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Die Stellung der Quantenphysik zu den aktuellen Problemen der Biologie

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Die Stellung der Quantenphysik zu den aktuellen Problemen der Biologie.

(~bersieht.) V o n

P. Jordan, Rostock.

1. Mikrophysik. Die Frage, ob es mSglich sei, den ]ebenden Organis- mus restlos zu verstehen nach Analogie einer komplizierten Maschinerie - - oder, allgemeiner gefal~t, die Frage nach dem grunds~tzlichen Verhd[tni8 physikalischer und biologischer Gesetzlichlceit--, hat bekanntlich eine un~angreiche Diskussionsliteratur entstehen lassen. Von der Seite der Physik muB jedoch gesagt werden, da~ wit eigentlich erst seit kurzer Zeit imstande sind, an eine begriindete Er6rterung dieser Frage heran- zugehen. Wenn man beispielsweise um die Jahrhundertwende diese Frage zu erw~gen suchte, so fehlte damals schlechterdings die notwendige Unterlage in Gestalt einer ausreichenden Kenntnis der physilca[ischen Feinstrulctur der Materie. Die in ihren Anf~ngen stehende Atomphysik war damals noch nicht einmal bis zum einwandfreien grunds~tzlichen Nachweis der Rea~itdt der Atome vorgedrungen; und das soeben entdeckte Planclcsche Wirkungsquantum sollte noch ffir zwei bis drei Jahrzehnte den Physikern schwierigste Ri~tsel aufgeben. Bei so ungentigender, hSchst summarischer Kenntnis schon der unbdebten Materie konnte die tiefere Frage, ob und in welchem Sinne die belebte Materie ihr gegenfiber Ver- schiedenheiten zeigt, damals nut in obeffl~chlicher Weise behandelt werden.

Heute jedoch befinden wit uns in einer ganz anderen Lage: die Physik hat durch Atom- und Quantenforschung eine ersch6pfende Kenntnis aller derjenigen Eigenscha~ten der unbelebten Materie gewonnen, welche flit die Biologie yon grunds~tzlicher Bedeutung sein k6nnen. Zwar gibt es ffir den Physiker nattirlich noch unaufgekl~rte Gebiete, n~mlich in Kernphysik und HShenstrahlforschung; jedoch handelt es sich dabei um Vorg~nge, die im organischen Leben nicht vorkommen. Nur nach der Seite der experimentiertechnischen MSglichlceiten kSnnen diesbezfig- liche physikalische Ergebnisse (radioaktiver Phosphor; Neutronenstrah- lung) auch biologisch wichtig werden.

Unsere grunds~tzlich ersch6pfende Kenntnis der Gesetze, welche a~lle an den E]ektronenhfillen der Atome sich abspielenden Vorg~nge

Archly f. Virusforschung Bd. I, H. 1. 1

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beherrsehen, bedeutet, dal3 es im Prinzip m6glich w/~re, durch reine theoretisehe Deduktion jedes konkrete Einzelproblem in diesem Gebiet zu 16sen. Praktiseh wird allerdings diese theoretisehe Deduktion in vielen F/tllen undurehfiihrbar aus Grtinden zu grol3er mathematiseher Komplikation. Jedoeh liefern die yon der Atom- und Molekular- physik ausgearbeiteten Methoden mS~ehtige Hilfsmittel aueh f/Jr die empirische Feinstrukturerforsehung konkreter Objekte. Bekanntlieh ist es m6glieh gewesen, mit diesen Methoden aueh die Struktur- probleme der EiweiBk6rper mit bereits beaehtliehen Erfolgen anzu- greifen (Keratin).

Jedoeh handelt es sieh bei den Errungensehaften der neueren Physik nieht nur um eine I~eihe neuer Einzeltatsaehen, sondern vor allem aueh um die Sehaffung ganz neuer Formen physikaliseher Vorstellungsm6glieh- keiten, die Entdeekung eines neuen Typs physikaliseher Gesetzliehkeit. Hierdureh wird die grunds/ttzliehe Diskussion des Verh/tltnisses Physik- Biologie gegen frtiher erheblieh versehoben.

Eine fltichtige Charakterisierung der ,,Mi~rophysilc" in ihrem Gegen- satz zur klassisehen oder ,,Makro"-Physik* hat vor allem folgende Punkte hervorzuheben :

1. Es ist in weitestem Umfange bewiesen, dab alle physikalisehen Substrate aus winzigen Korpuskeln bestehen. Obwohl die Vorstellungen der alten Atomistik hiermit weitgehend gereehtfertigt worden sind, ist doeh auf wesentliche Versehiedenheiten gegeniiber der s Atom- vorstellung zu achten. Einerseits ist eine korpuskulare Struktur in noch gr613erem Ausmal3 aufgefunden worden, als vermutet worden war: aueh im Lieht wurden Korpuskeln, ,,Lichtquanten", gelunden; anderseits aber zeigte sich, daft nut eine Seite der wirklichen Verh/~ltnisse dureh die Korpuskularvorstellung erfal]t wird, da jeder Korpuskularstrahl (Lieht, Kathodenstrahl, N[olekularstrahl) ,,anderseits" aueh Wellen- eigenschaflen zeigt. Ferner ist das Auftreten korpuskularer Teilehen naeh der Quantentheorie als nur speziellerer Ausflug umfassenderer Gesetzliehkeiten zu verstehen, welehe ein unstetiges, 8prunghafles Ge- schehen (,,Quantensprtinge") als Grundform mikrophysikaliseher Vor- g/inge vorsehreiben.

2. Dieses unstetige, sprunghafte Geschehen tr i t t in eigentfimlieher Weise aus dem Rahmen der klassisehen Kausalitiilsvorstellung heraus: die Quantensprtinge sind nur statistischen Gesetzen unterworfen; jeder einzelne Quantensprung ist als solcher ein in keiner Weise vorherseh- bares, vorausbestimmtes Ereignis.

* Meine Sehrift ,,Die Physik des 20. Jahrhunderts" enth/~lt den Versuch. unter Verzieht auf die mathematische Formulierung den grunds~tzliehen Gedankeninhalt der neuen Physik systematiseh darzustellen (2. Aufl. Braun- sehweig 1938).

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3. Die Tatsache, dal~ z. B. das Licht zwei verschiedene ,,Seiten", eine korpuskulare und eine wellenhafte, zeigen kann, ist ein Beispiel der die gesamte Quantenphysik durchziehenden und beherrschenden Erscheinung der ,,KompIementaritdit": jedes mikrophysikalische Objekt hat verschiedene ,,Seiten" in dem Sinne, dal] es sich je nach den experi- mentellen Bedingungen, denen es unterworfen wird, gewissermal~en in verschiedener Gestalt zeigen kann; aber es ist nicht mSglich, dab alle diese ~erschiedenen Seiten in einem und demselben Experiment zugleich ~ in Erscheinung treten. Dies h/~ngt damit zusammen, dal~ wir fiir die Unter- suchung eines mikrophysikalischen Objektes Instrumente anwenden miissen, die (da selber aus zahlreiehen Atomen zusammengesetzt) sehr grob gegeniiber dem Untersuehungsobjekt sind: infolgedessen ist jeder Beobachtungsakt am mikrophysikalischen Objekt naturgesetzlich ver- kniip]t mit einem das Objekt selber ver/~ndernden Eingri]]. Das Beste, was man erreichen kann, ist die Konzentrierung dieses Eir~griffes auf eine bestimmte ,,Seite" des Objekt~s; diese Seite wird dann vSllig der BeobachtungsmSglichkeit entzogen, aber eine andere, dazu ,,kompleme~t- tdire" Seite wird der Beobachtung und Messung zug/~nglich.

Diese - - eine einschneidende Verschiedenheit gegenfiber der gewShn- ten Makrophysik begrfindenden - - Eigentiimlichkeiten der Mikrophysik legen den Verdacht nahe, dal~ die mikrophysikalische Gesetzlichkeit vielleicht in einem wesentlich n/~heren Verwandtsehaftsverh/s zur biologischen Stehen kSnnte, als die makrophysikalisehe. Das universelle Hervortreten korpuskularer ,,Individuen" in der Mikrophysik drs einen Vergleich auf mit der biologischen Erscheinung der Individualit~t, die ja den eigentlichen Gegenstand aller auf den Begriff der ,,Ganzheit" geriehteten ErSrterungen bildet. Die Auffindung eines in gewissem Umfang nieht kausal determinierten Gesehehens erscheint ebenfalls vom biologischen Standpunkt hSehst bemerkenswert: Aueh bei vor- 'sichtigster Zurfickhaltung betreffs der allgemeineren philosophischen Probleme, fiir deren Durchdenkung hiermit eine ganz neue Situation geschaffen wird (z. B. ,,Willensfreiheit"), wird man die MSglichkeit nieht ungeprfift lassen diirfen, daI3 vielleicht ein gewisser Spielraum akausalen, freien Geschehens wesentliehes Charakteristikum alles Biolo- gischen sein kSnnte. Endlich erinaert die mikrophysikalische Komple- mentarit/~t daran, dab auch fiir die Biologie das Problem der Ver/~nderung eines untersuchten Objektes durch den UntersuchungsprozeB ein sehr ernstes Problem ist, in dem vielleieht tiefere Fragen liegen als bisher vermutet wurde; Fragen, die im Sinne einer ,,biologischen Komplemen- tarit/~t" zu beantworten w/~ren. - - N/~here Prfifung best/~tigt, dab der- artige Vermutungen nicht unberechtigt sind.

1. Gerade die Virusforschung hat in den letzten drei Jahren gezeigt, dab der Vergleich biologischer und mikrophysikalischer Individuen

1"

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keineswegs unnatfirlich ist. Die Virusforschung hat ja dureh die von Stanley eingeleiteten Untersuchungen 2s die friihere Liicke zwischen kleinsten Organismen und gr61~ten Molekfilen ausgeffi.llt: wir kommen in ununterbrochener Stufenreihe yon den biologischen Individuen zu den mikrophysikalischen hinunter.

2. Die Frage, ob in biologischen Reaktionen die mikrophysikalische Akausalitiit zu maBgeblicher Auswirkung gelangen kann, gestattet eine Pr~zisierung. Der kausal eindeutig determinierte Ablauf makrophysikali- scher Reaktionen ergibt sich als Folgerung der statistischen Gesetze der Mikrophysik, indem es sich ffir die Makrophysik stets um das Durch- 8chnittsverhalten groI~er Mengen gleiehartiger Atome (unter gleichartigen Bedingungen) handelt. Immerhin kann unter sehr speziellen Bedingungen - - wie man sie in den in atomphysikalischen Untersuchungen iiblichen Verstiirkeranordnungen herstellt - - ein makrophysikalischer Vorgang ausgel6st werden durch einen mikrophysikalischen Einzelprozel~. Die mfl~rophysikalische Akausalits k6nnte also in der Weise (und nur auf diese Weise) in biologische Vorg~nge hereinspielen, dai] die Struktur der organischen Individuen Analogie zu Verst~rkeranordnungen zeigt (,,Verstdrlcertheorie der Organismen") in dem Sinne, dal~ gewisse mikro- physikalische Einzelprozesse Makroreaktionen des Org~nismus ausl6send ,,steuern".9

Damit ist der oben angedeutete Gedanke zu einer experimentel! prfifbaren Vermutung pr~zisiert. Der vorliege.nde Aufsatz wird erl~utern, dab die mikrophysikalische Steuerungs]einheit im biologischen Gesehehen - - noch vor zwei bis drei Jahren heftig bestritten - - heute als eine gesicherte Grundtatsache der gesamten Biologie betrachtet werden darf.

3. Dagegen ist die Frage der biologs Komplementaritiit heute noch nicht experimentell angreifbar geworden und soll deshalb hier auger Betracht bleibe.n. Sie diirfte allerdings kiinftig ffir die Fr~ge, ob eine restlose Zurfickfiihrung der biologischen Erscheinungen auf die heute bekannten physikalischen Gesetze (einschlie[31ich Quantentheorie) m6glich sei, besonders wichtig werden. Der Physiker hat wenig Ver- st~ndnis ffir die Neigung, die MSglichkeit dieser Zuriickfiihrung zu einem Dogma zu machen. Denn innerhalb der Physik sind gerade die bedeu- tendsten Fortsehritte (Maxwellsche Elektrodynamik; Relativits Quantenmechanik) verkniipft mit dem Verzicht auf eine dogmatisehe Aufrechterhaltung bis dahin ftir ausreichend gehaltener Vorstellungen und mit der Schaffung grundss neuer Begriff( ~ und Vorstellungs- f o r I l l e n , 10

2. Mikrophysikalisehe Angriffsmittel. Die wichtig.~tc Methode zum Nachweis einer mikrophysikalischen Steuerung in lebenden Zellen be- steht in der ktinstlichen Hervorrufung von biologischen Reaktionen vermittelst einer Einwirkung, deren Prim~reffekt als einzelner Quanten.

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sprung zu erweisen ist. Dafiir gibt as mannigfache M6glichkeiten. Die entscheidenden Kriterien, nach welchen sieh eine biologische Reaktion als dureh einen einzeInen Quantensprung ausgelSst erkennen l~Bt, sind dabei, entspreehend dem Charakter der Mikrophysik: 1. Eine Unstetig- keit, welche die fragllche Reaktion als unteflbar und keiner Abstufung f/~hig erseheinen ls 2. Ein statistisches Funktionieren der die Reaktion hervorrufenden Ursache, derart, dab bei gleichartiger Einwirkung auf gleichartige Individuen ungleiche Resultate eintreten - - bei einem ge- wissen Prozentsatz der betroffenen Individuen finder die fragliche Reaktion start, bei den iibrigen dagegen nicht. 3. Ein mathematiseh einfaehes Gesetz dieser Statistik: Bei konstant gehaltener Einwirkung n immt der Logarithmus der Anzahl nichtreagierender Individuen linear mit der Zeit ab. - - In vielen F~llen (insbesondere bei den StrahIungs-Experi- menten) kommt noch hinzu 4. Abwesenheit eines Zeit]alctors; d. h. der durch eine best immte Dosis der Einwirkung erzeugte Effekt ist unab- h~ngig yon der zeitlichen Verteflung dieser Dosis. - - Endlich ist bei den Strahlungsexperimenten in allen F/~llen einer dureh einen einzigen Quantensprung ausgel6sten Reaktion 5. Temperaturunabh~ingigl~eit des Vorganges festzustellen.

Diese Kriterien mSgen erlgutert warden etwa an dem ausftihrlieh untersuchten Beispiel des Bacterium coll. Die diesbeziigliehen Experimente wurden z. B. so durchgefiihrt, dab die Bakterien, sbrgf/~ltig in Einzel- individuen getrennt, auf einen N/~hrboden gesetzt, daIm bestrahlt und hernach sich selbst iiberlassen wurden; ein Tell der bestrahlten Indivi- duen teilt sich und bildet Kolonien, die iibrigen bleiben ungeteilt. Diese dem obigen Punkte 2 entsprechende Verschiedenheit des Verhaltens wird entsprechend Punkt 1 versch/~rft durch den Umstand, dab die zur Teilung sehreitenden Individuen sich untereinander durchaus gleichartig ver- halten, also nicht etwa ihrerseits eine in versehiedenen Graden ausge- bfldete Verlangsamung des Wachstums od. dgl. zeigen. Aber nicht nut Bestrahlung, sondern aueh viele andere TStungsmittel zeigen in ihrer Einwirkung auf Bacterium coli einen unstetigen, statistisch fluktuierenden Effekt. Z. B. gilt dies yon gewissen Gi[ten, insbesondere ItgC12 und Phenol. Ferner verl~uft die T6tung durch Hitze, 2"rost, Austrocl~nung in dieser Weise.

Dabei gilt aueh in fast allen Fs das oben unter 3 erw~hnte Exponentialgesetz der T6tungsstatistik, welches den eindeutigen Beweis ftir die AuslSsung des TStungsvorganges durch je einen einzigen mikro- physikalischen Elementarakt liefer~. Die Formel

Ar = Noe-Kt (oder log N = konst. - - Kt)

fiir die Anzahl ~V der unbeein[lu[3ten Individuen als Funktion der Zeit t (wobei die Konstante K yon der Art der konstanten Einwirkung abhs

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ist fiir Bestrahlungen des Bacterium coli (Ultraviolett, RSntgenstrahlen, a-, fl-, y-Strahlen, K~thodenstrahlen) von verschiedenen Verfassern sichergestellt ( WyckoH-Rivers, Wycko]], Lea-Haines-Coulson, Pugsley- Oddie.Eddy, 2v~agell-Noethling, vgl.n). Dabei drfickt sich die Abwesen- h e r eines Zeit]aktors offenbar so aus, d~l] die Konstante K der Exponential- formel proportional der Intensit~it der Strahlung ist. Auch die Temperatur- unabMingigkeit der StrahlentStung ist gesichert. Die Gfiltigkeit des Exponentialgesetzes ffir TStungen durch Gifte, Hitze, Frost, Austrock- nung ist schon in ~lteren Untersuchungen gezeigt worden; eine kritische Zusammenfassung gab Rahn; weiteres Material (jedoch erSrtert von einem ganz anderen Standpunkt aus) finder sich in einem Buch von Clark. Die TStung durch Frost (yon - - 1 0 ~ bis - - 2 0 ~ ist neuerdings yon Haines untersucht (vgl.n).

Aus den hervorgehobenen Ergebnissen der UltraviolettStung ist zwangsl~ufig zu folgern, daB die TStung bedingt wird durch einen Prim~r- prozeB, welcher aus der Absorption eines einzigen Lichtquants besteht: Offenbar kommt es vor, dal] die Absorption eines ultravioletten Licht- quants durch ein bestimmtes Molekfil der Zelle gewissermaBen eine Verst~rkerapparatur in Funktion treten ls die aus diesem mikro- physikalischen Vorgang einen die ganze Zelle effassenden Effekt hervor- gehen l~l~t. Natfirlich tr i t t dieses keineswegs bei ]eder ultr~violetten Lichtquantabsorption in der Zelle ein: bei der Bestrahlung eines Haufens yon Colizellen stehen jeder tSdlieh wirkenden Absorption im Durchschnitt etwa 106 andere, nicht tStende (und dann, wie ebenfalls aus dem Exponen- tialgesetz zu folgern ist, praktisch ganz unwirksam bleibende) Absorp- tionen gegenfiber. Noch extremer wird das Verh~ltnis z. B. bei jungen Drosophila-Eiern, die ebenfalls durch eine einzige Lichtquantabsorption get5tet werden kSnnen (Langendor]].Sommermeyer); hier entfallen etwa durehschnittlich 1012 unwirksame Absorptionen auf eine ~virksame. ~7

~hnlich haben wit bei den Gif t~rkungen aus dem Exponential- gesetz zu schlieBen, dab ein einzelnes Giftmolekiil (bzw. ein entsprechendes Ion) dureh Reaktion mit einem empfindlichen Molekfil der Zelle die TStung (bzw. Seh~digung) auslSst. Man kann ja offenbar betreffs der fragliahen Gifte den obigen Befund (Exponentialgesetz) auch so aus- driicken: Die TStung verl~uft wie eine monomolekulare Reaktion. Natfir- lieh ist aber dieser Befund nicht etwa so zu deuten, dab nun die ganze Zelle als ein einziges riesiges Molekiil betrachtet wird; sondern wiederum ist das Vorhandensein von Verst~rkerwirkungen zu erkennen, die aus einem einzigen chemischen Molekularakt eine makrophysikalisehe Wirkung herleiten.

Die schon vor l~ngerer Zeit gemachten Befunde dieser Art sind d~m~Is wohl fast allgemein als etwas phantastisch und unglaubwfirdig angesehen worden, und dieses interessante Arbeitsgebiet hat deshalb bei weitem

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nicht diejenige Pflege gefunden, die man ihm wtinschen mSchte. Nachdem die Wir]csto//orschung mit ganz andersartigen Methoden neuestens ge- zeigt hat, dab in gewissen Beispielen ein einziges Wirkstoffmolekfil (Crocin) das Verhalten einer Zeile mal~gebend beeinflussen kann, wird die Untersuchung der ,,Tre//ergi/te" hoffentlich lebhafter in Gang kommen. Natfirlich gibt es viele Gifte, deren Wirkungsweise eine andere ist als die der Treffergifte (z. B. StSrung der Zellfunktionen dureh Ausbfldung einer monomolekularen Schieht auf einer Zellmembran); auBer Sublimat und Phenol scheinen jedoch z. B. folgende Substanzen als Treffergifte wirken zu kSnnen: Nikotin; Pyridin; Di-nitro-o-cresol; Zn-Sulpho- carbolat.*

Die Untersuchungen mit ionisierenden Strahlungen erlauben erst nach genauerer theoretiseh-physikailscher Diskussion eine Klarstellung des Prim~raktes. Wir kommen in w 4 hierauf zurfick und erw~hnen augen- blicklieh nut das Resultat, dal~ in dieseh F~llen jeweils die AbreiBung eines einzelnen Elektrons (Ionisierung) aus einem gewissen Atom bzw. Molekfil die TStung auslSst.

Ausgedehnte Diskussionen sind geffihrt worden fiber die ~rage, ob das statistisch ungleichms Reagieren der Zellindividuen in den TStungsexperimenten vielleicht ein Ausdruck biologischer Variabilitdt sein kSnne, derart also, dal~ die benutzte Zellpopulation - - trotz der sorgfMtigen Bemfihungen, die selbstverst~ndlich darauf angewandt werden, ffir bestmSgliche Homogenit~t zu sorgen - - tatss noeh so inhomogen sei, dab auch eine makrophysi]calische Einwirkung bereits zu ungleichms T6tungsresultaten ffihren mfisse. Jedoeh kann diese Frage Ms erledigt angesehen werden. ])as Exponentialgesetz der TStung, das in einer Reihe yon F~llen klar erwiesen worden ist, beweist gerade das 57ichtvorhandensein merklicher biologischer Variabiilt~t jedenfalls an den ffir die ffagliche Einwirkung empfindlichen Organen; bei Vorhandensein einer Inhomogenitiit des bestrahlten Materials zeigt sich eine ganz bestimmte Abweichung yore Exponentialgesetz (vgl. 11, 81).

Die Entscheidung, ob ein bestimmter Fall statistisch fluktuierenden Reagierens gegenfiber einer gleiehm~l~igen Einwirkung dureh mikro- physikalische Ausl6sung der Reaktion oder dutch biologisehe Variabilit~t (Inhomogenit~t der Population) bedingt ist (oder dutch beides zugleich), wird allerdings schwieriger in solchen Fi~llen, die nieht mehr dem Exponentialgesetz folgen. Derartiges kann ohne Mitwirkung biologiseher Variabilit~t zustande kommen, wenn die verffigbaren Untersuehungs-

* Nach freundlieher Mitteilung yon Herrn Dr. A. K6niger gibt eine Untersuchung yon Fromherz und Heifl 4 AnlaI~ zu dem Verdacht, dal~ auch Ag-Ionen als Treffergift wirken kSnnen, und zwar dadurch, dab sie Komplex- verbindungen mit der Phosphors~ure der Nucleoproteide bilden. Es diirfte interessant sein, dieser Frage nachzugehen.

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mittsel es nicht erlauben, diejenige biologische Reaktiou zu erkennen, die durch einen gewissen einzelnen Quantensprung ausgelSst wird, wohl aber dasjenige Resultat festzustellen gestatten, welches sieh aus der kombinierten AuslSsungswirkung yon zwei, drei . . . . oder vielleicht acht bis zehn einzelnen mikrophysikalischen ,,Tref/ern" ergibt. Aueh solche Fil le sind unter Umst inden noch einer eingehenden Analyse zuginglich, die auch ein etwaiges Mitspielen biologischer Variabilitit zuverl~ssig auszuschlieBen vermag. Gerade bei den beiden neben Bacterium coli best- untersuchten Beispielen der ,,nichtgenetischen" Strahlenbiologie, bei He]e (Holweck-Lacassagne; Gbcker-Langendor[f-Reufi; Schreiber) und bei Sporen yon Pteris longi]olia (Zirkle) liegen solche Fil le vor (vgl.ll).

Bei He[e ist sowohl Temperaturunabhdngigkeit der StrahlentStung als ~uch Abwesenheit eines Zeit[aktor~ festgestellt; s und bei Pteris longi- [.olia diirfte dasselbe gelten. Jedoch sind auch kompliziertere Fil le be- kannt, bei denen die Kombination der Wirkungen verschiedener einzelner Elementarakte yon der zeitlichen Differenz ihres Eintretens abh~ngig ist; es entsteht dann also ein ,,Zeit/aktor".

In allen Fallen jedoch ist eine quantitative Ermittlung des statistischen Gesetzes der t~eaktion die unentbehrliche Grundl~ge ffir jeden Versuch, d e n PrimirprozeB auf die Spur zu kommen. DaB nur ein klcinerer Teil der fiberaus umfangreichen strahlcnbiologischen Literatur dieser Not- wendigkeit Rechnung getragen hat, ist ~Is Hauptursache fiir die zahl- reichen Unsicherheiten und IY[einungsverschiedenheiten anzusehen, die sich aui diesem Gebiet herausgebildet batten. Untersuchungen ohne

derartige st~istisehe Ermittlung haben in den meisten F~llen nur deskriptive Bedeutung. Das gilt aueh z. B. yon der besonders sch6nen Untersuehung der Strahlenwirkungen an Chlorella vulgaris, welche K. Pietschmann 2~ n i t minuti6ser 3{ethodik (Mikromanipulator) durch- gefiihrt hat: d~ hierbei alle untersuchten Zellen miv derselben Strahlendosis bestrahlt wurden (10 000 r), muB die Deutung der gefundenen Effekte vertagt bleiben, bis aaaloge Ermittlungen auch ffir andere Dosiswerte vorliegen.

3. Mikrophysikalisehe Steuerungsorgane. Die im vorigen Paragraphen erw~hnten Experimente zeigen grunds/~tzlich die MSgliehkeit, dureh einzelne @uantenspriinge biologisehe l%eaktionen auszu]6sen. Darnach muB aber weiterhin geschlossen werden, dab hi der Zelle ganz bestimmte Organe yon mikrophysikaliseher Feinheit bestehen, welehe' steuernde Funktionen austiben und an denen die mikrophysikalischen Angriffs- mittel angreifen. Denn das Zustandekommen derartiger hochgradiger Verst~irkerwlrkungen, wie sie aus den experimentellen Tatsachen zu er- kennen sind, setzt sehr spezielle, besondere StrukturverhMtnisse als Bedingung ihrer MSgliehkeit voraus. Nur bei der TStung durch Frost ist diese Uberlegung nicht ohne weiteres anwendbar, weil die Abkiihlung unter den Nullpunkt die gesamte Zelle in einen instabilen Zustand bringt,

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der durch einen an beliebiger Stelle erfolgenden Ansto9 (Bi!dung eines Eiskristallisationskeims) zum Zusammenbrechen kommen kSnnte. (Es ist allerdings sehr zweifelhaft, ob Derartiges gerade fiir die erwi~hnten Befunde yon Haines in Frage kommt; denn die Temperaturen, bei denen nach Goetz 5 ein Auskristallisieren der zun/~chst ,,verglasten" Zelle leieht stattfindet, liegen wesentlieh tiefer.)

Ffir solehe Fi~lle also, bei welehen eine StrahlentStung naeh dem Exponentialgesetz verls (oder die TStung wenigstens durch eine kleine Zahl yon ,,Treffern" gesehieht), werden wir dazu geftihrt, das Vorhandensein eines milcrophysi]calischen Steuerungssystems in der Zelle zu erschlieBen. Aber auch sogar ohne Kenntnis der Trefferzahl, die einer bestimmten Strahlenreaktion zugrunde liegt, kSnnen wir ganz allgemein behaupten, dab das Eintreten auffi~lliger biologischer Reak- tionen nach R5ntgenbestrahlung mit etwa 1000--10 000 r stets nur so zu verstehen ist, dab ein Angriff auf das mikrophysikalische Steuerungs- system stattgefunden hat. Es ist zwar in vielen Variationen die Ansieht vertreten worden, dab der 1)rim~rvorgang der l%Sntgenwirkung eine diffuse, makrophysikalisehe Beeinflussung der Zellfunktionen sei (etwa J~nderung der Ionenkonzentration, Seh~digung der Atmung, diffuse Allgemeinbeeinflussung des Zellplasmas); jedoeh ergibt eine quantitative Seh~tzung, dab ohne Zuhilfenahme hochgradiger Verst/~rkerwirkungen iiberhaupt kein wahrnehmbarer Effekt bei derartig geringen Strahlungs- dosen denkbar wi~re. Eine empirische Best~tigung erf/ihrt dieser Sehlu~ durch d.iejenigen Beispiele, bei denen das Exponentialgesetz festgestelIt und gleichzeitig erwiesen worden ist, dab die wirlcsamen Quantenprozesse sehr selten gegeniiber den praktisch unwirksamen sind. Z. B. ergibt sieh bei TStuug yon Euglena durch cr dab die smnmierte Wirkung yon etwa 100000 cr welehe in den Zelleib eindringen, ohne einen tStenden Treffer zu bewirken, immer noch nicht Wirkungen er- gibt, die mit der eines einzigen tStenden Treffers vergleichbar w/~ren, n

Natiirlich soil jedoeh mit der obigen These nieht bestritten werden, dab man bei Anwendung sehr groBer Strahlungsdosen praktiseh an jeder Stelle in der Ze]le unmittelbare Sehs erzwingen kSnnte, ohne das Steuerungssystem der Zelle in Ansprueh zu nehmen. Sehr groBe ultraviolette Strahlendosen werden bei Anwendung des Strahlenstich- apparates 33 benutzt, der es ermSglicht, Teilbezirke einer Zelle gesondert zu bestrahlen; hierbei kSnnen anseheinend an verschiedensten Orten ~enmittelbar Sch~digungen erzeugt werden. Ftir die Analyse des mikro- physikalisehen Steuerungssystems der Zelle ist diese an sich so inter- essante Methodik keineswegs sehr brauchbar, da sie mehr auf eine indi- viduelle Behandlung einzelner Zellen als auf gleichartige (und zwar schwache) ]3estrahlung einer groBen Zahl von Zellen - - zwecks statisti- seher Auswertung - - paBt.

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Anderseits wird man bei Anwendung sehr genau arbeitender Untersuchungsmittel wahrscheinlich mancherlei geringftigige Strahlen- wirkungen feststellen k6nnen, die in diffuser Weise im Cytoplasma zustande kommen, ohne wesentliche Mitwirkung des Steuerungssystems. Gewisse von Hollaender und Duggar ~ studierte Effekte geh6ren vielleicht hierher; und anderseits wird die yon der Welsschen Schule entwickelte /luoreszenzmikros]copische Untersuchung bestrahlter Zellen, die einerseits wichtige Ergebnisse betreffs der ~m Zellkern eintretenden Strahlenwirkungen erwarten l ~ t , anderseits vielleicht auch manche unmittelbar im Cytoplasma verursachte Effekte zu" studieren erlauben. ~ Ffir unseren hier verfolgten Gedankengang ist wesentlich, dal~ jedoeh gerade die au//iilligsten Strahlenwirkungen nicht mit derartigen gering- fiigigeren Effekten in kausalen Zusammenh~ng zu bringen sind, sondern praktisch immer dutch Ausl6sungen im Steuerungssystem zustande kommen.

Betreffs der Fr~ge, wo der Sitz der mikrophysikalischen Steuerungs- organe der Zelle sei, kann nach den Ergebnissen der Vererbungs/orschung kein Zweifel bestehen, daI3 vor allem der Zellkern mit den in seinen Chromosomen lokalisierten Genen wesentliche Steuerungsfunktionen ausiibt. Die Zustandsi~nderung eines einzelnen Gens - - also die ,,Gen- mutat ion" - - ist allen Erfahrungen nach ein unstetiger, unabgestufter Vorgang und begrfindet schon hierdurch den Verdacht, dal~ das Gen tats~chlich yon mikrophysikMischer Feinheit sei. Darfiber hinaus haben die durch Muller eingeleiteten strahlengenetischen Untersuchungen den durch Timo/de//-Ressovsky, Delbriick und Zimmer gefiihrten Nachweis erm6glicht, da]~ tats/~chlich ein einziger mika'ophysikalischer Elementar- akt (Ionisierung oder AnrGgung) eine Mutation ausl6sen kann. ~2 Nach- dem zun~Ghst eine Reihe yon Experimenten den zuverl/issigen Nachweis gaben, dal~ die mutationsausl6sende Wirkung einer R6ntgenbestrahlung yon Drosophila-Fliegen unmittelbar, ohne Zwisehensehaltung physiologi. seher Umwege, an den Genen der Keimzellen angreift, konnte durch systematisGhe Analyse gezeigt werden, dab die Genmutation, wenn sie zustande kommt, dutch eine einzelne Ionisierung bedingt ist. Analog kann bei Ultraviolettbestrahhmg etwa yon Pollen die mutationsaus- 15sende Wirkung je eines einzigen Liehtquants erwiesen werden. Fiir diese NIutationsauslSsung dureh Ultraviolett ist der Beweis des soeben Ausgesproehenen naturgem~l] in ganz analoger Weise zu erbringen wie bei den Ultraviolett-T5tungsexperimenten in w 2. Betreffs der RSntgen- strahlung werden wir die Beweismethode in w 4 bespreGhen.

Aber night nur die Strahlengenetik, sondern auGh die nichtgenetische Strahlenbiologie hat es in der Mehrzahl der F~lle zweffellos mit solehen Vorg~ngen zu tun, deren Prim~rprozesse an den Chromosomen angreifen. Fiir das oben erw&hnte Beispiel Pteris longi]olia hat Zirlde gezeigt, dab

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die Schi~digung durch ~-Strahlen (soweit die Genauigkeit der Experimente reicht) nu t am Zellkern angreift und nicht im Cytoplasma. Fiir die sonstigen wichtigsten Beispiele ist ebenfalls der Zellkern mit guten Griinden als Angriffsort der Strahlenwirkung zu erschlieBen. Insbe- sondere sind hier auch die Feststellungen yon Wels und Osann a4 hervor- zuheben, welehe gezeigt haben, dal~ die in Behinderungen und St6rungen der Teilung zum Ausdruck kommende Strahlensch~digung yon Hefe- zellen weder dureh eine StSrung der Atmungsfunktionen noch durch StSrung des G/~rungsstoffwechsels bedingt sein kann - - da diese beiden Funktionen bei bereits eingetretener Seh~digung des Teilungsmechanismus unbeeintr~chtigt fortbestehen k6nnen. Die somit gezeigte Prim/~r- beeinflussung des Teilungsverm6gens stimmt aber bestens zusammen mit der These, dab der Zellkern der Angriffsort der Strahlung s e i . - Experimente yon Scott 26 (an Calliphora-Eiern) lieferten analoge Ergeb- nisse; ebenso Untersuchungen mehrerer anderer Verfasser.

Betreffs der Bakterien ist die Frage, ob diese einen Zellkern besitzen, bekanntlich seit etwa 50 Jahren Gegenstand vielfi~ltiger ergebnisloser Auseinandersetzungen gewesen. Die Analyse der strahlenbiologischen Experimente an Bacterium coli (vgl. w 4) lie] jedoch keinen Zweifel, dab es auch in diesem Falle etwas _Ahnliches wie einen Zellkern geben miisse (,,Miniaturkern"); den Gedankengang der diesbeziiglichen Beweis- fiihrung werden wir in w 4 noch besprechen. Erfreulieherweise ist in- zwisehen aueh von ganz anderer SeRe aus diese Frage durch definitive Feststellungen gef6rdert worden. Die Anwendung der Feulgenreaktion, welche spezifisch fiir Nucleoproteide ist, hat die Existenz eines wohl- definierten kernartigen KSrperehens klar gezeigt (Piekarski , 19 Stille3~ Naeh Pielcarski gibt es jedoeh eigentiimlicherweise zwei verschiedene Formen von Bacterium coli (und anderen Bakterien), deren eine ein KernkSrperchen und deren andere zwei KernkSrperchen enth~lt. Auch das Elektronenmikroskop seheint dieselben K6rperchen erkennbar zu machen (v. B6rries, Ruska, RusIca); endlich erlaubt 19 auch die Ultra- violettmikroskopie ihre Erkennung auf Grund der charakteristischen Ultraviolettabsorption der Thymonucleins~ure (Caspersson).

Jedoch sind nicht nur die Gene allein als mikrophysikalische Steuerungs- organe der Zelle anzusehen. Auch die Mitochondrien und Plastiden - - den Genen analog darin, dal~ sie nur durch Teilung (Selbstverdoppelung), nicht aber durch selbsti~ndige Neubildung entstehen - - spielen eine s Rolle. Bekanntlich sind die Plastiden auch in gewissem Umfang als Vererbungstr~ger erwiesen. DaB die Mitochondrien unter Umst~nden als Angri//sort yon R6ntgenstrahlung in Betraeht kommen,'ist yon Danneel und Mitarbeitern in sehr iiberzeugender Weise wahrscheinlich gemacht worden (in Unt.ersuchungen betreffs der Haarfiirbung yon Kaninchen; vgl.11).

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12 P. Jordan:

Die Tatsaehe, dab eine einzelne Ionisierung in einem Gen eine Muta- tion bewirken kann, berechtigt dazu, das Gen kurzweg als ein gro/3es Molelciil zu bezeichnen. Wir k6nnen ja nieht etwa innerhalb des Gens noeh einmal eine Verst~rker~pparatur annehmen; vielmehr ist dem Gen selber mikrophysikalische Feinheit zuzuschreiben. Auch diirfen wir fiberzeugt sein, dab ein und dasselbe Gen, aus einer Reihe verschiedener Zellen herausisoliert, sich stets (abgesehen yon der M6glichkeit yon Mutationen) als v611ig gleich erweisen wiirde. Damit ist aber das wesent- ]iehste Kennzeichen eines ,,Molekiils" gegeben: auch in den Svedbergschen

�9 EiweiBuntersuehungen mit der Ultrazentrifuge wird ja die Bereehtigung, yon Molekiilen zu sprechen, aus der exakten Gleichheit' der Teilchen einer bestimmten EiweiBart abgeleitet. ~1 Wir werden deshMb die Be- zeichnung des Gens a]s Molekiil aueh dann aufrechterhalten diirfen, wenn sieh vielleicht in Zukunft die yon Dehlinger ~ ausgesproehene Idee bestgtigen sollte, dab das Gen mehrere gleiehartige (und im Falle einer Mutation gleichartig ,,umklappende':) Teflstiicke enth/~lt. Die Unter- suchungen yon Svedberg und Mitarbeitern haben ja gezeigt, dab bei Eiweigmolekfilen eine reversible Zerlegung in zwei (oder noch mehr) gleiche Teilstiicke h/~ufig leicht zu erreichen ist; jedoch hindert der damit sich zeigende Aufbau aus mehreren gleiehartigen Teilstiieken nieht, auch das ungeteilte Gebflde als Molekiil zu bezeichnen. ~, 3, ~9, 31

Fiir die Virusforschung ergeben sieh viele Beriihrungspunkte mit den die mikrophysikalischen Steuerungsorgane der Zelle betreffenden Untersuehungen aus der sehon oft betonten Jxhnlichkeit zwisehen Genen und Viruselementen. Die Erforschung der Gene hat aus den Resultaten der Virusforsehung viel Wichtiges zu lernen; und umgekehrt kSnnen Methoden und Ergebnisse der Genforschung maneherlei Anregungen fiir die Virusforschung bieten. Vielleieht ist fibrigens in dem Verhs yon Gen und Virus zum Tell noeh mehr als eine blol~e Analogie zu sehen: Da serologisehe Effahrungen eine Verwandtsehaft zwisehen den Viren yon Gefliigeltumoren und Bestandteilen normaler Zellen des I tuhnes gezeigt haben, ~ liegt es nahe, zwisehen den beiden konkurrierenden Deu- tungen des Krebsproblems, Mutationstheorie und Virustheorie, eine Synthese im Sinne einer Ausnutzung der _&hnliehkeiten yon Viruselemen- ten und Genen in Betraeht zu ziehen.

Gegenfiber der oben erlguterten These, dab mikrophysikalisehe Angriffsmittel nur durch Angriff auf das Steuerungssystem einer Zelle zu erheblieheren Wirkungen ftihren kSnnen, stellen iibrigens Virusarten und Bakteriophagen in dem Sinne eine Ausnahme dar, als ein einzelnes molekulares Individuum das Absterben einer angegriffenen Zelle herbei- f/ihren kann, ohne dab in diesem Falle deren Steuerungssystem ange- griffen werden mug: an Stelle der katalytisehen Wirksamkeit des Steuerungssystems, die in allen anderen Fitllen die Verstiirkun 9 des

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mikrophysikalischen Prims zu einem makrophysikalischen Vorgang vermittelt , t r i t t hier die autokatalytische Vermehrungsf~higkeit des angreifenden Molekiils.

Fiir den Beweis, dal] tats~chlich ein einziges Bakteriophagenindivi- duum den Tod einer Zelle herbeiffihren kann, ist im Prinzip dieselbe statistische Methode verwendbar, welche z. B. zu zeigen erlaubte, da~ ein einziges Lichtquant fiir eine TStung hinreicht. Unter geeigneten Bedingungen ergibt sich bei Einbringung eines Tr5pfchens Bakteriophagen- 15sung in ein Reagenzglas mit Bacillenkultur in unstetiger Verschieden- heir entweder keine Schs der Kultur oder ihre Vernichtung. Wird nun an zahlreichen Kulturen (die je dieselbe Anzahl von Bakterien ent- halten) dies Experiment mit stets derselben Menge des Phagen aus- gefiihrt, so ergibt sieh durch Auszs der unbeschs Kulturen die Wahrscheinlichkeit ffir das Nichtzustandekommen eines erfolgreichen Angriffes unter diesen Bedingungen. Vergleicht man endlich die Werte dieser Wahrscheinlichkeit fiir verschiedene Mengen der Phagenl5sung, so muff, wenn die ZerstSrung tats~chlich durch erfolgreichen Angriff eines einzigen Phagenteilchens herbeigefiihrt wird, das Exponential- gesetz gelten: der Logarithmus der Wahrscheinliehkeit des ~berlebens muI~ linear abnehmen mit der Menge der zugesetzten LSsung.*

4. Treffbereiche und Energiewanderung. Die Besprechung der Beweis- methodik, durch welche in der Strahlengenetik eine einzelne Ionisierung als mutationsauslSsender Elementarakt festgestellt wird (Timo/de//- Ressovs]cy, Delbri~c]c, Zimmer), sollte bis zu diesem letzten Paragrs ver tagt bleiben, weft gerade in diesem Zusammenhange besonders wichtige Problemgemeinsamkeiten zwischen der Genetik und der Virus/orschung - - sowie weiter der Fermentforschung und der allgemeinen Eiwefl]chemie - - zutage treten. Unter Ubergehung der speziell den Genetiker angehenden Experimente, welche klarstellen, daI~ die mutationsauslSsende R5ntgen- wirkung wir.klich unmittelbar an den betreffenden Zellkernen angreift, und unter Obergehung der interessanten Methodik, durch welche eine klare zahlenm~l~ige Erfassung der induzierten Mutationsrate ermSglicht wird (z. B. Mullets ,,C1B-Methode"), haben wir folgendes hervorzuheben.

Die Hs der durch RSntgenstrahlen induzierten Genmu~a- tionen bei Drosophila ist:

A. Temperaturunabhi~ngig; B. zeitfaktor-/rei ;

* Nach privater Mitteilung yon Herin Fano wurde ein derartiges Ex- periment von Luria und Rita in Rom mi~ positivem Ergebnis ausgefiihrt, aber nicht verSffentlicht, da. das Vorhandensein einer ~hnlichen Arbeit eines amerikanischen u nachtr~glich festgestellt wurde. - - Eine uns noch nicht zug~inglich gewordene neue Arbeit von Parlcer Is scheint ebenfalls :4hnliches zu enthalten.

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C. bei kleinen Strahlungsdosen der Dosis proportional; D. bei vorgeschriebener Dosis wellenliingenunabh~ingig fiir alle hier

technisch anwendbaren R6ntgen-(und y-)Strahlen, d. h. yon etwa 10---15 kV aufw~rts.

Die Bedeutung dieser Punkte wird sogleich n~her besprochen werden; vorweg sei betont, dal3 nur die Kombination aller dieser - - verschiedene umfangreiehe MeBreihen erfordernden - - Feststellungen die wirkliche Klarstellung des Elementaraktes der Mutationsausl6sung ermSglicht. Dies zu betonen scheint wichtig im Hinblick auf Experimente betreffs der Inaktivierung bzw. Denaturierung von Virusarten, Fermenten und Eiwei~molekiilen beliebiger Art durch R6ntgenstrahlcn. Bekanntlich gibt es auSerordentlich viele diesbezfigliche Untersuchungen, deren Zusammenstellung hier nicht versucht werden soll. Jedoch ist bislang noch an keinem derartigen Beispiel der StrahleneinfluB in derselben systematischen Weise untersucht worden, wie es in der Genetik ge- sehehen ist; es sind deshalb aus den bisherigen Experimenten noch l~ngst nicht diejenigen Iniormationen herauszuholen, welche durch eine voll- st~ndigere Untersuchung zu erlangen w~ren. Es gibt wohl sicherlich viele Beispiele yon Inaktivierungen (sowohl yon Virusarteu Ms auch yon Fermenten), an denen alle vier Punkte A, B, C, D ebenfalls festzustellen w~ren; und diesbeziigliehe Ermittlungen w~ren yon grol~em Wert. Angebahnt ist eine der strahlengenetischen Methodik parallelgehende Untersuchung einer r6ntgeninduzierten ,,Mutation" des Tabakmovailc- virus durch Kausche und Stubbe. 14

Der obig e Punkt C bedeutet, dab ffir kleine Dosiswerte das oben schon erSrterte Exponentialgesetz gilt, welches ja fiir kleino Dosen in der Tat Dosisproportionalits bedeutet. F~ir gr6Bere Dosiswerte (mehrere 1000 r) t r i t t naturgemiiB eine Abweichung yon dieser Proportionalitiit ein, die jedoch wahrscheinlich nicht rein dem Exponcntialgesetz ent- spricht, sondern noch zus~tzliche (im jetzt verfolgten Zusammenhange nicht interessierende) Nebeneffekte mitenth~It.

Die Wirkung der RSntgenstrahlen im durchstrahlten Material ver- l~uft bekanntlich so, dab zuns schnelle Elektronen ausgel6st werden, die ihrerseits l~ngs ihrer Bahn eine Reihe weiterer Ionisierungen ver- anlassen. Dabei ist die Dichte der Aufeinanderfolge der Ionisierungen 1/~ngs der Bahn eines schnellen Elektrons wesentlieh abh~ngig yon dessen Energie: c~ie durch langwellige RSntgenstrahlen ausgel6sten Elektronen ionisieren in dichterer Folge als im FaIle kurzwelliger Strahlung. DaB trotzdem die erzeugte Mutationsrate g e m ~ Punkt D nur yon der Dosis, d. h. der Gesamtzahl der eingetretenen Ionisierungen abhs zeigt in Verbindung mit A und B, dab die MutationsauslSsung je auf eine einzelne Ionisierung zuriickgeht und nicht etwa auf ein komplizierteres Zusammen- wirken verschiedener Ionisierungsakte.

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Bei Bacterium coli ist ffir die R6ntgentStung das Zutreffen der obigen Aussagen A, B, C gesichert; betreffs D sind wir mangels einer dieser Frage gewidmeten Untersuchung fiir Strahlungen von etwa 20 kV an aufw/irts auf did vergleichende Verwertung isolierter Befunde verschie- dener Verfasser angewiesen; diese Befunde rechtfertigen es jedoch tat- s~chlich, hier denselben Fall wie bei den Genmutationen der Strahlen- genetik anzunehmen; 11 jedenfalls schlieBen sie verschiedene andere in der Literatur vertretene I)eutungsversuche aus, yon denen derjenige yon Glocker der bekannteste ist.

Bei Prozessen, welche in dieser Weise durch eine einzelne Ionisierung ausgelSst werden, kann man als MaB fiir die Strahlenempfindlichkeit des fraglichen Objektes (in bezug auf die gemeinte Reaktion; es gibt oft an einem Objekt verschiedene derartige ReaktionsmSglichkeiten) das ,,Wirkungsvolum" einfiihren (analog dem ,,Wirkungsquersehnitt" der Atomphysik). Man denke sich einen Bezirk der Eigenschaft/ dab eine darin geschehende Ionisierung mit 100~oiger Sicherheit die betreffende Reaktion ausl5st, eine au[3erhalb geschehende Ionisierung dagegen hie. Dieser Bezirk mu$ dann eine ganz bestimmte Gr56e haben, die umge- kehrt proportional der ,,Halbwertsdosis" (Dosis fiir 50% ige Herbeifiihrung der Reaktion) ist. Diese GrSl]e also sei , ,Wirkungsvolum" genannt. Ffir einige einzelne Drosophila-Mutationen ist das Wirkungsvolum bekannt (Timo]de/]-Ressovsky, Delbriick); es sind Volumstfieke, die etwa hundert oder einige hundert Atome enthalten, a2 F/Jr Bacterium coli gab das Wirkungsvolum der RSntgentStung einen ersten Anhaltspunkt fiir die Gr51]e des ,,Miniaturkerns". n

Die Vorstellung eines eng begrenzten Bezirkes, in welchem sich die Strahlenempfindlichkeit konzentriert, 1/~$t aber erwarten, dab bei Strah- lungen, die eine sehr dichte Folio yon Ionisierungen ergeben, eine Ver- gr6flerung der Halbwertsdosis eintreten mu$; denn hier werden, wenn iiberhaupt, durchschnittlich gleich mehr als eine Ionisierung im empfind- lichen Bezirk eintreten, so dab ein st/~rkerer Verbrauch von Ionisierungs- akten pro T6tung oder Mutation stattfindet. Ein derartiger ,,Siittigungs- e//ekt" ist in der Tat bei Bacterium coli an den T5tungsexperimenten mit sehr weichen R6ntgenstrahlen (Wycko]]) zu erkennen.n An den Droso- phila-Mutationen ist er - - hinreichend weiche R6ntgenstrahlen sind in diesem Falle versuchstechnisch unbrauchbar - - durch Anwendung von Neutronenstrahlung nachgewiesen (Zimmer, Timo/de//-Ressovsky, Heyn) Y

Erst das Vorhandensein dieses S~ttigungseffektes liefert einen wirk- lichen Beweis daftir, dal~ die Strahlenempfindlichkeit (in bezug auf die gemeinte Reaktion) sich auf einen kleinen r~umlichen Bezirk beschrs Das Wirkungsvolum, das wir formal als MaB der Strahlenempfindlieh- keit definiert hatten, liefert dagegen noch keinerlei Anhaltspunkt, ob die Strahlenempfindlichkeit wirklich r~umlich konzentriert oder viel-

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leicht start dessen in entsprechend geringer Starke fiber einen grol~en Bereich ausgebreitet ist. Und im allgemeinen ist kaum zu erwarten, dab wirklich die r~umliche Konzentration dieser Strahlenempfindlich- keit so hochgradig ist, dab innerhalb eines gewissen Volumstficks mit 100% iger Wahrscheinlichkeit die fragliche Reaktion durch eine ein- tretende Ionisierung ausgelSst wird; vielmehr wird man eher damit rechnen, dab es einen gewissen ,,Tre//bereich" gibt derart, dab eine darin eintretende Ionisierung nur mit einer gewissen IYahrscheinlichkeit die Reaktion hervorruft (w~hrend eine aullerhalb des Treffbereiches stattfindende Ionisierpng niemals die Reaktion veranlaBt). Kennen wir nur das Wirkungsvolum, so besitzen wir lediglich eine untere Grenze fOr die GrSBe des Treffbereiches: offenbur muB der Treffbereich min- destens ebenso groB wie das Wirkungsvolum sein. Untersuchungen des Sdttigungse//elctes ermSgliehen abet dariiber hinaus genuuere Feststellun- gen betreffs des Treffbereiches, der durch systematische Ermittlungen fiber den Sattigungseffekt gewissermuBen ubgetastet werden kann. Dies bedingt die Wichtigkeit derurtiger Untersuchungen: dus oben an- gedeutete Programm umfussenderer Untersuchungen der Str~hlen- einfliisse auch auf Virusarten, Enzyme usw. wi~re unvollst~ndig ohne Itinzunahme der Aufgabestellung, auBer den Werten der Wirkungs- volumina auch die zugehSrigen S~ttigungseffekte zu bestimmen. (Dutch Anwendung von sehr weichen R6ntgenstrahlen, Neutronenstrahlen und a-Strahlen - - letztere z. B. unter Benutzung von in Wasser gel6ster Emanation.)

Auf die mathemutische Theorie des S~ttigungseffektes (die nuch den yon uns for das Beispiel Bacterium coli skizzierten (~berlegungen durch Fano wesentlich pr~zisiert women ist) sei hier nicht eingegangen. Dagegen soll abschlieltend angtdeutet werden, fiir welche weiteren Probleme Ermittlungen yon Treffbereichen, wie sie auf Grund des S~ttigungs- effektes mSglieh sind, Aufschlfisse liefern kSnnten.

Zuvor sei noch bemerkt, dab in gewissen gut untersuchten Beispielen der Strahlenbiologit stat t des S~ttigungsefftktes bzw. neben ihm noch ein anderer Effekt auftritt , der for diese Beispiele das Vorliegen t ints etwus komplizierteren Prims anzeigt. Es hundelt sich durum, dab dichtere Iontnfolge stutt einer ErhShung umgtkehrt eine Herab- setzung der ,,Halbwertsdosis" einer bestimmten struhleninduzierten Reuktion ergibt. Dieser ,,Konzentrationse//elct" kann offenbar nur durch die Annahme gedeutet werden, dab bier nicht eine einzige Ionisierung, sondern mehrere (2, 3 . . . . oder vielleicht 10) zur Ausl6sung tfforderlieh sind. Die besonders reizvollen Fragen, die sich aus diesen Fs ergeben, sind heute erst wenig gekl~rt. Es spricht uber munches dafor, ~2 dab der- artige kompliziertere Prozesse mehr mit der Chromosomen-Struktur uls der Gen-Struktur zu tun haben; also z. B. mit den noch ungenfigend

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gekl~rten Chromosomenmutationen 1~ zusammenh~ngen. (Aueh die Strahldnt6tung von Krebszellen scheint diesen Konzentrationseffekt zu zeigen.) Wir mSehten deshalb, obwohl naeh Ausweis der Feulgenreaktion auch manche (abet nicht alle) Virusarten einen Nueleins~ureanteil be- sitzen, ~a vorl~ufig erwarten, dab bei Virusarten, Enzymen usw. der Konzentrationseffekt keine erhebliche Rolle spielt. Jedenfalls soll auf seine kompliziertere Problematik hier nicht eingegangen werden.

Die yon einigen I)rosophfla-lY[utationen bekannten Wirkungsvolumina zeigen bereits, dab die Treffbereiche (die ja mindestens ebenso groB sind) immerhin einige hundert Atome umfassen k6nnen. Dies stellt uns vor die Frage, wie es m6glich ist, dab reeht verschiedene ursprfingliche Elementarprozesse (Ionisierung an einem beliebigen unter mehreren hundert Atomen) im Endergebm's zu derselben chemisehen Umlagerung des Genmolekfils ffihren kSnnen. Hier ist nicht ganz die MSgliehkeit auszuschlieBen, daB in der fliissigen Umgebung des Genmolekfils eine Aktivierung irgendeines Molekfils eintreten und dieses aktivierte Molekfil bei zufiilliger Begegnung mit einer ganz bestimmten Stelle (Atomgruppe) des Genmolekfils reagieren kSnnte. Allerdings werden derartige M6g- ]ichkeiten, denen einige Verfasser sehr wesentliehe Bedeutung zuschreiben m6chten, stark beschr~nkt durch die experimentell feststehende TemperaturunabMingigIceit der rSntgeninduzierten Mutationsrate.

Ein anderer m6glicher Mechanismus ffir die Wanderung der zun~ehst irgendwo im Treffbereieh dutch Ionisierung abgesetzten Energie an denjenigen Oft, wo sie ffir die fragliche chemische Umlagerung des Gen- molekfils verbraucht wird, ist gegeben durch die Wanderungs/ghig~it yon Ele/ctronen in gewissen Moleki~len.* Es handelt sieh hier um ein charakteristisch quantenphysikalisches Ph~nomen: n~mlieh eigen'tlieh nicht um ein ,,Wandern" yon Elektronen im gew6hnlichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr darum, daB die ,,Wellenseite" des Elektrons in Erscheinung t r i t t derart, dab gewisse Elektronen nieht als korpus- kul~re Teilchen scharf lokalisiert sind, sondern wellenartig fiber ein ganzes Molekfil bzw. ein Teilstfick eines Molekfils ausgebreitet sind. Dieses Ph~nomen tr i t t besonders ausgepr~gt in /esten K6rpern auf, und zwar auch in elektrischen l~ichtleitern. (Die elektrisehe Leitf~higkeit der Metalle hs zwar hiermit zusammen, setzt aber auBerdem noeh weitere, uns hier nicht interessierende physikalisehe Bedingungen voraus.) Ins- besondere die eigentfimlichen Gesetzm~Bigkeiten der Leuchtphosphare (Riehl, Orthmann, Sch6n) kSnnen naeh Sch6n auf Grund dieser ,,Wan- derung" der Elektronen vollst~ndig verstanden werden. ~, ~ Es ist yon M6glich un4 Sch6n 1~ die Vermutung ausgesproehen, daB in den Gen-

* I)ieses Problemgebiet ist im Freundeskreis der genetisehen Abteilung des Kaiser ~r Berlin-Bueh (Timo]de]j.RessovMcy) vielfaeh besprochen worden; ich babe diesen Besprechungen viel zu verdanken.

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molekfilen ebenfalls eine derartige Elektronenwanderung den Mechanis- m u s d e r zu fordernden Energiewanderung bilde.

Man k6nnte einwenden, da$ in organisehen Molekfilen eine solche Elektronenwanderung bislang nut in reeht speziellen F/fllen bekannt ist, wie z. B. bei konjugierten Kohlenstoffdoppelbindungen (also z. B. im Benzolring); die Polypeptidkettentheorie der EiweiBmolekfile liege darnaeh zun/~ehst kaum eine solehe Wanderung erwarten; und auch Modifikationen der Polypeptidkettentheorie im Sinne der Spekulationen yon D. M. Wrinch wiirden daran nichts /s Man weiB aber ander- seits, alas in komplizierteren Molekfilen gerade die Iebenvalenzen M6g- liehkeiten der Elektronenwanderung sehaffen kSnnen. Scheibe 24 hat ge- funden, daft bei der Polymerisation gewisser komplizierter Molekfile, die sieh gel~ollenartig aneinanderschichten, eine Elektronenwanderung in tier Aehsenriehtung der ,,Geldrolle" eintritt, w~thrend im fibrigen das Spek~rum tier Molek~ile kaum ver/~ndert wird. Dies ist eine wertvolle Stiitze der yon Wohl a8 entwiekelten Theorie der ,,Assimilationseinheiten", welehe behauptet, daft die Chlorophyllmolekfile ebenfalls in dieser Weise in groBer Zahl zusammenliegen, und daft die Reduktion des CO 2 nur dutch eine, (durch Elektronenwanderung erm6gliehte) Summierung der Energien mehrerer absorbierter Liehtquanten zustande kommen kann. Die yon M6glich und Sch6n ge/~ufterte Vermutung kann darnach als mindestens ernsthaf~ diskutierbar angesehen werden, zumal es scheint, dab auch in den EiweiBmolekfilen Nebenvalenzen in betr~ehtlieher Menge vorhanden sind: die interessanten Anss yon Mirsky und Pauling 15 zur Deutung der Denaturierung yon Eiweif~molekiilen sprechen jedenfalls hierffir.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhange das Beispiel der Ureaze, yon der man im Ultraviolett sowohl das Absorptionsspektrum als aueh das Inaktivierungsspektrum kennt (Kubowitz-Haas). Beide Spektren gehen einander mit auffalliger Genauigkeit parallel; abet die I-I~ufigkeit einer Absorption ohne Inaktivierung ist ungefahr 200mal grSBer als die Haufigkeit einer Inaktivierung (Delbri~ck). Dieser merk- wiirdige Befund kann sehr einfaeh gedeutet werden auf Grund der Vor- stellung, dab eine Elektronenwanderung durch das ganze Ureasemolekfil mSglieh sei. 13 Abet man k6nnte aueh eine ganz andere Deutung ver- suehen (Ddbriick; naeh freundheher brieflicher Mitteilung), n~mlieh, dab das Ureasemolekfil den fiir seine Absorption in erster Linie ma•- gebenden Baustein (wahrscheinlich Tryptophan oder Tyrosin) in viel- faeher Wiederholung enth/~It, wobei aber nut einer dieser gleichartigen Bausteine in nahe Verbindung mit der aktiven Gruppe des Fermentes steht; nut ein in diesem Baustein absorbiertes Lichtquant vermag zu inaktivieren. Eine Entseheidung zwischen diesen beiden MSglichkeiten ist augenblieklich nicht m6glieh. Sie wfirde sieh aber offenbar ergeben bei einer Ermittlung der Gr6$e des TreHbereiches tier Inaktivierung

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(sofern wir annehmen diiffen, dab fiir I nak t i v i e rung du tch R6ntgen- s t rah len hier analoge Verh&Itnisse bes tehen wie fiir U l t r av io l e t t i nak t i - v ierung) ; nach der e rs ten Deu tung n~mlich h/~tte de r Treffbereich die GrSBe des ganzen Ureasemoleki i ls , nach der zwei ten Deu tung die GrSBe eines T r y p t o p h a n - bzw. Tyros inbaus te ins . Dieses Beispiel mSge ver- deut l ichen , welehe in te ressan ten F r a g e n durch U n t e r s u e h u n g e n der oben vorgeschlagenen A r t in Angriff genommen werden kSnnten .

Die Verfolgung unseres P rog ramms , die Beweise fiir das Vorhanden- sein einer mikrophysikalischen Steuerung der biologisehen Re a k t i one n darzulegen und Methoden zur genaueren Analyse der mikrophysilcalischen Steuerungsorgane zu er l~utern, n S t i g t e uns, eine Reihe yon Ta t saehen aus sehr versehiedenen na turwissenschaf t l ichen Diszipl inen zu ber t ihren; notwendigerweise mul~ten wir uns dabe i naeh den meis ten Rich tungen hin m i t kurzen Andeu tungen begnfigen. Es d i i f f ten abe r gerade die reiehen Weehselbeziehungen, d i e sieh a m Lei t faden u~seres Themas zwischen verschiedenen P rob lemen und Diszipl inen ergeben, e iner be- sonders au fmerksamen Beaeh tung wiirdig sein. Denn die hier in Be. t r a e h t k o m m e n d e n Prob leme gehSren j a teflweise wie die Eiwei f l s t ruktur - f ragen zu den kompl iz ie r tes ten , auf welche die na turwissenschaf t l iche For schung i i be rhaup t gestoBen is t : die hoehgradige Unzug~ngl ichkei t dieser P rob leme m a c h t j eden Hinweis auf eine neue Angr i f fsmSgl iehkei t wi l lkommen; und derar t ige Hinweise seheinen sieh v ie leror ts gerade aus dem S tud ium der wechselseitigen Beziehungen zwisehen den yon ver- schiedenen Bearbe i t e rn oft in ge t r enn ten R ich tunge n ver fo lg ten Pro- b lemen zu ergeben.

Literatur. Mit * oekennzeichnete Arbeigen enthalten weilere, im obigen z. T. mitbenutzte, aber bier nicht erneu~

zitierte IAteratur.

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Page 20: Die Stellung der Quantenphysik zu den aktuellen Problemen der Biologie

20 P. J o r d a n : Die Stel lung der Quantenphys ik

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