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Publikation: tbhb Pagina: 29 Ist-Farben: cmyk0 Ressort: tb-sk Erscheinungstag: 28. 10. 2014 MPS-Planfarben: cmyk Dienstag, 28. Oktober 2014 Ostschweizer Kultur 29 Bild: Timo Ullmann Wieder auf Tour: Das Trio Noisy Minority und Roy Anderson. Böhmische Visitenkarten in der Tonhalle St. Gallen BETTINA KUGLER ST. GALLEN. Sonntags um Fünf: diesen Termin bespielt das Sin- fonieorchester St. Gallen schon seit geraumer Zeit – bislang mit Kammermusik-Formationen aus den eigenen Reihen. Neu hin- gegen ist jetzt das Sonntags-Abo in grosser Orchesterbesetzung. Das Angebot entspricht ganz offensichtlich einem Bedürfnis: den für Familie und Freunde reservierten freien Tag mit Mu- sik, einem Konzertbesuch abzu- runden. Ohne die werktägliche Hektik, die abends oft schwer abzustreifen ist. So staute sich also am vergangenen Sonntag um Fünf noch die Schlange der Spontanen vor der Abendkasse, bis die Tonhalle ausverkauft war. Herbstlich warmes Timbre Dabei lockte wohl auch der Programmschwerpunkt Böh- men, mit Smetanas «Moldau» prominent plakatiert: ein Reper- toire, welches das Sinfonieor- chester St.Gallen in den Jahren unter Chefdirigent Jiˇ ri Kout zu schätzen und farblich höchst nu- anciert zu spielen gelernt hat. Der Pole Michal Dworzynski als Gast am Pult traf daher auf einen gut präparierten, mit der slawischen Musiksprache des 19. Jahrhunderts bestens ver- trauten Klangkörper – was auch dem «modernsten» Werk, Marti- us «Rhapsody Concerto» für Viola und Orchester, zugute kam. Moldau-Magie Den Auftakt machte Smetanas «Vltava», die viel gespielte «Mol- dau» aus dem Zyklus «Mein Va- terland»: präzis im Zusammen- spiel, mit teils etwas voreiligen grossen Crescendi und insge- samt frischem, aufmerksamem Blick auf «Böhmens Hain und Flur». Die markanten Szenen und Stationen brachte das Or- chester effektvoll zum Leuchten – etwa den magischen Moment der tanzenden Nymphen. Mit Martin ˚ us «Rhapsody» setzte sich die lyrische Spielart des böhmischen Nationalstolzes fort. Geradezu sehnsüchtig klingt sie im herbstlich warmen Timbre der Bratsche von Law- rence Power; virtuose Passagen baut er organisch in das sang- liche Werk ein – den dritten Satz von Dvoˇ aks 6. Sinfonie vorweg- nehmend. Hier zeigte das Sinfo- nieorchester St. Gallen ein weite- res Mal so mitreissend wie zart einnehmend die musikalische Visitenkarte Böhmens: im tänze- risch gaukelnden «Furiant» an- stelle des klassischen Scherzo. Aufmüpfig und humorvoll Das freigeistige Jazz-Trio Noisy Minority hat bald zwanzig Jahre auf dem Buckel, will aber von Routine nichts wissen. Nun geht die tollkühne Truppe zum drittenmal mit dem Tausendsassa Ray Anderson auf Tour. TOM GSTEIGER Das Zürcher Trio Noisy Minority hat es wahrlich nicht nötig, sich mit fremden Federn zu schmü- cken: Altsaxophonist Omri Zie- gele, Elektrobassist Jan Schlegel und Schlagzeuger Dieter Ulrich sind selber bunte, schräge Vögel. So steckt hinter der Zusammen- arbeit mit US-Posaunist Ray Anderson kein kommerzielles Kalkül, sondern das gegenseitige Interesse an freudvollen musika- lischen Duellen, aus denen alle als Sieger hervorgehen. Nachhaltige Hurra-Stimmung 2012 trafen Schlegel und Ul- rich im Rahmen eines vom Label Intakt organisierten Festivals in John Zorns Club Stone in New York auf Ray Anderson, um frei zu improvisieren. Dieses Konzert löste eine nachhaltige Hurra- Stimmung aus: Anderson fliegt nun zum drittenmal über den Atlantik, um mit Noisy Minority auf Tour zu gehen. Ziegele kom- mentiert: «Es war von Anfang an wunderbar – musikalisch, aber auch menschlich. Ray hat eine Art von Humor, die mir sehr ent- gegenkommt.» Für Ziegele ist die Posaune die ideale instrumen- tale Ergänzung: «Sie klingt nicht so grell wie eine Trompete und kommt dem Altsax vom Ton- umfang her nicht in den Weg. Und sie bildet ein Verbindungs- glied zum Bass.» Zuvor hatte Zie- gele das Potenzial von Altsax und Posaune bereits in einem Projekt mit dem deutschen Posaunisten Christof Thewes ausgelotet: Am Unerhört-Festival in der Roten Fabrik in Zürich trafen 2008 die Trios Noisy Minority und Squakk aufeinander. Unglaubliche Dialogfähigkeit Der 1952 in Chicago geborene Anderson kam trotz seiner weis- sen Hautfarbe relativ jung in Kontakt mit der afro-amerikani- schen Avantgarde-Bewegung AACM; Ende der 70er-Jahre machte er bei Auftritten mit dem Quartett des damals viel beach- teten Visionärs Anthony Braxton Furore, um schliesslich mit den Slickaphonics und dem Trio Bass-Drum-Bone durchzustar- ten. Ziegele über Anderson: «Er ist sehr schnell und agil und ver- fügt über eine unglaubliche Dia- logfähigkeit, sein Spiel ist offen angelegt. Er motiviert uns zu neuen Spielarten.» Für das hel- vetische Jazzorakel Peter Rüedi ist Anderson der «vielseitigste, lustigste und nachhaltigste Po- saunist seiner Generation». Das Trio wird sich mit Ander- son weder total frei improvisie- ren noch sich gemütlich im Jam- Session-Modus einrichten. Viel- mehr wird es darum gehen, das abenteuerlustige Noisy-Mino- rity-Prinzip auf die erweiterte Formation zu übertragen. Ziege- le erklärt: «Ich habe für die Grup- pe sehr viel Material geschrieben – das reicht von elegischen Balla- den bis zu ziemlich abstrakten Sachen. Wenn wir proben, geht es darum, die Stücke zu nageln, wobei es auch vorkommen kann, dass ich gewisse Sachen streiche oder auswechsle. Vor dem Kon- zert wird abgemacht, welches Material in Frage kommt. Damit spielen wir dann. Wenn jemand etwas anzieht, können die ande- ren mitziehen, aber sie müssen nicht. So passieren immer wie- der Dinge, die man sich zuvor gar nicht vorstellen konnte. Das ist sehr stimulierend und führt zu höchster Expressivität.» Noisy Minority & Ray Anderson: So, 2.11., 17 Uhr, Centrum DKMS, St. Gallen; Ziegele & Anderson & Hemingway: So, 9.11., 17 Uhr, Schloss Wartegg, Rorschacherberg «Explosive, geniale Mischung» Am Samstag rocken Crazy Diamond St.Gallen. Bandleader Üse Junger über Gegenwart und Zukunft der bekanntesten Schweizer Pink-Floyd-Coverband, seine Velotour quer durch Amerika und das bevorstehende neue Album seiner Idole. THOMAS GRIESSER KYM Herr Junger, im August haben Crazy Diamond zwei ausverkaufte Konzerte in Augusta Raurica ge- spielt, als Reverenz an Pink Floyds Auftritt 1972 in Pompei. Was war das Besondere an diesen Shows? Üse Junger: Die Ambiance in diesem historischen römischen Theater mit seinem Halbrund. Es war eine einmalige, phantas- tische Kulisse für die je 1850 Zu- schauer, aber auch für die Band mit diesem Blick ins Publikum. Nächsten Frühling veröffentlichen Crazy Diamond eine Doppel-CD samt Bonus-DVD von diesen Kon- zerten. Zur Finanzierung haben Sie sich auch des Crowdfundings bedient. Warum? Junger: Wir haben gewusst, dass diese Produktion mit 40 000 Franken sehr teuer wird und wir das unmöglich allein stemmen können. Wir geben zwar relativ grosse Konzerte, aber die gesam- ten Einnahmen werden reinves- tiert. So entstand die Idee des Crowdfundings. Mit diesem Spendenaufruf wollte die Band 10 000 Franken einsam- meln, herausgekommen ist aber gut dreimal so viel. Überwältigt? Junger: Wir hatten schon auf etwas mehr als 10 000 Franken gehofft, aber dass es dann so viel wurde, ist schlicht sensationell. Die Produktion ist von Anfang an sehr aufwendig und ausgefeilt geplant gewesen, aber nun ha- ben wir auch die Gewissheit, dass wir alle, die daran mitarbei- ten, fair bezahlen können. Ende 2013 haben Sie unter dem Namen Younger ein Soloalbum namens «Heaven Calls» veröffent- licht. Was gab den Anstoss dazu? Junger: Als Crazy Diamond ko- pieren wir Pink Floyd, und auch wenn wir das noch so gut tun – es bleibt eine Kopie. Das hat mich angefangen zu wurmen, und ich habe mich gefragt, ob ich auch selber Songs komponieren kann. Um die CD zu promoten, sind Sie im Frühling mit dem Velo während 47 Tagen 5218 Kilometer von Los Angeles nach New York geradelt und haben unterwegs bei Radio- stationen angeklopft. Wie lief es? Junger: Vor meiner Abreise ha- ben mir ein paar Leute gesagt: Vergiss es, ohne Plattenvertrag wird dich dort keine Radiosta- tion spielen. Ein paar haben es aber doch getan, und ich habe auch live ein paar Interviews ge- geben. Aber klar, der ganz grosse Paukenschlag ist ausgeblieben. Und welche Erfahrung haben Sie von der Reise an sich mitgebracht? Junger: Ich konnte zwei meiner Leidenschaften verbinden: Mu- sik und Velofahren. Was mich beschäftigt hat, waren die vielen Obdachlosen. Selber war ich ex- trem fit, weil ich auch viel trai- niert hatte. Und ich war auch ziemlich schnell, weil ich jeden Tag von Hunden verfolgt wurde. In Kürze erscheint mit «The Endless River» ein neues Pink-Floyd-Album, das vor allem aus instrumentalen Überbleibseln der 1993er-Sessions für die Platte «The Division Bell» besteht. Was erwarten Sie davon? Junger: Ich bin gespannt-skep- tisch. Zum einen freue ich mich sehr, dass es noch einmal neues Pink-Floyd-Material gibt. Zum anderen ist es sehr schade, dass es die drei noch lebenden Band- mitglieder nicht geschafft ha- ben, sich noch einmal zusam- menzuraufen, denn Roger Wa- ters ist ja nicht involviert. Mit ihm hätte es eine explosive, aber geniale Mischung ergeben. Und dann enthält das neue Album ja leider nur einen einzigen gesun- genen Song, und mir sind Stim- men halt schon extrem wichtig. Roger Waters ist von 2010 bis 2013 mit «The Wall» um die Welt getourt. Sie haben 15 dieser Shows gesehen. Ihr Fazit? Junger: Es war schlicht sensatio- nell. Ich konnte nicht genug be- kommen und habe jedesmal wie- der etwas Neues entdeckt. Die Band und die Techniker sind mit der Zeit gewachsen und haben sich entwickelt, und «The Wall» ist ja auch ein grosses Werk. Nach welchen Kriterien nehmen Crazy Diamond Pink-Floyd-Songs in ihr Repertoire auf? Junger: Das ist oft ein demokrati- scher Prozess. Wir hören uns ein paar Songs an und entscheiden, was uns gefällt. Dann müssen wir noch beurteilen, ob das wohl auch beim Publikum ankommt. Nach vier Jahren spielen Crazy Diamond wieder in der Graben- halle in St.Gallen. Welche Lecker- bissen werden den Fans serviert? Junger: Wir haben einige neue Songs im Repertoire. Zum Bei- spiel vom «Animals»-Album «Pigs», ein Geheimfavorit vieler eingefleischter Floyd-Fans. Dann haben wir auch bei unserer Licht- und Videoshow noch ei- nen rechten Zacken zugelegt. Crazy Diamond gibt es nun seit 13 Jahren. Wohin geht die Reise? Junger: Gefühlsmässig würde ich sagen, wir haben vielleicht die erste Halbzeit gespielt. Wir wol- len schon noch ein paar Dinge erreichen: Wir möchten grössere Open-Airs spielen, mehr Präsenz in der lateinischen Schweiz, und längst überfällig ist der erste Auf- tritt im Ausland. Für alle Band- mitglieder ist Crazy Diamond nicht der Beruf, sondern ein Hobby. Und das Feuer brennt noch immer. Crazy Diamond live: Grabenhalle St.Gallen, 1. November, 21 Uhr. Tickets (30 Franken) unter www.starticket.ch Das Beste aus Fumetto WEINFELDEN. Die prämierten Werke des Internationalen Co- mix-Festivals Fumetto zum The- ma «Genuss oder Sucht» sind jetzt am Hauptsitz der Perspek- tive Thurgau zu sehen. Vernissage: Heute Di, 17–19 Uhr, Schützenstrasse 15 Autor im Thurgau und in der Welt GOTTLIEBEN. Jochen Kelter ist durch Gedichte, Essays und ei- nen Roman hervorgetreten. Vor allem als Lyriker zählt er seit lan- gem zu den wichtigen Stimmen im deutschsprachigen Raum. «Hier nicht wo alles herrscht», der neue Gedichtband des ehe- maligen Bodmanhaus-Leiters, wird selbstverständlich im Bod- manhaus vorgestellt. Der 1946 in Köln geborene Kelter hat Litera- tur- und Sprachwissenschaft studiert und lebt in Ermatingen. Er engagiert sich auch auf politi- scher Ebene für den Schriftstel- lerberuf. Seine Lyrik und Prosa sind vielfach mit Preisen be- dacht worden. (red.) Do, 30.10., 20 Uhr, Bodmanhaus Bild: pd «Wir haben einige neue Songs im Repertoire»: Der 44jährige Üse Junger, Gründungsmitglied und Bandleader von Crazy Diamond. Gefühlsmässig würde ich sagen, wir haben vielleicht die erste Halbzeit gespielt. Anders reagieren – aber wie? WEINFELDEN. Leonie und Rahel sind gute Freundinnen bis Rahel von Leonie schwer ent- täuscht wird. Sie rächt sich im Netz, löst eine Lawine von Ereig- nissen mit tragischen Folgen aus. Rückblickend wünschten sich Freunde, Eltern, Mitschüle- rinnen, Lehrer, sie hätten sich anders verhalten – nur wie? Im Forumtheater kann das Publi- kum das Verhalten der Figuren unter die Lupe nehmen und andere Handlungsweisen aus- probieren. Das Theater Bilitz will mit «zOFFnet» für die Schwie- rigkeiten und Gefahren im Um- gang mit dem Internet sensibili- sieren – mit Anstössen und Anre- gungen statt Rezepten. (red.) Do, 30.10., 20.15 Uhr, Theaterhaus

Dienstag, 28. Oktober 2014 Ostschweizer K ultur E xplosive ... · Publikation: tbhb Pagina: 29 Ist-Farben: cmyk0 Ressort: tb-sk Erscheinungstag: 28. 10. 2014 MPS- Planfarben: cmyk

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Publikation: tbhb Pagina: 29 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-sk Erscheinungstag: 28. 10. 2014 MPS-Planfarben: cmyk

Dienstag, 28. Oktober 2014 OstschweizerKultur 29

Bild: Timo Ullmann

Wieder auf Tour: Das Trio Noisy Minority und Roy Anderson.

Böhmische Visitenkartenin der Tonhalle St. GallenBETTINA KUGLER

ST. GALLEN. Sonntags um Fünf:diesen Termin bespielt das Sin-fonieorchester St. Gallen schonseit geraumer Zeit – bislang mitKammermusik-Formationen ausden eigenen Reihen. Neu hin-gegen ist jetzt das Sonntags-Aboin grosser Orchesterbesetzung.Das Angebot entspricht ganzoffensichtlich einem Bedürfnis:den für Familie und Freundereservierten freien Tag mit Mu-sik, einem Konzertbesuch abzu-runden. Ohne die werktäglicheHektik, die abends oft schwerabzustreifen ist. So staute sichalso am vergangenen Sonntagum Fünf noch die Schlange derSpontanen vor der Abendkasse,bis die Tonhalle ausverkauft war.

Herbstlich warmes Timbre

Dabei lockte wohl auch derProgrammschwerpunkt Böh-men, mit Smetanas «Moldau»prominent plakatiert: ein Reper-toire, welches das Sinfonieor-chester St. Gallen in den Jahrenunter Chefdirigent Jiri Kout zuschätzen und farblich höchst nu-anciert zu spielen gelernt hat.Der Pole Michal Dworzynskials Gast am Pult traf daher aufeinen gut präparierten, mit derslawischen Musiksprache des

19. Jahrhunderts bestens ver-trauten Klangkörper – was auchdem «modernsten» Werk, Marti-nus «Rhapsody Concerto» fürViola und Orchester, zugute kam.

Moldau-Magie

Den Auftakt machte Smetanas«Vltava», die viel gespielte «Mol-dau» aus dem Zyklus «Mein Va-terland»: präzis im Zusammen-spiel, mit teils etwas voreiligengrossen Crescendi und insge-samt frischem, aufmerksamemBlick auf «Böhmens Hain undFlur». Die markanten Szenenund Stationen brachte das Or-chester effektvoll zum Leuchten– etwa den magischen Momentder tanzenden Nymphen.

Mit Martinus «Rhapsody»setzte sich die lyrische Spielartdes böhmischen Nationalstolzesfort. Geradezu sehnsüchtigklingt sie im herbstlich warmenTimbre der Bratsche von Law-rence Power; virtuose Passagenbaut er organisch in das sang-liche Werk ein – den dritten Satzvon Dvoraks 6. Sinfonie vorweg-nehmend. Hier zeigte das Sinfo-nieorchester St. Gallen ein weite-res Mal so mitreissend wie zarteinnehmend die musikalischeVisitenkarte Böhmens: im tänze-risch gaukelnden «Furiant» an-stelle des klassischen Scherzo.

Aufmüpfig und humorvollDas freigeistige Jazz-Trio Noisy Minority hat bald zwanzig Jahre auf dem Buckel, will aber von Routinenichts wissen. Nun geht die tollkühne Truppe zum drittenmal mit dem Tausendsassa Ray Anderson auf Tour.

TOM GSTEIGER

Das Zürcher Trio Noisy Minorityhat es wahrlich nicht nötig, sichmit fremden Federn zu schmü-cken: Altsaxophonist Omri Zie-gele, Elektrobassist Jan Schlegelund Schlagzeuger Dieter Ulrichsind selber bunte, schräge Vögel.So steckt hinter der Zusammen-arbeit mit US-Posaunist RayAnderson kein kommerziellesKalkül, sondern das gegenseitigeInteresse an freudvollen musika-lischen Duellen, aus denen alleals Sieger hervorgehen.

Nachhaltige Hurra-Stimmung

2012 trafen Schlegel und Ul-rich im Rahmen eines vom LabelIntakt organisierten Festivals inJohn Zorns Club Stone in NewYork auf Ray Anderson, um freizu improvisieren. Dieses Konzertlöste eine nachhaltige Hurra-Stimmung aus: Anderson fliegtnun zum drittenmal über denAtlantik, um mit Noisy Minorityauf Tour zu gehen. Ziegele kom-mentiert: «Es war von Anfang anwunderbar – musikalisch, aberauch menschlich. Ray hat eineArt von Humor, die mir sehr ent-gegenkommt.» Für Ziegele ist diePosaune die ideale instrumen-

tale Ergänzung: «Sie klingt nichtso grell wie eine Trompete undkommt dem Altsax vom Ton-umfang her nicht in den Weg.Und sie bildet ein Verbindungs-glied zum Bass.» Zuvor hatte Zie-gele das Potenzial von Altsax undPosaune bereits in einem Projektmit dem deutschen PosaunistenChristof Thewes ausgelotet: AmUnerhört-Festival in der RotenFabrik in Zürich trafen 2008 dieTrios Noisy Minority und Squakkaufeinander.

Unglaubliche Dialogfähigkeit

Der 1952 in Chicago geboreneAnderson kam trotz seiner weis-

sen Hautfarbe relativ jung inKontakt mit der afro-amerikani-schen Avantgarde-BewegungAACM; Ende der 70er-Jahremachte er bei Auftritten mit demQuartett des damals viel beach-teten Visionärs Anthony BraxtonFurore, um schliesslich mit denSlickaphonics und dem TrioBass-Drum-Bone durchzustar-ten. Ziegele über Anderson: «Erist sehr schnell und agil und ver-fügt über eine unglaubliche Dia-logfähigkeit, sein Spiel ist offenangelegt. Er motiviert uns zuneuen Spielarten.» Für das hel-vetische Jazzorakel Peter Rüediist Anderson der «vielseitigste,

lustigste und nachhaltigste Po-saunist seiner Generation».

Das Trio wird sich mit Ander-son weder total frei improvisie-ren noch sich gemütlich im Jam-Session-Modus einrichten. Viel-mehr wird es darum gehen, dasabenteuerlustige Noisy-Mino-rity-Prinzip auf die erweiterteFormation zu übertragen. Ziege-le erklärt: «Ich habe für die Grup-pe sehr viel Material geschrieben– das reicht von elegischen Balla-den bis zu ziemlich abstraktenSachen. Wenn wir proben, gehtes darum, die Stücke zu nageln,wobei es auch vorkommen kann,dass ich gewisse Sachen streicheoder auswechsle. Vor dem Kon-zert wird abgemacht, welchesMaterial in Frage kommt. Damitspielen wir dann. Wenn jemandetwas anzieht, können die ande-ren mitziehen, aber sie müssennicht. So passieren immer wie-der Dinge, die man sich zuvorgar nicht vorstellen konnte. Dasist sehr stimulierend und führtzu höchster Expressivität.»

Noisy Minority & Ray Anderson:So, 2.11., 17 Uhr, Centrum DKMS,St. Gallen; Ziegele & Anderson &Hemingway: So, 9.11., 17 Uhr,Schloss Wartegg, Rorschacherberg

«Explosive, geniale Mischung»Am Samstag rocken Crazy Diamond St.Gallen. Bandleader Üse Junger über Gegenwart und Zukunft der bekanntestenSchweizer Pink-Floyd-Coverband, seine Velotour quer durch Amerika und das bevorstehende neue Album seiner Idole.THOMAS GRIESSER KYM

Herr Junger, im August habenCrazy Diamond zwei ausverkaufteKonzerte in Augusta Raurica ge-spielt, als Reverenz an Pink FloydsAuftritt 1972 in Pompei. Was wardas Besondere an diesen Shows?Üse Junger: Die Ambiance indiesem historischen römischenTheater mit seinem Halbrund.Es war eine einmalige, phantas-tische Kulisse für die je 1850 Zu-schauer, aber auch für die Bandmit diesem Blick ins Publikum.

Nächsten Frühling veröffentlichenCrazy Diamond eine Doppel-CDsamt Bonus-DVD von diesen Kon-zerten. Zur Finanzierung habenSie sich auch des Crowdfundingsbedient. Warum?Junger: Wir haben gewusst, dassdiese Produktion mit 40 000Franken sehr teuer wird und wirdas unmöglich allein stemmenkönnen. Wir geben zwar relativgrosse Konzerte, aber die gesam-ten Einnahmen werden reinves-tiert. So entstand die Idee desCrowdfundings.

Mit diesem Spendenaufruf wolltedie Band 10000 Franken einsam-meln, herausgekommen ist aber gutdreimal so viel. Überwältigt?Junger: Wir hatten schon aufetwas mehr als 10 000 Frankengehofft, aber dass es dann so vielwurde, ist schlicht sensationell.Die Produktion ist von Anfang ansehr aufwendig und ausgefeiltgeplant gewesen, aber nun ha-ben wir auch die Gewissheit,dass wir alle, die daran mitarbei-ten, fair bezahlen können.

Ende 2013 haben Sie unter demNamen Younger ein Soloalbumnamens «Heaven Calls» veröffent-licht. Was gab den Anstoss dazu?Junger: Als Crazy Diamond ko-pieren wir Pink Floyd, und auchwenn wir das noch so gut tun – esbleibt eine Kopie. Das hat michangefangen zu wurmen, und ichhabe mich gefragt, ob ich auchselber Songs komponieren kann.

Um die CD zu promoten, sind Sieim Frühling mit dem Velo während47 Tagen 5218 Kilometer von LosAngeles nach New York geradeltund haben unterwegs bei Radio-stationen angeklopft. Wie lief es?Junger: Vor meiner Abreise ha-ben mir ein paar Leute gesagt:Vergiss es, ohne Plattenvertragwird dich dort keine Radiosta-tion spielen. Ein paar haben esaber doch getan, und ich habeauch live ein paar Interviews ge-geben. Aber klar, der ganz grossePaukenschlag ist ausgeblieben.

Und welche Erfahrung haben Sievon der Reise an sich mitgebracht?Junger: Ich konnte zwei meinerLeidenschaften verbinden: Mu-sik und Velofahren. Was michbeschäftigt hat, waren die vielenObdachlosen. Selber war ich ex-trem fit, weil ich auch viel trai-niert hatte. Und ich war auchziemlich schnell, weil ich jedenTag von Hunden verfolgt wurde.

In Kürze erscheint mit «The EndlessRiver» ein neues Pink-Floyd-Album,das vor allem aus instrumentalenÜberbleibseln der 1993er-Sessionsfür die Platte «The Division Bell»besteht. Was erwarten Sie davon?Junger: Ich bin gespannt-skep-tisch. Zum einen freue ich michsehr, dass es noch einmal neuesPink-Floyd-Material gibt. Zumanderen ist es sehr schade, dasses die drei noch lebenden Band-mitglieder nicht geschafft ha-ben, sich noch einmal zusam-menzuraufen, denn Roger Wa-ters ist ja nicht involviert. Mitihm hätte es eine explosive, abergeniale Mischung ergeben. Unddann enthält das neue Album jaleider nur einen einzigen gesun-genen Song, und mir sind Stim-men halt schon extrem wichtig.

Roger Waters ist von 2010 bis2013 mit «The Wall» um die Weltgetourt. Sie haben 15 dieser Showsgesehen. Ihr Fazit?Junger: Es war schlicht sensatio-nell. Ich konnte nicht genug be-kommen und habe jedesmal wie-

der etwas Neues entdeckt. DieBand und die Techniker sind mitder Zeit gewachsen und habensich entwickelt, und «The Wall»ist ja auch ein grosses Werk.

Nach welchen Kriterien nehmenCrazy Diamond Pink-Floyd-Songsin ihr Repertoire auf?Junger: Das ist oft ein demokrati-scher Prozess. Wir hören uns einpaar Songs an und entscheiden,was uns gefällt. Dann müssenwir noch beurteilen, ob das wohlauch beim Publikum ankommt.

Nach vier Jahren spielen CrazyDiamond wieder in der Graben-halle in St.Gallen. Welche Lecker-bissen werden den Fans serviert?Junger: Wir haben einige neueSongs im Repertoire. Zum Bei-

spiel vom «Animals»-Album«Pigs», ein Geheimfavorit vielereingefleischter Floyd-Fans. Dannhaben wir auch bei unsererLicht- und Videoshow noch ei-nen rechten Zacken zugelegt.

Crazy Diamond gibt es nun seit13 Jahren. Wohin geht die Reise?Junger: Gefühlsmässig würde ichsagen, wir haben vielleicht dieerste Halbzeit gespielt. Wir wol-len schon noch ein paar Dingeerreichen: Wir möchten grössereOpen-Airs spielen, mehr Präsenzin der lateinischen Schweiz, undlängst überfällig ist der erste Auf-tritt im Ausland. Für alle Band-mitglieder ist Crazy Diamondnicht der Beruf, sondern einHobby. Und das Feuer brenntnoch immer.

Crazy Diamond live: GrabenhalleSt.Gallen, 1. November, 21 Uhr.Tickets (30 Franken) unterwww.starticket.ch

Das Beste aus FumettoWEINFELDEN. Die prämiertenWerke des Internationalen Co-mix-Festivals Fumetto zum The-ma «Genuss oder Sucht» sindjetzt am Hauptsitz der Perspek-tive Thurgau zu sehen.Vernissage: Heute Di, 17–19 Uhr,Schützenstrasse 15

Autor im Thurgauund in der WeltGOTTLIEBEN. Jochen Kelter istdurch Gedichte, Essays und ei-nen Roman hervorgetreten. Vorallem als Lyriker zählt er seit lan-gem zu den wichtigen Stimmenim deutschsprachigen Raum.«Hier nicht wo alles herrscht»,der neue Gedichtband des ehe-maligen Bodmanhaus-Leiters,wird selbstverständlich im Bod-manhaus vorgestellt. Der 1946 inKöln geborene Kelter hat Litera-tur- und Sprachwissenschaftstudiert und lebt in Ermatingen.Er engagiert sich auch auf politi-scher Ebene für den Schriftstel-lerberuf. Seine Lyrik und Prosasind vielfach mit Preisen be-dacht worden. (red.)

Do, 30.10., 20 Uhr, Bodmanhaus

Bild: pd

«Wir haben einige neue Songs im Repertoire»: Der 44jährige ÜseJunger, Gründungsmitglied und Bandleader von Crazy Diamond.

Gefühlsmässig würdeich sagen, wir haben

vielleicht die ersteHalbzeit gespielt.

Anders reagieren– aber wie?WEINFELDEN. Leonie und Rahelsind gute Freundinnen – bisRahel von Leonie schwer ent-täuscht wird. Sie rächt sich imNetz, löst eine Lawine von Ereig-nissen mit tragischen Folgenaus. Rückblickend wünschtensich Freunde, Eltern, Mitschüle-rinnen, Lehrer, sie hätten sichanders verhalten – nur wie? ImForumtheater kann das Publi-kum das Verhalten der Figurenunter die Lupe nehmen undandere Handlungsweisen aus-probieren. Das Theater Bilitz willmit «zOFF!net» für die Schwie-rigkeiten und Gefahren im Um-gang mit dem Internet sensibili-sieren – mit Anstössen und Anre-gungen statt Rezepten. (red.)

Do, 30.10., 20.15 Uhr, Theaterhaus