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Die zehn Fragen

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ATLAN 147 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 646

Die zehn Fragen

von Hubert Haensel

Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn ihm wurde die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten dieses Raumsektors.

Doch Atlan gibt nicht auf! Um sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besorgen, scheut der Arkonide kein Risiko. Mit den Solanern folgt er einer Spur, die das Generationenschiff gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit schließlich nach Bars-2-Bars führt, in die aus zwei miteinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel.

Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend. Doch die Solaner tun ihr Bestes, die Verhältnisse zu ordnen, indem sie die Völker der künstlichen Doppelgalaxis, die einander erbittert bekämpfen, zum Frieden bewegen und die Galaxien selbst wieder zu trennen versuchen.

Inzwischen schreibt man an Bord der SOL Ende März des Jahres 3808, und Anti-ES hat, aus der Namenlosen Zone heraus agierend, in der Zwischenzeit eine ganze Schar von Helfern aufgeboten, um die Pläne der Solaner zu durchkreuzen.

Doch diese haben bisher allen Angriffen standgehalten – und in einer der Kampfpausen erhält Atlan Antwort auf DIE ZEHN FRAGEN ...

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Die Hauptpersonen des Romans:

Atlan - Der Arkonide wird erneut dem temporären Reinkarnationseffekt unterworfen.

Wöbbeking - Das Wesen gewährt Atlan die Beantwortung von zehn Fragen.

Tyari - Atlans Gefährtin.

Anti-ES - Der Arkonide trifft auf seinen Gegenspieler.

Asgard und Kik - Atlans Begleiter in der Namenlosen Zone.

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1.

Die Stille war beunruhigend und geheimnisvoll zugleich. Sie hatte etwas Friedvolles an sich, etwas, was so gar nicht zu den hektischen Geschehnissen der letzten Wochen und Monate passen wollte.

Lang ausgestreckt, die Beine übereinandergeschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag Atlan auf seinem Bett. Er hielt die Augen geschlossen, als lausche er in sich hinein.

Er wartete, daß Wöbbeking-Nar’Bon sich erneut bei ihm meldete.

Seine Gedanken wanderten durch Zeit und Raum und versuchten herauszufinden, was für die SOL und ihn selbst wichtig war oder noch wichtig werden konnte. Was war in der Namenlosen Zone und bei den Kosmokraten geschehen? Sein photographisches Gedächtnis, auf das er sich sonst in jeder Hinsicht verlassen konnte, ließ ihn diesmal schmählich im Stich. Und auch der Extrasinn schwieg sich aus. Allerdings gab es keine Zweifel daran, daß er irgendwann den Weg nach jenseits der Materiequelle wirklich gefunden hatte. Das Geräusch leiser Schritte schreckte ihn auf.

Tyari beugte sich über ihn. Sekunden später berührten ihre Lippen die seinen. Ihre Hände schlossen sich um seinen Nacken ... »Du wartest vergeblich«, sagte sie. »Was sind schon einige Stunden für einen Unsterblichen?« antwortete Atlan, sich auf die Ellbogen hochstemmend.

»Du weißt, wie ich es meine.«

»Nein. Erkläre es mir.« Bevor Tyari zu einer Antwort ansetzen konnte, umfaßte der Arkonide ihre Hüfte und zog sie sanft zu sich herab. Er liebte diese Frau, die ihm in vielem ähnlich war, und sie erwiderte seine Gefühle. Grund genug, um in den wenigen Stunden, die sie manchmal für sich allein hatten, glücklich zu sein. Aber immer dann schob sich die Ungewißheit wie eine trennende Wand zwischen sie. Tyari wußte selbst nicht, welche Zukunft ihr beschieden sein würde. Die Gefahr, daß sie sich eines nicht mehr fernen Tages trennen mußten, schwebte wie ein düsterer Schatten über ihnen.

»Was hast du?« fragte sie leise. Obwohl er sich Mühe gab, seine Befürchtungen zu verbergen, spürte sie mit weiblicher Intuition, daß längst nicht alles so war, wie es sein sollte.

»Es ist nichts«, wehrte Atlan ab. »Ich mußte nur an Bars und Farynt denken.« »... und daran, was wohl aus mir werden wird, wenn die Verzahnung der beiden Galaxien endet?«

»Davon sind wir noch weit entfernt. Wir ...«

Tyari legte ihm ihren rechten Zeigefinger auf den Mund. »Sprich jetzt nicht. Es ist viel schöner, für einige Minuten zu träumen. Nimm mich fest in die Arme.«

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Hast du nichts Besseres zu tun? bemerkte Atlan Extrasinn spöttisch, als er ihre Küsse erwiderte.

Die Reaktion des Arkoniden bestand in einem äußerst unfeinen Gedanken. Laut ausgesprochen, hätte er Tyari sicherlich erröten lassen. Selbst der Logiksektor wurde davon überrascht, denn er schwieg sekundenlang, ehe er sich erneut meldete.

Wie kannst du nur so impulsiv reagieren, Atlan? Nach 12.000jähriger Lebenserfahrung solltest du eine gewisse Abgeklärtheit an den Tag legen. Auch, oder gerade, in Liebesangelegenheiten.

Bist du eifersüchtig?

Ein lautloses, verhaltenes Kichern durchbrach Atlans Überlegungen.

Deine terranischen Freunde kennen ein wunderbares Sprichwort: Liebe ist die Art Krankheit, die weder die Gescheiten noch die Dummen verschont.

Und? Zu welcher Kategorie zählst du mich?

Da war es wieder, dieses spöttische Kichern. Atlan bemerkte, daß auch sein Extrasinn verwundert reagierte.

»Wöbbeking?« fragte er laut.

Tyari richtete sich erstaunt auf. Sie ahnte, daß Atlan erstmals seit Stunden wieder von jenem im Grunde genommen unbegreiflichen Wesen hörte, das es verstanden hatte, die physikalischen Einheiten einer Sonne zu simulieren und dadurch die SZ-2 zu retten. »Es war amüsant, deinem Selbstgespräch zu lauschen«, erklärte Wöbbeking-Nar’Bon. »Inzwischen kann ich mir vorstellen, was deine erste Frage sein wird.«

*

Eine stärker werdende Erregung hatte sich Tyaris bemächtigt. Ruhelos huschte ihr Blick durch Atlans Kabine; sie vermied es jedoch geflissentlich, den Arkoniden anzusehen. Sie fürchtet sich, wisperte der Extrasinn. Wovor? gab Atlan stumm zurück.

Sie ahnt genauso wie Wöbbeking, was du fragen wirst.

Er hatte zehn Fragen zugestanden bekommen – aber nur eine einzige brannte ihm im Augenblick auf den Lippen.

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»Ich darf dir nun nicht mehr direkt helfen«, ließ Wöbbeking-Nar’Bon vernehmen. »Nur die Beantwortung deiner Fragen macht es mir noch möglich, wobei ich eingestehen muß, daß selbst ich keineswegs alles weiß. Es gibt Beschränkungen ...« »Welcher Art?«

»Du würdest es kaum verstehen, wenn ich versuchte, eine Erklärung dafür zu geben. Nimm es hin, Atlan, wie du vieles als gegeben hinnehmen mußtest. Irgendwann wirst du die ganze Wahrheit erfahren.«

»Weshalb nicht schon heute?«

»Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif dazu.«

»Vielleicht? Weißt du es selbst nicht? Wer steht hinter dir? Die Kosmokraten? Handelst du auf ihre Anweisung?«

»Selbst wenn ich wollte, ich kann es dir nicht sagen.«

»Also doch«, stellte Atlan fest. »Was erwarten die Kosmokraten von mir?«

»Ist das deine erste Frage?«

Einen Moment lang zögerte der Arkonide. »Nein«, sagte er dann. »Möglich, daß ich sie später stelle, wenn ich mehr über die Zusammenhänge erfahren habe, aber jetzt noch nicht.«

»Ich stehe dir nicht unbegrenzt zur Verfügung«, erklärte Wöbbeking. »Immerhin soll Anti-ES weiter annehmen, die SZ-2 sei vernichtet, und sie vor ihm zu verbergen, bedarf es meiner vollen Aufmerksamkeit. Zehn Fragen wurden dir gewährt. Für jeden durch dein Wirken in Xiinx-Markant befreiten Zähler eine.«

Flüchtig spielte Atlan mit dem Gedanken, zu fragen was aus den Zählern letztlich geworden war.

Unwichtig, bemerkte sein Extrasinn sofort. Konzentriere dich auf das Wesentliche. Auf Tyari?

Du würdest es mir nie verzeihen, wenn ich versuchte, dich davon abzubringen. Obwohl deine Emotionen irrational sind.

Ich liebe sie! dachte Atlan. Sie ist in vieler Hinsicht wie ich.

Zu sehr sogar.

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Wie meinst du das?

Stelle deine Frage. Meinen Folgerungen würdest du ohnehin nicht glauben. »Bist du dir endlich einig?« drängte Wöbbeking. Auch Tyari vernahm die Stimme des positiven Teils von Anti-ES, der durch Atlans Handeln in der Vergangenheit von der Superintelligenz abgespalten worden war. Der Arkonide nickte stumm. Sein Blick ruhte auf der Frau, die spontan aufbegehrte: »Der Konflikt mit Anti-ES ist wichtiger als alles andere. Vergiß nicht, daß es in erster Linie um das Schicksal zweier Galaxien und ihrer Völker geht.«

»Zehn Fragen sind genug, daß ich auch ein persönliches Anliegen darin unterbringen kann«, erwiderte Atlan.

Sie sind schneller vertan, als du glaubst, warnte der Logiksektor.

»Nichts wird sich verändern«, meinte Tyari. »Selbst wenn meine Aufgabe erledigt ist, werde ich weiterleben.«

»Das behauptest du, aber du bist dir keineswegs sicher.« Atlan wollte mit der Hand über ihr Haar fahren, doch sie wich ihm aus. »Wöbbeking-Nar’Bon«, sagte er laut, »ich wünsche, daß du meine erste Frage ausführlich beantwortest. Wie real ist Tyari, was geschieht mit ihr, wenn sie ihren Auftrag als Gesandte Tyars erledigt hat, das heißt, sobald die Verzahnung von Bars und Farynt sich zu lösen beginnt?«

»Du hättest das nicht tun sollen«, murmelte die Frau bedrückt.

»Hast du Angst? Womöglich davor, die Wahrheit über dich selbst zu erfahren?« »Nein«, machte Tyari. »Aber es ist unnötig, daß du wegen mir auf das Wesentliche verzichtest.« Sie wurde unterbrochen, weil Wöbbeking sich wieder meldete.

»Es ist schwer, Atlan, mit wenigen Worten darauf zu antworten. Deshalb werde ich dich in die Vergangenheit führen, in jene Zeit, da Anti-Homunk das Gard vernichtete und die Senke des verlorenen Raumes sich auflöste.« Der Arkonide sah, wie Tyaris Miene sich verhärtete. Sie sagte etwas, aber er verstand schon nicht mehr. Der temporäre Reinkarnationseffekt ergriff von ihm Besitz und führte ihn zurück in die Tiefen seiner Erinnerung. Bislang blockiertes Wissen brach in ihm auf. Für Atlan war es, als erlebe er das alles nun zum erstenmal.

*

Wie lange war es her, daß Asgard mich aus dem im Atombrand vergehenden Gard gerettet hatte? Zwei Tage, vielleicht auch drei, ich wußte es nicht so genau. Die Finsternis lieferte keine Anhaltspunkte. Lediglich mein knurrender Magen signalisierte, daß es an der Zeit war, etwas Eßbares zu mir zu nehmen. Außerdem machte sich quälender Durst bemerkbar.

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Asgard unterhielt sich mit meinem Extrasinn, und ich konnte verstehen, was dieses von Anti-Homunk geschaffene Wesen sagte. Schon deshalb wurde mir die Zeit nicht lang, hatte ich doch zumindest indirekt an Asgards Wahrnehmungen teil. Aus der Zellsubstanz der Gardianer war die fünf Meter durchmessende Kugel entstanden, in deren Innerem ich mich befand. Alles, was man irgendwie als Organe bezeichnen konnte, auch die Intelligenz dieses Wesens, befand sich in der nur einen Meter starken Hülle, ohne dort jedoch lokalisierbar zu sein. Asgard war in der Lage, beliebige Auswüchse zu formen und mit ihnen zu hantieren, er konnte nicht nur Worte und Bilder auf seiner Oberfläche entstehen lassen, sondern sogar zusammenhängende Geschehen filmisch wiedergeben. Unwillkürlich mußte ich daran denken, wie er mir das Wort FREUND in Interkosmo gezeigt hatte. Asgard legte es offensichtlich darauf an, mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Schwerkraft lag nur wenig unter einem Gravo, und die Luft, die ich atmete, war angenehm frisch und von wohlriechenden Düften durchsetzt. Die Atmosphäre wurde ständig regeneriert. Deshalb hatte ich meinen Raumanzug längst abgelegt.

Obwohl kein eigentlicher Telepath, konnte Asgard sich gedanklich mit meinem Extrasinn verständigen. Immerhin hatte der Extrasinn die Kugel während ihrer Entstehung im positiven Sinn beeinflußt und sie dem Zugriff von Anti-ES entzogen. Auch meine Gefühle, Gedanken und Empfindungen waren von Asgard aufgesogen worden wie von einem trockenen Schwamm.

»Was ist mit dir, schläfst du?« meldete sich der Extrasinn überraschend.

»Wieso?« erwiderte ich laut.

Weil Asgard mich soeben wissen ließ, daß er einen hell leuchtenden Stern entdeckt hat. Ich war zu Recht überrascht. Bislang kannte ich die Namenlose Zone als nahezu leeren Raumsektor. Sicher, es mochte Dunkelwelten wie den Löcherplanetoiden geben, in dem Anti-ES gefangen war, außerdem alle möglichen künstlichen Objekte wie die Basis des Ersten Zählers und das Spinar, und dann waren da noch die Grenzwächter und ihre Zweige, die dafür sorgten, daß niemand die Namenlose Zone verließ – aber eine Sonne ... das war mir neu.

Das Abbild eines gelborangen Sterns, von dem lodernde Protuberanzen weit ins All hinausgriffen, entstand in meinen Gedanken. Nichts ist unmöglich, meinte der Logiksektor zynisch. Die Sonne besitzt sogar einen Planeten.

»Asgard soll diese Welt anfliegen«, sagte ich.

Das tut er bereits.

Es fiel mir schwer, selbst nichts unternehmen zu können. Irgendwann, das wußte ich, würden Anti-ES oder sein Helfer Anti-Homunk mich aufspüren, und dann mußte eine gnadenlose Jagd beginnen, über deren Ausgang ich mich keinen Illusionen hingeben durfte.

Asgard übermittelte mir das Abbild eines rasch größer werdenden Planeten. Landmassen und Ozeane hielten einander die Waage, weiße Polklappen zeugten von ewigem Eis und unterschiedlichen

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Klimazonen. Einen Mond besaß diese Welt nicht.

Es gab üppige Vegetation, die ausgedehnte grüne Flächen erkennen ließ. Das Vorhandensein von Chlorophyll deutete zugleich auf eine Sauerstoffatmosphäre hin. Wieviel hätte ich dafür gegeben, jetzt mit den feinfühligen Instrumenten an Bord eines Raumschiffs nähere Messungen vornehmen zu können. Aber ich mußte mich mit dem zufriedengeben, was Asgard mir übermittelte.

Wenig später tauchte die organische Kugel in die Ausläufer der planetaren Atmosphäre ein.

*

Asgard ging langsam tiefer. Da ist etwas, behauptete er.

»Du meinst, es gibt Leben auf dieser Welt.« Ich spüre die Anwesenheit von etwas, was ich nicht einordnen kann, das ist alles. Wo soll ich landen?

Ich seufzte leise. Das war ungefähr so, als frage jemand einen Blinden nach dem Weg. Irgendwo in der Vegetationszone, antwortete mein Extrasinn für mich. Alles andere ist egal.

Asgard vermittelte mir das Abbild dichter Wolkenschichten. Wir befinden uns in Äquatornähe, erklärte er.

Düster türmten sich die Wolken übereinander. Dann zuckte der erste grelle Blitz auf, von ohrenbetäubendem Donner gefolgt. Im Nu schien der Himmel nur noch aus einer einzigen Feuerwand zu bestehen, die uns einhüllte. Asgard hatte Mühe, gegen den tobenden Sturm anzukämpfen – die starken energetischen Entladungen in unmittelbarer Nähe behinderten ihn.

Den entfesselten Naturgewalten hatte selbst er nur wenig entgegenzusetzen – immer rascher wurden seine Kräfte aufgezehrt, von etwas, was aus der Atmosphäre auf uns eindrang. Ich vernahm einen entsetzten Aufschrei, Sekunden später wurde Asgard von mehreren Blitzen getroffen, deren Auswirkungen ich ebenfalls zu spüren bekam. Ein eigenartiges lähmendes Prickeln machte mich unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, und das Gefühl, mich in einem rasend schnell in die Tiefe stürzenden Fahrstuhl zu befinden, rief quälende Übelkeit hervor. Asgard schien jegliche Kontrolle über sich selbst verloren zu haben.

Wir werden hilflos zerschmettern, bemerkte der Extrasinn mit eiskalter Logik. Vielleicht verglühen wir vorher wie eine Sternschnuppe, durchzuckte es mich. Es wurde merklich wärmer. Asgard schrie. Wie hoch mochten wir noch sein? Zehn Kilometer? Oder weniger? Ich besaß keine Möglichkeit, das festzustellen.

Mein Magen rebellierte. Ich spürte, daß der Zellaktivator gegen die stärker werdende Übelkeit

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ankämpfte. Ohne Asgard war ich verloren. Er mußte diesen rasenden Sturz beenden. Aber in meinen Gedanken keimte bereits die Befürchtung, Anti-ES könne uns gefolgt und an unserer Hilflosigkeit schuld sein. Asgards Zellmasse begann konvulsivisch zu zucken. Ich verlor meinen halbwegs sicheren Stand und stürzte. Die Hitze wurde bedrückender. Das Atmen fiel mir schwer, als nehme der Sauerstoffanteil der Luft rasch ab. Asgard wimmerte nur noch.

»Du mußt unseren Sturz abfangen!« rief ich.

Er schien mich nicht zu hören. Eine Vielzahl rasch wachsender Erhebungen ließ den Hohlraum, in dem ich mich befand, enger werden. Ich wurde eingeklemmt, ein schwerer Pseudoarm legte sich über meinen Brustkorb und drohte mich vollends bewegungsunfähig zu machen. Mit aller Kraft versuchte ich, mich aus dem unbarmherzigen Griff zu befreien. Obwohl ganz sicher nur wenige Sekunden verstrichen, erschien es mir, als währte das alles endlos lange Minuten. Ein eigenartiger, stechender Geruch stieg mir in die Nase – der Geruch von verbranntem Zellgewebe.

Asgard! rief ich lautlos, ohne eine Antwort zu bekommen.

Er hört dich nicht mehr, erklärte mein Logiksektor. Er hat sich vollständig abgekapselt. Die Falle schien perfekt. Hatte Anti-ES dafür gesorgt, daß wir die Sonne und den Planeten entdeckten?

»Asgard!« schrie ich, wohl mehr aus Verzweiflung heraus als in der Hoffnung, das organische Raumschiff könne mich wirklich noch verstehen. Ich hätte nie geglaubt, daß es mir so unsagbar schwerfallen würde, dem Tod ins Auge zu sehen. Wenn ich wenigstens hätte erkennen können, was außerhalb des noch knapp zwei Meter durchmessenden Hohlraums geschah.

Das würde nichts ändern, meinte der Extrasinn. Du bist eben nur aus Fleisch und Blut und folglich verwundbar.

Und du? erwiderte ich verärgert. Wenn ich sterben muß, gehst du mit mir.

Ein seltsamer Gedanke durchzuckte mich. Eigentlich hatte ich diesen Einfall dem Extrasinn zu verdanken, der mich mit seinem Einwand darauf gebracht hatte. Mit fliegenden Fingern öffnete ich meine Kombination und zog den an einer dünnen Kette hängenden Zellaktivator hervor. Sicher, das Gerät war auf meine Individualschwingungen justiert, und ich konnte keinesfalls sicher sein, daß Asgard darauf ansprach, aber ich mußte es versuchen.

Kaum berührte der Aktivator die Zellsubstanz der Kugel, als diese prompt aufzuwallen begann und das eiförmige Gebilde in sich aufnahm. Verkrampft wartete ich auf irgendeine Reaktion, obwohl mir klar sein mußte, daß dies nicht die Sache weniger Sekunden war. Ich schwitzte ärger als zuvor. Täuschte ich mich, oder ebbten die zuckenden Bewegungen rings um mich her ab? Augenblicke später fraß sich ein gellender Aufschrei unter meine Schädeldecke. Die ungeheure Wucht, mit der dieser mentale Hilferuf über mir zusammenschlug, ließ mich taumeln. Meine Hände verkrampften sich um die Schläfen. Das letzte, was ich noch wahrnahm, war, daß ich ruckartig hochgewirbelt wurde und mich mehrmals

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überschlug. Dann war nichts mehr.

*

Ich erwachte von einem dumpfen Dröhnen, das sich schmerzhaft durch meinen Schädel zog. Meine Gedanken wirbelten wirr durcheinander, ohne daß es mir möglich war, auch nur einen für kurze Zeit festzuhalten. Entspanne dich. Du bist verkrampft. Gerne wäre ich diesem Ratschlag nachgekommen, doch sobald ich es versuchte, wurde das Gefühl übermächtig, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Instinktiv begann ich um mich zu schlagen.

Warm und feinkörnig rann es durch meine Finger.

Sand?

Ich wälzte mich herum und versuchte, die Augen wenigstens einen Spalt zu öffnen, um herauszufinden, wo ich mich befand. Gleißende Helligkeit blendete mich.

Zumindest leben wir noch.

Endlich fiel es mir leichter, mich zu entspannen. Das Gefühl, in einer taumelnden Bewegung gefangen zu sein, wich rasch. Dennoch vermißte ich die belebenden Schwingungen des Zellaktivators. Die Luft, die ich atmete, brannte wie Feuer in meinen Lungen, aber das war zweifellos der Erschöpfung zuzuschreiben.

Asgard! rief ich in Gedanken.

Ein leichter Wind kam auf und wirbelte mir Sand ins Gesicht. Hinter vorgehaltenen Händen blinzelte ich mühsam in die Helligkeit. Die Sonne stand nicht sehr nahe und erschien kaum größer als meine Faust, trotzdem reflektierte der Wüstenboden das einfallende Licht um ein Vielfaches verstärkt.

Wie unzählige Nadelstiche brannte der Sand auf der ungeschützten Haut. Selbst die Kleidung bot kaum Schutz vor den winzigen Kristallen.

Nach und nach erfaßte ich mehr von meiner Umgebung. Ich befand mich inmitten einer ausgedehnten Senke. Es gab kein Grün, nur funkelnden, gelborangen Sand, den der Wind aus der Höhe herabwehte. Die Dünen waren mehr als dreißig Meter hoch, und seltsamerweise blies der Wind nicht konstant aus einer Richtung, sondern drehte fast ständig. Es war unmöglich, den wirbelnden Sandschleiern auszuweichen.

Von Asgard keine Spur.

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Innerhalb weniger Minuten stand ich bis zu den Knien im locker angehäuften Sand. Auch ohne die Warnung des Extrasinns erkannte ich die drohende Gefahr. Jeder Schritt wurde zur Qual, aber ich mußte die Kuppe einer der Dünen erreichen, wollte ich nicht unter den Sandmassen begraben werden.

Mit geschlossenen Augen kämpfte ich mich vorwärts und öffnete nur hin und wieder die Lider einen winzigen Spalt. Mein Ziel schien kaum näher zu rücken. Plötzlich brach der Boden unter mir ein. Im Nu stand ich bis zur Hüfte im Sand und sank rasch tiefer ein. Da war eine Berührung an meinen Beinen – irgend etwas zog mich hinab. Ich spürte dieses Etwas höher steigen, ein Tentakel, der meine Hüfte umschlang und mich fest umklammerte.

Das Messer fiel mir ein, mit dem ich Wöbbeking von Anti-ES befreit hatte. Ich trug es noch immer in einer Tasche meiner Kombination bei mir. Den Kombistrahler hatte ich im Gard verloren.

Der Tentakel wand sich weiter um meinen Körper. Im letzten Moment gelang es mir, das Messer aus der Tasche zu ziehen, und ich stach blindlings zu.

Der mörderische Druck des sich ruckartig zusammenziehenden Fangarms ließ mich gequält aufstöhnen. Sand wirbelte vor mir auf, begleitet von fauchenden, aus der Tiefe kommenden Geräuschen.

Wieder und wieder bohrte ich die scharfe Klinge in den Tentakel, bis sie mir entrissen wurde. Im selben Moment brach die Wüste auf. Gut ein Dutzend Fontänen wirbelten den Sand meterhoch empor, während der Fangarm endlich von mir abließ. Ein sich rasch ausweitender Trichter entstand, auf dessen Grund ein zuckendes, schnabelähnliches Gebilde sichtbar wurde. So schnell ich konnte, hastete ich weiter und kroch auf allen vieren den steilen Hang hinauf. Mehrmals rutschte ich ab und glitt meterweit zurück. Doch der Sand war hier fester als in der Senke, und ich erreichte schließlich die Kuppe. Mittlerweile brannte mein ganzer Körper wie Feuer. In Verbindung mit dem Schweiß rissen die Kristalle meine Haut auf. Aber ich mußte mich damit abfinden, schließlich wußte ich von Asgard, daß auf dieser Welt nicht nur Wüsten existierten, sondern ebenfalls ausgedehnte Vegetationsgebiete. Und wo Pflanzen wuchsen, gab es Wasser. Schon der Gedanke daran ließ mich ein wenig zuversichtlicher werden. Zurückblickend sah ich ein monströses Etwas mit mehr als zwanzig dürren Spinnenbeinen sich wieder im Sand vergraben. Nach wenigen Augenblicken zeugte nichts mehr von der lauernden Gefahr.

*

Vor mir erstreckte sich eine ausgedehnte Sandwüste, die erst in einiger Entfernung von Geröllfeldern abgelöst wurde. Es sah aus, als hätte die Hand eines Riesen mächtige Felsblöcke wie Bausteine durcheinandergewürfelt. Unmittelbar am Horizont zeigte sich ein schmaler grüner Streifen – zu weit entfernt, um erkennen zu lassen, worum es sich handelte. Vermutlich ein ausgedehntes Waldgebiet.

Zu meiner Überraschung war der Wind inzwischen wieder abgeflaut. Ausgerechnet in dem Moment, in dem ich die Kuppe erreicht hatte.

Du stellst eigenartige Vermutungen an, warf mir der Logiksektor vor.

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Trotzdem erscheint es mir, als sollte ich in der Senke verschüttet werden, erwiderte ich. Das ist unlogisch. Es handelte sich um normale atmosphärische Turbulenzen. Und wenn Anti-ES dahintersteckt? So recht glaube ich allerdings selbst nicht daran, denn mein Gegner besaß zweifellos andere Möglichkeiten.

Trotzdem blieb ein dumpfes, beklemmendes Gefühl.

Obwohl ich die Augen wieder mit den Händen bedeckt hielt, verursachte die Helligkeit stechende Kopfschmerzen. Es war unangenehm schwül, und mein Durst wurde immer unerträglicher. Dennoch mußte ich zuerst Asgard finden. Ich war überzeugt davon, daß das organische Raumschiff in der Nähe abgestürzt war. Vermutlich hatte es mich kurz vorher ins Freie gestoßen.

Während zu meiner Rechten die Senke steil abfiel, erstreckte sich linkerhand eine sanft gewellte Ebene. Der Sand schien dort zu bizarren Mustern erstarrt zu sein.

Endlich entdeckte ich etliche Kilometer entfernt einen düsteren Fleck. Das mußte Asgard sein. Ich begann zu laufen, bis mein Herz schmerzhaft pochte und ich kaum noch Luft bekam. Eine nie gekannte Schwäche stieg in mir auf, die aber nicht allein durch das Fehlen des Zellaktivators bedingt sein konnte. Vermutlich war ein unverträglicher Bestandteil der Atmosphäre schuld daran.

Ich mußte mich dazu zwingen, langsamer zu gehen. Die Helligkeit und der Sand machten mir zu schaffen, ein schier unerträglicher Juckreiz quälte mich. Wenn ich versuchte, mir durch Kratzen Linderung zu verschaffen, hinterließen meine Finger blutige Striemen auf der Haut, die plötzlich spröde und wie ausgetrocknet wirkte.

Strahlung! warnte der Extrasinn.

Selbst wenn er recht hatte – wie sollte ich mich davor schützen?

Ich benötigte gut eine halbe Stunde, bis ich Asgard erreichte. Trotz aller diesbezüglichen Befürchtungen traf mich sein Aussehen beinahe wie ein Schock.

Das Kugelwesen war auf knapp drei Meter Durchmesser zusammengeschrumpft. Sein Äußeres wirkte verbrannt und war von unzähligen Narben und offenen Wunden verunstaltet, in denen sich Sand ablagerte. Wie Schuppen standen an manchen Stellen dicke Krusten ab – Schorf, der sich aus Zellsekreten gebildet hatte. Zumindest ein Beweis dafür, daß der Organismus nicht völlig verbrannt war. Ich umrundete Asgard und fand einen klaffenden Riß, der mich ins Innere blicken ließ. Der Hohlraum war kaum noch vorhanden. Vermutlich war ich durch den Riß ins Freie gestoßen worden.

Meinen Zellaktivator konnte ich nicht entdecken. Siedendheiß durchzuckte es mich: Was, wenn das für mich lebenswichtige Gerät irgendwo im Wüstensand lag, inzwischen vielleicht unter einer knietiefen Schicht verborgen?

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Asgard, rief ich in Gedanken. Kannst du mich verstehen?

Nichts. Keine Antwort.

Ich versuchte es noch einmal. Mit demselben negativen Ergebnis wie zuvor.

Wenn mein Zellaktivator verloren war, hatte ich nur noch wenig mehr als zwei Tage irdischer Zeitrechnung zu leben, ehe ein rapider Alterungsprozeß einsetzen würde. Allmählich begann ich mich mit dem Gedanken abzufinden, daß ich gescheitert war. Warteten die Kosmokraten jenseits der Materiequelle überhaupt noch darauf, daß ich eines Tages bei ihnen erscheinen würde, oder hatte der einäugige Roboter Laire inzwischen einen anderen Vertreter der Menschheit zu ihnen geholt?

Du machst es dir unnötig schwer, mahnte der Extrasinn. Warum stellst du immer wieder Fragen, auf die du keine Antwort finden kannst?

Ein leises Geräusch ließ mich aufmerken. Ich sah, daß eine der Schorfplatten von Asgards Haut abgefallen war. Darunter kam frisches, rosa gefärbtes Gewebe zum Vorschein. Ich empfand unsagbare Erleichterung. Asgard stand demnach am Anfang seiner Regeneration. Das bedeutete, daß die Schwingungen des Zellaktivators wirkten.

»Asgard!« rief ich nun laut, mußte aber einsehen, daß die Kugel noch nicht wieder soweit war, daß sie sich mit mir oder meinem Extrasinn verständigen konnte. Von ihr hatte ich wenigstens vorerst keine Hilfe zu erwarten. Mein Blick wanderte zum Horizont, wo das Waldgebiet sich inzwischen deutlich abzeichnete. Je eher ich aufbrach, desto besser.

*

Allmählich wurde der Untergrund felsiger. An die zehn Kilometer mochte ich zurückgelegt haben, hatte zwei Senken allerdings in gehörigem Abstand umgangen, weil ich ahnte, was im Sand vergraben lauerte. Die Sonne war inzwischen ein ansehnliches Stück weitergewandert und stand nun schräg hinter mir. Die länger werdenden Schatten verrieten, daß die Nacht bald hereinbrechen würde. In dieser Beziehung hatte ich mich gehörig verschätzt. Die noch namenlose Welt mußte sich in weniger als 14 Stunden einmal um ihre Achse drehen.

Heisere Schreie ließen mich aufsehen. Hoch über mir zogen zwei mächtige Schatten ihre Kreise im wolkenlosen Himmel. Es fiel schwer, ihre Größe zu schätzen, doch die Vögel mochten gut drei bis vier Meter Spannweite haben.

Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte. Anfangs kam ich zwar leichter voran, aber dann wurde das Felsgestein porös. Wind und Wetter hatten aus dem Tuff tiefe Rinnen herausgewaschen. Dazwischen ragten nadelspitze Erhebungen auf, die schon bei geringer Berührung explosionsartig zersplitterten und ihre Bruchstücke meterweit verschleuderten. Die Felsdecke erwies sich als nicht minder trügerisch als der

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Sand; größtenteils unterhöhlt, brach sie ein, sobald ich länger als einige Augenblicke auf einer Stelle verharrte.

Die Schreie der Vögel klangen lauter. Überrascht stellte ich fest, daß die Zahl der Tiere inzwischen auf mehr als ein Dutzend angewachsen war. Wie sie ihre enger werdenden Kreise zogen, erinnerten sie mich an Geier.

Mit bloßen Händen mußte ich den Tieren hoffnungslos unterlegen sein, falls sie sich zum Angriff entschlossen.

Ich bückte mich nach einigen faustgroßen, scharfkantigen Steinen. Im selben Moment stieß der erste der Vögel lautlos herab. Nur durch eine aus den Augenwinkeln heraus erhaschte Bewegung aufmerksam werdend, warf ich mich herum. Zwei gierig vorgestreckte Fänge zuckten neben mir ins Leere. Schwerfällig mit den Flügeln schlagend, versuchte der große Vogel, sich abzufangen. Ich blickte in tückisch funkelnde Augen voll Mordgier. Während der gut unterarmlange Schnabel sich zischend öffnete, schmetterte ich dem Tier einen der Steine zwischen die Lichter. Es sackte weg, versuchte aber noch auf dem Boden liegend, nach mir zu schnappen. Nur um Haaresbreite entging ich dem mit winzigen Zähnen übersäten Schnabel. Noch einmal schlug ich zu – der Stein in meiner Rechten zersplitterte. Instinktiv riß ich das getötete Tier hoch und schleuderte es, indem ich mich halb umwandte, von mir. Der Kadaver prallte mit zwei weiteren Vögeln zusammen und ließ sie mit gebrochenen Flügeln zu Boden stürzen.

Mir blieb keine Zeit, um zur Besinnung zu kommen. Ein Stein, den ich mit aller Kraft warf, ging fehl, zugleich war ein weiteres Tier heran. Ich unterlief den gierig aufgerissenen Schnabel und packte die beiden Fänge, während der Vogel flügelschlagend an Höhe zu gewinnen versuchte. Sein Krächzen klang kläglich.

Plötzlich stoben Federn auf. Die Vögel griffen ihren eigenen Artgenossen an, um an mich heranzukommen.

Der Boden brach unter mir ein. Ich wurde völlig davon überrascht. Noch ehe ich in der Lage war, den Sturz abzufangen, schlug ich zwischen lockerem Geröll auf.

Ich war in eine gut vier Meter tiefe, enge Felsspalte gestürzt, in die mir die Vögel nicht zu folgen vermochten. Eine Zeitlang hockten sie noch oben und starrten zu mir herab, schließlich stiegen sie schwerfällig auf und verschwanden aus meinem Blickfeld. Vergeblich versuchte ich, in die Höhe zu klettern. Das Gestein war brüchig und bot nirgendwo ausreichend festen Halt. Da der Spalt sich jedoch in die Richtung fortsetzte, in die ich ohnehin wollte, entschloß ich mich, seinem Verlauf zu folgen. Manchmal traten die Wände so eng zusammen, daß ich Mühe hatte, mich zwischen ihnen hindurchzuzwängen, schließlich aber endeten sie abrupt am Rand eines ausgedehnten Talkessels. Die Dämmerung brach bereits herein. Trotzdem konnte ich erkennen, daß der jenseitige, gut drei Kilometer entfernte Hang dicht bewaldet war. Das Tal selbst mochte einst Bett eines gewaltigen Urstroms gewesen sein, jetzt schlängelte sich nur ein vergleichsweise winziges Rinnsal zwischen Felsen und Büschen dahin und markierte die Grenze zur Vegetation.

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So schnell ich konnte, hastete ich den Abhang hinunter, kleinere Geröllawinen auslösend, die vor mir her in der Tiefe verschwanden. Der Himmel überzog sich mit einem tiefen Orange, das im Osten einer vollkommenen Schwärze wich. Bisher hatte ich geglaubt, daß es in der Namenlosen Zone keine Sterne gab. Inzwischen mußte ich jedoch annehmen, daß dies ein Irrtum war. Die hereinbrechende Nacht würde vollkommen sein. Die Sonne war zweifellos inzwischen hinter dem Horizont versunken und die trübe Helligkeit, die noch herrschte, ausschließlich eine Folge atmosphärischer Reflexion.

Obwohl ich zu rennen begann, kam ich dem schmalen Wasserlauf nicht näher. Keuchend blieb ich stehen. Meine Lippen waren spröde und aufgeplatzt; ich schmeckte geronnenes Blut auf der Zunge, die wie ein Fremdkörper am Gaumen klebte.

Schätzungsweise 100 Meter waren es noch bis zum Fluß. Ich zählte meine Schritte. Bei 90 angelangt, war das Wasser mindestens immer noch so viele entfernt. Die Konturen der Sträucher und Bäume am jenseitigen Ufer lösten sich in Düsternis auf.

Du jagst einer Fata Morgana nach, wisperte der Extrasinn.

Ich nickte schwer. Diese Welt, auf der ich gestrandet war, wurde mir zunehmend unheimlicher.

Jetzt gab es weder ein Vor noch ein Zurück. Die Finsternis umfing mich mit einer Vielfalt von Geräuschen. Angespannt starrte ich in die Finsternis hinaus, jeden Moment damit rechnend, daß glühende Raubtieraugen mich fixierten.

Nach einer Weile ließ ich mich in die Hocke sinken. Der Boden war lehmig. Es gab nicht einmal Steine, die ich als Waffe hätte verwenden können.

Versuche zu schlafen, flüsterte der Extrasinn. Ich wache über dich.

Aber ich konnte es nicht. Meine eigene Erregung hielt mich wach.

Irgendwann vernahm ich ein fernes Brausen, das sich rasch steigerte. Ein winziger Punkt hoch über mir schwoll zu feurigem Leuchten an und zog wie ein stürzender Komet seine Bahn über den Himmel. Aber unvermittelt änderte er seinen Kurs und machte damit klar, daß es sich um ein Raumschiff handelte.

Es war nicht groß – ein Beiboot vermutlich. Der Gedanke, daß es den Robotern an Bord der Basis des Ersten Zählers gelungen sein mochte, mich aufzuspüren, ließ mich unverwandt in die Höhe starren.

Ein sich rasch ausdehnender Glutball entstand. Sekundenbruchteile ein zweiter, dessen Ausläufer das kleine Schiff streiften, das jetzt in gewagtem Zickzackflug tiefer zog. Zwei Verfolger näherten sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit. Soweit ich es erkennen konnte, besaßen ihre Schiffe die seltsame Form eines Kugelausschnitts mit drei geraden und einer gebogenen Seite. Ihre Kantenlänge betrug gut und

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gerne zweihundert Meter. Die nächste Salve aus ihren Thermogeschützen ließ das kleine Schiff glühend vergehen. Grollend hallte der Donner der Explosion über das Land, gleich darauf fegte ein warmer Orkandurch die Schlucht und wirbelte Sand und zerfetzte Äste vor sich her. Als ich wieder aufsah, waren die beiden großen Raumer verschwunden. Nur ein Schleier glühender Partikel hing noch in der Luft.

*

Flackernde Leuchterscheinungen am Horizont kündeten den Morgen an. Obwohl der Rest der Nacht ruhig verlaufen war, fühlte ich mich schwach und ausgebrannt. Ich hatte kaum ein Auge zugetan.

Vom Durst getrieben, taumelte ich vorwärts. Jetzt wirkten alle Entfernungen anders als am vergangenen Abend. Ich schalt mich einen Narren, als ich feststellte, daß mich nur lumpige zwanzig Schritte vom Ufer des kleinen Flusses trennten – eine Strecke, die ich sogar in der Dunkelheit hätte zurücklegen können.

Diese Welt hat etwas Abstoßendes an sich. Alles, was du bislang kennengelernt hast, richtete sich irgendwie gegen dich. Soll das eine Warnung sein? gab ich lautlos zurück, während ich mich auf die Knie niedersinken ließ und die Arme bis zu den Ellenbogen ins kristallklare Wasser tauchte. Du weißt nicht, ob der Fluß mit Bakterien verseucht ist.

Und wenn schon, ich ...

Mach dir einmal Gedanken darüber, vor welchen gesundheitlichen Schäden dein Zellaktivator dich stets bewahrt hat. Mit einer unwilligen Handbewegung schob ich alle düsteren Gedanken weit von mir. In einigen Stunden konnte ich wieder bei Asgard sein und den Aktivator an mich nehmen. Eine Vergiftung brauchte ich also trotz allem nicht zu befürchten.

Mit der hohlen Hand schöpfte ich und ließ das Wasser über mein Gesicht laufen. Es brannte wie Feuer auf der rissigen Haut, aber schon Augenblicke später machte sich die belebende Wirkung bemerkbar.

Dann trank ich in kurzen, hastigen Schlucken.

Ohne daß ich Schritte vernommen hatte, zeichnete sich plötzlich das Spiegelbild eines Mannes auf der Wasseroberfläche ab. Er sagte etwas in einer fremden, guttural klingenden Sprache. Seine Worte klangen nicht eben freundlich, und er hielt eine stabförmige Waffe auf mich gerichtet, die ich wegen der flimmernden Abstrahlmündung unschwer als Thermostrahler identifizierte. Langsam breitete ich die Arme aus und zeigte ihm meine leeren Handflächen. In seinen Augen blitzte es kurz auf. Er stieß eine Reihe abgehackter Laute hervor.

»Es tut mir leid«, sagte ich leise. »Ich verstehe dich nicht.«

Im nächsten Moment drückte er ab, und ich warf mich in einer blitzschnellen Reflexbewegung zur Seite.

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Ich prallte hart auf, rollte mich über die Schulter ab und kam schwankend wieder auf die Beine, als der Fremde den zweiten Schuß abgab. Fauchend entlud sich der Thermostrahl. Allerdings nicht in meine Richtung. Wo ich eben noch gestanden hatte, blähte sich ein wesenloses, wallendes Ding, der kieselbedeckten Uferfläche nahezu gänzlich angepaßt. Zugleich begann ich mich zu fragen, wie der Fremde auf das perfekt getarnte Tier aufmerksam geworden war. Er senkte die Waffe und lächelte. Er war schätzungsweise einsachtzig groß, schlank, aber doch sehnig. Jede seiner Bewegungen verriet Kraft und Ausdauer. Seine Augen fixierten mich stumm. Große, ausdrucksvolle Augen, deren Farbe ich nicht zu bestimmen vermochte. Am ehesten schimmerten sie wie kristallklare Bergseen, in denen sich die Unendlichkeit des Himmels widerspiegelt. Sein Blick ist der eines Wesens, das nach logischen Gesichtspunkten zu handeln versteht, bemerkte der Extrasinn.

»Danke«, sagte ich und streckte dem Fremden meine Hand entgegen. »Ich bin Atlan.« Er ergriff die ihm dargebotene Rechte und drückte fest zu. »Tyar«, sagte er. Ein seltsames Prickeln breitete sich unter meiner Kopfhaut aus. War Tyar Telepath und versuchte, meine Gedanken zu erfassen? Dann würde er kein Glück haben, denn ich war mentalstabilisiert.

Er will nichts von dir, bemerkte der Extrasinn trotzig. Aber ich spüre seine Verwunderung darüber, daß zwei Seelen in deiner Brust leben.

Vorübergehend wurde mir schwarz vor Augen. Urplötzlich hatte ich das Gefühl, daß alles um mich her sich zu drehen begann. Selbst der Boden wölbte sich mir jäh entgegen.

Ich taumelte, spürte aber sofort zwei kräftige Hände an meinen Schultern, die mir Halt gaben. Tyars Gesicht schwankte vor mir hin und her; vergeblich versuchte ich, es zu fixieren. Eiskalter Schweiß brach mir aus. Ich fror. Ein Gefühl, das von meinem Magen ausging. Du wolltest nicht auf mich hören, dröhnte es überlaut in meinem Schädel.

Das Wasser! Nichts anderes konnte an meinem Zustand schuld sein.

Ich mußte zu Asgard zurück und zu meinem Zellaktivator. Ich mußte ... Würgend brach es aus mir hervor. Ich sank zitternd in die Knie und versuchte nur noch, mein Gleichgewicht zu halten.

*

Als ich wieder bewußt zu denken vermochte, war alles vorüber, allerdings fühlte ich mich elender als zuvor. Tyars Hände lagen auf meinen Schläfen, und eigenartiger Weise ging eine deutlich beruhigende Wirkung von ihnen aus.

»Anti-ES darf nicht triumphieren«, stöhnte ich. »Ich muß zu Asgard zurück.« »Anti-ES wird dich nicht bekommen«, erwiderte Tyar leise. »Uns beide nicht.« Nur langsam begriff ich, daß der Fremde sich des Interkosmo bediente. Ich wollte auffahren, aber die Schwäche war noch nicht völlig aus meinen Gliedern gewichen. Tyar ist mehr, als es den Anschein hat, wisperte der Extrasinn. Ich weiß nicht, wie er es macht, doch er ist in der Lage, dein Ego, deine Ausstrahlung, in sich aufzunehmen. Unwillkürlich versteifte ich

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mich. »Ruhig bleiben«, mahnte Tyar. Seine Worte klangen schon nicht mehr ganz so holprig wie eben. »Ich bin kein Feind, falls du das befürchtest. Aber ich möchte von dir wissen, weshalb du vor Anti-ES fliehst. Nein, nicht jetzt«, fügte er rasch hinzu, als ich verkrampft Luft holte. »Wenn es dir besser geht, ist Zeit genug.«

»Ich muß zu Asgard!« stieß ich hervor. »Bringe mich zu ihm.«

»Wer ist das?«

»Mein Raumschiff.« Ich streckte einen Arm aus und deutete in die betreffende Richtung. Erneutdurchflutete eine Welle von Übelkeit meinen Körper, nur konnte ich diesmal erfolgreich dagegen ankämpfen. »Dein Schiff wurde in der vergangenen Nacht abgeschossen? Warum?«

Während wir dann aufbrachen, begann er von sich zu erzählen. Das Laufen tat mir gut und mobilisierte neue Kraftreserven. Trotzdem gab ich mich keinen Illusionen hin. Irgendwann mußte der unvermeidliche Zusammenbruch kommen.

Tyar sprach von sich wie von einem Herrscher über die ganze Galaxis. Allerdings schien er kein Tyrann zu sein, sondern eher von Verständnis und Sorge selbst um das kleinste und unbedeutendste Volk erfüllt. Und Sorge drückte sich in jedem seiner Sätze aus. Ehrlich gesagt, verstand ich manches nicht oder nur sehr schwer. Meine Sinne waren wie umnebelt, und immer wieder mußte ich an die zurückliegenden Geschehnisse denken. Dann jedoch stutzte ich und hob ruckartig den Kopf, um Tyar anzusehen. Ich kniff die Augen zusammen, blinzelte. Täuschte ich mich, oder hatte der Fremde sich tatsächlich verändert? Das einzig Bemerkenswerte an seinem Gesicht waren bislang die ausdrucksvollen Augen gewesen, alles andere hatte irgendwie unfertig gewirkt. Jetzt jedoch traten seine Wangenknochen deutlicher hervor, die Lippen waren kräftiger geworden und die Nase kantiger. Die Augen hatten ihre unergründliche Farbe beibehalten. Trotzdem war mir, als blicke ich in einen matten Spiegel, der zwar die Konturen leicht verwischte, aber dennoch den Gesamteindruck nicht verändern konnte. Tyar war mir ähnlich geworden.

Ein Gestaltwandler! durchzuckte es mich siedendheiß. War ich, ohne es zu wollen, doch meinem Gegner in die Falle gegangen? Nur Anti-ES konnte hinter allem stecken. Wo warst du mit deinen Gedanken?wurde ich vom Extrasinn angefahren, der unverkennbar ungehalten war. Wieder stieg Übelkeit in mir auf.

Der große Arkonide sieht endlich ein, daß auch er Fehler macht, spottete mein zweites Ich. Du hättest auf mich hören und das Wasser nicht trinken sollen.

Was ist mit Tyar?

Doch interessiert? Das lautlose Gelächter reizte mich, indes fühlte ich mich zu schwach, um dagegen aufzubegehren. Tyar ist die personifizierte Intelligenz einer Galaxis, die von vielen ihrer Völker Bars genannt wird. Aus Gründen, die selbst er erst nach und nach herausfinden konnte, hat Anti-ES eine zweite, in vielem ähnliche Galaxis mit Bars vereint. Farynt, so ihr Name, wurde von einem Instinkt geleitet.

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Infolge dieser widernatürlichen Vereinigung entstanden nabelähnliche Übergänge in die Namenlose Zone, die solange bestehen werden, wie Bars und Farynt ihre Positionen nicht mehr verändern. Und aus diesem Grund hat Anti-ES Tyar und den Instinkt zu seinen Gefangenen gemacht. Nur gelang es Tyar, in menschlicher Gestalt zu entkommen. Ihm blieb keine andere Wahl, als durch einen Nabel in die Namenlose Zone zu fliehen. Inzwischen wird unser gemeinsamer Feind wohl erfahren haben, was sich abgespielt hat. »Dann schweben wir beide in Gefahr, je länger wir auf dieser Welt verweilen«, stieß ich unwillkürlich hervor.

Tyar bedachte mich mit einem forschenden Blick. »Ich dachte schon, du hörst mir überhaupt nicht zu«, sagte er. »Wie geht es dir?« Ich versuchte ein Lächeln, doch wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. Die Schmerzen kamen in kürzer werdenden Perioden und immer stärker.

Mittlerweile hatten wir die Sandwüste erreicht, ohne daß ich mich bewußt erinnern konnte, mit Tyar zusammen die Felsspalte emporgeklettert zu sein. Ich zermarterte mir den Kopf, bis mir wieder einfiel, daß wir erst ein Stück dem Bett des Urstroms gefolgt und dort, wo der Aufstieg verhältnismäßig einfach erschienen war, das ausgedehnte Geröllfeld erreicht hatten.

»Ich will nach Bars zurück«, sagte Tyar. »Kann dein Raumschiff die Namenlose Zone verlassen?«

Deshalb also hatte er sich mir angeschlossen. Durfte ich sicher sein, daß er mir nicht in den Rücken fiel, sobald wir Asgard erreichten? Andererseits – mir blieb keine andere Wahl. Allein würde ich es wohl nicht schaffen. Bei jedem Schritt empfand ich das Gefühl, in einen endlosen Abgrund zu stürzen. Die Reflexion des Sandes durchdrang sogar die geschlossenen Lider. In weniger als einer Stunde würde die Sonne erneut hinter dem Horizont versinken. Ich begann mich zu fragen, was geschehen würde, wenn wirdann unser Ziel noch nicht erreicht hatten. Über uns ertönte heiseres Krächzen. »Wenn die Vögel angreifen«, stieß ich mühsam hervor, »mußt du schießen.« Augenblicke später erhielt ich einen Stoß, der mich taumeln ließ. Hinter mir ertönte das Fauchen von Tyars Strahler.

Alles drehte sich. Verzweifelt versuchte ich, mich zu orientieren, und irgendwie gelang es mir auch, wenngleich ich noch immer das Gefühl hatte, wie ein Baum im Orkan zu schwanken. Keine fünfhundert Meter vor mir lag Asgard im Wüstensand. Ob seine Heilung Fortschritte gemacht hatte, konnte ich nicht erkennen.

Tyar wurde von den Vögeln heftig attackiert. Ununterbrochen schoß er. Doch dann, als nur noch wenige übrig waren, wirbelte ihm ein Flügelschlag die Waffe aus der Hand. Schon stieß das Tier wieder auf ihn herab, als ein anderer Vogel ihm unverhofft zu Hilfe kam und sich kreischend gegen seinen Artgenossen wandte. Mit Schnäbeln und Fängen hackten sie aufeinander ein.

Ein Schatten senkte sich herab. Abwehrend wollte ich die Arme hochreißen, als ich erkannte, daß Asgard unmittelbar neben mir niederging.

Tyar hastete heran, ließ seinen Blick verwundert über die Kugel mit der lederartigen Haut schweifen und wandte sich dann um. Er hatte seine Waffe wiedergefunden und richtete sie auf die Vögel.

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Nicht! vernahm ich den gedanklichen Aufschrei Asgards. Er darf nicht schießen! Aber es war bereits zu spät, um Tyar in die Arme zu fallen. Einer der Vögel stürzte tödlich getroffen ab, während der andere mit glimmenden Schwingen dem Boden entgegentaumelte.

Ich fühlte meine Knie weich werden. Dann hüllte Schwärze mich ein.

*

Das erste, was ich bewußt wahrnahm, waren die belebenden Impulse, die mich durchfluteten. Noch ehe ich die Augen aufschlug, tasteten meine Hände nach dem eiförmigen Gebilde auf meiner Brust. Der Zellaktivator war wieder da.

Ich mußte eine ganze Weile ohne Besinnung gewesen sein, denn überrascht stellte ich fest, daß ich mich bereits in Asgards Innerem befand. Tyar hatte sich neben mir niedergelassen und musterte mich fragend.

Du hast lange geschlafen, teilte der Extrasinn mit. Aber der Schlaf hat dir gutgetan. Inzwischen befinden wir uns schon im freien Raum.

»Asgard, warum hast du nicht gewartet?« fuhr ich auf.

Weil der gesamte Planet eine einzige Gefahr für uns darstellt.

»Woher willst du das wissen?«

Als Asgard schwieg, wiederholte ich meine Frage.

Einer aus meinem Volk hat mich gewarnt. Zweifellos sprach Asgard nicht von sich in seiner augenblicklichen Gestalt. Die Gardianer waren bereits ein aussterbendes Volk gewesen, als 500 von ihnen auf der Suche nach den Quellen des Jenseits, von denen sie sich Hilfe versprachen, in die Namenlose Zone und in die Gewalt von Anti-ES gerieten. Aus ihrer Zellsubstanz hatte Anti-Homunk jenes organische Raumschiff geformt, das allerdings durch das Eingreifen meines Extrasinns seiner Kontrolle entglitten war. Daß ausgerechnet jetzt ein Gardianer auf der Bildfläche erschien, mutete mehr als sonderbar an. Nur der Geist eines von uns, die Seele, oder wie immer du es nennen willst, erklärte Asgard. Die geistige Einheit der Gardianer wurde zerrissen und durch die Namenlose Zone verstreut, als ich entstand.

»Wo ist er jetzt?«

In mir, und er macht es mir leichter, mich mit dir zu verständigen. Auch Tyar kann ich nun verstehen und mich ihm mitteilen. Asgard unterbrach sich für einige Sekunden. Wir fliegen den Nabel an, durch den Tyar kam. Wenn wir Glück haben, ist es uns möglich, nach der anderen Seite durchzubrechen.

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»Ich glaube nicht, daß Wachschiffe der Gyranter patrouillieren«, sagte Tyar. »Für alle Fälle können wir uns jedoch in dem Asteroidenring verbergen, der diese Seite des Nabels umkreist.« Inzwischen sprach er perfekt Interkosmo, und ich fragte mich, ob er auch anderes Wissen von mir übernommen hatte. Aber bevor ich ins Grübeln verfallen konnte, meldete sich Asgard erneut.

Du sollst erfahren, was ich inzwischen über den Planeten weiß. Men-Gards Geist, der sich nun mit mir vereint hat, wäre ohne Körper kaum in der Lage gewesen, länger als einige Tage zu überleben. Deshalb bemächtigte er sich eines der Vögel und fand dann schnell heraus, daß diese Welt etwas Besonderes aufzuweisen hat, beinahe so als sei sie selbst ein gigantisches Lebewesen – von ungeheurer Bösartigkeit erfüllt, denn Flora und Fauna und sogar ihre Umwelt liegen miteinander in ständigem Kampf. Dabei gehtes keineswegs um eine natürliche Nahrungskette, sondern viel eher ums nackte Überleben.

Wir haben es zu spüren bekommen, dachte ich irritiert.

Und alles wäre noch schlimmer gekommen, hätte Men-Gard in der Gestalt des Raubvogels nicht andere Tiere von uns ablenken können. Wieder stockte Asgard kurz. Als er dann fortfuhr, sagte er etwas, was mir zu denken gab: Erwähntest du nicht, daß Anti-ES zur Läuterung für zehn Relativeinheiten in die Namenlose Zone verbannt wurde? Vielleicht befinden sich der Planet und seine Sonne aus einem ähnlichen Grund hier.

Tyar steckte mir einen Konzentratriegel zu, den er aus einer Innentasche seiner Kombination hervorzog. »Du wirst hungrig sein«, sagte er. Der Riegel schmeckte nach gar nichts, aber er stillte Hunger und Durst fast augenblicklich.

Als ich mich fragte, wonach Asgard sich bei seinem Flug wohl orientierte, übermittelte er mir das Abbild eines silbrigen Gespinsts, das die Finsternis der Namenlosen Zone durchzog. Das Netz eines Grenzwächters. Tyar behauptete, daß er aufgrund der Stellung der Fäden zueinander erkennen konnte, in welcher Richtung sein Ziel lag.

Wenn es uns wirklich gelang, den Übergang zu finden und in den Einstein-Raum vorzudringen, wie weit würden Bars und Farynt von der heimatlichen Milchstraße entfernt sein – oder von einer der Galaxien, in denen sich Terraner aufhielten? Besaß ich überhaupt die Spur einer Chance, jemals wieder mit der Menschheit Verbindung aufzunehmen? Wenn ich mir die ungeheure Ausdehnung des Weltalls vor Augen führte, konnte die Suche nach der Milchstraße durchaus ähnlich werden wie die Suche nach der berühmt-berüchtigten Nadel im Heuhaufen. Vor uns erstreckt sich eine ungeheure Vielzahl von Trümmerstücken unterschiedlicher Größe, ließ Asgard wissen.

»Die Überreste des zerplatzten Planeten«, bestätigte Tyar. »Die Schwerkraft des Nabels war stark genug, sie an sich zu binden. Sei vorsichtig, Asgard, die Gyranter lassen auf keinen Fall mit sich spaßen.«

Wir näherten uns einem großen Asteroiden, der dem Zentrum des Trümmerrings sehr nahe lag.

Das nebelartige Wallen, das ich durch Asgards Sinne fast ebenso deutlich erkennen konnte wie mit

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eigenen Augen, war der einzige optische Hinweis auf etwas Besonderes in diesem auf wenige Lichtsekunden Durchmesser begrenzten Raumsektor.

Raumschiffe! unterbrach Asgard meine Gedankengänge. Fünf große Einheiten sind soeben materialisiert.

Ob sie uns entdeckt hatten?

Zum einen befanden wir uns noch innerhalb des Asteroidenrings und Asgard konnte durchaus für einen runden Felsbrocken gehalten werden, zum anderen war anzunehmen, daß die energetischen Wirbelfelder des Nabels die Ortungen der Schiffe zumindest auf gewisse Entfernungen beeinträchtigten. Trotzdem erschien es sicherer, wenn wir auf dem großen Asteroiden niedergingen und uns vorerst aufs Beobachten beschränkten. Der Nabel übt eine anziehende Wirkung aus, stellte Asgard fest. Ich könnte mich treiben lassen. Sicher streben hin und wieder auch Bruchstücke des Planeten dem Zentrum zu.

»Die Gefahr ist zu groß, daß die Gyranter solche Asteroiden für Schießübungen heranziehen«, wehrte ich ab. »Mir liegt nichts daran, als Materiewolke zu enden.«

Asgard landete auf dem großen Brocken, der immerhin eine Länge von gut 500 Kilometern besaß undfast ebenso tief war. Zu meiner Überraschung besaß der Asteroid eine ausreichende Schwerkraft, um sich zumindest eine dünne Atmosphäre zu erhalten. Sie war atembar, sonst hätte Asgard Tyar und mich nicht ins Freie hinausgelassen.

Die Raumschiffe der Gyranter waren inzwischen mit bloßem Auge als kleine, fahl leuchtende Kugeln auszumachen. Sie näherten sich. Nur die Tatsache, daß sie nach wie vor dicht beieinander flogen, verrietmir, daß sie uns noch nicht aufgespürt hatten. Oder sie waren sich ihrer Überlegenheit sehr sicher. »Ich weiß nicht, was sie vorhaben«, sagte Tyar, als könne er meine Gedanken lesen. »Aber kein Gyranter ist bisher in die Namenlose Zone eingedrungen, ohne daß Anti-ES ihn gerufen hätte.«

Ein raschelndes Geräusch ließ mich herumfahren. Obwohl die Finsternis nahezu undurchdringlich war, glaubte ich, eine flüchtige Bewegung erkennen zu können.

Zögernd machte ich einen Schritt vorwärts. Auch Tyar schien aufmerksam geworden zu sein, denn er schwieg plötzlich.

Das Rascheln wiederholte sich; gleich darauf erklang ein abgehacktes Zischen. Instinktiv nahm ich Abwehrhaltung ein. Unmittelbar vor mir zeigte sich ein fahles Fluoreszieren, die Umrisse eines weniger als einen Meter hohen Bäumchens nachzeichnend.

Ein Tier, eine Pflanze? Unter anderen Umständen hätte ich sicherlich versucht, mit diesem Geschöpf in Kontakt zu kommen. So aber mußte mein Augenmerk mehr den näher kommenden Raumschiffen gelten. Doch als ich mich umwandte, waren sie verschwunden. Sie sind weg, bestätigte Asgard. Vermutlich in den Asteroidenring eingeflogen. »Dann sollten wir die Gelegenheit nutzen«, rief Tyar. »Je eher ich nach

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Bars zurückkehre, desto besser.«

Ich nickte flüchtig, obwohl er die Geste kaum wahrnehmen konnte. Asgard öffnete sich wieder für uns.

Schade, dachte ich, als ich den fluoreszierenden Baum aus den Augen verlor. Ich nahm an, daß es sichum einen Überlebenden des durch den Nabel zerstörten Planeten handelte. Das Bruchstück, auf dem wir uns befanden, war groß genug, um ihm und vermutlich auch anderen seiner Art eine weitere Existenz zu ermöglichen. Da es weit und breit keine Sonne gab, mußte es sich schon vorher um eine Dunkelwelt gehandelt haben.

Asgard hielt auf den Nabel zu. Nach endlos lang erscheinenden Minuten ließen wir die letzten Asteroiden hinter uns und rasten den Wirbelfeldern entgegen. Die Raumschiffe der Gyranter blieben verschwunden.

Aus einem bestimmten Winkel heraus wurde ein fahles Leuchten erkennbar, das sich zunehmend ausdehnte. Schließlich entdeckte ich die ersten Sterne, die mir wie eine Verheißung erschienen. Tyar hatte also nicht gelogen.

»Dein Weg nach Hause ist weit, Atlan«, sagte der Mann neben mir unvermittelt. »Wir sollten uns zusammentun, damit einer dem anderen bei der Lösung seiner Probleme helfen kann.«

Erstaunt blickte ich ihn an. »Du erwartest Unmögliches von mir. Wenn es Anti-ES gelang, zwei Galaxien seiner Macht zu unterwerfen, können nur die Kosmokraten ihn noch daran hindern.«

»Sie werden auch diesmal nicht eingreifen.«

Im ersten Moment blickte ich Tyar fragend an, doch er war nicht minder überrascht als ich.

Mentales Gelächter brandete auf.

Zugleich meldete Asgard, daß die Schiffe der Gyranter uns einkreisten.

»Glaubt ihr wirklich, ich ließe euch entkommen? Du, Tyar, bist viel zu wertvoll, und was Atlan betrifft, nun, er wird wissen, was ich mit ihm vorhabe.«

»Anti-ES«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Du hast gut gespielt, Arkonide, das muß ich anerkennen, aber du hast verloren. Jeder, der gegen mich anzutreten versucht, wird verlieren.«

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Asgard, dachte ich. Haben wir eine Chance, den Schiffen zu entkommen?

Keine!

»Anti-ES will in erster Linie mich haben«, sagte Tyar. »Asgard, du mußt das ausnutzen und mit Atlan in den Nabel einfliegen.« Auf einmal wurde Tyar von wogenden Nebelschleiern eingehüllt. Meine Hände stießen ins Leere, als ich ihn zurückhalten wollte. Du kannst ihn nicht aufhalten, behauptete der Extrasinn. Er ist kein Wesen aus Fleisch und Blut, eher nur Geist oder intelligente Energie. Mag sein, daß auch ESund Anti-ES vor Äonen so wie er waren. Um Tyar festzuhalten, bedarf es mehr als Mauern oder einfacher Schutzschirme.

Ich begann zu ahnen, was dieses Wesen vorhatte.

Sekunden später lösten sich die ersten Asteroiden aus ihrer Kreisbahn und strebten mit enormen Beschleunigungswerten den Raumschiffen entgegen. Einige der Felsbrocken zerstäubten unter der Wirkung von Impulskanonen und anderen Waffensystemen, die größten aber kamen den Gyrantern bedrohlich nahe.

Ich spürte, daß Asgard beschleunigte. »Nicht zum Nabel hin!« rief ich intuitiv. »Wir bleiben in der Namenlosen Zone.« Eines der Raumschiffe kollidierte mit mehreren Asteroiden und explodierte trotz aktivierter Schutzschirme. Asgard bemühte sich, den Glutball der Explosion als Ortungsschutz auszunutzen.

Wenig später flammten Dutzende winziger Sonnen in diesem Sektor auf – doch war ihre Energie innerhalb von Sekunden aufgezehrt. Um den Nabel lag ein blaues, flirrendes Licht, in dem die Asteroiden vergingen. Zweifellos hätte auch Asgard und mich dieses Schicksal ereilt, wären wir Tyars Rat gefolgt. »Du kannst mir nicht entkommen!« dröhnte die »mentale« Stimme von Anti-ES auf. »Aber Tyar ist mir jetzt wichtiger. Genieße deine Freiheit, solange sie dir bleibt.« Wohin sollen wir uns wenden? fragte Asgard.

»Dorthin, wo wir in Sicherheit sind«, antwortete ich in einem Anflug von Galgenhumor.

*

Der temporäre Reinkarnationseffekt endete abrupt. Als Atlan, vom durchlebten Geschehen noch leicht benommen, die Augen aufschlug, blickte er geradewegs in Tyaris erstauntes Gesicht. Viele Fragen schienen sie zu bewegen.

»Ich werde die Geschichte zu Ende erzählen, an der Atlan nicht mehr teilhatte«, kam es von Wöbbeking-Nar’Bon. »Tyar, die Intelligenz von Bars, wurde noch am Rand des Nabels von Anti-ES und den Gyrantern gestellt und nach einem heftigen Kampf wieder in die Verzahnung mit Prezzar eingegliedert. Doch er nahm das Wissen um Atlan in die Gefangenschaft mit. Heimlich und mit letzter

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Kraft begann er, während er sich erfolgreich gegen Prezzars Ungestüm zur Wehr setzte, ein junges Mädchen aus einem arkonidenähnlichen, bislang unbedeutenden Volk von Bars in seinem Sinn zu formen. Dann legte Anti-ES’ Fessel wieder den Bann des Vergessens um Tyar.«

»Ich wurde demnach nicht aus lebloser Materie erschaffen wie Mjailam?« machte Tyari erstaunt.

»Du warst schon immer eine Frau«, bestätigte Wöbbeking. »Tyar hat lediglich deinen Körper zu einem Wachstum nach Atlans Schönheitsideal angeregt und prägte dir seinen Willen auf. Deshalb fehlt dir jede Erinnerung an Kindheit und Jugend, weil diese nur einen unkalkulierbaren Störfaktor bedeutet hätte. Deine einzige Aufgabe sollte es sein, Atlan zu suchen und dich dabei auch nicht mit deinen weiblichen Reizen zurückzuhalten, um Tyar und Bars zur Freiheit zu verhelfen.« Der Arkonide pfiff leise zwischen den Zähnen hindurch. »So ist das also«, stieß er hervor.

»Was willst du damit sagen?« fuhr Tyari auf.

Er musterte sie stumm. Sein Blick streifte ihr locker fallendes Haar, verharrte kurz auf den straffen Brüsten und wanderte dann zu ihrer Taille und den langen, schlanken Beinen weiter.

Mit zusammengepreßten Lippen hatte Tyari seine Reaktion beobachtet, nun machte sie ihrem Ärger Luft.

»Du glaubst also, daß ich dich nur deshalb liebe, weil Tyar es mir befohlen hat?« »Es wäre immerhin möglich, oder ...?« Einen spitzen Aufschrei ausstoßend, schlug Tyari zu. Atlan fing ihre Hand unmittelbar vor seinem Gesicht ab.

»Ich will die Wahrheit wissen!«

»Es ist die Wahrheit«, stieß Tyari hervor. »Wie kann man nur so kurzsichtig und egoistisch sein, wie du. Ich liebe dich wirklich, nicht weil ...«

»Dann beweise es mir.« Ein Lächeln huschte über Atlans Züge als er sie, immer fest in seinem Griff zu sich heranzog. Tyaris Mund verharrte dicht vor dem seinen.

»Du mißtraust mir?«

»Eher den Gefühlen, die du für mich aufbringst.« Seine Zweifel blieben in jeder Hinsicht.

»Ich lasse mich nicht verkaufen – weder von dir, noch von Tyar, noch von sonst wem.« Mit einer ruckartigen Bewegung löste sie sich aus seinem Griff.

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2.

Die Gewißheit, daß sie ihre Existenz keinesfalls einem bloßen Willensakt verdankte, machte Tyari vieles leichter. Und wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, verstand sie Atlans Reaktion. Der Arkonide mußte in der Tat Angst davor haben, von fremden Mächten ausgenutzt zu werden. Immerhin ging es dabei nicht nur um ihn, sondern das mächtige Fernraumschiff SOL mit seiner gesamten Besatzung wurde in die Geschehnisse mit hineingezogen.

Atlan räusperte sich verhalten. Er hatte sich erhoben und eine ruhelose Wanderung durch seine Kabine begonnen. Tyari beobachtete ihn angespannt. Schließlich blieb er stehen und starrte eines der Bilder von der Erde an. »Wöbbeking«, sagte er mit leiser, vibrierender Stimme. »Asgard war damals so etwas wie mein Freund, zumindest ein wertvoller Helfer. Zuletzt gehörte er zum Arsenal und stand damit gegen mich. Ich weiß, daß er selbst lichtjahreweite Entfernungen innerhalb kürzester Zeit zurückzulegen vermag – doch wie gelangte er von Xiinx-Markant nach Bars-2-Bars? Hatte Anti-ES schon zu jenem Zeitpunkt damit begonnen, seinen Plan auszuspielen?«

»Du irrst, Atlan, wenn du glaubst, alles unserem Gegner in die Schuhe schieben zu müssen. Ich war es, der Asgard zusammen mit Kik und Sanny nach Bars-2-Bars versetzte, weil ich es als nötig erachtete, dir durch die Paramathematikerin Unterstützung zukommen zu lassen, und weil ich selbst nicht direkt in Erscheinung treten wollte. Anti-ES’ Angriff, als er mich durch das im Zentrum von Xiinx-Markant entstandene Schwarze Loch zu sich holen wollte, hatte mich vorsichtig gemacht.

Zum anderen überkam mich gerade zu jenem Zeitpunkt wieder die Erinnerung an Chybrains Tod. Und das Verschwinden der SOL in dem Giganttransmitter erzeugte in mir ein Gefühl, als sei Chybrain in diesem Moment zum zweitenmal gestorben.«

»Wahrscheinlich war es die Verbundenheit zwischen uns, die dich so fühlen ließ«, vermutete Atlan.

»Ich bin schließlich doch selbst nach Bars2-Bars gekommen, weil hier etwas ist, was mich anzieht«, sagte Wöbbeking. »Noch kann ich nicht definieren, ob es sich um eine Gefahr handelt, aber ich werde es herausfinden.«

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3.

»Es ist eine Gefahr«, sagte Tyari nach längerem Schweigen.

Atlan wandte sich zu ihr um. »Weißt du mehr darüber?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Was sollte es sonst sein?« stellte sie die Gegenfrage. Der Arkonide schluckte krampfhaft. »Wenn ich ehrlich sein soll, mir brennt die Frage auf den Lippen, wie unsere Auseinandersetzung mit Anti-ES enden wird.« Tyari erschrak sichtlich.

»Darauf wird dir niemand eine Antwort geben können – selbst Wöbbeking nicht. Die Frage wäre sinnlos vertan.«

Atlan warf ihr einen forschenden Blick zu. »Alles, was sich in der Vergangenheit ereignete, wirft seine Schatten bis in die Gegenwart. Wenn ich daran denke, daß ich infolge meiner Gedächtnislöschung durch die Kosmokraten vieles nicht mehr wußte, was uns hätte weiterhelfen können, sei es bei der Konfrontation mit den Manifesten oder überhaupt die Existenz der kosmischen Nabel, so muß ich mich unwillkürlich fragen, was damals in der Namenlosen Zone noch geschah.« Er zögerte, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Mir wird immer deutlicher bewußt, wie sehr alle Ereignisse miteinander verknüpft sind. Als würde jemand im Hintergrund die Fäden ziehen – und die Marionetten, die an diesen Fäden hängen, sind wir, Tyari. Du und ich, die SOL, vielleicht sogar Anti-ES ...« »Du spinnst«, entfuhr es der Frau. »Wer sollte jener ›Puppenspieler‹ sein, der uns im Griff hat?«

»Die Kosmokraten! Sie wären dazu in der Lage.«

Tyari seufzte.

»Du weißt nichts von ihnen, Atlan. Das hast du selbst zugegeben. Wenn du schon glaubst, als Puppe mißbraucht zu werden, weshalb versuchst du nicht, dich von den Fäden zu lösen?«

»Und wie? Kannst du mir sagen, welchen Schritt ich tun muß, um wirklich das Spiel so fortzuführen, wie ich es für richtig halte?« Tyari erkannte, daß sie nahe daran waren, sich im Kreis zu drehen, ohne Ergebnisse zu erzielen. Ein Zustand, der keineswegs zufriedenstellen konnte, der eher alles bisher Erreichte fraglich erscheinen ließ. »Wöbbeking«, rief Atlan. »Welche Ereignisse in der Namenlosen Zone, die ich vergessen habe, spielen in die Gegenwart herein oder sind irgendwie mit ihr verbunden?« Unwillkürlich mußte er an das Nymo-Tay denken, mit dessen Hilfe er zu Sanny, Kik und den anderen Gefangenen im Prezzar-Mydonium gefunden hatte. Kik behauptete seinerzeit, das Nymo-Tay von Atlan in der Namenlosen Zone erhalten zu haben. Der Arkonide hatte plötzlich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ohne daß Wöbbeking sich meldete, machte sich der temporäre Reinkarnationseffekt wieder bemerkbar.

Sekundenbruchteile später schlug die Vergangenheit über Atlan zusammen. Wie eine Woge, die alles

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andere auslöscht.

*

Asgards mentaler Aufschrei weckte mich aus ohnehin nur oberflächlichem Schlaf. Ich wußte nicht, was geschehen war, mir blieb auch keine Zeit, um Fragen zu stellen. Unvermittelt einsetzende Andruckkräfte preßten mich tief in die weiche Körpermasse des organischen Raumschiffs. Ich bekam kaum noch Luft, mein Rücken begann zu schmerzen, weil ich mich aus der unnatürlichen verkrampften Haltung nicht befreien konnte. Mindestens sieben oder acht Gravos schlugen durch.

Ein rasender Wirbel schien uns erfaßt zu haben und mit sich zu reißen.

Asgard schrie noch immer. Bruchstücke seiner Gedanken verrieten mir, daß auch er nicht wußte, was geschah. Es gab nichts, woran er sich hätte orientieren können. Und dann, schlagartig war alles anders. Zweifellos befanden wir uns auf der Oberfläche eines Planeten. Fahles grünes Licht umgab uns.

Instinktiv versuchte Asgard an Höhe zu gewinnen. Es blieb bei dem Versuch. Fesselfelder hielten ihn am Boden fest.

Demnach befanden wir uns in der Gewalt intelligenter Wesen. Aber mit Intelligenzen ließ sich reden, zumindest verhandeln. ... glaubst du, schränkte mein Extrasinn sofort ein.

Ich verzichtete auf eine Antwort, weil dies eines der Themen war, über die man stundenlang diskutieren konnte, ohne zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen. Die Fremden, wer immer sie sein mochten, verfügten über hervorragende technische Kenntnisse. Daß es ihnen gelungen war, uns aus dem freien Weltraum auf ihren Planeten zu holen, setzte eine Art Fiktivtransmitter voraus, wie es ihn in der Anfangszeit des Solaren Imperiums gegeben hatte.

Die Atmosphäre ist für dich atembar, teilte Asgard mir mit. Deinem Organismus abträgliche Beimengungen kann ich nicht feststellen. Eigentlich war ich froh, den Hohlraum in seinem Innern endlich wieder verlassen zu können. Aber das Grün, das mich umfing, weckte Unbehagen. Die Sicht reichte kaum weiter als einige Meter. Der Boden wirkte wie Metallplastik, strahlte jedoch eine Kälte aus, die mich frösteln ließ.

Im Gegensatz zu Asgard konnte ich mich frei bewegen. Indes stieß ich gleich darauf gegen ein unsichtbares Hindernis, das mir Widerstand entgegensetzte. Eine Energiekuppel, deren Durchmesser annähernd 30 Meter betrug. Die Höhe konnte ich nur schätzen und nahm sie deshalb mit demselben Wert an. Im Grunde genommen war nur die Erkenntnis wichtig, daß Asgard und ich uns als Gefangene zu betrachten hatten. Von wem, die Frage blieb vorerst unbeantwortet.

Geduld, Atlan, sollte schon lange deine Stärke sein, bemerkte mein zweites Ich spöttisch.

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Das grüne Leuchten veränderte sich, wurde erst blau, dann gelb und schließlich weiß, wobei der Farbwechsel jeweils an der Basis der Kuppel begann und sich schlierenförmig in die Höhe ausbreitete. Sekunden später brach das Energiefeld zusammen.

Bewaffnete hatten uns eingekreist. Obwohl sie nur entfernt menschenähnlich waren, glaubte ich, ihre Mimik recht gut deuten zu können. Sie würden beim geringsten Anzeichen von Gegenwehr sofort schießen. Wir befanden uns in der Randzone einer ausgedehnten Stadt. Die dicht gedrängt stehenden Bauten besaßen Wabenformen, wobei jeweils zehn von ihnen eine Einheit bildeten, die sich als leicht geöffnete Spirale darstellte. Keines der Gebäude einer solchen Spirale besaß dieselbe Höhe wie ein anderes, und sie waren stufenförmig ansteigend hintereinander angeordnet.

»Mitkommen!« wurde ich angeherrscht und reagierte im ersten Moment überrascht, weil ich nicht erwartet hatte, die Bewaffneten zu verstehen. Aber zusätzlich zum gesprochenen Wort hatte ich einen telepathischen Befehl erhalten.

Ich beschloß, die Fremden deshalb »Zweisprecher« zu nennen.

Keiner von ihnen war kleiner als zwei Meter. Trotz ihrer Größe wirkten sie keineswegs hager. Das Auffallendste an ihnen war zweifellos das rudimentäre zweite Armpaar, das unmittelbar über dem Hüftknochen etwa dreißig Zentimeter lang hervorstand und in zwei ebenfalls verkümmerte Greiffinger auslief. Ihre Kopfform war menschlich, nur wiesen die Schädel keinerlei Behaarung auf, und die Nase war lediglich andeutungsweise als leichte Erhebung vorhanden. Doch dafür besaßen die Zweisprecher vier Augen, von denen zwei ganz normal angeordnet waren, die beiden anderen aber die Stelle der Brauen einnahmen. Die Pupillen der übereinanderliegenden Augen schienen jeweils miteinander zu verschmelzen.

»Was wollt ihr von mir?« fragte ich, als die Zweisprecher mich zu einem Prallkissengleiter führten. Auf meine Frage reagierten sie mit eisiger Zurückhaltung.

Unsanft wurde ich ins Innere des Fahrzeugs gestoßen, dann glitt die Tür hinter mir zu und ich war allein und von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen. Vergeblich wartete ich darauf, daß das Gefährt starten und mich irgendwohin bringen würde, wo andere Zweisprecher bereits auf mich warteten. Oder Anti-ES?

Ich verwarf den Gedanken sofort wieder, denn die Anwesenheit der Superintelligenz würde mir kaum verborgen bleiben. Nacktes, fugenloses Metall umgab mich. Ich begann, die Wände abzuklopfen, doch der Klang war immer derselbe, als existierte dahinter nicht der kleinste Hohlraum. Fünf Minuten waren vergangen, als sich das Schott wieder öffnete. Ein schmaler, schnurgerader Gang schloß sich an, dessen jenseitiges Ende im Dunst verborgen blieb. Zweifellos waren Energieschirme für diesen optischen Effekt verantwortlich. Also hatte der Gleiter sich bewegt, ohne daß ich auch nur die geringste Erschütterung wahrgenommen hatte.

Die Zweisprecher erwarteten von mir, daß ich den Gleiter verließ. Flüchtig spielte ich mit dem Gedanken,

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mich hartnäckig zu zeigen, doch das wäre einer möglichen Verständigung zwischen ihnen und mir kaum förderlich gewesen.

Ich durfte mich immer mehr als Gefangener fühlen. Meine Schritte erzeugten nicht das leiseste Geräusch. Das Licht, das gleichmäßig von der Decke, den Wänden und sogar vom Boden ausstrahlte, ließ mich frösteln. Wenn ich die Hände hob und sie ansah, glaubte ich, ein eigenartiges Flimmern zu sehen, das mich unwillkürlich an die leuchtende Aura der Kirlianfotografie erinnerte.

Hast du eine Erklärung dafür? fragte ich meinen Extrasinn.

Unwillkürlich war ich stehengeblieben. Jetzt verspürte ich eine rasche Folge schmerzhafter Schläge gegen meinen Körper. Kleine Lichtexplosionen erfüllten den Gang. Nur Augenblicke später schien sich das Leuchten um mich her zu verdichten, und ich hatte das Gefühl, regelrecht vorwärtsgerissen zu werden. Ich wollte abwarten, was weiter geschah, aber meine Beine machten sich selbständig. Sie unterlagen plötzlich nicht mehr der Steuerung durch das zentrale Nervensystem, sondern gehorchten irgendeinem anderen Befehl. Die Tatsache, daß ich trotz meiner Mentalstabilisierung fremdem Zwang ausgesetzt war, erfüllte mich mit Unbehagen.

Das ist weder Hypnose noch etwas Vergleichbares. Immerhin triffst du völlig unbeeinflußt deine Feststellungen.

Mein Unbehagen wuchs von Minute zu Minute, je länger die Zweisprecher mir ihre Macht bewiesen.

Zu beiden Seiten des Ganges zweigten Räumlichkeiten ab – kleine, kaum wenige Quadratmeter messende Kammern, die mich unwillkürlich an Gefängniszellen erinnerten. Nur daß die Wände nicht materiell waren, sondern von Energieschirmen gebildet wurden. Ein Zweisprecher kauerte im hintersten Winkel einer solchen Zelle. Er wirkte apathisch und war ohnehin nur noch ein Zerrbild seiner selbst, bis auf die Knochen abgemagert und wohl nicht mehr in der Lage, sich auf den Beinen zu halten.

Einige Meter weiter öffnete sich eine Kammer. Sie war leer, wie ich flüchtig feststellte.

Ich zögerte. Doch da war wieder dieses Prickeln in den Beinen, das mir meine eigene Hilflosigkeit verriet. Ich wollte es nicht, aber ich schritt auf die Zelle zu.

Hinter mir schloß sich der Energievorhang.

*

Mit überkreuzten Beinen saß ich auf dem kalten Boden, hatte den Kopf in die Hände und die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt und harrte der Dinge, die da kommen würden. Einige Stunden waren vergangen, in denen ich vergeblich nach einem Ausweg gesucht hatte. Die Wände, eine feste Form von

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Energie, verwehrten mir jeden Blick nach außen. Sie waren hart und glatt wie Stahl. Meine Gedanken beschäftigten sich mit der Struktur der Namenlosen Zone, die längst nicht so leer zu sein schien, wie ich dies bislang geglaubt hatte. Entweder waren Asgard und ich in eine von allem bisherigen Geschehen weit entfernte Region verschlagen worden, oder der Schein der zweifellos vorhandenen Sonnen reichte nie weiter als einige Lichtstunden. Andernfalls hätte sich dem Beobachter zumindest ein spärlicher Sternenhimmel darbieten müssen.

Was hatten die Zweisprecher mit mir vor – was war aus Asgard geworden? Je mehr Zeit verging, desto weniger glaubte ich an die Möglichkeit einer friedlichen Verständigung. Die absolute Stille schien Teile einer psychischen Folter zu sein.

Mit geschlossenen Augen versank ich allmählich in eine Art Trance, die mich Raum und Zeit vergessen ließ. Stunden konnten so zu einem Bruchteil von Sekunden zusammenschrumpfen. Eine wohltuende Ruhe durchströmte mich, begleitet von einer sich bis in die engsten Kapillaren ausdehnenden Wärme. Irgendwann – ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren – schreckte ich auf. Zweisprecher standen mit angeschlagenen Waffen vor mir. Der Extrasinn behauptete, daß höchstens zwei Stunden vergangen waren. Das bedeutete, daß die Fremden sehr schnell des bloßen Beobachtens überdrüssig geworden waren. Ich wurde zu einem Antigravschacht geführt und hineingestoßen. Gerichtete Schwerefelder ließen mir keine Gelegenheit zur Flucht. Als ich nach schätzungsweise hundert Metern Höhenunterschied in einen lichtüberfluteten Korridor kam und die Zugfelder erloschen, nahmen mich erneut Bewaffnete in Empfang.

Ich befand mich in einem der höchsten wabenförmigen Gebäude. Alles machte einen sterilen Eindruck, und als ich schließlich in einen mit fremdartigen Instrumenten angefüllten Saal gebracht wurde, wußte ich mit letzter Konsequenz, was mich hier erwartete. Abrupt blieb ich stehen und mißachtete selbst den Lauf des Strahlenkarabiners, der sich mir in den Rücken bohrte. Der Mann würde nicht schießen – noch nicht.

Einige Zweisprecher – Ärzte oder Wissenschaftler? – starrten mich herausfordernd an. Ihre Blicke waren kalt und berechnend. »Warum können wir nicht miteinander reden?«

»Alles, was von draußen kommt, bringt Unheil«, stieß einer der Männer hervor, die mich bewachten. »Wir wollen endlich herausfinden, warum das so ist.«

Mit »draußen« meinte er sicherlich die Namenlose Zone. Wer so redete, mußte einige schlechte Erfahrungen gemacht haben. Sei vorsichtig mit deinen Folgerungen, warnte mein zweites Ich. Es kann sich ebensogut anders verhalten. Die Zweisprecher hätten Asgard und dich nicht auf ihre Welt geholt, wenn sie sich fürchteten. »Auch ich habe draußen Feinde«, sagte ich, ohne eine Reaktion zu erzielen.

»Macht alles bereit«, befahl einer der Ärzte. Ich reagierte, ohne zu überlegen. Auf dem Absatz schnellte ich herum und setzte zum Dagor-Griff an, der einen meiner Bewacher einknicken ließ, ehe er überhaupt begreifen konnte, was mit ihm geschah. Aber die beiden anderen waren schnell. Der Hitze des Strahlschusses entging ich nur durch eine blitzartige Drehung zur Seite. Ich riß den Mann mit mir zu Boden, der geschossen hatte. Der andere legte zwar auf mich an, wagte aber nicht abzudrücken, aus

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Furcht, er könne seinen Kameraden treffen. Ineinander verkrallt, wälzten wir uns herum, bis ich eine Hand freibekam und zupackte. Besinnungslos sackte der Zweisprecher in meinem Griff zusammen. Zugleich verspürte ich ein eigenartiges Prickeln. Da war die Kirlian-Aura wieder. Sie umschloß meine Arme und breitete sich über den gesamten Oberkörper aus. Ich wollte schreien, doch die Stimme versagte mir den Dienst. Als sei ich nicht mehr Herr über mich selbst, schritt ich auf die gepolsterte runde Liege in der Mitte des Raumes zu, über der starke Scheinwerferbatterien angeordnet waren. Ich wollte es nicht, aber ich konnte nicht anders. Kein einziger Muskel gehorchte noch meinen Befehlen. Selbst die Erkenntnis, daß diese Liege sämtliche technischen Einrichtungen eines Seziertisches barg, hinderte mich nicht daran. Ich setzte mich auf ihren Rand und ließ mich zurücksinken. Die Zweisprecher entblößten meinen Oberkörper und brachten mich in die richtige Lage; aber erst als magnetische Klammern um meine Gelenke zuschnappten, fiel der fremde Wille von mir ab wie ein böser Traum, aus dem man erwacht und erkennt, daß in Wirklichkeit alles anders ist.

Doch nichts war anders. Interessierte Gesichter beugten sich über mich und musterten mich, knochige Hände tasteten mich ab. »Woher mag er kommen?« hörte ich fragen. »Er ist anders als jene, die wir bisher gefangen haben.«

»Wir werden es herausfinden. Sobald wir anfangen, achtet auf die Aktionsströme seiner Großhirnrinde.«

»Wir sollten sein Gehirn sofort absondern. Die Nährlösung ist bereit, ebenso sämtliche Aufzeichnungsapparaturen. Seine Erinnerungen werden uns Aufschluß geben.« Einer der Ärzte winkte heftig ab. »Ohne das Gehirn können wir die Funktionen des Körpers nur unzureichend überprüfen. Ich muß darauf dringen, daß zuerst alle zweitrangigen Messungen ausgeführt werden.« Obwohl ich weder in der Lage war, mich zu bewegen, noch mich zu artikulieren, war ich hellwach. Die Zweisprecher, die mich umstanden, blieben für mich mehr oder weniger diffuse Schatten, denn das Licht der Scheinwerfer über dem Seziertisch blendete. Leise summend senkte sich ein viereckiger Kasten auf mich herab. Ich fühlte ein eigenartiges Prickeln, als würde mein Blutkreislauf jeweils dort unterbrochen, wo der Kasten schwebte. Vermutlich entstand auf diese Weise ein exaktes Computerbild meines Adernsystems.

»Er ähnelt den Gyrantern«, vernahm ich. »Ob er ebenfalls aus dem Alten Raum kommt?«

»Dann ist die Frage, ob er wie unser Volk auch verbannt wurde.«

Sie meinen den Einstein-Raum, wisperte der Extrasinn.

Still! fuhr ich ihn an. Ich wollte hören, was die Zweisprecher zu sagen hatten. Aber sie schwiegen jetzt.

Ein Laserskalpell flammte auf. Zumindest würde ich kaum Schmerzen empfinden, wenn der mikroskopisch fein gebündelte Lichtstrahl in mich eindrang.

»... ich muß darauf dringen, daß zuerst alle zweitrangigen Messungen ausgeführt werden.«

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Das Skalpell verharrte eine Handbreit über meiner Bauchdecke.

»Er ähnelt den Gyrantern«, sagte der Arzt, der rechts von mir stand und das Operationsbesteck führte. »Ob er ebenfalls aus dem Alten Raum kommt?«

Wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte ich verwirrt den Kopf geschüttelt. So überschlugen sich meine Gedanken. Genau dieselben Worte, die der Zweisprecher gebrauchte, hatte ich schon vor wenigen Augenblicken gehört.

»Dann ist die Frage, ob er wie unser Volk auch verbannt wurde«, erwiderte ein anderer, den ich nicht sehen konnte, da er hinter mir stand.

Ich begann an meinem Verstand zu zweifeln. War ich nahe daran, mich in geistige Umnachtung zu flüchten, weil ich keinen anderen Ausweg mehr sah? Blödsinn. Ich war nicht so labil, daß mich eine solche Belastung umkippen ließ. Etwas anderes mußte dahinterstecken.

Die Szenerie schien in gewisser Weise eingefroren. Der Arzt schob das Skalpell einen halben Meter von mir weg, dann zog er es langsam wieder näher heran.

»... daß zuerst alle zweitrangigen Messungen ausgeführt werden.«

Das war Wahnsinn.

»Er ähnelt den Gyrantern ...«

Wie eine altertümliche Schallplatte, bei der die Tonabnehmernadel infolge eines Kratzers immer wieder in dieselbe Rille zurückspringt. Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte ich ein seltsames Flimmern. Eine doppelt faustgroße Kugel schwebte heran und verharrte einen Meter über mir. Sie war halbtransparent und von grauer Farbe. In ihrem Innern pulsierte es, als lebte sie.

Die Zweisprecher schienen dieses Ding zwar ebenfalls wahrzunehmen, trafen jedoch keinerlei Anstalten, es zu vertreiben, als es langsam zwischen ihnen hindurchglitt. Die Lähmung fiel allmählich von mir ab. Schon war ich in der Lage, den Kopf zu bewegen. Ich sah mindestens acht Kugeln innerhalb des Saales – genausoviel wie Zweisprecher anwesend waren.

»... Messungen ausgeführt werden.« Ich hörte immer wieder dasselbe, nur jedesmal ein Stück kürzer. Wie ein allmähliches Echo.

Lediglich die Magnetfesseln hielten mich noch auf dem Seziertisch fest.

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»Warum befreit ihr mich nicht ganz?« rief ich. Die Kugeln glitten heran und verharrten vor mir. Sie waren völlig glatt, nur eben durchscheinend; ich konnte weder Sinnesorgane noch Extremitäten entdecken. Dünne rote und grüne Fäden bewegten sich in vielfachen Verschlingungen in ihrem Innern. »Die Khyrr-Bay-Yah sind nicht in der Lage, materielle Dinge zu bewegen, nicht wahr«, erklang es hinter mir.

Die Stimme und die Redewendung waren mir so vertraut, daß ich unwillkürlich einen leichten Freudenschauer verspürte. Aber ich mußte mich täuschen. Kik, der liebenswerte kleine Seestern, war gestorben, als die Arltra-Ranger versucht hatten, die Quelle der Jenseitsmaterie auf der Basis des Ersten Zählers in ihre Gewalt zu bringen. Vergeblich zerrte ich an meinen Fesseln.

»Du brauchst mich, Atlan, nicht wahr. Wer sonst sollte dir beistehen.«

»Kik!« rief ich aus. »Bist du es wirklich?« »Ich bin mein Geist, nicht wahr?« Er kicherte. »Aber halte endlich still. Wie soll ich dich sonst befreien?«

An den Schaltkontrollen des Seziertisches stand tatsächlich ein knapp einen Meter großer fünfbeiniger Seestern. Sein Kopf schien fast nur aus roten Haaren und einem großen Augenpaar zu bestehen.

Kik bemerkte, daß ich ihn anstarrte. »Jetzt glaubst du es, nicht wahr«, stieß er hastig hervor. »Raffe dich endlich auf; wir müssen uns beeilen. Die Khyrr-Bay-Yah«, er deutete mit zwei seiner Extremitäten auf die schwebenden Kugeln, »können die Telepathie-Reflexion nur einmal anwenden. Sobald das Echo verklungen ist, werden deine Gegner Jagd auf uns machen.«

Ich streifte meine Kombination über und entriß einem der Zweisprecher die Strahlenwaffe.

Hinter uns schlug das Schott zu. Im Laufen feuerte ich auf den Rahmen, obwohl das eventuelle Verfolger kaum aufhalten würde. Mir blieb keine Zeit, um das Schott dauerhaft zu verschweißen.

Die Khyrr-Bay-Yah, wie Kik die Kugeln nannte, deren Innenleben mich an Jenseitsmaterie erinnerte, schwebten vor uns her. Kik sprang in den nächstbesten Antigravschacht, ohne sich vorher zu vergewissern, ob dieser tatsächlich aktiviert war. Wir glitten mit ziemlicher Geschwindigkeit in die Tiefe. Ein Wachtposten riß seine Waffe hoch, als er mich bemerkte. »Stehenbleiben!« rief er. Die Khyrr-Bay-Yah waren schneller. Der Posten senkte den Strahler wieder. Im nächsten Moment brachte er die Waffe erneut in Anschlag.

»Stehenbleiben!«

Ich hörte seinen Ruf noch, obwohl Kik und ich gerade im Begriff waren, das Gebäude zu verlassen.

Der schwarze Nachthimmel über der Stadt zeigte sich sternenlos. Nur die fahle Sichel eines winzigen Mondes stand einsam gegen die Düsternis. Dennoch herrschte ausreichende Helligkeit. Sie ging von den

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Gebäuden selbst aus, die wie fensterlose Lichtsäulen in den Himmel ragten.

Flüchtig sah ich mich um. Die Kugeln waren verschwunden. Mehrere Gleiter parkten unmittelbar an der äußeren Begrenzung des spiralförmigen Innenhofs. Kik öffnete einen von ihnen und winkte mir, einzusteigen. »Wir müssen fort, nicht wahr.«

*

Fast war er mir unheimlich, wie er im Pilotensitz des Gleiters saß und mit seinen fünf Armen die Kontrollen bediente, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan. Dicht über dem Boden glitt das Fahrzeug mit rasch ansteigender Geschwindigkeit dahin. Kik versuchte mit bewundernswerter Geschicklichkeit, außerhalb des Erfassungsbereichs eventueller Ortungsstationen zu bleiben. Ich saß neben ihm und ließ ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Belustigt blinzelte er mir zu.

»Du bist verwirrt, Atlan, nicht wahr?« Ich sagte nichts, sondern schürzte nur die Lippen und versuchte weiterhin, irgend etwas Auffälliges an ihm zu entdecken. Kik – zumindest der Kik, den ich von der Basis des Ersten Zählers her kannte – war tot. Aber wer war dann jenes Wesen neben mir?

»Du zweifelst, nicht wahr?« Flüchtig wandte er sich mir zu. »Habe ich dir nicht immer geholfen?«

Wir ließen die Stadt hinter uns, ohne verfolgt zu werden. Weit vor dem Gleiter, inmitten der lichtlosen Dunkelheit der Nacht, gewahrte ich ein fahles Farbenspiel – als hätte jemand eine Palette von Farben in einem Glas zusammengeschüttet, um sie kräftig zu vermischen. Oder wie bunte Nebelschwaden, die dicht über die Oberfläche des Planeten dahintrieben und sich dabei stetig veränderten. Was immer es sein mochte, Kik hielt genau darauf zu.

»Kik hat viele Leben, nicht wahr«, sagte der Seestern unvermittelt.

»Wie hast du mich gefunden?« fragte ich. Aufgebracht begann er, mit zwei seiner Extremitäten in der Luft herumzufuchteln. »Die Hohen Mächte wollen dich nicht verlieren, nicht wahr.«

»Die Kosmokraten?«

Kik stieß ein leises Kichern aus. »Das hast du gesagt, nicht wahr, nicht Kik.« »Aber du hast es so gemeint. Oder?« Manchmal wußte ich selbst nicht, was ich denken sollte. Die Kosmokraten hatten Anti-ES für zehn Relativ-Einheiten zur Läuterung in die Namenlose Zone verbannt. Zehn Einheiten, von denen die erste noch längst nicht vorüber war. Wenn Anti-ES also seine Einstellung nicht grundlegend änderte, würde schon die erste Einheit niemals enden. Die Superintelligenz setzte jedoch alles daran, um ihre Freiheit wiederzuerlangen – auf eine Art und Weise, die ganz ihrer Mentalität entsprach. Aber weshalb griffen die Kosmokraten nicht ein? Billigten sie das Verhalten ihres Gefangenen? Welchen Sinn sollte dann die Verbannung haben?

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Jäh schreckte ich auf, als eine gleißende Strahlbahn an der Gleiterkanzel vorbeizuckte und unter uns den Boden aufwühlte. Kik zog die Maschine in einer steilen Kurve hoch und entging so einem zweiten, besser gezielten Thermoschuß.

Erst jetzt bemerkte ich den Gleiter, der schräg von oben auf uns herabstieß. Kik leitete mehrere gewagte Flugmanöver ein. Unter diesen Umständen konnte der Verfolger höchstens einen Zufallstreffer anbringen. Allerdings begann ich mich zu fragen, wie lange der Seestern diese Anspannung durchhalten würde.

»Wir können ihn nicht abschütteln«, rief ich. »Versuche so zu fliegen, daß ich zum Schuß komme.«

»Kik braucht keine Waffe, nicht wahr. Kik ist so gut.«

Ich unterdrückte ein Stöhnen.

Warum vertraust du ihm nicht einfach, schlug der Extrasinn vor.

Kik hielt weiter auf den farbigen Nebel zu. Inzwischen konnte ich erkennen, daß der fahle Widerschein von eigenartigen Bodenformationen ausstrahlte. Das Gelände vor uns wirkte wie ein erstarrter sturmgepeitschter Ozean, aber es waren weder Sanddünen noch Erdwälle, die sich da schroff aufwölbten. Der Boden erschien kristallin.

Der Gleiter glitt tiefer, schwebte über die ersten Ausläufer der Kristalle hinweg. Plötzlich stiegen Dutzende der kleinen Kugeln auf. Einige von ihnen zerplatzten wie Seifenblasen, als sie von einem Thermostrahl getroffen wurden, und ich glaubte, einen empörten Aufschrei wahrzunehmen, dann hatten die Khyrr-Bay-Yah die uns verfolgende Maschine erreicht. Von da an geschah nichts mehr. Ich konnte die Gesichter der beiden Piloten erkennen, als ihr Gleiter schnurgerade an uns vorbeizog. Sie wirkten verschlossen und in sich gekehrt – sie sahen mich, aber sie waren handlungsunfähig.

»Telepathie-Reflexion«, erklärte Kik. »Die Khyrr-Bay-Yah sind in der Lage, die Gedanken jedes Wesens auf dieses selbst zurückzuspiegeln. Bis zu zehnmal kannst du eine Situation immer wieder durchleben und bist währenddessen so gut wie hilflos.

Khyrr-Bay-Yah und Zweisprecher machen sich die Herrschaft über diese Welt streitig, die vor langer Zeit allein den Erbauern der Städte gehörte. Aber dann fielen Sporen aus der Namenlosen Zone auf die Oberfläche des Planeten herab und wuchsen zu den kristallinen Gebilden, aus denen sich die Khyrr-Bay-Yah absondern.«

Er hatte auf sein geliebtes »nicht wahr« verzichtet. Für mich war das wieder einmal ein Zeichen, daß er auch anders konnte. Was steckte wirklich hinter der Fassade des liebenswerten Seesterns?

»Woher weißt du das?« fragte ich. »Ich weiß es eben, nicht wahr?« Mir war, als würde er

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herausfordernd grinsen. Am Horizont entstand der sich rasch ausdehnende Glutball einer Explosion und entriß vorübergehend die Silhouette eines weitläufigen Gebirgszugs der Finsternis. Der Gleiter, der uns verfolgt hatte, war an einem der Berge zerschellt.

*

»Übrigens«, sagte Kik, während wir zwischen beinahe haushohen Kristallsäulen landeten, »da ist ein Freund von dir, der auf dich wartet.«

»Ein Freund?« machte ich überrascht. Er nickte eifrig, nahm mich bei der Hand und zog mich einfach hinter sich her. Eine eigenartige Aura ging von den Kristallen aus, doch hätte ich nicht behaupten können, daß sie mir unangenehm gewesen wäre. Sie war nur gänzlich fremdartig. Ich sah, wie sich aus einer der Säulen die Wölbung einer Kugel herausschob. Die Geburt des Khyrr-Bay-Yah interessierte mich, aber Kik zerrte mich einfach weiter mit sich.

Wahrscheinlich basiert ihre Existenz auf der kristallinen Struktur des Kohlenstoffs, teilte mir der Extrasinn mit.

Du meinst, es handelt sich um lebende Diamanten?

Nicht unbedingt. Sieh dich um! Oder hast du die winzigen grünen und rötlichen Einschlüsse nicht bemerkt? Ich behaupte, daß es sich um Spuren von Jenseitsmaterie handelt, die mit den Kohlenstoffatomen eine enge Bindung eingegangen ist.

Das würde bedeuten, daß die Khyrr-Bay-Yah irgendwann Kontakt zur Lichtquelle hatten.

... oder die Vulnurer ihnen die Jenseitsmaterie überlassen haben. Es gibt hundert verschiedene Möglichkeiten.

In dem Moment, in dem die Kristallsäulen mir nicht mehr die Sicht versperrten, blieb ich unwillkürlich stehen. »Asgard«, stieß ich hervor. Keine zehn Meter entfernt ruhte das organische Raumschiff auf mehreren dem unebenen Gelände angepaßten Auswüchsen. Kik ließ sich auf den Boden sinken und klatschte seine fünf Arme über dem Kopf zusammen. Offensichtlich freute er sich über meine Verblüffung.

»Wie hast du das geschafft?« wollte ich wissen.

»Du wirst Kik mitnehmen, Atlan, nicht wahr?« erwiderte er, ohne auf meine Frage einzugehen.

Asgards Haut unterlag einer unablässigen Veränderung. Ich erkannte, daß er die wabenförmigenGebäude der Stadt abbildete. Als ich weiter auf ihn zuging, entstand eine Öffnung für mich. Jetzt war ich

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auch nahe genug, um seine telepathische Stimme wahrzunehmen. Ich orte eine Vielzahl anfliegender Gleiter. Ihr Kurs weist eindeutig in unsere Richtung. »Dann werden sie angreifen«, erwiderte ich laut.

»Die Zweisprecher, nicht wahr?« machte Kik, keineswegs erstaunt. »Wir müssen fliehen.«

Bevor ich ihn daran hindern konnte, hatte er sich an mir vorbeigeschoben und verschwand im Innern von Asgard. Im Grunde genommen war ich froh, einen Begleiter gefunden zu haben. Die Zweifel, die ich anfangs noch hegte, waren im Schwinden begriffen. Kik war echt, davon war ich mittlerweile überzeugt.

Als Asgard aufstieg, schlugen die ersten Thermostrahlen in unserer Nähe ein. Plötzlich wimmelte es von Khyrr-Bay-Yah, die sich den Angreifern entgegenstürzten. Gerne hätte ich den Ausgang dieser Konfrontation abgewartet, aber eine innere Stimme warnte mich und sagte, daß es besser sei, den Planeten rasch zu verlassen. Immerhin bestand die Gefahr, daß die Zweisprecher ihren Transmitter erneut gegen uns einsetzten. Ich hatte keine Ahnung, wie weit die Wirkung des Entstofflichungsfelds in den Raum hinausreichte. Kik redete fast unablässig auf Asgard ein. Ich achtete kaum darauf, weil ich an Asgards Wahrnehmungen teilhatte. Wir überquerten die Bahn des winzigen Mondes in unmittelbarer Nähe des öden, von Kratern übersäten Himmelskörpers, der Luna ähnelte. Dann rasten wir weiter, hinein in die ewige Schwärze der Namenlosen Zone. Die Sonne wurde rasch zu einem winzigen Stern, der gleich darauf spurlos verschwand.

Unablässig tastete Kik über eine bestimmte Stelle an Asgards Zellgewebe. Ich sah genauer hin und erkannte, daß dort eine kleine Beule entstanden und anscheinend noch immer im Wachsen begriffen war.

Warte! raunte mein Extrasinn, als ich einschreiten und Kik um eine Erklärung bitten wollte. Der Seestern weiß nicht viel mehr als du.

Aber ...?

Asgards lederartige Haut riß auf und gab eine kleine, halbtransparente Kugel von hellgrauer Farbe frei. In ihrem Innern umschlangen sich rote und grüne Fäden.

Im ersten Moment war ich versucht, das nur zwei Zentimeter durchmessende Gebilde für einen winzigen Khyrr-Bay-Yah zu halten. Es ist dein Nymo-Tay!

»Mein ... was?« platzte ich laut heraus, daß Kik mich verwundert anstarrte.

Dein Nymo-Tay. Asgard ließ es aus einer mutierten Kristallspore wachsen, die in seinen Zellverband eindrang. Er meint, du solltest es Kik geben.

Ich verstand so gut wie gar nichts. Der Extrasinn sprach in Rätseln. Lediglich der Name für dieses Ding erinnerte mich an einen ganz bestimmten Vorfall, nämlich an die Gedankenwaffe Paz-Tay, die ich von den

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ehemaligen Gefangenen des Grenzwächters Eppleton erhalten hatte.

Du kommst dem Kern der Sache nahe, triffst ihn aber dennoch nicht ganz. Diese kleine Kugel reflektiert deine Gedanken oder auch die ihres Besitzers und ermöglicht es so, euch selbst über große Entfernung hinweg wiederzufinden.

Du meinst, unterbrach ich die Erklärung, falls ich wieder einmal in Bedrängnis gerate. Asgard ist dieser Meinung, nicht ich. Ich erhielt eine kurze Beschreibung der Funktion des Nymo-Tays, die ich wortwörtlich an Kik weitergab. Der Kleine sah mich forschend an, dann nahm er die Kugel an sich und ließ sie in irgendeiner Falte seines Körpers verschwinden.

»Glaube aber nicht«, sagte er zögernd, »daß ich dich aus jeder gefährlichen Situation befreien kann. Und umgekehrt ...? Ich weiß nicht, nicht wahr?«

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4.

»Was hast du damit gewonnen?« fragte Tyari ärgerlich und ließ Atlan kaum Zeit, von den Ereignissen der Vergangenheit in die Gegenwart zurückzufinden. »Das Nymo-Tay ist gewiß keine Waffe, die wir gegen Anti-ES einsetzen können. Es hat dir geholfen, Sanny, Kik und Asgard zu finden, als diese von den Prezzarerhaltern im Mydon-System festgehalten wurden – aber weiter ...?«

Der Arkonide erhob sich umständlich, ging zum Getränkeautomaten und bestellte einen Fruchtsaft, ohne auf die Frau zu achten, die offensichtlich auf eine Antwort wartete. Er trank mit kurzen Schlucken und leckte sich mehrmals gedankenverloren über die Lippen. Dann stellte er den leeren Becher ruckartig zurück, anstatt ihn in den Abfallvernichter zu werfen, und wandte sich zu Tyari um. »Wenigstens weiß ich jetzt ein weiteres Bruchstück von dem, was in der Vergangenheit geschah«, sagte er mit deutlicher Erregung in der Stimme. »Gerade dieses Wissen kann sich eines Tages als nützlich erweisen.« »Wirklich?« fragte Tyari lauernd. »Geht es dir nicht im Grunde genommen nur darum, deine verlorene Erinnerung wiederzufinden?« »Du solltest mich besser kennen.« Atlan schien noch etwas hinzufügen zu wollen, winkte dann aber, mehr für sich selbst, ab. »Ach was«, murmelte er. »Es hat ohnehin keinen Sinn, dir das klarmachen zu wollen.« »Und warum nicht? Weil ich der Meinung bin, du solltest deine Fragen sinnvoller stellen?«

»Ich weiß, um was es dir geht.« »Wirklich? Es sieht aber nicht danach aus.« Tyari erschrak offensichtlich über ihre eigene Gereiztheit, denn sie ließ sich seufzend in den nächstbesten Sessel fallen. »Es tut mir leid, Atlan. Ich weiß, daß ich impulsiv reagiere, aber mir bleibt in diesem Fall keine andere Wahl.«

»Sagen wir, du bist unbeherrscht«, erwiderte er.

»Ich wäre sehr froh, könnte ich aus meiner Haut herausschlüpfen. Im Moment fühle ich mich alles andere als wohl.«

»Ich weiß, du kannst nichts dafür. Du mußt einfach so reagieren. Vermutlich täte ich es an deiner Stelle nicht anders.«

Tyari hob den Blick.

»Ich bin nur Gast an Bord deines Schiffes«, murmelte sie bedrückt. »Folglich habe ich kein Recht, Forderungen zu stellen.« »Du bist mehr als ein Gast. Inzwischen gehörst du zu uns, und jeder erkennt dich an. Du kannst dich nur nicht von der Aufgabe lösen, für die Tyar dich eingesetzt hat.« Die junge Frau nickte schwach. Sie ergriff die Hand, die Atlan ihr entgegenstreckte und schmiegte ihr Gesicht in die Handfläche. »Wöbbeking gewährte mir noch sieben Antworten«, sagte er. »Ich werde in meinen Fragen alles unterbringen, was für uns von Wichtigkeit ist – auch das Problem von Bars2-Bars und das Arsenal.«

Er ging zum Getränkeautomaten zurück, entnahm ihm einen zweiten Becher Fruchtsaft und reichte diesen Tyari. »Trink«, sagte er. »Manchmal wirkt ein kräftiger Schluck entspannend. Es muß nicht einmal

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Alkohol sein.«

Er setzte sich der Frau gegenüber in den zweiten Sessel und beobachtete sie aufmerksam – Tyari gab sich nun wesentlich ruhiger und gelassener als zuvor.

»Wöbbeking«, sagte Atlan langsam und betont, um seinen Gedanken den nötigen Nachdruck zu verleihen, »wo liegt die akute Bedrohung im Moment – das, was sich nicht fassen läßt? Ich bin überzeugt davon, daß Anti-ES längst eine Fünfte Kolonne eingesetzt hat, die womöglich sogar vor unseren Augen ihrer Aufgabe nachgeht.«

Er wartete darauf, die mentale Stimme von Wöbbeking-Nar’Bon zu vernehmen. Um so überraschter war er, als erneut alles um ihn herum sich veränderte.

Die Beantwortung seiner Frage begann abermals in der Vergangenheit ...

*

Die eben noch lichtlose Leere verwandelte sich innerhalb von Sekunden. Ein düsteres, glühendes Rot breitete sich aus.

Im ersten Moment war ich versucht, an eine Nova zu glauben, aber die Wahrscheinlichkeit für ein solches Schauspiel mochte innerhalb der Namenlosen Zone gleich Null sein. Wie ein ins Wasser geworfener Stein gleichmäßige Kreise zieht, so dehnte sich dieses Glühen nach allen Seiten hin aus. »Entfernung?« wollte ich von Asgard wissen.

Einige Lichtminuten – möglicherweise auch Lichtstunden. Ich kann es nicht feststellen. »Aber ...« Ich schwieg, weil ich einsah, wie schwer es war, unter den gegebenen Verhältnissen eine Distanz zu beschreiben. »Ich weiß auch nicht, was das ist, nicht wahr«, ließ Kik vernehmen. »Wir sollten vorsichtig sein.«

Das Rot griff rasend schnell um sich. Auch hinter uns begann der Raum zu glühen. Die drohende Gefahr wurde beinahe körperlich spürbar.

»Asgard«, rief ich. »Versuche durchzubrechen!«

Ein bestätigender Impuls erreichte mich, mehr nicht. Asgard raste auf eine der letzten verbliebenen Lücken zu, deren Schwärze wie eine stumme Verheißung wirkte.

Doch dann wurde er ohne erkennbaren Grund langsamer. Die Lücke würde sich geschlossen haben, bevor er sie erreichte. »Was ist los?«

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Asgard reagierte nicht.

Sieh dir Kik an! riet mein Extrasinn. Der Seestern kauerte wie erstarrt neben mir. Seine Augen waren auf mich gerichtet, aber sie schienen mich nicht wahrzunehmen. Mir war, als sei ich überhaupt nicht mehr für ihn vorhanden. Als ich mit der Hand über seine Augen fuhr, zuckte er nicht einmal mit den Lidern.

Unendlich langsam bewegte er einen seiner Arme.

Der Zeitablauf hat sich verändert! durchzuckte es mich.

Und er veränderte sich noch immer. Kiks Bewegung schien wie eingefroren.

In meinen Gedanken brandete heiseres Gelächter auf.

»Du bist am Ende, Atlan. Niemand kann dir helfen.«

»Anti-ES«, stieß ich hervor. »Wenn du kämpfen willst, ich bin bereit.« Angespannt wartete ich auf den Anprall einer psionischen Schockwelle, darauf vertrauend, daß meine Mentalstabilisierung mich den ersten Anprall würde überstehen lassen. »So einfach wirst du es nicht haben, Atlan. Als Geisel bist du für mich wertlos, doch bevor du stirbst, sollst du erkennen, wie groß meine Macht ist. Selbst die Kosmokraten wagen es nicht mehr, offen gegen mich vorzugehen. Du hast erlebt, was ich aus ihren Zählern gemacht habe.«

»Deine Verbannung wird nach der zehnten Relativ-Einheit enden«, sagte ich, bemüht, meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Nicht eine Einheit eher.«

»Du armer Narr«, erklang es. »Willst du sehen, wie schnell deine Träume und Hoffnungen verwehen? Dann kämpfe!«

Vorsicht! warnte der Extrasinn. Er verstummte im selben Moment, in dem sich ein schmerzhaftes Ziehen unter der Schädeldecke bemerkbar machte. Das Jetzt versank im Taumel unangenehmer Erinnerungen.

Der Wind hatte gedreht, und der beißende Qualm, den er mir entgegenwirbelte, ließ meine Augen tränen. Wie aus weiter Ferne hörte ich die Schreie der Ritter, vernahm das Klirren der Waffen und das Wiehern der Pferde. Noch glaubten die Europäer, leichtes Spiel zu haben, doch die Mongolen des Dschingis-Khan würden sie in Kürze das Fürchten lehren. Ich hatte das Land gesehen, das sie verwüsteten, und die brennenden Städte, die sie hinter sich ließen. Nichts konnte sie aufhalten.

Das Feuer und der Rauch verwirrten die bislang geordneten Reihen der Verteidiger. Hilflos mußte ich mit ansehen, wie sie in den Untergang ritten.

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Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte ich eine blitzende Klinge heranzucken und ließ mich instinktiv vom Pferd fallen.

»Stirb, Verräter!«

Der Angreifer zog sein struppiges Reittier auf der Hinterhand hoch, aber ich entging den zuschlagenden Vorderhufen um Haaresbreite.

Er sprang ab, drang mit dem Säbel auf mich ein. Ich parierte seine Hiebe und wich langsam zurück. Seine Streiche wurden härter, er schwang die Waffe mit der tödlichen Geschicklichkeit eines Samurai.

Klirrend prallten unsere Klingen aufeinander und verbissen sich ineinander. Mein Gegner war geschickt und mir durchaus ebenbürtig. Trotzdem durfte ich ihn nicht schonen. Ungestüm drängte ich ihn zurück – Schritt für Schritt. Sein Gesichtsausdruck verriet deutlich sein Erstaunen.

»Wer bist du wirklich?« stieß er hervor. Wollte er mich mit der Frage nur ablenken? Sein Ausfall kam jedenfalls überraschend.

Ich parierte, setzte nach, war gezwungen, seine Klinge abermals abzuwehren und strauchelte, als er erneut mit aller Wucht auf mich eindrang. Ein Fußtritt ließ mich das Gleichgewicht vollends verlieren und stürzen. Blitzschnell wälzte ich mich auf den Rücken, während sich der Säbel neben mir ins Erdreich bohrte. Breitbeinig stand der Angreifer nun über mir und holte abermals aus. Ich parierte den Hieb – gleichzeitig veränderten sich die Gesichtszüge meines Gegners auf geradezu erschreckende Weise.

»Perry ...«, kam es tonlos über meine Lippen.

Der Großadministrator des Solaren Imperiums hob die Waffe zum tödlichen Streich. Ich verstand nichts mehr. Was war Wirklichkeit, was Schein?

Das Unmögliche an dieser Situation ließ mich zögern.

Seine Klinge glitt an meinem Schwert ab und traf meinen Arm. Ich verbiß mir einen Schmerzensschrei. Rhodans Gesicht verzerrte sich zur Grimasse.

Entweder er oder ich. Es gab keine andere Wahl.

Wenn ich jetzt zustieß, würde sein eigener Schwung ihn in meine Klinge stürzen lassen. Wenn nicht, würde er mir den Schädel spalten.

Es geht um dein Leben, Atlan, raunte es in mir.

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Trotzdem konnte ich den Freund nicht töten, nur um mich zu retten.

Stoß zu!

Nein!

In dem Moment, in dem der tödliche Stahl auf mich herabzuckte, veränderte sich meine Umgebung erneut. Ich vernahm Anti-ES’ dröhnendes Gelächter und wußte, daß es ein Versuch gewesen war, mich in seine Abhängigkeit zu bringen. Ein erfolgloser Versuch. Hättest du die Klinge gegen den Freund gerichtet, wärst du dir selbst untreu geworden, raunte der Extrasinn. Wer weiß, vielleicht hätte Anti-ES dich dann nie aus dieser Vision freigegeben.

»Du wärst an dir selbst zugrunde gegangen«, spottete die Superintelligenz. Ich gewann den Eindruck, daß der Zeitablauf sich wieder normalisierte. Kiks Bewegungen wurden schneller.

»Was war los?« wollte er wissen. »Nichts von Bedeutung.« Ich winkte einfach ab.

Raumschiffe! meldete Asgard. Es müssen Gyranter sein.

»Haben sie uns entdeckt?«

Ich weiß nicht.

Im nächsten Moment stieß er einen gequälten Aufschrei aus. Sie haben den Kurs geändert und kommen genau auf uns zu.

»Wie viele sind es?« fragte ich. Vier Einheiten. Uns bleibt nur die Flucht. Daran, daß Asgard der Unterlegene sein würde, konnte es von Anfang an keine Zweifel geben. Seine Verzweiflung griff allmählich auch auf mich über.

Gut eine Stunde verging, während der die Gyranter langsam, aber sicher aufholten. Die Distanz zwischen ihnen und uns betrug nur noch wenige Lichtsekunden. Mehrmals breiteten sich die Glutbälle von Explosionen in unserer unmittelbaren Nähe aus. Ich war überzeugt davon, daß die Verfolger uns absichtlich verfehlten. Sie wollten uns lebend – und sie würden uns bekommen. Ihre offensichtlich schlecht gezielten Salven dienten nur dazu, Asgard zu zermürben.

»Sie werden uns töten, nicht wahr?« vermutete Kik.

»Viel schlimmer«, erwiderte ich. »Sie werden uns an Anti-ES ausliefern.«

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Die Glutbahn eines Impulsschusses warf Asgard aus dem Kurs. Noch ehe er sich abfangen konnte, streifte ihn eine zweite Salve. Er schrie. Und in sein Schreien hinein mischte sich Anti-ES’ dröhnende Stimme: »Ich habe lange darauf gewartet, die erlittene Schmach zurückzahlen zu können. Endlich ist es soweit. Die Kosmokraten sind zu schwach, um mich daran zu hindern.« »Du willst mich haben«, erwiderte ich. »Also laß wenigstens Kik und Asgard ihrer Wege gehen.«

Anti-ES lachte spöttisch.

»Du bist ein Schwächling, Arkonide, aber dein Edelmut kann niemandem helfen. Die Gyranter haben den Befehl, euch zu vernichten.«

Die vier Schiffe waren bis auf weniger als 100.000 Kilometer heran. Asgard konnte kaum noch den Impulsbahnen ihrer Geschütze ausweichen.

»Unsere Lage ist aussichtslos, nicht wahr?« Kik zitterte.

»Es ist an der Zeit, daß du mir mehr über dich erzählst, als ich bisher weiß«, forderte ich ihn auf.

»Warum?« der Seestern blinzelte mich verwirrt an.

»Weil ich gerne wüßte, wer oder was du wirklich bist, woher du kommst, wer dich geschickt hat ...«

»Viele Fragen auf einmal, nicht wahr?« Vor uns ist etwas, meldete Asgard. Es muß ein Sonnensystem sein, obwohl es sich meinem Zugriff nahezu gänzlich entzieht. »Planeten?«

Ich weiß nicht. – Doch. Zwei oder drei sind da. Ich fühle ihre Gravitation, mehr nicht. Optisch ist der Raum nach wie vor leer. Nicht eine Sekunde lang zweifelte ich an Asgards Feststellung. Wenn das Glück uns noch kurze Zeit hold war, konnten wir in den Ortungsschutz der Sonne gehen oder auf einer der Welten landen.

Asgards mentaler Aufschrei riß mich aus meinen Überlegungen.

Etwas ... Unfaßbares nähert sich. Auch Kik schien es wahrzunehmen – nur ich nicht. Jedenfalls machte der Seestern eine bestätigende Geste.

Die Gyranter verstärkten ihren Beschuß. Aber keine der tödlichen Strahlbahnen erreichte uns. Sie verschwanden schlagartig aus dem Raum-Zeit-Kontinuum der Namenlosen Zone.

»Eine Schlafende Macht!« stieß Kik hervor. »Wir sind in ihren Einflußbereich gelangt.«

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Asgard wurde jäh gestoppt – als stelle sich ihm ein undurchdringliches Prallfeld entgegen. Zum Glück traten keinerlei Beharrungskräfte auf.

Die Gyranter beschleunigten mit Höchstwerten, wie an den aus ihren Triebwerksdüsen hervorbrechenden Gluten zu erkennen war. Trotzdem standen auch sie scheinbar still. Schlagartig verschwanden die beiden ersten Raumschiffe.

Asgard stöhnte verhalten.

Das Unbekannte will uns nicht haben. Die anderen Schiffe versuchten zu fliehen. Sie kamen nicht weit. Der Vorgang ihres Verschwindens war anders als bei einer eingeleiteten Transition oder dem Übertritt in den Linearraum, ohne daß ich allerdings zu sagen vermochte, was daran anders war.

Und dann wurde Asgard von einer unbekannten Kraft erfaßt und fortgewirbelt.

*

Die Schlafende Macht hatte uns von sich gestoßen, irgendwohin in die unerforschte Tiefe der Namenlosen Zone. Innerhalb eines Sekundenbruchteils mochten wir auf diese Weise Hunderte von Lichtjahren zurückgelegt haben.

Ortung! meldete Asgard.

Im ersten Moment dachte ich an die Gyranter, dann erkannte ich, daß es sich um ein einzelnes Objekt handelte, wenngleich dieses von beachtlicher Größe war. Eine innere Erregung erfaßt mich, für die ich keine Erklärung hatte.

Besser, wir fliegen daran vorbei, meinte Asgard. Es ist eindeutig künstlichen Ursprungs.

»Warte!« rief ich. »Zumindest vorerst scheint keine Gefahr zu bestehen. Ich will wissen, womit wir es zu tun haben.« Die Verfolgung durch die Gyranter hat mich viel Kraft gekostet, widersprach Asgard. Ich bin zu schwach, um im Fall eines Angriffs schnell fliehen zu können.

»Trotzdem. Ich will lediglich beobachten.« »Atlan ist hartnäckig, nicht wahr?« kicherte Kik.

Im Laufe weniger Minuten entpuppte sich das unbekannte Objekt als Scheibe von rund fünf Kilometern Durchmesser und einem Kilometer Dicke. Sie leuchtete in allen nur erdenkbaren Farben, wobei jedoch Grautöne überwogen.

»Das Spinar!« stieß ich überrascht hervor. Es bestand zu ungefähr 90 Prozent aus hochverdichteter

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magnetischer Energie, die materielle Form angenommen hatte. Im Zentrum befand sich eine zylinderförmige Anlage, die ständig magnetische Energie erzeugte. Und in der Scheibe selbst lagen die Unterkünfte der zehn Zähler, deren Aufgabe es war, Anti-ES in der Verbannung zu überwachen und die Länge der einzelnen Relativ-Einheiten festzulegen. Jede dieser Einheiten war ursprünglich als Phase der Läuterung und Besinnung gedacht.

Ich hatte mich bereits auf dem Spinar aufgehalten und war dort in Auseinandersetzungen mit den Neutralschwebern verwickelt worden. Dabei hatte ich herausgefunden, daß Anti-ES im Begriff war, sich sämtliche Zähler zu unterjochen. Auch mich hatte es zu einem Manifest umformen wollen, zu einem willenlosen Hilfsmittel seiner nach wie vor ungebrochenen Machtbestrebungen. Nur die Tatsache, daß die Lichtquelle mich mit einer Aura der Unantastbarkeit umgeben hatte, ließ schließlich diesen Plan scheitern. »Gefährlich, nicht wahr?« meinte Kik. Auch er hatte sich damals an Bord des Spinars aufgehalten.

Ich fragte mich, ob ich diesmal Hilfe finden konnte, oder ob Anti-ES inzwischen sämtliche Zähler in Manifeste umgewandelt hatte. Begab ich mich gar in eine größere Gefahr, als ich ahnte, wenn ich mich weiter näherte? Asgard mußte meine Unruhe spüren, denn er schickte mir einen forschenden Gedanken. »Wir haben nichts zu befürchten«, sagte ich, bemüht, meiner Stimme einen unverfänglichen Klang zu geben.

Die farbige Masse gab einen metallischen Ring an der Außenseite und eine Reihe technischer Einrichtungen frei. Die Frage war, ob dieser Vorgang von der Maschinerie oder von einem lebenden Wesen gesteuert wurde. Ein kleines Hangartor öffnete sich. Asgard zögerte, einzufliegen. Erst meine Aufforderung ließ ihn seine Scheu überwinden.

Verfestigte magnetische Energie umgab uns. Als ich das organische Raumschiff verließ, hielt ich den Strahlenkarabiner entsichert in der Rechten. Immerhin mußte ich befürchten, daß mir die Neutralschweber erneut feindselig entgegentraten. Kik folgte mir nur zögernd, wollte aber offenbar nicht allein mit Asgard zurückbleiben. Der einzige Gang, der vom Hangar aus tiefer ins Innere des Spinars führte, war zu eng für die organische Kugel. Wir bewegten uns einige hundert Meter weit geradlinig fort, ohne auf eine begehbare Abzweigung zu stoßen. Andere Gänge und sogar größere Räumlichkeiten waren stets durch eine dünne Schicht magnetischer Energie abgetrennt.

»Unheimlich, nicht wahr?«

Unvermittelt prallte Kik gegen eine jäh entstehende Wand und stürzte zu Boden. Ich konnte meinen Schritt gerade noch verhalten, sonst wäre es mir wohl genauso ergangen. Der weitere Weg blieb uns versperrt; wir mußten wohl oder übel umkehren.

Aber schon nach wenigen Metern stießen wir auf ein weiteres Hindernis.

»Wir sind gefangen?« fragte Kik zögernd. Die zweite Wand bewegte sich. Vergeblich stemmte ich mich dagegen.

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In einigen Minuten wirst du zerquetscht werden, warnte der Extrasinn.

Und? gab ich lautlos zurück. Weißt du einen Ausweg?

Sein Schweigen war Antwort genug.

»Schieß doch!« forderte Kik. Er hatte seine ebenfalls vergeblichen Bemühungen, das Unheil aufzuhalten, noch nicht aufgegeben. »Wenn die Thermoenergie reflektiert wird, werden wir geröstet«, gab ich zubedenken. Überrascht hielt der Seestern inne. Er starrte mich durchdringend an.

»Du hast Angst, nicht wahr?«

»Ach.« Ich winkte einfach ab. Die Wände standen nur noch drei Meter weit auseinander. Wenn ich jetzt schoß, mußte ich damit rechnen, daß mir die Waffe in der Hand explodierte.

Verzweifelt begann Kik gegen die seitliche Begrenzung des Ganges zu trommeln. Er erreichte herzlich wenig damit.

In einer Minute ist es vorüber, raunte der Extrasinn.

Verdammt! erwiderte ich heftig. Laß dir etwas einfallen.

Ich versuchte, den Karabiner zwischen die Wände zu klemmen, aber die Waffe verrutschte und fiel zu Boden.

Augenblicke später konnte ich mich nicht mehr bewegen. Als sei ich zwischen die stählernen Backen einer hydraulischen Presse geraten, die sich unaufhaltsam schloß. Kik schrie. Er benutzte eine Sprache, die ich nicht verstand.

Mit einemmal schien jede Sekunde zur kleinen Ewigkeit zu werden.

Du irrst, ließ mein Logiksektor mich wissen. Die Bewegung ist zum Stillstand gekommen.

Eine Galgenfrist? Wenn ich wenigstens in der Lage gewesen wäre, den Strahler aufzuheben. Ich glaube, jetzt hätte ich geschossen, ohne die möglichen Folgen zu bedenken. Schlagartig wich der Druck von mir. Ohne zu zögern, bückte ich mich nach dem Karabiner.

»Atlan«, rief Kik. »Da ist jemand, nicht wahr.«

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Ich wirbelte herum, riß die Waffe hoch ... Vor mir stand ein durchaus menschliches Wesen – ein Mann, wie ich unschwer feststellen konnte. Wäre seine tiefblaue Hautfarbe nicht gewesen, man hätte ihn für einen Terraner halten können.

Seine Kleidung bestand aus einer einfachen, ebenfalls blauen Kombination, die um den Hals hoch geschlossen war. An einer Gürtelschnalle hing ein kleines Kästchen, das mir auf Anhieb vertraut erschien.

Er musterte mich aus großen, tiefgründigen Augen.

»Es besteht kein Grund, die Waffe zu benützen«, sagte er leise und betont. »Immerhin habe ich euch vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.«

Das Kästchen war ein Translator, wie der Neutralschweber Knautz ihn benutzt hatte. Konnte ich den Mann demnach als Verbündeten ansehen?

»Wer bist du?« fragte ich und senkte die Mündung des Strahlers.

»Nenne mich Egen«, sagte er. »Einen anderen Namen habe ich nicht.«

»Woher kommst du?«

Egen vollführte eine vage Handbewegung. »Von einer Welt in der Namenlosen Zone. Ihr Name würde dir nichts sagen, auch kann ich dir nicht beschreiben, wo sie zu finden ist.« Neben Kik wölbte sich der Boden auf; er sprang mit einem heiseren Aufschrei zur Seite. Ein Neutralschweber durchdrang die Spinarmaterie. Sein Kugelleib durchmaß wenig mehr als vierzig Zentimeter, es handelte sich also um eines der kleineren Exemplare. In seinen Fingern hielt er einen schlanken Metallstab.

»Nicht bewegen!« rief Egen mir zu. »Du bist Atlan?« stieß der Neutralschweber hervor. »Ja, ich erkenne dich. Mein Herr verlangt, daß ich dich töten soll.« »Welcher Zähler ist dein Herr?« Der Neutralschweber richtete den Stab auf mich.

»Ich kenne keine Zähler«, sagte er. »Anti-ES hat mir befohlen, über das Spinar zu wachen.«

Egen hatte seine Rechte in einer Tasche seiner Kombination vergraben. Als er sie jetzt hervorzog und öffnete, flammte es in seiner Hand grell auf. Ich hatte den Eindruck, daß ein kleiner Kugelblitz auf den Neutralschweber zufuhr, der im Moment der Berührung regelrecht in sich zusammenfiel.

Egen zuckte bedauernd mit den Schultern. »Tut mir leid, Atlan, aber ich mußte ihn vernichten. Sonst hätte er dich getötet.« »Du konntest nicht anders handeln«, erwiderte ich. »Jedenfalls stehe ich in deiner Schuld.«

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Egen lächelte wissend.

»Ich bin schon mehreren dieser Geschöpfe begegnet und mußte mich gegen sie verteidigen. Aber wer ist Anti-ES?«

Wie sollte ich es ihm erklären? Ich beschloß, mit dem größten Teil der Wahrheit hinter dem Berg zuhalten, »... ein Überwesen, das mich aus verschiedenen Gründen verfolgt«, sagte ich deshalb. »Ich war seine Geisel, aber es gelang mir zu entkommen. Anti-ES schreckt vor nichts zurück, um seine Ziele zu erreichen.«

»Ich kann es mir vorstellen«, nickte Egen. »Doch was suchst du im Spinar?«

»Ich hoffte, wenigstens einen der Zähler vorzufinden.«

»Außer einer Handvoll Neutralschweber gibt es kein lebendes Wesen an Bord.« Ich vergegenwärtigte mir den Aufbau der Station, soweit ich ihn im Gedächtnis hatte. Die magnetische Energie mochte ihre Form längst verändert haben, keineswegs aber alle aus Normalmaterie errichteten Räumlichkeiten. Wenn ich mich nicht täuschte, befanden wir uns in unmittelbarer Nähe des Aufenthaltsorts von Wonat-Zount, dem achten Zähler.

»Meinetwegen«, nickte Egen, als ich den Vorschlag machte, nach dem Rechten zu sehen. »Wenn du mir nicht glaubst ... Aber ich begleite dich.«

Wir kamen gut voran. Die kantigen, vielfach verschachtelten Räume waren durch schmale Wege mit dem Zentrumskern und der Außenkante des Spinars verbunden. Egen sollte recht behalten. Wir fanden weder von Wonat-Zount eine Spur, noch gab es Anzeichen, daß jemals andere Wesen als Neutralschweber hier gelebt hatten. Egen warf mir einen mitleidigen Blick zu, aber im selben Atemzug schlug er mir vor, ihn zu begleiten. Er befand sich auf der Suche nach einem Ausweg aus der Namenlosen Zone und war nur deshalb an Bord des Spinars gekommen. »Kik kann uns ebenfalls begleiten, wenn er will«, fügte er hinzu.

Schlagartig wurde ich hellhörig. Woher kannte Egen den Namen meines Begleiters? Ich war sicher, ihn nicht genannt zu haben. Sei vorsichtig! mahnte auch der Extrasinn. Egen erscheint mir aalglatt.

Mein Gegenüber bedachte mich mit einem forschenden Blick. Hatte er mein flüchtiges Zögern bemerkt?

Ich kam nicht mehr dazu, mir diesbezüglich Gedanken zu machen, denn schlagartig wurde der Raum, in dem wir uns befanden, in ein irisierendes Leuchten getaucht. Graue Schlieren durchzogen die Wände und den Boden und verwandelten sie in ein dickflüssiges Medium, das sich nach allen Seiten ausbreitete. Selbst die Luft begann sich zu verändern. Daran, daß ich plötzlich das Gefühl hatte, mich auf dem Grund eines Sees zu bewegen, erkannte ich, daß der Druck anstieg. Ich kam kaum noch vorwärts. Bei jedemSchritt setzte sich mir größerer Widerstand entgegen. Zu allem Überfluß begann die künstliche

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Schwerkraft verrückt zu spielen. Von wechselnden Schwerefeldern umgeben, verlor ich rasch die Orientierung. Kopfüber und um sich schlagend, taumelte Kik an mir vorüber. Sekunden später klatschte er bäuchlings auf den Boden.

Mindestens drei Gravos wirkten auf mich ein. Ich hatte Mühe, mich noch auf den Beinen zu halten.

Egen wurde von einem bläulichen Flimmern eingehüllt, das mich an die Aura eines Individualschutzschirms erinnerte. Tatsächlich schien dieses Flimmern ihn den äußeren Einflüssen zu entziehen. In aller Eile plazierte er an mehreren Stellen kleine metallene Würfel.

»Die Augen schließen, Atlan!« rief er mir zu.

Selbst durch die Lider hindurch nahm ich den grellen Lichtblitz wahr, mit dem die Würfel detonierten. Schlagartig normalisierten sich die Verhältnisse wieder.

Egen zog mich kurzerhand hinter sich her. »Wir müssen fort von hier«, rief er. »Wohin ...?«

»Zu meinem Raumschiff. Mit ihm können wir fliehen.«

Ich wollte an Asgard erinnern, aber Egen unterbrach mich schroff. »Du mußt in meiner Nähe bleiben, Atlan.«

Flüchtig vergewisserte ich mich, daß Kik uns folgte.

Graue Fladen schwebten mit wellenförmigen Bewegungen hinter uns her. »Schieß!« rief Egen mir zu. »Essind halbstoffliche Überreste der Explosion, die alles Lebende, das sie berühren, einer tödlichen Zellwucherung aussetzen.«

Im Laufen feuerte ich auf die uns verfolgenden Gebilde, die vor den Thermoenergien regelrecht auseinanderstoben. Einige von ihnen stürzten grell aufleuchtend ab. Ich konnte erkennen, daß sich unter ihnen der Boden verformte.

Egen schien nicht einen Moment lang unschlüssig, wohin er sich zu wenden hatte. Er läuft im Kreis, bemerkte mein Extrasinn nach einer Weile.

Ich habe es auch erkannt, gab ich lautlos zurück. Aber weshalb?

Die Ahnung, daß der Blauhäutige etwas anderes war, als er zu sein vorgab, wurde zur Gewißheit. Zudem war ich überzeugt davon, daß er unser Zusammentreffen provoziert hatte. Und er gab sich alle Mühe, als unentbehrlicher Helfer aufzutreten.

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Endlich erreichten wir den Hangar. Egens Raumschiff war kleiner als erwartet. Es besaß die Form einer acht Meter hohen Pyramide, wobei das obere, transparente Drittel Steuereinheiten und Bildschirmeerkennen ließ. Die merkwürdige Parallele zur ÜBERZONE wurde mir sofort bewußt. Aber konnte mein Gegner so dilettantisch sein? Egen blieb in der geöffneten Bodenschleuse stehen und wandte sich zu mir um.

»Wir beide, Atlan, könnten viel erreichen.« Ich nickte zögernd. Noch war ich mir nicht völlig sicher, doch mein Zeigefinger tastete bereits nach dem Auslöser des Strahlenkarabiners.

»Du glaubst, daß Atlan mit dir fliegt, nicht wahr?« fragte Kik.

»Ich hoffe es.«

Auch der Seestern war mißtrauisch, und er zeigte seine Abneigung deutlich. »Mein Freund ist nicht dumm, daß er auf dich hereinfällt. Nicht wahr, Anti-ES?« Ich feuerte, ohne zu überlegen. Der Glutstrahl aus meiner Waffe floß jedoch eine Handbreit vor Egen auseinander. Daß der Strahler zu schwach war, um den Schutzschirm zu durchschlagen, war mir sofort klar. Deshalb schoß ich in die offenstehende Schleuse des kleinen Raumschiffs, in der sich sofort sengende Hitze ausbreitete. Schaltungen detonierten, eine Seitenwand brach krachend auseinander, und Feuer griff rasend schnell um sich. Egen verschwand hinter der auflodernden Glut.

Ohne zu überlegen, feuerte ich auch auf den transparenten Bug der Pyramide. Ich wußte nur, daß ich Anti-ES’ Helfer Schaden zufügen mußte, wollte ich nicht von ihm verfolgt werden.

»Komm endlich!« Kik schob mich vor sich her auf den einzigen Ausgang des Hangars zu. Noch bevor sich das Schott hinter uns schloß, stürzte das Raumschiff um. Die Triebwerksaggregate waren bereits rotglühend und konnten jeden Augenblick in einer atomaren Explosion vergehen.

Ich begann zu rennen. Kik hielt mühelos mit mir Schritt.

Als die Druckwelle einer verheerenden Explosion uns erreichte, hatten wir gut anderthalb Kilometer zurückgelegt. Das Spinar schien sich aufzubäumen; infernalisches Heulen drang von allen Seiten her auf uns ein. Kik war gegen eine Wand geschleudert worden und lag benommen am Boden. Als ich ihm half, sich wieder aufzurichten, sah er mich aus seinen großen Augen durchdringend an.

»Anti-ES steckt zu einem Teil in Egen. Er sollte dich überlisten und als Helfer gewinnen.«

Ungefähr so hatte ich es mir vorgestellt. Aber ohne Kiks Warnung hätte ich zweifellos länger gezögert – womöglich zu lange. Erneut durchliefen heftige Erschütterungen diesen Abschnitt des Spinars. Täuschte ich mich, oder verloren die Wände ihre bisherige Konsistenz? Ich begann das Schlimmste zu befürchten.

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»Das Magnomon arbeitet unregelmäßig«, schrie Kik, um das losbrechende Chaos zu übertönen.

Das Magnomon war das Kernstück des Spinars, in dem die magnetische Masse erzeugt wurde. Wie leicht konnte eine Störung die endgültige Katastrophe bedeuten. Völlig außer Atem erreichte ich Asgard, der bereits äußere Zeichen von Unruhe zeigte. Auch hier waren die häufiger werdenden Detonationen zu spüren.

Wo ist Kik? fragte Asgard, während er sich für mich öffnete.

Eben noch war der Seestern hinter mir gewesen, jetzt war er verschwunden. So plötzlich und unauffällig, wie er zu erscheinen pflegte.

Er hat das Nymo-Tay mitgenommen, erinnerte der Extrasinn. Wenn es an der Zeit ist, wird er dich wiederfinden – oder du ihn. Asgard startete. Durch seine Sinne sah ich das Spinar vergehen. In gewaltigen Eruptionen verflüchtigte sich die magnetische Energie, bis innerhalb kürzester Zeit nur noch das metallene Gerippe der Scheibe vorhanden war, das von einem unaufhaltsamen Atombrand zerfressen wurde.

Anti-ES, rief ich in Gedanken. Willst du mich noch immer jagen?

Aber ich erhielt keine Antwort.

*

»EGEN!« murmelte Atlan, kaum daß er aus der temporären Reinkarnation in die Gegenwart zurückgefunden hatte. »Die Namensgleichheit kann kaum ein Zufall sein, und dem Aussehen nach muß es sich ohnehin um einen Beneterlogen gehandelt haben.« Tyari nickte schwer.

»Um den EGEN sogar, den Herrscher der Beneterlogen. Nicht auszudenken, welches Unheil er anrichten kann, wenn er wirklich ein Diener von Anti-ES ist.«

»Aber hätte er nicht längst im Sinn seines Herrn eingegriffen? Spätestens die Friedensverhandlungen zwischen Beneterlogen, Prezzarerhaltern und Anterferrantern müssen Anti-ES’ Pläne zuwiderlaufen.«

Die Frau starrte verwirrt vor sich hin. Plötzlich war sie sich ihrer eigenen Schlußfolgerung nicht mehr sicher.

»Wenn unser EGEN wirklich mit jenem aus dem Spinar identisch ist«, überlegte Atlan, »und vieles spricht dafür, dann braut sich einiges über unseren Köpfen zusammen. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät, dagegen anzugehen.«

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»Und?« machte Tyari. »Was gedenkst du zu tun?«

»EGEN muß gestellt werden, Egal, ob wir mit unseren Vermutungen recht behalten oder nicht.« Er stellte eine Interkomverbindung zur Hauptzentrale im Mittelteil der SOL her. Lyta Kundurans wächsernwirkendes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Ihre grauen Augen drückten Überraschung aus. Sie wollten etwas sagen, aber Atlan unterbrach sie kurz: »Ist Breck da?«

»Sicher«, nickte Lyta. »Ich habe deine Erinnerungen über SENECAS Eingangsspeicher mitverfolgt. Dieser EGEN, dem du begegnet ...«

»Gib mir den High Sideryt!« verlangte Atlan mit Nachdruck.

Der Frau war anzusehen, daß sie sich Sorgen machte. Flüchtig wandte sie sich um und rief etwas, was Atlan nicht verstehen konnte. Sekunden später wechselte die Wiedergabe auf dem Monitor.

»Atlan?« Breckcrown Hayes’ rauhes, von den SOL-Würmern entstelltes Gesicht wirkte unbewegt.

»Ich nehme an, du weißt bereits, worum es geht.«

»Lyta sagte mir etwas von EGEN. Wenn es das ist ...«

»Ich habe Grund zu der Annahme, daß das Oberhaupt der Beneterlogen von Anti-ES beherrscht wird. Was wir brauchen, sind sämtliche Daten über EGEN, die sich auftreiben lassen. Falls mein Verdacht sich bewahrheitet, müssen wir schnell handeln.« »Wie groß ist die Gefahr?«

»Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler.« »Solange EGEN die Friedensverhandlungen nicht stört ...«

»Eben das gibt zu denken. Er müßte längst eingegriffen haben. Oder er fühlt sich unsicher und fürchtet eine Entdeckung – das aber wohl nur, falls er Dinge von größerer Tragweite plant.«

»Ich werde mich darum kümmern«, versprach der High Sideryt.

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5.

»Ich warte darauf, daß du deine nächste Frage stellst«, erklang Wöbbekings Stimme. Täuschte Atlan sich, oder schwang tatsächlich eine Spur von Ungeduld darin mit?

»Die Reinkarnationen haben mich viel Zeit gekostet. Während Anti-ES weiterhin nach mir sucht, muß ich untätig bleiben. Es ist mehr als zuvor bemüht, mich ihm wieder einzuverleiben, und ich bin noch immer zu schwach, ihm zu widerstehen.«

»Wir sind also auf uns allein gestellt«, folgerte Atlan. »Noch dazu rekrutiert der Gegner seine Helfer aus unseren eigenen Reihen.« »Es geht in erster Linie darum, uns den Rücken freizuhalten«, warf Tyari ein. »Sanny und Kik sind nur die Spitze des Eisbergs, dem wir uns gegenübersehen.«

Fahrig fuhr Atlan sich mit den Fingern durchs Haar.

»Wöbbeking-Nar’Bon«, sagte er. »Was weißt du über das Arsenal?«

»Du meinst, ob die Solaner gegen das Arsenal bestehen können? Nun, das Kräfteverhältnis verschiebt sich immer mehr zu euren Ungunsten. Aus Porters Erzählung ist dir bekannt, wie Sanny und Kik in die Gewalt von Anti-ES gelangten. In der Namenlosen Zone erzeugte die Superintelligenz zugleich die Penetranz, einen quasibiologischen Roboter und schickte diesen durch einen Nabel auf den sogenannten Arsenalplaneten.

Sanny und Kik waren die beiden ersten Mitglieder des Arsenals, die wie alle anderen ebenfalls Bewährungskämpfe zu bestehen hatten. Tyari, Mjailam und Asgard, auf der Suche nach weiterenNabelstationen, wurden von der Penetranz zum Arsenalplaneten gelockt. Ähnlich erging es Twoxl, Mata St. Felix und der Korvette MT-K-9 mit dem Eigennamen BANANE, die sich zu jenem Zeitpunkt noch in Xiinx-Markant befanden, ohne zu wissen, was aus der SOL geworden war. Die Penetranz meldete sich bei ihnen als Wöbbeking-Nar’Bon. Ich war leider nicht in der Lage, dies zu verhindern, weil ich rechtzeitig erkannte, daß mir damit eine weitere Falle gestellt werden sollte. Die Besatzung der Korvette überstand alle Prüfungen, ihr gelang sogar die Flucht. Da aber jeder bereits im Bann der Penetranz stand, konnte diese das Schiff erneut zur Landung zwingen. Zu den Mitgliedern zählen außerdem die beiden Gyranter Vessel Moora und Ryta Bolanc. Die Besatzung der BANANE mußte sie in einem gefahrvollen Unternehmen befreien, bei dem die Korvette schwer beschädigt wurde. Anti-ES belohnte den Einsatz jedoch, indem er einen Klumpen Jenseitsmaterie durch den Nabel schickte und mit dieser die Außenhülle der wiederhergestellten BANANE überzog, die von da an ARSENALJYK genannt wurde.

Das Schiff mußte sich vor dem ersten Einsatz bewähren. In einer Raumschlacht auf Leben und Tod erwies sich die gehärtete Hülle aus Jenseitsmaterie tatsächlich als unzerstörbar.«

»Selbst die SOL mit ihrer geballten Feuerkraft ist dagegen machtlos«, nickte Atlan. »Wozu der Gegner außerdem fähig ist, hast du erlebt, als du zusammen mit Cara Doz von Bord der SOL entführt wurdest«, fuhr Wöbbeking fort.

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»Ich habe aber auch herausgefunden, daß es keineswegs unmöglich ist, der Gewalt der Penetranz zu entfliehen.«

»Versuche nicht, die Ausnahme zur Regel zu erheben, denn damit würdest du dir selbst den größten Schaden zufügen.«

»Unsere Liebe hat den Einfluß der Penetranz überwunden«, ließ Tyari vernehmen und wandte sich an Atlan. »Bei dir war vielleicht noch etwas anderes mit im Spiel, immerhin konntest du dich rascher befreien.« »Und Asgard?«

»Dein Zellaktivator und Tickers Fähigkeit der Psi-Neutralisation wirkten vermutlich zusammen. Ausschlaggebend mag außerdem gewesen sein, daß die Regeneration Asgards von innen heraus erfolgte. Das läßt sich bei keinem anderen Mitglied des Arsenals wiederholen.«

»Es hätte vermutlich auch wenig Sinn«, warf Tyari ein. »Immerhin steht uns noch der Angriff der ARSENALJYK II bevor. Nach allen bisherigen Geschehnissen werden wir wohl damit rechnen müssen, daß die SOL diese Auseinandersetzung verliert.« »Du solltest das Unheil nicht herbeireden«, fiel Atlan ihr ins Wort. »Die Moral der Solaner ist inzwischen ohnehin schwer angeschlagen.«

»Ich weiß leider nichts über die ARSENALJYK II«, gestand Wöbbeking. »Nur, daß Anti-ES etwas ungemein Bedrohliches bereithält.«

»Wir dürfen nicht abwarten, bis der Gegner erneut angreift«, sagte Atlan. »Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir ihn dort packen, wo er es am wenigsten erwartet.«

»Auf seiner eigenen Welt«, stimmte Tyari zu. »Aber wie willst du sie finden? Uns bleibt kaum die Zeit, die wir benötigen, um im Sternendschungel zweier Galaxien eine Handvoll Nabelstationen ausfindig zu machen.« »Der Arsenalplanet«, ließ Wöbbeking sich wieder vernehmen, »befindet sich in einer Entfernung von 32.667 Lichtjahren zu Anterf, seine Sonne gehört zur ursprünglichen Population von Bars. Die genauen Koordinaten übermittle ich in diesem Moment an SENECA.«

*

Die Bedrohung durch Anti-ES, die Penetranz und das Arsenal wurde immer deutlicher. Wenn Atlan ehrlich zu sich selbst sein wollte, mußte er sich eingestehen, daß die SOL längst auf verlorenem Posten stand. Selbst die gelegentlichen Erfolge, die man erzielte, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Gegner alle Trümpfe besaß und diese nacheinander ausspielte.

Anti-ES wollte Atlan mit seinen eigenen Helfern schlagen. Wer sonst sollte dazu besser geeignet sein als jemand, der wußte, oder zumindest in der Lage war vorauszusehen, welches Vorgehen welche Reaktionen provozieren würde.

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Warum drehst du den Spieß nicht einfach um? wisperte der Extrasinn. Wir benötigen Jenseitsmaterie, um der Superintelligenz wirksam entgegentreten zu können. In sich zusammengesunken, kauerte der Arkonide in seinem Sessel. Konnte er es überhaupt verantworten, die SOL weiterhin in diese Auseinandersetzung kosmischen Ausmaßes hineinzuziehen? Das Schicksal der SZ2, die nur durch Wöbbekings direktes Eingreifen vor der Vernichtung bewahrt werden konnte, gab ihm zu denken.

Andererseits – war es überhaupt noch möglich, sich aus der Verstrickung der Geschehnisse zu lösen? Anti-ES würde wohl keinen Unterschied machen.

Atlan verspürte einen Kloß im Hals, der ihm das Atmen schwer machte. Er wußte, daß er Opfer bringen mußte, die ihn auf seine künftige Aufgabe vorbereiten sollten. Aber konnten die Kosmokraten wirklich so weit gehen, annähernd 100.000 Menschenleben aufs Spiel zu setzen? Dann waren sie moralisch und ethisch wohl kaum besser zu beurteilen als Anti-ES.

Atlan ahnte instinktiv, daß er zuviel über Dinge nachgrübelte, deren Für und Wider erst die Zukunft aufzeigen würde. Aber es wäre Lüge gewesen, zu glauben, daß die Verantwortung bei anderen lag.

Er seufzte schwer und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Überrascht stellte er fest, daß er schwitzte. Dabei war ihm alles andere als warm – er fröstelte eher.

»Stehe ich wirklich ohne Helfer auf verlorenem Posten?« platzte er heraus. »Immerhin konnten wir wiederholt merkwürdige Geschehnisse an Bord der SOL beobachten, ohne bislang zu erfahren, wer oder was dahintersteckt.«

Er dachte daran, daß die Emotionautin Cara Doz spurlos verschwunden war, als einige Mitglieder des Arsenals sie in die Enge getrieben hatten. Und dann war da die unbekannte wispernde Stimme, die man zuerst für Wöbbeking gehalten hatte. Diese Stimme war sogar in der Lage gewesen, die Gespräche zwischen Anti-ES und seinen Dienern abzuhören.

»Ich weiß auch nicht, wer dahintersteckt«, sagte Wöbbeking-Nar’Bon. »Aber ich war es nicht. Ich habe weder bei dem Geschehen eingegriffen, auf das du reflektierst, noch habe ich Cara Doz auf die SOL zurückgebracht, nachdem Mjailam sie entführt hatte. Vielleicht hat so etwas wie der ›gemeinsame Wille‹ aller Solaner das kleine Wunder vollbracht. Du weißt, daß der Geist keine Schranken kennt.«

Wöbbeking irrt, flüsterte der Extrasinn. Er macht sich die Erklärung zu einfach. Kennst du die Wahrheit? gab Atlan lautlos zurück.

Ich kann nichts dazu sagen.

Das klang überaus schroff. Obwohl der Arkonide sofort nachhakte, weil er zu fühlen glaubte, daß sein zweites Ich mehr über die Vorfälle wußte, schwieg dieses beharrlich. »Doch, einen Helfer hast du«, gab Wöbbeking zu verstehen. »Es ist Twoxl-7, der sich inzwischen vollständig von der Beeinflussung durch

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die Penetranz losgelöst hat. Er ist auf der Suche nach dir, der SOL und vor allem nach Sternfeuer – seiner Zuneigung zu ihr hat er seine Freiheit zu verdanken.«

*

Es konnte keine Zweifel daran geben, daß Atlans Maßnahmen und das Eingreifen der SOL in Bars-2-Bars für große Unruhe sorgten. Nicht unter den Völkern der beiden Galaxien, sondern bei Anti-ES und seinen Helfern. Vor allem die Gyranter waren davon betroffen, denn die Nabel zur Namenlosen Zone waren gefährdet. Falls es den Solanern gelingen sollte, Bars und Farynt zu entklammern – und damit Tyar und Prezzar zur Freiheit zu verhelfen –, wäre Anti-ES wohl für immer in die Namenlose Zone verbannt. Für immer, das bedeutete genaugenommen für zehn Relativ-Einheiten, wobei allein schon die Erste eine Ewigkeit währen würde, denn es war nicht anzunehmen, daß die Superintelligenz durch ein solches Geschehen geläutert wurde. Der Gedanke, durch die Zerstörung sämtlicher Nabelstationen die Gefahr ein für allemal zu bannen, erschien Atlan verlockend. Wenngleich sich dem schier unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellten. Bestrebungen, sämtliche Nabel ausfindig zu machen, waren längst im Gang. Mit vereinten Kräften von Anterferrantern und Beneterlogen sollte es eigentlich möglich sein, den zu erwartenden Widerstand der Gyranter zu brechen und die Stationen zu vernichten.

Seit wann flüchtest du dich in solches Wunschdenken? wandte der Extrasinn ein. Du weißt, daß dich ein derartiges Vorgehen am härtesten treffen würde. Denn dann wären nicht nur die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst für immer verloren, dann hättest du auch als Beauftragter der Kosmokraten versagt.

Ich muß versuchen, eine andere Lösung zu finden, nickte Atlan betreten. Aber gibt es wirklich eine andere Lösung?

Selbst Wöbbeking-Nar’Bon ist sich unsicher, was die Ereignisse der nahen Zukunft betrifft, stellte der Extrasinn unumwunden fest. Er hofft, daß irgendein undurchschaubarer Plan der Hohen Mächte durch deine Hilfe doch noch aufgehen könnte.

Woher willst du das wissen?

Wöbbekings ganze Haltung läßt nur diesen einen logischen Schluß zu. Warum sonst sollte er sich immer wieder mit dir befassen? Weil ich es war, der ihn von Anti-ES befreit hat.

Zufall. Damals konntest du nicht einmal ahnen, was sich daraus entwickeln würde. Und was hat sich daraus wirklich entwickelt?

Du weißt es.

Alles? Tatsächlich alles? Ohne die durchlebten Reinkarnationen wüßte ich nicht einmal mehr, was in der

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Namenlosen Zone geschah.

Atlan vergrub sein Gesicht in den Handflächen und atmete tief durch.

»Wöbbeking, meine Gedächtnislöschung macht mir zu schaffen. Wieso durfte ich erst nach und nach erfahren, was ich in der Namenlosen Zone erlebt habe, und weshalb überhaupt nichts von dem, was jenseits der Materiequelle geschah? Immerhin kannte ich nur die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst, als ich auf die SOL kam.« »Die einfachste Erklärung wäre die, daß du zwei grundverschiedenen Effekten unterliegst. Aber so einfach ist die Wirklichkeit nicht. Zum einen war da ursprünglich die Mnemo-Löschung, die dir jeweils während des Schlafs die Erinnerung raubte. Anti-ES steckte dahinter. Aber es gelang dir, den einem Tausendfüßler ähnlichen Laupertyn aufzuspüren, der die Ursache der Mnemo-Löschung war.

Was deine möglichen Erlebnisse bei den Kosmokraten betrifft, vermag ich dir weder auf das Wie noch auf das Warum einer eventuellen Gedächtnislöschung zu antworten. Ich weiß nicht einmal, ob die Hohen Mächte dir überhaupt deine Erinnerung genommen haben.«

»Aber ... sie müssen doch ...« Atlan wirkte irritiert.

»Wirklich?« wandte Wöbbeking ein. »Ich bedauere, daß ich dir die Ungewißheit lassen muß. Nur eines kann ich mit Bestimmtheit sagen: Einzig und allein Anti-ES kennt die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst.« Also verbietet es sich von selbst, sämtliche Nabelstationen offen anzugreifen. Zumindest so lange, bis du wieder im Besitz der Koordinaten bist.

»Aber irgend etwas muß geschehen.« Unwillkürlich wurde Atlan laut. Er bemerkte es erst, als er Tyaris fragenden Blick auf sich gerichtet fühlte.

Es wird auch einiges geschehen, raunte der Extrasinn. Sehr bald sogar. Man muß kein Prophet sein, um das vorauszusagen. »Eine Chance habe ich noch«, überlegte der Arkonide. »Dann nämlich, wenn die Zähler zu unseren Gunsten eingreifen.«

»Du glaubst, daß sie noch existieren?« wandte Tyari ein. »Schließlich haben sie versagt, weil sie ihre ursprüngliche Aufgabe nicht erfüllen konnten.«

»Wir haben nur die Manifeste vernichtet, zu denen Anti-ES sie umgeformt hatte.« Atlan zögerte einen kurzen Moment, bevor er seine nächste Frage stellte. Vielleicht weil er unbewußt davor zurückschreckte, in seinen gerade erst neu geschöpften Hoffnungen enttäuscht zu werden.

»Wöbbeking, was geschah mit den umgewandelten Zählern nach ihrer Befreiung? Sie kehrten in die Namenlose Zone zurück?« »Das ist richtig. Als Körperlosen bot ihnen nur die Basis des Ersten Zählers ausreichende Lebensbedingungen, nachdem das Spinar längst vernichtet war. Die Zähler waren entsetzt darüber, daß sie den Zweck ihres Daseins nun nicht mehr erfüllen konnten, doch sie verstanden nicht,

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warum alles so kommen mußte. Sie wußten lediglich, daß Anti-ES sie mißbraucht hatte – jenes Wesen, mit dem ihr Schicksal verknüpft war.

Sie wollten lieber sterben, als stets mit der Erinnerung an ihr Versagen zu leben, und sie beschlossen, mit der Basis zusammen unterzugehen. Aber ehe sie ihr Vorhaben wahrmachen konnten, wurden sie abberufen. Niemand weiß, wo sie jetzt sind, welche Körper sie besitzen und welchen Aufgaben sie nachgehen. Sicher ist nur, daß du in ihnen keine Verbündeten finden wirst.«

*

Trotzdem hast du noch eine Chance! durchzuckte es den Arkoniden. Selbst wenn die SOL in Bars-2-Bars festgehalten wurde, eines ihrer Beiboote befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach in der Namenlosen Zone. Im ersten Moment erschien diese Tatsache wie der rettende Strohhalm für einen Ertrinkenden.

Doch schon wich der Gedanke rascher Ernüchterung.

Die MT-K-20 FARTULOON unter dem

Kommando von Bjo Breiskoll war bislang nicht wieder aufgetaucht. Ihr letzter Funkspruch besagte, daß sie entweder versehentlich oder durch einen Angriff von Anti-ES in die Namenlose Zone geraten war. Seither gab es keinen Kontakt mehr. Es bestand also auch nicht die Möglichkeit, Breiskoll und seine Mannschaft zu irgendwelchen Maßnahmen zu veranlassen.

Falls sie überhaupt noch lebten.

»Was ist aus der FARTULOON geworden?« fragte Atlan. »Befindet die Korvette sich wirklich innerhalb der Namenlosen Zone?«

Er erhielt keine Antwort.

Die entstandene Stille wirkte bedrückend. »Wöbbeking«, rief Atlan. »Warum meldest du dich nicht?«

Tyari stand bereits am Interkom und aktivierte die Verbindung zur Hauptzentrale. »Das Ortungsbild überspielen!« befahl sie, ohne eine Erklärung abzugeben. »Was ist mit der Sonne, in die die SZ-2 gestürzt ist?« Die Wiedergabe ließ eine deutlich gesteigerte Zahl von Protuberanzen erkennen, die weit ins All hinausgriffen. Es sah so aus, als wolle die Sonne sich ausdehnen.

»Die Oberflächentemperatur steigt sprunghaft an«, wurde aus der Zentrale gemeldet. »Die Werte liegen bereits bei über 8000 Grad Celsius.«

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Noch war eine Verfärbung des Spektrums optisch nicht auszumachen, was letztlich daran lag, daß die SOL zu weit entfernt stand. »Was ist mit Wöbbeking?« kam es aus der Zentrale.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Atlan. »Es sieht so aus, als würde er zur Nova werden.« »Verdammt. Dann verlieren wir die SZ-2. Wir müssen alles versuchen, sie zu retten.« »Ich glaube nicht, daß wir eine Chance hätten.«

»Aber ... wir können nicht tatenlos abwarten.«

»Womöglich will Anti-ES, daß wir eingreifen. Dann wäre Wöbbeking gezwungen, seine Tarnung aufzugeben.«

»Was schlägst du vor?« Breckcrown Hayes wirkte verunsichert.

»Abwarten«, erwiderte Atlan. »Auf jeden Fall sollte Gefechtsbereitschaft angeordnet werden.«

Aufgeregt deutete Tyari auf das Ortungsbild. »Die Protuberanzen fallen in sich zusammen.«

Fast gleichzeitig meldete Wöbbeking-Nar’Bon sich wieder.

»Lange kann ich dem von Bars-2-Bars ausgehenden Sog nicht mehr widerstehen. Die Zeit drängt.

Du, Atlan, hast mich nach der FARTULOON gefragt. Ich weiß nur, daß die Verschwundenen sich mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich in der Namenlosen Zone befinden. Aber ich kann ihre Gedanken nicht empfangen, so daß ich keine Einzelheiten kenne. Auf jeden Fall leben Bjo Breiskoll und seine Mannschaft, und die Korvette existiert ebenfalls noch.«

»Sie können uns nicht helfen«, sagte Tyari bitter. »Wir müssen mit den anstehenden Problemen wohl oder übel allein fertig werden.«

»Bjo ist nicht der Mann, der die Dinge tatenlos auf sich zukommen läßt«, widersprach Atlan. »Und bei Vorlan Brick, Federspiel und Insider kann ich mir das ebenfalls nicht vorstellen. Außerdem kennen sie unsere Probleme. Ich bin überzeugt davon, daß sie versuchen werden, einen Brückenkopf gegen Anti-ES zu errichten.«

»Nur mit der Ausrüstung der Korvette haben sie kaum eine nennenswerte Chance.« »Vielleicht doch. Anti-ES konzentriert seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf Wöbbeking und uns. Die FARTULOON muß ihm zu unbedeutend erscheinen.«

»Mag sein.« Tyari stemmte ihre Fäuste in die Taille und funkelte den Arkoniden herausfordernd an. »Das

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allein löst unsere Schwierigkeiten jedoch in keiner Weise.« »Was schlägst du vor, was wir unternehmen sollen?«

Tyari seufzte leise.

»Ich weiß es genausowenig wie du.«

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6.

Du hast noch eine Frage, erinnerte der Extrasinn.

Es gab einiges, was Atlan bewegte, aber im Grunde genommen hatte er alle wichtigen Fakten im Zusammenhang mit Bars-2-Bars in Erfahrung gebracht. Die Zukunft würde erweisen, was er übersehen hatte.

Warum sprichst du nicht aus, was dich bewegt?

Weil – der Arkonide warf Tyari einen forschenden Blick zu – ich nicht weiß, ob es wirklich von so großer Bedeutung ist. Soll ich dir die logischen Ursachen deines Verhaltens aufzeigen?

Ich brauche keinen Seelenklempner, der mir einen Spiegel vorhält.

Der Extrasinn lachte spöttisch.

Es gelingt mir selten, dich derart aus der Reserve zu locken. Und das alles nur wegen einer irrationalen Gefühlsaufwallung, die du Liebe nennst.

Sei still!

Das Lachen brach abrupt ab.

Auch gut. Wenn du nicht auf mich hören willst, bleibe eben unwissend.

Atlan stutzte.

Mir scheint, du legst mehr Wert auf die Beantwortung dieser Frage als ich. Weißt du etwas, was du mir verheimlichst?

Nein. Ich habe nur einiges gegen Gedächtnislücken, die sich eines Tages als entscheidend erweisen könnten.

Das klang plausibel. Anti-ES hatte Atlan vor nunmehr über 200 Jahren auf dem Weg zu den Kosmokraten abgefangen und in seine Gewalt gebracht. Wenn es ihm trotzdem gelungen war, den Weg nach Jenseits der Materiequellen zu gehen, mußte er die Superintelligenz irgendwie überlistet haben. Unter Umständen ließen sich aus dem damaligen Geschehen brauchbare Folgerungen ableiten. »Was ist?« fragte Tyari besorgt. »Warum zögerst du?«

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»Ich habe nachgedacht«, erwiderte Atlan. »Auch über uns.«

Sie hörte nur mit halbem Ohr hin. Die Daten der Hyperortung wurden noch immer auf den Monitor überspielt, und die beginnende Veränderung nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Es geht wieder los«, rief sie überrascht. »Die Sonnenfleckentätigkeit ist größer als beim erstenmal; wahrscheinlich sind heftigere Protuberanzen zu erwarten.«

»Der Sog wird stärker«, meldete sich Wöbbeking. »Vielleicht schon in Kürze werde ich mich nur noch darauf konzentrieren müssen, ihm zu trotzen.«

Dann bleibt dir die Antwort auf die letzte Frage womöglich versagt, drängte der Extrasinn.

Atlan sah ein, daß es keinen Sinn hatte, länger zu zögern.

»Wie gelangte ich zu den Kosmokraten?« wollte er wissen.

Wieder führte Wöbbeking-Nar’Bon ihn in die Vergangenheit.

*

Seit Tagen hatte ich das Gefühl, daß Asgard immer schweigsamer wurde. Andererseits stand auch mir nicht der Sinn nach tiefschürfenden Diskussionen. Obwohl ich es nie für möglich gehalten hätte, machte mir die Einsamkeit der Namenlosen Zone ebenfalls zu schaffen. Wir hatten Hunderte, vielleicht sogar einige tausend Lichtjahre zurückgelegt, ohne erneut auf ein Sonnensystem zu stoßen. Trotzdem hatte Asgard anfangs noch behauptet, Unregelmäßigkeiten im Gravitationsgefüge wahrnehmen zu können. Die unsichtbar bleibenden Himmelskörper beeinflußten mit ihrer Masse die Raumkrümmung.

Anti-ES schien unsere Verfolgung aufgegeben zu haben. Allerdings wollte ich nicht so recht daran glauben. Durch Egen hatte es versucht, mich als Helfer zu gewinnen. Da dieser Versuch fehlgeschlagen war, mußte es mich als Gegner ausschalten.

Längst hatten wir jede Orientierung verloren. Selbst wenn Asgard sich im Kreis bewegte, würden wir es nicht feststellen können. »Du mußt einen Ausweg finden«, drängte ich.

Nichts. Keine Antwort.

Irgendwo veränderte sich die Zellstruktur, bildete das organische Raumschiff einen Tentakel aus, der ziellos durch den Hohlraum tastete. Als er meine Beine berührte, zog er sich blitzschnell zurück. Einverhaltenes Stöhnen zwängte sich in meine Überlegungen.

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Asgard ist krank, behauptete der Extrasinn, und genau das hatte ich befürchtet. Schlagartig setzte die bislang herrschende Schwerkraft von ziemlich genau einem Gravo aus. Zum Glück war ich daran gewöhnt, mich auch unter den Bedingungen völliger Schwerelosigkeit gezielt zu bewegen.

Asgard reagierte noch immer nicht auf meine Versuche, mit ihm in Kontakt zu kommen. Aber unmittelbar vor mir entstand eine Falte in seiner Haut, die innerhalb weniger Augenblicke mehr als dreißig Zentimeter tief wurde.

Nur ein Meter künstlich zusammengefügtes Zellgewebe trennte mich vom Vakuum des Raumes. Der Gedanke, was geschehen mußte, wenn Asgard sich unvermittelt öffnete, ließ mir kalten Schweiß ausbrechen. Mit fliegenden Fingern griff ich nach meinem leichten Raumanzug und streifte ihn mir über. Bislang hatte ich auf diesen Schutz verzichten können, da Asgard die Atemluft stetig regenerierte. Hilf mir! vernahm ich seinen mentalen Aufschrei in dem Moment, in dem ich den Helm schloß. Sekunden später wurde meine Befürchtung Wirklichkeit: Die mich umgebende Hülle brach auf. Der entstehende Sog war allerdings zu schwach, um mich weiter als bis an den Rand der sich bereits verkrusteten Wunde mit sich zu reißen.

Zitternd huschte der scharfe gebündelte Lichtkegel meines Helmscheinwerfers über Asgards Oberfläche. Ich entdeckte etliche faustgroße Geschwüre. Bei näherem Hinsehen erwiesen sie sich als Fremdkörper. Vergeblich versuchte ich, einen von ihnen zu entfernen. Asgards telepathischer Schrei traf mich mit aller Wucht. Er mußte wahnsinnige Schmerzen empfinden.

Es sind lebende Organismen, stellte der Extrasinn fest.

Tatsächlich pulsierten sie leicht. Die Sensoren meiner Handschuhe vermittelten mir die Bewegung. Durch vorsichtiges Abtasten stellte ich fest, daß jedes dieser Gebilde mit drei wurzelförmigen Fortsätzen in Asgards Haut verankert war. Sie schienen sogar zu wachsen. Es gab nur eine Möglichkeit, sie zu beseitigen. Ich regulierte die Abgabeleistung des Strahlenkarabiners auf minimalste Leistung, dann hielt ich die Waffe so, daß ich zwar eine der Geschwülste treffen mußte, daß der Thermostrahl Asgard aber nicht berühren würde. Als ich den Auslöser betätigte, schrie Asgard gellend auf. Blaßrote Glut umfloß das mittlerweile gut dreißig Zentimeter durchmessende graue Gebilde, konnte diesem aber nichts anhaben.

Eine heftige Kontraktion ließ mich den Halt verlieren. Ich überschlug mich, und ehe ich mit Hilfe meines Rückstoßaggregats den Sturz unter Kontrolle bringen konnte, war Asgard in der unendlichen Schwärze verschwunden.

Zum Glück fand ich keine Zeit, mir meiner Hilflosigkeit bewußt zu werden. Ein nebelartiges Leuchten fesselte meine Aufmerksamkeit. Noch während ich hinsah, schob sich etwas Großes, Düsteres, Schroffes vor dieses Leuchten.

Ein kosmischer Trümmerbrocken, der vermutlich schon seit Jahrmillionen seine Bahn zog. Die Helligkeit wurde zur fahlen Aura, die schroffe Felszacken und tief eingeschnittene Schluchten erkennen ließ.

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Ein seltsames Zusammentreffen, bemerkte mein Logiksektor und sprach damit aus, was mich ebenfalls beschäftigte.

»Du meinst, Anti-ES steckt hinter alldem? Selbst wenn es so ist, bleibt mir keine andere Wahl.«

*

Eine Stunde benötigte ich, um den Planetoiden zu erreichen. Das nebelartige Leuchten war inzwischen verschwunden. Lediglich ein düsterer Schimmer umgab den etliche Kilometer durchmessenden Felsbrocken.

Ich landete am Rand eines schmalen Hochplateaus, das nach zwei Seiten hin steil abfiel. Hier existiertendie versteinerten Überreste einer einstmals üppigen Flora. Schwarze Bäume streckten ihre kahlen Äste anklagend in die Höhe. Fast hatte es den Anschein, als absorbierten sie die vage, von den Felsen ausstrahlende Helligkeit.

»Eine tote Welt, Atlan, obwohl sie einstmals von blühendem Leben erfüllt war. Nur schade, daß du sie nie wieder verlassen wirst.« Wie mit glühenden Nadeln bohrten sich die Worte unter meine Schädeldecke. »Anti-ES!« stieß ich keuchend hervor. »Wenigstens weißt du es.« Die Superintelligenz ließ ein dröhnendes Lachen vernehmen. »Du hättest mein Diener werden können, aber du wolltest nicht. Also nahm ich an, daß du es vorziehst, auf einem öden Felsbrocken das Universum zu durchmessen. Reizt dich eine solche Gelegenheit nicht?« »Das hängt von den Umständen ab.« »Oh«, machte Anti-ES erstaunt. »Tote pflegen im allgemeinen nicht nach irgendwelchen Umständen zu fragen. Vielleicht erreichst du eines fernen Tages sogar eine Materiequelle.«

Ich gab mich keinen Illusionen hin. Diesmal sah es so aus als hätte ich endgültig verloren. Als zwanzig Meter von mir entfernt eine düster strahlende Kugel materialisierte, schoß ich sofort. Der Thermostrahl wurde von dem Gebilde, das langsam auf mich zukam, regelrecht aufgesogen.

Ich wich zurück. Obwohl ich wußte, daß ich nirgendwohin fliehen konnte.

Die Kühlspirale meiner Waffe begann aufzuglühen, ich schleuderte sie dem vermeintlichen Ableger von Anti-ES entgegen. Im nächsten Moment erfolgte eine grelle Detonation. Aber selbst die Stichflamme des in einer atomaren Explosion vergehenden Energiemagazins konnte dem leuchtenden Kugelgebilde nichts anhaben. Unversehrt schwebte es aus den Gluten hervor, zwei Tentakel ausbildend, die nach mir griffen.

Von ankommender Panik erfüllt, warf ich mich herum. Die geringe Schwerkraft des Asteroiden erlaubte mir meterweite Sprünge. »Du kannst mir nicht entkommen«, spottete Anti-ES.

Ich wußte es, trotzdem hielt ich nicht inne. Irgend etwas Unerklärliches zwang mich vorwärts. Eine weite Schlucht öffnete sich vor mir. Auch hier ragten die Zeugen eines früheren Pflanzenwuchses auf.

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Ein flüchtiger Reflex zwischen den Felsen erregte die Aufmerksamkeit meines Extrasinns. Das ist keine Gesteinsader, behauptete er.

Da war es wieder. Diesmal konnte ich die schemenhaften Umrisse einer menschlichen Gestalt erkennen. Sie winkte mir zu. Eine Falle? Wohl kaum. Anti-ES würde mich auch so bekommen.

Plötzlich erfüllte ein irrlichterndes Feuerwerk den lichtleeren Himmel. Mein Verfolger verformte sich zur rotierenden Spirale, die langsam auseinandergerissen wurde. Anti-ES’ mentaler Aufschrei zeugte vonÜberraschung und Wut zugleich. In dem Moment wußte ich, daß der Fremde eingegriffen hatte. Mit ausgebreiteten Armen trat er auf mich zu. Er war genauso groß wie ich und trug einen Raumanzug mit halbtransparentem Helm. Ich versuchte ihm klarzumachen, daß er sein Funkgerät einschalten solle, aber offensichtlich war dieses auf eine andere Frequenz justiert.

Der Fremde bedeutete mir, ihm zu folgen. Nach einer Weile erkannte ich vor uns eine völlig ebene, spiegelnde Fläche, als wäre hier glutflüssiges Metall unter Schwerkrafteinfluß erstarrt. Zugleich spürte ich die erneute Annäherung von Anti-ES mit nie gekannter Wucht. Die Schwärze des Alls begann aufzuglühen, als ein Hagel von Mikrometeoriten niederging. Trotz der Vielzahl von Einschlägen wurde ich wie durch ein Wunder nicht getroffen.

Der Fremde betrat die metallene Ebene und wandte sich zögernd zu mir um. Sein Helm spiegelte, dennoch glaubte ich, helles Haar erkennen zu können. Auffordernd streckte er mir die Hand entgegen.

Warum zögerst du?

Ich wußte es nicht. Selbst der Zellaktivator konnte nicht verhindern, daß mir das Herz plötzlich bis zum Hals klopfte. Unwillkürlich schreckte ich davor zurück, mich dem Mann weiter zu nähern.

Und dann sah ich sein Gesicht. Es lächelte. Rötliche Augen musterten mich durchdringend.

Ich war auf alles gefaßt gewesen, trotzdem prallte ich entsetzt zurück.

Ich stand mir selbst gegenüber! Der andere war ich, daran konnte es keinen Zweifel geben. Aber wie war das möglich? Ein Zeitphänomen? Eine bessere Erklärung wußte ich nicht.

Mein Ebenbild ergriff mich am Arm und zog mich näher zu sich heran. Gleißendes Licht hüllte mich ein. Das letzte, was ich bewußt wahrnahm, war, daß Anti-ES den Planetoiden vernichtete. Ich tauchte ein in eine grenzenlose Leere ...

*

»Ich spürte nur noch die Gedanken eines Atlan, aber auch die verwehten rasch«, sagte Wöbbeking-Nar’

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Bon. »Danach bist du nie wieder in der Namenlosen Zone erschienen, und ich fand dich erst viel später wieder, als du auf Chail mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hattest.

Die Schmarotzer, mit denen Anti-ES Asgard infiziert hatte, starben ab, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, Asgard von dir zu trennen. Das organische Raumschiff und Kik verließen irgendwann die Namenlose Zone, wobei alles darauf hindeutete, daß es Kik gelang, die Grenze zum Normaluniversum zu überwinden. Beide erschienen in Xiinx-Markant, als Sanny hilflos in der Nähe des galaktischen Zentrums trieb und das Schwarze Loch sie anzog. Daß ich alle drei nach Bars-2-Bars versetzte, erwähnte ich bereits. Du, Atlan, warst für mich ebenfalls für lange Zeit verschwunden. Ich weiß nicht, was mit dir geschah oder wo du dich während all der Jahre befunden hast. Ich kann nicht einmal deine Frage richtig beantworten, weil ich nicht weiß, ob du die Kosmokraten jemals erreicht hast.«

»Aber ...«, machte Atlan irritiert. »Ich habe von ihnen einen konkreten Auftrag erhalte. – Oder nicht? Und was wurde aus dem anderen Atlan, der mir half? Ich kann mich an nichts erinnern.«

»Frage mich nicht – mein Kontingent ist erschöpft, denn ich weiß nun, daß die Hohen Mächte Anti-ES schon sehr bald vollends in die Freiheit entlassen werden. Warum das so ist, bleibt mir ein Rätsel; ich kann es nicht ändern. Rechne also nicht damit, weitere Unterstützung von mir zu erhalten, außer daß ich die SZ-2 weiterhin vor dem Gegner verberge, bis sie gebraucht wird.«

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7.

Wöbbeking-Nar’Bon meldete sich von da an nicht mehr. Nach einer Weile gab Atlan seine vergeblichen Versuche auf, noch einmal mit diesem Wesen in Verbindung zu treten. Manches war ihm ein Rätsel geblieben, insbesondere die Ankündigung, daß Anti-ES’ Gefangenschaft in der Namenlosen Zone enden sollte. Hatten die Kosmokraten ihr ohnehin vergebliches Bemühen aufgegeben, die Superintelligenz auf den Weg des Guten zurückzuführen?

Zum erstenmal verspürte der Arkonide auch Zweifel, was seinen möglichen Aufenthalt jenseits der Materiequelle betraf. Ursprünglich war er der Meinung gewesen, zweihundert Jahre bei den Kosmokraten zugebracht zu haben. Dann hatte er an den Jahreszahlen Abstriche machen müssen – und jetzt konnte er sich nicht einmal mehr sicher sein, ob er überhaupt jemals den von Laire vorgezeichneten Weg bis zum Ende gegangen war.

Trotzdem dachte Atlan nicht daran, aufzugeben oder gar zu resignieren. Immerhin hatte er viele nützliche Hinweise erhalten. Wenn EGEN wirklich ein Teil von Anti-ES war, mußte er gestellt und unschädlich gemacht werden ...

Twoxl-7 war es gelungen, der Kontrolle durch die Penetranz zu entfliehen. Er befand sich auf der Suche nach Sternfeuer. Sicher konnte er ein nützlicher Helfer sein ... Endlich waren auch die Koordinaten des Arsenalplaneten bekannt, der einen entscheidenden Gefahrenpunkt darstellte. Ein Überraschungsschlag mit der SOL würde vielleicht die Bedrohung beseitigen oder zumindest schmälern.

Mit SENECAS Hilfe hatte Breckcrown Hayes inzwischen eine brauchbare Analyse der an Bord herrschenden Stimmung vorgenommen. Das Ergebnis war einigermaßen überraschend, denn die Solaner standen noch hinter Atlan.

Der Arkonide ahnte, daß er dies vor allem dem Umstand zu verdanken hatte, daß die verschwundene SZ-2 noch existierte und sich zudem in Sicherheit befand. Für die FARTULOON unter Bjo Breiskoll galt mit Einschränkungen das gleiche. Wöbbekings Absicht war unschwer zu erkennen: Er hoffte darauf, daß Atlan und die Solaner nach dieser moralischen Aufrüstung es doch noch schaffen mochten, dem scheinbar Unabwendbaren eine Wende zum Positiven zu geben.

ENDE

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Weiter geht es in Band 148 der Abenteuer der SOL mit:

Zug um Zug

von Horst Hoffmann

Impressum:

© Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Chefredaktion: Klaus N. Frick

© Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit

Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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