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Die thermodynamischen und verfahrenstechnischen Abläufe der in-situ-Oberflächenmodifizierung beim Spritzgießen
Von der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz
genehmigte
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor-Ingenieur
(Dr.-Ing.)
vorgelegt
von Dipl.-Ing. René Brunotte
geboren am 03.12.1977 in Erfurt
Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Günter Mennig Prof. Dr.-Ing. Ernst Schmachtenberg Prof. Dr.-Ing. habil. Bernd Platzer
Tag der Einreichung: 23.11.2005 Tag der Verteidigung: 12.04.2006
URL: http://archiv.tu-chemnitz.de/pub/2006/0069
ISBN: 3-939382-01-9 (978-3-939382-01-0)
Herausgeber: Fördergemeinschaft für den Lehrstuhl Kunststofftechnik An der TU Chemnitz e.V. (FKTU) c/o Prof. Dr.-Ing. G. Mennig Carl-von-Ossietzky-Str. 217 09127 Chemnitz Verfasser: R. Brunotte TU Chemnitz, Reichenhainer Str. 70, D015 09126 Chemnitz E-Mail: [email protected]
Bibliographische Beschreibung Brunotte, René Die thermodynamischen und verfahrenstechnischen Abläufe der in-situ-Oberflächen-
modifizierung beim Spritzgießen
Dissertation an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz, Institut
für Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik, Chemnitz, 2005
107 Seiten, 61 Abbildungen, 5 Tabellen, 60 Literaturzitate Referat
Gegenstand der Arbeit ist die Analyse eines neu entwickelten Verfahrens zur
Oberflächenmodifizierung, das bereits während des Spritzgießens die Haftungs- und
Benetzungseigenschaften einer Formteiloberfläche verbessert. Damit kann die teilweise
kosten- und anlagenintensive Oberflächenbehandlung nach dem Formgebungsprozess, wie
z. B. durch Beflammen, Korona- oder Plasmabehandlung, eingespart werden. Die in dieser
Arbeit betrachtete chemische Oberflächenmodifizierung von Polycarbonatformteilen hängt
vor allem von den beim Spritzgießen sich einstellenden thermischen Verhältnissen ab. Daher
werden im ersten Teil der Arbeit mittels Simulationsrechnungen die Temperaturen in dem
Bereich ermittelt, in dem die Reaktion stattfindet. Auf der Basis der Temperaturberechnungen
lässt sich die Reaktionsgeschwindigkeit der Modifizierung abschätzen. Zudem sind die
Temperaturen an der Formteiloberfläche experimentell gemessen, mit den Berechnungser-
gebnissen verglichen und bewertet worden. Randwinkelmessungen sowie Untersuchungen der
Verbundfestigkeit von verklebten Probekörpern stellen einen Zusammenhang zwischen den
beim Spritzgießen gewählten Prozessparametern und dem Modifizierungsergebnis her. Im
letzten Teil der Arbeit wird gezeigt, dass sich das in-situ-Modifizierungsverfahren nicht nur
bei Polykondensaten wie dem Polycarbonat, sondern auch für Polyolefine (z. B.
Polypropylen) anwenden lässt, wobei die verfahrenstechnischen Unterschiede und
Einschränkungen aufgezeigt werden.
Schlagworte
Spritzgießen, Oberflächenmodifizierung, Oberflächenaktivierung, Druckscherfestigkeit,
Wärmeübergangskoeffizient, Temperaturmessung, Formfüllsimulation, Polycarbonat,
Polypropylen
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik an der Technischen
Universität Chemnitz in den Jahren 2003 bis 2005.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr.-Ing. Günter Mennig, dem Leiter der Professur für
Kunststoffverarbeitungstechnik, für die Anregung zu dieser Arbeit, seine stete Unterstützung
und Diskussionsbereitschaft sowie für die fachkundige Betreuung.
Herrn Dr.-Ing. Tham Nguyen-Chung danke ich für die Tipps und Ratschläge bei den
Simulationen. Für die konstruktiven Gespräche und die Unterstützung bei den chemischen
Betrachtungen danke ich recht herzlich Dr. rer. nat. Jürgen Nagel vom Institut für
Polymerforschung in Dresden (IPF).
Ich möchte ebenso allen Mitarbeitern der Professur Kunststoffverarbeitung und allen am
Gelingen der Arbeit beteiligten Personen vom Institut für Polymerforschung in Dresden sowie
dem Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen in Freiberg (FILK) recht herzlich
danken. Allen Studenten, die in Form von Projekt- oder Diplomarbeiten einen Beitrag zum
Gelingen der Arbeit geleistet haben, sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt.
Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bedanke ich mich für die finanzielle
Unterstützung der Arbeit. Den Firmen Bayer MaterialScience und SABIC danke ich für die
kostenlose Bereitstellung der Versuchsmaterialien.
Chemnitz, im November 2005 René Brunotte
I
Inhaltsverzeichnis Formelzeichen und Abkürzungen 1 Problemstellung und Zielsetzung ............................................................................................ 1
2 Stand des Wissens ................................................................................................................... 5
2.1 Der Spritzgießprozess ...................................................................................................... 5
2.2 Grundlagen der in-situ-Oberflächenmodifizierung.......................................................... 7
2.3 Spritzgießsimulation....................................................................................................... 10
2.3.1 Allgemeine Betrachtungen...................................................................................... 10
2.3.2 Berechnungsgrundlagen .......................................................................................... 12
2.3.3 Grundlagen für die Temperaturfeldberechnung...................................................... 13
2.4 Analysemethoden ........................................................................................................... 15
2.4.1 Differential Scanning Calorimetrie (DSC).............................................................. 15
2.4.2 Druckscherfestigkeitsmessung................................................................................ 16
2.4.3 Statische Randwinkelmessung ................................................................................ 18
2.4.4 Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS) ........................................................ 20
3 Simulation der thermischen Verhältnisse bei der Oberflächenmodifizierung von
Polycarbonat............................................................................................................................. 23
3.1 Versuchsplanung ............................................................................................................ 23
3.2 Stoffwerte ....................................................................................................................... 25
3.2.1 Einfluss der Stoffwerte............................................................................................ 25
3.2.2 Spezifisches Volumen ............................................................................................. 25
3.2.3 Wärmeleitfähigkeit.................................................................................................. 27
3.2.4 Spezifische Wärmekapazität ................................................................................... 29
3.2.5 Kontaktwärmeübergangskoeffizient ....................................................................... 31
3.3 Simulationsergebnisse .................................................................................................... 38
3.3.1 Temperatur an der Schmelzefront ........................................................................... 38
3.3.2 Temperaturverlauf in der Grenzschicht zwischen Formteil und Werkzeug ........... 39
3.3.3 Einfluss der Prozessparameter auf das Temperaturregime und die
Reaktionsgeschwindigkeitskonstante bei der Oberflächenmodifizierung ....................... 43
4 IR-Temperaturmessung......................................................................................................... 47
4.1 Versuchsaufbau .............................................................................................................. 47
4.2 Einfluss der Eindringtiefe............................................................................................... 48
4.3 Vergleich der IR-Messergebnisse mit den Simulationsergebnissen .............................. 52
II
5 Ergebnisse der in-situ-Oberflächenmodifizierung von Polycarbonatformteilen .................. 55
5.1 Versuchsplan .................................................................................................................. 55
5.1.1 Eingesetzte Materialien ........................................................................................... 55
5.1.2 Aufbau der Versuchseinrichtung............................................................................. 55
5.1.3 Versuchsmatrix........................................................................................................ 58
5.2 Untersuchung des Einflusses der Prozessparameter an modifizierten
Polycarbonatoberflächen...................................................................................................... 60
5.2.1 Druckscherfestigkeitsmessung................................................................................ 60
5.2.2 Statische Randwinkelmessung ................................................................................ 66
5.2.3 Röntgenphotoelektronenspektroskopie XPS........................................................... 69
5.2.4 Betrachtung der Schmelzebewegung im Zusammenhang mit dem applizierten
Modifikator....................................................................................................................... 71
5.3 Diskussion der Ergebnisse ............................................................................................. 74
6 Übertragbarkeit des Verfahrens auf andere Materialien am Beispiel von Polypropylen...... 77
6.1 Mechanismus der in-situ-Oberflächenmodifizierung bei Polyolefinen ......................... 77
6.2 DSC-Untersuchungen geeigneter Modifikatoren und Initiatoren .................................. 79
6.3 Untersuchung des Einflusses der Prozessparameter an modifizierten
Polypropylenoberflächen ..................................................................................................... 83
6.3.2 Druckscherfestigkeitsmessung................................................................................ 84
6.3.3 Statische Randwinkelmessungen ............................................................................ 87
6.4 Verfahrenstechnische Unterschiede zwischen einer Polycarbonat- und einer
Polypropylenmodifizierung.................................................................................................. 91
7 Zusammenfassung................................................................................................................. 95
Anhang
Lebenslauf
III
Formelzeichen und Abkürzungen Lateinische Buchstaben A Fläche
A(ω) Absorptionsgrad in Abhängigkeit von der Wellenlänge
aeff effektive Temperaturleitfähigkeit
B(T) Parameter der Tait-Gleichung
b Wärmeeindringfähigkeit
c Konzentration
C Konstante
cp spezifische Wärmekapazität
D Tensor der Deformationsgeschwindigkeit
d Durchmesser
dE Eindringtiefe
E Strahlungsenergie
EA Aktivierungsenergie
F Kraft
H Enthalpie
k Geschwindigkeitskonstante
m Masse
n Potenzindex
p Druck
Q& Wärmefluss
q& Wärmestromdichte
S(ω) Streukoeffizient in Abhängigkeit von der Wellenlänge
T Temperatur
TM Massetemperatur
TW Wandtemperatur
t Zeit
T(ω) Transmissionsgrad in Abhängigkeit von der Wellenlänge
vr Geschwindigkeitsvektor
V Volumen
x, y, z Koordinaten
Z präexponentieller Faktor
IV
Griechische Buchstaben
α Wärmeübergangskoeffizient
αT Temperaturverschiebungsfaktor
γ& Schergeschwindigkeit
Γ Menge
ε Emissionsgrad η Viskosität
η 0 Viskosität
θ Randwinkel
λ Wärmeleitfähigkeit ρ Dichte
σ Bolzmannkonstante
σV Druckscherfestigkeit
τ Spannungstensor
*τ Zeitkonstante
υ spezifisches Volumen
ω Wellenlänge
Technische Abkürzungen
2,5D „2,5-dimensional“
3D dreidimensional
Bi Biot Zahl
BPO Benzoylperoxid
CAD Computer Aided Design
DKI Deutsches Kunststoff Institut
DSC Differential Scanning Calorimetrie
FDM Finite-Differenzen-Methode
FEM Finite-Elemente-Methode
FTIR Fourier-Transformations-Infrarot-Spektrometer
IPF Institut für Polymerforschung
IR Infrarot
V
KPS Kaliumperoxid
KVB Institut für Konstruktion und Verbundbauweisen
PC Polycarbonat
PE Polyethylen
PEI Polyethylenimin
PEOx Poly(2-ethyl-2-oxazolin)
PP Polypropylen
XPS Röntgenphotoelektronenspektroskopie
1
1 Problemstellung und Zielsetzung
Kunststoffe besitzen ein breites Anwendungsspektrum. Die gute Verarbeitbarkeit und vor
allem das gute Preis-Leistungs-Verhältnis sind Gründe für das stetige Wachsen der
Einsatzgebiete. Durch neue Herstellungsverfahren, Zusätze von Additiven sowie durch die
Zugabe von Füll- und Verstärkungsstoffen (z. B. Fasern) lassen sich bestimmte Eigenschaften
gezielt auf den späteren Anwendungsfall abstimmen. Diese ständigen Verbesserungen
ermöglichen den Einsatz von Kunststoffen auch für Anwendungen, die bisher von anderen
Materialien dominiert wurden. In der Automobilindustrie werden z. B. derzeit viele
Anstrengungen unternommen, um Verscheibungen aus Glas durch Polycarbonatscheiben zu
ersetzen. Die Beweggründe sind dabei Vorteile, wie z. B. Gewichtsreduzierung,
Funktionsintegration bei der Montage sowie größere Designfreiheit. Auch Blechteile am
Automobil werden sukzessiv durch Kunststoffteile ersetzt und dies mit steigender Tendenz.
Stoßfänger oder Zierleisten aus PP/EPDM-Mischungen sind bereits Stand der Technik. Aber
auch Kotflügel, Motorhauben und Heckklappen aus Kunststoff (z. B. beim Smart) lassen sich,
trotz der größeren Wärmeausdehnung gegenüber Blech, durch geschickte konstruktive
Lösungen mittlerweile realisieren.
Für bestimmte Anwendungen sind nach dem Urformprozess (z. B. Spritzgießen) weitere
Verarbeitungsverfahren wie Kleben, Bedrucken oder Beschichten zur Veredelung notwendig.
Die eben erwähnten Polycarbonatscheiben werden z. B. bei der Montage mit der Karosserie
verklebt, und die Scheibenoberfläche wird mit einem kratzfesten UV-absorbierenden
Schutzlack lackiert. Je nach Kunststofftyp können allerdings bei einer Verklebung oder
Lackierung in unterschiedlichem Maße Probleme bei der Haftung auftreten. So ist z. B. ein
Lackieren der Fahrzeugaußenteile aus PP/EPDM nicht ohne eine entsprechende
Vorbehandlung der Oberfläche möglich, da Polyolefine aufgrund fehlender reaktiver Gruppen
unpolar sind und daher schlechte Adhäsionseigenschaften aufweisen. Polycarbonat hingegen
lässt sich im Vergleich zu Polypropylen relativ gut kleben und lackieren, allerdings können
für spezielle Anwendungsfälle, bei denen sehr hohe Haftfestigkeiten gefordert werden,
ebenfalls Oberflächenvorbehandlungen notwendig sein.
Es werden derzeit verschiedene Verfahren zur Vorbehandlung von Oberflächen eingesetzt,
wie z. B. Beflammen, Koronaentladung, Niederdruckplasmamodifizierung oder auch
Gasphasenfluorierung [Bro98, Dor95, Ger94, Hen92, Lie89]. Bei allen derzeit genutzten
2
physikalischen Verfahren ist das Grundprinzip identisch. Es werden funktionelle Gruppen
unter Ausnutzung eines Energiefeldes auf der Oberfläche gebunden. Dies kann mit hohen
Energiekosten verbunden sein. Die Verfahren sind zudem zum Teil anlagentechnisch sehr
aufwendig. So muss bei der Plasmamodifizierung zunächst ein Vakuum erzeugt werden, das
bei großen Formteilen eine entsprechende Anlagengröße voraussetzt. Weitere Probleme sind
z. B. die schlechte Spaltgängigkeit (Beflammen und Koronaverfahren), was bedeutet, dass
bestimmte unzugängliche Bereiche (z. B. Hinterschneidungen) bei der Vorbehandlung nicht
erreicht und damit nicht aktiviert werden können. Auch ist die Langzeitstabilität ein wichtiges
Kriterium, da der Behandlungseffekt bei einigen Verfahren mit der Zeit deutlich nachlässt
(Plasma- und Koronaverfahren). Ist dies der Fall, sollte ein Verkleben oder Lackieren
möglichst direkt im Anschluss an die Vorbehandlung erfolgen, was aus anlagentechnischer
oder wirtschaftlicher Sicht nicht immer möglich ist.
Aus den genannten Nachteilen ergab sich der Bedarf zur Entwicklung einer neuen Methode
zur Modifizierung von Polymeroberflächen. Das Institut für Polymerforschung in Dresden hat
daraufhin in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Chemnitz ein Verfahren
entwickelt, das die Oberfläche des Formteiles bereits während des Spritzgießprozesses
(in-situ) modifiziert. Die Grundidee dieses Verfahrens basiert darauf, dass die vorhandene
hohe Temperatur der Schmelze beim Spritzgießen genutzt wird, um eine chemische Reaktion
zu starten, durch die ein vorher im Werkzeug applizierter Modifikator an der
Formteiloberfläche angekoppelt wird. Die Modifizierung erfolgt also im Gegensatz zu den
oben genannten Verfahren nicht im Anschluss, sondern bereits während des Spritzgießens,
weshalb nicht nachträglich Energie aufgebracht werden muss, vor allem aber der
nachfolgende Behandlungsschritt entfallen kann. Verfahrenstechnisch lässt sich der Ablauf
der in-situ-Oberflächenmodifizierung in drei Schritte unterteilen: die Applizierung der
Modifikatorsubstanz, den Einspritzvorgang und die chemische Reaktion. Die Vorteile des
Verfahrens sind neben der Wirtschaftlichkeit vor allem die gut handhabbare Verfahrenstech-
nik verbunden mit geringen Investitionskosten.
Da es sich um ein neues Verfahren zur Oberflächevorbehandlung handelt, ist es bisher noch
nicht eingehend untersucht worden. In ersten Untersuchungen von [Kol02] konnte allerdings
gezeigt werden, dass sich mit dem in-situ-Oberflächenmodifizierungsverfahren die
Festigkeiten von Klebeverbunden aus Polycarbonatformteilen reproduzierbar steigern lassen.
Aufbauend auf den in diesen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen sollen im Rahmen
3
dieser Arbeit die wesentlichen Einflussgrößen des Verfahrens zur Modifizierung von
Polycarbonat wissenschaftlich betrachtet und die bestehenden Gesetzmäßigkeiten
praxisgerecht beschrieben werden.
Von zentraler Bedeutung für die in-situ-Oberflächenmodifizierungsreaktion sind vor allem
die Höhe der Schmelzetemperatur und deren Einwirkdauer, da sie die Geschwindigkeit der
ablaufenden chemischen Reaktion bestimmen. Eine exakte Kenntnis des Temperatur-Zeit-
Verlaufes in der Grenzschicht zwischen Formteil und Modifkator während des
Spritzgießprozesses ist daher eine Grundvoraussetzung, um Aussagen zur Reaktionsge-
schwindigkeit und somit zur Anzahl der an der Oberfläche gekoppelten Modifikatorketten zu
treffen.
Eine messtechnische Erfassung der während der Formgebung ablaufenden thermodynami-
schen Vorgänge ist zwar möglich, allerdings sind vor allem in der Einspritzphase die
ermittelten Messwerte recht ungenau. Dies liegt zum einen an der teilweise zu geringen
Ortsauflösung und zum anderen an dem recht langsamen Ansprechverhalten der Messgeräte
[Amb03]. Gerade die Ansprechzeit ist von großer Bedeutung, da die Einspritzzeiten beim
Spritzgießen meist unterhalb einer Sekunde liegen und Abkühlgeschwindigkeiten von bis zu
3 K/ms mit Temperaturgradienten von 1 K/µm auftreten können. Da diese drastischen
Abkühlverhältnisse in der Einspritzphase messtechnisch nicht erfasst werden können, sollen
in dieser Arbeit zur Temperaturermittlung die Möglichkeiten der Spritzgießsimulation genutzt
werden.
Die Rechengenauigkeit der verwendeten Simulationsprogramme hängt von den bei der
Berechnung getroffenen Annahmen und von den in die Rechnung eingehenden Materialdaten
ab. Daher sollen zunächst die für die Temperaturberechnung relevanten Stoffwerte ermittelt
und gegebenenfalls deren Druck- bzw. Temperaturabhängigkeit bei der Implementierung in
die Berechnungsprogramme berücksichtigt werden. Die Annahme bei der Simulation mit dem
Programm Moldflow, dass in der Grenzschicht zwischen Werkzeug und Formteil ein idealer
Wärmetransport stattfindet, soll überprüft und gegebenenfalls ein Koeffizient für den
vorhandenen Wärmeübergang ermittelt werden. Die anschließend auf numerischem Wege
berechneten Temperaturverläufe geben Aufschluss, ob die beim Spritzgießen vorhandenen
Temperaturen ausreichend sind, damit die Modifizierungsreaktion ablaufen kann. Zudem
kann mit Hilfe der Simulationsrechnungen der Einfluss von Prozessparametern, wie Masse-
4
und Werkzeugtemperatur, auf die thermische Situation beim Spritzgießen abgeschätzt
werden.
Eine experimentelle Überprüfung der berechneten Temperaturen während der Einspritzphase
ist aufgrund der bereits erwähnten drastischen Abkühlverhältnisse und der derzeit
unzulänglichen Messtechnik nur bedingt möglich. In der Nachdruckphase ist der
Abkühlgradient allerdings niedriger und ein Vergleich der berechneten mit den gemessenen
Temperaturverläufen sinnvoll. Daher sollen unterstützend zu den Simulationen
experimentelle Temperaturmessungen an der Formteiloberfläche im Spritzgießwerkzeug mit
einem Infrarotsensor durchgeführt werden. Die Abkühlung während der Nachdruckphase
wird bei diesem Sensortyp durch die relativ kurzen Ansprechzeiten des Sensors (15 ms) gut
wiedergegeben.
Neben der allgemeinen thermodynamischen Betrachtung der Modifizierungsreaktion soll in
dieser Arbeit untersucht werden, wie sich Änderungen der thermischen Verhältnisse, wie z. B.
unterschiedliche Massetemperaturen, auf das Modifizierungsergebnis an der
Formteiloberfläche auswirken. Durch die Analyse modifizierter Oberflächen können
Veränderungen des Adhäsionsverhaltens deutlich gemacht werden. So lässt sich mittels
Randwinkelmessung aufzeigen, inwieweit sich die Oberflächenspannung durch die
Modifizierung ändert. Die Messung der Druckscherfestigkeit von Klebeverbindungen soll
zudem praxisnah einen Zusammenhang zwischen den beim Spritzgießen gewählten
Prozessparametern und deren Auswirkungen auf die Haftfestigkeit von Verklebungen
herstellen. Als Nachweis, dass der Modifikator auf der Oberfläche gebunden wurde, kann die
Röntgenphotoelektronenspektroskopie (kurz XPS) eingesetzt werden. Mit dieser
Messmethode lassen sich die in den ersten Nanometern befindlichen chemischen Gruppen auf
der Oberfläche bestimmen.
Abschließend soll die Verallgemeinerung der gewonnenen Erkenntnisse bei der
Vorbehandlung von Polycarbonatoberflächen auf andere Materialien übertragen werden. Dies
wird beispielhaft an der Modifizierung von Polypropylen dargestellt. Der Einfluss der
Prozessparameter auf das Modifizierungsergebnis soll hier ebenfalls durch Randwinkel- und
Druckscherfestigkeitsmessungen untersucht werden. Die verfahrenstechnischen Unterschiede
bei der Modifizierung von Polycarbonat und Polypropylen werden anschließend differenziert
betrachtet.
5
2 Stand des Wissens
2.1 Der Spritzgießprozess
Zum Verständnis der Vorgänge bei der in-situ-Modifizierung von Formteiloberflächen ist
zunächst eine Betrachtung der beim konventionellen Spritzgießen ablaufenden Prozessschritte
sinnvoll. Das Spritzgießverfahren ist innerhalb der Kunststoffverarbeitungstechnik das am
häufigsten eingesetzte diskontinuierliche Urformverfahren zur vollautomatischen Herstellung
von Kunststoffteilen aus Thermoplasten. Die Abb. 2.1 zeigt die drei Phasen des
Prozesszyklusses, und zwar das Plastifizieren, die Formgebung und das Entformen.
Abb. 2.1 Drei Phasen des Spritzgießens [Ngu01]
6
Der Spritzgießprozess läuft im Einzelnen folgendermaßen ab [Joh01]: Aus einem
Vorratsbehälter wird über einen Trichter eine rieselfähige, thermoplastische Formmasse
(Granulat oder Pulver) einem beheizten Zylinder zugeführt. Das Material gelangt dabei in die
Gänge der sich drehenden Schnecke. Aufgrund der Schneckenrotation wird das Material
durch die beheizten Zylinderzonen (Heizbänder) in Richtung Düse transportiert. Die
Formmasse wird dabei infolge des Wärmeüberganges von der Zylinderwand (Konduktion)
und durch die Scherwärme (Friktion) in einen schmelzflüssigen Zustand überführt. Bis zum
Erreichen der Schneckenspitze muss das Material vollständig aufgeschmolzen und
homogenisiert sein. Durch den Fördervorgang in Düsenrichtung baut sich vor der
Schneckenspitze ein Druck auf, der die Schnecke zurückbewegt. Dieser Schneckenbewegung
wirkt ein hydraulisch aufgebrachter Gegendruck entgegen, der so genannte Staudruck.
Nachdem ausreichend Schmelze in den Bereich des Schneckenvorraumes gefördert worden
ist, wird das Spritzgießwerkzeug geschlossen und mit hoher Kraft zugehalten. Das Material
wird anschließend eingespritzt, indem die Schnecke durch einen hydraulischen Druck nach
vorne geschoben wird. Der Einspritzvorgang erfolgt mit hoher Geschwindigkeit und unter
hohem Druck, um ein zügiges Einspritzen zu ermöglichen. Über Angusskanäle strömt die
Kunststoffschmelze in die eigentliche Kavität, welche die negative Abbildung des späteren
Formteiles darstellt. Bei der Berührung mit der kalten Werkzeugwand erstarrt die Schmelze,
und es bildet sich eine so genannte „erstarrte Randschicht“ an den Kavitätswänden aus. Diese
Schichten wirken isolierend und ermöglichen einen weiteren Schmelzetransport in der Mitte
des Kavitätsquerschnittes, bis die Werkzeugform vollständig gefüllt ist.
Ist der Werkzeughohlraum gefüllt, setzt die Nachdruckphase ein. Die Schmelze wird dabei
weiterhin mit einem Druck beaufschlagt, um eine einsetzende Schwindung aufgrund der
Volumenkontraktion auszugleichen. Da der hohe Einspritzdruck aus ökonomischer Sicht
nicht so lange aufrechterhalten werden sollte, beträgt die Höhe des Nachdruckes in der Regel
30 bis 50 % des Einspritzdruckes. Die Nachdruckphase endet, wenn kein Druck mehr in die
Kavität übertragen werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Anschnitt, der die Kavität mit den
Angusskanälen verbindet, aufgrund seines meist eng dimensionierten Querschnittes
zugefroren ist. Das Formteil kühlt während der anschließenden Restkühlzeit solange im
Werkzeug weiter ab, bis es endgültig erstarrt ist. Zeitgleich wird von der Schnecke neues
Material für einen neuen Spritzgießzyklus dosiert und plastifiziert. Ist die Restkühlzeit
beendet, öffnet sich das Werkzeug, und das Formteil wird mit Hilfe eines Auswerfersystems
entformt.
7
2.2 Grundlagen der in-situ-Oberflächenmodifizierung
Die in-situ-Oberflächenmodifizierung ist ein neu entwickeltes Verfahren, das von [Kol02] in
empirischen Versuchen erstmals näher betrachtet wurde. Es ist ein eleganter und
wirtschaftlicher Weg zur Modifizierung von Polymeroberflächen. Die Grundidee ist die
Nutzung der thermischen Energie beim Spritzgießen, um durch eine chemische Reaktion
funktionelle Gruppen auf der Formteiloberfläche zu binden. Der verfahrenstechnische Ablauf
stellt sich wie folgt dar. Zunächst wird eine Modifikatorlösung bei geöffnetem Werkzeug auf
der Werkzeugoberfläche appliziert (Abb. 2.2 a). Damit der Modifikator gleichmäßig auf der
Oberfläche verteilt wird, ist eine Vorrichtung zum Aufsprühen zweckmäßig. Im nächsten
Schritt fährt das Werkzeug zu und heiße Polymerschmelze wird in die Kavität eingespritzt
(Abb. 2.2 b). Die Temperatur, mit der die Schmelze auf die Werkzeugwand trifft, liegt im
Bereich der gewählten Massetemperatur (280 °C bis 310 °C). Diese Temperatur ist
ausreichend, um zwischen Modifikatorsubstanz und der Schmelze eine chemische Reaktion
zu starten, durch die der Modifikator mit der Polymeroberfläche verbunden wird (Abb. 2.2 c).
Nach erfolgter Abkühlung besitzt das Formteil eine modifizierte Oberfläche (Abb. 2.2 d).
Abb. 2.2 Schematische Darstellung des verfahrenstechnischen Ablaufes der in-situ-Oberflächenmodifizierung
Prinzipiell lässt sich jeder Kunststoff nach diesem Verfahrensablauf modifizieren, allerdings
muss für jedes Material im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Veredelungsverfahren
(z. B. Kleben oder Lackieren) zunächst ein geeigneter Modifikator gefunden werden. Je nach
Material und gewähltem Modifikator muss dann die ablaufende chemische Reaktion zur
Ankopplung der Modifikatorketten speziell betrachtet und analysiert werden.
a) b) c) d)
8
Die Untersuchungen in der vorliegenden Arbeit konzentrieren sich zunächst auf die
Modifizierung von Polycarbonatoberflächen. Dabei stehen vor allem die thermodynamischen
Abläufe bei der Modifizierungsreaktion im Vordergrund. Die chemischen Grundlagenunter-
suchungen zur Modifizierung von Polycarbonat sowie die Auswahl eines geeigneten
Modifikators erfolgten am Institut für Polymerforschung in Dresden (IPF) und sind in
[Leh04] ausführlich beschrieben. Die dort durchgeführten Untersuchungen ermittelten
Polyethylenimin (kurz PEI) als eine geeignete Modifikatorsubstanz, die bereits von [Kol02]
erfolgreich eingesetzt wurde. Die später in dieser Arbeit dargestellten praktischen
Untersuchungen sind daher ebenfalls mit PEI als Modifikator durchgeführt worden.
Der Modifizierung von Polycarbonatoberflächen liegt die in Abb. 2.3 dargestellte chemische
Reaktion zugrunde. Der PEI-Modifikator wird über eine so genannte „Einspaltungsreaktion“
an das Polycarbonat gekoppelt. Die Reaktion erfolgt in einem Schritt. Damit der
Reaktionsablauf, wie er in Abb. 2.3 dargestellt ist, stattfindet, sind Temperaturen oberhalb
von 150 °C notwendig. Der Einfluss der thermischen Verhältnisse beim Spritzgießen auf die
Modifizierungsreaktion wird daher im Folgenden näher betrachtet.
Abb. 2.3 Darstellung des Reaktionsablaufes bei der Modifizierung von Polycarbonat mit PEI als Modifikator
Bei der Modifizierung von Polycarbonat verdampft das für die PEI-Aufbringung notwendige
Lösungsmittel, nachdem es auf die Werkzeugoberfläche appliziert wurde, aufgrund der hohen
Werkzeugtemperatur relativ schnell. Die Schichtdicke der zurückgebliebenen
Modifikatorsubstanz liegt im Nanometerbereich. Diese geringe Modifikatorschicht wirkt sich
nicht auf die thermischen Verhältnisse aus und kann somit bei den nachfolgenden
substituiertes Urethan
(Phenol)
R=PC
Carbonatbindungen
9
thermodynamischen Betrachtungen vernachlässigt werden. Entscheidend für den Ablauf der
Modifizierungsreaktion ist somit die Temperatur in der Grenzschicht zwischen Formteil und
Werkzeug.
Beim Einspritzen der Schmelze trifft eine heiße Schmelzefront (280 °C bis 310 °C) auf eine
deutlich kältere Werkzeugwand (80 °C bis 110 °C) und kühlt dadurch in kurzer Zeit stark ab.
Üblicherweise werden beim Spritzgießen die Masse- und Werkzeugtemperaturen so gewählt,
dass im Sinne der Wirtschaftlichkeit kurze Zykluszeiten durch eine schnelle Abkühlung
erreicht werden. Die für die chemische Modifizierungsreaktion notwendigen hohen
Temperaturen in der Grenzschicht zwischen Formteil und Werkzeug stehen daher nur kurze
Zeit zur Verfügung. Ist der Temperaturverlauf in diesem Grenzschichtbereich bekannt, kann
daraus die temperaturabhängige Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k berechnet werden
(Abb. 2.4). Eine hohe Geschwindigkeitskonstante hat einen hohen Umsatz bei der
Modifizierungsreaktion zur Folge, was bedeutet, dass viele Modifikatorgruppen auf der
Oberfläche gebunden werden. Die Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten k
kann durch einen Arrhenius-Ansatz erfolgen [Leh04].
Abb. 2.4 Schematische Darstellung der Reaktionsgeschwindigkeit k in Abhängigkeit vom Temperaturverlauf
in der Grenzschicht zwischen Werkzeug und Formteil. Der unterlegte Bereich kennzeichnet den
erreichbaren Umsatz bei der Reaktion [Leh04]
Aus Abb. 2.4 ist ersichtlich, dass die Reaktionszeit der Modifizierung auf eine sehr kurze
Zeitspanne direkt nach dem Füllen des Werkzeuges begrenzt ist. Es sind daher nur
Modifikatoren mit einer ausreichend hohen Reaktivität für das Verfahren geeignet. Der
10
dargestellte Zusammenhang zeigt die zentrale Bedeutung der Temperatur auf das
Modifizierungsergebnis, weshalb ein Schwerpunkt der in dieser Arbeit durchgeführten
Untersuchungen die Temperaturbestimmung in der Grenzschicht zwischen Formteil und
Werkzeug ist. Da dies messtechnisch beim derzeitigen Stand der Technik nur bedingt möglich
ist, stellt die Spritzgießsimulation eine gute Möglichkeit dar, die thermischen Verhältnisse
beim Spritzgießen zu bestimmen.
2.3 Spritzgießsimulation
2.3.1 Allgemeine Betrachtungen
Die Simulation des Spritzgießprozesses ist heutzutage aufgrund der zunehmenden Leistung
der Rechentechnik ein fester Bestandteil bei der Bauteilentwicklung, der Werkzeugauslegung
sowie der Prozessoptimierung [Men91]. Neben der Berechnung des Füllvorganges mit den
dazugehörigen Prozessparametern sind z. B. auch Aussagen über die strömungsinduzierte
Faserorientierung oder über den Bauteilverzug während der Abkühlphase möglich.
In dieser Arbeit soll die Simulation genutzt werden, um die thermischen Verhältnisse beim
Spritzgießen näher zu betrachten. Besonders die Abkühlung der einströmenden Schmelze an
der Werkzeugwand beim Formfüllvorgang ist dabei von Interesse. Aufgrund der hohen
Temperaturunterschiede zwischen der einströmenden Schmelze und der Wand läuft dieser
Vorgang in Sekundenbruchteilen ab. Die Simulation ermöglicht es, diese in äußerst kurzer
Zeit ablaufenden Abkühlprozesse zu berechnen. Die daraus ermittelten Temperaturverläufe
können dann als Grundlage genutzt werden, um Aussagen über die beim Spritzgießen
ablaufenden Modifizierungsprozesse zu treffen.
Es werden derzeit von verschiedenen Anbietern Softwareprogramme zur Spritzgießsimulation
(z. B. Moldflow, Cadmould und andere) angeboten. Der prinzipielle Verfahrensablauf ist
allerdings bei allen Programmen gleich und in Abb. 2.5 dargestellt.
11
Abb. 2.5 Abfolgeschritte bei einer Simulationsberechnung [NN04]
Eine Spritzgießsimulation läuft im Einzelnen wie folgt ab [z. B. NN04, Web00, Ngu01,
Mic97, Rot01, Mic00]: Ausgangspunkt der Berechnung ist im Allgemeinen ein
Flächenmodell mit dreidimensionaler Geometrie. Die anschließende Erstellung des Finite-
Elemente-Netzes kann z. B. mit Schalen- oder mit Volumenelementen erfolgen. Bei der auf
Schalenelementen (z. B. Dreiecke) basierenden Prozesssimulation werden spezielle
Annahmen getroffen, um den Rechenaufwand zu verkürzen. So wird vor allem die Strömung
in Dickenrichtung vernachlässigt. Die Ergebnisse sind für dünnwandige Bauteile hinreichend
genau. Bei Berechnungen auf der Grundlage von Volumenelementen (z. B. Tetraeder) werden
diese Vereinfachungen nicht getroffen, wodurch die Informationstiefe der Berechnung
zunimmt. Allerdings ist dies mit höherem Rechenaufwand verbunden [NN04]. Da der
Quellfluss bei der Anlagerung der Schmelze an die Werkzeugwand im Zusammenhang mit
der in-situ-Oberflächenmodifizierung mit berücksichtigt werden muss, basieren die in dieser
Arbeit durchgeführten Berechnungen mit der kommerziellen Software Moldflow
ausschließlich auf Netzen aus Tetraederelementen.
Nach der Generierung des Finite-Elemente-Netzes und anschließender Modellierung des
Angusssystems erfolgt die Materialauswahl. Bei den meisten Simulationsprogrammen (z. B.
Moldflow) sind in Datenbanken die Materialkennwerte (Viskositätsverhalten, pvT-Daten und
weitere Kennwerte) für viele handelsübliche Materialien hinterlegt. Ist dies nicht der Fall
(z. B. Fidap), müssen die Kennwerte zusätzlich implementiert werden. Die bei der
nachfolgenden Prozesssimulation zugrunde liegenden Annahmen und Berechnungsgrundla-
gen werden im nächsten Kapitel erläutert.
12
2.3.2 Berechnungsgrundlagen
Für die Strömung in der Formfüllphase wird von folgenden Annahmen ausgegangen:
• die Strömung ist laminar;
• die Schmelze ist inkompressibel;
• die Trägheits-, Gravitations- und Oberflächenkräfte werden vernachlässigt.
Dementsprechend lauten die Kontinuitäts-, Impuls- und Energiegleichung wie folgt:
0=⋅∇ vr (2.1)
0=⋅∇+∇− τp (2.2)
( ) vTTvtTc p
rr∇+∇⋅∇=
∇⋅+∂∂ :τλρ (2.3)
wobei t, vr , T, p , τ , D , ρ , pc und λ jeweils die Zeit, den Geschwindigkeitsvektor, die
Temperatur, den hydrostatischen Druck, den Spannungstensor, den Tensor der
Deformationsgeschwindigkeiten, die Dichte, die spezifische Wärme und die
Wärmeleitfähigkeit bezeichnen.
Das Materialgesetz für eine rein viskose Schmelze lautet:
( )DT γητ &,2= (2.4)
Der Tensor der Deformationsgeschwindigkeit D wird wie folgt definiert:
( )[ ]TvvD rr∇+∇=
21 (2.5)
Die Schergeschwindigkeit berechnet sich aus dem Tensor der Deformationsgeschwindigkeit
zu:
DD :2=γ& (2.6)
Die Viskosität ( )γη &,T kann durch das Cross-WLF-Modell beschrieben werden. Die Zunahme
der Viskosität bei abnehmender Temperatur für Kunststoffschmelzen ist allgemeingültig. Bei
Strömungen mit überlagerten Abkühlungs- und Erstarrungsvorgängen, wie es beim
Spritzgießen der Fall ist, muss diese Temperaturabhängigkeit daher mit in die Berechnung
eingehen. Dies erfolgt mit Hilfe des Temperaturverschiebungsfaktors αT, der mittels des Zeit-
Temperatur-Superpositionsprinzips abgeleitet wird. Dadurch kann die Viskositätsfunktion bei
13
einer beliebigen Temperatur anhand der Viskositätsfunktion bei einer Bezugstemperatur
berechnet werden:
( )nT
T−
⋅⋅
+
⋅= 1
*0
0
1τ
αγηαηη&
(2.7)
( )
−+−
=)(
A-exp *
2
*1
TTATT
Tα (2.8)
mit der Nullviskosität 0η , dem Potenzindex n , der Zeitkonstante *τ sowie den
Modellkonstanten 1A , 2A und der Referenztemperatur *T .
Da in dieser Arbeit speziell die Simulation der thermischen Verhältnisse von Interesse ist,
werden die Grundlagen der Temperaturfeldberechnung im folgenden Kapitel kurz dargestellt.
2.3.3 Grundlagen für die Temperaturfeldberechnung
Als Randbedingungen für das Temperaturfeld wird zunächst angenommen, dass am Anguss
die Temperatur vorgegeben ist (Dirichlet-Randbedingungen).
( ) ( )xTxT anguß= für angußx Γ∈ (2.9)
Für den restlichen Randbereich ist der Wärmefluss vorgegeben (Neumann-Randbedingungen)
[Web00].
( )TTnT
wand −=∂∂⋅ αλ für wandx Γ∈ (2.10)
Es wird in Gleichung 2.10 davon ausgegangen, dass der Wärmefluss an der Werkzeugwand
proportional zur Differenz der Schmelzetemperatur und der Wandtemperatur ist. Den
14
Proportionalitätsfaktor bildet der Wärmeübergangskoeffizient α. Bei dem kommerziellen
Simulationsprogramm Moldflow wird allerdings die Annahme getroffen, dass ein idealer
Wärmeübergang zwischen Werkzeugwand und Schmelze (bzw. Formteil) stattfindet. Bei der
Berechnung wird daher für α ein sehr hoher Wert von 25000 W/(m2K) festgelegt. Für viele
Anwendungen sind die mit dieser Vereinfachung berechneten Ergebnisse hinreichend genau.
Im Rahmen dieser Arbeit sind allerdings gerade die Temperaturen in der Grenzschicht
zwischen Formteil und Werkzeug von Interesse, weshalb diese Annahme sich entscheidend
auf die Ergebnisse auswirkt. Arbeiten von [Kle98, Blu96, Web00] ermittelten zudem deutlich
niedrigere Werte für α und zwar im Bereich von 200-10000 W/(m2K). Aufgrund der in der
Literatur stark abweichenden Werte für den Wärmeübergangskoeffizienten soll im Kapitel
3.2.5 experimentell der Koeffizient ermittelt und der gewonnene Wert bei den
Simulationsrechnungen berücksichtigt werden.
Weitere für die Temperaturberechnung relevante Stoffwerte sind das spezifische Volumen,
die Wärmeleitfähigkeit und die spezifische Wärmekapazität. Die teilweise Temperatur- und
Druckabhängigkeit dieser Werte wird bei vielen kommerziellen Simulationsprogrammen
(z. B. Moldflow) nicht berücksichtigt. Die Stoffwerte gehen als Konstante in die Berechnung
ein. Da aber gerade beim Spritzgießen drastische Temperatur- und Druckunterschiede
auftreten, soll im Kapitel 3.2 zunächst untersucht werden, wie sich die Stoffwerte aufgrund
der wechselnden Druck- und Temperaturverhältnisse ändern. Die Abhängigkeit der
Stoffwerte soll daraufhin in den Berechnungsprogrammen implementiert werden.
An der Fließfront wird davon ausgegangen, dass an dieser Stelle kein Wärmeaustausch mit
der Umgebung stattfindet. Diese Annahme wird damit begründet, dass die Wärmeleitfähigkeit
und die Wärmekapazität von der Luft im Vergleich zu der von Polymeren gering ist.
0=∂∂
nT , für frontx Γ∈ (2.11)
Die Zulässigkeit dieser Annahme und deren Einfluss auf die Temperaturberechnung in der
Grenzschicht wird im Kapitel 3.3.1 näher betrachtet.
15
2.4 Analysemethoden
2.4.1 Differential Scanning Calorimetrie (DSC)
Die DSC-Messung ist ein Thermoanalyseverfahren, mit dem physikalische und chemische
Eigenschaften eines Polymers als Funktion der Zeit oder der Temperatur gemessen werden
können. Das Grundprinzip des Messverfahrens besteht darin, dass zwei thermisch
voneinander isolierte Probenbehälter einem geregelten Temperaturprogramm unterworfen
werden. In einem der Behälter befindet sich das zu untersuchende Material, in dem anderen
eine Vergleichssubstanz (Referenzprobe), von der die Eigenschaften bekannt sind. Die DSC-
Messung basiert auf der Ermittlung des differenziellen Wärmeflusses zwischen den beiden
Proben. Zwei verschiedene Messprinzipien können dazu genutzt werden. Bei dem
Wärmestromprinzip wird beiden Proben die gleiche Energie zugeführt, und die
Temperaturdifferenz zwischen dem zu untersuchenden Material und der Referenzsubstanz
wird gemessen. Daraus lässt sich der differenzielle Wärmefluss berechnen. Beim
Leistungskompensationsprinzip hingegen wird die Temperaturdifferenz zwischen der Probe
und der Vergleichsprobe zu Null geregelt. Die dazu erforderliche elektrische Energie wird
gemessen und ist identisch mit dem Wärmefluss. Da der Wärmestrom einer übertragenen
Leistung entspricht, wird er in Watt (W) oder Milliwatt (mW) angegeben [Kae96, Sch04.1].
Aus den aufgenommenen Messkurven können verschiedene Informationen über das
untersuchte Material entnommen werden, wie z. B. die Umwandlungswärme bei
Phasenübergängen oder, ob Vernetzungs- bzw. Abbaureaktionen stattfinden (siehe Abb. 2.6).
16
Temperatur
Schmelzbereich
Abbau Verarbeitungseinfluss Schmelzewärme
Vernetzung Eigenspannung
Erweichungstemperatur exot
herm
∆H
e
ndot
herm
Abb. 2.6 DSC-Messung einer Polyethylenterephthalatprobe [nach Sch04.2]
Im Zusammenhang mit der in-situ-Oberflächenmodifizierung soll die Differential Scanning
Calometrie zum einen dazu genutzt werden, um für die Simulation der thermischen
Verhältnisse die notwendigen Stoffdaten, speziell die spezifische Wärmekapazität, zu
ermitteln. Zum anderen lassen sich mit diesem Analyseverfahren auch Zerfallsreaktionen, wie
z. B. bei der Radikalbildung, in Abhängigkeit von der Temperatur nachweisen. Ob die
gebildeten Radikale die Polymerstruktur verändern (Vernetzungs- bzw. Abbaureaktionen),
wenn diese Radikalbildner Polymeren zugesetzt werden, lässt sich anhand von
Verschiebungen des Schmelzepeaks beurteilen. Die Betrachtung von Radikalreaktionen ist
bei der Oberflächenmodifizierung von Polyolefinen von Bedeutung. DSC-Untersuchungen
werden daher in dieser Arbeit auch genutzt, um in Vorversuchen Aussagen über die Eignung
der eingesetzten Substanzen für den Modifizierungsprozess von Polypropylen zu treffen.
2.4.2 Druckscherfestigkeitsmessung
Durch die in-situ-Oberflächenmodifizierung können gezielt die Adhäsionseigenschaften der
Formteiloberfläche verändert werden. Dies hat zur Folge, dass sich auch die Haftfestigkeiten
bei einer anschließenden Oberflächenveredelung durch Lackieren, Bedrucken oder Verkleben
der Formteile ändern. Untersuchungen von [Kol02] zeigten bereits, dass sich die Festigkeit
von Klebeverbunden durch die in-situ-Modifizierung signifikant erhöhen lässt. In dieser
Arbeit soll ebenfalls die Festigkeit von Klebungen modifizierter Formteile betrachtet werden.
17
Es soll dabei aufgezeigt werden, wie sich durch unterschiedliche Prozessparameter induzierte
Änderungen der thermischen Verhältnisse auf den in-situ-Modifizierungsprozess und somit
auf die Haftfestigkeit auswirken.
Zur Quantifizierung von Verbundfestigkeiten sind eine Reihe von Prüfverfahren entwickelt
worden. Das Grundprinzip ist bei allen Verfahren identisch und zwar wird die Festigkeit
ermittelt, indem eine Kraft F wirkt, die zum mechanischen Versagen des Verbundes führt.
Diese Kraft wird gemessen und ergibt bezogen auf die Klebefläche A die Verbundfestig-
keit σV. Die verschiedenen Messverfahren unterscheiden sich hauptsächlich in der Art und
Weise, wie die Belastung aufgebracht wird. In der Industrie wird am häufigsten der
Zugversuch nach DIN 53286 durchgeführt. Dabei werden die Prüfkörper überlappend
verklebt und anschließend auf Zug belastet. Die Verklebung kann einseitig überlappend (siehe
Abb. 2.7 links) oder beidseitig überlappend (Abb. 2.7 rechts) erfolgen. Die wirkenden Kräfte
führen in der Klebeschicht zu einer Scherbeanspruchung, welche für Klebeverbindungen die
günstigste und daher anzustrebende Beanspruchungsart darstellt. Das Prüfverfahren ist bei
einer einseitiger Überlappung der Proben allerdings nur bei steifen Materialien oder bei
Prüfkörpern mit einer ausreichenden Dicke geeignet, da es sonst wegen der außermittigen
Krafteinleitung zum Auftreten eines Biegemomentes kommen kann. Diese eingebrachte
Biegebeanspruchung wirkt sich negativ aus, da sich aufgrund der ungünstigen
Spannungsverteilung eine zusätzliche Schälbeanspruchung ergibt. Die beidseitig
überlappende Verklebung hat den Nachteil, dass die Proben beidseitig modifiziert werden
müssen, wodurch sich die Streuung der Messwerte durch zufällige Fehler bei der
Applizierung des Modifikators erhöhen würde. Weitere mögliche Prüfverfahren und deren
Vor- und Nachteile werden z. B. in [Hab97] näher beschrieben.
F F
FF
M M
Abb. 2.7 Schematische Darstellung einer einseitig überlappenden (l.) und einer beidseitig überlappenden
Verklebung (r.)
18
1 Fixierter Probekörper 2 Niederhalter 3 Halterung 4 Klebefuge 5 Stempel 6 Seitliche Führung
Für die in dieser Arbeit untersuchten Formteile ist als geeignetes Prüfverfahren zur Messung
der Verbundfestigkeit die Druckscherfestigkeitsprüfung gewählt worden. Das Grundprinzip
dieses Verfahrens besteht darin, dass eine Hälfte der Klebeverbindung fixiert und die andere
Seite mittels eines Stempels abgeschert wird (siehe Abb. 2.8 links). Damit sich nicht wie bei
der Zugprüfung ein Biegemoment einstellen kann, wird durch den Versuchsaufbau (siehe
Abb. 2.8 rechts) die nicht fixierte Prüfkörperseite in der Bewegungsrichtung eingeschränkt.
Bewegt sich der in Abb. 2.8 rechts dargestellte Stempel (5) nach unten, wird die nicht fixierte
Probenseite der Verklebung abgeschert und kann sich aufgrund der Geometrie der
Prüfvorrichtung nur nach unten und nicht zur Seite bewegen. Die in Abb. 2.8 dargestellte
Prüfvorrichtung ist in Anlehnung an die ISO 15509 von [Kol02] entworfen und an der
Technischen Universität Chemnitz gebaut worden.
Abb. 2.8 Darstellung des Prüfprinzips der Druckscherfestigkeitsmessung (l.) und der entsprechenden
Prüfvorrichtung (r.)
2.4.3 Statische Randwinkelmessung
Bei der praktischen Anwendung des in-situ-Modifizierungsverfahrens ist vor allem das im
vorhergehenden Abschnitt behandelte Druckscherprüfverfahren von Bedeutung. Es ist ein
geeignetes Verfahren zum Nachweis, wie durch die Modifizierung die Haftfestigkeit
beeinflusst wird. Um weitergehende Aussagen über die bei der Oberflächenmodifizierung
ablaufenden Mechanismen zu erhalten, können Randwinkeluntersuchungen durchgeführt
werden. Dabei handelt es sich um ein zerstörungsfreies Prüfverfahren, das eingesetzt wird,
um Angaben über die Oberflächenenergie, die Polarität und damit über die Benetzungsfähig-
19
keit des untersuchten Materials zu erhalten. Die ermittelten Werte können Aufschluss geben,
wodurch die bei der Druckscherprüfung gemessen Unterschiede der Haftfestigkeiten zustande
kommen. So lässt sich bei der Modifizierung von Polycarbonatoberflächen mit Hilfe der
Randwinkelmessung abschätzen, wie hoch der Anteil der Kopplungsstellen zwischen
Modifikator und Formteiloberfläche ist. Dies ist möglich, da bei der im Kapitel 2.2 in
Abb. 2.3 dargestellten Modifizierungsreaktion die im Modifikator enthaltenen polaren
Aminogruppen (-NH2) bei der Ankopplung an das Polycarbonat in weniger polare
Amidgruppen (-CO-HN-) umgewandelt werden. Dies ermöglicht, dass bei gleich bleibender
Modifikatorkonzentration Änderungen der Oberflächenenergie bzw. des polaren Anteiles im
Zusammenhang mit der Ankopplungsreaktion betrachtet werden können.
Die Messung des Randwinkels läuft im Einzelnen folgendermaßen ab. Zunächst werden
Flüssigkeitstropfen, mit definierten Volumina, deren Oberflächenenergien und Polaritäten
bekannt sind, auf die zu untersuchende Substratoberfläche appliziert. Der Winkel einer an
diesen Flüssigkeitstropfen angelegten Tangente mit der Oberfläche des Substrates wird als
Randwinkel, Kontakt- oder auch Benetzungswinkel bezeichnet (siehe Abb. 2.9 links). Die
Benetzung ist umso besser, je kleiner der Winkel ist (Abb. 2.9 rechts). Bei videogestützten
Kontaktwinkelmessgeräten wird die Tropfenform zunächst über ein Okular aufgenommen.
Anschließend wird mit Hilfe einer entsprechenden Software die Tangente angelegt und der
Randwinkel berechnet. Werden verschiedene Flüssigkeiten appliziert und vermessen, können
daraus die Oberflächenenergie sowie deren polarer und disperser Anteil berechnet werden. In
der Literatur [z. B. Hab97, Jan98, Kru80, Pot04] werden eine Reihe von Auswertverfahren
beschrieben, die auf verschiedenen Berechnungsmethoden basieren (z. B. geometrisches oder
harmonisches Mittel), die hier allerdings nicht näher erläutert werden sollen.
Problematisch bei der statischen Messung des Randwinkels ist, dass sich mit der Zeit
Konzentrationsänderungen im Flüssigkeitstropfen aufgrund von Lösungseffekten einstellen
können. Auch eine Flüssigkeitsaufnahme des Feststoffes kann eine Änderung der
Konzentration bewirken. Diese Effekte können binnen Sekunden eintreten und das
Messergebnis beeinflussen. Die Messung sollte daher unmittelbar nach dem Aufsetzen des
Tropfens und mit äußerster Sorgfalt erfolgen, um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten.
20
θ
fester Körper
Flüssigkeit
Θ=180° keine BenetzungOberflächenenergie der Flüssigkeit deutlichhöher als die des Feststoffes
0°<Θ<180° ungenügende Benetzung
0°<Θ<90° ungenügende Benetzung
Θ nahezu 0° vollständige BenetzungOberflächenenergie des Feststoffes deutlichhöher als die der Flüssigkeit
180°-θ
180°-θ
Abb. 2.9 Randwinkel zwischen festem Körper und Flüssigkeit (l.) und verschiedene Benetzungszustände (r.)
[nach Her05]
2.4.4 Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS)
Zur physikalischen Analyse der chemischen Zusammensetzung von Festkörpern bzw. von
Festkörperoberflächen stehen verschiedene Messverfahren zur Verfügung. Ziel des Einsatzes
der nachfolgend beschriebenen Methoden ist es nachzuweisen, dass die Modifikatorketten mit
der Formteiloberfläche verbunden sind. Bei der Auswahl eines geeigneten Verfahrens ist die
Eindringtiefe der Messmethode von zentraler Bedeutung. Bei der in-situ-
Oberflächenmodifizierung wird angenommen, dass lediglich in den äußeren Atomlagen
Ankopplungen von Modifikatorgruppen und damit einhergehende Veränderungen der
chemischen Strukturen stattfinden. In Abb. 2.10 sind schematisch die Informationstiefen
zweier häufig eingesetzter Analyseverfahren dargestellt. Die Dreiecke symbolisieren die
wahrscheinliche Lage des durch das in-situ-Verfahren eingebrachten Modifikators.
ATR ist das Akronym für „attenuated total reflection“, das sich mit abgeschwächter
Totalreflexion übersetzen lässt. Das Grundprinzip dieses Messverfahrens basiert auf der
Analyse der von elektromagnetischer Strahlung (im Infrarotbereich) angeregten molekularen
Schwingungsübergängen. Das heißt, wenn eine Probe mit Infrarotlicht bestrahlt wird, kommt
es zu einer Änderung des Dipolmoments, wodurch die entsprechende eingestrahlte
21
Wellenlänge im Spektrum fehlt. Die Informationstiefe des IR-Strahls ist von der Wellenlänge
sowie von dem Brechungsindex der Probe und des ATR-Kristalls abhängig und liegt im
Bereich von 440 bis 2500 nm [Kae96, Hir00, Nit95].
In ATR-Voruntersuchungen an modifizierten Proben konnte allerdings kein Hinweis auf eine
Veränderung der chemischen Struktur gefunden werden. Dies bestätigt, dass die
Modifikatorgruppen nur in den äußeren Atomlagen der Oberfläche vorzufinden sind. Das
ATR-Verfahren kann offensichtlich aufgrund seiner hohen Eindringtiefe zur Lokalisierung
des Modifikators an der Formteiloberfläche nicht genutzt werden.
XPS ATR
10 nm
1 nm
440 nm
2500 nm= funktionelle Modifikatorgruppen
Abb. 2.10 Schematische Darstellung der Informationstiefen (gestrichelte Pfeile) des XPS- und des ATR –
Verfahrens (Längenverhältnisse nicht realistisch) [nach Hir00]
Zur Charakterisierung der obersten Atomlagen ist das Verfahren der Röntgenphotoelektro-
nenspektroskopie (XPS) deutlich besser geeignet (Abb. 2.10) [Hir00, Bro89]. Die maximale
Informationstiefe, die vom Matrixwerkstoff und dem Elektronenaustrittswinkel abhängig ist,
liegt zwischen 1 bis 10 nm. Das Grundprinzip des Verfahrens besteht darin, dass die zu
untersuchende Oberfläche mit Röntgenlicht beleuchtet wird und es zu Wechselwirkungen der
energiereichen Strahlung mit den Elektronen der Atome an der Oberfläche kommt. Durch die
Bestrahlung mit einem Röntgenphoton mit bekannter Energie, können in kernnahen Schalen
Elektronen aus den Oberflächenatomen abgelöst werden, was auch unter dem Begriff
Photoeffekt bekannt ist. Durch die Ablösung des Elektrons entsteht ein Loch, welches durch
ein Elektron aus einer energetisch höher liegenden Schale ausgeglichen wird. Dabei wird
Energie frei, die entweder in der für jedes Element charakteristischen Wellenlänge als
22
Röntgenstrahlung emittiert wird (Röntgenfloureszensanalyse), oder die Energie wird
strahlungslos übertragen, indem ein weiteres Elektron aus einer höheren Schale emittiert wird,
das dann die verbleibende Energie als kinetische Energie aufnimmt (Auger-Effekt). Beide
Prozesse können gleichzeitig oder in Konkurrenz zueinander auftreten. Allerdings neigen
Elemente mit niedriger Ordnungszahl verstärkt zur „Auger-Elektronenemission“ und
Elemente mit höheren Ordnungszahlen zur Emittierung von Röntgenstrahlung. Die abgelösten
Photoelektronen werden in einem Elektronenspektrometer mit hoher Energieauflösung
detektiert. Anschließend können aus den unterschiedlichen kinetischen Energien der
Photoelektronen Informationen über die auf der Oberfläche befindlichen Elemente und deren
Bindungszustand gewonnen werden. Der chemische Bindungszustand ist anhand der Energie
kernnaher Elektronen messbar und wird als chemische Verschiebung bezeichnet. Dieser
Effekt wird hervorgerufen durch unterschiedliche Elektronegativitäten der Bindungspartner,
die einen Ladungstransfer hin (oder weg) zum Bindungspartner erzeugen mit der Folge, dass
sich die Elektronendichte ändert. Dies führt zu einer geringen Änderung der Bindungsenergie
der Photoelektronen und kann mit der Aufnahme eines hoch aufgelösten Spektrums
nachgewiesen werden.
Das XPS-Messverfahren wird in dieser Arbeit genutzt, um die an modifizierten
Formteiloberflächen angekoppelten Modifikatorketten nachzuweisen.
23
3 Simulation der thermischen Verhältnisse bei der Oberflächen-
modifizierung von Polycarbonat
3.1 Versuchsplanung
Zur Berechnung der thermischen Situation während des Spritzgießprozesses sind die
kommerziellen Softwareprogramme Moldflow (Version 4.1) und Fidap (Version 8.7.2)
ausgewählt worden. Mit dem Programm Moldflow wurden 3D-Spritzgießsimulationen zur
Berechnung der Temperaturen an Formteiloberflächen durchgeführt. Ein Vorteil dieses
Programms ist die integrierte Materialdatenbank, in der die für eine Simulation notwendigen
Kennwerte für viele Materialien hinterlegt sind. Eine Einschränkung hinsichtlich der
Temperaturberechnung bei Moldflow ist, dass einige dieser Stoffwerte wie z. B. die
Wärmeleitfähigkeit oder die spezifische Wärmekapazität nicht als Funktion in Abhängigkeit
von der Temperatur implementiert werden können. Allerdings besteht die Möglichkeit, in frei
wählbaren Temperaturschritten die entsprechenden Werte einzugeben, was bei geringen
Schrittweiten eine gute Annäherung darstellt. Die Vernetzung der 3D-CAD-Modelle erfolgte
mit Tetraederelementen, wobei die Anzahl der Schichten, die über den Kavitätsquerschnitt
generiert werden können, bei Moldflow begrenzt ist. Um ein feineres Netz in Dickenrichtung
der Kavität erstellen und somit die Situation an der Fließfront besser auflösen zu können, sind
zusätzlich Berechnungen mit dem Programm Fidap durchgeführt worden. Die
Netzgenerierung erfolgte hierbei mit Rechteckelementen. Um den Rechenaufwand aufgrund
der hohen Netzdichte in einem vertretbaren Rahmen zu halten, ist eine zweidimensionale
Betrachtung der Fließfrontsituation sinnvoll. Die Kavität wird dabei als halbunendlicher
Körper betrachtet, wodurch der Einfluss der Ränder in Breitenrichtung vernachlässigt wird.
Die für die Simulation genutzten Geometrien sind in Abb. 3.1 dargestellt. Die Anspritzpunkte
sind an den bereits vernetzten Modellen durch Pfeile markiert. Die Untersuchungen zum
Einfluss der Prozessparameter auf das Temperaturregime wurden an einer Stapelbox
durchgeführt, da die Formteilgeometrie ausreichend breit ist, und Einflüsse beim
Abkühlprozess durch die Kavitätsränder (wie z. B. beim Zugstab) ausgeschlossen werden
können. Die Tab. 3.1 zeigt, in welchem Bereich die Parameter variiert worden sind, wobei die
Standardparameter durch Fettdruck markiert sind. Die Erkenntnisse aus den Berechnungser-
gebnissen konnten als Basis für die im Kapitel 5 beschriebenen Spritzgießversuche genutzt
werden.
24
Im Kapitel 4 wird die experimentelle Ermittlung der Oberflächentemperatur in einem
Zugstabwerkzeug beschrieben. Um die ermittelten Temperaturen mit den Ergebnissen der
Simulation vergleichen zu können, sind ebenfalls Temperaturberechnungen an dem in
Abb. 3.1 (rechts) dargestellten Zugstab durchgeführt worden.
Abb. 3.1 Stapelbox- (l.) und Zugstabmodell (r.) mit markierter Lage des Anspritzpunktes Tab. 3.1 Prozessparameter
Berechnungsmodell: Stapelbox
Simulationsprogramm: Moldflow (Version 4.1)
Material: PC Makrolon® 2805 (Bayer MaterialScience)
Variierte Prozessparameter Wert
Massetemperatur [°C]: 260, 280, 300, 320
Werkzeugtemperatur [°C]: 60, 70, 80, 90, 100
Nachdruck [bar]: 400, 600, 800, 1000
Einspritzgeschwindigkeit [mm/s] 160, 360, 560
Die in die Simulationsrechnungen eingehenden Stoffwerte spielen für die Genauigkeit der
Berechnungsergebnisse eine wichtige Rolle. Daher werden die für die Temperaturberechnung
relevanten Werte im folgenden Kapitel näher betrachtet.
Anspritzpunkt Anspritzpunkt
Berechnungsmodell: Stapelbox Formteildicke: 2 mm Netz: 63172 Tetraederelemente
Berechnungsmodell: Zugstab Formteildicke: 4 mm Netz: 52885 Tetraederelemente
25
3.2 Stoffwerte
3.2.1 Einfluss der Stoffwerte
Um möglichst genaue Berechnungsergebnisse bei den Simulationen mit den in dieser Arbeit
genutzten kommerziellen Programmen Moldflow und Fidap zu erhalten, ist es zuvor
notwendig, die bei den Berechnungen getroffenen Annahmen sowie die in die
Simulationsrechnung eingehenden Materialkennwerte näher zu betrachten. Gegenstand der
nachfolgenden Kapitel ist daher zunächst die Bestimmung der für die Temperaturberechnung
relevanten Stoffwerte, möglichst in Abhängigkeit von den beim Spritzgießen typischen
Umgebungsbedingungen, und deren anschließende Implementierung in die Berechnungspro-
gramme.
Wie bereits im Kapitel 2.3.3 „Grundlagen der Temperaturfeldberechnung“ beschrieben, sind
für die Berechnung des Temperaturfeldes vor allem das spezifische Volumen υ, die
Wärmeleitfähigkeit λ, die spezifische Wärmekapazität cp sowie der Kontaktwärmeübergangs-
koeffizient α von Bedeutung. Bis auf das spezifische Volumen gehen alle Stoffwerte bei den
meisten Simulationsprogrammen als Konstante in die Berechnung ein. In den folgenden
Kapiteln soll daher zunächst die Temperatur- und gegebenenfalls die Druckabhängigkeit der
Kennwerte näher betrachtet werden. Inwieweit sich die Annahme von konstanten Stoffwerten
auf das Berechnungsergebnis auswirkt, soll anschließend anhand von
Moldflow-Beispielrechnungen aufgezeigt werden.
3.2.2 Spezifisches Volumen
Das spezifische Volumen ist als der Kehrwert der Dichte definiert. Die Messwertermittlung
erfolgt in so genannten pvT-Geräten. Bei der Messung werden die Temperatur T sowie der
Druck p variiert, und die Volumenänderung der Probe wird gemessen. Es ist möglich, Drücke
von bis zu 2000 bar und Temperaturen von über 400 °C zu realisieren [NN00].
Abb. 3.2 zeigt die pvT-Daten des für die Simulation ausgewählten Polycarbonats (Makrolon®
2805). Die Werte sind der Moldflowdatenbank entnommen und zeigen die Temperaturabhän-
26
gigkeit des spezifischen Volumens bei verschiedenen Drücken. Die Stoffwerte im
Übergangsbereich und im Glaszustand sind außerdem von der bei der Messung eingestellten
Abkühlgeschwindigkeit abhängig. So verschiebt sich das spezifische Volumen bei einer
schnellen Abkühlung (in Abb. 3.2 rot dargestellt) zu höheren Werten. Die Einfriertemperatur
ist dann ebenfalls höher. Darin liegt auch die Einschränkung der derzeit eingesetzten
Messgeräte. Es lassen sich zwar die Geschwindigkeiten variieren, allerdings können die
hohen Abkühlgeschwindigkeiten (bis 3 K/ms), die beim Spritzgießen auftreten, nicht realisiert
werden.
0 50 100 150 200 250 300
0,80
0,82
0,84
0,86
0,88
0,90
0,92
0,94
0,96
langsamere Abkühlungschnelle Abkühlung
Übergangs- bereich
Glas-zustand
Schmelzezustand
1 bar 1000 bar 2000 bar
spez
ifisc
hes
Vol
umen
[cm
3 /g]
Temperatur [°C] Abb. 3.2 pvT-Daten für Polycarbonat (Makrolon® 2805) aus Moldflow Datenbank
Die Berechnung des spezifischen Volumens ),( pTυ bei bekannten Temperatur- und
Druckverhältnissen ist nach folgender Tait-Gleichung [Mon01] möglich:
),()))(
1ln(1()(),( 0 pTTBpCTpT tυυυ ++⋅−⋅= (3.1)
mit
)()( 5210 bTbbT ii −⋅+=υ (3.2)
und
))(exp()( 543 bTbbTB ii −⋅−⋅= (3.3)
Im Schmelzebereich wird in Gleichung 3.2 i=m (für melt) gesetzt und im Glaszustand ist i=s
(für solid).
27
Für amorphe Materialien ist:
0),( =pTtυ (3.4)
und für teilkristalline Materialien ergibt sich:
))()(exp((),( 8576 pbbTbbpTt ⋅−−⋅⋅=υ (3.5)
Dabei ist 0υ das spezifische Volumen bei Umgebungsdruck, T die Temperatur und p der
Druck. Die Konstante C hat den Wert C=0,0894. Weiterhin sind b1i…b4i Koeffizienten für
den Schmelze- bzw. Feststoffbereich. Die Koeffizienten b5, b6, b7, b8 werden bei einem
teilkristallinen Material benötigt. Die Druck- und Temperaturabhängigkeit des spezifischen
Volumens wird bei Moldflow berücksichtigt. In der Moldflow-Datenbank sind die
entsprechenden Gleichungen und Koeffizientenwerte für viele Materialien diverser Hersteller
hinterlegt.
3.2.3 Wärmeleitfähigkeit
Die Wärmeleitung ist ein physikalischer Effekt, der die Wärmeübertragung durch ruhende
Materie beschreibt und im Allgemeinen im Inneren oder an sich direkt berührenden
Oberflächen stattfindet. Die Wärmeleitfähigkeit beschreibt die Geschwindigkeit, mit der beim
Erwärmen eines Stoffes die Wärmeenergie von einem Teilchen auf das Nächste
weitergegeben wird. Der Übertragungsmechanismus beruht dabei auf der Weiterleitung von
Schwingungsenergien durch Zusammenstöße benachbarter Moleküle.
Abb. 3.3 zeigt die Wärmeleitfähigkeit von Polycarbonat in Abhängigkeit von der Temperatur.
Mit fortschreitender Abkühlung nimmt die Wärmeleitfähigkeit immer weiter ab. Dies ist
darauf zurückzuführen, dass beim Abkühlen die Molekülbeweglichkeit immer weiter
eingeschränkt wird. Daher ist auch im Übergangsbereich, bei der Erstarrung der Schmelze,
die Abnahme der Leitfähigkeit am größten.
28
Ein Temperaturabfall im Schmelzebereich um 100 °C bewirkt eine Abnahme der
Wärmeleitfähigkeit um 13 %. Wird der gesamte Abkühlverlauf betrachtet, fällt der Wert um
über 40 % ab.
50 100 150 200 250 3000,14
0,15
0,16
0,17
0,18
0,19
0,20
0,21
0,22 0 bar
Wär
mel
eitfä
higk
eit [
W/m
K]
Temperatur [°C] Abb. 3.3 Wärmeleitfähigkeit von Polycarbonat in Abhängigkeit von der Temperatur bei Umgebungsdruck
Die Wärmeleitfähigkeit geht in den meisten Simulationsprogrammen als Konstante ein. Es sei
an dieser Stelle erwähnt, dass es sich dabei nicht um einen arithmetisch gemittelten Stoffwert
handelt. Dies wäre nicht sinnvoll, da beim Spritzgießprozess der hohe Temperaturbereich
(Schmelzebereich) deutlich länger vorhanden ist, vor allem im Inneren des Formteils. Daher
wird bei den Berechnungsprogrammen meist ein Wert aus dem Schmelzebereich als
Wärmeleitfähigkeitskonstante festgelegt.
Die Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit lässt sich sowohl in Moldflow als auch
in Fidap integrieren. In Moldflow werden dazu in selbstwählbaren Temperaturstufen die
entsprechenden Werte zugeordnet. Bei Fidap kann die Abhängigkeit von der Temperatur über
eine Funktion beschrieben werden. Wie sich das Ergebnis einer Temperaturberechnung mit
konstanter Wärmeleitfähigkeit von dem mit einer berücksichtigten Temperaturabhängigkeit
unterscheidet, zeigt die Abb. 3.4. Es sind die Temperaturen an der Oberfläche eines Formteils
dargestellt. Die Abweichung der Temperaturverläufe beträgt maximal 4°C. Dieser geringe
Unterschied der Verläufe ist darin begründet, dass Kunststoffe im Vergleich zum Stahl eine
um einen Faktor von rund 200 geringere Wärmeleitfähigkeit besitzen und somit die
Abkühlung durch das Werkzeug in hohem Maße die Oberflächentemperatur des Formteils
Schmelzebereich
Übergangs- bereich
Feststoffbereich
29
bestimmt. Simulationsrechnungen mit konstanten Wärmeleitfähigkeitswerten liefern somit für
die normale Praxis hinreichend genaue Berechnungskurven für die Temperaturen an der
Formteiloberfläche. Allerdings soll für die vorliegende Problematik bei den Berechnungen in
dieser Arbeit die Temperaturabhängigkeit mit berücksichtigt werden.
0 5 10 15 20 25 30 35
100
150
200
250
300 konstante Wärmeleitfähigkeit temperaturabhängige Wärmeleitfähigkeit
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
Abb. 3.4 Berechnete Oberflächentemperaturen mit und ohne Berücksichtigung der Temperaturabhängigkeit der
Wärmeleitfähigkeit (Material: PC; Massetemperatur: 280 °C; Werkzeugtemperatur: 80 °C)
3.2.4 Spezifische Wärmekapazität
Die spezifische Wärmekapazität c ist eine Materialkonstante, die sich aus dem Quotienten
einer zugeführten Wärmemenge (∆Q) und der daraus resultierenden Temperaturänderung
(∆T) eines Körpers der Masse m ergibt. Die zugeführte Wärmemenge wird nicht
ausschließlich in eine Temperaturerhöhung, sondern auch teilweise in eine Volumenausdeh-
nung des Körpers umgesetzt. Daher wird zwischen der spezifischen Wärmekapazität eines
Stoffes bei konstantem Druck cp und bei konstantem Volumen cv unterschieden.
Die Messung der spezifischen Wärmekapazität cp erfolgt nach der im Kapitel 2.4.1
vorgestellten Methode der Differential Scanning Calorimetry (DSC). In Abb. 3.5 sind zwei
Aufheizkurven für das untersuchte Polycarbonatmaterial Makrolon® 2805 dargestellt. Beim
ersten Aufheizen ist ein leichter endothermer Peak bei einer Temperatur von 70 °C zu
30
erkennen, der beim zweiten Heizen nicht mehr vorhanden und somit auf Verarbeitungsein-
flüsse zurückzuführen ist. Der bei beiden Aufheizkurven bei einer Temperatur von 150 °C
auftretende endotherme Peak markiert die Glasübergangstemperatur. Mit steigender
Temperatur erhöht sich sowohl im Feststoff- als auch im Schmelzebereich die
Wärmekapazität. Eine Temperaturerhöhung der Schmelze von 100 °C bewirkt eine Erhöhung
des Stoffwertes um 15 %.
50 100 150 200 250 3001,5
2,0
2,5
3,0
3,5MDSC-Messung von PC(Amplitude +/- 0,5 K, Periode 20 sHeizrate 5K/min)
1. Aufheizen (danach freie Abkühlung)
2. Aufheizen
spez
ifisc
he W
ärm
ekap
azitä
t [J/
(gK
)]
Temperature [°C]
Abb. 3.5 Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmekapazität von Polycarbonat (IPF Dresden)
Wie die Wärmeleitfähigkeit geht auch die spezifische Wärmekapazität bei vielen
Simulationsprogrammen als Konstante in die Berechnungen ein. Soll hier ebenfalls die
Temperaturabhängigkeit bei der Berechnung mit berücksichtigt werden, kann dies wiederum
durch die Eingabe der Stoffwerte bei verschiedenen Temperaturstufen (Moldflow) oder durch
die Implementierung einer Funktionsgleichung (Fidap) erfolgen. Die Abb. 3.6 zeigt, wie sich
der berechnete Temperaturverlauf an einer Formteiloberfläche durch die Integration der
Temperaturabhängigkeit von cp gegenüber einer Rechnung mit einem konstanten Stoffwert
unterscheidet. Es ergibt sich eine maximale Differenz von rund 8 °C. Für die weiteren
Berechnungen soll daher die Abhängigkeit der Wärmekapazität von der Temperatur mit
berücksichtigt werden.
31
0 5 10 15 20 25 30 35
100
150
200
250
300
konstante spezifische Wärmekapazität temperaturabhängige spez. Wärmekapazität
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
Abb. 3.6 Berechnete Oberflächentemperaturen mit und ohne Berücksichtigung der Temperaturabhängigkeit der
spezifischen Wärmekapazität (Material: PC; Massetemperatur: 280 °C; Werkzeugtemperatur: 80 °C)
3.2.5 Kontaktwärmeübergangskoeffizient
Beim Formfüllvorgang wird heiße Kunststoffschmelze in ein deutlich kälteres Werkzeug
eingespritzt. Durch Wärmeleitung wird die Wärme im Werkzeugstahl vom Formteil weg zu
den Kühlkanälen transportiert. Zur vollständigen Betrachtung der Wärmetransportvorgänge
beim Spritzgießen muss der Wärmeübergang vom Kunststoff an das Werkzeug definiert
werden. Die Grenzschicht zwischen Formteil- und Werkzeugoberfläche kann als Kontakt
zwischen zwei festen Körpern betrachtet werden. Dies ist zulässig, da sich die einströmende
Schmelze beim Auftreffen auf die Werkzeugwand stark abkühlt und sofort eine dünne
erstarrte Randschicht ausbildet, die während der Abkühlphase immer dicker wird, bis das
Formteil vollständig erstarrt ist.
Wird zwischen zwei Körpern ein idealer Kontakt vorausgesetzt (kein Kontaktwiderstand), gilt
in der Grenzschicht für den stationären Fall die folgende Formel:
)()( 22
11 n
TnT
∂∂
⋅=∂∂
⋅ λλ und 21 TT = (3.6)
32
Dabei sind 1λ und 2λ die Wärmeleitfähigkeiten der Körper 1 und 2 und nT ∂∂ / ist die
jeweilige Ableitung der Temperatur in Richtung der Flächennormalen [Bae94]. Diese Formel
gilt nur, wenn die Körper wirklich idealen Kontakt haben, also fest miteinander verbunden
sind. Dies ist beim Spritzgießen in der Grenzschicht zwischen Kunststoff und Werkzeug nicht
der Fall, es tritt ein Kontaktwiderstand auf. Der Wärmeübergang zwischen den beiden
Materialien kann durch den Kontaktwärmeübergangskoeffizienten α beschrieben werden. Es
ergibt sich in der Grenzschicht die Formel:
)()( 211
1 TTnT
−⋅=∂∂
⋅− αλ (3.7)
Der beim Spritzgießen zwischen Formteil und Werkzeug vorhandene Kontaktwiderstand
kann zum einen auf das Materialverhalten der Kunststoffe und zum anderen auf die
Oberflächenrauheit der Werkzeugwand zurückgeführt werden. Aufgrund von Unebenheiten
der Werkzeugoberfläche kann es partiell zu Lufteinschlüssen zwischen der erstarrten
Schmelze und der Werkzeugoberfläche (Abb. 3.7 links) kommen. Wie gut die Vertiefungen
durch das Schmelzematerial ausgefüllt werden können, hängt dabei von der Viskosität des
Materials und von der Höhe des wirkenden Druckes ab [Thr99]. Durch den Kontaktwärme-
übergangskoeffizienten α wird der durch die Isolierwirkung der Luft verschlechterte
Wärmeübergang mit berücksichtigt. Für einen perfekten Kontakt gilt α ∞. Beim
Wärmetransport in der Grenzschicht zwischen zwei Körpern entsteht durch den Widerstand
ein Temperatursprung, wie er in Abb. 3.7 rechts dargestellt ist.
Schmelze
Werkzeug
LufteinschlüsseKörper 1 Körper 2
Grenzschicht
Idealer KontaktT1
T2
T
x
Abb. 3.7 Schematische Darstellung des durch Lufteinschlüsse bedingten Kontaktwiderstandes (l.) [nach Thr99]
und des daraus resultierenden Temperatursprunges in der Grenzschicht (r.) [nach Yu90]
33
Erste Messungen zur Ermittlung des Kontaktwärmeübergangskoeffizienten wurden zunächst
unter stationären Bedingungen an einem Extrusionswerkzeug z. B. von [Hab81 und Sch85]
durchgeführt. Dabei sind die Temperaturen der Schmelze und des Werkzeuges gemessen
worden. Der Wärmeübergangskoeffizient ist anschließend iterativ bei der Berechnung der
Abkühlverhältnisse bestimmt worden. Das heißt, der Koeffizient wurde solange variiert, bis
die gemessenen mit den berechneten Temperaturen übereinstimmten.
Experimente zur Ermittlung des Wärmeübergangskoeffizienten während der Nachdruckphase
beim Spritzgießen sind z. B. von [Blu96] durchgeführt worden. Es zeigte sich, dass die
höchsten Werte (ca. 3000 W/(m2K)) zu Beginn der Nachdruckphase vorhanden waren. Der
Koeffizient sank im weiteren Abkühlverlauf rasch auf 1500 bis 1000 W/(m2K) ab. War der
Werkzeuginnendruck bis auf nahezu Umgebungsdruck abgefallen, ergaben sich Werte von
rund 500 W/(m2K). Dieses Verhalten wurde auf die hohen Drücke am Anfang der
Nachdruckphase und dem dadurch verbesserten Kontakt zwischen Formteil und Werkzeug
zurückgeführt. Der Wärmeübergangskoeffizient wäre somit nicht konstant, sondern vom
wirkenden Nachdruck abhängig.
Der Standardwert für den Wärmeübergangskoeffizienten bei dem Simulationsprogramm
Moldflow ist 25000 W/(m2K) und geht als Konstante in die Berechnung ein. Dieser hohe
Wert wird damit begründet, dass der Wärmeübergang beim Spritzgießen aufgrund der hohen
Drücke nahezu ideal sei und somit keine Relevanz für die Berechnung hat.
Ob der Einfluss des Wärmeübergangskoeffizienten auf die Berechnung unberücksichtigt
bleiben kann, lässt sich mit Hilfe der Biot-Zahl nach folgender Formel abschätzen:
λ
α2d
Bi⋅
= (3.8)
Um den Wärmeübergangskoeffizienten vernachlässigen zu können, muss die Biot-Zahl (Bi)
möglichst große Werte annehmen. Dies bedeutet, dass der Kontaktwiderstand in der
Grenzfläche klein im Vergleich zum Wärmeleitwiderstand ist [Blu96]. Als Grenze wird von
[Kal90] Bi>100 angegeben. Dies trifft für den von Moldflow angenommenen Standardwert zu
(Bi=125 bei α=25000 W/(m2K)). Die von [Blu96] ermittelten Werte hingegen liegen
zwischen Bi=2,5 (α=500 W/(m2K)) und Bi=15 (α=3000 W/(m2K)), was der Annahme, dass
der Wärmeübergangskoeffizient vernachlässigt werden kann, widerspricht.
34
Wie stark die Ergebnisse einer Temperaturberechnung bei unterschiedlich angenommenem α
abweichen können, verdeutlicht Abb. 3.8. Es sind die berechneten Temperatur-Zeit-Verläufe
für α=25000 W/(m2K) (Standardwert bei Moldflow), α=3000 W/(m2K) (Maximalwert der
Messungen von [Blu96]) und α=500 W/(m2K) dargestellt. Die Ergebnisse der dargestellten
Formteiloberflächentemperaturen weichen bis zu über 100 °C voneinander ab. Dies
verdeutlicht, wie wichtig die Kenntnis des Wärmeübergangskoeffizienten für die Berechnung
ist.
-5 0 5 10 15 20 25 30 35 406080
100120140160180200220240260280300320
α=25000 W/(m2K) α=3000 W/(m2K) α=500 W/(m2K)
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
Abb. 3.8 Mit verschiedenen Wärmeübergangskoeffizienten berechnete Formteiloberflächentemperaturen
Zur Messung des Kontaktwärmeübergangskoeffizienten während des Spritzgießens ist es
nötig, den Temperaturverlauf an der Formteil- und an der Werkzeugoberfläche zu bestimmen.
Ebenso muss die Wärmestromdichte q& ermittelt werden. Der Wärmeübergangskoeffizient
ergibt sich dann als Quotient des Wärmestroms und der gemessenen Temperaturdifferenz.
Im Rahmen dieser Arbeit ist für die experimentelle Ermittlung des Wärmeübergangskoeffi-
zienten beim Spritzgießen an der Technischen Universität Chemnitz ein Werkzeugeinsatz mit
entsprechender Messtechnik konstruiert und gefertigt worden. Die Anordnung der
Messsensoren zeigt schematisch die Abb. 3.9. Die Messung der Oberflächentemperaturen
erfolgte mit Thermoelementen. Zur Ermittlung des Wärmestromes wurde eine so genannte
35
„Wärmeflussmessplatte“ eingesetzt. Diese Platte mit einer Dicke von 0,8 mm besteht aus
einem Mäander vieler gegeneinander geschalteter Thermoelemente, die sich in einem
Trägermaterial (hier PTFE) befinden [Kos03]. Die Messplatte gibt den Wärmestrom über der
Zeit aus, wodurch sich der Wärmeübergangskoeffizient während des Spritzgießens direkt
berechnen und anzeigen lässt. Die Isolierwirkung des 0,8 mm starken Trägermaterials aus
PTFE verzögert zwar die Wärmeabfuhr, was aber aufgrund der relativ langsamen
Ansprechzeiten der Thermoelemente eher als vorteilhaft einzustufen ist. Die prinzipiellen
Verläufe der Messkurven werden durch die Verzögerung nicht beeinflusst. Damit sich in der
Kavität über dem Querschnitt eine symmetrische Temperaturverteilung einstellt, ist auf der
gegenüberliegenden Seite der Messplatte ebenfalls eine Isolierschicht auf der
Werkzeugoberfläche angebracht worden.
Aufgrund der kurzen Einspritzzeiten und der im Vergleich dazu langsamen Ansprechzeiten
der eingesetzten Thermoelemente ist eine Auswertung der Messwerte in der Einspritzphase
nicht sinnvoll. Anhand der Ergebnisse aus Nachdruck- und Restkühlphase können allerdings
Rückschlüsse über das Verhalten des Koeffizienten in der Einspritzphase gezogen werden.
Dies ist möglich, da die Schmelze beim Einspritzen beim Kontakt mit der Werkzeugwand
sofort erstarrt und somit der Unterschied zwischen Einspritz- und Nachdruckphase in der
Grenzschicht vor allem in der Höhe des wirkenden Druckes liegt. Es ist daher zunächst der
Einfluss des wirkenden Druckes auf den Wärmeübergangskoeffizienten untersucht worden.
Wärmeflussmessplatte
IsolierschichtThermoelement an der Formteil-oberflächeThermoelement
an der Messplatten-oberfläche
WerkzeugplatteAngussseite
WerkzeugplatteAuswerferseite
Schmelze
Fließfront
Bahnlinien
Geschwindigkeitsprofil
Abb. 3.9 Schematische Darstellung der Anordnung der Messsensoren
36
Mit dem gefertigten Werkzeugeinsatz sind die Wärmeübergangskoeffizienten eines
Polycarbonats (Makrolon® 2805) und eines Polypropylens (Stamylan) gemessen worden. Da
Polycarbonatformteile im Vergleich zu Formteilen aus Polypropylen beim Entformen deutlich
steifer sind, kann es, nachdem das Material im Werkzeug auf die vorhandenen Messsensoren
aufgeschrumpft ist, zu einem Abreißen des Thermoelementsensors kommen. Die Versuche
zur Ermittlung des Druckeinflusses auf den Wärmeübergangskoeffizienten erfolgten daher
ausschließlich mit Polypropylen, da hier die Gefahr des Abreißens eines Sensors geringer ist.
Die Messergebnisse ergaben, dass der Wärmeübergangskoeffizient während der Nachdruck-
und der Restkühlphase nahezu konstant ist. Die leichten Schwankungen des Koeffizienten
während der Abkühlung sind auf die eingesetzten Temperaturmessfühler zurückzuführen. Ein
über den gesamten Abkühlverlauf gemittelter Wert ergab α=550 W(/m2K). Ein Abfall des
Koeffizienten bei sinkendem Nachdruck, wie es von [Blu96] beobachtet wurde, konnte in
dieser Arbeit nicht festgestellt werden. Der Grund für diesen Unterschied liegt in den
verschieden gewählten Messmitteln und wird ausführlich in [Men05] beschrieben. Der
Nachdruck ist bei den durchgeführten Versuchsreihen im Bereich von 200 bis 800 bar variiert
worden. Es zeigte sich, dass die Höhe des gewählten Druckes ebenfalls keinen Einfluss auf
den Wärmeübergangskoeffizienten hat.
Es ist allerdings ein gewisser Mindestdruck während der Nachdruckphase nötig, um einen
ausreichenden Kontakt zwischen dem Polymer und dem Werkzeug zu gewährleisten. Wird
kein Nachdruck aufgebracht und somit der einsetzenden Schrumpfung nicht entgegengewirkt
(Abb. 3.10), löst sich das Formteil allmählich von der Werkzeugoberfläche ab, und der
Wärmübergangskoeffizient sinkt bis auf α=260 W/(m2K). Ist der Nachdruck ausreichend, um
guten Kontakt zwischen Werkzeugwand und Formteil zu bewirken, ist der Koeffizient, wie
die Abb. 3.10 (rote Kurve) zeigt, konstant. Da beim herkömmlichen Spritzgießprozess sowohl
in der Einspritz- als auch in der Nachdruckphase, aufgrund der wirkenden Drücke, ein
ausreichender Kontakt zwischen Werkzeug und Formteil vorhanden ist, können in die
Simulationsrechnungen die gewonnenen Werte als Konstante, unabhängig von der
Druckhöhe, implementiert werden.
37
20 40 60 80 1000
200
400
600
800
1000
TM 190 °C, TW 20 °C (0 bar Nachdruck) TM 190 °C, TW 20 °C (800 bar Nachdruck)
Wär
meü
berg
angs
koef
fizie
nt [W
/(m²K
)]
Zeit [s]
Abb. 3.10 Gemessener Wärmeübergangskoeffizient für Polypropylen
Den Verlauf des gemessenen Wärmeübergangskoeffizienten während der Abkühlphase für
Polycarbonat zeigt Abb. 3.11. Als Mittelwert wurde α=615 W/(m2K) gemessen.
20 40 60 80
0
500
1000
1500
2000
2500
3000 TM=300 °C, TW=80 °C (600 bar Nachdruck)
Wär
meü
berg
angs
koef
fizie
nt α
[W/(m
2 K)]
Zeit [s]
Abb. 3.11 Gemessener Wärmeübergangskoeffizient für Polycarbonat
38
3.3 Simulationsergebnisse
3.3.1 Temperatur an der Schmelzefront
Im Kapitel 2.3.3 „Grundlagen für die Temperaturfeldberechnung“ wird bei der Simulation die
Annahme getroffen, dass an der Fließfront kein Wärmeaustausch mit der umgebenden Luft
stattfindet. Dies wird damit begründet, dass sowohl die Wärmeleitung als auch die
Wärmekapazität der Luft im Vergleich zu der des Polymers gering ist. Bei dem in dieser
Arbeit untersuchten Oberflächenmodifizierungsprozess ist die Temperatur in der
Grenzschicht unmittelbar beim Auftreffen der Schmelze auf das Werkzeug von Interesse.
Eine Abkühlung an der Schmelzefront durch die in der Kavität vorhandene Luft vor dem
Kontakt mit der Werkzeugoberfläche würde die sich einstellende Temperatur in der
Grenzfläche beeinflussen. Daher soll die getroffene Annahme der Vernachlässigung des
Wärmeaustausches mit der Luft durch eine Berechnung der Verhältnisse im Fließfrontbereich
mit Hilfe des Simulationsprogramms Fidap überprüft werden. Der Wärmeübergangskoeffi-
zient zwischen Luft und Schmelze von 30 W/(m2K) sowie alle weiteren relevanten Stoffdaten
wurden in eine Beispielrechnung integriert. Das Ergebnis zeigt Abb. 3.12. Die Darstellung ist
eine Momentaufnahme der vorschreitenden Schmelze und gibt die Temperaturen in der
Symmetrieebene der Kavität wieder. Die dargestellte schematische Zeichnung der
Schmelzefront dient zur Orientierung, um die Position (x-Richtung) der angegebenen
Temperaturwerte innerhalb der Schmelze zu verdeutlichen. Die Temperatur, in Richtung
Fließfront betrachtet, zeigt zunächst eine leichte Temperaturerhöhung, die in der Dehnung der
Schmelze beim Umlenken in Richtung Werkzeugwand begründet ist. Anschließend fällt die
Temperatur an der Spitze des Schmelzestroms ab. Der maximale Temperaturunterschied
beträgt rund 0,1 °C. Die Abkühlung der Schmelzefront durch die in der Kavität befindliche
Luft ist also sehr gering und die Annahme der Vernachlässigung des Wärmeaustausches mit
der Schmelze ist damit gerechtfertigt.
39
0,002 0,003 0,004 0,005 0,006 0,007 0,008 0,009 0,010299,8
300,0
300,2
Temperatur
Tem
pera
tur [
°C]
Position in x-Richtung [mm]
Abb. 3.12 Mit Fidap berechnete Temperatur in der Kavitätsmitte (Material: PC; Massetemperatur: 280 °C;
Werkzeugtemperatur: 80 °C)
3.3.2 Temperaturverlauf in der Grenzschicht zwischen Formteil und Werkzeug
Die Grenzschicht zwischen Werkzeugwand und Formteil wird bei der Simulation wie folgt
abgebildet. Die Geometrie des Werkzeuges und der Kavität wird durch ein Netz repräsentiert
(siehe Abb. 3.13). Den zum Werkzeug zählenden Knoten wird bei der Berechnung als
Anfangsbedingung die Werkzeugtemperatur zugewiesen und der einströmenden Schmelze
eine Massetemperatur. Nach der Simulation des Füllvorganges lassen sich die berechneten
Temperaturverläufe an den Knoten ausgeben. Für die Betrachtung des in-situ-
Modifizierungsprozesses ist speziell die Temperatur in der Grenzschicht zwischen Werkzeug
und Kavität von Interesse. Diese Grenzschicht liegt bei der Simulation zwischen den in
Abb. 3.13 zur besseren Unterscheidung blau dargestellten Werkzeugknoten und den gelb
unterlegten Knoten der Kavität. Die Grenze wird umso genauer aufgelöst, umso geringer die
Abstände der Knoten sind, was durch eine Verfeinerung des Netzes (höhere Netzdichte)
erreicht werden kann. Um die „tatsächliche“ Temperatur in der Grenzschicht ermitteln zu
können, müssten die Abstände der Knoten zwischen Werkzeug und Kavität gegen null gehen,
was nur durch eine Approximation der Werte möglich ist.
Schmelze Luft
Wärmeübergangs-koeffizient zur Luft 30 W/(m2K)
Symmetrie-ebene
40
Da die in-situ-Modifizierungsreaktion an der Formteiloberfläche stattfindet, werden die
Knoten am Rand der Kavität als die für den Ablauf der chemischen Reaktion relevanten
Temperaturen betrachtet.
Knoten Werkzeug
Knoten Kavität
Grenze zw. Kavität und Werkzeug
Abb. 3.13 Schematische Darstellung eines zweidimensionalen Finite-Elemente-Netzes
In Abb. 3.14 sind die mit Fidap berechneten Temperaturen an der Grenze zwischen Formteil
und Werkzeug zu verschiedenen Zeitpunkten dargestellt. Die dargestellten Temperaturverläu-
fe zeigen im Randbereich der Schmelze (bzw. des Formteils) bei den Zeitschritten
0,1 s bis 0,4 s eine leichte Temperaturerhöhung um 3 °C, die durch die Scherung in Randnähe
und der damit verbundenen Wärmedissipation verursacht wird.
Im unmittelbaren Randbereich der Kavität fallen die Temperaturen sehr schnell auf nahezu
Werkzeugtemperatur ab. In etwas Abstand zur Werkzeugwand erfolgt die Abkühlung
dagegen deutlich langsamer. Dies liegt an der im Vergleich zum Stahl viel niedrigeren
Wärmeeindringfähigkeit ( cb ⋅⋅= ρλ ), was vor allem auf die um den Faktor 200 niedrigere
Temperaturleitfähigkeit λ zurückzuführen ist.
41
-0,002 -0,001 0,000 0,001 0,00250
100
150
200
250
300
0,012 s 0,100 s 0,134 s 0,400 s 1,885 s 4,885 s 9,885 s
Tem
pera
tur [
°C]
Position in y-Richtung [mm]
Abb. 3.14 Berechnung der Temperaturen an der Grenzschicht zwischen Formteil und Werkzeugwand
(Material: PC; Massetemperatur: 300 °C; Werkzeugtemperatur: 80 °C)
Auch die im Vergleich zur drastischen Abkühlung der Schmelze nur geringe
Temperaturerhöhung des Werkzeuges um 12 °C ist in der wesentlich besseren
Wärmeleitfähigkeit des Stahls begründet. Die Wärme wird sehr schnell von der
Werkzeugwand ins Materialinnere transportiert.
Eine weitere Möglichkeit, Temperaturverläufe darzustellen, zeigt Abb. 3.15. Hier wird der
Temperaturverlauf während der Füllzeit an ausgewählten Netzknoten dargestellt. Dies
ermöglicht eine Betrachtung der Abkühlverhältnisse, z. B. über dem Querschnitt der Kavität.
Aus Abb. 3.15 ist sehr gut ersichtlich, wie sich die Temperatur der Werkzeugoberfläche
(Knoten 1) während des Spritzgießprozesses um einige Grad erhöht. Der Knoten 2 spiegelt
die Abkühlverhältnisse der Formteiloberfläche wieder, dabei wird der drastische
Temperaturabfall der Schmelze unmittelbar nach dem Kontakt mit der Werkzeugwand gut
wieder gegeben. Nach dem die Temperatur am Knoten 2 in kurzer Zeit stark abgenommen
hat, kommt es im weiteren Verlauf zu einer leichten Temperaturerhöhung in der
Nachdruckphase. Es ist anzunehmen, dass diese minimale Erhöhung der Temperatur mit der
Wärmeabgabe aus der Kavitätsmitte (der Schmelzeseele) zusammenhängt.
Kavität Werkzeug
42
Der Verlauf der Temperatur am Knoten 4 zeigt in der Füllphase eine leichte Temperaturerhö-
hung gegenüber der eingestellten Massetemperatur, was auf die in der Nähe der Randschicht
wirkenden Scherkräfte und der damit einhergehenden Wärmedissipation zurückzuführen ist.
Je weiter die betrachtete Position der Knoten in der Abb. 3.15 von der Werkzeugwand
entfernt liegt, umso langsamer verläuft der Abkühlprozess. In der Nähe der Kavitätsmitte
(Knoten 7) ist die hohe Massetemperatur über mehrere Sekunden vorhanden.
0 2 4 6 8 10 12
0
50
100
150
200
250
300
350
Knoten 8 (Kavitätsmitte) Knoten 7 (Abstand zum Wandknoten 1,6 mm) Knoten 6 (Abstand zum Wandknoten 1,3 mm) Knoten 5 (Abstand zum Wandknoten 1,0 mm) Knoten 4 (Abstand zum Wandknoten 0,7 mm) Knoten 3 (Abstand zum Wandknoten 0,4 mm) Knoten 2 (Abstand zum Wandknoten 0,1 mm) Knoten 1 (Knoten Werkzeugwand)
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
Abb. 3.15 Temperaturverläufe verschiedener Positionen zwischen Werkzeug und Kavitätsmitte (Material: PC;
Massetemperatur: 300 °C; Werkzeugtemperatur: 80 °C)
Im Zusammenhang mit der Oberflächenmodifizierung sind vor allem die Temperaturverläufe
an der Formteiloberfläche von Interesse (Knoten 2 in Abb. 3.15), da die dort wirkenden
Temperaturen den Ablauf der chemischen Modifizierungsreaktion bestimmen. Daher sind bei
den nachfolgend dargestellten Temperaturverläufen zur Berechnung der Geschwindigkeits-
konstante der chemischen Reaktion die Temperaturwerte an dieser Position zugrunde gelegt
worden.
43
3.3.3 Einfluss der Prozessparameter auf das Temperaturregime und die
Reaktionsgeschwindigkeitskonstante bei der Oberflächenmodifizierung
Entscheidend für die sich beim Spritzgießen einstellenden thermodynamischen Verhältnisse
sind vor allem die eingestellten Prozessparameter wie Masse- und Werkzeugtemperatur. In
diesem Kapitel soll dargestellt werden, inwieweit diese Parameter den Temperaturverlauf an
der Formteiloberfläche beeinflussen. Es sind die Prozessparameter in dem für das
Spritzgießen von Polycarbonat typischen Bereich variiert worden (siehe Tab. 3.1 aus
Kapitel 3.1). Die Temperaturverläufe an der Formteiloberfläche wurden mit Moldflow
berechnet.
Zum Abschätzen, wie sich die berechneten Temperaturen auf die chemische Reaktion bei der
Oberflächenmodifizierung auswirken, wurden auf der Grundlage der Temperaturkurven die
temperaturabhängigen Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten k(T) nach dem Arrhenius-
Ansatz
TREA
eZTk ⋅−
⋅=)( (3.9)
ermittelt. Dabei sind Z der präexponentielle Faktor und EA die Aktivierungsenergie nach
Arrhenius. Die Werte für Z und EA sind vom Institut für Polymerforschung (IPF) in Dresden
bestimmt worden und im Anhang A dargestellt.
Den Einfluss der eingestellten Massetemperatur auf den Temperaturverlauf an der
Formteiloberfläche und somit auf die temperaturabhängige Reaktionsgeschwindigkeitskon-
stante k(T) zeigt die Abb. 3.16. Beim Vergleich der beiden in Abb. 3.16 dargestellten
Diagramme wird deutlich, dass eine um 40 °C höhere Temperatur der Schmelze (Abb. 3.16
rechts) eine deutliche Erhöhung der Geschwindigkeitskonstanten bewirkt, was einen größeren
Reaktionsumsatz bei der Modifizierungsreaktion zur Folge hat. Ebenso ist ersichtlich, dass
innerhalb der ersten Sekunde des Spritzgießprozesses die Werte für k(T) bei beiden Kurven
auf nahezu null absinken. Die Zeit, die der Modifzierungsreaktion zur Verfügung steht, ist
somit sehr kurz.
44
0,2 0,4 0,6 0,8 1,00
50
100
150
200
250
k [l/
(mol
s)]
Temperaturverlauf Polycarbonat (TM=240 °C und TW=80 °C)
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0 Reaktionsgeschwindigkeit in
Abhängigkeit von der Temperatur
0,2 0,4 0,6 0,8 1,00
50
100
150
200
250
k [l/
(mol
s)]
Temperaturverlauf Polycarbonat (TM=280 °C und TW=80 °C)
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0 Reaktionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur
Abb. 3.16 Darstellung der Oberflächentemperaturen des Formteils und der daraus resultierenden Reaktions-
geschwindigkeit k bei unterschiedlich gewählten Massetemperaturen
Durch Integration der Verlaufskurven der temperaturabhängigen Reaktionsgeschwindigkeits-
konstanten (in Abb. 3.16 grau unterlegt) lässt sich ein Wert ermitteln, der einen Vergleich
zwischen den Kurven ermöglicht. In Abb. 3.17 sind die Ergebnisse der integrierten Flächen
bei verschiedenen Prozessparametern (siehe Tab. 3.1 Kapitel 3.1) dargestellt.
Den größten Einfluss auf die Geschwindigkeitskonstante hat die Massetemperatur. Eine
höhere Werkzeugtemperatur wirkt sich zwar auch vorteilhaft auf die Höhe der Konstante k(T)
bei der Reaktion aus, allerdings steigt der Wert bei einer Temperaturerhöhung nicht so stark
an wie bei einer Erhöhung der Massetemperatur. Unterschiedlich hohe Nachdrücke bewirken
erwartungsgemäß keine signifikante Änderung des Temperaturregimes. Eine kurze
Einspritzzeit hingegen hat eine hohe Scherung im Randbereich zur Folge, weshalb sich die
Massetemperatur aufgrund der Wärmedissipation erhöht.
45
260 270 280 290 300 310 320 60 70 80 90 100 400 600 8001000 160 360 5600,00
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0,35
[mm/s][bar][°C][°C]
Einspritz-geschwindigkeit
NachdruckWerkzeugtemperaturMassetemperaturIn
t k(T
(t))
Prozessparameter
Abb. 3.17 Zusammenhang zwischen den Prozessparametern und der integrierten Fläche der
Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten
Auf der Basis einer Monte-Carlo-Simulation lassen sich Aussagen über den Reaktionsumsatz
in Abhängigkeit von der Temperatur gewinnen. Die Berechnung der in der Grenzfläche
ablaufenden chemischen Reaktion auf molekularer Ebene ist sehr komplex und wird explizit
in [Men04] beschrieben. Der im Rahmen dieser Arbeit dargestellte Zusammenhang zwischen
der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten und den gewählten Prozessparametern verdeutlicht
allerdings bereits, dass für das Ergebnis der Modifizierung die Wahl der Parameter von
zentraler Bedeutung ist und dass sich hohe Temperaturen vorteilhaft auf die Modifizierungs-
reaktion auswirken. Durch die im Kapitel 5 beschriebenen Untersuchungen wird dieser
Zusammenhang durch experimentelle Messungen weiter quantifiziert. Zuvor sollen im
folgenden Abschnitt die berechneten Temperaturverlaufskurven mit direkt im Werkzeug
gemessenen Temperaturen verglichen werden.
46
47
4 IR-Temperaturmessung
4.1 Versuchsaufbau
Zur Messung der Oberflächentemperatur an einem Formteil ist der in Abb. 4.1 links
dargestellte Infrarotsensor eingesetzt worden. Der Sensor schließt im eingebauten Zustand
bündig mit der Kavitätsoberfläche ab. Die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten
IR-Temperaturmessungen wurden am Institut für Polymerforschung (IPF) in Dresden an
einem Zugstabwerkzeug durchgeführt. Die Position, an der die Oberflächentemperatur des
Formteiles gemessen wird, ist ebenfalls in Abb. 4.1 (rechts) ersichtlich. Durch ein
Saphirfenster, das den hohen Temperaturen (bis 400 °C) und den hohen mechanischen
Belastungen (Druck bis 2500 bar) standhält, gelangt die Wärmestrahlung der
Kunststoffschmelze direkt zur Auswerteeinheit, die sich unmittelbar hinter der Messstelle
befindet.
Eine Fehlerquelle dieser Messtechnik ist, dass der Sensor direkten Kontakt zur Schmelze hat
und somit ein Wärmeaustausch zwischen Sensor und Kunststoff stattfindet. Dem Formteil
wird üblicherweise Wärme über das Werkzeug entzogen. An der Messstelle erfolgt der
Wärmetransport allerdings über das zur Erfassung der Wärmestrahlung eingebaute
Saphirfenster, welches eine geringere Wärmeleitfähigkeit als das Werkzeug aufweist.
Aufgrund dessen, dass der IR-Sensor nicht die gleichen thermischen Eigenschaften wie das
Werkzeugmaterial besitzt, wird das Ergebnis der Temperaturmessung durch das verwendete
Messmittel beeinflusst.
Abb. 4.1 Infrarotsensor Typ MTS 408 [FOS Messtechnik] (l.) und Zugstab mit markierter Messstelle (r.)
Messpunkt
48
4.2 Einfluss der Eindringtiefe
Ein Problem bei der Verwendung von Infrarotmessgeräten ist, dass vom Messfühler nicht nur
die Strahlung von der Oberfläche des Formteils, sondern auch teilweise Strahlung aus tiefer
liegenden Schichten mit gemessen wird, da Kunststoffe für elektromagnetische Strahlung im
Infrarotbereich teilweise durchlässig sind. Die gemessene Temperatur stellt somit einen
gewichteten Temperaturmittelwert über ein Messvolumen dar, das von den Transmissions-
bzw. den Absorptionseigenschaften des Kunststoffmaterials abhängig ist.
Der Absorptionsgrad eines Materials gibt an, wie viel von einer eingebrachten Lichtenergie
absorbiert wird (Umwandlung der Energie in eine andere Energieform, wie z. B. in Wärme).
Der Transmissionsgrad sagt aus, wie viel Lichtenergie durch die Probe durchgelassen wird.
Unter Vernachlässigung der Reflexion ergibt sich zwischen Absorptionsgrad A(ω) und
Transmissionsgrad T(ω) folgender Zusammenhang:
1)()( =+ ωω TA (4.1)
Der Transmissionsgrad und somit auch der Absorptionsgrad sind von der Wellenlänge ω der
Strahlung abhängig und lassen sich mittels FTIR-Spektroskopie bestimmen. In Abb. 4.2 sind
schematisch die Verhältnisse beim Durchgang von Strahlung durch einen Kunststoff
definierter Dicke dargestellt. In x-Richtung nimmt dabei die Strahlungsintensität E(x)
exponentiell mit zunehmender Dicke ab. Diese Gesetzmäßigkeit wird durch das Lambert-
Beersche Absorptionsgesetz beschrieben:
Edx
eExE−
⋅= 0)( (4.2)
Dabei ist E0 die Anfangsintensität der Strahlung. Die Schichtdicke x, bei der die
Strahlungsintensität auf 36,8 % (entspricht e-1) abgefallen ist, wird als Eindringtiefe dE
bezeichnet. Die sich ergebende Eindringtiefe ist je nach Kunststoff sehr verschieden und ist,
wie unter anderem die Arbeit von [Blu96] zeigt, nicht nur von der Wellenlänge, sondern auch
von der Temperatur abhängig.
49
dE Transmissionsanteil
Absorptionsanteil1
0−⋅eE
0E
TE
0 d x
E
Weg
Stra
hlun
gsin
tens
ität Kunststoff
Abb. 4.2 Strahlungsintensität als Funktion der Probendicke [nach Blu96]
Die Eindringtiefe ist ein Wert, der sich aus dem Absorptions- bzw. Transmissionsverhalten
eines Kunststoffes ergibt. Im Zusammenhang mit der IR-Temperaturmessung bedeutet dies,
dass die Schichtdicke, über die der gewichtete Temperaturmittelwert ausgegeben wird, umso
kleiner ist, je geringer die Eindringtiefe ist. Zum Beschreiben der chemischen Reaktion, die
beim in-situ-Modifizieren in der Grenzschicht stattfindet, wird die Temperatur an der
Oberfläche des Formteils benötigt. Die Eindringtiefe sollte daher so gering wie möglich sein.
Für das in dieser Arbeit verwendete transparente Polycarbonat (Makrolon® 2805) ist eine
Eindringtiefe dE von 8,58 mm berechnet worden. Aufgrund des hohen Transmissionsgrades
des transparenten Materials wird somit eine gemittelte Temperatur über den gesamten
Querschnitt der 4 mm dicken Zugstabkavität gemessen. Aus der Literatur ist bekannt, dass
durch Zugabe von 0,5 bis 1 % Ruß die Eindringtiefe dE bis auf wenige hundertstel Millimeter
reduziert werden kann [Obe93, Blu96]. Die Zugabe von Ruß wirkt sich dabei kaum auf die
thermischen Eigenschaften aus, da der Anteil sehr gering ist. Die Transmissionseigenschaften
hingegen werden stark verändert. Aufgrund der hohen spezifischen Oberfläche hat reiner Ruß
nahezu die Eigenschaften eines realen schwarzen Strahlers [Mue02]. Er absorbiert die
Strahlung fast vollständig und unabhängig von der Wellenlänge. Die Messung des
Transmissionskoeffizienten mit Hilfe der FTIR-Spektroskopie zur Berechnung der
Eindringtiefe dE von rußgefüllten Polymeren stellt sich aufgrund der Pigmentanteile und
deren schwankenden Mischungsanteilen sowie den geringen Transmissionswerten als äußerst
schwierig dar [Blu96]. Eine genaue Eindringtiefe lässt sich zwar nicht ermitteln, die Werte
50
liegen aber im Bereich von 0,01 bis 0,09 mm und sind deutlich geringer als bei ungefüllten
Materialien.
Abb. 4.3 zeigt verschiedene gemessene Temperaturverläufe bei unterschiedlichen Anteilen
von Ruß. Abb. 4.3 a stellt die Messwerte für das ungefüllte Material PC Makrolon® 2805 dar.
Zunächst ist festzustellen, dass die Temperatur sehr schnell ansteigt bis zu einem
Maximalwert. Die Maximaltemperatur für das ohne Rußzusatz verarbeitete Material ist
265°C. Durch die Zugabe von Ruß liegt die gemessene maximale Temperatur bei niedrigeren
Werten (z. B. bei 1 % Ruß bei 204 °C). Der Grund dafür ist, dass wie bereits erläutert durch
die Zugabe von Ruß die Transmissionseigenschaften verändert werden. Dadurch werden nicht
mehr die Temperaturen aus tiefer liegenden Schichten mit gemessen, deren Werte aufgrund
der schlechten Wärmeeindringfähigkeit des Kunststoffes im Formteilinneren höher sind als
unmittelbar am Rand.
Nach dem Erreichen des Maximums in Abb. 4.3 fallen die Temperaturen sehr schnell wieder
ab. Bei der Kurve ohne Ruß ist der Gradient der Abkühlung zunächst wesentlich niedriger als
bei den Kurven mit Rußanteilen. Der schnellere Temperaturabfall bei den rußgefüllten
Materialien ist ebenfalls auf die Messung in der dünnen Randschicht zurückzuführen, da hier
der Einfluss der kalten Werkzeugwand stärker ausgeprägt ist als im Formteilinneren.
Während die Temperatur bei der Kurve ohne Ruß zwar langsamer aber stetig abnimmt,
kommt es bei den gefüllten Materialien nach dem Durchlaufen eines Minimums zu einem
erneuten Ansteigen der Temperatur, bis ein zweites Temperaturmaximum erreicht ist. Nach
[Obe93] ist für diesen erneuten Temperaturanstieg der Nachdruck verantwortlich. Die
Temperaturerhöhung wird damit erklärt, dass die einsetzende Schwindung durch
Nachdrücken von heißer Schmelze ausgeglichen wird, was die Temperatur in der Kavität
ansteigen lässt.
51
0 2 4 6 80
50
100
150
200
250
300Te
mpe
ratu
r [°C
]
0 2 4 6 80
50
100
150
200
250
300
Zeit [s]0 2 4 6 8
0
50
100
150
200
250
300
Abb. 4.3 Darstellung der Temperaturkurven bei verschiedenen Russgehalten (Massetemperatur: 280 °C;
Werkzeugtemperatur: 80 °C; Einspritzgeschwindigkeit: 75 mm/s)
Die Temperaturerhöhung kann aber auch nach [Blu96] auf die Druckänderung
(Kommpressionswärme) zurückzuführen sein, wodurch die Temperatur bei einer
Druckerhöhung ansteigt. Diese Erklärung scheint zunächst plausibel, da zudem in den hier
durchgeführten Messungen die Zeitpunkte, bei denen die Maximalwerte des
Werkzeuginnendruckes erreicht wurden, und die Zeitpunkte des erneuten Temperaturmaxi-
mums identisch waren. Durch den Zusammenhang von Druck p, spezifischem Volumen cp,
Temperatur T und mit Hilfe des volumetrischem Wärmeausdehnungskoeffizienten αv lässt
sich nach [Thi78] näherungsweise die Temperaturerhöhung bei adiabaten Verhältnissen nach
folgender Formel berechnen:
pcT
Tp
v ∆⋅⋅⋅
=∆ρα
(4.3)
Für das untersuchte Material wurde eine Temperaturerhöhung von 5 K berechnet. Bei der
IR-Temperaturmessung ergab sich eine Temperaturerhöhung bei 1 % Rußzusatz von 6,4 K.
Was der Annahme, dass die Erhöhung der Temperatur durch Kompressionswärme
hervorgerufen wird, widerspricht, ist die Tatsache, dass die Temperaturerhöhung während der
Nachdruckphase nur bei den Messungen an den rußgefüllten Materialien auftritt. Die
0% Ruß 0,5% Ruß 1% Ruß a) b) c)
52
Temperaturmessung erfolgt dabei, bedingt durch den Ruß, in einer sehr dünnen und
schlagartig erstarrten Randschicht. Eine durch den Nachdruck induzierte Temperaturerhöhung
müsste somit erst an den Randbereich abgegeben werden, um vom Messgerät erfasst zu
werden. Beim Polycarbonat ohne Rußzusatz hingegen wird auch Wärmestrahlung aus tiefer
liegenden Bereichen mit gemessen. Eine Temperaturänderung durch Nachdrücken heißer
Schmelze oder durch abgegebene Kompressionswärme müsste bei diesen Messungen daher
deutlicher zu sehen sein, als bei den rußgefüllten Materialien. Dies ist wie Abb. 4.3 zeigt
allerdings nicht der Fall. Eine mögliche Erklärung für das Ansteigen der Temperatur während
der Nachdruckphase wird im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit den Simulationser-
gebnissen aufgezeigt.
4.3 Vergleich der IR-Messergebnisse mit den Simulationsergebnissen
Die in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Temperaturmessungen mittels IR-Sensor
können trotz der relativ schnellen Ansprechzeit des Sensors (15 ms) nicht die drastischen
Abkühlverhältnisse beim Einspritzen der Schmelze exakt erfassen. Da der Abkühlgradient
während der Nachdruckphase allerdings deutlich kleiner ist als in der Einspritzphase, können
die Temperaturen in der Nachdruck- und Restkühlphase sehr genau mittels IR-Messung
ermittelt werden. Es ist daher sinnvoll, die mit der Simulation berechneten Temperaturverläu-
fe mit den gemessenen Kurven zu vergleichen. Stimmen die Temperaturkurven in den
Bereichen, in denen der Sensor exakte Messwerte liefert, mit den Simulationsergebnissen gut
überein (Nachdruck- und Restkühlphase), lässt sich durch Extrapolation der Rückschluss
ziehen, dass die berechneten Temperaturen in der Einspritzphase ebenfalls die realen
thermischen Verhältnisse richtig wiedergeben.
Ein Vergleich der berechneten mit den experimentell ermittelten Temperaturverlaufskurven
an der Formteiloberfläche zeigt die Abb. 4.4. Die IR-Messung sowie die Berechnungen
erfolgten an einem Zugstab, wobei der Temperaturverlauf an einem bestimmten Punkt an der
Formteiloberfläche betrachtet wird. Zunächst steigen bei allen dargestellten Kurven der
Abb. 4.4 die Temperaturen sprunghaft auf einen Maximalwert an und zwar zu dem Zeitpunkt,
wenn die einströmende Schmelze mit der Werkzeugoberfläche in Kontakt kommt.
Anschließend fallen die Werte sofort sehr schnell ab. Die Höhe der Maximaltemperatur ist bei
den Berechnungsprogrammen von den gewählten Zeitschritten abhängig. Für die
53
Berechnungen mit Fidap lässt sich die Größe der Zeitschritte beliebig vorgeben. Bei
Moldflow hingegen ist die Wahl der Schrittweite nur eingeschränkt möglich. Bei kleinen
Abständen erhöht sich die Genauigkeit. Die niedrige Maximaltemperatur bei der IR-Messung
(Abb. 4.4) ist auf den hohen Abkühlgradienten von rund 3 K/ms unmittelbar nach dem
Kontakt der Schmelze mit der Werkzeugwand zurückzuführen. Die Ansprechgeschwindigkeit
des IR-Sensors reicht nicht aus, um die schlagartige Abkühlung an der Oberfläche zu
erfassen. Im Gegensatz dazu wird von Moldflow und Fidap der drastische Temperaturabfall
unmittelbar nach dem Kontakt der Schmelzefront mit der Werkzeugoberfläche gut
wiedergegeben. Der Abkühlgradient ist allerdings bei der Moldflowrechnung nicht ganz so
hoch, wie bei der Fidaprechnung. Dies ist durch Unterschiede bei der Vernetzung begründet.
Bei Moldflow ist bei der Erstellung des Netzes die Anzahl der Schichten über den Querschnitt
der Kavität begrenzt. Bei Fidap hingegen lässt sich die Netzdichte im Kavitätsquerschnitt
beliebig wählen. Daher ist bei den Fidaprechnungen ein deutlich feineres Netz generiert
worden, was zur Folge hat, dass die Abstände der Knoten geringer sind und die thermischen
Verhältnisse durch die Rechnung exakter wiedergegeben werden.
0 2 4 6 8 1050
100
150
200
250
300 Moldflow-Berechnung
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]
0 2 4 6 8 1050
100
150
200
250
300 Fidap-Berechnung
Tem
pera
tur [
°C]
Zeit [s]0 2 4 6 8 10
50
100
150
200
250
300 IR-MessungTe
mpe
ratu
r [°C
]
Zeit [s]
Abb. 4.4 Temperaturkurven der Moldflow- und Fidap-Rechnungen sowie der IR-Messung (Massetemperatur: 280 °C;
Werkzeugtemperatur: 80 °C; Einspritzgeschwindigkeit: 45 mm/s)
Der Formfüllvorgang in Abb. 4.4 ist nach 0,7 Sekunden beendet, und es wird auf Nachdruck
umgeschaltet. Nachdem die Temperaturwerte bei allen Kurven stark abgefallen sind, stellen
sich bei der Fidap-Rechnung und bei der IR-Messung in der Nachdruckphase bei einer
Temperatur von 150 °C kurzzeitig nahezu statische thermische Verhältnisse ein. Im weiteren
Verlauf steigen die Werte wieder leicht an. Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, wird
in der Literatur [Blu96 und Thi78] diese erneute Temperaturerhöhung bei der IR-Messung
durch die zum Ausgleich der Schwindung nachgedrückte heiße Schmelze bzw. mit
54
freigesetzter Kompressionswärme aufgrund der Druckerhöhung in der Nachdruckphase
begründet. Bei der Fidaprechunung ist dieser zweite Temperaturanstieg allerdings ebenfalls
vorhanden, obwohl hier keine Schmelze nachgedrückt wird, da die Schwindung bei der
Berechnung nicht mit berücksichtigt wird. Bei der Rechnung wird zudem eine
Inkompressibilität der Schmelze angenommen, so dass sich der Anstieg auch nicht mit
freigesetzter Kompressionswärme begründen lässt.
Die erneute Temperaturerhöhung bei der Simulation und bei der IR-Messung lässt sich
folgendermaßen erklären. Bei der Abkühlung sinkt die Schmelzetemperatur TS stark ab und
die Werkzeugtemperatur TW steigt an. Trotz der starken Abkühlung in Randnähe ist, bedingt
durch die schlechte Wärmeleitfähigkeit von Kunststoffen, im Inneren des Formteiles eine
noch flüssige Schmelzeseele vorhanden, mit Temperaturen im Bereich der Massetemperatur.
Die im Formteilinneren existierende Wärme wird an den Randbereich abgegeben. Durch die
Erhöhung der Werkzeugtemperatur und den dadurch verringerten Wärmestrom kann diese
Wärme nicht schnell genug ins Werkzeuginnere abtransportiert werden. Es kommt zu einem
Wärmestau, weshalb die Temperatur im Randbereich ansteigt. Bei der Berechnung mit
Moldflow wird während des Spritzgießzyklus’ eine konstante Werkzeugtemperatur festgelegt.
Dies erklärt, warum es bei dem in Abb. 4.4 dargestelltem Temperaturverlauf kein
ausgeprägtes zweites Temperaturmaximum gibt. Im weiteren Verlauf fällt die Temperatur bei
allen drei in Abb. 4.4 ersichtlichen Kurven weiter ab.
Der Vergleich der berechneten Temperaturverläufe mit dem gemessenen zeigt, dass die
prinzipiellen Verläufe der Berechnungen gut mit dem experimentellen Messergebnis
übereinstimmen. Der entscheidende Vorteil der Simulation gegenüber der IR-Messung ist,
dass auch ein Temperaturverlauf in den ersten Millisekunden nach dem Kontakt der Schmelze
mit dem Werkzeug wiedergegeben werden kann. Für die ablaufenden chemischen Reaktionen
bei der Oberflächenmodifizierung sind vor allem diese kurzen Zeitbereiche von Bedeutung.
55
5 Ergebnisse der in-situ-Oberflächenmodifizierung von
Polycarbonatformteilen
5.1 Versuchsplan
5.1.1 Eingesetzte Materialien
Die experimentellen Untersuchungen zur Modifizierung von Polycarbonatoberflächen sind
mit dem Material Makrolon® 2805 von Bayer MaterialScience durchgeführt worden.
Makrolon® 2805 ist ein mittelviskoser und farbloser Standardtyp, dem als einziger Zusatz in
geringen Mengen eine Entformungshilfe beigegeben wird. Außer, dass dadurch eine
problemlose Verarbeitung des Materials ermöglicht wird, werden keine anderen
Eigenschaften im messbaren Bereich beeinflusst. Es wurde bewusst dieser Standardtyp
ausgewählt, um auszuschließen, dass durch diverse Zusatzstoffe die Ergebnisse der
Untersuchungen in irgendeiner Form beeinträchtigt werden. Ausgewählte rheologische,
mechanische und thermische Eigenschaften sind im Anhang A tabellarisch zusammengestellt.
In Vorversuchen am Institut für Polymerforschung in Dresden (IPF) wurde als geeigneter
Modifikator zur Oberflächenmodifizierung von Polycarbonat Polyethylenimin (PEI)
bestimmt. Verzweigte Polyethylenimintypen enthalten primäre, sekundäre und tertiäre
Aminogruppen, was bei der chemischen Modifizierungsreaktion und bei einer
Oberflächenanalyse mitberücksichtigt werden muss. Bei den in dieser Arbeit durchgeführten
Untersuchungen ist daher ein lineares Polyethylenimin eingesetzt worden, das ausschließlich
sekundäre Aminogruppen enthält. Weitere Eigenschaften sind ebenfalls im Anhang A
dargestellt.
5.1.2 Aufbau der Versuchseinrichtung
Im Kapitel 2.2 „Grundlagen der in-situ-Oberflächenmodifizierung“ ist der Ablauf des
Modifizierungsverfahrens bereits erläutert worden. Entscheidend für die verfahrenstechnische
Umsetzung ist vor allem die Art der Applizierung der Modifikatorlösung auf der
56
Werkzeugoberfläche. Dabei ist zu beachten, dass die Oberfläche gleichmäßig benetzt wird.
Der reine Modifikator (hier PEI) wird in Mengen von maximal einem Gewichtsprozent in
Wasser gelöst. Es entsteht eine niederviskose Lösung, weshalb sich das Aufsprühen als
geeignete Auftragsmethode anbietet. Bei der Auswahl eines Sprühsystems zur Applizierung
niederviskoser Substanzen auf eine Oberfläche kann auf Erfahrungswerte aus der
Lackiertechnik zurückgegriffen werden. Für die durchgeführten Versuche ist eine
Zweistoffdüse mit Außenmischung ausgewählt worden. Das technische Grundprinzip stellt
sich wie folgt dar. Eine unter Druck stehende Zerstäuberluft strömt aus einer konzentrischen
Düse. Durch die beschleunigte Luft entsteht an der Düsenöffnung ein Unterdruckgebiet,
wodurch die zu applizierende Flüssigkeit aus dem mit der Luftdüse verbundenen Kanal
herausgesaugt wird. Durch den wirksamen Staudruck im Beschleunigungsgebiet der Luft
werden die Flüssigkeitspartikel in kleine feine Tropfen umgewandelt und beschleunigt. Um
einen gleichmäßigen Flüssigkeitsfilm auf der zu besprühenden Oberfläche zu erhalten, spielt
die Größe der Tropfen eine wichtige Rolle. Ist die Geschwindigkeit der Zerstäuberluft zu
hoch, werden zu kleine Tropfen gebildet und es kommt vermehrt zum so genannten
„Overspray“ (Teil des Sprühnebels, der nicht auf dem zu besprühenden Objekt landet).
Werden umgekehrt die Flüssigkeitstropfen zu groß (zu niedrige Geschwindigkeit der Luft),
kann es zu einem Verlaufen der Tropfen kommen. Ein weiteres wichtiges Kriterium für das
Sprühbild ist der Abstand der Düse zur Oberfläche. Ist ein zu weiter Abstand eingestellt,
bildet sich ein breiter Sprühstrahl mit geringer Intensität. Ist dagegen der Düsenabstand zu
gering, entsteht ein zu schmaler, dafür aber intensiver Strahl [Gol02]. In Abb. 5.1 sind die in
den Versuchen eingesetzte Zweitstoffrundstrahldüse sowie das für diese Düse typische
Sprühbild dargestellt. Die aus Vorversuchen ermittelten optimalen Einstellparameter sind
ebenfalls in Abb. 5.1 ersichtlich.
Einstellparameter und Kennwerte
der Sprühvorrichtung
Druck: 4 bar
Düsenabstand: 25 mm
Austragsmenge: 4 g/min
Sprühstrahlbreite: 10 mm
Abb. 5.1 Düsensatz SUF 1 von Spraying System (l.), Sprühbild (m.) und Einstellparameter bzw. Kennwerte (r.)
57
Zusätzlich zu dem Sprühsystem ist eine Vorrichtung notwendig, um die Düse so zu
positionieren, dass die entsprechenden Bereiche im Werkzeug mit der Modifikatorlösung
besprüht werden können. Beim Besprühen großer Flächen sind entsprechende
Bewegungsabläufe nötig, damit die gesamte Fläche vom Sprühstrahl erreicht wird. Bei
geometrisch komplexen Formteilen ergeben sich folgende allgemeine Anforderungen an die
Positioniervorrichtung für die Düse:
• Ein- und Ausfahrmöglichkeit in das geöffnete Werkzeug;
• Ausrichtung des Sprühstrahles (bzw. der Düse) in jede beliebige Richtung;
• gleichförmige und steuerbare Bewegungen;
• Einhaltung eines konstanten Abstandes der Düse zur Werkzeugoberfläche (auch bei
gekrümmten Oberflächen);
• geringe Abmaße der Vorrichtung, da der Platz im Werkzeug durch den Öffnungsweg
der Maschine begrenzt wird.
Im Rahmen dieser Arbeit konnte ein Sechsachsroboter vom Institut für Konstruktion und
Verbundbauweisen Chemnitz (kurz KVB) genutzt werden, der die oben stehenden
Anforderungen erfüllt. Abb. 5.2 (links) zeigt die möglichen Bewegungsrichtungen der
Achsen. An dem in der Abbildung mit einem gestrichelten Pfeil markierten Befestigungs-
flansch ist das Sprühsystem angebracht worden. Abb. 5.2 (rechts) zeigt die komplette
Sprühvorrichtung vor dem geöffneten Spritzgießwerkzeug.
Abb. 5.2 Darstellung des eingesetzten Sechsachsroboters zur Positionierung des Sprühsystems
Befestigungs-flansch
58
In Vorversuchen wurden zunächst oberflächenmodifizierte Zugstäbe spritzgegossen. Die
Formteile sind allerdings ungeeignet für die nachfolgenden Untersuchungen, da aufgrund der
schmalen Geometrie in der Mitte des Stabes eine größere Schwindung auftritt als im
Randbereich und sich somit keine ebene, sondern eine leicht konkave Oberflächenform
ergibt. Sowohl bei den Randwinkeluntersuchungen, als auch bei der Druckscherfestigkeits-
messung von Klebeverbunden können exakte Messergebnisse nur an vollkommen ebenen
Formteiloberflächen ermittelt werden. Für die nachfolgenden Untersuchungen ist daher die in
Abb. 5.3 dargestellte quadratische Stapelbox ausgewählt worden. Modifiziert wurde hier die
komplette Innenseite des Formteils. Zum Nachweis, dass der Modifizierungseffekt
unabhängig von der Sprührichtung des Auftragssystems ist, sind Prüfkörper sowohl am
Boden als auch am Rand der Box entnommen worden. Abb. 5.3 (rechts) zeigt die
entsprechenden Entnahmepositionen.
55 mm
140 mm
Entnahmeposition 2
Entnahmeposition 1
Abb. 5.3 Stapelbox mit Kennzeichnung der wichtigsten Abmaße sowie der Entnahmepositionen der Prüfkörper
5.1.3 Versuchsmatrix
Ziel der experimentellen Untersuchungen ist es, den Einfluss unterschiedlicher
Prozessparameter auf die Modifizierungsreaktion zu quantifizieren. Die zu variierenden
Parameter wurden auf der Grundlage der im Kapitel 2 dargestellten Simulationsergebnisse
und auf der Basis von Vorversuchen ausgewählt. Die Tab. 5.1 zeigt die entsprechende
Versuchsmatrix. Um das Versuchsprogramm überschaubar zu halten, wurde je
Formteildicke 2 mm
59
Prozessparameter ein bestimmter Standardwert festgelegt (fettgedruckter Parameter). Das
heißt, wenn ein Einstellungsparameter verändert wird (z. B. TW=70 °C), gelten für die
anderen Prozessparameter die Standardwerte (hier c=0,05 %, TM=300 °C und v=40 mm/s).
Tab. 5.1 Versuchsmatrix
Prozessparameter Einstellwert
Modifikatorkonzentration c in % 0,001; 0,005; 0,01; 0,05; 0,1; 1
Werkzeugtemperatur TW in °C 40, 50, 60, 70, 80
Massetemperatur TM in °C 280, 290, 300, 310, 320
Einspritzgeschwindigkeit v in mm/s 160, 320, 480, 640
Weitere wichtige Einstellparameter, die für alle Versuche konstant gehalten wurden, zeigt
Tab. 5.2.
Tab. 5.2 Maschinenparameter
Parameter Einstellwert
Einspritzdruck [bar] 800
Umschaltdruck [bar] 1000
Nachdruck [bar] 500
Nachdruckzeit [s] 10
Restkühlzeit [s] 20
Als Vergleichsproben sind Proben ohne Modifikator (unmodifizierte Nullprobe)
spitzgegossen und untersucht worden. Die Messergebnisse an diesen Proben dienen als
Referenzwert und zeigen, inwieweit sich durch die Modifizierung die Eigenschaften
gegenüber einer unbehandelten Probe ändern. Zur Analyse der Eigenschaftsänderungen sind
Druckscherfestigkeit-, Randwinkel- und Spektroskopiemessungen durchgeführt worden.
Das in-situ-Oberflächenmodifizierungsverfahren soll außerdem mit einem konventionellen
Vorbehandlungsverfahren verglichen werden. Hierzu wurden unmodifizierte Proben
plasmavorbehandelt und anschließend ebenfalls analysiert.
60
5.2 Untersuchung des Einflusses der Prozessparameter an modifizierten
Polycarbonatoberflächen
5.2.1 Druckscherfestigkeitsmessung
Die Abb. 5.4 zeigt die Ergebnisse der Druckscherfestigkeitsmessung in Abhängigkeit von der
Konzentration des aufgesprühten Modifikators. Die abgebildeten Kurven sind zur besseren
Übersicht ohne die relativ hohen Standardabweichungen (2,8 N/mm2 bis 10,9 N/mm2)
dargestellt. Die beiden Entnahmepositionen verdeutlichen, dass außer bei sehr niedrigen
Konzentrationen die Abweichungen der beiden Kurven relativ gering sind. Ein Unterschied
bei der Modifizierung aufgrund unterschiedlicher Sprührichtungen konnte daher nicht
festgestellt werden. Die bei der Konzentration von 0,001 % PEI auftretende Schwankung der
Werte ist eher auf eine ungleichmäßige Verteilung der sehr geringen Modifikatormengen
zurückzuführen.
Bei einer Konzentration im Bereich zwischen 0,001 % und 0,1 % PEI liegen alle
Festigkeitswerte der modifizierten Proben oberhalb des Wertes der unmodifizierten Probe.
Dieser Bereich kann als Arbeitsbereich angesehen werden, in dem die Modifizierung
gleichmäßig und reproduzierbar erfolgt. Eine Erklärung, warum in diesem Arbeitsbereich die
Werte bei 0,01 % etwas niedriger liegen, konnte nicht gefunden werden. Es sind aber
Schwankungen der Sprühapparatur bei der Verarbeitung nicht auszuschließen. Oberhalb einer
Konzentration von 0,1 % PEI ist ein deutlicher Abfall der Festigkeit zu erkennen. Ursache ist
die vollständige Benetzung der Oberfläche mit Modifikator ab einer bestimmten
Konzentration. Untersuchungen in [Leh04] zeigten bei einer Konzentration von 0,3 %
Modifikator eine vollständig benetzte Oberfläche. Allerdings wurde ein anderes
Auftragssystem verwendet. Wird mehr Modifikator aufgetragen, als auf der Oberfläche
gebunden werden kann, ist es wahrscheinlich, dass zu viele freie Aminogruppen des
Modifikators vorhanden sind und dadurch der Polymerisationsprozess des verwendeten
Cyanacrylatklebstoffes ungünstig beeinflusst wird.
Als Vergleichsprobe sind auch die Werte einer plasmabehandelten Polycarbonatprobe
dargestellt. Die Behandlung bewirkt hier, dass die Festigkeit unter die der unmodifizierten
Probe fällt.
61
0,001 0,01 0,1 10
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung (Entnahmestelle 1) in-situ-Modifizierung (Entnahmestelle 2) unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte VergleichsprobeD
ruck
sche
rfest
igke
it [N
/mm
2 ]
Modifikatorkonzentration [%]
Abb. 5.4 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Modifikatorkonzentration (Massetemperatur: 300 °C;
Werkzeugtemperatur: 80 °C; Material: Makrolon® 2805; Prüfgeschwindigkeit: 10 mm/s)
Die Abb. 5.5 zeigt die gemessenen Druckscherfestigkeiten bei unterschiedlich eingestellten
Werkzeugtemperaturen. Es wird deutlich, dass die Druckscherfestigkeitswerte bei höheren
Temperaturen ansteigen. Bei einer Werkzeugtemperatur unter 60 °C sind die Festigkeitswerte
geringer als bei der unmodifizierten Vergleichsprobe. Hier wird der Einfluss der Temperatur
auf die bei der Modifizierung ablaufenden chemischen Prozesse deutlich. Die Temperaturen
unterhalb 60 °C genügen nicht für eine ausreichende Modifizierung. Der aufgesprühte
Modifikator liegt dann nur teilweise gebunden auf der Oberfläche auf und bewirkt eine
Verschlechterung der Klebefestigkeit. Bei einer ausreichend hohen Temperatur (>70 °C)
werden die Modifikatorgruppen nahezu vollständig auf der Oberfläche gebunden und die
Festigkeit steigt über die der Vergleichsprobe.
Arbeitsbereich
62
40 50 60 70 800
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte Vergleichsprobe
Dru
cksc
herfe
stig
keit
[N/m
m2 ]
Werkzeugtemperatur [°C]
Abb. 5.5 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Werkzeugtemperatur (Massetemperatur: 300 °C;
Modifikatorkonzentration: 0,05 % PEI; Material: Makrolon® 2805; Prüfgeschwindigkeit: 10 mm/s)
Um die für die chemische Reaktion benötigte Temperatur zu gewährleisten, ist, wie Abb. 5.6
zeigt, insbesondere eine hohe Massetemperatur vorteilhaft. Liegt die Temperatur bei 300 °C,
steigt die Festigkeit der Klebeverbindung über die der unmodifizierten Vergleichsprobe. Eine
weitere Erhöhung lässt die Festigkeit allerdings wieder etwas sinken. Zu hohe
Massetemperaturen können zu einem zunehmenden Kettenabbau der Polymerketten während
der Reaktion zwischen Modifikator und Formteil führen und dadurch die Klebefestigkeit
reduzieren.
63
280 290 300 310 3200
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte VergleichsprobeD
ruck
sche
rfest
igke
it [N
/mm
2 ]
Massetemperatur [°C]
Abb. 5.6 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Massetemperatur (Werkzeugtemperatur: 80 °C;
Modifikatorkonzentration: 0,05 % PEI; Material: Makrolon® 2805; Prüfgeschwindigkeit: 10 mm/s)
Den Einfluss der Einspritzgeschwindigkeit auf die Druckscherfestigkeit zeigt Abb. 5.7. In
Anbetracht der Streuung der Messwerte bei der Druckscherfestigkeitsmessung lässt sich eine
Abhängigkeit der Festigkeitswerte von der Geschwindigkeit beim Einspritzen nicht eindeutig
feststellen. Es ist zwar tendenziell eine leichte Erhöhung der Festigkeit bei niedrigen
Geschwindigkeiten zu erkennen, deren Ursache sich allerdings nicht eindeutig klären lässt.
Wie die Simulationsergebnisse im Kapitel 2 zeigen, steigen die Temperaturen im Randbereich
bei höheren Geschwindigkeiten durch die von der Scherung verursachte Wärmedissipation.
Höhere Temperaturen begünstigen die bei der Modifizierung ablaufende chemische Reaktion,
und die Druckscherfestigkeit müsste dementsprechend bei höheren Einspritzgeschwindigkei-
ten zu statt abnehmen.
64
200 300 400 500 6000
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmamodifizierte VergleichsprobeD
ruck
sche
rfest
igke
it [N
/mm
2 ]
Einspritzgeschwindigkeit [mm/s]
Abb. 5.7 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Einspritzgeschwindigkeit (Massetemperatur: 300 °C;
Werkzeugtemperatur: 80 °C; Modifikatorkonzentration: 0,05 % PEI; Material: Makrolon® 2805;
Prüfgeschwindigkeit: 10 mm/s)
Dass der erzielte Modifizierungsprozess im Gegensatz zu einigen anderen Vorbehandlungs-
verfahren dauerhaft ist, wurde bereits in [Kol02] nachgewiesen. Modifizierte Formteile
wurden über 6 Monate lang ausgelagert und anschließend verklebt. Die Ergebnisse der
Druckscherprüfung zeigten im Vergleich mit den sofort nach dem Spritzgießen verklebten
Proben keinen Abfall der Festigkeit. Der Grund für diese Langzeitstabilität liegt darin, dass
bei der in-situ-Oberflächenmodifizierung nicht wie bei konventionellen Verfahren
niedermolekulare Gruppen, sondern lange Modifikatorketten gebunden werden. Bei der
Bindung von niedermolekularen Gruppen kann es zu einer Absättigung der funktionellen
Gruppen bzw. zu einem Hineinwandern der Gruppen unter die Oberfläche kommen, wodurch
sich die Adhäsionseigenschaften verschlechtern. Bei den gebundenen Modifikatorketten tritt
dieser Effekt nicht auf. Diese permanente Modifizierung ist ein entscheidender Vorteil des
in-situ-Verfahrens gegenüber z. B. der Koronabehandlung, da die Oberflächenmodifizierung
zeit- und somit auch ortsunabhängig von den weiteren Verarbeitungsprozessen wie Kleben
oder Lackieren ist.
65
Zum Verkleben der Probekörper ist ein Cyanacrylat-Klebstoff (Loctite 406) eingesetzt
worden. Die Aushärtung (Polymerisation der Cyanacrylatester) wird durch radikalische oder
basische Substanzen ausgelöst. Der zur Oberflächenmodifizierung eingesetzte Modifikator
(Polyethylenimin) besitzt Aminogruppen, deren basischer Charakter die Aushärtungsreaktion
startet. Die Kopplungsreaktion der Modifikatorketten auf der Formteiloberfläche erfolgt aber,
indem diese Aminogruppen unter Bildung einer Hydroxylgruppe in Amide umgewandelt
werden. Amide wirken im Gegensatz zu den Aminogruppen kaum basisch und tragen somit
kaum zum Start der Aushärtung des Klebstoffes bei. Zur Bindung der Modifkatorketten auf
der Formteiloberfläche sind wenige Kopplungsstellen ausreichend. Für eine optimale
Modifizierung ist daher das Verhältnis von Amiden (Kopplung des Modifikators) und
Aminogruppen (Start der Klebstoffaushärtung) von großer Bedeutung. Die nachfolgend
erläuterte nähere Betrachtung der Bruchflächen bei den untersuchten Klebeproben bestätigt
diese Feststellung.
Bei sehr hohen Modifikatorkonzentrationen bzw. bei sehr niedrig gewählten
Werkzeugtemperaturen wurden vergleichsweise niedrige Druckscherfestigkeiten gemessen.
Allerdings traten bei den Proben hauptsächlich Kohäsionsbrüche im Klebstoff auf. Dies
könnte daran liegen, dass durch die hohe Konzentration bzw. zu niedrige Temperatur nur
wenige Aminogruppen in Amide (Kopplungsreaktion) umgewandelt wurden. Die vielen
vorhandenen Amine können an mehren Stellen gleichzeitig die Polymerisation des
Klebstoffes starten. Aufgrund dieser häufigen Startreaktionen werden aber nur kurze Ketten
gebildet, was eine geringe Eigenfestigkeit des Klebstoffes bewirkt.
Bei hohen Masse- und Werkzeugtemperaturen trat häufig ein Verformungsbruch auf. Dabei
kam es weder zu einem plötzlichen Versagen des Polycarbonatmaterials noch zu einem
Kohäsionsbruch in der Klebeschicht, vielmehr wurde die Zerstörung durch Materialfließen
ausgelöst. Die Festigkeit der Klebeverbindung war hier am höchsten. Offensichtlich lag ein
optimales Verhältnis von Amino- und Amidgruppen vor, so dass ausreichend Amide die
Verbindung zwischen Polycarbonat und Modifikator ermöglichten und genügend
Aminogruppen die Polymerisation des Klebstoffes auslösten.
Da Amine und Amide unterschiedlich polar sind, lassen sich durch die statische
Randwinkelmessung die oben getroffen Aussagen weiter quantifizieren.
66
5.2.2 Statische Randwinkelmessung
Die Abb. 5.8 zeigt die Oberflächenenergien sowie deren polare Anteile bei Proben, die mit
verschiedenen Modifikatorkonzentrationen modifiziert wurden. Wie bereits im
vorangegangenen Kapitel bei den Druckscherfestigkeitsuntersuchungen beschrieben, werden
bei einer Konzentration über 0,1 % PEI offensichtlich nur vergleichsweise wenig Amine des
aufgebrachten Modifikators in Amide umgewandelt. Diese Umwandlungsreaktion koppelt
den Modifikator an das Polycarbonat, wobei aufgrund der langen Modifikatorketten wenige
Verbindungsstellen ausreichen, um den Modifikator dauerhaft auf der Oberfläche zu binden.
Bei den hohen Konzentrationen an Modifikator verbleiben viele Amine auf der Oberfläche.
Amine besitzen im Vergleich zu Amiden eine höhere Polarität. Dies wird bei einer
Konzentration ≥ 0,1 % PEI durch den starken Anstieg des polaren Anteils und damit auch der
Oberflächenenergie in Abb. 5.8 deutlich. Unterhalb von 0,1 % PEI schwankt der gemessene
polare Anteil minimal um die Werte der unmodifizierten Vergleichsprobe. Dies bedeutet, dass
hier ein Großteil der durch den Modifikator eingebrachten Amine in Amide umgewandelt
wurde und sich diese Amidgruppen aufgrund ihrer geringen Polarität bei der
Randwinkelmessung kaum bemerkbar machen. Eine Auswertung der minimal höheren bzw.
niedrigeren Werte bei den Konzentrationen unterhalb 0,1 % PEI ist nicht sinnvoll, da die
Ergebnisse des Randwinkelmessverfahrens, wie in Kapitel 2.4.3 bereits erläutert, sehr leicht
durch Messfehler beeinflusst werden und außerdem die in diesem Konzentrationsbereich
festgestellten Veränderungen des polaren Anteils eher gering sind.
67
1E-3 0,01 0,1 10
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte Vergleichsprobe in-situ-Modif. (polarer Anteil) unmodifizert (polarer Anteil) plasmamodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
nerg
ie n
ach
Wu
[mN
/m]
Modifikatorkonzentration [%]
Abb. 5.8 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Modifikatorkonzentration
(Massetemperatur: 300 °C; Werkzeugtemperatur: 80 °C; Material: Makrolon® 2805)
Auch die in Abb. 5.9 dargestellten Ergebnisse bestätigen die bei den Druckscherfestigkeits-
messungen getroffenen Aussagen. Die chemische Reaktion der Ankopplung des Modifikators
wird stark von der Temperatur beeinflusst. Niedrige Temperaturen haben wenig
Kopplungsstellen zur Folge. Dies bedeutet bei gleicher aufgesprühter Modifikatormenge, dass
weniger Amine bei der chemischen Reaktion in Amide umgewandelt werden. Die hohe
Polarität der vorhandenen freien Amine bei niedrigen Werkzeugtemperaturen wird im
gemessenen polaren Anteil der Abb. 5.9 deutlich.
68
40 50 60 70 800
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte Vergleichsprobe in-situ-Modif. (polarer Anteil) unmodifizert (polarer Anteil) plasmamodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
nerg
ie n
ach
Wu
[mN
/m]
Werkzeugtemperatur [°C] Abb. 5.9 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Werkzeugtemperatur
(Massetemperatur: 300 °C; Modifikatorkonzentration: 0,05 % PEI; Material: Makrolon® 2805)
Niedrig eingestellte Massetemperaturen (Abb. 5.10) zeigen den gleichen Effekt wie niedrige
Werkzeugtemperaturen. Auch hier nimmt der polare Anteil bei Temperaturen unter 300°C
deutlich zu.
280 290 300 310 3200
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
in situ Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe plasmabehandelte Vergleichsprobe in situ Modif. (polarer Anteil) unmodifizert (polarer Anteil) plasmamodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
nerg
ie n
ach
Wu
[mN
/m]
Massetemperatur [°C] Abb. 5.10 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Massetemperatur
(Werkzeugtemperatur: 80 °C; Modifikatorkonzentration: 0,05 % PEI; Material: Makrolon® 2805)
69
Sowohl bei hohen Konzentrationen als auch bei niedrigen Verarbeitungstemperaturen sind
viele freie Amine auf der Oberfläche vorhanden, und der polare Anteil ist dementsprechend
hoch. Damit ein Klebstoff die zu verklebende Oberfläche besser benetzt, ist normalerweise
ein hoher polarer Anteil und somit eine hohe Oberflächenenergie der zu benetzenden
Oberfläche erwünscht. Bei den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen, bei
denen die Verklebung mit einem Cyanacrylatklebstoff erfolgte, ist ein zu hoher polarer Anteil
für die Festigkeit der Klebeverbindung aber eher nachteilig, da die Startreaktion zur
Polymerisation des Klebstoffes an zu vielen Stellen gleichzeitig erfolgt und sich nur kurze
Ketten im Klebstoff bilden können. Unter optimalen Bedingungen (Konzentration und
Temperatur) ist der Anteil der eingebrachten Amine gering, was dadurch sichtbar wird, dass
es keine signifikante Änderung beim polaren Anteil der Oberflächenenergie gibt. Allerdings
reichen diese wenigen vorhandenen freien Amine aus, um die Verbundfestigkeit von
modifizierten Proben teilweise deutlich gegenüber unmodifizierten zu erhöhen.
5.2.3 Röntgenphotoelektronenspektroskopie XPS
Mittels Röntgenphotoelektronenspektroskopie ist die Zusammensetzung in den ersten fünf
Nanometern von in-situ spritzgegossenen Formteiloberflächen charakterisiert worden.
Untersucht wurden Formteile, die mit unterschiedlichen Modifikatorkonzentrationen
modifiziert wurden. Die Messungen erfolgten am Forschungsinstitut für Leder und
Kunststoffbahnen (FILK) in Freiberg. Die methodisch bedingte Peakverschiebung
(Verschiebung nach links) bei der Messung wurde nicht zu korrigieren versucht. Wegen der
geringen Empfindlichkeit der Methode gegenüber Stickstoff im Vergleich zum Kohlenstoff
und Sauerstoff wurde jeweils für Stickstoff ein Detailscan durchgeführt. Bei den
modifizierten Proben wurden zudem Detailspektren des C(1s)-Peaks aufgenommen und mit
der unmodifizierten Nullprobe verglichen.
In Abb. 5.11 ist das Übersichtsspektrum der Nullprobe dargestellt. Die Peaks beim
Kohlenstoff sowie bei Sauerstoff sind charakteristisch für Polycarbonat.
70
Abb. 5.11 Übersichtssprektren einer unmodifizierten Polycarbonatoberfläche
Der bei der Modifizierung an der Oberfläche angekoppelte PEI-Modifikator lässt sich durch
den im PEI enthaltenen Stickstoff detektieren. Abb. 5.12 zeigt das Übersichtsspektrum einer
mit 0,1% PEI modifizierten Oberfläche. Neben dem deutlich ausgeprägten N(1s) Peak ist im
Vergleich zur unmodifizierten Probe eine Abnahme sowohl des Sauerstoffes als auch des
Kohlenstoffes zu erkennen. Ein Detailscan des C(1s) Peaks zeigte zudem eine
unsystematische Verbreiterung des Kohlenstoffpeaks.
Abb. 5.12 Übersichtssprektren einer mit 0,1% PEI modifizierten Polycarbonatoberfläche
Detailscan (N)
Detailscan (N)
71
Mit Hilfe der XPS-Messungen lässt sich der Modifikator auf der Formteiloberfläche
nachweisen, allerdings erst bei höheren Konzentrationen. Tab. 5.3 zeigt die Zusammenset-
zung der Oberfläche bei unterschiedlichen Modifikatorkonzentrationen. Eine Erklärung für
die Herkunft des Na-Peaks bei 1 % PEI ließ sich nicht finden.
Tab. 5.3 Zusammensetzung der Oberflächen (in Atomprozent)
Probe C(1s) N(1s) O(1s) Na (KLL)
Nullprobe
(unmodifiziert)
84,3 - 15,7 -
0,001 % PEI 84,3 - 15,7 -
0,010 % PEI 83,1 - 16,9 -
0,100 % PEI 72,9 15,6 11,5 -
1,000 % PEI 77,3 12,6 8,4 1,7
5.2.4 Betrachtung der Schmelzebewegung im Zusammenhang mit dem applizierten
Modifikator
In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob bei der in-situ-Oberflächemodifizierung der im
Werkzeug applizierte Modifikator sich durch die einströmende Schmelzefront beim
Spritzgießen örtlich verschiebt bzw. ob die Modifikatorsubstanz die Fließeigenschaft der
Schmelze beeinflusst.
Abb. 5.13 zeigt schematisch die Schmelzebewegung in der Kavität. Die Schmelze ist eine
hochviskose Flüssigkeit und bildet das durch Pfeile dargestellte Geschwindigkeitsprofil aus.
An der Werkzeugwand sowie in der Grenzschicht zwischen der eingefrorenen Randschicht
und der Schmelze geht die Geschwindigkeit gegen null. Schmelzeteilchen in der Mitte der
Kavität haben eine höhere Fließgeschwindigkeit als Teilchen in Randnähe. An der Fließfront
werden diese Teilchen daher aus der Kavitätsmitte in Richtung Werkzeugwand umgelenkt.
Gelangt ein Schmelzeteilchen in die Nähe der Werkzeugwand, verringert sich dessen
Geschwindigkeit und geht beim Auftreffen auf die Wand gegen null. Dem Strömungsvorgang
ist aufgrund der deutlich niedrigeren Werkzeugtemperatur im Vergleich zur Schmelzetempe-
ratur ein Abkühlprozess überlagert, und die Schmelze erstarrt augenblicklich beim Kontakt
mit der Werkzeugoberfläche. Es bildet sich eine eingefrorene Randschicht aus. Aufgrund der
72
schlechten Wärmeleitung von Kunststoffen wirkt diese Schicht isolierend, und zwischen den
eingefrorenen Schichten fließt weiter Schmelze in Richtung Fließfront (Spitze des
Schmelzestromes). Die Bewegung einzelner Schmelzeteilchen wurde ausführlich z. B. von
[Ngu01] untersucht.
Abb. 5.13 Schematische Darstellung der Schmelzebewegung zwischen zwei unendlich ausgedehnten gekühlten
Platten [Ngu01]
Diese rheologische Betrachtung verdeutlicht, dass ein Transport des Modifikators durch die
Schmelzebewegung nicht zu erwarten ist, da beim Kontakt der Schmelze mit der
Werkzeugwand/Modifikator die Geschwindigkeit der Schmelze null wird und die Schmelze
schlagartig erstarrt.
Um diese Erkenntnis experimentell zu bestätigen, wurde eine Abdeckung gefertigt, die beim
Besprühen der Werkzeugoberfläche Teilbereiche der Kavität eines Biegestabes verdeckt
(siehe Abb. 5.14 links). Beim Aufsprühen des Modifikators bildet sich somit ein
Streifenmuster auf der Oberfläche des Werkzeuges aus. Nachdem das Formteil spritzgegossen
wurde, erfolgt der Nachweis, an welchen Stellen sich Modifkikator auf dem Formteil
befindet, durch den Indikator Eosin. Beim Kontakt der Oberfläche mit Eosin werden durch
Rotfärbung die reaktiven Modifikatorgruppen angezeigt (Abb. 5.14 Mitte). Messungen
ergaben im Rahmen des Fehlers des Messmittels, dass die Breite der rot gefärbten, also
modifizierten Flächen, exakt den Abmessungen der freien Flächen der Abdeckung beim
Besprühen entspricht. Die theoretische Annahme, dass kein Transport des Modifikators beim
Einspritzen stattfindet, konnte bestätigt werden.
73
Abb. 5.14 Abdeckung (links), Streifenmuster auf dem Formteil (Mitte), Abdeckung über Streifenmuster gelegt (rechts)
Um zusätzlich auszuschließen, dass durch den Modifikator das Fließen der Schmelze
beeinflusst wird, sind Untersuchungen der Fließweglänge durchgeführt worden.
Konventionell wird zur Bestimmung der Fließweglänge ein Spiralwerkzeug eingesetzt. Dabei
wird in einer schmalen spiralförmig verlaufenden Kavität ermittelt, wie weit die Schmelze in
Abhängigkeit von den eingestellten Prozessparametern und von den Materialeigenschaften
fließt. Die Ermittlung eines Einflusses des aufgesprühten Modifikators auf den Fließweg der
Schmelze ist aber mit diesem Werkzeug nur bedingt möglich, da nicht sichergestellt werden
kann, ob die gemessenen minimalen Weglängenänderung durch den Modifikator oder durch
Druckschwankungen der Spritzgießmaschine induziert wurden. Um den Maschineneinfluss
ausschließen zu können, sind die Untersuchungen daher an einem Biegestabwerkzeug
durchgeführt worden.
Bei dem in Abb. 5.15 dargestellten Biegestabformteil wurde im Werkzeug nur die rechte
Seite mit Modifikator besprüht und die linke abgedeckt. Dies ermöglicht einen direkten
Vergleich zwischen den Fließwegen der Schmelze auf einer modifizierten und einer
unmodifizierten Werkzeugoberfläche. Die Formteilkavitäten wurden beim Spritzgießen nur
teilweise gefüllt (siehe Abb. 5.15). Die Einstellungen der Spritzgießmaschine sind dabei so
gewählt worden, dass sich drei verschiedene Stufen der Füllung unterscheiden lassen. Die
Fließwege auf der unmodifizierten (linken) und auf der modifizierten (rechten) Seite lassen
sich messen und miteinander vergleichen. Untersucht wurden Modifikatorkonzentrationen
von 0,1 % bis 1 %.
freie Stellen in der Abdeckung
74
Abb. 5.15 Schematische Darstellung des Biegestabes (ganz links) und Teilfüllungen mit verschiedenen Füllgraden
Die Unterschiede der gemessenen Fließweglängen auf beiden Seiten waren sehr gering und
lagen im Bereich von 0,1 bis 0,5 mm. Messungen an Nullproben, bei denen beide Seiten
unmodifiziert waren, wiesen ebenfalls Schwankungen in diesem Bereich zwischen der rechten
und der linken Seite auf. Ein Einfluss des Modifikators auf die Fließweglänge konnte daher
nicht festgestellt werden.
5.3 Diskussion der Ergebnisse
Das in-situ-Modifizierungsverfahren kann eingesetzt werden, um Formteile herzustellen,
deren Oberflächen ohne weitere Vorbehandlung verklebt, bedruckt oder lackiert werden
können. In dieser Arbeit ist daher zunächst zum Nachweis, dass die Haftung bei
Klebeverbunden durch die Modifizierung verbessert wird, die Druckscherfestigkeitsmessung
eingesetzt worden. Mit diesem für die praktische Anwendung bedeutendsten Messverfahren
konnte zudem gezeigt werden, dass für das Modifizierungsergebnis die eingestellten
Prozessparameter eine wichtige Rolle spielen. Da hohe Temperaturen den Reaktionsablauf bei
der Modifizierung begünstigen, sind erwartungsgemäß die höchsten Festigkeitswerte bei
hohen Masse- bzw. Werkzeugtemperaturen ermittelt worden. Es ließ sich außerdem für die
praktische Anwendung des in-situ-Verfahrens ein relativ breiter Bereich für die
Modifikatorkonzentration eingrenzen, in dem eine deutliche Erhöhung der Festigkeit ermittelt
unmodifiziert modifiziert
Anguss
80 mm
Teilfüllung 1 Teilfüllung 2 Teilfüllung 3
Werkzeug: Campuswerkzeug (Biegestabeinsatz) Material: Makrolon 2805 Modifikatorkonzentrationen: 0,1 %; 0,5 % und 1 % Massetemperatur: 300 °C Werkzeugtemperatur: 80 °C
75
werden konnte. Die Untersuchungen zeigten allerdings auch, dass die Modifikatorkonzentra-
tion nicht zu niedrig (kleiner als 0,005 %) gewählt werden sollte, da es sonst zu
Konzentrationsschwankungen beim Aufsprühen des Modifikators kommt und die Oberfläche
nicht gleichmäßig modifiziert wird. Bei einer zu hohen Konzentration hingegen (größer
0,1 %) sinken die Festigkeitswerte sogar unter die gemessenen Werte der unmodifizierten
Vergleichsprobe.
Mit Hilfe eines weiteren Messverfahrens, der statischen Randwinkelmessung, ließ sich der
Einfluss der Prozessparameter auf die Adhäsionseigenschaften weiter quantifizieren. Die
Messungen ergaben, dass im Gegensatz zu den Druckscherfestigkeitsmessungen für eine
Erhöhung der Oberflächenspannung und deren polarer Anteil niedrige Masse- bzw.
Werkzeugtemperaturen vorteilhaft sind. Ebenso konnte bei hohen Modifikatorkonzentratio-
nen eine deutliche Zunahme der Oberflächenenergie und des Polaranteils festgestellt werden.
Zu erwarten gewesen wäre, das durch die in-situ-Modifizierung bei optimalen
Prozessbedingungen sich sowohl die Haftfestigkeit, als auch die Benetzungsfähigkeit der
Oberfläche erhöht. Diese zunächst widersprüchlich erscheinenden Ergebnisse werden
verständlich, wenn zusätzlich die bei der Modifizierung ablaufende chemische Reaktion
betrachtet wird. An einer Modifikatorkette befinden sich vor der Modifizierungsreaktion viele
polare Aminogruppen. Bei der Ankopplungsreaktion, deren Reaktionsumsatz durch hohe
Temperaturen begünstigt wird, werden diese polaren Aminogruppen umgewandelt in Amide,
deren Polarität geringer ist. Niedrige Temperaturen bei der in-situ-Modifizierung bewirken,
dass zwar durch einige wenige Kopplungstellen (Umwandlung der Amine in Amide) die
Ketten mit dem Polycarbonat verbunden sind, aber viele freie polare Aminogruppen nicht
umgewandelt wurden. Der polare Anteil ist dann dementsprechend hoch. Die Frage, warum
trotz des hohen Polaranteils die Haftfestigkeit bei der Druckscherfestigkeitsuntersuchung bei
niedrigen Temperaturen so gering ist, lässt sich durch eine Betrachtung des Aushärtungsvor-
ganges des verwendeten Klebstoffes erklären. Die vielen vorhandenen polaren Amine bei
Formteilen, die mit niedrigen Masse- bzw. Werkzeugtemperaturen modifiziert wurden, starten
an vielen Stellen die Aushärtungsreaktion des Klebstoffes. Finden zu viele Startreaktionen
statt, hat das zur Folge, dass nur kurze Ketten im Klebstoff gebildet (polymerisiert) werden
können. Diese kurzen Ketten bewirken eine geringe Eigenfestigkeit des Klebstoffes, und es
kommt bei der Druckscherfestigkeitsmessung bereits bei niedrigen Werten zu einem
Kohäsionsbruch im Klebstoff. Liegt hingegen ein optimales Verhältnis von Amino- und
76
Amidgruppen vor, was bei hohen Masse- bzw. Werkzeugtemperaturen der Fall ist, erhöht sich
die Festigkeit im Vergleich zur unmodifizierten Probe deutlich.
Durch weitere Untersuchungen mittels der Röntgenphotoelektronenspektroskopie konnten die
in-situ modifizierten Formteiloberflächen hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung
charakterisiert und die Modifikatorketten nachgewiesen werden. Da in dieser Arbeit durch
praxisnahe Messmethoden gezeigt werden konnte, dass das in-situ-Modifizierungsverfahren
geeignet ist, um die Verbundfestigkeit von Verklebungen zu erhöhen, sind abschließend
Untersuchungen durchgeführt worden, die für die praktische Anwendung relevant sind. So
konnte nachgewiesen werden, dass durch die Schmelzebewegung beim Einspritzen der
Modifikator nicht verschoben wird, sondern die Modifizierung dort stattfindet, wo die
Modifikatorsubstanz appliziert wurde. Auch eine Beeinflussung der Fließbewegung der
Schmelze beim Einspritzvorgang konnte nicht festgestellt werden. Der Spritzgießprozess wird
somit, abgesehen von einer eventuell längeren Öffnungsphase des Werkzeuges zur
Modifikatorapplizierung, durch die in-situ-Modifizierung nicht beeinflusst.
77
6 Übertragbarkeit des Verfahrens auf andere Materialien am
Beispiel von Polypropylen
6.1 Mechanismus der in-situ-Oberflächenmodifizierung bei Polyolefinen
Nachdem die grundsätzliche Eignung der in-situ-Oberflächenmodifizierung bei Polycarbonat
nachgewiesen wurde, soll in den folgenden Kapiteln die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf
andere Thermoplaste beispielhaft überprüft werden.
Die Einsatzgebiete der konventionellen Oberflächenvorbehandlungsverfahren sind vor allem
wirtschaftlich interessante Materialien wie die Polyolefine [Gru92, Oec97, Ulm96, Wah93].
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Polymerforschung in Dresen (IPF) sind daher
aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen Untersuchungen durchgeführt worden, um eine
Anwendung des in-situ-Verfahrens auch zur Modifizierung eines Polypropylens zu
ermöglichen.
Das Grundprinzip, dass die hohe Temperatur der Schmelze ausgenutzt wird, um eine
chemische Reaktion zur Ankopplung eines Modifikators an der Polymeroberfläche zu starten,
wird auch zur Modifizierung von Polyolefinen genutzt. Der Ablauf der Modifizierungsreakti-
on und der Ankopplungsmechanismus unterscheiden sich allerdings deutlich von denen bei
der Polycarbonatmodifizierung.
Während die Modifizierung beim Polycarbonat in einem Reaktionsschritt erfolgt (siehe
Abb. 2.3 auf Seite 15), sind bei der Modifizierung von Polyolefinen mehrere
Reaktionsschritte zur Kopplung der Modifikatorketten auf der Polymeroberfläche nötig. Die
schematische Darstellung der einzelnen Schritte zur Polyolefinmodifizierung zeigt Abb. 6.1.
Zunächst werden bei einer ausreichend hohen Temperatur durch eine Zerfallsreaktion
Radikale gebildet (Abb. 6.1 Schritt 1). Diese Radikale werden im zweiten Schritt sowohl auf
die Polyolefinketten als auch auf die Modifikatorketten übertragen, indem ein
Wasserstoffatom abstrahiert wird (Abb. 6.1 Schritt 2). Auf der Polyolefinoberfläche und an
dem Modifikator sind nun jeweils Kohlenstoffradikale vorhanden, die in einem dritten Schritt
(im Idealfall) rekombinieren, wodurch sich eine radikalische Kopplung des Modifikators mit
der Polyolefinoberfläche ergibt (Abb. 6.1 Schritt 3). Es können allerdings auch
Nebenreaktionen eintreten, wie z. B. eine Kombination der Modifikatorradikale (bzw.
78
Polyolefinradikale) untereinander. Auch eine Absättigung der Radikale durch Sauerstoff ist
eine weitere mögliche Reaktion mit der Folge, dass die Radikale inaktiv werden. Ebenso kann
es zum Abbau oder zu einer Vernetzung der Polymere kommen.
Wie bei der Modifizierung von Polycarbonat sind auch hier wenige Kopplungsstellen
ausreichend, um die langen Modifikatorketten am Polyolefin zu binden. Der Modifikator
enthält viele funktionelle Gruppen, die zum einen die Adhäsions- bzw. die Benetzungseigen-
schaften des Polymers verbessern, zum anderen die Möglichkeit bieten, über diese Gruppen
weitere Modifikatorketten anzubinden.
Abb. 6.1 Reaktionsschritte bei der Oberflächenmodifizierung [Sch04.1]
Wegen der radikalischen Kopplungsreaktion wird bei der Modifizierung von Polyolefinen
zusätzlich zum Modifikator ein Initiator zur Bildung der Radikale benötigt. Sind diese beiden
Substanzen in Lösung nicht mischbar, kann dies für die verfahrenstechnische Umsetzung
bedeuten, dass zwei Sprühsysteme zur Applizierung benötigt werden. Die Auswahl geeigneter
Initiator-Modifkator-Kombinationen erfolgte durch Vorversuche (DSC-Messungen) am
Institut für Polymerforschung (IPF) in Dresden und an der Technischen Universität Chemnitz.
79
6.2 DSC-Untersuchungen geeigneter Modifikatoren und Initiatoren
In den Untersuchungen von [Sch04.1] sind verschiedene Modifikatoren und Initiatoren auf
die Einsetzbarkeit bei der Oberflächenmodifizierung von Polyolefinen analysiert worden. In
den nachfolgend dargestellten DSC-Messungen sind die als geeignet ermittelten Initiator- und
Modifikatorsubstanzen auf die Anwendbarkeit zur Modifizierung des im Rahmen der
vorliegenden Arbeit ausgewählten Polypropylentyps (PP Stamylan) näher untersucht worden.
Einige wichtige Materialkennwerte für das Polypropylen sind im Anhang A zusammenge-
stellt.
In der in Abb. 6.2 dargestellten Aufheizkurve ist sehr gut der Kristallitschmelzpunkt (Peak bei
169 °C) des teilkristallinen Polypropylens ersichtlich. Die integrale Fläche unter dem Peak
stellt die Schmelzwärme zum Auflösen der kristallinen Struktur dar.
0 50 100 150 200 250 300
-0,2
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
1,4
1,6 (169°C) PP
DSC
[W/g
]
Temperatur [°C]
Abb. 6.2 Aufheizkurven (10 K/min) von Polypropylen (PP Stamylan)
Als mögliche Initiatoren, die bei einer bestimmten Temperatur Radikale bilden, ist sowohl ein
Benzoylperoxid (kurz BPO) als auch ein Kaliumperoxid (KPS) geeignet. Die Abb. 6.3 zeigt
die Aufheizkurven für die beiden Initiatoren. Bei BPO ist nach einem kurzen endothermen
Anstieg (bei 108 °C) eine schnell ablaufende, stark exotherme Reaktion (bei 110 °C)
80
ersichtlich, wobei das BPO zerfällt und Radikale bildet. Das KPS hingegen benötigt zum
Zerfall deutlich höhere Temperaturen (Maximum bei 289 °C). Zudem läuft die Reaktion nicht
so schnell wie beim BPO ab, da der exotherme Peak breiter ist. Es findet bei beiden
Initiatoren ein Masseverlust von nahezu 100 % statt.
50 100 150 200 250 300
-3
-2
-1
0
1
2
BPO (108°C)
KPS (289°C)
BPO (110°C)
BPO KPS
DS
C [W
/g]
Temperatur [°C]
Abb. 6.3 Aufheizkurven (10 K/min) verschiedener Initiatoren
Ob die vom Initiator gebildeten Radikale auch auf die Polypropylenketten übertragen werden
können, lässt sich ermitteln, indem Gemische aus PP und KPS (bzw. PP und BPO) untersucht
werden. Die erste Aufheizkurve einer PP/KPS-Probe zeigt Abb. 6.4. Es ist der für
Polypropylen typische Kristallitschmelzpunkt bei 168 °C zu erkennen. Der Peak des Zerfalls
von KPS liegt allerdings hier schon bei 220 °C.
Die Wirkung der gebildeten Radikale von KPS auf das PP wird nach einer Abkühlung der
Probe und einem nochmaligen Aufheizen deutlich. Die ebenfalls in Abb. 6.4 dargestellte
zweite Aufheizkurve zeigt eine Verschiebung des Kristallitschmelzpunktes zu niedrigeren
Temperaturen (von 168 °C zu 156 °C). Ebenso ist eine Aufweitung des Peaks ersichtlich.
Dies deutet darauf hin, dass beim zweiten Heizen Polypropylenketten mit geringerer
Molmasse bzw. mit Verzweigungen vorhanden sind. Es ist anzunehmen, dass dieser
Molmassenabbau durch die Zerfallsreaktion des KPS zustande gekommen ist.
81
0 50 100 150 200 250 300-5
-4
-3
-2
-1
0
1
2
(200°C)(156°C)(168°C)
(220°C)
PP+KPS (1. Heizen) PP+KPS (2. Heizen)
DS
C [W
/g]
Temperatur [°C] Abb. 6.4 Aufheizkurven (10 K/min) von PP+KPS (Gemisch im Verhältnis von 80/20 Masseprozent)
Die Aufheizkurven für ein PP/BPO-Gemisch zeigt Abb. 6.5. Der exotherme Zerfallspeak des
BPO’s liegt bei 113 °C. Beim zweiten Aufheizen ist sowohl die Lage des Kristallitschmelz-
punktes als auch die Peakbreite vom PP mit dem beim ersten Aufheizen identisch, was darauf
schließen lässt, dass keine Reaktion der vom BPO gebildeten Radikale mit dem Polypropylen
stattgefunden hat. Das PP ist beim Zerfall des BPO noch nicht aufgeschmolzen, weshalb die
zur Radikalübertragung nötige Molekularbeweglichkeit der PP-Ketten offensichtlich nicht
ausreichend ist. Beim Spritzgießen liegen allerdings andere Verhältnisse vor als bei einer
DSC-Messung. So trifft bei der in-situ-Oberflächenmodifizierung eine einströmende
Schmelzefront auf den applizierten Initiator. Beim Zusammentreffen der Schmelze mit dem
BPO wird dann der Zerfall gestartet. Die Molekularbeweglichkeit der PP-Schmelze ist dann
deutlich besser als in den DSC-Messungen, und die Radikalübertragung kann stattfinden.
Dies wurde in entsprechenden Vorversuchen am IPF in Dresden durch Messungen an einem
Microcompounder bestätigt. BPO ist also, auch wenn dies aus den hier vorgestellten DSC-
Messungen nicht deutlich wird, gut zur Radikalübertragung an Polyolefinen geeignet.
82
0 50 100 150 200 250 300-2,5
-2,0
-1,5
-1,0
-0,5
0,0
0,5
1,0 (156°C)(158°C)
(113°C)
PP+BPO (1. Heizen) PP+BPO (2. Heizen)
DS
C [W
/g]
Temperatur [°C]
Abb. 6.5 Aufheizkurven (10 K/min) von PP+BPO (Gemisch im Verhältnis von 90/10 Masseprozent)
Das BPO ist als Initiator besser geeignet als das KPS, da es bei deutlich niedrigeren
Temperaturen zerfällt. Vorversuche zeigten, dass die in der Grenzschicht beim Spritzgießen
sich einstellenden thermischen Verhältnisse nicht ausreichen, um den Zerfall des KPS zu
starten. Für die experimentellen Versuche ist daher nur BPO als Initiator eingesetzt worden.
Als Modifikator ist ein Poly(2-ethyl-2-oxazolin) kurz PEOx ausgewählt worden. Die
Aufheizkurven im DSC zeigt Abb. 6.6. Beim ersten Heizen ist ein kleiner Peak bei 37 °C
vorhanden, der auf Verarbeitungseinflüsse zurückgeführt werden kann. Bei einer Temperatur
um die 100 °C ist ein breiter Peak ersichtlich, was auf das Vorhandensein von Wasser
hindeutet. Bei der zweiten Aufheizkurve hat sich der Peak von 37 °C auf 61 °C verschoben.
Dieses Verhalten ist typisch für PEOx. Eine Untersuchung von Modifikator-Initiator-
Gemischen, um festzustellen, ob die vom Initiator gebildeten Radikale auch auf die
Modifikatorketten übertragen werden können, ist allerdings nicht möglich, da kein
Kristallisationspeak wie beim PP vorhanden ist. Veränderungen an den Ketten des
Modifikators durch die Radikale sind daher bei PEOx im DSC nicht ersichtlich. In
Vorversuchen beim Spritzgießen konnte aber gezeigt werden, dass die Initiator-Modifikator-
Kombination aus BPO und PEOx eine Modifizierung der Polypropylenoberfläche bewirkt.
83
0 50 100 150 200 250 300-0,2
-0,1
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
(61°C)
(37°C)
(Wasser) PEOx (1. Heizen) PEOx (2. Heizen)
DS
C [W
/g]
Temperatur [°C]
Abb. 6.6 Aufheizkurven (10 K/min) von PEOx
6.3 Untersuchung des Einflusses der Prozessparameter an modifizierten
Polypropylenoberflächen
6.3.1 Versuchsprogramm
In Voruntersuchungen ist für den bei der Modifizierung von Polypropylen eingesetzten
Modifikator PEOx eine optimale Konzentration von 0,1 % (Masseprozent) ermittelt worden.
Als Lösungsmittel wird Wasser verwendet. Vom Initiator BPO sind 2 % (Masseprozent) für
eine erfolgreiche Modifikation notwendig. Gelöst wird das Peroxid in Ethyl-Methylketon. Da
sich die beiden Lösungsmittel nicht miteinander mischen lassen, sind zwei Sprühsysteme
notwendig, um den Modifikator und den Initiator getrennt zu versprühen. Mittels eines
pneumatisch betriebenen Hubzylinders fahren die zwei in Abb. 6.7 (links) dargestellten
Sprühsysteme in das geöffnete Werkzeug ein und sprühen während der Einfahrbewegung die
Flüssigkeiten auf die Werkzeugoberfläche. Die Herstellung oberflächenmodifizierter
Formteile erfolgte mit einem Testplattenwerkzeug. Abb. 6.7 (rechts) zeigt ein mit diesem
Werkzeug spritzgegossenes Formteil und dessen wichtigste Abmaße.
84
Abb. 6.7 Sprühvorrichtung (l.) und Testplatte (r.)
Um den Einfluss der Prozessparameter auf das Modifizierungsergebnis zu untersuchen, sind
die in Tab. 6.1 dargestellten Parameter variiert worden. Die fettgedruckten Werte markieren
die Standardwerte. Die modifizierten Formteiloberflächen wurden mit den bereits beim
Polycarbonat angewendeten Methoden, der Druckscherprüfung und der Randwinkelmessung,
analysiert.
Tab. 6.1 Versuchsmatrix
Prozessparameter Einstellwert
Werkzeugtemperatur TW in °C 20, 40, 60, 80,
Massetemperatur TM in °C 220, 240, 260, 280,
Einspritzgeschwindigkeit v in mm/s 40, 160, 280, 400
6.3.2 Druckscherfestigkeitsmessung
In den nachfolgenden Diagrammen sind neben den Festigkeiten der modifizierten Proben
auch die Verbundfestigkeiten von unmodifizierten sowie von mit Primer vorbehandelten
Verklebungen dargestellt. In Abb. 6.8 sind die gemessenen Druckscherfestigkeiten bei
unterschiedlich gewählten Massetemperaturen ersichtlich. Die Festigkeiten der in-situ-
Modifizierungen liegen alle deutlich höher als die der unmodifizierten Probe. Die Werte der
primervorbehandelten Klebungen sind allerdings nahezu doppelt so hoch. Ein Einfluss der
150 mm
100 mm
Sprühdüsen
Modifizierte Oberfläche
85
Massetemperatur auf die Verbundfestigkeit der modifizierten Proben lässt sich nicht
feststellen.
220 240 260 2800
2
4
6
8
10
12
14 in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe primerbehandelte Vergleichsprobe
Obe
rfläc
hene
rgie
nac
h W
u [m
N/m
]
Massetemperatur [°C]
Abb. 6.8 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Massetemperatur (Material: PP Stamylan;
Werkzeugtemperatur: 20°C; Einspritzgeschwindigkeit 280 mm/s;
Modifikatorkonzentration: 2 % BPO, 0,1 % PEOx)
Wie aus Abb. 6.9 ersichtlich ist, wirken sich unterschiedliche Werkzeugtemperaturen auf das
Modifizierungsergebnis und damit auf die Verbundfestigkeit aus. Die höchsten
Festigkeitswerte ergeben sich bei einer Temperatur des Werkzeuges von 40 °C. Wird die
Temperatur zu hoch eingestellt (TW=80 °C), fallen, im Gegensatz zu den Erwartungen
aufgrund der Beobachtungen am Polycarbonat, die Druckscherfestigkeitswerte auf das Niveau
der unmodifizierten Proben ab.
Die gewählte Werkzeugtemperatur ist entscheidend für die Konsistenz des aufgesprühten
Modifikator/Initiator-Gemisches. Zu hohe Werkzeugtemperaturen beschleunigen den
Verdunstungsprozess der Lösungsmittel derart, dass beim Spritzgießen der Modifikator als
Feststoff vorliegt und eine Oberflächenmodifizierung nicht stattfinden kann. Offensichtlich ist
für eine erfolgreiche Ankopplung des Modifikators wichtig, dass dieser beim Einspritzen der
Schmelze in flüssiger Form auf der Werkzeugoberfläche vorliegt. Bei Werkzeugtemperaturen
im Bereich von 20 °C bis 60 °C sind diese Voraussetzungen gegeben.
86
20 40 60 800
2
4
6
8
10
12
14 in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe primerbehandelte Vergleichsprobe
Obe
rfläc
hene
rgie
nac
h W
u [m
N/m
]
Werkzeugtemperatur [°C] Abb. 6.9 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Werkzeugtemperatur (Material: PP Stamylan;
Massetemperatur: 240°C; Einspritzgeschwindigkeit 280 mm/s;
Modifikatorkonzentration: 2 % BPO, 0,1 % PEOx)
Abb. 6.10 zeigt die Ergebnisse der Druckscherfestigkeitsmessung für Formteile, die bei
unterschiedlichen Einspritzgeschwindigkeiten hergestellt worden sind. Es ist ersichtlich, dass
niedrigere Geschwindigkeiten beim Einspritzen höhere Festigkeiten der Verklebung ergeben.
Bei 40 mm/s liegen die Festigkeitswerte der modifizierten Probe sogar über dem Wert der
primervorbehandelten Vergleichsprobe. Die Ursache dafür lässt sich wie folgt erklären. Der
Modifikator liegt aufgrund der gewählten Masse- und Werkzeugtemperaturen als
Flüssigkeitsfilm beim Einspritzen der Schmelze auf der Werkzeugoberfläche auf. Die
chemische Reaktion bei der Modifizierung von Polypropylen findet dann, im Gegensatz zur
Polycarbonatmodifizierung, bereits an der Schmelzefront statt und nicht erst beim Auftreffen
der Schmelze auf die Werkzeugwand. Bei einer niedrigen Geschwindigkeit der Schmelzefront
steht somit mehr Zeit für die Modifizierungsreaktion zur Verfügung, da die Umlenkung der
Schmelze von der Schmelzefront in Richtung Werkzeugwand länger dauert. An der
Werkzeugwand erstarrt die Schmelze schlagartig, und die Reaktion endet. Es ist ersichtlich,
dass sich der Modifizierungsmechanismus bei der Polypropylenmodifizierung sowohl im
Ablauf als auch in den zur Modifizierung notwendigen verfahrenstechnischen
Voraussetzungen (Modifikatorkonsistens) deutlich von dem der Polycarbonatmodifizierung
unterscheidet. Gründe, warum die Modifizierung von Polypropylen nur bei einem flüssigen
Modifikatorfilm stattfindet, und wie sich dies bei der Applizierung des Modifikators in der
Praxis auswirken kann, werden im Kapitel 6.4 ausführlich betrachtet.
87
40 160 280 4000
2
4
6
8
10
12
14 in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe primerbehandelte Vergleichsprobe
Dru
cksc
herfe
stig
keit
[N/m
m2 ]
Einspritzgeschwindigkeit [mm/s]
Abb. 6.10 Abhängigkeit der Druckscherfestigkeit von der Einspritzgeschwindigkeit (Material: PP Stamylan;
Massetemperatur: 240 °C; Werkzeugtemperatur: 20 °C; Modifikatorkonzentration: 2 % BPO;
0,1 % PEOx)
6.3.3 Statische Randwinkelmessungen
Zunächst sind in Abb. 6.11 die aus den gemessenen Randwinkeln berechneten
Oberflächenenergien und deren polarer Anteil von modifizierten Polypropylenoberflächen
dargestellt, die mit unterschiedlichen Massetemperaturen gespritzt worden sind. Alle Werte
liegen deutlich über dem Wert der unmodifizierten Nullprobe. Die Oberflächenenergien bei
den gewählten Massetemperaturen sind bei 240 °C und 260 °C am höchsten. Insgesamt zeigt
sich aber, dass eine Variation der Temperatur der Schmelze sich nur minimal auf die
Ergebnisse der Randwinkeluntersuchung auswirkt.
88
220 240 260 2800
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe in-situ-Modif. (polarer Anteil) unmodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
rgie
nac
h W
u [m
N/m
]
Massetemperatur [°C]
Abb. 6.11 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Massetemperatur (Material:
PP Stamylan; Werkzeugtemperatur: 20°C; Einspritzgeschwindigkeit: 280 mm/s;
Modifikatorkonzentration: 2 % BPO; 0,1 % PEOx)
Abb. 6.12 zeigt die Oberflächenenergien für modifizierte Formteile bei verschiedenen
Werkzeugtemperaturen. Wie bereits bei den Druckscherfestigkeitsmessungen festgestellt,
wird auch hier deutlich, dass eine Variation der Werkzeugtemperatur einen größeren Einfluss
auf das Modifizierungsergebnis hat als bei der Massetemperatur. Bei sehr hohen
Temperaturen (TW=80 °C) ist die Oberflächenenergie der modifizierten Probe mit den Werten
der unmodifizierten Nullprobe identisch. Die Ursache liegt, wie im vorangegangenen Kapitel
bereits erläutert, darin, dass bei der Modifizierung von Polypropylen der Modifikator beim
Einspritzen der Schmelze als Flüssigkeitsfilm auf der Werkzeugoberfläche vorliegen muss.
Bei Werkzeugtemperaturen über 60 °C verdampft allerdings das Lösungsmittel zu schnell und
der Modifikator bleibt als Feststoff auf dem Werkzeug zurück. Es findet dann keine
Modifizierung mehr statt. Der Modifkator wird nicht auf der Formteiloberfläche gebunden.
89
20 40 60 800
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe in-situ-Modif. (polarer Anteil) unmodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
rgie
nac
h W
u [m
N/m
]
Werkzeugtemperatur [°C]
Abb. 6.12 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Werkzeugtemperatur
(Material: PP Stamylan; Massetemperatur: 240°C; Einspritzgeschwindigkeit 280 mm/s;
Modifikatorkonzentration: 2 % BPO; 0,1 % PEOx)
Bei Werkzeugtemperaturen von 20 °C bis 40 °C verdampft das Lösungsmittel langsam und
der Flüssigkeitsfilm bleibt bis zum Einspritzvorgang nahezu unverändert auf der Oberfläche.
Der bessere Wert bei 40 °C gegenüber 20 °C Werkzeugtemperatur könnte dadurch bedingt
sein, dass die Molekülbeweglichkeit der Modifikatorsubstanz von der Temperatur abhängig
ist und der Flüssigkeitsfilm nach dem Aufsprühen sehr schnell die Werkzeugtemperatur
annimmt. Eine höhere Temperatur der Modifikatorlösung hat eine bessere Beweglichkeit der
Moleküle zur Folge. Durch den Einsatz eines anderen Lösungsmittels ist es theoretisch
möglich, die Temperatur weiter zu erhöhen und gleichzeitig das Verdampfen des
Lösungsmittels zu verhindern. Allerdings wäre dann der Prozess unwirtschaftlich, da die
höhere Werkzeugtemperatur die Kühlzeit verlängern würde.
Dass die Werte bei einer Temperatur des Werkzeuges von 40 °C besser sind als bei 20 °C,
könnte allerdings neben der besseren Molekülbeweglichkeit auch darin begründet sein, dass
die Abkühlung der heißen Schmelzefront beim Zusammentreffen mit dem Modifikatorfilm
bei 20 °C schneller erfolgt als bei 40 °C. Der Wärmeübergangskoeffizient zwischen Schmelze
und Modifikatorflüssigkeit liegt im Bereich von 600 bis 2300 W/(m2K), was eine Abkühlung
der Schmelzefront bereits vor dem Auftreffen auf der Werkzeugoberfläche bewirkt. Je
schneller diese Abkühlung erfolgt, umso weniger Zeit steht der Modifizierungsreaktion zur
90
Verfügung. Als geeignete und auch wirtschaftlich sinnvolle Prozessparameter sind
Massetemperaturen im Bereich von 240 °C bis 260 °C und Werkzeugtemperaturen von 20 °C
bis 40 °C zu wählen.
Abb. 6.13 zeigt die Ergebnisse der Randwinkeluntersuchungen von modifizierten Proben, die
mit unterschiedlichen Einspritzgeschwindigkeiten hergestellt wurden. Es ist ersichtlich, dass
sich geringe Geschwindigkeiten, ähnlich wie bei den Druckscherfestigkeitsmessungen, positiv
auf den Modifizierungsprozess auswirken. Die Modifizierungsreaktion beginnt, wenn der
Modifikator mit der Fließfront zusammentrifft. Sie ist beendet, wenn die Schmelze erstarrt,
das heißt, wenn die Schmelze auf die Werkzeugwand trifft. Durch die niedrige
Einspritzgeschwindigkeit verlängert sich die Reaktionszeit, da die Umlenkung der Schmelze
an der Fließfront zur Werkzeugwand hin länger dauert.
40 160 280 4000
5
10
15
20
25
30
35
40
45
in-situ-Modifizierung unmodifizierte Vergleichsprobe in-situ-Modif. (polarer Anteil) unmodifiziert (polarer Anteil)
Obe
rfläc
hene
nerg
ie n
ach
Wu
[mN
/m]
Einspritzgeschwindigkeit [mm/s]
Abb. 6.13 Abhängigkeit der Oberflächenenergie und des polaren Anteiles von der Einspritzgeschwindigkeit
(Material: PP Stamylan; Massetemperatur: 240 °C; Werkzeugtemperatur: 20 °C;
Modifikatorkonzentration: 2 % BPO; 0,1 % PEOx)
91
6.4 Verfahrenstechnische Unterschiede zwischen einer Polycarbonat- und
einer Polypropylenmodifizierung
Bei der Modifizierung von Polycarbonat wird der Modifikator auf die Werkzeugoberfläche
aufgesprüht. Das vorhandene Lösungsmittel verdampft dabei sofort auf der rund 80 °C
warmen Werkzeugwand. Der Modifikator liegt somit als Feststoff auf der Werkzeugoberflä-
che auf. Wird die Schmelze in die Kavität eingespritzt, ist der Zeitpunkt, an dem die
Schmelze auf die Werkzeugwand trifft, der Startpunkt der Modifizierungsreaktion. Im
weiteren Verlauf kühlt der Randbereich ab, bis die Temperaturen für die Reaktion nicht mehr
ausreichend sind und damit die Reaktion beendet ist. Abb. 6.14 zeigt schematisch die
Situation an der Fließfront beim Einspritzen der Schmelze in die Kavität.
Feste Modifikator-schicht
Fließfront
BahnlinieEingefrorene Schicht
Startpunkt der Modifizierung
Ende der Modifizierungsreaktion
Abb. 6.14 Schematische Darstellung des Modifizierungsprozesses an Polycarbonat
Die verfahrenstechnischen Abläufe bei der Polycarbonatmodifizierung lassen sich nicht ohne
weiteres auf die Polypropylenmodifizierung übertragen. Es zeigte sich in den durchgeführten
Untersuchungen, dass der Modifikator, im Gegensatz zur Modifizierung beim Polycarbonat,
in flüssiger Form auf der Werkzeugoberfläche vorliegen muss, wenn die Schmelze einströmt.
Niedrige Werkzeugtemperaturen sind daher vorteilhaft, damit das Lösungsmittel nicht zu
schnell verdampft.
92
Der Start der Modifizierungsreaktion beginnt im Vergleich zur Poylcarbonatmodifizierung
nicht erst beim Kontakt mit der Werkzeugwand, sondern bereits früher. Sobald die Schmelze
die Modifikatorlösung erreicht hat, beginnt die chemische Reaktion (siehe Abb. 6.15). Der
Grund dafür, dass die Modifizierung nur dann erfolgreich ist, wenn der Modifikator in
flüssiger Form vorliegt, ist die bereits bei den DSC-Untersuchungen erwähnte
Molekülbeweglichkeit. Die Radikalübertragung des BPO’s mit dem Polypropylen erfolgt nur,
wenn sich das Polymer im Schmelzezustand befindet. Da die Schmelze beim Kontakt mit der
Werkzeugwand schlagartig erstarrt, kann ab diesem Zeitpunkt eine Übertragung der Radikale
an die Polymeroberfläche nicht mehr stattfinden. Die Zeit, in der die Modifizierungsreaktion
erfolgreich ablaufen kann, ist somit auf den Bereich vom ersten Kontakt mit der
Modifikatorlösung bis zum Auftreffen der Schmelzefront an der Werkzeugwand begrenzt
(Abb. 6.15). Bei niedrigen Einspritzgeschwindigkeiten steht für die Modifizierungsreaktion
mehr Zeit zur Verfügung, wodurch eine bessere Ankopplung der Modifikatorketten am
Polypropylen möglich ist. Allerdings sind niedrige Einspritzgeschwindigkeiten aus
wirtschaftlicher Sicht nachteilig.
AufgesprühterModifikatortropfen
Fließfront
BahnlinieEingefrorene Schicht
Startpunkt der Modifizierung
Ende der Modifizierungsreaktion
Abb. 6.15 Schematische Darstellung des Modifizierungsprozesses an Polypropylen
Dass für eine erfolgreiche Modifizierung von Polypropylen der Modifikator in flüssiger Form
auf dem Werkzeug aufliegen muss, ist bei einer Anwendung des Verfahrens an komplexen
Bauteilgeometrien zu berücksichtigen. Eine falsche Applizierung der Modifikatorlösungen
kann zu einem Verlaufen des Flüssigkeitsfilms führen, wodurch sich kein gleichmäßiges
Modifizierungsergebnis ergibt. Bei der Anwendung des Verfahrens ist ebenfalls zu beachten,
93
dass es vorkommen kann, dass die Modifikatorflüssigkeit vor der Schmelze hergeschoben
wird und sich dadurch immer mehr Flüssigkeit vor der Schmelzefront ansammelt. Dies kann
zu Problemen bei der Entlüftung der Werkzeugkavität führen.
Bei der Modifizierung von Polycarbonat sind sehr geringe Mengen an Modifikator (im
Bereich von 0,005 % bis 0,05 %) ausreichend, um eine modifizierte Oberfläche zu erhalten.
Da die Auftragsdicke der Modifikatorsubstanz im Nanometer-Bereich liegt und nahezu der
gesamte im Werkzeug aufgebrachte Modifikator nach dem Spritzgießen mit der
Polycarbonatoberfläche verbunden ist, war selbst nach längeren Versuchsreihen nur eine sehr
geringe Ablagerung von Modifikator auf der Werkzeugoberfläche festzustellen. Bei der
Modifizierung von Polypropylen hingegen werden höhere Konzentrationen (z. B. 2 % BPO)
eingesetzt, was auch eine stärkere Modifikatorablagerung im Werkzeug zur Folge hatte.
Abschließend bleibt festzustellen, dass mit dem in-situ-Oberflächenmodifizierungsverfahrens
sowohl Polycarbonat- als auch Polyolefinoberflächen erfolgreich modifiziert werden können.
94
95
7 Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Arbeit ist das am Institut für Polymerforschung in Dresden in
Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Chemnitz neu entwickelte Verfahren zur
in-situ-Oberflächenmodifizierung während des Spritzgießprozesses analysiert worden. Die
Grundidee dieses Verfahrens ist dabei, die beim Spritzgießen vorhandene thermische Energie
in Form der hohen Massetemperatur zu nutzen, um funktionelle Modifikatorgruppen auf der
Formteiloberfläche zu binden. Die Modifizierung erfolgt dabei im Gegensatz zu den
konventionellen Verfahren nicht in einer zusätzlichen Nachbehandlung, sondern bereits
während des Spritzgießens. Der verfahrenstechnische Ablauf der in-situ-Modifizierung
gliedert sich in drei Teilschritte. Zunächst muss im ersten Schritt der Modifikator, der an die
Oberfläche gebunden werden soll, im Spritzgießwerkzeug appliziert werden. Geeignet hierfür
ist das Auftragen mittels einer Sprühvorrichtung, um eine gleichmäßige Verteilung zu
gewährleisten. Im zweiten Schritt wird die Schmelze eingespritzt. Die thermische Energie des
Schmelzematerials startet daraufhin im dritten Schritt eine chemische Reaktion, die den
Modifikator an die Formteiloberfläche bindet. Das fertige Formteil besitzt dann eine
langzeitstabile aktivierte Oberfläche. Das Verfahren ist äußerst wirtschaftlich und mit
geringen Investitionskosten verbunden.
Das in-situ-Oberflächenmodifizierungsverfahren ist zunächst an einem Polycarbonatmaterial
untersucht worden. Entscheidend für den Ablauf der chemischen Reaktion zur Ankopplung
des Modifikators an der Formteiloberfläche sind die beim Spritzgießen auftretenden
thermischen Verhältnisse. Die drastische Abkühlung der Schmelze beim Auftreffen auf die
Werkzeugwand bewirkt, dass nur Sekundenbruchteile für den Reaktionsablauf zur Verfügung
stehen. Mit Hilfe von Simulationsprogrammen (Fidap und Moldflow) sind die
Temperaturverläufe für diese sehr kurze Zeitspanne berechnet worden. In den Berechnungen
der Softwareprogramme werden dabei teilweise spezielle Annahmen und Vereinfachungen
getroffen wie z. B., dass ein idealer Wärmeübergang zwischen Werkzeug und Formteil erfolgt
oder, dass die Temperaturabhängigkeiten der Wärmeleitfähigkeit bzw. der spezifischen
Wärmekapazität zu vernachlässigen sind. Für die meisten Anwendungsfälle sind die mit
diesen Annahmen berechneten Ergebnisse hinreichend genau. Ziel dieser Arbeit war es
allerdings, die Temperatur in der Grenzschicht zwischen Formteil und Werkzeugoberfläche so
exakt wie möglich zu bestimmen. Aus diesem Grund mussten im Vorfeld alle im
Zusammenhang mit der Temperaturberechnung relevanten Stoffdaten und deren Einfluss auf
96
das Berechnungsergebnis näher betrachtet werden. Hier zeigte sich, dass vor allem die
Kenntnis des Wärmeübergangskoeffizienten für die Genauigkeit der Berechnung
entscheidend ist. Ein entsprechender Werkzeugeinsatz zur Messung des Koeffizienten beim
Spritzgießen ist daraufhin konzipiert und gefertigt worden. Die ermittelten Stoffwerte sind in
den Berechnungen zur thermischen Situation beim Spritzgießen berücksichtigt worden.
Mit Hilfe der Simulationsprogramme konnte der Einfluss der Prozessparameter wie Masse-
und Werkzeugtemperatur auf die sich beim Spritzgießen einstellenden Temperaturen eruiert
werden. Auf der Basis der berechneten Temperaturverläufe an der Formteiloberfläche ließ
sich die temperaturabhängige Reaktionsgeschwindigkeitskonstante bei der Modifizierungsre-
aktion berechnen und damit der Einfluss der Prozessparameter auf die chemische Reaktion
abschätzen. Erwartungsgemäß zeigte sich, dass vor allem bei hohen Massetemperaturen sich
die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante deutlich erhöht. Ebenso bewirkt eine höhere
Einspritzgeschwindigkeit aufgrund der Schererwärmung im Randbereich eine
Temperaturerhöhung an der Formteiloberfläche, weshalb hier ebenfalls die Geschwindig-
keitskonstante der Reaktion zunimmt. Entgegen der Erwartung ist die Zunahme der Konstante
bei einer Erhöhung der Werkzeugtemperatur im Vergleich zu einer Massetemperaturerhöhung
eher gering.
Eine messtechnische Erfassung der drastischen Abkühlung direkt nach dem Kontakt der
Schmelze mit der Werkzeugwand ist bei Abkühlgradienten im Bereich von 3 K/ms nicht
möglich. Es konnte allerdings durch Messungen mittels eines IR-Sensors gezeigt werden,
dass während der Nachdruck- und Restkühlphase die berechneten mit den gemessenen
Temperaturverläufen an der Formteiloberfläche gut übereinstimmen.
Eine Analyse modifizierter Formteiloberflächen zeigte, wie sich das Adhäsionsverhalten
durch die Modifizierungsreaktion ändert. Durch Randwinkelmessungen konnten Änderungen
der Oberflächenspannung quantifiziert werden. Zudem ist mittels eines eher praxisnahen
Messverfahrens, der Druckscherfestigkeitsmessung, die Verbundfestigkeit von verklebten,
modifizierten Formteilen bestimmt worden. Sowohl durch die Randwinkelmessungen, als
auch durch die Untersuchungen der Druckscherfestigkeit an modifizierten Polycarbonatober-
flächen konnte außerdem aufgezeigt werden, wie sich die beim Spritzgießen eingestellten
Prozessparameter auf das Modifizierungsergebnis auswirken. Dabei haben sowohl die
Konzentration des Modifikators, als auch die Masse- und Werkzeugtemperatur einen
97
entscheidenden Einfluss auf das Modifizierungsergebnis der Oberfläche. Niedrige
Modifikatorkonzentrationen und hohe Temperaturen führten zu einer Erhöhung der
Verbundfestigkeit von Verklebungen. Anhand der Messergebnisse konnte ein Arbeitsbereich
bei den Prozessparametern eingegrenzt werden, der eine optimale Modifizierung der
Oberfläche ergibt. Der Nachweis, dass der Modifikator auf der Oberfläche gebunden wurde,
erfolgte durch XPS-Messungen. Bei hohen Konzentrationen konnte der nur im Modifikator
enthaltene Stickstoff auf den modifizierten Proben nachgewiesen werden.
Eine rheologische Betrachtung des in-situ-Verfahrens zeigte, dass der beim Einspritzen auf
der Werkzeugoberfläche befindliche Modifikator durch die einströmende Schmelze nicht
verschoben wird. Die Modifizierung der Oberfläche findet somit ausschließlich dort statt, wo
der Modifikator vorher appliziert wurde. Ebenfalls konnte festgestellt werden, dass die
Fließweglänge der Schmelze durch die Modifikatorschicht nicht beeinflusst wird.
Ob sich die bei der Polycarbonatmodifizierung gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere
Thermoplaste übertragen lassen, ist beispielhaft anhand der Modifizierung eines
Polypropylens untersucht worden. Wie auch bei der Oberflächenmodifizierung von
Polycarbonat wird hier die beim Spritzgießen vorhandene thermische Energie zum Start einer
chemischen Reaktion genutzt. Allerdings sind bei der Polypropylenmodifizierung
Unterschiede sowohl beim Ablauf der Modifizierungsreaktion als auch beim
Ankopplungsmechanismus im Vergleich zur Polycarbonatmodifizierung vorhanden. Die
Modifikatoranbindung beim Polypropylen erfolgt nicht wie beim Polycarbonat durch eine
„Einspaltungsreaktion“, sondern durch eine radikalische Kopplung. Geeignete Initiatoren zur
Bildung von Radikalen sind in Voruntersuchungen mittels DSC-Messungen analysiert
worden. Bei der Untersuchung des Einflusses der Prozessparameter beim Spritzgießen auf das
Modifizierungsergebnis zeigte sich, dass für eine erfolgreiche Modifizierung von
Polypropylen andere verfahrenstechnische Voraussetzungen gegeben sein müssen, als beim
Polycarbonat. Da das Lösungsmittel bei der Polycarbonatmodifizierung aufgrund der hohen
Werkzeugtemperaturen schnell verdampft, liegt beim Einspritzvorgang der Modifikator als
Feststoff vor. Bei der Modifizierung von Polypropylen konnte allerdings nur eine
Modifizierungsreaktion stattfinden, wenn der Modifikator als Flüssigkeitsfilm auf der
Werkzeugoberfläche vorlag. Deshalb sollte die beim Spritzgießen eingestellte
Werkzeugtemperatur nicht zu hoch gewählt werden, damit das Lösungsmittel nicht zu schnell
verdampft. Die Massetemperatur spielt bei der Modifizierung von Polypropylen keine
98
entscheidende Rolle. Die Einspritzgeschwindigkeit hat dagegen einen großen Einfluss auf die
Reaktionszeit der Ankopplungsreaktion. Niedrige Geschwindigkeiten begünstigen die
Modifizierungsreaktion.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass das in-situ-Oberflächenmodifizierungsverfahren zur
Vorbehandlung von Polykondensat- und Polyolefinoberflächen geeignet ist. Die thermischen
und verfahrenstechnischen Verhältnisse konnten durch die angewendeten theoretischen und
experimentellen Methoden detailliert beschrieben werden. Die gewonnenen Erkenntnisse
leisten einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der ablaufenden Prozesse bei einer
Modifizierung während des Spritzgießens.
99
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Anhang A: Materialeigenschaften Material: Makrolon® 2805 Hersteller: Bayer MaterialScience Eigenschaft Prüfbedingung Einheit Wert
Rheologische Eigenschaften Schmelze-Volumenfließrate (MVR) 300 °C; 1.2 kg cm³/(10 min) 9.5
Verarbeitungsschwindung, parallel 60x60x2; 300 °C / WZ 80 °C; 500 bar % 0.65
Verarbeitungsschwindung, senkrecht 60x60x2; 300 °C / WZ 80 °C; 500 bar % 0.7
Schmelze-Massefließrate (MFR) 300 °C; 1.2 kg g/(10 min) 10 Mechanische Eigenschaften (23 °C/50 % r. F.) Zug-Modul 1 mm/min MPa 2400 Streckspannung 50 mm/min MPa 66 Streckdehnung 50 mm/min % 6.1 Nominelle Bruchdehnung 50 mm/min % > 50 Bruchspannung 50 mm/min MPa 65 Bruchdehnung 50 mm/min % 115 Zug-Kriech-Modul 1 h MPa 2200 Zug-Kriech-Modul 1000 h MPa 1900 Biege-Modul 2 mm/min MPa 2350 Biegefestigkeit 2 mm/min MPa 98 Charpy-Schlagzähigkeit 23 °C kJ/m² N Charpy-Schlagzähigkeit -30 °C kJ/m² N Thermische Eigenschaften Glasübergangstemperatur 10 °C/min °C 145 Formbeständigkeitstemperatur 1.80 MPa °C 125 Formbeständigkeitstemperatur 0.45 MPa °C 138 Vicat-Erweichungstemperatur 50 N; 50 °C/h °C 145 Vicat-Erweichungstemperatur 50 N; 120 °C/h °C 146
Linearer Wärmeausdehnungskoeffizient, parallel 23 bis 55 °C 10-4/K 0.65
Linearer Wärmeausdehnungskoeffizient, senkrecht 23 bis 55 °C 10-4/K 0.65
Wärmeleitfähigkeit 23 °C W/(m·K) 0.20 Sonstige Eigenschaften (23 °C) Wasseraufnahme (Sättigungswert) Wasser bei 23 °C % 0.30 Wasseraufnahme (Gleichgewichtswert) 23 °C; 50 % r.F. % 0.12 Dichte kg/m³ 1200
104
Eigenschaft Prüfbedingung Einheit Wert Formmasse-spezifische Eigenschaften Viskositätszahl cm³/g 59 Brechungsindex Methode A - 1.586 Trübung von transparenten Materialien 3 mm % < 0.8
Lichttransmission (farblos transparentes Material) 1 mm % 89
Lichttransmission (farblos transparentes Material) 2 mm % 89
Lichttransmission (farblos transparentes Material) 3 mm % 88
Lichttransmission (farblos transparentes Material) 4 mm % 87
Herstellbedingungen für Probekörper Spritzgießen-Massetemperatur °C 300 Spritzgießen-Werkzeugtemperatur °C 80 Spritzgießen-Einspritzgeschwindigkeit mm/s 200
Diese Eigenschaftsmerkmale sind Bestandteil der Kunststoffdatenbank CAMPUS und basieren auf dem international festgelegten Katalog von Grunddaten für Kunststoffe ISO 10350.
Modifikator: Polyethylenimin Hersteller: Polysciences, Inc Eigenschaften
Einheit Wert
Molekulargewicht
g/mol 250,000
Schmelztemperatur
°C 72
Zustand bei Raum- temperatur
fest
Präexponentieller Faktor Z
l/(mol*s) 1012
Aktivierungsenergie EA kJ/mol
120
Löslich in
heißem Wasser kaltes Wasser (bei niedrigem PH-Wert) Methanol Ethanol Chloroform
Nicht löslich in Benzol Ethylether Aceton kaltes Wasser
105
Material: SABIC® PP 576P Hersteller: SABIC Eigenschaft Prüfbedingung Einheit Wert
Rheologische Eigenschaften Schmelze-Massefließrate (MFR) 230 °C; 2.6 kg g/(10 min) 19 Mechanische Eigenschaften (23 °C/50 % r. F.) Streckspannung MPa 43 Streckdehnung % 700 Bruchspannung MPa 30 Biege-Modul MPa 1900 Charpy-Schlagzähigkeit kJ/m² 2,5 Thermische Eigenschaften Formbeständigkeitstemperatur 1.80 MPa °C 53 Formbeständigkeitstemperatur 0.45 MPa °C 98 Vicat-Erweichungstemperatur 10 N (VST/A) °C 152 Vicat-Erweichungstemperatur 50 N (VST/B) °C 85
106
107
Lebenslauf Angaben zur Person Name: René Brunotte
Geburtsdatum: 03.12.1977
Geburtsort: Erfurt
Familienstand: ledig
Nationalität: Deutsch Schule und Wehrdienst 09/1984 bis 08/1990 Polytechnische Oberschule 48 Erfurt
09/1990 bis 08/1996 Pierre-de-Coubertin-Gymnasium Erfurt
09/1996 bis 07/1997 Wehrdienst bei der Luftwaffe als Radarflugmelder Studium 10/1997 bis 12/2002 Studium des Maschinenbaus an der Technischen Universität
Chemnitz mit Vertiefungsrichtung Kunststoffverarbeitungstechnik im Hauptstudium
Tätigkeiten während des Studiums 09/2000 bis 03/2001 Praxissemester bei der AUDI AG in Ingolstadt
11/2001 bis 06/2002 Studentische Hilfskraft an der Technischen Universität Chemnitz,
Allgemeiner Maschinenbau und Kunststofftechnik Beruf seit 01/2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität
Chemnitz, Allgemeiner Maschinenbau und Kunststofftechnik