ernstem Gesicht, Zihat Baluch. ZurVerwunderung der Gäste trugen beide Waf-fen.

»Freunde«, begann Thaher Gyat. »Ich ha-be Wichtiges mitzuteilen.

Ihr alle wißt, daß ich aus meiner Einstel-lung nie einen Hehl gemacht habe. Ich binein Gegner des gegenwärtigen Imperatorsund ich werde es bleiben. Jetzt mehr nochals zuvor.

Ich habe dieses Heim gegründet, um hierFreunde einer gerechten und gesetzmäßigenRegierung zu sammeln und zu beschäftigen,bis der Tag gekommen ist, an dem – auchdurch unsere Mitarbeit – das tyrannische Re-gime Orbanaschols gestürzt werden kann.«

Thaher machte eine Pause.Im Saal wurde es laut. Natürlich wußte je-

der, wie Thaher eingestellt war, aber er hattenoch nie öffentlich darüber gesprochen. Rat-los sahen sich die Männer und Frauen an.Was hatten die bedeutungsvollen Worte zusagen? War Thaher wahnsinnig geworden,daß er es wagte, in dieser Art öffentlich zureden?

Thaher bewegte nervös den Mund, dannging er einige Schritte zurück und ließ dieTür, durch die er den Speisesaal betreten

hatte, wieder aufschwingen. Sekundenlangwar es totenstill in dem Raum, dann schrienalle durcheinander.

In der Öffnung der Tür stand GonozalVII.

Thaher brachte mit einer energischenHandbewegung die Menschen zum schwei-gen.

»Ihr wißt, wer dieser Mann ist«, sagte erlangsam. »Wir fanden den Imperator einigeKilometer nordwärts von hier. Er ging ein-sam am Strand entlang.«

»Ist der Imperator krank?« fragte eineStimme. Thaher nickte.

»Ich weiß nicht«, sagte er zögernd, »waswirklich vorgefallen ist. Aber ich habe einenganz bestimmten Verdacht. Wir alle wissen– zumindest hat man es uns so erzählt –, daßder Imperator bei einem Jagdunfall auf Ers-komier gestorben ist. Nun, dieser Mann lebt.Ich vermute daher, daß Orbanaschol seinenBruder nicht getötet, sondern nur ausge-schaltet hat. Wahrscheinlich hat man Gono-zal VII. nach Xoaixo verschleppt, und ihnhier versteckt gehalten, bis man ihn für ir-gendeine Schurkerei wieder brauchte. Vor-her aber hat man, so bin ich überzeugt, Go-nozal zum Schweigen gebracht, seine Psy-che rücksichtslos zerstört. Zihat Baluch undich haben festgestellt, daß praktisch nurnoch der Körper des Imperators lebt; seinGeist ist weitestgehend zerstört. Der Impera-tor spricht nicht, und er scheint uns auchkaum zu hören. Wer für diese Tat verant-wortlich ist, die schlimmer ist als Mord,brauche ich wohl nicht zu sagen!«

Ein merkwürdiges Geräusch durchdrangdie Stille, es war das Knirschen vieler Kie-fer. Thaher sah, daß einigen Männern undFrauen, vor Erregung die Augen tränten.

»Vermutlich«, fuhr Thaher fort, »ist derImperator durch einen Zufall seinen Wäch-tern entwischt. Jetzt ist er bei uns. Es wirdunsere Aufgabe sein, den zerstörten Geistdes Imperators wieder zu heilen. Dazu aberbrauchen wir viel Hilfe – Hilfe, die wir nurauf Arkon bekommen können. Und Arkonwird uns erst dann helfen, wenn der verbre-

18 Peter Terrid

cherische Imperator Orbanaschol gestürztist. Das ist unsere erste, vordringliche Auf-gabe. Ich frage euch …«

Thaher brauchte nicht weiterzusprechen.Die Bewohner der »stählernen Schwingenvon Orxh« waren sich einig.

»Tod dem Verbrecher«, klang es durchden Saal. »Nieder mit Orbanaschol … Es le-be Gonozal!«

Thaher hatte große Mühe, die Bewohnerdes Heimes wieder zu beruhigen. Niemandhatte länger und intensiver unter der Unter-drückung gelitten, und diesem Ausmaß anUnterdrückung entsprach die Begeisterung,mit der die Männer und Frauen nun dasWiederauftauchen des totgeglaubten Impe-rators Gonozal VII. feierten!

Während Zihat Baluch den Imperator be-hutsam aus dem Saal führte und in seinQuartier brachte, entwickelte Thaher Gyatden Freunden seinen Schlachtplan.

Die Rentner und Pensionäre planten nichtmehr und nicht weniger als die Eroberungdes gesamten Planeten Xoaixo.

*

Nander Guntakal war damit beschäftigt,Akten zu lesen, mit Anmerkungen zu verse-hen und wieder in ihre Fächer zu verstauen.Auf diese Weise schaffte er einen Nachweisseiner Existenz, ohne gleichzeitig für irgend-eine Entscheidung geradestehen zu müssen.Das Leben auf dem Planeten war wohlge-ordnet und verlief seit vielen Jahren in stetsdenselben überschaubaren Bahnen. Guntakaldachte nicht daran, dieses Gleichmaß durchirgendwelche administrative Erlasse zu stö-ren.

Es war ein bequemer Posten für einen be-quemen Mann. Noch fünf Jahre Dienst alsGouverneur, und Nander Guntakal konntesich seinen Herzenswunsch erfüllen – einTrichterhaus auf Arkon I, nach Möglichkeitin Sichtweite des Kristallpalasts. NanderGuntakal träumte von einem Leben in derNähe der absoluten Spitze des Imperiums,einem Leben in Wohlstand und ohne Ver-

antwortung.Die letzte Akte, die Nander Guntakal an

diesem Tage zu bearbeiten hatte, war einKostenvoranschlag für die zerstörte Außen-wand seines Regierungssitzes. Die Repara-tur schien entsetzlich teuer werden zu wol-len, und eigentlich hätte Guntakal den Scha-den selbst begleichen müssen.

Nervös überlegte er, woher er den Betragnehmen sollte. Daß die Summe nicht ausseiner Privatschatulle fließen würde, standfür Nander Guntakal fest. Unglücklicherwei-se hatte er den monatlichen Etat schon sostark zugunsten seines eigenen Kontos bela-stet und verfälscht, daß nicht daran zu den-ken war, den Staatssäckel von Xoaixo mitdieser Ausgabe zu belasten. An Thaher Gyattraute sich Guntakal nicht heran, es blieb nurnoch …

»… natürlich, der Zaliter!« murmelteGuntakal zufrieden und rieb sich die Hände.

Der Abschleppunternehmer besaß sicher-lich einiges Geld, und es würde einigerma-ßen einfach sein, ihn um den erforderlichenBetrag zu erleichtern. Nötigenfalls mußteman mit ein wenig Druck seiner Zahlungs-freudigkeit nachhelfen. Eine Zwangsauswei-sung war dafür genau das rechte Mittel. An-schließend konnte man dem Zaliter die Sum-me wenigstens teilweise durch Staatsaufträ-ge wieder zuspielen. Nander Guntakal wuß-te, daß sich vieles machen ließ, von demsich brave Bürger nichts träumen ließen. Indiesem Fach war der Gouverneur Meister.

Das Interkom summte leise.Nander Guntakal schaltete das Gerät an,

und sobald sich das Bild stabilisiert hatte,blickte er in das erzürnte Gesicht von Tha-her Gyat.

»Endlich!« schimpfte Thaher erbost. »Ichdachte schon, Sie hätten sich rechtzeitig vordem Skandal abgesetzt.«

Nander Guntakal wurde hellhörig. Skan-dale konnte er in keinem Fall brauchen, sieschadeten nur seiner Karriere.

»Was für ein Skandal?« fragte er vorsich-tig. »Ich weiß von nichts verehrter …«

»Sparen Sie sich die Schmeichelreden«,

Die stählernen Schwingen von Orxh 19

fauchte Thaher grob. »Sie wissen ganz ge-nau, wovon ich rede.«

Guntakal hob abwehrend die Hände, wäh-rend er fieberhaft überlegte, auf welcheschwache Stelle seiner Amtsführung Gyatwohl zielen mochte. Es gab da einiges, wasbesser nicht in aller Öffentlichkeit diskutiertwurde.

»Bitte, glauben Sie mir«, beschwor Gun-takal seinen Gesprächspartner. Thaher Gyatmachte ein überaus wütendes Gesicht, undder Gouverneur bekam es langsam mit derAngst zu tun. Er traute dem Ekel alles zu.

»Es geht um unseren Schnaps«, stellteGyat fest. »Die Ware ist verpanscht worden,schlechthin ungenießbar.«

Nander Guntakal wurde bleich.Haben diese Narren tatsächlich auch an

den reizbaren Gyat den selbstgebastelten Fu-sel ausgeliefert, dachte er erschrocken. Erentschloß sich, die Sache selbst zu überprü-fen und hart durchzugreifen. Solche Pannendurften nicht vorkommen.

»Sie schweigen«, stellte Thaher weiterfest. »Das genügt mir als Eingeständnis Ih-rer Schuld.«

Guntakal schluckte und antwortete hastig:»Von Schuld kann keine Rede sein. Ich

werde selbstverständlich nachprüfen lassen,welcher subalterne Beamte für dieses peinli-che Versehen verantwortlich zu machen ist.Sie dürfen mir glauben, daß es sich nur umeinen unglücklichen Zufall handeln kann!«

»Zufall, ha ha«, spottete Gyat. »Ich werdeIhnen zeigen, wie alte Arkoniden vom be-sten Schrot und Korn auf solche Herausfor-derungen reagieren!«

Er verstellte die Einstellung der Kamera,und der Hintergrund des Raumes, in demsich Thaher Gyat aufhielt, wurde auch fürNander Guntakal sichtbar.

So schlecht kann der Selbstgebranntenicht sein, dachte der Gouverneur bei sich.Es sah aus, als hätte jeder Bewohner desHeimes, soweit sichtbar, mindestens einenLiter reinen Alkohols konsumiert.

»Sie werden sich wundern, Guntakal!«brüllte Thaher. »Wir veranstalten einen Pro-

testzug vor Ihrem Palast, und dann werdenwir über Hyperkom eine gesalzene Be-schwerde an seine Erhabenheit persönlichrichten. Der Imperator soll erfahren, wieman auf Xoaixo mit verdienstvollen Män-nern und Frauen umspringt!«

Vor Nander Guntakals Augen begann dasBild zu flimmern, und der Gouverneur wuß-te, daß ihm seine Nerven diesen Streichspielten. Er traute es Gyat ohne weiteres zu,daß er des Schnapses wegen die halbe Gala-xis rebellisch machte.

Diese Aktionen müssen schnell und ge-räuschlos unterbunden werden, überlegteGuntakal, und er fand auch schnell eineMöglichkeit. Zuerst wollte er versuchen, denstreitsüchtigen Besitzer der »stählernenSchwingen von Orxh« zur Ruhe zu bringen.

»Hören Sie, Gyat«, sagte Guntakal sofreundlich wie möglich, »ich werde dafürsorgen, daß diese Panne augenblicklich be-hoben wird. Ich ersetze die schlechte Waredurch bessere. Noch in dieser Stunde wirddie Lieferung bei Ihnen anlangen, wenn Siewollen.«

Thaher Gyat grinste boshaft.»Bemühen Sie sich nicht«, erklärte er.

»Wir machen uns auf den Weg und holenuns, was uns zusteht. Warten Sie auf uns!«

Bevor Nander Guntakal noch ein Wort sa-gen konnte, schaltete Gyat die Verbindungab.

Nander Guntakal begann trotz der Klima-anlage zu schwitzen. Er suchte nach einemAusweg, während seine Uhr die Sekundenmit anscheinend immer größer werdenderGeschwindigkeit heruntertickte. Endlichfand der Gouverneur eine Lösung. Schnellgriff er zum Interkom und tippte eine Num-mer in die Tastatur.

*

Es war ein Bild des ungetrübten Friedens.Die Sonne Llaga-del-Armgh schien auf denStrand herab und beleuchtete einige hundertschläfrige Männer und Frauen, die es sich inihren Sesseln bequem gemacht hatten. Im

20 Peter Terrid

Hintergrund spielte ein Bandgerät Folklorevon Afzgot, während menschliche Kellnereifrig kalte Getränke, Kuchen und einedurch heftiges Rühren fest gewordene Fett/Wasser-Emulsion servierten. In kleinenGruppen diskutierten die Gäste das Wetter,Tagesaktualitäten und den krassen Unter-schied zwischen der guten alten und derschlechten neuen Zeit. Über dem Sonnen-strand lag eine Atmosphäre gepflegter Lan-geweile.

»Ich muß schon sagen«, murmelte ein Ve-teran des Phansigenaufstands von '37, »diealten Leute von heute sind auch nicht mehrdas, was sie früher einmal waren. Ja, zu mei-ner Zeit …«

Er konnte weitersprechen, ohne auf Wi-derstand zu stoßen. Obwohl seine Nachbarnin kurzen Abständen immer wieder nickten,hörten sie ihm nicht zu, sondern flüstertenoder murmelten selbst – wiederum ohne Zu-hörer.

Ab und zu wurden die Stimmen etwaslauter, wurden aber sofort durch verweisen-de Blicke wieder gedämpft.

»Orgien, meine Teure, Orgien, sage ichIhnen«, erklang eine offenbar neiderfüllteFrauenstimme. Der Veteran hätte gern mehrgehört, aber die Sprecherin dämpfte ihreStimme zu einem Flüstern.

»Ja, ja, zu meiner Zeit«, murmelte er undschloß die Augen, um den Nachmittags-schlaf fortzusetzen.

Er öffnete sie erst wieder, als das allge-meine Murmeln sich verstärkte und sich all-mählich zu einem Tumult steigerte. In eini-ger Entfernung erklangen wilde Gesänge.Der Veteran setzte sich auf und blickte fin-ster entschlossen um sich.

»Zu den Waffen!« rief er. »Die Phansigenkommen!«

Ein unwilliges Kopf schütteln zeigte ihm,daß er der Wirklichkeit um etliche Jahrzehn-te hinterherhinkte. Immer lauter wurde derLärm, und dann wurden die ersten Gestaltensichtbar.

»Heilige Galaxis«, stöhnte einer der Kell-ner laut auf, »Thaher Gyats Renten-Rocker

sind im Anmarsch!«Unwillkürlich zogen sich die Gäste zu-

rück, sammelten sich und rückten veräng-stigt zusammen. Einige Gesichter wurdenbleich, andere zeigten den Ausdruck trotzi-gen Märtyrertums.

»Sie werden uns umbringen, alle mitein-ander!« schluchzte eine Frau. Der Blick ih-res Nachbarn zeigte, daß er mit dieser Lö-sung durchaus einverstanden war.

Instinktiv wichen die Menschen zurück,als Thaher Gyat, der beträchtliche Mühe hat-te, aufrecht zu gehen, die Gruppe erreichte.Der Wind wehte so, daß den Gästen eine in-tensive Alkoholwolke entgegenschlug. Inder rechten Hand trug Thaher eine dickbau-chige Flasche, halb geleert, in der linkeneinen Blaster, offenbar mit vollem Magazin.Thaher entdeckte den Veteranen und stießeinen triumphierenden Schrei aus, derfurchtsameren Gästen eine Gänsehaut ver-schaffte.

»Alter Freund!« brüllte Gyat und drängtesich durch die Menge. »Es leben die altenZeiten. Hier, trink, auf die Phansigen und al-les, was sich der guten Sache in den Wegstellt!«

Der Veteran straffte sich und sah sich um,stolzerfüllt über den Umstand, daß Thaherihn sofort als die wichtigste Person aner-kannt hatte. Die altertümliche Prothese anseiner rechten Hand öffnete sich, dann krall-te er die stählernen Finger um den Hals derFlasche, die Thaher ihm entgegenhielt. DerVeteran wußte, daß alle Augen auf ihm ruh-ten, darum setzte er die Flasche erst ab, alser beim besten Willen keinen Schluck mehrherunterbringen konnte.

»Das nenne ich den Durst eines echtenMannes«, brüllte Thaher. »Brüder undSchwestern …«

Während Thaher laut und überschweng-lich sprach, stürmte ein Teil seiner Mann-schaft, angeführt von Huzur Mistis, das zen-trale Wohnheim. Sie beschlagnahmten sämt-liche Schnapsvorräte und machten sich danndaran, die Flüssigkeit gleichmäßig unter alleGäste des Heimes aufzuteilen.

Die stählernen Schwingen von Orxh 21

Währenddessen redete Thaher ununter-brochen. Er führte alles auf, was man gegenden Gouverneur und seine Beamten vorbrin-gen konnte, und nach einer halben Stundelagen sich die Gäste und Thahers Trupp brü-derlich und betrunken in den Armen undschworen, gemeinsam gegen die Tyranneides Gouverneurs vorzugehen. Sobald er seinZiel erreicht hatte, sorgte Thaher dafür, daßdieser Schwur auch in die Wirklichkeit um-gesetzt wurde. Wenige Minuten spätermachte sich der mehr als verdoppelte Truppauf dem Marsch in die Stadt.

Bis zum Gouverneurspalast war eine be-trächtliche Strecke zurückzulegen. Zudemgab es an der Straße noch ein halbes Dut-zend weiterer Heime, deren Bewohner sichziemlich bald dem Protestzug anschlossen.Alles sah danach aus, als würde es in Ahjodeinen denkwürdigen Tag geben und wahr-scheinlich auch eine Nacht, die in die Anna-len Xoaixos eingehen würde.

*

»Sie haben mich also verstanden?« fragteNander Guntakal zurück.

»Ich habe verstanden, Erhabener!« bestä-tigte der Leiter der Funkstation. »Wenn diealten Leute kommen und nicht abzuwim-meln sind, lege ich den Hyperkomsenderlahm und lasse sie in der Galaxis herumfun-ken, solange es ihnen Spaß macht!«

»Wenn etwas schiefgeht …«, sagte Nan-der Guntakal und lächelte bedeutungsvoll.

»Es wird keine Pannen geben«, versprachder Funkoffizier selbstsicher. »Wir werdendoch noch mit ein paar alten Leuten fertigwerden!«

»Hoffentlich«, antwortete Guntakal reser-viert und unterbrach die Verbindung.

Der Gouverneur hatte sich einen Plan zu-rechtgelegt und seine Vorbereitungen getrof-fen. Die Pensionäre konnten kommen.

*

»Was wird Guntakal gegen uns unterneh-

men?« fragte Zihat Baluch leise. Thaherzuckte mit den Schultern.

Thaher hätte dafür gesorgt, daß die Be-wohner seines Heimes zwar einen stark an-getrunkenen Eindruck machten, aber sichsonst sehr zurückhielten, um nicht den ge-samten Plan in Gefahr zu bringen. Die Be-wohner der »stählernen Schwingen von Or-xh« sorgten still und unauffällig dafür, daßder Protestzug die Richtung nahm, die Tha-her vorbestimmt hatte.

Beim Erreichen des großen Platzes vordem Gouverneurspalast hatte der Zug eineKopfstärke von fast zehntausend Personenerreicht, und es wurden in jedem Augen-blick mehr. Von allen Seiten strömten Men-schen, junge und alte, auf den Platz undmischten sich unter die Protestierer. Derüberreichlich mitgeführte Alkohol sorgte da-für, daß die Stimmung erhalten blieb.

Was die meisten der Protestler bewegte,war eine Art Volksfeststimmung. Sie woll-ten den Gouverneur ein wenig ärgern undansonsten für einen möglichst turbulentenTag sorgen. Das gelang vollständig.

Als Nander Guntakal sich auf dem Balkondes obersten Stockwerks zeigte, wurde ermit Buh-Rufen empfangen, und der Gouver-neur zog sehr schnell den Kopf wieder zu-rück, obwohl er in dieser Höhe ungefährdetwar. Die Demonstranten bauten schnell einRednerpodium, das Thaher Gyat bestieg.

Aus den Augenwinkeln heraus sah Tha-her, wie sich Zihat Baluch mit einer Gruppevon Frauen und Männern entfernte. Thahergrinste zufrieden, dann griff er zum mitge-brachten Megaphon und begann zu spre-chen.

*

Das Publikum raste und tobte vor Vergnü-gen, aber Guma Tarthing wußte sehr wohl,daß es damit nicht sein Bewenden habenwürde. Er war immerhin einer von denen,die Thahers Plan kannten, und Guma Tar-thing war fest entschlossen, diesen Plan zuvereiteln.

22 Peter Terrid

Der Mann befand sich in einer Hochstim-mung, die er in seinem Leben noch nie ge-kannt hatte. Tarthing zweifelte nicht daran,daß der lebende Leichnam, den Thaher mit-gebracht hatte, tatsächlich der totgeglaubteImperator Gonozal VII. war. Thaher konntees niemals wagen, eine Imitation vorzu-schieben.

Irgendwann würde sich der schwerkrankeImperator einem Test unterziehen müssen,der einwandfrei beweisen konnte, ob derMann tatsächlich der alte Imperator waroder nicht. Einer solchen Prüfung konnteThaher unter keinen Umständen entgehen.Tarthing kannte Thaher viel zu gut, um nichtzu wissen, daß Thaher kein Mann war, derdas selbstmörderische Risiko eingegangenwäre, einen falschen Imperator zu präsentie-ren.

Ganz abgesehen davon wäre es absurd ge-wesen, den alten Imperator ausgerechnet aufXoaixo zu präsentieren. Es gab für einensolchen Auftritt andere Orte, an denen dieWirkung wesentlich stärker sein mußte. Eingroßer Flottenstützpunkt beispielsweise, aufdem sich der Imperator die Unterstützungstarker Militäreinheiten hätte verschaffenkönnen.

Guma Tarthing war sich sicher. Der Im-perator war echt, und er der unscheinbare,immer freundliche Guma Tarthing, der Ver-räter aus Berufung, war vom Schicksal dazubestimmt, die Karriere des wiederaufge-tauchten Imperators Gonozal VII. nach kür-zester Zeit wieder zu beenden.

Guma Tarthing überließ die Menge denaufrührerischen Reden von Thaher Gyat.Der Leiter der »stählernen Schwingen vonOrxh« hetzte die Pensionäre und Rentnerauf, den Gouverneurspalast zu stürmen. Al-lerdings flocht er in seine Rede so viele bos-hafte Witze ein, daß die allgemeine Stim-mung eher vergnügt als aggressiv wurde.Thaher hatte den Protestzug unter Kontrolle.Das war auch für Guma Tarthing sehr wich-tig.

Tarthing zog sich vorsichtig zurück. So-bald er außer Sichtweite war, begann er zu

rennen. Nach kurzer Zeit hatte er denDienstboteneingang des Regierungsgebäu-des erreicht. Guma Tarthing begann zu lä-cheln. Das Wichtigste hatte er geschafft.

*

Nander Guntakal blickte sorgenvoll aufdie Menschenmenge hinunter. Immer größerwurde die Zahl der Demonstranten. Gunta-kal konnte sehen, wie die Menschen aus denSeitenstraßen auf den Platz vor dem Palastströmten.

»Dieser Gyat macht noch den ganzen Pla-neten rebellisch«, murmelte Guntakal erbit-tert.

Immerhin zeichnete sich allmählich ab,daß der Protestmarsch sich langsam zumVolksfest entwickelte. Guntakal winkteeinen jungen Mann zu sich.

»Sorgen Sie dafür«, befahl der Gouver-neur, »daß möglichst unauffällig mehrSchnaps unter die Leute gebracht wird. Wirmüssen die Menge von ihren eigentlichenZielen ablenken. Und geben Sie dem Orche-ster meinen Befehl weiter. Die Männer sol-len, sobald ihnen die Gelegenheit günstig er-scheint, für Stimmung sorgen und die Ver-anstaltung umfunktionieren!«

Der junge Mann salutierte vorschriftsmä-ßig und verschwand dann sehr schnell. Ausdem Hintergrund löste sich eine Gestalt undging auf den Gouverneur zu.

Nander Guntakal sah dem Mann verwun-dert entgegen. Was wollte der Alte von ihm?

Guma Tarthing trat an Nander Guntakalheran und verbeugte sich.

»Erhabener«, begann der Mann. »FragenSie nicht zuviel, warten Sie, was ich zu sa-gen habe. Mein Name ist Guma Tarthing,ich bin Mitarbeiter der POGIM!«

Diese Eröffnung verschlug dem Gouver-neur die Sprache. Tarthing konnte sehen,wie nervös Guntakal wurde.

Nander Guntakals Gedanken überschlu-gen sich förmlich. Was wollte der Mann vonihm? Wußte er etwas, was besser niemanderfahren hatte? Wurde die Menschenmenge

Die stählernen Schwingen von Orxh 23

vor dem Palast Guntakal zum Verhängnis,hatte er versagt?

»Hören Sie auf zu zittern, Mann!«herrschte Tarthing den Gouverneur an; ergenoß es, dem mächtigen Gouverneur sol-ches sagen zu können. »Ich habe wichtigeInformationen. Was draußen vor der Tür ge-schieht, ist völlig unwichtig. Thaher hat denAufmarsch nur als Ablenkungsmanöver in-szeniert. Was wirklich zählt, ist der Mann,den Thaher vor wenigen Stunden gefundenhat. Gonozal VII. ist wieder aufgetaucht, esgibt keinen Zweifel!«

Nander Guntakal wurde käsig weiß imGesicht, auf seiner Stirn erschienen feineSchweißtropfen. Mit offenem Mund starrteer Tarthing an.

»Was sagen Sie da?« stammelte er.»Der alte Imperator ist wieder aufge-

taucht. Thaher will für ihn den Planeten inseine Gewalt bringen. Dazu braucht er vorallem die große Hyperfunkstation von Xoai-xo. Wenn er sie in seine Gewalt bringenkann, hat er vor dem Rest des Imperiumseinstweilen Ruhe und kann den ganzen Pla-neten zum Aufruhr bewegen. Verstehen Siemich, hier wird eine Revolution inszeniert,und noch haben wir Zeit, diesen Versuch imKeim zu ersticken. Aber es muß jetzt schnellgehandelt werden. Sobald Thaher die Funk-station erobert hat, wird er die Relaisketteunterbrechen. Dann kann Arkon nicht mehrinformiert werden.«

Guntakal schluckte und griff hinter sichnach einer Säule. Er hatte Mühe sich auf-recht zu halten.

Guma Tarthing bedachte den Gouverneurmit einem geringschätzigen Blick, dann fuhrer fort:

»Sie wissen so gut wie ich, daß es aufXoaixo von Anhängern Gonozals wimmelt.Wenn Thaher genügend Zeit bekommt, kanner den ganzen Planeten unter sich bringen.Wissen Sie, was das heißt? Xoaixo beher-bergt Mitglieder der größten und einfluß-reichsten Familien Arkons, zahllose Sip-penoberhäupter, ehemalige Flottenoffiziere,die auch jetzt noch Einfluß auf ihre früheren

Untergebenen haben. Hier wohnen genü-gend alte Gonozal-Admirale, um die halbeFlotte zur Desertation zu bewegen. Thaherkann hier einen Brand legen, den kein Ozeanvoll Blut mehr zu löschen vermag.«

Den letzten Satz hatte Tarthing in einemalten Schmöker gelesen und behalten, weiler sich so melodramatisch anhörte. Auchjetzt verfehlte er seine Wirkung nicht.

Langsam kam Guntakal wieder zu sich.»Folgen Sie mir!« bestimmte er und rann-

te zu seinem Büro. Mit fliegenden Fingernwählte er den Anschluß der Funkstation.

*

Zihat Baluch schwankte wie eine Nuß-schale bei Sturm, und seine Gefolgsleutemachten einen ähnlichen Eindruck. Die drei-köpfige Besatzung der Funkstation verbißsich mit Mühe ein Grinsen, als die Männerund Frauen herangetorkelt kamen.

»Hier darfst du nicht herein, Opa«, meinteder Wachoffizier und breitete die Arme aus.»Du könntest etwas kaputtmachen.«

Zihat Baluch blieb heftig schwankend ste-hen.

»Aus dem Weg, ihr beiden!« lallte er.»Wir haben eine wichtige Nachricht für dieganze Galaxis. Wir werden Thaher Gyatzum unabhängigen Großkaiser von Xoaixoernennen und ausrufen. Wir werden Orbana-schol auffordern, unserem neuen Großkaiserzu huldigen, andernfalls hetzen wir die dili,deri … delirösen Bestien auf ihn.«

Der Wachoffizier behielt die Nerven undunterdrückte den Lachreiz; dabei half ihmder Geruch, der ihm aus Zihat BaluchsMund entgegenschlug.

»Das könnt ihr auch morgen erledigen«,meinte er.

»Sie sind widerlich!« stellte Baluch fest.»Und Sie betrunken«, gab der Offizier

trocken zurück.»Aber ich bin morgen wieder nüchtern«,

meinte Baluch grinsend, »wohingegen Sie…!«

Die beiden anderen Männer in der Funk-

24 Peter Terrid

station verstanden den bösen Scherz auchohne die letzten Worte, die Baluch nichtüber die Lippen kommen zu wollen schie-nen. Sie begannen laut zu lachen, und derOffizier drehte sich entrüstet zu ihnen um.

Diesen Augenblick nutzte eine Frau undwarf sich dem Mann an den Hals.

Der Offizier hatte gewißlich nichts dage-gen, geküßt zu werden, aber nicht von einerFrau, die seine Urgroßmutter sein konnteund obendrein ekelhaft nach billigemSchnaps stank. Der junge Mann versuchtedie Frau abzuschütteln und wich dabei un-willkürlich einige Schritte zurück.

Bevor sich der Mann der lästigen Frau er-wehrt hatte, hatte Zihat Baluch den Raumbetreten. Mit einer schnellen Bewegungzückte er seine Waffe und richtete sie aufden Kopf des jungen Offiziers.

»Dies ist kein Spaß, Freunde!« sagte erfreundlich und bewegte auffordernd denBlaster. »Nehmt die Hände hoch und stellteuch an die Wand. Ich werde nicht zögern,wenn einer eine falsche Bewegung macht!«

Auch die anderen Männer und Frauen hat-ten ihre Waffen gezogen und hielten sie aufdie Funker gerichtet.

»He, was soll das?« fragte einer der Män-ner verblüfft. Er wollte aufstehen, aber eineMündung wurde ihm gegen die Brust ge-drückt. Entgeistert starrte der Mann in dasGesicht der alten Frau, die nicht den Ein-druck machte, als wisse sie nicht, wie mandie Waffe zu betätigen habe. »Seid ihrwahnsinnig geworden?«

Die Funker wurden an die Wand gedrängtund entwaffnet. Kurze Zeit später summteder Interkom. Zihat Baluch stellte die Ver-bindung her und grinste den Gouverneurfröhlich an. Er wußte, daß die Gefangenenvon der Kamera nicht erfaßt wurden.

Zihat wollte seine Rolle als Säufer weiter-spielen, wurde aber daran gehindert. HinterNander Guntakal tauchte für einen kurzenAugenblick ein Gesicht auf, das Zihat Ba-luch merkwürdig bekannt erschien, dannwurde der Bildschirm schwarz, noch bevoreiner der Männer ein Wort gesagt hatte.

Zihat Baluch sah sich ratlos um, dannzuckte er mit den Schultern.

»Weiter, Leute!« kommandierte er. »Wirmüssen die anderen Wachen überwältigen!«

Der Kampf dauerte nur wenige Minuten,dann war der Regierungssitz des Gouver-neurs fest in der Hand der Rebellen. DieSoldaten vor dem Waffenmagazin, das auchschwere und schwerste Waffen enthielt,wurden ähnlich schnell und wirkungsvollvon den Männern und Frauen überwältigt.Nach dieser Aktion besaß der Gouverneurfaktisch keine Macht mehr. Seine Soldatenwaren ausgeschaltet, Waffenlager und Funk-station fest in der Hand der Rebellen. Nan-der Guntakal hatte keine Möglichkeit mehr,nach Arkon zu berichten, daß der totge-glaubte Imperator Gonozal VII. wieder auf-getaucht war und sich anschickte sein Impe-rium zurückzuerobern.

4.

Guma Tarthing hatte nur einen Bruchteileiner Sekunde gebraucht, um festzustellen,daß die Funkstation des Gouverneurspalastsverloren war. Tarthing kannte Zihat Baluchund wußte, daß dieser Mann schnell undumsichtig zu handeln pflegte. Vermutlichwaren auch schon sämtliche Waffenlagervon Ahjod in der Hand der Rebellen.

Nander Guntakal saß bleich und niederge-schlagen in seinem Sessel und wischte sichin kurzen Abständen den Schweiß von derStirn. Da es in dem Raum angenehm kühlwar, konnte es sich nur um Angstschweißhandeln, überlegte Guma Tarthing.

Ihn widerte der Gouverneur an. NanderGuntakals Körper zeigte deutlich Spurenseines Lebenswandels. Der Körper war zwarnoch leidlich schlank, aber von zahlreichenGelagen aufgeschwemmt; das Gesicht zeigteerschlaffte Züge, die kleinen Augen blinzel-ten nervös.

Guma Tarthing wußte, daß ihnen nur we-nig Zeit blieb, wollten sie noch eine kleineChance haben, den Gang der Dinge aufzu-halten oder wenigstens zu ändern.

Die stählernen Schwingen von Orxh 25

»Gibt es noch eine Großfunkstation aufXoaixo?« wollte Tarthing wissen.

Nander Guntakal nickte.»Es gibt noch eine geheime Station in den

Sümpfen«, berichtete er zögernd. »Dortsteht auch noch ein überlichtschnellesSchiff, mit dem man Arkon erreichen kann.Die Männer, die dort arbeiten, sind unmittel-bar meinem Befehl unterstellt. Sie dürfensich nicht rühren, wenn ich es ihnen nichtausdrücklich befehle oder offiziell als tot er-klärt worden bin. Dann unterstehen sie demneuen Gouverneur.«

»Und wenn für die Männer klar zu erken-nen ist, daß eine Revolution den Tod des al-ten Gouverneurs herbeigeführt hat?« fragteGuma Tarthing.

»In diesem Fall sind sie ermächtigt, nacheigenem Ermessen zu handeln«, erklärteGuntakal.

Guma Tarthing grinste bösartig.»Das heißt«, überlegte er laut, »wenn ich

Sie jetzt erschieße, sind die Männer berech-tigt, Arkon um Hilfe zu bitten!«

Nander Guntakal wurde noch bleicher, alser ohnehin schon war.

»Hören Sie …!« stammelte er und starrteängstlich auf die Waffe in Guma TarthingsHand. »Sie werden doch nicht …!«

Guma Tarthing überlegte kurz.Er dachte nicht über Moral oder derglei-

chen nach, sondern rechnete sich die Zu-kunft aus. Wenn er jetzt Guntakal erschoß,würde die Geheimstation zu funken begin-nen. Es würde nur einen halben Tag dauern,bis das erste Flottenaufgebot über Xoaixoerschien, um dem Gonozal-Spuk ein Endezu bereiten. Den Mord an Nander Guntakalwürde man Guma Tarthing schwerlich an-rechnen.

Auf der anderen Seite hatte Guntakal aufArkon einige einflußreiche Verwandte, dieGuma Tarthing an die Kehle fahren konnten.

Tarthing entschloß sich, Guntakal einst-weilen ungeschoren zu lassen. Vielleichtkonnte der Gouverneur noch einmal nützlichsein.

»Stehen Sie auf!« herrschte Tarthing den

Mann an. »Wir müssen hier verschwinden,bevor Thahers Leute uns einfangen kön-nen!«

»Es gibt einen versteckten Ausgang«, be-richtete Guntakal. Er war sichtlich erleich-tert, als Tarthing die Waffe zurücksteckte.»Nur ich kenne den Kode, der die Tür öff-net.«

Nander Guntakal warf einen scheelenBlick auf Tarthing und ergänzte:

»Auf dem Weg zu der Station gibt esnoch etliche Fallen, die ebenfalls nur ichkenne und desaktivieren kann!«

Guma Tarthing verzog keine Miene, aberer war mit sich zufrieden. Deutlicher hätteGuntakal seine Angst vor ihm und seinerWaffe kaum ausdrücken können.

»Beeilen Sie sich«, sagte er ruhig.»Thahers Leute können in jedem Augen-blick hier auftauchen!«

»Helfen Sie mir!« bat Nander Guntakal.Zusammen stemmten sich die Männer ge-

gen den schweren Schreibtisch, der langsamzur Seite rückte. Eine Öffnung wurde sicht-bar, ein Licht flammte auf.

»Ein Antigravschacht!« erklärte Guntakal,den diese geringe Anstrengung bereitsschwitzen ließ. »Der Tisch schiebt sich spä-ter automatisch wieder über die Öffnung!«

Draußen auf den Gängen wurde Lärmhörbar; offenbar rückten die Männer umThaher Gyat dem Gouverneur auf den Pelz.

»Schnell!« flüsterte Guma Tarthing undstieß Nander Guntakal vorwärts. »Gyatkommt!«

Nander Guntakal wurde wieder einmalblaß, dann sprang er beherzt in das Loch,das gerade groß genug war, um ihn durchzu-lassen. Guma Tarthing folgte Sekunden spä-ter. Er blickte nach oben, während das Anti-gravfeld ihn langsam sinken ließ. Zufriedennickte der Mann, als er sah, wie der schwereSchreibtisch in seine alte Stellung zurückg-litt. Dann hörte er ein Krachen. Offenbarwaren Thahers Männer gewaltsam in dasBüro des Gouverneurs eingedrungen.

*

26 Peter Terrid

Zihat Baluch stieß einen Fluch aus.Der Amtssitz des Gouverneurs war leer,

der Vogel offenkundig in letzter Sekundeausgeflogen.

Die Männer und Frauen hatten den Palastsystematisch durchgekämmt, aber keineSpur von Nander Guntakal finden können.Mehr noch als das Verschwinden des Gou-verneurs ärgerte sich Baluch über den Verratdes Mannes, den er endlich hatte identifizie-ren können. Erst jetzt war ihm eingefallen,wer die Verbindung zwischen der Funkstati-on und dem Büro des Gouverneurs soschnell unterbrochen hatte.

Zihat Baluch wußte nicht genau, was ervon Guma Tarthing halten sollte, aber er warsich sicher, daß er von dem Mann nichts Gu-tes zu erwarten hatte. Offenbar war GumaTarthing ein eingefleischter Anhänger Orba-naschols, der alles daran setzte, seinen Herrnund Gebieter rechtzeitig über die neue Ge-fahr ins Bild zu setzen.

»Habt ihr Erfolg gehabt?« wollte ThaherGyat wissen.

Er hatte die tobende Menschenmenge sichselbst und ihren Vergnügungen überlassen.Fürs erste stand nichts zu befürchten. Thaherhatte Zeit genug, den alten – und hoffentlichauch neuen – Imperator der Menge vorzu-stellen.

Baluch schüttelte verbittert den Kopf.»Nander Guntakal ist uns entwischt«, be-

richtete er grimmig. »Und dies, wie ich ver-mute, hauptsächlich, weil sich ein Bewohnerdeines Heimes auf die andere Seite geschla-gen hat.«

Er erzählte kurz, was er gesehen hatte.Thaher Gyat ballte die Fäuste.

»Auf normalem Wege konnte Guntakaldas Haus nicht verlassen«, stellte Thaherfest. »Also gibt es einen Schleichweg. Undwer für sich einen versteckten Ausgangbaut, hat mit Sicherheit auch noch andereHeimlichkeiten. Wir werden aufpassen müs-sen, damit Nander Guntakal unsere Plänenicht durchkreuzt.«

»Die Geheimstation in den Sümpfen!«mutmaßte Zihat Baluch. »Vielleicht ver-

sucht er, sich dorthin durchzuschlagen.«»Wir werden ihn rechtzeitig abfangen«,

versprach Thaher Gyat. »Aber zuvor werdenwir etwas anderes zu tun haben. Auf in dieFunkstation!«

*

»Von Hyperfunk keine Spur«, meldete Je-dim Kalore. »Dafür haben die Burschen aberden großen Telekomsender aufgedreht, daßihnen bald die Röhren um die Ohren fliegenwerden.«

Eigurd Terbakh, wie Kalore stellvertre-tender Kommandant der CRYSALGIRA,sah seinen Kollegen verweisend an. Für sei-nen Geschmack war Kalores Meldung reich-lich burschikos und wenig nach Dienstvor-schrift ausgefallen. Die beiden Männer bil-deten ein seltsames Gespann, das seine nichtminder merkwürdige Ergänzung in demschweigsamen Kommandanten Kejt Argalthfand, der hinter den Kontrollen saß und sichauf seine Arbeit konzentrierte.

Im Hintergrund lief ein Bildschirm. Erzeigte die gleichen Bilder, die von der plane-taren Station ausgestrahlt wurden; sie warenauf ganz Xoaixo zu empfangen. Auch dieAntennen der CRYSALGIRA hatten die Im-pulse aufnehmen und verstärken können.

Dieser Thaher Gyat imponierte mir. Ganzoffenkundig hatte er die Leitung der Aktionan sich gerissen, und er verwendete seineAutorität so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Man hatte ein Podium aufgebaut, und dar-auf stand neben dem hageren Thaher Gyatmein Vater und blickte teilnahmslos vor sichhin. Es tat weh, den Mann anzusehen, dereinmal das Große Imperium der Arkonidenklug und umsichtig regiert hatte.

Die Erklärung für den Gesundheitszu-stand meines Vaters hatte sich Gyat natür-lich aus den Fingern saugen müssen, aberseine Darlegungen klangen außerordentlicheindrucksvoll und wirklichkeitsnah.

»Der Bursche hat Phantasie«, murmelteFartuloon neben mir. »Diese Legende ist sogut, daß wir vielleicht bei Gelegenheit dar-

Die stählernen Schwingen von Orxh 27

auf zurückgreifen sollten!«Ich achtete weniger auf das, was Thaher

Gyat sagte. Ich konzentrierte meine Auf-merksamkeit auf seine Zuschauer und Zuhö-rer, die immer wieder ins Bild gebracht wur-den.

Die Reaktion, die das Auftreten meinesVaters hervorrief, war unbeschreiblich. Viel-leicht lag es daran, daß viele der Pensionäremeinen Vater noch persönlich gekannt hat-ten. In jedem Fall war sein Erscheinen nurtriumphal zu nennen.

»Mit einem solchen Erfolg hätte ich nichtzu rechnen gewagt«, gestand Fartuloon ein.»Es ist nicht zu glauben, wie begeistert Go-nozal VII. aufgenommen wird. Ich fragemich, wie die Hauptwelten auf ihn reagierenwerden.«

Sprach da der nüchterne Wissenschaftler,der zufrieden den Erfolg eines riskanten Ex-perimentes betrachtete? Ich sah Fartuloonvon der Seite an, aber der Bauchaufschnei-der zeigte keine Zeichen von Bewegung. Erwar ruhig und konzentriert, schien völlig un-beeindruckt. Erst als er sich zu mir umdreh-te, sah ich den Glanz in seinen Augen.

»Wir haben es geschafft«, sagte er stolz.»Zumindest den ersten Schritt!«

Ich betrachtete den Bildschirm. WelchenFortgang würden die Ereignisse nehmen?

*

Am Ende des Antigravschachts, der durcheine der tragenden Säulen des Palasts führteund bis tief in den Untergrund reichte, nahmein großer Raum die beiden Flüchtendenauf. Guma Tarthing nickte anerkennend, alser das Arsenal an Ausrüstungsgegenständensah.

»Das alles hat noch mein Vorgänger ge-baut und eingerichtet«, erklärte Nander Gun-takal.

Guma Tarthing war zur gleichen Überle-gung gekommen. Die Anlage des Raumesund der Ausrüstung bewies wesentlich mehrUmsicht und Vorsorge, als sie Nander Gun-takal zuzutrauen waren. Es waren mehrere

flugfähige Kampfanzüge vorhanden, aberdie beiden Männer verzichteten darauf. Eswar abzusehen, daß man nach ihnen suchenwürde, und die Streustrahlung eines Anzug-aggregats war relativ leicht anzumessen. Diebeiden Männer versorgten sich mit Waffen.Guma Tarthing konnte beobachten, daß sichGuntakals Selbstvertrauen sichtlich steiger-te, als er einen Strahler zu fassen bekam.

Ergänzt wurde die Ausrüstung durch Le-bensmittelkonzentrate, Wasser und Ver-bandsmaterial. Guntakal verzog das Gesicht,als er sah, wie Tarthing den Verbandskastenin seinem Rucksack verstaute. An die Mög-lichkeit, daß er verletzt werden könnte, hatteder Gouverneur nicht gedacht.

»Wo geht es hinaus?« wollte Tarthingwissen.

»Ich weiß es nicht«, gestand der Gouver-neur verlegen. »Ich habe diesen Teil des Pa-lasts noch nie betreten. Ich weiß nur, daß eseinen Ausgang gibt, mehr nicht.«

Guma Tarthing schloß die Augen und hol-te tief Luft. Wenn schon zu Beginn des Mar-sches solche Schwierigkeiten auftauchten,stand den beiden Männern allerhand bevor.

»Ich gehe voran«, entschied Guma Jar-thing. Er war sich klar darüber, daß er dieFührung übernehmen mußte, denn der Gou-verneur war zweifelsohne dazu nicht in derLage. Jarthing fragte sich, wie dieser Mannüberhaupt an diesen Posten gekommen war.

Der Gang stieg sanft an, und Guma Tar-thing schätzte, daß er mindestens zwei bisdrei Kilometer lang war. Diese Länge botGewähr dafür, daß man beim Verlassen desGanges nicht sofort Thaher Gyats Männernin die Hände lief. Vermutlich wurde ganzAhjod bereits jetzt nach dem Gouverneurund ihm abgesucht.

»Öffnen Sie das Schott!« befahl Tarthing,als das Ende des Ganges erreicht war.

Nander Guntakal beeilte sich, dem BefehlFolge zu leisten. Er schien sich damit abge-funden zu haben, daß man nun ihm Befehlegab. Gehorsam trat er vor und legte die fla-che Hand auf die vorgezeichnete Stelle desSchlosses. Eine Kleinpositronik verglich

28 Peter Terrid

sein Handlinienmuster mit den eingespei-cherten Werten, dann klickte es vernehm-lich. Leise schwang der schwere Stahlkörperdes Schottes zur Seite. Tageslicht fiel in denGang und blendete die Männer. Einen Au-genblick lang standen sie still, wartetenängstlich darauf, daß jemand sie ansprachund aufforderte, die Hände hochzunehmenund die Waffen abzulegen. Nichts geschah.

»Sie wissen noch nicht, wo wir stecken«,murmelte Tarthing zufrieden. »Wo genauliegt nun diese Station?«

Nander Guntakal deutete die Himmels-richtung an.

»Neben dem Ausgang ist noch eine Gara-ge«, erklärte er eifrig. »Ein leistungsfähigerGleiter steht darin. Damit sind wir in kurzerZeit am Ziel.«

Guma Tarthing schüttelte den Kopf.»Es würde nur wenige Augenblicke dau-

ern«, widersprach er, »dann hätten unsGyats Männer angepeilt und aufgestöbert.Wir werden zu Fuß gehen!«

Nander Guntakal stöhnte unterdrückt auf.Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann erletztmalig größere Strecken auf den eigenenFüßen zurückgelegt hatte. Es mußten Jahr-zehnte seither verstrichen sein.

»Muß das sein?«»Es muß«, gab Tarthing trocken zurück.

»Wollen Sie lieber zurückbleiben und sichvon Gyats Leuten gefangennehmen lassen?«

Nander Guntakal wog die Vor- und Nach-teile dieser Aussicht gegeneinander ab undseufzte dann kläglich.

»Ich folge Ihnen«, sagte er widerwillig.Folgsam trottete er hinter dem Mann her,

dessen Gesicht noch immer ein freundliches,unverbindliches Lächeln zeigte.

*

Thaher Gyat war ziemlich müde. Es warspät am Abend, die Sonne war längst unter-gegangen. Er hatte es sich mit seinem klei-nen Führungsstab in Nander GuntakalsWohnräumen bequem gemacht. Nebenanlag der Imperator in seinem Bett und schlief,

von zwei zuverlässigen Männern bewacht.Wenige Stunden zuvor hatte Thaher die

Geliebte des Gouverneurs, eine hübsche,aber nicht sehr intelligente Zaliterin, nachHause geschickt. Das Mädchen hatte sich ineinem Schrank versteckt und allen Ernstesbefürchtet, von den Rebellen getötet zu wer-den.

»Guntakal ist verschwunden, und dieserGuma Tarthing ist ebenfalls nicht aufzufin-den. Sind alle Fahrzeuge, die Ahjod verlas-sen wollten, genau kontrolliert worden?«

Thahers Frage wurde von Zihat Baluchbeantwortet.

»Wir haben alles kontrolliert, was zu kon-trollieren war. Guntakal kann Ahjod nichtverlassen haben.«

»Es sei denn, er ist zu Fuß gegangen.«»Guntakal?« fragte Baluch Ungläubig.

»Ausgeschlossen. Der geht keinen Schrittmehr, als unbedingt nötig ist.«

»Mit einer Waffe im Rücken wird auch ermarschierfreudig. Ich weiß nicht, was ichvon Tarthing halten soll. Er hat uns ge-täuscht, das ist erwiesen. Fraglich ist, wieweit er uns über seine wahren Absichten imunklaren gelassen hat.«

»Der Mann lebte seit Jahren im Heim«,gab Baluch zu bedenken. »Er hat aber keineSekunde gezögert und sich sofort auf dieSeite der Orbanascholfreunde geschlagen.Das heißt, daß er ein ziemlich guter Schau-spieler ist. Ich halte den Mann für außeror-dentlich gefährlich, zehnmal gefährlicher alsGuntakal.«

»Wohin wird er sich wenden?« überlegteThaher laut. »Ich nehme an, daß er versu-chen wird, sich zu der Geheimstation durch-zuschlagen und von dort aus Arkon zu alar-mieren, noch bevor die Verhältnisse aufXoaixo so stabil sind, daß wir es wagen kön-nen, den Imperator auf einer der großenWelten vorzustellen. Das Problem ist einereine Zeitfrage – wer wird schneller sein?«

»Wir!« behauptete Baluch. »Ich schlagevor, daß wir Patrouillen aussenden, die dasSumpfgebiet pausenlos überwachen. SobaldGuntakal und Tarthing dort ankommen, wer-

Die stählernen Schwingen von Orxh 29

den sie festgesetzt.«»Warum erst dann?« wollte Galacca Ki-

dal wissen.Thaher grinste Baluch an.»Ich stellte fest, daß Zihat mir immer ähn-

licher wird. Wir werden deshalb warten, da-mit, wenn wir die beiden auflesen, sie amEnde ihrer Kräfte sind. So kurz vor dem Zielnoch geschnappt zu werden, wird ihre Moralbrechen. Vermutlich werden sie Tage brau-chen, bis sie auch nur den Rand des Sump-fes erreicht haben werden, Sie werden Hun-ger haben, verdreckt sein, müde und ausge-laugt. Um so williger werden sie dann unse-re Fragen beantworten. Die Station selbstwerden wir unbehelligt lassen. Vielleichtwohnen dort überhaupt keine Menschen,und wir würden nur einen Großalarm auslö-sen, wenn wir unbefugt dort eindringen. Werwill den Patrouillendienst übernehmen undorganisieren?«

Huzur Mistis und Galacca Kidal hobenfast gleichzeitig die Hände.

»Einverstanden. Ich wünsche euch guteJagd!«

*

»Ich kann nicht mehr!«Nander Guntakal hatte diesen Satz schon

fast einhundertmal ausgesprochen, und dieAntwort war stets gleich gewesen. GumaTarthing hob den Blaster, richtete die Mün-dung auf den Kopf des Gouverneurs und sahihn fragend an.

Diesmal half die stumme Drohung nicht.Nander Guntakal knickte in den Knien einund ließ sich auf den weichen Boden fallen.Er rang nach Luft, seine Kleidung war vonSchweiß durchtränkt. Hände und Unterarmewaren von Dornen und Insekten zerstochenund leicht angeschwollen. An seine Füßewagte der Gouverneur gar nicht erst zu den-ken. Nach seinem Gefühl ging er bereits aufden blanken Knochen.

Guma Tarthing hatte den gleichen Wegzurücklegen müssen, und innerlich fühlte ersich Thaher Gyat zu Dank verpflichtet. Oh-

ne das harte Training im Heim der»stählernen Schwingen von Orxh« hätte erden anstrengenden Marsch kaum so gutüberstanden. Wahrscheinlich hätte er einähnliches Bild des Jammers geboten wieNander Guntakal, der sich mühsam von demschweren Rucksack befreite und zur Was-serflasche griff. Guma Tarthing hatte zufäl-lig einen Blick auf die Hausbar des Gouver-neurs werfen können; es war erstaunlich,wie schnell sich die Geschmäcker wandelnkonnten – Guntakal saugte an der Flasche,als enthalte sie feinsten Vurguzz.

»Einverstanden, eine Stunde Rast!«Nander Guntakal stöhnte erleichtert auf.Seit zwei Tagen marschierten die Männer

durch die unberührte Landschaft rings umAhjod. Sie hatten einen weiten Bogen ge-schlagen, um nicht Patrouillen in die Händezu fallen, die Thaher Gyat mit Sicherheit aufdie beiden Flüchtlinge angesetzt hatte. Sorg-fältig vermieden die Männer jeden Kontaktzu anderen Menschen.

Guma Tarthing hatte einen kleinen Tele-kom mitgeschleppt, und er hatte die Nach-richten sorgfältig abgehört. Er wußte, daß esnur wenige Bewohner Xoaixos gab, die jetztnoch bereit gewesen wären, ihnen zu helfen.Die Mehrheit der Bevölkerung stand eindeu-tig hinter dem alten Imperator. Auf Xoaixohatte Orbanaschol ausgespielt, fürs erste je-denfalls. Guma Tarthing war fest entschlos-sen, diesen Zustand zu ändern.

Vielleicht …Nander Guntakal ächzte und stöhnte. Es

wurde Zeit, diesen Mann durch einen besse-ren Gouverneur zu ersetzen. Warum solltedieser neue Mann nicht Guma Tarthing hei-ßen?

Noch waren beide Männer weit von ihremZiel entfernt. Nach Guma Tarthings Schät-zung würden sie noch mindestens einen Tagbrauchen, bevor sie den Rand des Sumpfge-biets erreichten, in dem die geheime Stationdes Gouverneurs lag. Allerdings war Tar-thing klar, daß diese Station kaum mehr alsgeheim zu bezeichnen war. Schließlich hatteThaher noch im Heim deutlich seine Vermu-

30 Peter Terrid

tung ausgesprochen, daß der Imperator ausdieser Station entkommen war. Thaher Gyatwußte also, daß es eine solche Anlage gab,und er würde seine Vorsichtsmaßnahmentreffen. Es würde sicherlich schwierig wer-den, seinen Männern zu entwischen, aberGuma Tarthing war zuversichtlich, daß ihmdies gelingen würde. Er hatte schon ganz an-dere Männer als Thaher Gyat überlistet.

»Seien Sie still! Wollen Sie, daß GyatsMänner uns hören?«

Nander Guntakal schluckte die Zurecht-weisung widerspruchslos und stellte seinWehklagen ein. Lustlos kaute er auf denKonzentratwürfeln herum, die es anstelle ei-nes normalen Mittagessens gab. Guma Tar-thing hatte sich bereits an diese Verpflegunggewöhnt. Nander Guntakal hingegen war niein die Verlegenheit gekommen, Konzentrateessen zu müssen. Seine Familie hatte Bezie-hungen gehabt, so daß er gleich im Offi-ziersrang in die Flotte eintreten konnte. Undin den Offiziersmessen der Arkon-Flottewurde selbstverständlich frische Kost ser-viert.

Guma Tarthing sah auf die Uhr.»Weiter!«Der Weg war schwierig. Langsam wurde

das Gelände weicher, dann morastig. Eswurde strapaziös, den Fuß bei jedem Schritterst aus dem Schlamm ziehen zu müssen,ihn nach vorne zu bewegen, wo er dann wie-der bis an die Knöchel in dem Morast ein-sank. Nander Guntakal schnaufte und ächz-te, als gelte es sein Leben, und auch GumaTarthings Atem ging schwerer.

Während des Marsches überlegte Tar-thing, wo man ihnen wohl auflauern würde.Thaher Gyat hatte mit Sicherheit Wachenaufgestellt, vielleicht hatte er sogar einenSturmangriff auf die Station versucht. Indiesem Fall quälten sich die beiden Männerohne Sinn und Zweck durch die Wildnis.

Thaher Gyats Charakter war Guma Tar-thing ziemlich gut bekannt, und so rechnetesich Tarthing aus, daß man versuchen wür-de, ihn: kurz vor dem Ziel abzufangen. Jenäher er der Station kam, desto mehr mußte

er folglich aufpassen.Stunden vergingen, in denen die beiden

Männer verbissen mit den Unbilden der Na-tur zu kämpfen hatten. Guma Tarthing sahein, daß er Nander Guntakal nicht mehr lan-ge würde antreiben können. Langsam warder Mann tatsächlich am Ende seiner Kräfteangelangt. Auch Guma Tarthing fühlte sichnicht wesentlich besser. Der Altersunter-schied zwischen dem noch relativ jungenGouverneur und dem wesentlich älteren Tar-thing begann sich bemerkbar zu machen.

Die Dämmerung senkte sich über diesenTeil des Planeten, als der eigentliche Sumpfvon den beiden Männern erreicht wurde.Jetzt mußte die Wachsamkeit verdoppeltwerden, wollte man nicht gefangengenom-men werden.

»Ganz leise«, flüsterte Guma Tarthing,und der Gouverneur nickte. Zum zweitenoder dritten Mal hatte Nander Guntakal be-reits den toten Punkt hinter sich gebracht,vorwärtsgetrieben von Guma Tarthings, ent-sichertem Strahler. Der Mann bewegte sichwie in Trance, setzte fast mechanisch einBein vor das andere.

Die Landschaft war ziemlich eben, wieTarthing erbittert feststellte. In dem spärli-chen Bewuchs waren Menschen vergleichs-weise leicht zu entdecken.

Langsam schlichen die beiden Männervorwärts.

*

»Glauben Sie allen Ernstes, daß die bei-den ausgerechnet in unserem Gebiet versu-chen werden, sich durchzuschlängeln?«

Huzur Mistis zuckte mit den Schultern.»Irgendwo werden sie es versuchen«,

stellte er fest. »Warum nicht hier? JederPunkt des Überwachungskreises ist gleicher-maßen wahrscheinlich!«

Der Gleiter schwebte mit geringer Fahrtüber den Sümpfen. Der Wind strich über dieFläche, kräuselte die Wasseroberfläche, wosie zutage trat, niedrige Gräser beugten sich.Hier durchzukommen erschien nahezu un-

Die stählernen Schwingen von Orxh 31

möglich.Huzur Mistis fühlte sich prachtvoll. Er

hatte sich bei der Eroberung Ahjods ausge-zeichnet, und er wußte auch, wie bedeutsamder Auftrag war, der ihm nun übertragenworden war. Wenn es Nander Guntakal oderdem Verräter Tarthing gelang, die Station zuerreichen, die im Sumpfgebiet vermutetwurde, bestand höchste Gefahr für das Un-ternehmen Imperator. Huzur Mistis war festentschlossen, es dazu nicht kommen zu las-sen.

Bei ihm im Gleiter war die zierliche Ga-lacca Kidal, die sich trotz ihres unleugbarhohen Alters schnell und sicher bewegte.

Daß die Frau zudem meisterlich mit ihrerkunstvoll ziselierten Waffe umzugehen wuß-te, hatte Mistis erst bemerkt, als sie sich ih-ren Weg durch eine Kolonie bösartiger Han-turs hatten freischießen müssen. Diese Na-getiere konnten in größerer Zahl auch Men-schen gefährlich werden, aber mit vereintenKräften hatten die Frau und der Mann denAngriff zurückgeschlagen.

»Was halten Sie davon – sollen wir versu-chen, die Lage der Station auszukundschaf-ten?«

Huzur Mistis wiegte den Kopf.»Thaher hat uns verboten, die Anlage zu

betreten. Man kann nie wissen, wie die Be-wohner darauf reagieren werden.«

»Von Betreten war nicht die Rede. Ichwill nur herausfinden, wo genau diese rätsel-hafte Station zu finden ist. Mehr habe ichnicht vor.«

»Und der Bezirk, den wir bewachen sol-len?«

»Wir verkürzen nur die innere Linie.Wenn wir von unserem Erkundungsflug zu-rückkehren, werden wir entweder nichts se-hen, oder aber sofort auf die beiden Flücht-linge stoßen. Einverstanden?«

Huzur Mistis lächelte und gab sich damitgeschlagen. Galacca nahm hinter dem SteuerPlatz und lenkte das Fahrzeug zum Mittel-punkt des Kreises, der von den Patrouillenabgeflogen wurde. Sie ließ den Gleiter ganztief über den morastigen Boden schweben,

um so spät wie möglich geortet werden zukönnen. Es rauschte leise, als der Gleitersich durch das Schilf schob. Hinter demFahrzeug richteten sich die schlanken Halmesofort wieder auf. Keine Spur zeigte, daßsich noch vor wenigen Augenblicken einProdukt einer höchstentwickelten Technikdurch die unberührte Natur bewegt hatte.

Galacca flog sehr langsam, hatte aber dieHand ständig am Beschleunigungshebel, umjederzeit die Flucht antreten zu können, fallses nötig werden sollte.

Berücksichtigte man das Alter der Frau,dann waren ihre Reflexe hervorragend. Ab-solut betrachtet, reagierte sie aber einen Se-kundenbruchteil zu langsam. Sie sah nochdas metallische Blitzen, dann schlug derTreffer aus der ferngesteuerten Paralysator-kanone bei den beiden Menschen ein. Galac-ca Kidal stieß in der letzten kontrolliertenBewegung den Beschleunigungshebel nachvorne, dann sank sie zur Seite. Das Steuerbewegte sich, der Gleiter beschleunigte undraste mit neuem Kurs davon.

Huzur Mistis spürte nur den Schock desParalysators, dann kippte auch er zur Seite.Er landete auf dem Rücken und blickte nachoben, wo allmählich die Sterne zu sehen wa-ren.

Huzur Mistis hörte das tiefe Brummen desmit voller Kraft arbeitenden Gleitermotors,das Brausen des Fahrtwinds, das Geräuschdes vorbeizischenden Schilfs, ab und zu dasleise Plätschern von Wasser.

Huzur Mistis versuchte sich zu konzen-trieren.

Er berechnete den ungefähren Kurs, dievoraussichtliche Dauer seiner Paralyse, dieTreibstoffvorräte des Gleiters. Dann ver-suchte er, sich an den Wetterbericht für dienächsten vierundzwanzig Stunden zu erin-nern.

Das Ergebnis seiner Berechnungen warniederschmetternd.

Der Gleiter würde stundenlang weiterra-sen, die Küste hinter sich lassen und weithinaus auf die offene See fliegen. Immerhin,die Treibstoffvorräte würden etliche Stunden

32 Peter Terrid

länger ausreichen, als die Betäubung andau-ern konnte.

Huzur Mistis hätte gerne noch einen Blickauf die zierliche, tapfere Frau an seiner Seitegeworfen. Er wußte, daß er sie nicht wieder-sehen würde.

Es war Sturmwarnung gegeben worden.

5.

Guma Tarthing sah den Gleiter davonra-sen. Er wußte, daß dies die Chance für ihnund Nander Guntakal war, auf die er gehoffthatte. Eine zweite ähnlich gute Gelegenheitwürde es nicht mehr geben.

»Los, laufen Sie, Guntakal. Laufen Sie soschnell Sie können, bevor ein anderer Glei-ter hier auftaucht!«

Tarthing wartete nicht auf Guntakals Re-aktion, sondern setzte sich in Bewegung. Eswar schwer und anstrengend, auf dem sump-figen Boden zu laufen, aber der Wille warstark genug, um die Muskeln anzutreiben.Hinter sich hörte Tarthing das Keuchen undSchnaufen des Gouverneurs, der sich an-strengte, um nicht abzufallen.

»Langsam!« rief Guntakal. »Hier steckteine Falle für Uneingeweihte, die erst desak-tiviert werden muß! Ich habe den Kode-schlüssel!«

Zum ersten Mal während des Marscheswartete Guma Tarthing auf Guntakal, unddies nicht nur, weil er den Kodeschlüsselbrauchte. Guma Tarthing war erschöpft. Erwar in einem Maß gefordert worden, dasselbst die Kräfte seines trainierten Körpersweit überstieg. Jetzt machte sich der Alters-unterschied voll bemerkbar. Guntakal warzwar ebenfalls ausgelaugt, aber er hatte nochReserven, die er in Anspruch nehmen konn-te. Zudem stiegen Guntakals Zuversicht undSelbstvertrauen mit jedem Meter, den diebeiden Männer der Station im Sumpf näherkamen.

Nander Guntakal grinste Tarthing spöt-tisch an, dann klappte er den kleinen Deckelhoch, den Tarthing für einen Schmucksteingehalten hatte. Unter dem Deckel war an-

stelle des Steines ein kleiner Sender in demRing versteckt. Nander Guntakal brauchteeinige Zeit, bis ihm seine zitternden Händeerlaubten, den winzigen Schalter zu betäti-gen.

»Geschafft«, murmelte er schließlich.»Jetzt weiß man in der Station, daß wirkommen!«

Nun ging Guntakal voran. Er allein wuß-te, wo die versteckten Fallen zu suchen wa-ren. Tarthing hätte zwar ebenfalls die zahl-reichen, mit nadelspitzen Pfeilen gespicktenGruben entdecken können, aber dazu hätteer Tage gebraucht. Tarthing konnte nur stau-nen, mit welchem Aufwand man den Zu-gang zu der Station gesichert hatte. Da gabes einfache Fußangeln, primitiv vielleicht,aber ungemein wirkungsvoll. Daneben exi-stierten Hypnoprojektoren, kleine Impulska-nonen und Paralysatoren. Ein beträchtlicherTeil der wilden Tiere, die den Sumpf unsi-cher machten, war, wie Tarthing verblüfftfeststellen konnte, offenbar in arkonidischenRobotfabriken entstanden und wurde von ei-ner Positronik gesteuert.

Obwohl Guntakal die Fallen kannte,brauchten die beiden Männer doch geraumeZeit, bis sie die Station endlich erreicht hat-ten. Vor allem die mechanischen Fallen hiel-ten die Männer auf, denn diese Hindernisseließen sich nicht durch einen Knopfdruckdesaktivieren, sondern mußten zunächst auf-gespürt werden. Da sich der Boden im Laufder Jahre verändert hatte, war es außeror-dentlich schwierig, die Gruben und Eisen zuerkennen. Nur um Haaresbreite entgingGuntakal dem Schicksal, in einem der stäh-lernen Kiefer ein Bein zu verlieren.

Endlich war das Ziel erreicht.Guntakal tastete mit beiden Händen auf

dem bemoosten Boden herum, dann hatte erden Öffnungsmechanismus gefunden. Einerunde Stahlplatte senkte sich eine Handbreitund glitt zur Seite. Nander Guntakal sah zu-frieden in den so geöffneten Antigrav-schacht hinab.

»Vorwärts!« sagte er und bedeutete GumaTarthing, als erster den Schacht zu benutzen.

Die stählernen Schwingen von Orxh 33

Guma Tarthing biß sich auf die Lippen.Plötzlich überfiel ihn die Angst, aber es gabkein Zurück mehr für ihn. Der Antigrav-schacht nahm ihn auf.

*

»Bei allen Göttern Arkons, Erhabener,wir wissen nichts darüber. Hier ist niemalsein Mann festgehalten worden. Wir wissennicht, woher dieser falsche Imperatorkommt, Erhabener, aber er kommt gewißnicht aus dieser Station!«

Nander Guntakal starrte den Wachhaben-den verwirrt an.

»Sind Sie sicher?«»Völlig, Erhabener. Wir wurden vor ei-

nem halben Sonnenumlauf hier abgesetzt,und seither hat niemand die Station betretenoder verlassen!«

»Hm!« machte Guntakal.Es gab noch eine andere Möglichkeit; die

nämlich, daß nicht einmal er die Befugnisbesaß, etwas über den gefangengehaltenenImperator zu wissen. War dem so, würde esratsam sein, nicht durch allzu große Neugieraufzufallen.

»Können wir einen Funkspruch nach Ar-kon absetzen?« wollte der Gouverneur wis-sen.

»Selbstverständlich, Erhabener, aber …!«»Reden Sie, Mann, wir haben nicht viel

Zeit!«»Wenn die Aufständischen den großen

Sender von Ahjod als Störsender einsetzen,wird unser Spruch unter Umständen nur ver-stümmelt aufgefangen werden. Unter diesenUmständen würde viel Zeit vergehen, bisder Spruch rekonstruiert ist und Arkon unszu Hilfe kommen kann!«

Nander Guntakal biß sich auf die Lippen.Zeit war das, wovon er am wenigsten be-

saß. Die Zeit arbeitete für die Rebellen.»Wir haben doch ein Beiboot, nicht

wahr?«»Es ist sofort startklar, Erhabener!«Die Station wurde von zwölf Männern be-

wohnt, dazu kamen Nander Guntakal und

der alte Mann, der sich Guma Tarthingnannte.

»Nehmen Sie den Alten mit, dazu drei Ih-rer Leute. Versuchen Sie zu starten und vomRaum aus Arkon anzufunken. Die Botschaftbrauche ich wohl nicht erst zu erklären.«

»Nein, Erhabener! Wir werden in kurzerZeit starten können!«

»Beeilen Sie sich. Und jetzt möchte ichden Funker sprechen!«

Nander Guntakal erwiderte flüchtig denGruß des Offiziers, der sich schnell zurück-zog, um die Mannschaft des Beiboots zu-sammenzurufen. Guma Tarthing sah denGouverneur erleichtert an; erst nach diesemBefehl Guntakals fühlte er sich wieder in Si-cherheit. Von dem Augenblick an, an dem erden Antigravschacht betreten hatte, hatteGuma Tarthing mit dem sicheren Gefühl ge-lebt, daß Nander Guntakal ihn kurzerhanderschießen lassen würde. Immerhin war Tar-thing der einzige, der Nander Guntakal er-schöpft, niedergeschlagen und unfähig zurSelbstkontrolle gesehen hatte.

»Vielen Dank, Erhabener!«Nander Guntakal nahm den alten Mann

überhaupt nicht mehr wahr. Er beschäftigtesich mit anderen Gedanken. Es war durch-aus nicht sicher, und das wußten Guntakalund die Soldaten, nicht aber der Alte, ob dasBeiboot überhaupt sein Ziel erreichen wür-de. Xoaixo war, wie alle von Arkoniden be-siedelten Welten, mehr oder minder starkbefestigt gegen Angriffe aus dem All. Fürdie Männer hinter den Impulskanonen wares rein fachlich gesehen völlig gleichgültig,ob sie ein angreifendes Maahkschiff ab-schossen oder einen fliehenden Arkonrau-mer. Und Guntakal wußte, wie gut dieseMänner schießen konnten.

Er entschloß sich zu gleichzeitigem Vor-gehen. Sobald das Beiboot gestartet war,würde er die Sender der Station in Betriebnehmen. Für einen stark gerafften Funk-spruch brauchte er nur wenige Augenblicke.Diese Zeitspanne würde hoffentlich zur Ver-fügung stehen, wenn die Rebellen das Bei-boot entdeckten und ihre Abwehrmaßnah-

34 Peter Terrid

men einleiteten. Zu diesem Zeitpunkt würdesich die ganze Aufmerksamkeit auf das Bootrichten, und bevor der Störsender aktiviertwurde, konnte Guntakal seinen Funkspruchbereits abgesetzt haben.

Nander Guntakal lächelte zufrieden. Essah so aus, als wäre der Gonozal-Spuk in ei-nigen Tagen beendet, und dann würde er,Nander Guntakal, der strahlende Sieger sein.

»Das Beiboot ist startklar, Erhabener!«Nander Guntakal drehte sich zu Tarthing

um.»Viel Glück!« wünschte er und log dabei

nicht einmal.

*

»Verdammt, wo kommt dieses Boot her?«Thaher Gyat war äußerst erregt. Alle ver-

fügbaren Boote, Jachten und Raumschiffewaren von seinen Leuten übernommen wor-den. Eigentlich durfte es das Boot gar nichtgeben.

»Die Station«, murmelte Zihat Baluchniedergeschlagen. »Guntakal hat es ge-schafft, wer weiß wie. Hoffentlich reagierendie Geschützmannschaften schnell genug!«

Sorgenvoll betrachtete er die Bildschirme,die das Geschehen im Raum in der NäheXoaixos zeigten. Wenn sich das Beibootmehr als zwei Lichtsekunden von dem Pla-neten entfernen konnte, war es in Sicherheit– weiter reichten die planetaren Abwehran-lagen nicht. Es galt, das Schiff bereits wäh-rend des Starts abzuschießen, und ThaherGyat wußte, wie schwierig das war.

*

Die Männer an Bord des Bootes waren ru-hig und konzentriert, nur Guma Tarthing zit-terte um sein Leben.

Erst kurz nach dem Start hatte er begrif-fen, welcher Gefahr er sich ausgesetzt hatte.Von allen Seiten schien der Planet tödlichesFeuer nach dem winzigen Schiff zu spucken.Tarthing versuchte die Kiefer zusammenzu-pressen, um nicht laut zu schreien.

Das Beiboot hatte eine winzige Chance,davonzukommen. Es mußte im Zickzack, inabenteuerlichen Wendungen und Kurven dieStratosphäre durchfliegen. Dabei blieb eszwar länger im Feuerbereich der Kanonenvon Xoaixo, aber es wurde bislang nochnicht getroffen. Wäre es auf dem kürzestenWege gestartet, hätte der leicht zu berech-nende Kurs den Gunnern die besten Schie-ßunterlagen geboten.

»Seien Sie ruhig, Mann, oder ich lasse Sieüber Bord werfen!«

Guma Tarthing zuckte unter den schnei-denden Worten des Offiziers zusammen, alssei er von Peitschenschlägen getroffen wor-den.

»Noch zwei oder drei Minuten!« schrieder Navigator.

Die Zelle des Beiboots vibrierte unterdem Einschlag eines Strahlschusses, der dasBoot glücklicherweise nur gestreift hatte.Ein Volltreffer hätte das Beiboot atomisiert.Die Männer an Bord waren angeschnallt,und nur diesem Umstand verdankten sie ihreGesundheit, als das Boot umhergewirbeltwurde wie ein welkes Blatt im Herbststurm.Die Aufprallenergie hatte das Boot so weitaus seiner Bahn geworfen, daß auch dienächsten Schüsse weit am Ziel vorbeistri-chen.

Wieder wurde das Boot getroffen, wiederaus dem Kurs gebracht.

Der technische Offizier begann zu grin-sen.

»Volltreffer, Kameraden, aber einwand-frei absorbiert. Wir haben es geschafft!«

»Kurs auf den Transitionspunkt nach Ar-kon!« befahl der Kommandant. »Und Siebleiben, wo Sie sind. Sie bringen nur Unru-he in den Betrieb!«

»Zu Befehl!« murmelte Guma Tarthing.Er schielte über die breiten Schultern des

Kommandanten hinweg auf den Bildschirmder Raumbeobachtung. So sah er das Schiffals erster, das sich – aus allen Rohren feu-ernd – mit rasender Geschwindigkeit demBeiboot näherte. Guma Tarthing begann gel-lend zu schreien.

Die stählernen Schwingen von Orxh 35

*

»Keine Volltreffer, bitte! In dem Boot sit-zen Arkoniden!«

Ruhig und leidenschaftslos klang dieStimme von Kejt Argalth durch die Zentrale.

»Schieß mich ab, aber bring mich nichtum«, gab Jedim Kalore respektlos zurück.»Kunststück!«

Auf dem Bildschirm neben seinem Kopfwar einer der Gunner zu erkennen. DerMann grinste breit.

»Versuchen Sie, mit kleineren Geschüt-zen die Triebwerke zu beschädigen«, befahlder Kommandant ruhig. »Und unterlassenSie das vorschriftswidrige Grimassieren!«

Jetzt hatte der Gunner noch mehr Mühe,ein gelassenes Gesicht zu zeigen.

»Funkkontakt!« rief der Mann an der Hy-perkomüberwachung. »Irgendein kleinererSender auf Xoaixo hat angefangen, ein Hy-perkom-Gespräch zu starten, aber die Groß-station hat ihn nach einigen Sekunden mitStörimpulsen eingedeckt. Jetzt ist nur nochWellensalat zu hören!«

»Eine Sekunde reicht vollauf!« stellteFartuloon neben mir fest; er strich sich mitder rechten Hand über den schwarzen Voll-bart. »Eine Sekunde ist viel zuviel Zeit!«

Er sah mich bedeutungsvoll an.»Du weißt, was das bedeutet?«»Arkon wird sehr bald wissen, was auf

Xoaixo geschehen ist, und eine starke Flotteauf den Weg schicken. Spätestens morgenwimmelt der Raum um Xoaixo von Schif-fen!«

»Richtig, Sohn. Und darum müssen wirdeinen Vater zurückholen. Das Experimentist gelungen und kann jetzt beendet werden.Kalore, lassen Sie für mich ein Beiboot klar-machen. Ich werde den Imperator abholen!«

»Kommt nicht in Frage!«Fartuloon sah mich an, und da wußte ich,

daß es keinen Sinn hatte, mit ihm zu debat-tieren. Er würde wieder einmal seinen Wil-len durchsetzen.

»Wenn ich einmal Imperator sein sollte«,

drohte ich ihm an, »werde ich die Person,die meine Befehle wiederholt frech mißach-tet hat, köpfen lassen!«

Fartuloon antwortete auf seine Weise.»Lasse nie einen Kopf abschlagen, der

größer und inhaltsreicher ist als der deine!«Ich sah ihn nachdenklich an. Natürlich

hatte er recht. Er war älter und klüger, erfah-rener und wahrscheinlich auch gerissener alsich. Er war mein Lehrmeister gewesen;einen großen Teil der Fähigkeiten und Fer-tigkeiten, auf die ich stolz sein zu dürfenglaubte, verdankte ich diesem Mann vollerRätsel.

»Geh nur und laß dich abschlachten. Wasaus dir wird, interessiert mich nicht.«

Ich machte unwillkürlich eine Pause.»Bring mir meinen Vater mit!«Fartuloon legte mir die Hand auf die

Schulter und sah mir in die Augen, aber be-vor die Stimmung allzu feierlich werdenkonnte, begann er zu lachen, daß sein Har-nisch zitterte und das Skarg leise in der Hal-terung klirrte.

Ich sah ihm mit gemischten Gefühlennach, als er die Zentrale der CRYSALGIRAverließ. Die Lage auf dem Planeten, um denwir kreisten, war hochgefährlich geworden.Mußte ich jetzt um zwei Männer zittern, ummeinen Vater und den Mann, der ihn in be-wunderungswürdiger Weise vertreten hatte?

»Der Dicke wird sich schon nicht umbrin-gen lassen«, meinte Jedim Kalore gemütlich.»Dafür ist er viel zu schlau! Ich wünschte,ich könnte ihn begleiten!«

»Es verdirbt den Charakter eines Mannes,wenn er seinen Pflichten zu oft entzogenwird. Schlimmer noch, wenn er sich ihnenentziehen will!«

»Eigurd Terbakh, Sprüche, Erster Band,Kapitel zweitausendvier!«

Jedim Kalore ließ sich von seinem pedan-tischen, etwas trockenen Mit-Stellvertreterkeine Zurechtweisung gefallen, und Terbakhwar zu korrekt, um diese RespektlosigkeitKalores mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Auf den Ortungsschirmen war zu sehen,wie sich das kleine Beiboot vom Körper der

36 Peter Terrid

CRYSALGIRA löste. Es war ein Flug in einbesonderes Abenteuer. Ich hätte wahrschein-lich nicht gewußt, wie ich den alten Herrenund Damen auf Xoaixo zu begegnen hatte.Es waren viele darunter, denen ich schon ausAltersgründen respektvoll zu begegnen hat-te.

Ein Feuerball entstand auf dem Panora-maschirm; im ersten Augenblick glaubte ich,Fartuloons Boot sei getroffen worden, dannbegriff ich den wahren Sachverhalt.

Um dem Feuer der CRYSALGIRA zuentgehen, hatte der Kommandant des Boo-tes, das von Xoaixo gestartet war, eine Kur-ve beschrieben, die ihn wieder in die Reich-weite der Geschütze des Planeten brachte.Und die Bewohner Xoaixos hatten dasSchiff ohne Zögern abgeschossen. Gleich-falls ohne Zögern würden sie auch Fartulo-ons kleines Boot abschießen, wenn er ihnenvor die Mündungen geriet.

*

Der alte Bauchaufschneider wußte sehrgenau, was ihm bevorstand, wenn er leicht-sinnig wurde. Aber die Trickkiste Fartuloonswar groß und gut gefüllt.

Fartuloon entschloß sich, einen Meteor zuspielen. Das dauerte zwar beträchtlich längerals ein normaler Landeanflug, war aber ent-schieden sicherer.

Fartuloon steuerte das Beiboot in einemweiten Bogen um den Planeten herum, dannerst ließ er das winzige Schiff auf Xoaixozufliegen – antriebslos.

Fartuloon machte es sich in seinem Pilo-tensessel bequem. Jetzt mußte er warten, bises entweder Zeit wurde, den Sturz des Boo-tes dicht vor dem Boden abzufangen, oderaber die ersten Volltreffer der Geschütze beiihm einschlugen und ihn mitsamt dem Bootatomisierten.

Für die Raumbeobachter von Xoaixo botsich das Bild eines Himmelskörpers, dergradlinig auf den Planeten zuflog und mitgroßer Wahrscheinlichkeit in den oberenSchichten der Planetenatmosphäre verglü-

hen würde. Auf diese Ansicht stützte sichFartuloons Plan. Wurden die Beobachtermißtrauisch, würden sie den vermeintlichenMeteor vorsichtshalber zerschießen.

Fartuloon konnte hören, wie das Boot indie Stratosphäre eintauchte. Die Reibung derwenigen Luftmoleküle heizte das Boot auf,gleichzeitig übertrugen sich die Schwingun-gen auf den Bootskörper.

»Eine halbe Minute!« murmelte Fartu-loon.

Die dreißig Sekunden verstrichen, ohnedaß etwas geschah. Jetzt konnte der Bauch-aufschneider sich einigermaßen sicher füh-len. Vor dem Teil des Bootes, der dem Pla-neten zugewandt war, staute sich die Luft.Sie erhitzte sich, wurde ionisiert. Die Be-wohner des Planeten konnten jetzt mit ihrenFerngläsern einen kleinen, feurigen Punkterkennen, der auf Xoaixo herabstürzte. Hin-ter der Feuerwand der ionisierten Luft wardie Form des abstürzenden Körpers nichtmehr auszumachen.

Fartuloon begann zu schwitzen.Der Arkonstahl, aus dem das Boot erbaut

worden war, würde noch höhere Temperatu-ren vertragen, aber die Hitze wurde von demStahl auch weitergeleitet und erwärmte dieLuft im Innern des Bootes. Noch wagte Far-tuloon nicht, die Maschinen des Bootes stär-ker zu belasten. Die Streustrahlung dieserAggregate war grundsätzlich von der Hitze-strahlung der ionisierten Luft verschieden,selbst kleine Kinder fanden den Unterschiedsofort.

Auch Fartuloons Beobachtungsmöglich-keiten wurden von der gestauten Luft behin-dert. Der Bauchaufschneider mußte einfachschätzen, wann es Zeit wurde, den Kurs desBootes zu ändern. Griff er zu früh in dieSteuerung, konnte die Abwehr aufmerksamwerden, handelte er zu spät, würde er nureinen großen Explosionskrater in der Ober-fläche des Planeten hinterlassen. Immerhinwar die Spanne zwischen diesen beidenZeitpunkten einigermaßen groß.

Das Boot war annähernd zehn Kilometervom Boden entfernt, als Fartuloon die Trieb-

Die stählernen Schwingen von Orxh 37

werke anlaufen ließ, und den Sturz abbrem-ste. Nach seiner Schätzung war die Auf-merksamkeit der Raumüberwachung jetzteingeschlafen.

Immerhin, Fartuloon biß sich nervös aufdie Lippen und wartete auf die ersten Tref-fer. Nachdem eine halbe Minute vergangenwar, wußte der Bauchaufschneider, daß seingewagtes Manöver geglückt war. Er atmeteerleichtert auf.

Erst knapp fünfhundert Meter über demBoden brachte Fartuloon das Boot zum Still-stand. Aus den Luken heraus konnte er dasGraugrün des Meeres erkennen.

»Sehr gut«, murmelte der kahlköpfigeMann.

Er richtete die Nase des Bootes auf denStrand und schob den Beschleunigungshebelnach vorne. Das Boot schnellte einige Meterüber den Spitzen der Wellen in die Rich-tung, in der Fartuloon Ahjod vermutete.Dort mußte sich der Imperator befinden.

Fartuloon war noch einige Dutzend Kilo-meter von der Küste entfernt, als ihm seineInstrumente anzeigten, daß sich ihm einemetallischer Gegenstand näherte. Sofort ver-ringerte Fartuloon die Geschwindigkeit undsetzte das Beiboot auf dem Wasser ab.

»Ein Gleiter!« stellte Fartuloon fest.»Offenbar ohne Besatzung!«

Schnell hatte er sich einen Plan zurechtge-legt. Fartuloon ließ das Beiboot wieder auf-steigen, dann programmierte er den Autopi-loten des Bootes. Er würde das Boot selbst-tätig steuern, wenn Fartuloon sein Fahrzeugverließ. Der Kurs verlief genau parallel zudem des führerlos dahinrasenden Gleiters.

Nach wenigen Minuten flog das Beibootgenau über der offenen Schale des Gleitersüber das Meer. In einiger Entfernung konnteFartuloon gewaltige Wolkenwände sehen.Es würde nicht mehr lange dauern, bis derOrkan das Beiboot und den Gleiter erreichenwürde.

»Auch das noch«, stellte Fartuloon fest,als er die beiden reglosen Körper in der offe-nen Schale des Gleiters entdeckte.

Fartuloon ließ die Luke am Unterkörper

des Beiboots aufklappen, dann ließ er sichan einem langen Seil in den Gleiter hinab.Mit einem Handgriff verringerte er die Ge-schwindigkeit des Gleiters, und der Autopi-lot des Beiboots korrigierte sofort seinen ei-genen Kurs.

Die Augen der beiden Menschen an Borddes Gleiters waren offen. Fartuloon sah so-fort, daß sie von einem Paralysator getroffenworden waren. Der alte Mann und die alteFrau konnten Fartuloon sehen und auch hö-ren. Nur bewegen konnten sie sich nicht.

»Herzlich willkommen«, sagte Fartuloonheiter.

Er konnte sich annähernd vorstellen, wel-che Gedanken die beiden Menschen be-schäftigten. Fartuloon hatte sich schnell aus-gerechnet, was geschehen war, und er wuß-te, daß die beiden praktisch auf ihren Todwarteten. Um so größer mußte ihre Überra-schung sein, daß nun ein reichlich dickerMann mit einem verbeulten Brustpanzer, ei-nem uralten Schwert und einem geradezubedrohlich aussehenden schwarzen Bart alsRetter erschienen war.

»Ich werde Sie an Bord meines Bootesbringen. Anschließend werde ich das Bootunter der Wasseroberfläche verstecken. Siebrauchen also keine Angst zu haben, wenndas Wasser über Ihnen zusammenschlägt.Sobald ich meine Arbeit getan habe, werdeich zurückkommen und sie mit Ihrem Glei-ter an einer sturmsicheren Stelle absetzen.Bis dahin verhalten Sie sich ruhig. In mei-nem Boot gibt es genug Nahrungsmittel undauch Wasser! Sie werden also nicht umkom-men müssen. Allerdings warne ich Sie. Ver-suchen Sie nicht, mit meinem Boot zu ver-schwinden oder gar meine Arbeit zu stören.Das Boot ist auf solche Experimente vorbe-reitet!«

Die Augen der beiden Betäubten bliebenausdruckslos. Fartuloon nahm sich nicht dieMühe, ihnen seine Aufgabe zu erklären. Erlegte sich als erste die alte Frau über dieSchulter und brachte sie an Bord seines Bei-boots. Scheinbar spielerisch schaffte er dannauch den Körper des Mannes aus dem Glei-

38 Peter Terrid

ter.Ein Funksignal ließ das Beiboot wenig

später in den Fluten versinken. Fartuloonsah befriedigt zu, wie das Wasser an derBordwand immer höher stieg und dann dasganze Boot überspülte. Erst als von demBoot nichts mehr zu sehen war, nahm Fartu-loon hinter dem Steuer des Gleiters Platz,wendete das Fahrzeug und raste zur Küstezurück. Hinter ihm bewegten sich die Wel-len heftiger, die Kämme zeigten weißenSchaum. Der Orkan zog auf.

*

Zum ersten Male in seinem langen, vonAbenteuern erfüllten Leben fand ThaherGyat keinen Fluch, der der Lage angemes-sen gewesen wäre.

»Es bestehen keine Zweifel?«»So leid es mir tut, Thaher, aber ein Teil

des Spruches ist mit Sicherheit durchgekom-men. Wir wurden von dem Boot dermaßenabgelenkt, daß wir Sekunden zu spät handel-ten.«

Zihat Baluch machte ein finsteres Gesicht.Er wußte nur zu gut, was diese Tatsachen zubesagen hatten. In Kürze würde eine FlotteArkons über dem Planeten erscheinen undden Himmel verdunkeln. So wie Thaher undauch Zihat den Charakter Orbanaschols ein-schätzten, würden sich dann die Geschütz-mündungen öffnen und dem Tod auf Xoaixoeine reiche Ernte bereiten. Xoaixo wärenicht die erste Welt der Galaxis, die nach ei-nem Besuch der Arkonflotte nicht mehr warals eine ausgeglühte Ruine in Planetengröße.Vielleicht hatte der Kommandant gar denBefehl, nicht erst lange zu fackeln, sondernden Planeten völlig zu zerstören, einen un-löschbaren Atombrand anzulegen oder der-gleichen.

»Wir werden den Männern den Imperatorzeigen. In der Flotte gibt es noch viele alteGonozal-Anhänger. Sie werden es nicht wa-gen, auf den Imperator zu schießen!«

Zihat Baluch wußte selbst, daß dieses Ar-gument nicht zog. Selbstverständlich würde

Orbanaschol zur Vernichtung Xoaixos nichtausgerechnet gonozalfreundliche Truppeneinsetzen. Es gab genug Offiziere, derenKarriere mit Orbanaschol stand oder fiel –sie würden keine Rücksicht kennen.

Thaher sagte langsam:»Wir haben noch zwei Chancen. Die eine

besteht darin, daß der Spruch Arkon garnicht oder so erreicht hat, daß man ihn nichtverstehen kann. In diesem Fall können wirunsere Arbeit wie geplant fortsetzen.«

»Und Nummer zwei?«»Auf Xoaixo leben viele Leute, deren

Verwandte zum engeren Führungskreis desImperiums gehören. Ich kann mir nicht vor-stellen, daß der Usurpator es wagt, unter denAngehörigen seiner Freunde und Helfer einBlutbad anzurichten.«

»Wenn besagte Angehörige dadurch end-lich an das Familienvermögen herankom-men können, wird Orbanaschol nur Beifallergattern!«

Thaher Gyat sprang auf und marschierteunruhig im Zimmer auf und ab. Tief in sei-nem Innern nistete die Überzeugung, daßdas gewagte Spiel, auf das er sich eingelas-sen hatte, bereits verloren war. Es war nurnoch eine Frage der Zeit, wann der Gegnerseine Trumpfkarten ausspielen würde.

»Sollen wir verschwinden und den Impe-rator mitnehmen?«

»Unsinn, Zihat. Das wäre eine offeneFlucht. Wie willst du das den Männern undFrauen, die hier ihr Leben aufs Spiel setzen,begreiflich machen?«

»Ein lebender Gonozal auf der Flucht isttausendmal besser als ein toter Held!«

»Auch richtig, aber …«Thaher schlug mit der geballten Faust auf

den Schreibtisch, an dem früher NanderGuntakal gesessen und sein Vermögen ge-mehrt hatte. Thaher Gyat fühlte sich einge-kreist, obwohl die Gefahren, die ihn be-drückten, einstweilen nur Rechenergebnissewaren.

Thaher wußte, daß es keine Möglichkeitgab, den Planeten zu evakuieren. Dazu fehl-te es an Schiffen. Es gab zwar etliche Privat

Die stählernen Schwingen von Orxh 39

Jachten, auf die man hätte zurückgreifenkönnen, aber mit diesem Schiffsraum hättensich bestenfalls zehn von hundert Bewoh-nern in Sicherheit bringen können. DieTransportschiffe, die kostbare Luxusgütervon Arkon und anderen Welten nach Xoaixoschafften, waren für Personentransporte nurnach langwierigen Umbauten zu gebrau-chen.

Natürlich hätten sich trotzdem Tausendemit diesen Schiffen retten können, aber Tha-her Gyat kannte den Menschenschlag zu gut,der Xoaixo bevölkerte. Ob Gonozal-An-hänger oder nicht, die Männer und Frauendes Planeten waren sich ihres gesellschaftli-chen Ranges bewußt. Sie würden genausoargumentieren, wie Zihat Baluch es geradeerst widerlegt hatte. Niemals würden sieglauben, daß Orbanaschol ihnen ans Lebenwollte; begreifen würden sie erst, wenn siedie Klinge des Henkersschwertes herabsau-sen hörten.

»So oder so«, murmelte Thaher. »Unsbleibt nur eines. Wir werden weiterarbeiten.Mehr können wir nicht tun!«

*

Nander Guntakal rieb sich zufrieden dieHände. Er hatte mitbekommen, wie das Bei-boot der Station abgeschossen worden war.Das Problem Guma Tarthing war damit erle-digt. Den Ruhm, das Komplott Thaher Gyatsso schnell entdeckt zu haben, konnte nunihm zufallen.

Eine Belohnung war Nander Guntakal na-hezu sicher, denn der wichtigere Teil desFunkspruchs an Arkon war aus den Anten-nen gegangen, ohne daß Thahers SenderStörimpulse ausgeschickt hatte. Der Restwar zwar verstümmelt, aber Nander Gunta-kal vertraute darauf, daß die Funkspeziali-sten auf Arkon den Sinn nach kurzer Zeitherauskristallisieren konnten.

Eigentlich hätte Nander Guntakal nur zuwarten brauchen, aber der Mann war damitnicht zufrieden. Sein Ruhm wäre noch ver-größert worden, wäre er selbst derjenige ge-

wesen, der den Aufstand der Pensionäre nie-dergeschlagen hatte.

Sich persönlich in das Getümmel zu stür-zen, entsprach nicht der Wesensart des Gou-verneurs. Aber er hatte noch ein paar erfah-rene Männer, die er für seine Zwecke ver-wenden konnte. Acht erprobte Raumsolda-ten standen Guntakal zur Verfügung.

»Gibt es hier auch Robots?«Der angesprochene Offizier nickte und

deutete auf den Servierrobot, der Guntakalein Getränk überreicht hatte. Der Schnapswar nicht eben der beste, stellte der Gouver-neur fest.

»Ich meine Kampfrobots.«»Einhundert Maschinen sind bei uns gela-

gert«, berichtete der Offizier. »Sie könnensehr schnell aktiviert werden.«

»Machen Sie sich an die Arbeit!« befahlGuntakal. »Und bringen Sie mir einen ge-nauen Plan der Stadt Ahjod!«

Der Offizier brüllte eine Reihe von Befeh-len in den Antigravschacht, der in die tiefe-ren Etagen der Station führte. Danach zog eraus einem Fach eine erstaunlich präzise Kar-te hervor.

»Wir teilen die Robots in vier Kampf-gruppen auf«, erklärte Guntakal. Von dem,was er als Flottenoffizier gelernt hatte, warnicht mehr viel übriggeblieben, aber für die-se Aufgabe würde es reichen. Seit er die Sta-tion erreicht hatte, war Nander GuntakalsSelbstvertrauen in geradezu beängstigenderWeise gewachsen. Einige Augenblicke langfühlte sich der Gouverneur versucht, denfünften Trupp selbst zu führen und ThaherGyat eigenhändig zur Strecke zu bringen.Dann aber fiel ihm ein, daß Gyat seine Waf-fe präzise zu handhaben wußte, und diesesArgument ließ Guntakals Plan in einem ne-gativen Licht erscheinen.

»Die Robots werden die Stadt angreifen,um sich zu meinem Palast durchzuschlagen.Natürlich werden die Rebellen versuchen,die Maschinen daran zu hindern. Währendsie damit beschäftigt sind, die Robots zu be-kämpfen, werden Sie und Ihre Männer denPalast im Handstreich nehmen. Ich will die-

40 Peter Terrid

sen falschen Imperator haben!«Der Offizier betrachtete nachdenklich den

Plan, dann nickte er.»Das Vorhaben könnte gelingen. Wir

werden jedenfalls versuchen, den falschenImperator in unsere Hand zu bekommen.Sollen wir anschließend in die Station zu-rückkehren?«

Nander Guntakal grinste bösartig.»Die Rebellen haben noch nicht herausge-

funden, daß man den ganzen Palast unter ei-nem Schirmfeld verstecken kann, das nurSchlachtschiffe aufbrechen könnten. Ichwerde Ihnen sagen, wie Sie den Schirmfeld-projektor aktivieren können. Es ist ganz ein-fach.«

Der Offizier verkniff sich die Frage, wa-rum Guntakal nicht schon wesentlich früherauf die Idee gekommen war, den Regierung-spalast auf diese Weise gegen den Zugriffder Aufständischen zu sichern. Er wußte,daß er dem Gouverneur zu gehorchen hatte,gleichgültig, wie unsinnig seine Befehle seinmochten. Immerhin sah Guntakals Plan tat-sächlich einigermaßen erfolgversprechendaus.

»Machen Sie sich an die Arbeit!«Der Offizier salutierte und zog sich zu-

rück.»Nur noch ein paar Stunden«, murmelte

Guntakal und rieb sich die Hände, »dann hatder Spuk ein Ende. Und dieser Thaher Gyatwird seine Frechheit teuer bezahlen müs-sen!«

6.

Fartuloon hatte die Küste erreicht, einigeKilometer nördlich von Ahjod. Er flog lang-sam an der Küste entlang und suchte nacheiner Möglichkeit, ungesehen so nahe wiemöglich an die Stadt heranzukommen. End-lich fand er eine Straße, die landeinwärtsführte. Einen Kilometer vom Ufer entfernt,dessen Rand immer heftiger von der Bran-dung überspült wurde, entdeckte er einenGleiter, der neben einem Haus geparkt war.

»Ausgezeichnet!« murmelte Fartuloon.

Sein Fahrzeug hatte nicht mehr genugTreibstoff für eine längere Fahrt, der fremdeGleiter aber konnte noch tagelang ohneEnergiezufuhr auskommen. In solchen Din-gen kannte Fartuloon wenig Hemmungen.Wenige Minuten nach der Entdeckung desFahrzeugs stand Fartuloons Gleiter nebendem Haus, und der Bauchaufschneider fuhrunbehelligt in dem fremden Fahrzeug derStadt entgegen.

Langsam senkte sich die Nacht über Xoai-xo. Fartuloon schaltete die Scheinwerfer ein.Der Planet hatte keinen Mond, und ein Teilder nicht sehr weit entfernten Sterne wurdevon kosmischen Staubwolken verdeckt. Ent-sprechend kraß war der Unterschied zwi-schen Tag und Nacht auf Xoaixo. Was nichtvom Licht des Scheinwerfers erfaßt wurde,schien nicht zu existieren, wurde von derDunkelheit förmlich verschluckt.

Als Vorbote des Orkans braute sich überder Landschaft ein heftiges Gewitter zusam-men. Das konnte Fartuloon nur recht sein.

Als die unförmigen Kolosse in FartuloonsBlickfeld auftauchten, riß der Mann sofortdas Steuer herum. Er brauchte nicht vielZeit, um zu begreifen, was sich vor ihm ab-spielte.

Sekundenbruchteile später erloschen dieScheinwerfer, und Fartuloon sprang hastigaus dem noch immer fahrenden Gleiter.

»Kampfrobots!« staunte er. »Woher kom-men die?«

Die Beantwortung dieser Frage blieb derZukunft überlassen, Fartuloon mußte zuse-hen, daß er von den gefährlichen Maschinennicht erwischt wurde. Welchen Auftrag dieRobots hatten, zeigte sich wenig später, alsder führerlose Gleiter in ihre Nähe geriet.Mit maschinenhafter Schnelligkeit brachtensie ihre schweren Strahler in Stellung undschossen mit einer kurzen Salve den Gleiterzu einem rotglühenden, unförmigen Klum-pen zusammen.

»Verfluchte Bande!« schimpfte Fartuloonleise.

Er zog das Skarg aus der Scheide.Der Blitz, der wenige Augenblicke später

Die stählernen Schwingen von Orxh 41

krachte, hätte eigentlich einen hohen Baumtreffen sollen, aber die geheimnisvollenKräfte des Skargs zogen ihn förmlich an.Der Energiestrahl, der sich aus dem Blitzentwickelte, zuckte von der Spitze desSkargs zur Gruppe der Robots hinüber undwirkte dort wie der Treffer eines schwerenSchiffsgeschützes. Explosionen zerfetzteneinige Maschinen, abgerissene Arme undBeine flogen durch die Dunkelheit und prall-ten funkenstäubend auf den Beton der Stra-ße.

Acht oder zehn Robots, Fartuloon konntewegen der Dunkelheit nur schätzen, wurdensofort vernichtet. Zwei weitere fielen durchkleinere Defekte aus, bei einer Maschine de-tonierte das Waffenmagazin und riß den be-treffenden Robot in Stücke. Metallsplitterpfiffen durch die Luft.

Wieder zuckte ein Blitz auf die Gruppeherab, und wieder trat das Skarg in Aktion.In ihrer Verwirrung begannen die Robots pl-anlos herumzuschießen und setzten sich sogegenseitig außer Gefecht. Dennoch war derverbliebene Rest der Robotgruppe zu starkfür Fartuloon.

Der Bauchaufschneider wich vom Wegab. Sobald er sicher sein konnte, daß die Ro-bots ihn nicht hören oder sehen konnten, be-gann er zu laufen.

Fartuloon war nicht sehr groß und wirkteübermäßig fett. Daß unter der Fettschichtkräftige Muskeln saßen, zeigte sich, als derMann einen flotten Trab anschlug und dieseGangart beibehielt, bis er die Stadtgrenzevon Ahjod erreicht hatte.

Fartuloon atmete nur wenig schneller alsüblich, als die ersten Häuser Ahjods vor ihmsichtbar wurden. Die Straße war hell er-leuchtet. Dort tanzten und sangen Men-schen, zum größten Teil mehr oder wenigerberauscht.

Als Fartuloon auf die Straße trat, hörte derLärm schlagartig auf, dann begannen dieMänner und Frauen lauthals zu lachen. Far-tuloon wußte, daß er zur Zeit keinen sehr an-sprechenden Eindruck machte. Als er sichaus dem Gleiter geworfen hatte, war er in ei-

ner Wasserlache gelandet, und entsprechendmitgenommen sah seine ohnehin schon kuri-os wirkende Kleidung aus.

»Lacht nur«, rief Fartuloon. »Die Robotswerden euch das Lachen vergehen lassen.«

»Robots?«Die Menschen drängten sich an Fartuloon

heran.»Was ist mit Robots, erzählen Sie!«Fartuloon deutete in die Richtung, aus der

er gekommen war.»So ungefähr fünfundzwanzig Kampfro-

bots sind im Anmarsch auf die Stadt!« be-richtete er. Unwillkürlich wollte er hinzufü-gen, daß er den Trupp mehr als halbiert hat-te, aber Fartuloon sah ein, daß man ihmnicht glauben würde.

»Das ist Guntakals Werk!« knurrte einMann. »Los, Freunde. Wir müssen uns ver-barrikadieren!«

»Wo ist der Imperator?« erkundigte sichFartuloon.

Offenes Mißtrauen schlug ihm entgegen.»Was wollen Sie von Seiner Erhaben-

heit?« fragte ein Mann; er legte demonstra-tiv die rechte Hand an den Griff des Impuls-strahlers. Fartuloon ließ sich von diesem Ge-habe nicht beeindrucken.

»Ich will nur wissen, ob er in Sicherheitist, mehr nicht!«

»Seine Erhabenheit wohnt im Regierungs-palast«, wurde Fartuloon erklärt. »Wenn Sieetwas von ihm wollen, müssen Sie sich dort-hin bemühen!«

Fartuloon dankte und ging weiter. Hinterihm begannen die Bürger von Ahjod damit,Hindernisse aufzustellen. Fartuloon hätteden Männern sagen können, daß solcheMaßnahmen wenig taugten. Die Robotskonnten die Hindernisse samt ihren Vertei-digern einfach zusammenschießen, sie konn-ten sie auch umgehen. Eine gut program-mierte Kampfmaschine wog an Kampfkrafteine halbe Hundertschaft normaler Kämpferauf. Sie waren reaktionsschneller, schußstär-ker, zielsicherer und vor allem rücksichtslo-ser als Menschen.

Hinweise dieser Art hätten allerdings

42 Peter Terrid

nicht viel genutzt. Fartuloon hatte erkannt,daß die Männer und Frauen den neuen Im-perator verteidigen wollten, gleichgültig,wer oder was angriff.

Der Regierungspalast war das höchsteGebäude in Ahjod und deshalb nicht zu ver-fehlen. Zielstrebig marschierte Fartuloon aufdas Haus zu.

*

»Leise, Männer!«Der Offizier legte den Zeigefinger an die

Lippen, und seine Männer stellten ihr Flü-stergespräch ein. Nathel Sunwar hatte nureine bescheidene Karriere hinter sich. Er be-trachtete seine Versetzung nach Xoaixo fastals Demütigung. Um so froher war der jungeOffizier über die Ereignisse der letzten Stun-den. Sie boten ihm endlich eine Möglichkeit,sich auszuzeichnen und ein neues Komman-do zu übernehmen.

Nathel Sunwar betrachtete das Zifferblattseiner Uhr. Nach dem Zeitplan, der in derStation erarbeitet worden war, mußten dieersten Robots in diesem Augenblick dieStadtgrenze erreicht haben und angreifen.Daß die Maschinen durchweg auf alte Män-ner und Frauen trafen, interessierte den Offi-zier nicht. Die Menschen, die sich den Ro-bots in den Weg stellten, waren Rebellenund hatten ihr Schicksal verdient. Vor allemwurden durch die Straßenkämpfe seine Ak-tionen am Palast hervorragend gedeckt.

Auf den Rücken trugen die acht Männerkleine Feststoffraketen, die sie im geeigne-ten Augenblick in die Höhe steigen lassensollten. Vom Dach aus, so sah es der Planvor, sollte der Palast gestürmt werden. Dienormalen Ein- und Ausgänge wurden sicherüberwacht, die Luft desgleichen. Mit einemGleiter hätte der Trupp niemals auf demDach landen können, daher hatte sich Sun-war für die Feststoffraketen entschieden.Wenn die Robots für genügend Aufregungsorgten, würde der Feuerstrahl, auf dem dieMänner in die Höhe reiten sollten, kaumauffallen.

Nathel Sunwar konnte den Lärm hören,der sich in den sonst stillen Straßen der Stadtausbreitete. Er hörte Schüsse, Detonationenund Schreie. In einiger Entfernung hatte einHaus Feuer gefangen, die Flammen stiegenrasch in den nachtdunklen Himmel. Rauchwälzte sich durch die Straßen und nahm vie-len die Sicht.

»Vorwärts, aber leise. Wir wollen nichtgesehen werden!«

Geräuschlos huschten die Männer vor-wärts. Sie bewegten sich hauptsächlich aufNebenstraßen, denen in der allgemeinenAufregung niemand Beachtung schenkte!

Nathel Sunwar spürte, wie sein Mundaustrocknete.

Er war schon einmal in Lebensgefahr ge-wesen, als der Kreuzer, auf dem er Diensttat, von zwei kleineren Maahkeinheiten ab-gefangen und beschossen worden war. Da-mals hatte Nathel Sunwar keine Zeit gehabt,sich um seine Angst zu kümmern. Er hattesoviel zu tun gehabt, daß er erst nach demGefecht, das die halbe Besatzung des Kreu-zers gekostet hatte, bleich geworden war.

Jetzt war die Angst da. Sie war stark undfast greifbar. So vieles konnte geschehen. Erkonnte von einem Bürger Ahjods entdecktwerden, ein wildgewordener Robot konnteihn treffen, die kleine Rakete auf halber Hö-he versagen und ihn abstürzen lassen.

Nathel Sunwar ärgerte sich über seineAngst, vor allem, weil er wußte, daß dieMänner, die ihm folgten, dieses Gefühl of-fenbar nicht zu kennen schienen. Jeder ein-zelne von ihnen hatte eine lange Dienstzeithinter sich; sie waren auf Methanplanetengelandet und hatten Maahks im Nahkampfbezwungen. Es ärgerte Sunwar, daß dieseMänner im Fall des Falles so sterben wür-den, wie es die Videostreifen zeigten, wäh-rend er – das wußte er genau – ein jämmerli-ches Bild bieten würde, obwohl er den Män-nern in fast allen anderen Bereichen haus-hoch überlegen war.

Das Regierungsgebäude kam in Sicht. Na-thel Sunwar wischte sich die feuchtgeworde-nen Handflächen an der Hose ab, dann

Die stählernen Schwingen von Orxh 43

winkte er den Männern zu, ihm zu folgen.Vorsichtig schlich der Trupp von hinten

an das Gebäude heran.Der Platz vor dem Palast war von zahllo-

sen Menschen bevölkert, die wild durchein-anderliefen und gestikulierten. Der Überfallder Robots schien die Bevölkerung vonAhjod in Panik versetzt zu haben.

»Gut so!« murmelte Nathel Sunwar.»Bald werden sie nicht nur kopflos herum-rennen, sondern tatsächlich kopflos sein.«

Die Rückwand des Regierungspalasts warerreicht. Nathel Sunwar sah sich um. DieAufmerksamkeit der Bürger von Ahjod kon-zentrierte sich auf den Platz vor dem Gebäu-de, auf der Rückseite war keine Bewegungzu sehen.

Nathel Sunwar gab das vereinbarte Zei-chen.

Mit der flachen Hand schlug er den klei-nen roten Knopf in die Fassung. Er spürteeinen heftigen Schlag an den Schulterblät-tern, dann verloren seine Füße den Boden.Mit steigender Geschwindigkeit begannSunwar in die Höhe zu steigen.

Der Mann lächelte zufrieden. Neben ihmschwebten seine Männer. Von unten mußtees aussehen, als schwebe eine Reihe feurigerPerlen langsam in die Höhe.

Plötzlich erlosch eine der Perlen. Mit ei-nem lauten Schrei stürzte der Mann wie einStein in die Tiefe. Nathel Sunwar preßte dieKiefer zusammen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, dannwar das Dach erreicht. Es gehörte Geschickdazu, das kleine Triebwerk im rechten Au-genblick abzuschalten. Geschah dies zufrüh, stürzte der Mann ab, es sei denn, erwar reaktionsschnell genug, um die Raketesofort wieder zu zünden. Wurde die Raketezu spät ausgeschaltet, stürzte der Mann ausbeträchtlicher Höhe auf das Dach.

Nathel Sunwar landete sanft und sicher,fünf seiner Männer kamen ebenfalls glattauf, der letzte konnte gerade noch die Kantedes Daches umklammern. Neidisch stellteNathel Sunwar fest, daß der Mann nichtschrie, sondern stumm wartete, daß ihm sei-

ne Kameraden halfen.»Legt die Raketen ab. Wir brauchen sie

nicht mehr. Oder … halt!«Nathel Sunwar grinste breit, dann löste er

eine Thermobombe aus dem Gürtel und be-festigte sie an dem Gurtzeug, das die Raketean seinem Rücken gehalten hatte. Die ande-ren Männer folgten sofort Nathels Beispiel.Dann ließ Sunwar das Feststofftriebwerkwieder anlaufen. Die Rakete raste führerlosdavon, gefolgt von den restlichen Geschos-sen. Sie beschrieben eine wirre Bahn am fin-steren Himmel. Irgendwo würden sie nieder-gehen, und dann würden die Thermitbombenzünden. Was er damit traf, war Nathel Sun-war gleichgültig. Wichtig war, daß dadurchdas allgemeine Durcheinander vergrößertwurde.

Einer der Soldaten machte ein finsteresGesicht.

»Paßt dir etwas nicht?«»Das da unten sind Arkoniden!« stellte

der Mann fest. »Und selbst, wenn es keinewären …!«

Nathel Sunwar winkte ab. Soldaten mitmoralischen Bedenken waren das letzte, waser jetzt brauchen konnte. Man mußte sichdiesen Mann merken, für später, damit er inder Flotte keine Unruhe stiften konnte.

Die Luke, die hinabführte in das Inneredes Regierungspalasts, war rasch gefunden.Schnell stiegen die Männer in die Öffnung,dann verschlossen sie die Luke wieder. Na-thel Sunwar stellte fest, daß seine Männerfast gleichzeitig ihre Impulsstrahler zurück-steckten und statt dessen Paralysatoren zurHand nahmen.

»Alle verweichlicht!« murmelte Sunwarso leise, daß niemand ihn hören konnte.

Einer der Männer ging voran, ohne daßNathel Sunwar dazu einen Befehl gegebenhatte. Nathel hatte nichts dagegen einzuwen-den, obwohl er merkte, daß die altgedientenSoldaten ihm stillschweigend die Führungabgenommen hatten. Wenn er einen Befehlgab, würden sie allerdings gehorchen.

»Wo wird Thaher stecken?« flüsterte ei-ner der Männer.

44 Peter Terrid

»Vermutlich in Guntakals Büro«, lautetedie leise Antwort. »Fangen wir ihn. Wennwir Thaher haben, ist der falsche Imperatornicht mehr weit.«

Nathel widersprach nicht. Er wußte vomGouverneur, daß sich in dem Büro auch derHauptschalter für die Schirmfeldprojektorenbefand. War das Feld erst einmal aufgebaut,war Widerstand nur noch von den Personenzu befürchten, die im Innern des Hausessteckten. Nathel Sunwar rechnete damit, daßfast alle Männer und Frauen, soweit sieWaffen tragen und benutzen konnten, mitder Abwehr der Kampfrobots beschäftigtwaren.

Die Männer stießen auf keinen Wider-stand, als sie sich durch die Gänge des Pa-lasts bewegten. Offenbar waren die Wachenauf den unteren Teil des Hauses verteiltworden.

Dann verriet eine Aufschrift, daß mansich den Privatgemächern des Gouverneursnäherte.

*

Thaher Gyat schaltete den Interkom ausund legte die Stirn in Falten.

»Es sieht schlecht aus!« stellte er fest. Zi-hat Baluch machte eine Geste der Ratlosig-keit.

»Die Robots dringen immer weiter vor,trotz ihrer Verluste. Unsere Freunde mühensich redlich, aber gegen solch eine Zahl vonKampfrobotern braucht man fast eine Raum-landedivision. Ich fürchte, wir müssen unsergeben, wenn wir ein Blutbad verhindernwollen.«

Zihat deutete durch das Fenster auf dieMenschenmenge vor dem Palast.

»Diese Männer und Frauen sind fest ent-schlossen, sich nicht zu ergeben«, sagte erhalblaut. »Sie wählen sich schnell ihre Kom-mandeure, bewaffnen sich und stellen sichden Robots entgegen. Niemand gibt ihnenden Befehl dazu, sie tun es aus eigenem An-trieb.«

Thaher Gyat nickte resignierend. Er setzte

zum Sprechen an, als plötzlich die Tür auf-gerissen wurde.

Ein Mann in Uniform stürzte in denRaum, ein zweiter folgte. Zihat Baluch woll-te zur Waffe greifen, aber der zweite Ein-dringling schoß ihn nieder, noch bevor dieHand den Kolben erreicht hatte.

Thaher Gyat stand wie versteinert.Er kannte Zihat Baluch seit vielen Jahren,

und er hatte sich einen Abschied, eine end-gültige Trennung anders vorgestellt. Da-mals, bei den »stählernen Schwingen vonOrxh«, hatten sie darüber gesprochen, undbeide Männer hatten gehofft, sie würdennicht im Bett sterben. Für Zihat Baluch warder Wunsch auf grausame Weise in Erfül-lung gegangen.

Langsam hob Thaher die Hände.Es war sinnlos, Widerstand zu leisten.

Vielleicht gab es später eine Möglichkeit,dem Unvermeidlichen noch einen Sinn zugeben. Am rechten Unterarm hatte Thaherunter einem hautgleichen Pflaster einescharfe Klinge versteckt – für alle Fälle.

Der Offizier, der Zihat Baluch erschossenhatte, nahm selbst die Waffe aus ThahersGürtel und warf sie einem seiner Männer zu.Thaher stellte fest, daß nur der Offizier einetödliche Waffe verwendete.

»Wo ist der Hochstapler?« fragte der Of-fizier. Noch immer war seine Waffe aufThaher gerichtet.

»Nebenan«, sagte Thaher müde. »Erschläft und wird zur Zeit nicht bewacht. DerMann ist krank, Sie brauchen sich nicht umihn zu kümmern! Der Imperator wird keinenWiderstand leisten!«

Der Offizier grinste spöttisch.»Das wäre auch sinnlos!«Thaher sah zu, wie der Mann die Täfelung

an der Rückwand des Büros abtastete. Aufeinen leisen Druck hin schwang eine Holz-platte zur Seite. Dahinter wurde eine rot-lackierter Schalter sichtbar, der nach einerHandbewegung des Offiziers leise klickendeinrastete.

Thaher konnte den entsetzten Aufschreider Menge hören, die auf dem Platz vor dem

Die stählernen Schwingen von Orxh 45

Haus beobachtete, wie sich das Schirmfeldaufbaute und den Palast einhüllte. Der Re-gierungspalast war praktisch von der Außen-welt abgeschlossen. Nicht einmal dieKampfrobots hätten den Schirm aufbrechenkönnen.

»Damit haben Sie nicht gerechnet, Tha-her? Sie werden noch einige Überraschun-gen erleben! Was gibt es?«

Der Soldat, der den Nachbarraum betretenhatte, war zurückgekehrt. Der Mann war füreinen einfachen Mannschaftsdienstgradschon ziemlich alt – alt genug, um GonozalVII. noch gesehen zu haben. Der Soldat lä-chelte verzerrt.

»Er ist es. Er schläft tief und fest. Ich ha-be darauf verzichtet, ihn zu wecken. Waffenhabe ich im Zimmer nicht entdeckt. Einenzweiten Ausgang gibt es nicht!«

Sunwar nickte zufrieden und bedeuteteseinen Männern mit einer Handbewegung,Thaher zu fesseln. Anschließend wurde Gyatin den Nebenraum geschafft.

Vom Gang her erklang Lärm. Einer derSoldaten stürzte herein.

»Die Männer im Haus haben sich versam-melt und versuchen das Büro zu stürmen!«

»Erklären Sie ihnen, daß wir den Impera-tor erschießen, wenn sie ihren Widerstandnicht aufgeben. Entwaffnen Sie die Leuteund sperren Sie sie ein!«

Der Soldat verließ den Raum, währendNathel Sunwar den Armbandminikom ein-schaltete.

»Sunwar spricht, Erhabener! Der Regie-rungspalast ist in unserer Hand. Die Robotskönnen zurückgerufen werden!«

»Ich gratuliere«, quäkte eine Stimme ausdem kleinen Lautsprecher. »Ich werde dieRobots zurückholen. In ein paar Stundenwird hoffentlich eine Flotte über Xoaixo ein-treffen. Halten Sie bis dahin die Stellung.Ende!«

Nathel Sunwar schaltete das Gerät ausund sah sich triumphierend um.

»Bis die Flotte kommt, können wir es unsgemütlich machen!«

*

Fartuloon betrachtete nachdenklich denEnergieschirm über dem Regierungspalast.Sein Verstand sagte ihm, daß man im Innernunmöglich wissen konnte, daß er im An-marsch war. Der Schirm war also nicht dazugedacht, den Bauchaufschneider fernzuhal-ten. Die Reaktion der Menge bewies zudem,daß auch sie von dem Entstehen des Schirm-felds überrascht worden war.

Fartuloon spitzte die Ohren.Von Kampflärm war nichts mehr zu hö-

ren, offenbar zogen sich die Robots wiederzurück. Das ließ nur den einen Schluß zu,daß der Befehlshaber der Kampfmaschinenmit dem Ergebnis der Aktion zufrieden war,und des wiederum besagte, daß der Besitzerdes Palasts und der unbekannte Robotkom-mandant auf der gleichen Seite standen.

»Der Imperator ist noch drinnen«, hörteFartuloon eine Frau sagen.

Fartuloon schüttelte unwillig den Kopf.Gonozal VII. in der Hand seiner Gegner – eswurde notwendig, sehr rasch und entschlos-sen einzugreifen.

Fartuloon machte sich daran, das Gebäudezu umkreisen. Auf der Rückseite fand er ei-ne Menschentraube um einen Körper, deram Boden lag. Fartuloon drängte sich durchdie Menge und betrachtete den Körper.

Man mußte nicht Leibarzt eines arkonidi-schen Imperators gewesen sein, um zu wis-sen, daß dieser Mann tot war. Wesentlichmehr interessierte Fartuloon das kleine Fest-stofftriebwerk auf dem Rücken des Mannes.Es erklärte ihm, auf welche Weise die An-greifer in das Gebäude eingedrungen waren.

Fartuloon zückte das Skarg, und die Men-ge wich zurück.

»Vorsicht, er ist verrückt geworden!«schrie jemand, und die Menge ging nocheinen weiteren Schritt zurück. Obwohl manihn für verrückt hielt, versuchten einigeMänner dennoch, Fartuloon vor dem siche-ren Verderben zu retten, als der Bauchauf-schneider gradlinig auf den flimmernden

46 Peter Terrid

Schutzschirm zuging.Fartuloon vertrieb die Männer, die ihn

von der tödlichen Sperre zurückhalten woll-ten, mit dem Skarg. Er war den Männernnicht böse, wer wußte schon, daß das Skargdie Fähigkeit besaß, Schirmfelder so zu ver-ändern, daß für Fartuloon passierbare Struk-turlücken entstanden. Ein Aufschrei gingdurch die Menge, als Fartuloon durch dieStrukturlücke schritt und auf der anderenSeite unbeschädigt herauskam.

Auf der anderen Seite war niemand zu se-hen. Damit hatte Fartuloon gerechnet. Vonder Menschenmenge, die den Palast umgab,war nicht mehr viel zu erkennen, das wurdedurch das Schirmfeld bewirkt.

Mit einigen raschen Schritten überwandFartuloon die Distanz zwischen dem Schutz-schirm und der Außenwand des Palasts.Vorsichtig schob sich der Bauchaufschnei-der weiter.

Ziemlich bald hatte er einen unbewachtenEingang entdeckt. Entweder besaßen die Er-oberer des Palasts eine geradezu atemberau-bende Zuversicht, oder es waren so wenigeMänner, daß sie nicht alle Ein- und Ausgän-ge überwachen konnten. Fartuloon tippte aufden zweiten Fall.

Im Innern des Regierungsgebäudes war esbeängstigend ruhig. Offenbar hatten die Ein-dringlinge den Widerstand der Rebellenvollständig gebrochen. Weder von Gefange-nen noch von Wachen war etwas zu sehen.

»Vermutlich stecken sie im Keller.«Das war in solchen Fällen der übliche

Aufbewahrungsort für Gefangene.Die größten und bequemsten Räume in ei-

nem solchen Gebäude lagen meist weitoben, und es war naheliegend, anzunehmen,daß sich sowohl Thaher Gyat und seineMänner als auch die neuen Herren des Re-gierungsgebäudes dort einquartiert hatten.Fartuloon war ein sehr guter Kennermenschlicher Schwächen und Neigungen,und er war sich sicher, daß seine Kalkulationaufgehen würde.

Ihm war klar, daß er sich nicht in einemAntigravschacht in die Höhe tragen lassen

durfte. Dort waren mit Sicherheit Wachenaufgestellt, wenn der Kommandant der Er-oberer nicht vollendet schwachsinnig war.Also mußte der Bauchaufschneider den lan-gen und beschwerlichen Weg über die Trep-pen nehmen. Da die steinernen Stufen nur inFällen einer Katastrophe benutzt wurden,traf Fartuloon keinen Menschen.

»Wenn mich Atlan so sehen könnte«,ächzte Fartuloon einige Zeit später.

Obwohl sich unter seinen angeblichenFettwülsten förmliche Muskelberge verbar-gen, war auch für ihn der Aufstieg eine ech-te Qual. Der Regierungspalast erwies sichals unangenehm hoch. Fartuloon hatte garnicht erst versucht, die Stufen zu zählen,sein Instinkt sagte ihm, daß er für diese Auf-gabe einen Taschenrechner gebraucht hätte.Fartuloon schwitzte stark, und seine lebhaftePhantasie führte ihm die erfrischenden Ge-tränke in großer Zahl auf, die er jetzt gerngetrunken hätte.

Zu allem Überfluß war dieser Bereich desGebäudes nicht in die allgemeine Klimati-sierung einbezogen worden. Unter derGlocke des Schirmes staute sich die Hitze,die von den vielen Geräten, auch von denProjektoren des Feldes selbst, abgestrahltwurde. Fartuloon schätzte die Temperaturauf mindestens fünfzig Grad, und das warmehr, als er über längere Zeit zu ertragenvermochte.

»Weiter!« gab er sich selbst einen Befehl.

7.

Nathel Sunwar hatte alle Gefahr verges-sen. Seine Männer machten sich ebenfallskeine Sorgen mehr. Der falsche Imperator –nur einer der Männer war sicher, daß es sichwirklich um Gonozal VII. handelte – schliefnebenan, die Bewohner des Hauses warenentwaffnet und in einen ausbruchsicherenRaum im Keller gesperrt worden. Von au-ßen konnte niemand in das Haus eindringen,und ein kurzer Funkkontakt mit Arkon – dermerkwürdigerweise ebenfalls leicht gestörtworden war – hatte Nathel Sunwar die

Die stählernen Schwingen von Orxh 47

Nachricht eingebracht, daß noch einigeStunden vergehen würden, bis die Flotte vonArkon über Xoaixo erscheinen würde.

Zudem war der Schrank mit Spirituosenreichlich gefüllt gewesen. Die Männer hat-ten nicht einsehen können, warum sie sichnach ihrem triumphalen Sieg nicht einen gu-ten Tropfen gönnen sollten.

Nur einer der Männer hatte sich an demGelage nicht beteiligt. Es war der Mann, mitdem Nathel auf dem Dach einen kurzenWortwechsel gehabt hatte. Er hatte auch denschlafenden Imperator identifiziert.

Maruol Chembar hatte einen Sessel nebenden Eingang des Nachbarzimmers gerückt.Seine Augen wanderten von den schnar-chenden Männern im Büro des Gouverneursimmer wieder zur Tür, hinter der ein Mannlag und schlief, von dem Maruol sicher zuwissen glaubte, daß er der Bruder jenesMannes war, der jetzt das Imperium regierte.

Nervös drehte Maruol die Finger.Er wußte, daß er keine Aussicht hatte, mit

dem schlafenden Imperator das Gebäude zuverlassen. Zwischen ihm und der Freiheit la-gen sechs betrunkene Raumsoldaten und ei-ne große Menschenmenge vor dem Palast.Maruol Chembar dachte beklommen an denAugenblick, an dem der Schlafende denTruppen seines Erzfeinds übergeben wurde.Gab es eine Möglichkeit, diesen Ausgangder Ereignisse abzuwenden?

Den merkwürdigen Mann sah MaruolChembar erst, als der dicke Fremde unmit-telbar vor ihm stand und ihm die Mündungdes Paralysators unter die Nase hielt.

Maruol wollte aufspringen, aber derFremde, dessen Oberkörper von einem un-förmigen Blechding umhüllt wurde, hielt ihnzurück.

»Kein Wort, Sohn, oder ich drücke ab.Wo ist der Imperator?«. Maruol deutete miteiner Kopfbewegung auf die Tür.

»Was wollen Sie hier?« fragte der Soldat.Er wurde nicht ganz schlau aus den Absich-ten des Fremden. Zu welcher Partei gehörteer?

»Ich werde den Imperator entführen«, er-

klärte Fartuloon freundlich. »Ich habe ihnhier abgesetzt, und ich hole ihn auch wiederab!«

»Nehmen Sie mich mit?«Fartuloon war über diese Frage einiger-

maßen verblüfft, aber er nickte. Vielleichtkonnte er den Mann brauchen. Im übrigenvertraute Fartuloon seiner Menschenkennt-nis, die ihm sagte, daß der Mann seine Frageehrlich meinte.

»Kommen Sie!«Der Soldat ging voran. Er bemühte sich,

die Tür möglichst leise zu öffnen. Fartuloonkonnte in den Nebenraum sehen. Er erkann-te auf dem breiten Bett Gonozal VII. der tiefund fest schlief. Neben dem Bett lag ein ge-fesselter Mann auf dem Boden. Fartuloontrat näher und betrachtete den Gefangenen.

Der Bauchaufschneider durfte nicht wa-gen laut zu lachen, denn im Büro des Gou-verneurs lagen sechs betrunkene Männer,die er hätte wecken können. Aber Fartuloonkonnte lautlos lachen, und das tat er ausgie-big.

»Thaher Gyat«, flüsterte er schließlich ki-chernd. »Der Held der stählernen Schwingenvon Orxh. Was machst du hier, alterFreund?«

Dem Gefangenen schienen die Augen ausdem Kopf quellen zu wollen. Vergeblichruckte er an seinen Fesseln, bis Fartuloondie Riemen mit seinem Skarg durchschnitt.

»Psst!« machte Fartuloon, als der Gefan-gene sich von dem Knebel befreite. »KeinenLaut, nebenan liegen die Wachen undschnarchen um die Wette. Dieser da will unshelfen.«

»Fartuloon!« sagte Thaher Gyat so leise,wie es die Umstände erforderten. »Was, beiallen Götzen der Galaxis, machst du aufXoaixo? Gehörst du auch schon zum altenEisen?«

Fartuloon deutete wortlos auf den schla-fenden Imperator.

»Richtig, du warst ja seinerzeit LeibarztSeiner Erhabenheit. Hast du …?«

Fartuloons Nicken bestätigte ThahersVermutung, daß er es gewesen war, der den

48 Peter Terrid

Imperator auf Xoaixo abgesetzt hatte. Tha-her war intelligent genug, um zu begreifen,daß dieses Zusammentreffen reiner Zufallwar. Fartuloon konnte unmöglich wissen,daß ein alter Freund von ihm auf Xoaixolebte.

»Wir haben nicht viel Zeit!« erinnerte derSoldat. »Sunwar wird bald wieder erwa-chen!«

Fartuloon weckte den Imperator. Esschmerzte ihn jedesmal aufs neue, den altenFreund und Patienten in dieser hilflosen La-ge zu sehen. Gonozal VII. konnte einige ein-fache Befehle ausführen, zu mehr war derlebende Leichnam nicht fähig.

Die Männer führten den Imperator lang-sam und vorsichtig durch das Büro des Gou-verneurs. Fartuloon verzichtete darauf, denSchutzschirm zu desaktivieren. Wenn dieMänner aus ihrem Rausch erwachten, solltensie nicht auf den ersten Blick merken kön-nen, daß etwas vorgefallen war.

Für den Rückweg benutzte Fartuloon denAntigravschacht. Es war ausgeschlossen,den Imperator die vielen Stufen hinabzufüh-ren. Irgendwann würde er ausrutschen undzumindest Lärm machen, wenn nichtSchlimmeres geschah.

Glücklicherweise begegnete ihnen nie-mand. Ungestört erreichten sie das Erdge-schoß.

»Was nun?« fragte Thaher Gyat ratlos.»Hast du einen Plan, Fartuloon?«

Der Bauchaufschneider grinste vergnügt.»Hast du die Möglichkeit, an ein schnel-

les Fahrzeug heranzukommen?« wollte erwissen. Thaher nickte.

»Nimm diesen Mann mit dir und versu-che, das Fahrzeug zu stehlen. Du steuerstdann diesen Kurs …!«

Fartuloon beschrieb dem Mann, wo unge-fähr das Beiboot der CRYSALGIRA zu su-chen war. Dort wollten sie sich wieder tref-fen.

Thaher war mit dem Plan einverstanden.Zusammen bewegte sich der kleine Truppdurch das verlassene Haus. Fartuloon warte-te einige Zeit, dann hatte er einen Fleck er-

späht, an dem nicht zu befürchten stand, daßdie Ausbrecher von Passanten bemerkt wer-den konnten. An dieser Stelle schaffte dasSkarg eine Strukturlücke im Schirmfeld,durch die die Männer ungesehen den Regie-rungspalast verlassen konnten.

»Beeile dich«, warnte Fartuloon die bei-den Männer, bevor sie sich auf den Wegmachten. »Die Flotte ist im Anmarsch.Wenn wir Pech haben, werden die Schiffeschon in kurzer Zeit über Xoaixo auftau-chen!«

Thaher hob grüßend die Hand.»Auf bald!«Wenige Augenblicke später war er ver-

schwunden. Fartuloon nahm den Imperatorbei der Hand und schlich sich davon.

*

Zum Glück hatten wir die Triebwerke derCRYSALGIRA abgeschaltet, daher konntenuns die Energieorter der Flotte nicht anpei-len. Ein um so besseres Bild zeichnete sichauf unseren Bildschirmen ab.

Vor wenigen Sekunden hatten die Struk-turtaster zum ersten Mal angeschlagen. DerMann an dem Gerät hatte Mühe gehabt, diegenaue Zahl der Einheiten festzustellen, dieim Raumbezirk der Sonne Llaga-del-Armghaufgetaucht waren. Die Endsumme lauteteauf mehr als fünfhundert Einheiten.

Die Flotte war so transistiert, daß sie unsnicht erfassen konnte. Die CRYSALGIRAwurde von dem Planeten Xoaixo verdeckt,jedenfalls solange wir uns nicht bewegten.Innerhalb einiger Stunden aber würden wirden Schlagschatten des Planeten verlassen.Bis dahin mußte Fartuloon wieder an Bordsein.

Deutlich zeichneten sich die Energieechosauf unseren Schirmen ab. Die Schlachtschif-fe würden einige Zeit brauchen, bis sie dieUmlaufbahn von Xoaixo erreicht hatten,aber ihnen weit voraus war eine er-schreckend große Zahl kleinerer, wendigerEinheiten, die in kurzer Zeit den Planetenwie ein Insektenschwarm umkreisen konn-

Die stählernen Schwingen von Orxh 49

ten.»Verdammt«, knurrte Jedim Kalore. »Wo

bleibt der Dicke nur?«Seit Stunden gab es kein Lebenszeichen

von Fartuloon mehr, und wir wußten auchnicht, was sich auf Xoaixo abspielte. Ledig-lich das große Schirmfeld über dem Palastdes Gouverneurs war zu erkennen, und wirhatten auch ein Gefecht zwischen Roboternund Arkoniden anmessen können, das abernach kurzer Zeit abgebrochen worden war.

Steckte, Fartuloon noch in dem Kampfge-biet? Hatte er es geschafft, zu meinem Vaterdurchzudringen?

Außer Fragen hatte ich nicht viel zu bie-ten, vielleicht noch meine Nervosität, diesich von Minute zu Minute zu steigern schi-en. Und von Minute zu Minute schmolz derAbstand zwischen den schnellen Zerstörernder Arkonflotte und dem Planeten.

Langsam begann ich zu fürchten, daß un-ser grandioser Plan in furchtbarer Weise ge-scheitert war.

*

Thaher Gyat hatte es geschafft. Dieschnelle Privatjacht des Gouverneurs hatteunbewacht auf dem kleinen Landefeld imOsten der Stadt gestanden. Den Schlüsselhatte Thaher im Büro Nander Guntakals ansich genommen, und Nathel Sunwars Män-ner hatten übersehen, ihm den Impulsschlüs-sel abzunehmen.

Maruol Chembar hatte sich als fähigerKopilot erwiesen, der auch mit der durchausnicht üblichen Instrumentierung der Luxus-jacht zurechtgekommen war.

»Wo mag Fartuloon stecken?« rätselteThaher.

Es war nicht einfach, die Jacht über demaufgepeitschten Wasser des Meeres zu hal-ten. Der Orkan griff auch nach der Jacht undstieß sie gewaltsam vor sich her. Hätte eskeinen automatischen Piloten gegeben, dieMänner hätten das Fahrzeug schwerlich aufKurs halten können.

»Da ist er!«

Maruol Chembar deutete auf den Schirmdes Bordradars. Dort zeichnete sich ein Kör-per ab, dessen Konturen langsam deutlicherwurden. Es war für Thaher klar, daß es sichum Fartuloons Boot handeln mußte, das ausden Tiefen des Meeres emporstieg.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis diebeiden Boote längsseits lagen. Thaher ließdie Mannschleuse auffahren. In der gegen-überliegenden Öffnung in Fartuloons Booterkannte Thaher Gyat zwei Gestalten inRaumanzügen. Sie hatten zwar beträchtlicheMühe, aber nach kurzer Zeit war es ihnengelungen, zu Thaher hinüberzukommen.

Hinter den von Spritzwasser überzogenenScheiben des Helmes erkannte Thaher ver-traute Gesichter – Huzur Mistis und GalaccaKidal.

»Fartuloon läßt dir ausrichten, du sollstdich absetzen. Auf Xoaixo sei in kurzer Zeitdie Hölle los. Er wünscht dir viel Glück undhofft, daß man sich irgendwann einmal wie-dersieht!«

Thaher war enttäuscht. Er hatte gehofft,Fartuloon begleiten zu können, aber dannsah der alte Mann ein, daß die Zeit dergroßen Abenteuer für ihn zu Ende war.

Den Knall, den Fartuloons Boot verur-sachte, als es beim rasend schnellen Auf-stieg die Schallmauer durchbrach, war imToben des Orkans kaum noch zu hören.

»Viel Glück, alter Freund!« murmelteThaher Gyat, dann betätigte er den Schließ-mechnismus der Mannschleuse. Wenig spä-ter nahm die Jacht Fahrt auf.

*

»Du spielst falsch, Grothmyn!«Der Versorgungsmeister seiner allesse-

henden, tausendäugigen Erhabenheit Orba-naschol III. machte ein verwundertes Ge-sicht.

Natürlich spielte er falsch, schließlich mo-gelte Seine Erhabenheit auch fortwährend.

Grothmyn hatte besonderen Grund, nichtzu verlieren. Er hatte in der letzten Zeit eini-ge böse Schläge des Schicksals verdauen

50 Peter Terrid

müssen. Zuerst war seine Organisation aufdem Asteroiden Krassig zerstört worden,dann hatte man den großen Ring auf ArkonII ausgehoben. Nur der Tatsache, daß diebeiden Anführer bei einem Fluchtversuchgestorben waren und daher keine Aussagemehr machen konnten, verdankte Grothmynseine Freiheit und sein Leben. Orbanascholwäre sicherlich ungehalten gewesen, hätte erherausgefunden, daß sein Versorgungsmei-ster große Mengen an kriegswichtigemNachschub von eigens dafür angeheuertenDiebesbanden stehlen ließ, um sie anschlie-ßend mit horrendem Gewinn an die Flottezurückzuverkaufen.

Wegen dieser Rückschläge war Groth-myns Kasse ziemlich angeschlagen, und an-gesichts der Wahnsinnsbeträge, um die Or-banaschol zu spielen pflegte, blieb dem Ver-sorgungsmeister gar nichts anderes übrig, alsebenfalls zu mogeln. Sonst hätte er nachkurzer Zeit Bankrott anmelden müssen. Daswiederum hätte zu einer genauen Überprü-fung seiner Bücher geführt, und das wieder-um …

Grothmyn wagte nicht, an diese Möglich-keit zu denken. Er leckte sich die Lippenund nahm die Karte zurück, die im Spiel ei-gentlich nur einmal hätte auftauchen dürfen.Eine hatte Grothmyn zusätzlich einge-schmuggelt, zwei weitere steckten in denÄrmeln seiner Erhabenheit.

»Ich bitte um Vergebung«, winselte derVersorgungsmeister und spielte eine andereKarte aus.

Orbanaschols Hand blieb in der. Luft hän-gen. Grothmyns Karte gehörte zweifelsfreizum Spiel, das, Gegenstück in OrbanascholsHand mit gleicher Sicherheit nicht.

Der peinlichen Notwendigkeit, entwederdie Mogelei eingestehen oder Grothmyn alsFalschspieler hinrichten lassen zu müssen,wurde der Imperator durch das Eintreten ei-nes Kuriers entbunden.

Großzügig ging Orbanaschol sogar überdie Tatsache hinweg, daß der Kurier in denGemächern des Imperators eine Waffe trug.Orbanaschol nahm sich vor, nächstens ein

ernstes Wort mit dem dafür zuständigen Of-fizier der Naat-Leibgarde zu sprechen.

»Was gibt es? Warum wird meine Ruhegestört?«

Der Kurier richtete sich auf und berichte-te.

Der Imperator wahrte mit Mühe seineFassung.

Orbanaschol wußte, daß Gonozal VII. totwar, schließlich war er sein Mörder. DerMann, der Xoaixo in Aufregung versetzthatte, mußte also eine Imitation sein. Aberes war beängstigend, welche Wirkung dieseNachahmung hervorgerufen hatte.

Wenn ein nachgemachter Gonozal VII.schon solches Furore machte, was würdeerst geschehen, wenn dieser verfluchte Kri-stallprinz Atlan sich wieder rührte und sei-nen Anspruch auf den Thron von Arkon inder Öffentlichkeit erhob? Orbanascholglaubte sein Imperium bereits zerbröckelnfühlen zu können.

Der Kurier beendete seinen Bericht, undOrbanaschol machte ein gleichgültiges Ge-sicht.

»Ich erwarte von der Flotte, daß sie hartund unnachsichtig durchgreift. Die Rädels-führer sind strengstens zu bestrafen, nötigen-falls hinzurichten, wenn es sich nicht umAngehörige besonders berühmter Familienhandelt.«

Orbanaschol wurde nachdenklich. DerKurier stand noch immer aufrecht vor demLager des Imperators, während Grothmyngeschickt die Kartenkonstellation ein wenigzu seinen Gunsten veränderte.

»Dieser Atlan wird mir langsam zufrech«, murmelte Orbanaschol. »Ich glaube,ich werde stärkere Mittel gegen ihn anwen-den müssen.«. Er wandte sich an Grothmyn.

»Ich denke daran, Klisanthor einzuset-zen!«

Grothmyn wurde so weiß wie das Kissen,auf dem er saß. Der Kurier stammelte:

»Klisanthor? Den Magnortöter?«Orbanaschol registrierte befriedigt die Re-

aktion, die seine Worte hervorriefen.»Eure Erhabenheit, ich gebe zu bedenken

Die stählernen Schwingen von Orxh 51

…«Genaugenommen war es ein todeswürdi-

ger Frevel, daß der Kurier wagte, die Ent-schlüsse des Imperators zu kritisieren. AberKlisanthor …?

Mit einer Geduld, die selten an ihm war,hörte sich Orbanaschol die förmliche Be-schwörung des Kuriers an. Als dem Manndie Worte ausgingen, fiel Grothmyn ein.Zum ersten Male wagte er Widerspruch, undOrbanaschol hörte auch ihn an. Aber je mehrdie beiden Männer auf ihn einredeten, um sofester wurde Orbanaschols Entschluß.

Einige Minuten lang hörte sich der Impe-rator noch die beiden Männer an, dann geboter ihnen zu schweigen. Als Grothmyn dieAugen seines Herren betrachtete, fiel ihmdas Funkeln darin auf.

Grothmyn wußte, was dieses Funkeln zubedeuten hatte, und er hatte Angst davor.

Es gab kein Zurück mehr, Orbanascholwürde Klisanthor rufen.

*

Nander Guntakal verfolgte den Angriffder Flotte auf den Bildschirmen der Station.

Irgend etwas war an Bord der Schiffefalsch verstanden worden. Die Offiziereglaubten offenbar, der Energieschirm umden Regierungspalast bedeute Widerstand,und sie handelten dementsprechend. Rück-sichtslos griffen sie den Palast an.

Sie hörten mit dem Beschuß erst auf, alsder Schirm zusammenbrach und die oberenStockwerke restlos zerstört waren. Unter denToten würde man später auch Nathel Sun-war finden, mit einem Ausdruck unendlicherÜberraschung im Gesicht.

Der Kommandant des Schlachtschiffs sahdie Zerstörungen und gebot dem BeschußEinhalt.

»Wir sollen Ahjod nicht entvölkern, son-dern nur züchtigen. Es wird das beste sein,wir geben ein paar Warnschüsse ab, die dasVolk beeindrucken werden. Zielen Sie aufdas nutzlose Sumpf gebiet im Norden derStadt. Wir werden es ein wenig austrock-

nen!«

*

Die CRYSALGIRA raste mit höchstenBeschleunigungswerten durch den Raum,dicht hinter uns jagten die flinken Zerstörerder Flotte. Es war eine Angelegenheit voneinigen Sekunden, die wir mehr Zeit gehabthatten. Jetzt waren wir schon fast schnell ge-nug, um die Transition einleiten zu können.

Fartuloon war gerade noch rechtzeitig ge-kommen. Er stand neben mir und starrte aufden Planeten herab, der nur noch als kleineScheibe zu sehen war. Die Verwüstungen,die von der Flotte angerichtet wurden, konn-ten wir uns ausmalen. Ich empfand eingroßes Bedauern, und ich verhehlte meineGefühle nicht. Dort unten starben Men-schen, die das gleiche Recht auf Leben besa-ßen wie ich. Hatten wir richtig gehandelt, alswir diese friedliche Welt für unser Experi-ment aussuchten?

»Die Revolution, die unser Ziel ist, Atlan,unser berechtigtes Ziel, wie ich hervorhebenmöchte, wird in jedem Fall Opfer kosten,das Leben von Menschen, die es mehr alsOrbanaschol verdient hätten, glücklich undin Frieden zu leben. Wir haben nicht dasRecht, über diese Leben zu bestimmen, aberich glaube auch nicht, daß wir das Recht ha-ben, Orbanaschol weiterhin gewähren zulassen. Auch dann werden Unschuldige ihrLeben lassen müssen.

Aber dieser Versuch, Sohn; hat uns ge-zeigt, daß wir im Kampf gegen den Tyran-nen eine wirkungsvolle Waffe besitzen!«

Ich wußte, daß Fartuloon recht hatte, aberes blieb ein schaler Geschmack dabei zu-rück.

Dann war der Transitionspunkt erreicht.

*

Irgendwo fiel das kleine Schiff in dasNormalkontinuum zurück. Thaher Gyat at-mete erleichtert auf. Die Flucht war gelun-gen.

52 Peter Terrid

Thaher wandte sich zu anderen um. »Wirhaben es geschafft«, sagte er lächelnd. »Jetzthaben wir genügend Ruhe, um einen neuenKurs zu berechnen und zu programmieren.Ich habe auch schon ein Ziel für uns.«

»Doch nicht etwa …?« Huzur Mistisschüttelte sich.

»Doch, die stählernen Schwingen von Or-xh!« erklärte Thaher mit leuchtenden Au-

gen.»… was auch immer das sein mag«, mur-

melte der fahnenflüchtige Soldat. »Es hörtsich nicht sehr gut an!«

ENDE

E N D E

Die stählernen Schwingen von Orxh 53