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Der Nervenarzt Kurzbeiträge Nervenarzt 2020 · 91:1138–1141 https://doi.org/10.1007/s00115-020-00966-1 Online publiziert: 28. Juli 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Erik Ellwardt · Frank Birklein Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz, Deutschland Granulomatöse Polyangiitis mit neurologischer Erstmanifestation Hintergrund Die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA; früher auch als Wegener-Gra- nulomatose bezeichnet) ist eine seltene rheumatologische Erkrankung der Ge- fäße mit einhergehender Granulombil- dung der oberen und unteren Atem- wege. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen und der Erkran- kungsgipfel liegt um das 50. Lebensjahr [1]. Durch die Gefäßentzündung kön- nen prinzipiell alle Organe betroffen sein. In abnehmender Häufigkeit sind jedoch meistens folgende Organsyste- me betroffen: Nieren, obere und untere Atemwege, Ohren, Augen, Haut, Herz und Nervensystem (peripheres [PNS] und zentrales Nervensystem [ZNS]; [2]). Eine Erstmanifestation einer GPA mit einer Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems ist selten, im Verlauf können jedoch bei bis zu 50 % der GPA-Patienten neurologische Sym- ptome auſtreten [3, 4]. Wir berichten hier von einer 60-jährigen Patientin, die sich mit einer seit ca. 4 Wochen bestehenden Gangstörung und Schwankschwindel, einer Hörminderung und Sehstörungen in unserer neurologischen Poliklinik vorstellte. Fallbeschreibung Die 60-jährige Patientin stellte sich aufgrund der Gangstörung und des Schwankschwindels vor. Seit 4 Wo- chen bestand eine langsam zunehmende Gangstörung einhergehend mit bren- nenden Dysästhesien an den Fußsohlen sowie einer leichten Fußheberschwäche (Kraſtgrad 4/5) beider Seiten. Die Achil- lessehenreflexe waren beidseits nicht auslösbar. Eine Gangataxie oder Koor- dinationsstörung bestanden nicht. Die Patientin gab zusätzlich an, seit einer Woche vertikal und horizontal versetzte Doppelbilder sowie eine Hörminderung auf dem rechten Ohr zu haben. Die klinisch neurologische Untersuchung war diesbezüglich bis auf einen Blick- richtungsnystagmus nach rechts initial unauffällig, die subjektiven Beschwer- den konnten klinisch nicht eindeutig nachvollzogen werden. In der erweiter- ten Anamnese berichtete die Patientin von einem seit 3 Monaten anhaltenden chronischen Schnupfen. Laborchemisch fiel bereits ein deutlich erhöhtes CRP auf (133 mg/l, Normwert <5 mg/l). Zu die- sem Zeitpunkt hatten wir den Verdacht auf eine vaskulitische Polyneuropathie (PNP) und eine zentrale Beteiligung im Rahmen einer GPA und es erfolgte die stationäre Abklärung. Klinisch-neurologisch stellte sich rasch nach stationärer Aufnahme ein Spontannystagmus nach rechts mit Drehschwindel ein, die Dysästhesien und Fußheberparesen zeigten sich un- verändert. Im MRT des Schädels zeig- ten sich akute punktförmige lakunäre Ischämien in den Stammganglien beid- seits sowie in der Medulla oblongata links in den diffusionsgewichteten Se- quenzen. Ferner imponierten in den FLAIR-Aufnahmen bihemisphärische Marklagerläsionen, die kein Kontrast- mittel aufnahmen (. Abb. 1a–d). Die CT- Angiographie bestätigte bilaterale Ge- fäßkaliberschwankungen (. Abb. 1e, f), die hochgradig verdächtig für eine intra- zerebrale Vaskulitis waren. Die Neuro- graphie konnte eine motorische axonale Neuropathie an beiden Nn. tibiales und peroneus objektivieren, die kalorische Testung eine Untererregbarkeit am rech- ten Ohr und die Tonaudiometrie eine Hochtonsenke rechts. In der Liquoruntersuchung stellte sich eine entzündliche Konstellation mit erhöhter Leukozytenzahl (41 Leukozy- ten; Normwert <5 Leukozyten/μl) und erhöhtem Eiweiß (802mg/l; Normwert <400mg/l) dar. Es fanden sich keine oligoklonalen Banden im Liquor. Die serologische differenzialdiagnostische Abklärung ergab erhöhte Antikörper- titer für c-ANCA (antineutrophile zy- toplasmatische Antikörper 1:80; Norm- wert <1:20) und ebenso deutlich erhöh- te Proteinase-3-Antikörper (634,1 CU; Normwert <20CU). Hinweise für eine Nierenbeteiligung ergaben sich nicht. Bei der Suche nach einer Affektion der Atemwege zeigte sich in der CT der Nasennebenhöhlen eine Sinusitis ethmoidalis, maxillaris und sphenoida- lis (. Abb. 1g, h). Im oraxröntgenbild wurden Verschattungen gesehen, die sich in der orax-CT als bipulmonale multiple knotige Verdickungen bis 3cm Durchmesser bestätigten. Eine Biopsie des Nasennebenhöhlenseptums erbrach- te den Nachweis chronischer und akuter gefäßassoziierter Entzündungsinfiltrate. Epitheloidzellige Granulome oder eo- sinophile Zellen konnten jedoch nicht objektiviert werden. Auf eine erneute Biopsie wurde aufgrund der doch ein- deutigen Befundkonstellation verzichtet. Therapie und Verlauf Nach interdisziplinärer Fallbesprechung und Feststellung der Diagnose einer Gra- nulomatose mit Polyangiitis und peri- pherer sowie zentraler Beteiligung initi- ierten wir eine rombozytenaggregati- 1138 Der Nervenarzt 12 · 2020

dieAutor(en)2020 GranulomatösePolyangiitismit ......Kurzbeiträge Diff T2 FLAIR T2 FLAIR T1 KM ab e f c f gh cd Abb.18KranialeMagnetresonanztomographie(cMRT),Computertomographie(CT)-AngiographieundCTderNasenne

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Der Nervenarzt

Kurzbeiträge

Nervenarzt 2020 · 91:1138–1141https://doi.org/10.1007/s00115-020-00966-1Online publiziert: 28. Juli 2020© Der/die Autor(en) 2020

Erik Ellwardt · Frank BirkleinKlinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz,Mainz, Deutschland

Granulomatöse Polyangiitis mitneurologischer Erstmanifestation

Hintergrund

Die Granulomatose mit Polyangiitis(GPA; früher auch als Wegener-Gra-nulomatose bezeichnet) ist eine seltenerheumatologische Erkrankung der Ge-fäße mit einhergehender Granulombil-dung der oberen und unteren Atem-wege. Männer und Frauen sind etwagleich häufig betroffen und der Erkran-kungsgipfel liegt um das 50. Lebensjahr[1]. Durch die Gefäßentzündung kön-nen prinzipiell alle Organe betroffensein. In abnehmender Häufigkeit sindjedoch meistens folgende Organsyste-me betroffen: Nieren, obere und untereAtemwege, Ohren, Augen, Haut, Herzund Nervensystem (peripheres [PNS]und zentrales Nervensystem [ZNS];[2]). Eine Erstmanifestation einer GPAmit einer Schädigung des peripherenoder zentralen Nervensystems ist selten,imVerlauf können jedoch bei bis zu 50%der GPA-Patienten neurologische Sym-ptome auftreten [3, 4].Wir berichtenhiervon einer 60-jährigen Patientin, die sichmit einer seit ca. 4 Wochen bestehendenGangstörung und Schwankschwindel,einer Hörminderung und Sehstörungenin unserer neurologischen Poliklinikvorstellte.

Fallbeschreibung

Die 60-jährige Patientin stellte sichaufgrund der Gangstörung und desSchwankschwindels vor. Seit 4 Wo-chen bestand eine langsam zunehmendeGangstörung einhergehend mit bren-nenden Dysästhesien an den Fußsohlensowie einer leichten Fußheberschwäche(Kraftgrad 4/5) beider Seiten. Die Achil-lessehenreflexe waren beidseits nicht

auslösbar. Eine Gangataxie oder Koor-dinationsstörung bestanden nicht. DiePatientin gab zusätzlich an, seit einerWoche vertikal und horizontal versetzteDoppelbilder sowie eine Hörminderungauf dem rechten Ohr zu haben. Dieklinisch neurologische Untersuchungwar diesbezüglich bis auf einen Blick-richtungsnystagmus nach rechts initialunauffällig, die subjektiven Beschwer-den konnten klinisch nicht eindeutignachvollzogen werden. In der erweiter-ten Anamnese berichtete die Patientinvon einem seit 3 Monaten anhaltendenchronischen Schnupfen. Laborchemischfiel bereits ein deutlich erhöhtes CRP auf(133mg/l, Normwert <5mg/l). Zu die-sem Zeitpunkt hatten wir den Verdachtauf eine vaskulitische Polyneuropathie(PNP) und eine zentrale Beteiligung imRahmen einer GPA und es erfolgte diestationäre Abklärung.

Klinisch-neurologisch stellte sichrasch nach stationärer Aufnahme einSpontannystagmus nach rechts mitDrehschwindel ein, die Dysästhesienund Fußheberparesen zeigten sich un-verändert. Im MRT des Schädels zeig-ten sich akute punktförmige lakunäreIschämien in den Stammganglien beid-seits sowie in der Medulla oblongatalinks in den diffusionsgewichteten Se-quenzen. Ferner imponierten in denFLAIR-Aufnahmen bihemisphärischeMarklagerläsionen, die kein Kontrast-mittel aufnahmen (. Abb. 1a–d).DieCT-Angiographie bestätigte bilaterale Ge-fäßkaliberschwankungen (. Abb. 1e, f),die hochgradig verdächtig für eine intra-zerebrale Vaskulitis waren. Die Neuro-graphie konnte eine motorische axonaleNeuropathie an beiden Nn. tibiales undperoneus objektivieren, die kalorische

Testung eine Untererregbarkeit am rech-ten Ohr und die Tonaudiometrie eineHochtonsenke rechts.

In der Liquoruntersuchung stelltesich eine entzündliche Konstellation miterhöhter Leukozytenzahl (41 Leukozy-ten; Normwert <5 Leukozyten/μl) underhöhtem Eiweiß (802mg/l; Normwert<400mg/l) dar. Es fanden sich keineoligoklonalen Banden im Liquor. Dieserologische differenzialdiagnostischeAbklärung ergab erhöhte Antikörper-titer für c-ANCA (antineutrophile zy-toplasmatische Antikörper 1:80; Norm-wert <1:20) und ebenso deutlich erhöh-te Proteinase-3-Antikörper (634,1CU;Normwert <20CU). Hinweise für eineNierenbeteiligung ergaben sich nicht.

Bei der Suche nach einer Affektionder Atemwege zeigte sich in der CTder Nasennebenhöhlen eine Sinusitisethmoidalis, maxillaris und sphenoida-lis (. Abb. 1g, h). Im Thoraxröntgenbildwurden Verschattungen gesehen, diesich in der Thorax-CT als bipulmonalemultiple knotige Verdickungen bis 3cmDurchmesser bestätigten. Eine BiopsiedesNasennebenhöhlenseptums erbrach-te den Nachweis chronischer und akutergefäßassoziierter Entzündungsinfiltrate.Epitheloidzellige Granulome oder eo-sinophile Zellen konnten jedoch nichtobjektiviert werden. Auf eine erneuteBiopsie wurde aufgrund der doch ein-deutigen Befundkonstellation verzichtet.

Therapie und Verlauf

Nach interdisziplinärer FallbesprechungundFeststellung derDiagnose einerGra-nulomatose mit Polyangiitis und peri-pherer sowie zentraler Beteiligung initi-ierten wir eine Thrombozytenaggregati-

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Page 2: dieAutor(en)2020 GranulomatösePolyangiitismit ......Kurzbeiträge Diff T2 FLAIR T2 FLAIR T1 KM ab e f c f gh cd Abb.18KranialeMagnetresonanztomographie(cMRT),Computertomographie(CT)-AngiographieundCTderNasenne

Diff T1 KMT2 FLAIR T2 FLAIR

a b

e f

c

f

g h

c d

Abb. 18 KranialeMagnetresonanztomographie (cMRT), Computertomographie(CT)-Angiographie undCT der Nasenne-benhöhlen. a In der diffusionsgewichteten Sequenz (Diff) derMRT erkenntmanpunktförmige Ischämien in denStammgan-glien beidseits (Pfeile).b, c In den T2-FLAIR-Sequenzen fanden sichmultipleMarklagerläsionen, die in denT1-gewichtetenAufnahmennachKontrastmittel(KM)-Gabe (d)keineSchrankenstörungaufwiesen.e, f InderCT-AngiographieNachweismul-tipler intrakranieller Gefäßstenosen (Pfeile).g, h Im CT der Nasennebenhöhlen zeigte sich nebeneiner Sinusitis ethmoidalisundmaxillaris eine Sinusitis sphenoidaliswie hier dargestellt (Pfeile)

onshemmung mit ASS 100mg und ei-ne immunsuppressiveTherapie. Nach ei-nem3-tägigen intravenösenMethylpred-nisolonstoß (Dosis 250mg/Tag) stelltenwir auf 1mg/kg Körpergewicht oralesPrednisolonum.Zeitgleichbegannenwiraufgrund der Schwere der Symptome ei-ne Induktionstherapie mit Cyclophosph-amid mit 500mg i.v. pro Zyklus in einemAbstand von 2 Wochen. Es wurden ins-gesamt 6 Zyklen durchgeführt (Kumula-tivdosis 3000mg Cyclophosphamid). ImAnschluss an die Cyclophophamidthera-pie begannen wir eine körperoberfläche-

nadaptierte remissionserhaltendeThera-pie mit dem Anti-CD20-Antikörper Ri-tuximab (Dosis 375mg/m2), die bis zumjetzigen Zeitpunkt etwasmehr als 2 Jahrenach Diagnosestellung weiterhin B-Zell-gesteuert erfolgt. Die aktuelle Predniso-londosis beträgt derzeit 2,5mg. Die Pa-tientin hat sich unter der Therapie sehrgut stabilisiert und keine neuen neuro-logischen Symptome oder Läsionen imcMRT entwickelt. Die Dysästhesien derFußsohlenund leichtgradigenFußheber-paresen (KG 4/5) bestehen zwar weiter

fort, die Gangstörung hat sich jedochdeutlich gebessert.

Diskussion

Unser Fall unterstreicht nochmals deut-lich, dass alle Patienten, die sich mitsubakuten neurologischen Symptomen,auch wenn diese auf das PNS beschränktzu sein scheinen, ausführlich neurolo-gischuntersuchtwerdensollten.Letztlichwaren bei der Patientin mehrere Organ-systeme durch die GPA betroffen. Dazuzählen PNS, ZNS, obere Atemwege, un-

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Page 3: dieAutor(en)2020 GranulomatösePolyangiitismit ......Kurzbeiträge Diff T2 FLAIR T2 FLAIR T1 KM ab e f c f gh cd Abb.18KranialeMagnetresonanztomographie(cMRT),Computertomographie(CT)-AngiographieundCTderNasenne

Kurzbeiträge

Tab. 1 Mögliche neurologischeManifestationenunddiagnostischeSchrittebeiGranulomatosemit Polyangiitis [3, 7]

Symptom Diagnostik

Kopfschmerzen/Meningismus cMRT, Angiographie, Liquorpunktion

Hirnnervenausfälle cMRT, Liquorpunktion, SSEP, MEP, Elektronystagmographie

Schlaganfälle/Enzephalopathie/Epilepsie

cMRT, Angiographie, Liquorpunktion

Diabetes insipidus/Hypophyseninsuffizienz

cMRT, Hormonspiegel, endokrinologische Vorstellung

Hörminderung HNO-Vorstellung, CT-NNH

Sehstörung Augenärztliche Vorstellung, cMRT

Dysästhesien/Paresen Neurographie mit Elektromyogaphie, ggf. Nervenbiopsie

tere Atemwege sowie rechtes Ohr. Dieweiteren Befunde aus entzündlichemLiquor, intrazerebralen Gefäßkaliber-schwankungen und hoch spezifischenpositiven Proteinase-3-Antikörpern [5,6] unterstützten die Diagnose.

Konsentierte diagnostische Kriteri-en für die Diagnosestellung einer GPAexistieren bis dato nicht [7]. 2012 wurdedie Nomenklatur der systemischen Vas-kulitiden revidiert [8, 9]. Nach diesenrevidierten Chapel-Hill-Kriterien erfolgtweiterhin eine Einteilung nach Gefäß-größe. Während beispielsweise eine Rie-senzellarteriitis oder Takayasu-Arteriitisden Großgefäßvaskulitiden zugerechnetwerden, gehören die ANCA-assoziiertenVaskulitiden (AAV) zu den Kleingefäß-vaskulitiden.BeidenAAVsunterscheidetman wiederum die Granulomatose mitPolyangiitis (GPA; Wegener) von dereosinophilen Granulomatose mit Poly-angiitis (EGPA; Churg-Strauss) und dermikroskopischen Polyangiitis (MPA; [8,9]). Positive Befunde für Proteinase-3-Antikörper, wie im geschilderten Fall,oder aber auchMyeloperoxidaseantikör-per erleichtern die Zuordnung zu denAAVs [5, 6]. Proteinase-3-Antikörpersind dabei hinweisend für das Vorliegeneiner GPA, während Myeloperoxidase-antikörper eher mit einer EGPA oderMPA assoziiert sind [7]. Während dieGPA insbesondere obere und untereAtemwege befällt, finden sich bei derEGPA erhöhte Anteile an eosinophilenLeukozyten im Blut und in der Histolo-gie. Dies war im vorliegenden Fall nichtgegeben.

Prinzipiell ist beim Verdacht auf eineVaskulitis der Nachweis in einer Biopsieanzustreben. Hierfür eignen sich insbe-

sondere der HNO-Trakt, aber auch Nie-ren, Haut oder Nerven bei entsprechen-dem Befall. Im vorliegenden Fall konntedurch eine Septumbiopsie eine Gefäß-entzündung gesichert werde. Aber selbstwenneineBiopsiekeineneindeutigenBe-fund bringt oder nicht durchgeführtwer-den kann, ist bei entsprechender Anti-körperkonstellationund entsprechendenSymptomen eine AAV weiterhin mög-lich und sollte nicht zu einer Therapie-verzögerung führen [7]. Trotz der beiunserer Patientin vorliegenden Schwer-punktneuropathie verzichteten wir aufeine zusätzliche Nervenbiopsie aufgrundder bereits erhobenen Befunde.

Neurologische Manifestationen(. Tab. 1) bei einer GPA sind grundsätz-lich seltenbeiErstmanifestation,nehmenaber im Erkrankungsverlauf deutlich zu.In einer retrospektiven Analyse vonGPA-Patienten fanden sich im Verlaufbei immerhin 11,7% der GPA-PatientenZNS-Symptome, wohingegen in einerprospektiven Analyse eine Beteiligungdes peripheren Nervensystems bei biszu 44% der Patienten zu beobachtenwar [3, 10]. Neben Kopfschmerzen, aku-ten neurologischen Ausfällen jeder Art,Hirnnervenausfällen (auch bilateral)und subakut auftretenden peripherenDysästhesien oder Paresen zählen auchHörminderungen oder Sehstörungenoder ein zentraler Diabetes insipidus zumöglichen zentralen oder peripherenneurologischen Manifestationen. In derMRT sind sowohl der Nachweis aku-ter Schlaganfälle als auch ausgedehnteältere Marklagergliosen wie im berichte-ten Fall möglich [3]. Zusätzlich könnenZeichen einer Schwerpunktneuropathie(als vaskulitische Neuropathie) in der

Neurographie nachweisbar sein [10, 11].Die Hirnnervenausfälle können durcheine Granulomatose der basalen Hirn-strukturen verursacht werden [4], wasbei unserer Patientin aber nicht der Fallwar.

DadiePrävalenzneurologischer Sym-ptome im Erkrankungsverlauf der GPAdeutlich zuzunehmen scheint, ist dieKenntnis dieser Entität für uns Neurolo-gen essenziell. Eine immunsuppressiveTherapie sollte je nach Schwere der Sym-ptomeundAusprägung desOrganbefallseingeleitet werden. Für die Remissions-induktion kommen entsprechend derrheumatologischen S1-Leitlinie für dieAAVs zusätzlich zu Glukokortikoidensowohl Cyclophosphamid als auch Ritu-ximab infrage [7].

Korrespondenzadresse

Erik Ellwardt, M.D.Klinik und Poliklinik für Neu-rologie, Universitätsmedizinder Johannes GutenbergUniversität MainzLangenbeckstraße 1,55131Mainz, [email protected]

Funding. Open Access funding provided by ProjektDEAL.

Interessenkonflikt. E. Ellwardt und F. Birklein gebenan, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Open Access.Dieser Artikelwird unter der CreativeCommonsNamensnennung4.0 International Lizenzveröffentlicht, welche dieNutzung, Vervielfältigung,Bearbeitung, VerbreitungundWiedergabe in jegli-chemMediumundFormat erlaubt, sofern Sie den/dieursprünglichenAutor(en)unddieQuelle ordnungsge-mäßnennen, einen Link zur Creative Commons Lizenzbeifügenundangeben, obÄnderungen vorgenom-menwurden.

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WeitereDetails zur Lizenz entnehmenSie bitte derLizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.

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Fachnachrichten

Neues Score-System zur Einschätzung des individuellen Risikos füreinen schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19

Ein neues Score-System zur Einschätzung des individuellen Risikos für einenschweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung haben Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und der LMU Münchenvorgestellt.

Die Krankheitsverläufe bei einer Infektionmit SARS-CoV-2 sind sehr unterschiedlich

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Beurteilung des individuellen Risikos für

einen schweren Krankheitsverlauf stellt anÄrztinnen und Ärzte somit hohe Anforderun-

gen. Das neue Score-System soll daher eine

Hilfestellung zu einer einheitlichen Risiko-Abschätzung bieten. In Kenntnis des indivi-

duellen Scores kann dann in einem zweitenSchritt beurteilt werden, welche beruflichen

Einsatzmöglichkeitenbestehen.

Betriebe und Unternehmen haben eine Für-

sorgepflicht für ihre Beschäftigten, insbe-

sondere für jene, die einer Risikogruppeangehören. Eine Beurteilung, ob ein erhöh-

tes Schutzbedürfnis vorliegt, setzt fundierteKenntnisse des individuellen Gesundheitszu-

stands sowie der jeweiligen Bedingungen am

Arbeitsplatz voraus. Im Rahmen einer Gefähr-dungsbeurteilung ermitteln die Arbeitgeber

mit Unterstützungder Betriebsärztinnenund

-ärzte die am Arbeitsplatz objektiv bestehen-den gesundheitlichen Belastungsfaktoren.

Hierzu zählt auch die Infektionsgefährdung.

Mit dem IKKA-Score haben die Erlanger und

Münchner Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler nun ein neues standardisiertes

Instrument entwickelt, das die Risikoein-

schätzung des Arztes/der Ärztin für einenschweren Krankheitsverlauf bei COVID-19

unterstützt. Das Verfahren wurde in ersterLinie für die Anwendung im Arbeitsschutz

konzipiert und dient als eine konkrete Ent-

scheidungshilfe im Praxisalltag. Der IKKA-Score setzt sich aus den vier Kategorien

Immunsuppression, Krankheitsschwere be-

stehender Vorerkrankungen, Komorbiditä-ten/Risikofaktoren nach RKI und Alter zu-

sammen und bewertet diese nach einemüberschaubaren und leicht verständlichen

Punktesystem. Je nach Ausprägung der Risi-

kofaktoren werden in jeder Kategorie Punktevergeben. Anhand der Gesamtpunktzahl

kann dann ein Abgleich mit der sich ausder Gefährdungsbeurteilung ergebenden

individuellen Infektionsgefährdung der Be-schäftigten erfolgen und risikoadaptierte

Einsatzmöglichkeiten für besonders gefähr-

dete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmergesucht werden. Die Stärke des neuen IK-

KA-Scores liegt in der Vereinheitlichung der

Risikobeurteilung unter möglichst großerÜbersichtlichkeit und geringem Zeitauf-

wand sowie in der Berücksichtigung bereitsvorliegender Empfehlungen des Bundesmi-

nisteriums für Arbeit und Soziales (BMAS).

Professor Hans Drexler, Direktor des Instituts

und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und

Umweltmedizin an der Universität Erlangen-Nürnberg und Präsident der DGAUM zum

IKKA-Score: „Bislang gab es keine einheit-liche Vorgehensweise bei der individuellen

Risikobestimmung von Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmern.Mit der EntwicklungdesIKKA-Scores ist es uns gelungen, Ärztinnen

und Ärzten eine Entscheidungshilfe für die

Beurteilung der individuellen Gefährdungdurch SARS-CoV-2 zur Verfügung zu stellen

und somit einen Beitrag zum Schutz vonvulnerablen Gruppen am Arbeitsplatz zu

leisten.“

Eine ausführliche Darstellung des neuen

Verfahrens finden Sie hier:

https://www.asu-arbeitsmedi-zin.com/praxis/zur-diskussion-gestellt-ikka-score-zur-vereinheitlichung-der-be-urteilung-des-individuellen

Dr. ThomasNesseler, PressekontaktDeutsche Gesellschaft für

Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.

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