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FRANZ DINGHOFER Franz Dinghofer Institut für Forschung und Lehre zur nationalen sowie internationalen Politik (Hg.) Unzensuriert - Verein zur Förderung der Medienvielfalt

Dinghofer Broschüre

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Das Leben und Wirken von Dr. Franz Dinghofer

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FRANZ DINGHOFER

Franz Dinghofer Institut für Forschung und Lehrezur nationalen sowie internationalen Politik (Hg.)

Unzensuriert - Verein zur Förderung der Medienvielfalt

Unzensuriert.at

FranzDinghofer

FranzDinghoferInstitut(Hg.)

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FESTVORTRAG ANLÄßLICHDER GEDENKFEIER FÜRFRANZ DINGHOFER

AM 11. MÄRZ 1987 IN LINZGEHALTEN VON

PROF. DR. HARRY SLAPNICKA

AKTUALISIERTE AUFLAGE

FRANZ DINGHOFER INSTITUTFÜR FORSCHUNG UND LEHRE ZUR NATIONALEN SOWIE INTERNATIONALEN POLITIK

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FRANZ DINGHOFER

© 2010 unzensuriert-Verein zur Förderung der Medienvielfalt

Druck: online Druck GmbH, Brown-Boveri-Straße 8, 2351 Wr. Neudorf

Herausgeber: Franz Dinghofer Institut für Forschung und Lehre zurnationalen sowie internationalen Politik

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild vorne: Dr. Franz Dinghofer, © Parlamentsdirektion/Bildarchivder Österreichischen Nationalbibliothek

Umschlagbild hinten: Ausrufung der Republik am 12. November 1918gemalt von Rudol Konopa, © Wien Museum Karlsplatz

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Vorwort Martin Graf 4

Vorwort Wilhelm Brauneder 8

Einleitung 10

Fünf statt drei politische Parteien 12

Richter und Rechtsstaatlichkeit 14

Ein Politiker muss jung beginnen 15

17 Jahre Kommunalpolitiker - 17 Jahre Reichs- bzw. Bundepolitiker 17

Landespolitik - und die politische Landschaft Oberösterreichs 20

Dinghofer und die Ämterkumulierung 23

Der "Verkünder der Republik" 24

Präsidentschaftskandidat 1920 27

Seipel holt sich Dinghofer 28

Kritik und Lob 30

Zeittafel 33

Anmerkungen 35

Kurzbiographie des Vortragenden Harry Slapnicka 37

Dinghofer im Reichsrat 38

Rede am 25. April 1912 zur Reform der Hauszinssteuer 39

Dinghofer in der Nationalversammlung 49

Rede am 12. November 1918 zum Tod von Viktor Adler 49

Die feierliche Ausrufung der Republik Deutschösterreich am12. November 1918 51

Rede am 6. Februar 1919 zur konstituierenden Sitzung derNationalversammlung der Weimarer Republik 53

Inhalt

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FRANZ DINGHOFER4

VorwortVON MARTIN GRAFPRÄSIDENT DES FRANZ DINGHOFER INSTITUTS, DRITTER PRÄSIDENT DES NATIONALRATS

Am 12. November 2010 – 92 Jahre nach der Verkündung der Republikdurch Franz Dinghofer – gründen wir ihm zu Ehren das Franz-Dinghofer-In-stitut (FDI). Dessen erste Aufgabe wird es sein, die Geschichte diesesgroßen Politikers, der einer der bedeutendsten Vertreter des national-frei-heitlichen Lagers ist, näher zu beleuchten und ihn dem Vergessen zu ent-reißen. Während Dinghofers politische Mitbewerber wie Karl Seitz, KarlRenner oder Ignaz Seipel heute noch vielen politisch interessierten Öster-reichern ein Begriff sind, ist Franz Dinghofer meist nur noch den Historikernbekannt.

Das Franz-Dinghofer-Institut wird sich daher in einem ersten Schritt damitbeschäftigen, Dinghofers Lebensgeschichte und seine politische Lauf-bahn zu erforschen und besser zu dokumentieren, unter anderem durchdie Förderung von Diplomarbeiten und Dissertationen. Dinghofers politi-sches und berufliches Wirken ist ein überaus umfassendes. Er war bei wei-tem kein politisches Leichtgewicht und über die Verkündung der Republikam 12. November 1918 hinaus jahrzehntelang politisch in entscheidendenPositionen national wie auch international tätig.

Als Beispiel seines Wirkens sei etwa sein Bürgermeisteramt in Linz genannt,das er 1907 – zehn Jahre nach Abschluss seines Jus-Studiums in Graz - imAlter von nur 34 Jahren als jüngster Bürgermeister einer autonomen Stadtin der Monarchie antrat. In dieser Funktion machte er Linz zu einer derbestversorgten Städte während des Ersten Weltkriegs, indem er ein Le-bensmittelamt gründete und Brot- und Mehlkarten einführte. Um der Teue-rung entgegenzuwirken, richtete Dinghofer auch städtische Milch- undFleischverkaufsstellen ein. Er machte sich in Linz jedoch auch einen Na-men durch den Bau von Arbeiterwohnungen, die Gründung eines Ju-gendamts für junge Menschen, die in den Kriegswirren ihre Eltern verlorenhatten, sowie durch die Errichtung der ersten Schrebergärten Österreichs.

Von 1911 bis zum Ende der Donaumonarchie 1918 war Dinghofer zusätz-lich zum Bürgermeisteramt Reichstagsabgeordneter. In der Provisorischen

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Nationalversammlung führte er sodann in einer historisch bedeutsamenStunde Österreichs bei einer Entscheidung von höchster Bedeutung denVorsitz, als am 12. November 1918 Österreich zur Republik wurde. Als Präsi-dent der Nationalversammlung verkündete er von der Rampe des Parla-mentsgebäudes aus der Volksmenge das Ergebnis der Abstimmung:„Deutschösterreich ist eine Republik“ und wurde so zum Verkünder der Re-publik in der Geburtsstunde des heutigen Österreich. Dies war bei weitemmehr als ein Formalakt, versuchten doch in der Stunde der Verkündunglinksextremistische Kräfte einen Putsch. Dinghofer blieb dennoch stand-haft.

Franz Dinghofers politisches Wirken setzte sich zunächst im Parlament fort.Er war ab 1919 Dritter Präsident der Konstituierenden Nationalversamm-lung und ab 1920 des Nationalrats. Dinghofer übernahm auch hohe Re-gierungsämter, ab 1926 war er unter der Regierung von Ignaz Seipel

Der Dritte Nationalratspräsident Dr. Martin Graf legt am 2. November 2009 mit

dem Dritten Landtagspräsidenten aus OÖ, Dipl.-Ing. Dr. Adalbert Cramer und

dem OÖ-Landesrat Dr. Manfred Haimbuchner einen Kranz am Grab des

"Verkünders der Republik" - Dr. Franz Dinghofer - nieder.

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FRANZ DINGHOFER6

zunächst Vizekanzler, später Bundesminister im Bundeskanzleramt und ab1927 schließlich Justizminister. Die Affäre um den ungarischen Kommuni-sten Bela Kun beendete seine Tätigkeit. Dinghofer weigerte sich als Justiz-minister, Kun nach Ungarn auszuliefern. Nach seiner Einschätzung hätteKun dort kein faires Verfahren zu erwarten gehabt. Dies führte zum Bruchauch mit seiner eigenen Großdeutschen Partei, und Dinghofer zog sich

aus der Politik zurück.Er hatte den Rechts-staat über die eigenepolitische Einstellunggestellt.

Franz Dinghofer kehrtein seinen Richterberufzurück und leitetezehn Jahre lang denObersten Gerichtshofals dessen Erster Präsi-dent. Am 11. Mai 1938wurde er von den Na-tionalsozialisten we-gen „politischerUnzuverlässigkeit“ in

den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ein großer Teil seines Familienbesitzes –das sogenannte Schöller-Gut in Linz-Waldegg – wurde für die Gründungder Hermann-Göring-Werke, der heutigen VOEST Alpine, enteignet. Ding-hofers kämpfe Zeit seines Lebens vergeblich um eine gerechte Entschädi-gung für das erlittene Unrecht.

Franz Dinghofers politische Heimat war die Großdeutsche Partei bzw. zuZeiten der Monarchie der Deutsche Volksbund. Die Basis für seine politi-sche Tätigkeit legte er in seiner Studienzeit, in der er sich der Grazer aka-demischen Burschenschaft Ostmark anschloss, deren Altherrenobmann erin weiterer Folge war. Franz Dinghofer ist somit einer der ersten und bisheute bedeutendsten Vertreter des national-freiheitlichen Lagers in Öster-reich.

Die vorliegende Broschüre ist im Wesentlichen eine Neuauflage der Fest-schrift des Schmerling-Instituts anlässlich der Gedenkfeier für Franz Dingho-fer am 11. Mai 1987 in seiner Heimatstadt Linz. Erweitert ist sie durch einige

Dem "Verkünder der Republik"

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politische Reden Dinghofers, darunter auch jene, die er am 12. November1918 – am Tag der Ausrufung der Republik – zum Tod des großen Sozialde-mokraten Viktor Adler hielt. Wie Dinghofer war auch Adler der Meinung,das nach dem Ersten Weltkrieg verbliebene Deutschösterreich sei nicht le-bensfähig. Adlers Eintreten für einen Anschluss an das Deutsche Reichwürdigte Dinghofer in der Rede zu Adlers Tod: „Noch letzten Samstag hör-ten wir ihn im Staatsrat in klugen Worten den Anschluss Deutschösterreichsan das große deutsche Nachbarreich empfehlen. Es sollte seine letzte po-litische Mahnung sein. Das Schicksal hat es ihm verwehrt, den Weg, dener zu weisen begonnen, mit uns zu Ende zu gehen.“

Das Bestreben nach einem Anschluss an Deutschland ist im Kontext derZeit zu sehen und wird in dieser Broschüre nicht kommentiert. Aus Dingho-fers Reden ist dieser Wunsch wiederholt zu entnehmen, ebenso wie diebreite Zustimmung, die er damit in der Nationalversammlung erntete. DerVerlust der Kronländer und die Reduktion Österreichs auf den deutsch-sprachigen Rest ließ nicht nur den Großdeutschen, sondern auch weitenTeilen der Sozialdemokratie eine Vereinigung mit Deutschland als einzigevernünftige Lösung erscheinen. Der Friedensvertrag von St. Germainmachte diese Hoffnung zunichte und legte die Basis für einen noch vielschrecklicheren Zweiten Weltkrieg und das Terrorregime des Nationalso-zialismus.

Als Dritter Nationalratspräsident und als Vertreter der Freiheitlichen ParteiÖsterreichs habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, meinen Amtsvorgän-ger Franz Dinghofer zu ehren und sein Wirken einer größeren Öffentlichkeitbekannt zu machen. Ich habe im Vorjahr und auch heuer gemeinsam mitanderen politischen Würdenträgern einen Kranz am Grab Dinghofers aufdem Linzer Barbara-Friedhof niedergelegt. Heute gründe ich gemeinsammit Freunden und politischen Weggefährten das Franz-Dinghofer-Institut,dem ich zugleich viel Erfolg und ein breites Wirken wünsche.

Ihr Martin Graf

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VorwortVONWILHELM BRAUNEDERPRÄSIDENT DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATES DES FRANZ DINGHOFER INSTITUTS,UNIVERSITÄSTPROFESSOR AN DER UNIVERSITÄTWIEN

Es ist ein Gebot der Geschichtsschreibung und, weil und soweit Geschich-te als historisches Argumentationsarsenal verwendet wird, auch eines derPolitik, Franz Dinghofer der Vergessenheit zu entreißen. In der Gründungs-phase unserer Republik 1918/19 stand Dinghofer besonders stark im Ram-penlicht des Geschehens. Diese Rolle fiel ihm als einem der drei – völliggleichgestellten – Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung zu:Prälat Johann Nepomuk Hauser für die Christlichsozialen, Karl Seitz für dieSozialdemokraten und eben Franz Dinghofer für die Deutschnationalen,damals die relativ stärkste dieser drei Gruppierungen. De facto fungierteDinghofer allerdings als erster Präsident, und zwar aus zwei Gründen: demchronologischen, daß er als erster das Präsidium übernahm, damit zusam-menhängend dem sachlichen, da er dieses bis einschließlich zur viertenSitzung, bei nur fallweiser Vertretung durch einen der anderen Präsiden-ten, führte. Dinghofer leitete daher die entscheidende Sitzung vom 30.Oktober, in welcher der Staatsgründungsbeschluß gefaßt wurde.

Am 12. November nachmittags tagte die Provisorische Nationalversamm-lung erstmals im Sitzungssaal des ehemaligen Abgeordnetenhauses imParlament an der Ringstraße, welches bis dahin eben vom Abgeordne-tenhaus des Reichsrats benutzt worden war. Diese erste Sitzung im Parla-mentsgebäude leitete gleichfalls Dinghofer. Sie wurde zu einer derturbulentesten Sitzungen des Parlaments im republikanischen Österreich.Nach der Beschlußfassung über das „Gesetz über die Staats- und Regie-rungsform“, dem fünften legislativen Akt des neuen Staates, begaben sichdie Abgeordneten um etwa 16 Uhr auf die Parlamentsrampe, von derDinghofer das eben von der Nationalversammlung beschlossene Gesetzvorzulesen begann. Ein von Kräften der äußersten Linken inszenierterPutsch vor der Parlamentsrampe trieb jedoch die Abgeordneten nach et-wa einer halben Stunde wieder in den Sitzungssaal zurück. Aber nicht nurdieser so augenfälligen Rolle am Gründungsvorgang unseres Staates we-gen verdient die Person Dinghofers entsprechend große Aufmerksamkeit.Seine politischen Funktionen vor und nach seiner Präsidentschaft in der

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Nationalversammlung runden sich zum Bild eines homo politicus von For-mat wie unter anderem als Vizebürgermeister und sodann Bürgermeisterder Landeshauptstadt Linz, als Mitglied des oberösterreichischen Landtagsund auch des Abgeordnetenhauses „in der Monarchie“ und schließlich inder Republik als Vizekanzler und Bundesminister. Im historischen Rückblickzählt Dinghofer sicherlich zu den hervorragendsten Zeitzeugen, der nichtnur beobachtend, sondern in unterschiedlichen Zeiten verschiedenartigsttätig gewesen war.

Ihr Willhelm Brauneder

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EinleitungVON PROF. DR. HARRY SLAPNICKAVORTRAG ANLÄSSLICH DER DINGHOFER-GEDENKFEIER AM 11. MÄRZ 1987 IM LINZERREDOUTENSAAL

Ziemlich genau in die Mitte der liberalen Ära Oberösterreichs hineingebo-ren, die im Erzherzogtum ob der Enns kürzer als in den meisten anderenLändern der westlichen Reichshälfte der Habsburgermonarchie zwischen1861 und 1864 anzusetzen ist, wird Franz Dinghofer als einer der vier Ober-österreicher, die maßgeblichen Anteil am Werden und Wachsen der Er-sten Republik hatten. Es sind dies Johann Nepomuk Hauser und FranzDinghofer, Michael Mayr und Johannes Schober1. Später gesellen sichnoch aus dem Bereich der Bundesregierung die Minister und Staatssekre-täre Bachinger und Födermayr, Gleißner und Hammerstein-Equord, Dr.Hueber und Neustädter-Stürmer, schließlich Starhemberg hinzu. Dabei solldiese Namensnennung keine Rangordnung darstellen und nicht irrefüh-ren. Besonders kraftvolle Persönlichkeiten liebten und lieben es, in der Lan-despolitik und im Landesausschuss bzw. in der Landesregierung zuverbleiben. Das ist bei den Katholisch-Konservativen, die seit 1884 denLandeshauptmann stellen, leicht verständlich, gilt aber auch zum Teil fürdie Deutschnationalen, vor allem wenn wir an Dr. Carl Beurle denken. Inder Habsburgermonarchie bedeutet es zwar noch für Dr. Ebenhoch eineEhre, den Sprung vom Landeshauptmann von Oberösterreich zum Acker-bauminister Zisleithaniens zu machen. Wesentlich anders ist es angesichtsder kurzlebigen Ministerien in der Zwischenkriegszeit. Und schon 1918drängt der damalige Landeshauptmannstell-Vertreter Dr. Schlegel Hauserin einer Sitzung der Landesregierung all seine Bundesaufgaben zurückzule-gen und sich ausschließlich der Landespolitik zu widmen, wogegen sichallerdings Sozialdemokraten und Großdeutsche aussprechen.

Vier Jahre vor der Geburt Dinghofers im Jahre 1873 war der liberalpoliti-sche Verein² gegründet worden, aber schon vor der durch das Vereinsge-setz ermöglichten Gründung politischer Parteien hat es politische Wahlenund seit 1861 einen von politischen Gruppen gewählten Landtag gege-ben. Es ist heute vor allem der Jugend schwer verständlich zu machen,dass es zwei Mal, 1861 und 1867, Landtagswahlen aber keine politischenParteien gegeben hat. Diese beiden Landtage von 1861 und 1867 sinddurchaus liberal beherrschte Landtage, der zweite von 1867 noch mehr

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als der erste, und vermutlich scharen sich um den auf Grund einer Viril-stimme im Landtag vertretenen Diözesanbischof Rudigier 1861 nur siebenund 1867 sechs katholisch-konservative Abgeordnete, denen 42 bzw. 43 li-berale gegenüberstehen. Im Reichsrat dieser Jahre werden aus Ober-österreich ausschließlich liberale Vertreter entsandt³.

Dinghofers Großvater war aus Waidhofen a. d. Thaya im Waldviertel nachOttensheim gekommen: Der Gastwirt und Postmeister wirkt hier (bis 1847)als letzter Marktrichter. Sein Sohn Franz Seraph, der Vater Dinghofers, dermit seinen Postkutschenlinien das obere Mühlviertel verkehrsmäßig er-schließt und auch von Adalbert Stifter erwähnt wird, zählt zu den Haupt-geschädigten der modernen Zeit, als die MühlkreisbahnLinz-Aigen/Schlägl gebaut wird. Vielleicht ist es das Marktrichteramt desGroßvaters, das dazu führt, dass das zweitjüngste von acht Geschwistern,eben Franz Dinghofer, Jurist wird. Vielleicht ist es aber auch ganz allge-mein der Mode- und Lieblingsberuf der Liberalen, der die Türen für fast je-de Funktion im öffentlichen Leben öffnet. Wie Dinghofers GroßvaterMarktrichter war, so war der Vater vom Beginn der modernen Demokratieim Lande ab 1861, wenn auch mit einer dreijährigen Unterbrechung,durch 18 Jahre hindurch Bürgermeister von Ottensheim.

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Fünf statt drei politische Parteien

Die Hochschuljahre Dinghofers, also die Jahre zwischen 1892 und 1897sind Jahre eines politischen Umbruchs in Oberösterreich - und nicht nurhier. Der Verlust der liberalen Landtagsmehrheit im Jahre 1884 führt zu ei-ner Krise innerhalb des liberal-politischen Vereins. Die relativ einfache poli-tische Landschaft Oberösterreichs beginnt sich zu ändern. Ein Jahr nachdem Entstehen der ersten politischen Partei im Lande (1869) war, sichtbarim Zusammenhang mit dem Prozess gegen Bischof Rudigier, der Katholi-sche Volksverein entstanden, der schon ab 1870 in den Landgemeindendominiert, der aber in den Städten nur sehr beschränkt, bei den drei Han-delskammer-Mandaten bis zuletzt nie durchzudringen vermag, auchwenn 1870 der Rücktritt des Kammerpräsidenten lgnaz Mayr, des Pioniersder Donauschifffahrt, des Gründers der Linzer Schiffswerft und eines derGründungsmitglieder des liberal-politischen Vereins andeutet, dass die Kir-chenfeindlichkeit führender Liberaler in den eigenen Reihen nicht durch-wegs akzeptiert worden war. 1881 entsteht als dritte politische Gruppe derOberösterreichische Bauernverein, der in den Landgemeinden dem Ka-tholischen Volksverein hätte gefährlich werden können, hätte ihn nichtdas den Liberalen maßgeschneiderte Wahlrecht am politischen Parkettchancenlos gemacht, so dass er – gelegentlich zweitstärkste Partei imLande - bis 1918 nie ein Landtagsmandat erreicht. Ist seine Parole ,,Wederliberal noch klerikal.", so ist doch die nationale Komponente des Bauern-vereins unübersehbar und nicht zufällig wird Georg Ritter von Schönerererster Ehrenobmann dieser dritten Partei Oberösterreichs4. 1888 gründendann Dr. Beurle und Dr. Sylvester in Linz den „Deutschnationalen Verein fürOberösterreich". Es ist übrigens dasselbe Jahr, in dem die Sozialdemokrati-sche Partei nach langjährigen internen Kämpfen geschlossen am politi-schen Parkett - vorerst in der Kommunalpolitik - auftritt. Schon 1882 war inLinz zur Gründung der „Deutschen Volkspartei" das so genannte „LinzerProgramm" beschlossen worden, das hier allerdings nicht veröffentlichtwerden darf. Der Führer dieser neuen, deutschnationalen Bewegung inOberösterreich, Dr. Carl Beurle, kommt direkt aus Schönerers Freundes-kreis, macht im Wahljahr 1890 eine Wendung zu den Katholisch-Konserva-tiven, ohne dass aber in der Folge jene Konstellation wie in Wien unter derFührung Luegers die antisemitischen ,,Vereinten Christen" entsteht. 1896folgt Beurles endgültige Wendung zu den Liberalen, die ja, denken wir nuran die Jahre 1870 und 1871 und an die herbe Kritik Kaiser Franz Josephs,

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immer auch national gewesen waren. Die Landtagskämpfe von1890,1896 und 1902 zeigen aber keineswegs ein amikales Ringen zwischenLiberalen und Deutschnationalen. Den jungen, aus den Hochschulenkommenden Deutschnationalen war vor allem eine Unterwanderung derliberalen Partei nicht gelungen – und dies, obwohl schon 1885 der liberal-politische Verein in den „Deutschen Verein für Oberösterreich" umbe-nannt worden war und drei Schönerer-Anhänger, unter ihnen Dr. Beurle, inden Vereinsvorstand aufgenommen worden waren. Das Tauziehen zwi-schen Deutsch-Liberalen und Deutsch-Nationalen wird nicht zuletzt da-durch entschieden, dass die Liberalen überalterte Obmänner haben, diejeweils nur kurzfristig die Partei führen, während bei den Deutschnationa-len eine Kontinuität durch die durch 30 Jahre andauernde Obmannschaftvon Beurle entsteht - aber auch durch eine schrittweise Abwendung vonSchönerer. 1890 erreichen die Deutschnationalen ihren ersten Landtags-sitz (eben Dr. Beurle), 1896 zwei von 50, 1894 war der erste Deutschnatio-nale Gemeinderat von Linz geworden - jener Apotheker Gustav Eder, derbereits 1900 erster deutschnationaler Bürgermeister von Linz wird.5

Die Anfänge dieses politischen Umbruchs dürften in der Familie Dinghofersheftig diskutiert worden sein - bis zum frühen Tode des Vaters, der 1890 imAlter von 54 Jahren stirbt. Erst recht ist die sich täglich wandelnde politi-sche Lage Hauptgesprächsstoff, als Dinghofer 1892 der akademischenVerbindung „Ostmark" in Graz beitritt, einer nationalen Verbindung mitzahlreichen Mitgliedern aus Oberösterreich.

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Richter und Rechtsstaatlichkeit

Nach der Promotion (1897), einem Wirken als Rechtspraktikant und derRichterprüfung, einem krankheitsbedingt verkürzten Einjährig-Freiwilligen-jahr und seiner Verehelichung, folgte eine fünfjährige Tätigkeit als Richter.Dann aber machen seine politischen Funktionen eine Weiterbeschäfti-gung als Richter unmöglich. Und doch ist diese, alles in allem zehnjährige,Laufbahn – übrigens ähnlich wie bei dem späteren Landeshauptmann Dr.Josef Schlegel – wesentlich. Beide fühlen sich dem Richterberuf zugehörig,bei beiden ist die Rechtsstaatlichkeit später ein wesentlicher Bestandteilihrer Grundsätze. Bei beiden wird dies in der Schlussphase ihres Wirkensbedeutsam; bei Dinghofer als Präsident des Obersten Gerichtshofes, beiSchlegel 15 Jahre später als Präsident des Rechnungshofes.

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Ein Politiker muss jung beginnen

Soll einer ein „großer“ Politiker werden, so gibt es eine Reihe von Rezep-ten, die rasch aufgezählt, aber schwer realisierbar sind. Er muss vor allemjung beginnen. Das geht meist nicht ohne gute und vertraute Freunde.Denn ein junger Mann und junger Politiker braucht einen Vertrauensvor-schuss. Dann muss, immer und immer wieder, dieses Vertrauen neu er-kämpft und neu bestätigt werden. Durch Fleiß und Ideen, durch Ideenund Fleiß. Und er muss wissen - und das scheint das Schwerste zu sein -wann er abzutreten hat. Alle diese Voraussetzungen werden bei Dingho-fer im Wesentlichen erfüllt.

Mit 28 Jahren ist Dr. Franz Dinghofer das jüngste Gemeinderatmitglied; mit34 Jahren der jüngste Bürgermeister einer autonomen Stadt- und er bleibtdas jüngste gewählte Stadtoberhaupt der Landeshauptstadt Linz seit demBestehen einer freien Gemeinde. Er wird, was allerdings kein Rekord ist, mit41 Jahren Landtagsabgeordneter (an sich war er 36jährig gewählt wor-den). Mit 38 Jahren ist er Reichsratsabgeordneter. Im Bereich der Christ-lichsozialen jener Jahre war Dr. Josef Schlegel, Richter wie Ebenhoch, mit31 Jahren Reichsratsabgeordneter geworden und gleichaltrig Landtags-abgeordneter. Hauser war mit 42 Jahren Landeshauptmann geworden;Ebenhoch mit 33 Jahren Reichsratsabgeordneter, mit 36 Jahren Parteiob-mann, mit 43 Jahren Landeshauptmann. Trotz des relativ hohen Wahlal-ters hatten es also Politiker in der Schlussphase der Habsburgermonarchienicht schwer, sich in jungen Jahren durchzusetzen.

Dinghofer ist aber auch erst 45 Jahre alt als er einer der drei Präsidentender Provisorischen Nationalversammlung und Dritter Präsident der Konstitu-ierenden Nationalversammlung und des Nationalrates wird. Mit 50 Jahrenzählt er zu den angesehensten Politikern Österreichs. Drei Jahre später ister Vizekanzler. Und mit 55 Jahren verlässt er die Politik.

Da in der Politik das Generationenproblem, auch die Zugehörigkeit zu ei-ner Altersgruppe, eine wichtige, vielfach noch kaum beachtete Rollespielt, soll auch die Frage nicht unterdrückt werden, welche politischenFreunde und Gegner zur Altersgruppe von Dinghofer zählen. Sein politi-scher Mentor und Förderer Dr. Carl Beurle ist 13 Jahre älter, stirbt aberschon 1919, also fast ein Menschenalter vor Dinghofer. Franz Langoth, der

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nach Beurle die Deutschnationalen in der Landespolitik zu vertreten hatte,ist um vier Jahre jünger als Dinghofer. Im Bereich der Landespolitik liegtLandeshauptmann Johann Nepomuk Hauser mit dem Geburtsdatum1866 ziemlich in der Mitte zwischen Beurle und Dinghofer. In der Bundes-politik ist Dr. Johannes Schober um ein Jahr jünger als Dinghofer, Bundes-kanzler Dr. lgnaz Seipel um drei Jahre jünger. Um ein paar Jahre älter alsDinghofer ist Renner, etwas jünger Otto Bauer. So gibt es also um das Jahr1918 eine gar nicht so kleine Gruppe sehr bedeutender und fast gleichalt-riger Politiker - was übrigens das politische Leben durchaus nicht einfachergestaltet.

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17 Jahre Kommunalpolitiker, 17Jahre Reichs- bzw. BundespolitikerDas politische Wirken Dinghofers ist relativ leicht zu gliedern. Durch 17 Jah-re hindurch ist er in der Kommunalpolitik tätig und eben so lang im Reichs-rat, Nationalrat und in der Bundesregierung. Die zwischengeschalteteTätigkeit als Landtagsabgeordneter und als Mitglied der provisorischenLandesversammlung in den Jahren 1914 bis 1919 ist vergleichsweise nichtwesentlich. Obwohl Dinghofer nach 1918 die höchsten Funktionen inne-hat, welche ein österreichischer Politiker zu erreichen vermag, Mitglieddes Staatsrates, Präsident der Nationalversammlung, Minister und Vize-kanzler, so zeigt eine um Gerechtigkeit bemühte Wertung, dass der Höhe-punkt seines politischen Wirkens in der Kommunalpolitik liegt und hier vorallem in der Zeit des Ersten Weltkrieges - ganz ähnlich übrigens wie beiLandeshauptmann Hauser, dieser allerdings im Bereich der Landespolitik.

Dinghofer und Hauser haben das Glück, ihre bedeutsamen Funktionen inrelativ ruhigen Zeiten beginnen zu können, um dann als erfahrene Männerungewöhnlich schwierige Aufgaben im Ersten Weltkrieg meistern zu kön-nen. Hauser wird 1908 Landeshauptmann von Oberösterreich, Dinghoferwar 1907 Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz geworden.

Als Gemeinderat und Vizebürgermeister bereits in den wichtigsten Aus-schüssen wirkend, kann sich Dinghofer als Bürgermeister rasch entfalten.Die Schwerpunkte seines politischen Waltens werden mehr durch die Si-tuation und die Notwendigkeiten, als durch die Begabung Dinghofers vor-gezeichnet. Natürlich hat sich auch Dinghofer mit dem Gemeindestatut(1904), der Reorganisation der Gemeindeverwaltung und der Wahlrechts-änderung (1907-1914) auseinandergesetzt; bedeutungsvoll wird die Einge-meindung von St. Peter und vor allem die Schaffung wesentlicherVoraussetzungen zur Eingemeindung von Urfahr, die dann knapp nachdem Ersten Weltkrieg erfolgt. Bedeutender Schwerpunkt wird aber derAusbau des modernen Linzer Schulwesens, auch die Errichtung modernerSchulgebäude, wobei auch die Heranziehung hervorragender Architek-ten wie Schulte und Balzarek und natürlich auch der, gerade bei einigendieser Schulbauten sichtbare, Jugendstil nicht unberücksichtigt bleibensoll6. Bei all seinen Erfolgen in den komplizierten Verhandlungen mit denverschiedenen Ministerien bleibt der versagte Durchbruch bei der vor al-lem von Beurle und Dinghofer vertretenen Universitätsplanung, auch der

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Studienbibliothek, schmerzlich.

Gleichwertig neben diesem Schwerpunkt Schule steht das Bemühen umeinen modernen Ausbau des Verkehrswesens, vor allem im Bereich derLokalbahnen. Hier sind Dinghofers Aufgaben besonders schwierig, weil essich nicht nur um ein Ringen mit den Wiener Zentralstellen, sondern auchmit der gleichfalls deutschnational geführten Stadt Wels handelt, die ver-kehrsmäßig eher günstiger als Linz liegt und diese Chance nützen will, umWels mehr als bisher aufzuwerten, eine Stadt, die überdies in Dr. JohannesSchauer einen ungewöhnlich agilen Bürgermeister hat, der teilweisegleichfalls Landtags- und Reichsratsabgeordneter ist. Ich will hier nicht aufdie verschiedenen Planungen einer Verbindung zwischen Wels und demOberen Mühlviertel und nach Böhmen - für Linz und Urfahr eine „Verkehrs-ablenkung" - oder die verschiedenen Kremstalbahn-Planungen eingehen.Manches, ja vieles, ist für die Gegenwart unwesentlich geworden.Schmerzlich, auch in heutiger Sicht, ist die Tatsache, dass die Planungender Lokalbahn Linz - Ebelsberg - St. Florian - Steyr angesichts des Kriegsaus-bruches nicht mehr realisiert werden können, die auch angesichts der ak-tuellen Bestrebungen für einen leistungsfähigen und umweltfreundlichenNahverkehr zukunftsträchtig gewesen wären.

Insbesondere der Schulbau und der Ausbau der Verkehrswege zeigen ei-ne Intensität, ein Tempo, eine Hektik, als ob man den kommenden Krieggeahnt hätte. Insgesamt zeigen die sieben Jahre (1907-1914) eine umfas-sende Aufbauarbeit bis hin zum Wohnungsausbau, zum Ausbau der Al-tersheime, der Straßenbahn und des Gaswerkes.

Die entscheidende Leistung Dinghofers aber wird sichtbar, als er nachdem Ausbruch des Ersten Weltkrieges für die Versorgung der gesamtenLinzer Bevölkerung mit Lebensmitteln verantwortlich ist - eine Aufgabe, diebisher durchaus nicht zu der einer normalen Verwaltung gezählt hat. Ge-wiss, Oberösterreichs Landeshauptstadt Linz hat bei Kriegsbeginn nur70.000 Einwohner und sie Iiegt überdies in einem rechen Bauernland ein-gebettet, in dem nur vereinzelt Industriebetriebe wie Enklaven einge-schlossen sind. Aber so einfach wie es aussieht ist auch OberösterreichsSituation nicht: Das von allen Fronten im Norden, Osten und später auchim Süden am weitesten entfernte Kronland ist voll gestopft mit evakuiertenDienststellen, Ersatztgruppenteilen und Kriegsgefangenenlagern7. Schondamals erlangt das Gefangenenlager Mauthausen durch seine Fleckfie-berepidemie, an der, nach der Pflege von Gefangenen, auch der Linzer

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Diözesanbischof Dr. Rudolf Hittmair stirbt, eine traurige Berühmtheit.

Schon vor dem Krieg hatte man im Bereich der Verzehrungssteuern undder Frachttarife, bei Beschaugebühren und ungerechtfertigter Teuerun-gen im Interesse der ärmeren Stadtbevölkerung Maßnahmen treffen müs-sen. Sofort bei Kriegsbeginn, also zu einer Zeit da nur wenige an einenlangen Krieg und an einen Massenkrieg denken, kommt ein schon 1913ausgearbeiteter Versorgungsplan für die Gesamtbevölkerung zum Tragen.Durch den Einsatz hoher öffentlicher Mittel können größere Kohle- und Le-bensmittelmengen gekauft und die städtischen Lager gefüllt werden. Esbeginnt dann früher als in anderen Gemeinden und Großgemeinden je-nes Instrumentarium einer unvermeidlichen Zwangswirtschaft, wie insbe-sondere die Festlegung von Höchstpreisen, dann aber schon im Herbst1914 die Einführung einer Brot- und Mehlkarte. Damit wird Dinghofer derSchöpfer der Brot- und Mehlkarte, die später schrittweise in ganz Öster-reich eingeführt und durch andere Lebensmittelkarten ergänzt werdenmuss. Alle diese Vorsorgemaßnahmen können jedoch auch in Linz nichtverhindern, dass die Stadt in den beiden letzten Kriegsjahren ausschließ-lich auf die Beteilung durch die zentralen Stellen angewiesen ist. Ich willnicht auf alle anderen Maßnahmen im Bereich der Lebensmittelversor-gung eingehen. Vorausblickende Maßnahmen, eine straffe Organisation,dazu die besondere Berücksichtigung armer Bevölkerungsgruppen schaf-fen Dinghofer ein hohes Ansehen - ganz ähnlich wie im Land Johann Ne-pomuk Hauser – der die Bevölkerung mutig gegen mancheRücksichtslosigkeit und Überheblichkeit der militärischen Hinterland-Büro-kratie in Schutz nimmt.

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Landespolitik - und die politischeLandschaft OberösterreichsIn einer Nachwahl am 30. Juni 1913 kommt Dr. Dinghofer nach dem Rück-tritt des Landtagsabgeordneten Ing. Georg Eckl (Mai 1913), dem Vaterder bekannten Malerin Vilma Eckl, in den Landtag8. Der Landtag war janoch bis zum Ende der Habsburgermonarchie nach Kurien gegliedert;Dinghofer gehört der Kurie der Städte und lndustrieorte an.

In einer großen politischen Schau „Oberösterreich und seine Politik, einÜberblick von 1870 bis 1912" hatte Dr. Beurle, der politische Mentor Ding-hofers noch unmittelbar vor der Wahl Dinghofers zum Landtagsabgeord-neten, ein scharf gezeichnetes Bild des „Klerikalismus", der „Alt-Liberalen",des Bauernvereins und natürlich auch der neuen, jungen nationalenGruppierungen mit der verwirrenden Organisationsvielfalt von „DeutscherKlub", „Deutscher Volksverein" (nach dem „Deutschnationalen Verein"),„Deutsche Volkspartei" und schließlich „Deutscher Volksbund" gegeben9.Waren ursprünglich die Deutschnationalen zu den Liberalen gestoßen, umdiese umzuformen oder zu unterwandern, so waren nach der Jahrhun-dertwende die Liberalen in den Deutschnationalen aufgegangen. EinenSchlussstrich dieser Entwicklung bildete die polizeiliche Abmeldung der li-beralen Partei nach den Landtagswahlen von 1909. Beurle verweist mitStolz auf die Tatsache, dass bei den Reichsratswahlen von 1901 wiederkein Städtebezirk mehr in klerikalen Händen sei. Er schildert die gewandel-te Situation nach den Reichsratswahlen von 1907, jetzt übrigens auch dieneue nationale Marschrichtung und die leicht gewandelte Planung Ding-hofers, der den „Deutschen Volksverein" in die neue ,,lebenskräftige Par-teiorganisation des ,Deutschen Volksbundes' umwandelte", die „allenFreiheitlichen" Platz bieten sollte, neben den Deutschnationalen und Libe-ralen auch den Altdeutschen. Und Beurle fügt zu dieser Gründung von1907 hinzu: „Tatsächlich traten auch diese, und zwar sowohl die Schöne-rianer als die Wolfianer in den ,Deutschen Volksbund' ein." Und er meintschließlich, dass der (relative) Wahlsieg bei den Reichsratswahlen von1911 eine Folge der neuen politischen Gruppierung gewesen sei. Beurlesoptimistische Schlussbetrachtung bewahrheitet sich in der Zukunft, alsobei den nächsten Landtags- und Nationalratswahlen, nach dem starken,kriegsbedingten Umbruch nicht. Sie ist aber auch für die Schlussphase derHabsburgermonarchie nicht ganz zutreffend. Bei den letzten Landtags-wahlen der Habsburgermonarchie hatte die nationale Gruppierung zwar

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20 der 68 Landtagssitze erobert, die Sozialdemokraten einen, die nunmeh-rigen Christlichsozialen aber 47. Damit ist der Anteil aber wesentlich be-scheidener als 1890, 1896 und 1902 von Liberalen und Deutschnationalenzusammen. Beurles Zahlen waren schon damals umkämpft und seit 1896kam es jeweils nach den Wahlen zu einer Auseinandersetzung, welcherAbgeordnete dem nationalen und welcher dem liberalen Lager zuzuord-nen sei.

Die Christlichsozialen sind in diesem Jahr 1909 besonders stolz darauf, dieabsolute Mehrheit, auch ohne die Kurie des Großgrundbesitzes, erreichtzu haben. Vor allem aber gewinnen die Christlichsozialen aus der neuen„allgemeinen Kurie", also der Gruppe der Nicht-Steuerzahler, 12 der 14Mandate, Deutschnationale und Sozialdemokraten nur jeweils ein Man-dat. In diese allgemeine Kurie wird übrigens Dinghofers Nachfolger als Ob-mann des „Deutschen Volksbundes", Langoth, 1909 nicht gewählt, undder schon in der Städtekurie gewählte Dinghofer muss zurücktreten, umLangoth Platz zu machen.

Die nachfolgenden Jahre bringen dann im Landtag bei der entscheiden-den Wahlrechtsauseinandersetzung erstmals eine deutschnationale Ob-struktion und eine Arbeitsunfähigkeit des Landtages. Es ist verständlich,dass weder Beurle und Jäger noch Dinghofer, den Juristen und erfahre-nen Politiker, der eben auf kommunaler Ebene mit der Wahlrechtsmateriebefasst ist, im Landtag haben wollen. Denn das 1907 für die Reichsrats-wahlen realisierte allgemeine gleiche Wahlrecht erzwingt beim Landebenso Konsequenzen wie in der Landeshauptstadt.

Für die Reichsratswahlen war die allgemeine Kurie 1897 eingeführt wor-den, bei den Landtagswahlen dann 12 Jahre später, 1909. Mit rund180.000 Wahlberechtigten war mit der allgemeinen Kurie zwar schon prak-tisch das allgemeine, aber nicht das gleiche Wahlrecht herbeigeführtworden. Die Wahlen von 1911 hatten überdies den Deutschnationalenwieder Auftrieb gegeben, andererseits hatten die nunmehrigen Christlich-sozialen gar nicht so geringe Schwierigkeiten mit einzelnen konservativenAdeligen - ganz abgesehen davon, dass sich schon bei den Reichsrats-wahlen von 1907 keine politische Gruppe mehr getraute, Adelige aufzu-stellen. Nicht so sehr die Stichwahlen von 1907 und 1911 zeigen eineschwarz-rote Koalition, sondern der Kampf um eine Ausweitung des Wahl-rechtes auf Landesebene. Die schließliche Einigung aller drei politischenGruppen beim Gemeindewahlrecht im Jahre 1914, auf dem dann dasLandtagswahlrecht fußt, bringt übrigens eine fast unbekannte Großlei-

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stung: Das Frauenwahlrecht für Gemeinde- und Landtagswahlen - unddas in einer Zeit, da dies für Reichsratswahlen noch nicht erreicht war. Die-ser Landtagsbeschluss vom 11. Februar 1914 wird auch dadurch nicht ab-gewertet, dass das Landesgesetz nicht mehr die Sanktion des Kaiserserhält und damit auch nicht in Kraft treten kann. 1918 ist dann das Frauen-wahlrecht in Oberösterreich eine Selbstverständlichkeit; es wird gar nichtmehr darüber diskutiert. Allerdings bleibt der Landtag bis zum Ende derHabsburgermonarchie ein Kurien-Landtag, auch wenn die politischenParteien längst die dominierenden Faktoren geworden waren.

Anders als der Reichstag werden die Landtage - auch der oberösterrei-chische - bis Kriegsende nicht mehr einberufen. 1918 bildet man in Ober-österreich die „Provisorische Landesversammlung", in die man alleLandtags- und Reichsratsabgeordneten einberuft, soweit sie noch lebenund soweit sie, wie das bei einigen kompromisslosen Verfechtern der Mon-archie der Fall war, nicht auf ein weiteres politisches Wirken verzichten.Das Gros dieser 1909 und 1911 gewählten Politiker wird durch die Nominie-rung weiterer Politiker ergänzt, wobei der Parteienproporz von 1911 zuGrunde gelegt wird. Hier, in diesem größten Landtag der Geschichte mit101 Mitgliedern, ist Dinghofer auf Grund seiner beiden Funktionen alsReichsrats- und Landtagsabgeordneter vertreten. Dinghofer, einer der 24großdeutschen Abgeordneten dieser 101 Abgeordnete umfassendenLandesversammlung, erklärt sich in einem Schreiben vom 18.11.1918 mitder Nominierung einverstanden, bittet aber gleichzeitig seine Abwesen-heit zu entschuldigen, da er „in dieser Woche den Staatsrat zu führen ha-be und unmöglich von Wien abreisen könne". Noch einmal für die Sitzungvom 13.01.1919 liegt eine Entschuldigung Dinghofers vor; insgesamt nimmter an keiner der neun Sitzungen der Provisorischen Landesversammlungim Jahre 1919 teil.

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Dinghofer und dieÄmterkumulierungAuch wenn später Dinghofer vor allem der Vorwurf gemacht wird, dass ernoch die Geschäfte eines Justizministers ausübend, die Funktion eines Er-sten Präsidenten des Obersten Gerichtshofes übernimmt, so ist die Ämter-kumulierung zu Beginn seiner politischen Karriere ins Auge fallender. So ister zwischen 1911 und 1918 Bürgermeister der Landeshauptstadt undgleichzeitig Reichsratsabgeordneter; ab 1914 überdies auch noch Land-tagsabgeordneter (mag diese Funktion angesichts des 1914 ausbrechen-den Ersten Weltkrieges auch bald bedeutungslos geworden sein). An sichwäre er schon 1909 Landtagsabgeordneter geworden und hätte somitdrei maßgebliche politische Funktionen in einer Hand vereinigt, was da-mals durchaus keine Seltenheit darstellt.

Dazu muss allerdings gesagt werden, dass anfänglich eine solche Kumu-lierung politischer Mandate nicht nur geduldet, sondern ausgesprochenerwünscht war. Als zwischen 1861 und 1873 die Landtage aus ihren Reihendie Reichsratsabgeordneten wählen, ist praktisch jeder angeseheneLandtagsabgeordnete auch Mitglied des Reichsrates und die Legislatur-perioden werden so einberufen, dass die Teilnahme am Reichsrat und anden Landtagen ohne Schwierigkeiten möglich ist. Dann wünschen es vorallem die größeren Städte - in Oberösterreich vor allem Linz und Wels -dass ihre Bürgermeister die Interessen der Städte möglichst im Landtagund im Reichsrat vertreten.

Nicht unberücksichtigt darf auch bleiben, dass die Bezahlung der politi-schen Mandatare in diesen Jahren maßvoll ist - angesichts des wirklichfast gigantischen Zeitaufwandes für solche Doppel- oder Dreifachfunktio-nen. Vor allem, was das Ende der politischen Laufbahn Dinghofers betrifft,darf nicht vergessen werden, dass es keinerlei Politikerpensionen gibt.

Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Dinghofer persönlichwohlhabend und durch seine Heirat ausgesprochen vermögend ist - eineSituation, die auch nach 1918 im Wesentlichen erhalten bleibt.

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Der ,,Verkünder der Republik"

Als Dinghofer erfährt, dass er als einer der drei alternierenden Präsidentender Provisorischen Nationalversammlung vorgesehen sei, verlässt er am 4.November 1918 abrupt seine bisherige Wirkungsstätte, wo er durch elfJahre hindurch ungewöhnlich erfolgreich gewesen war. Er, der in den letz-ten Jahren vor Kriegsausbruch in der Landeshauptstadt und im Landeeinen Großteil der Wahlrechtsdiskussion mitgemacht hatte, weiß natürlichgenau, dass er trotz aller Beliebtheit als Linzer Bürgermeister bei einer Wahlnach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht nicht mehr gewählt wird.

Die Verleihung der 34. Ehrenbürgerwürde und die Umbenennung der bis-herigen Gemeindestraße in die Dinghoferstraße sind hohe und seltene Eh-renbezeigungen für einen Lebenden.

Der Sprung von der politischen Exekutive, von der praktischen, handfestenpolitischen Arbeit, an die Spitze der Legislative ist für ihn sicher nicht leicht,für die Nationalversammlung aber gewiss ein Vorteil. Dieses Rumpfparla-ment eines Staates, dessen künftige Grenzen und Ausmaße man nochgar nicht kennt, ist natürlich nicht mit den 17 Parteien verschiedener Na-tionen des alten Reichsrates zu vergleichen, dem Dinghofer seit 1911, alsowährend des letzten Reichsrates der Habsburgermonarchie, angehörthatte. Für die Schwere seiner späteren Hauptaufgabe, die Koordinationder nationalen Gruppierung mit der parlamentarischen und teilweiseauch mit der Regierungstätigkeit, erhält er schon 1917 eine Lektion, alssich der „Deutsche Nationalverband in sechs verschiedene Gruppen auf-löst, die nur noch durch einen Obmännerausschuss zusammengehaltenwerden. Dinghofer gehört der 19 Mitglieder zählenden „Deutschnationa-len Partei"10 an.

Jetzt, 1918, steht Dinghofer in der ersten Reihe des zusammenschmelzen-den nationalen Lagers. Noch täuscht die erste Zusammensetzung, dernach dem Proporz von 1911 37 Sozialdemokraten, 65 Christlichsoziale,aber 106 Vertreter des deutschnationalen und liberalen Lagers angehö-ren. Aber die Zahl der deutschnationalen Abgeordneten sinkt vorerstdurch das Ausscheiden der Deutschen Böhmens und Mährens auf 26 von170 Abgeordneten (1919).

In einzelnen Ländern, so etwa in Oberösterreich, sieht die Lage nicht so

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dramatisch aus, weil hier Deutschnationale und Landbund fast ausnahms-los als eine Einheit - vorerst unter dem Namen „Freiheits- und Ordnungs-partei" auftreten und 20,48 Prozent der Stimmen oder 12 von 72Landtagssitzen erzielen11. Nun aber können Wahlzahlen aus Linz oder ausOberösterreich beiseite gelassen werden. Dinghofer bleibt zwar oberöster-reichischer Mandatar, sein Bereich bleibt aber bis zuletzt, bis 1928, dieBundespolitik.

Österreich ist seit 1861 eine im steten Aufbau befindliche Demokratie; jetztaber, im November 1918, geht es um Monarchie oder Republik. Nach-dem im Verlauf des 11. November 1918 der Widerstand der Christlichsozia-len gegen die Ausrufung der Republik erlahmt, führt in der denkwürdigenSitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918Dinghofer den Vorsitz; er verkündet von der Rampe des Parlaments dieAusrufung der Republik - unmittelbar bevor die Soldaten der Roten Gardedas weiße Mittelstück aus der rot-weiß-roten Fahne herausreißen.

In allen entscheidenden Fragen der jungen Republik ist vorerst Dinghofer

Die feierliche Ausrufung der Republik Deutschösterreich vor dem Parlamente.

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eine der Schlüsselfiguren: 1919 lehnt er namens der „Großdeutschen Ver-einigung" den Friedensvertrag von St. Germain ab. Schon den Friedens-entwurf bezeichnet er als „Ausbruch eines wahnsinnigenVernichtungswillens", „ein Hohn auf die so oft verkündeten Grundsätze derGerechtigkeit und Billigkeit, der Freiheit und des Selbstbestimmungsrech-tes der Völker". Verständlicherweise gehört er zu den gewiss nicht laute-sten, aber konsequentesten Vertretern des Anschlussgedankens - bis hinzu den Plänen einer Zollunion, einer Gesetzesangleichung, eines Beam-tenaustausches - also eines De-facto-Anschlusses. Im Juni 1920 richtet ernamens der Großdeutschen eine Anfrage wegen des problematischenWehrgesetzes an den Staatssekretär für Heerwesen Dr. Deutsch, auch we-gen der Ministerialverordnung über den Wirkungskreis der Soldatenräte -eine der Aktionen, die zum Ende der großen Koalition führen. Im Herbst1921 greift er im Auftrag seiner Partei Schobers Abkommen von Lana mitder Tschechoslowakei heftig an. Er ist schließlich 1922 am Eintritt der Groß-deutschen in die Regierung Seipel maßgeblich beteiligt, wobei schrittwei-se ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Seipel und Dinghofer einsetzt;in der Frage der Auslandssanierung steht er durchaus auf der Seite Seipels.Die Völkerbundanleihe sieht übrigens vor, dass Österreich bis zum Endeder Rückzahlungen bis 1942 selbständig zu bleiben habe. Ein besonderesEngagement bedeutet für die Großdeutschen und Dinghofer die Beset-zung des Berliner Gesandtenpostens. Immer wieder ist es die Frage nacheinem Eintritt in die Regierung oder einem Verbleib in der Opposition. Esgeht um die für die Großdeutschen so heikle Beamtenfrage, also den Be-amtenabbau, aber auch die Zusammenlegung der Landesbeamten mitdenen der politischen Verwaltung, nachdem die Bezirkshauptmannschaf-ten 1918 den Landeshauptleuten und den Ländern unterstellt worden wa-ren.

Trotz des endgültigen Zusammenschlusses von insgesamt 17 Parteien undLandesgruppen der Großdeutschen am Gründungs- und Einigungspartei-tag vom September 1920 bleibt die Zusammenarbeit zwischen Parteifüh-rung, Parlamentsklub und Regierungsmitgliedern brüchig. EineVereinigung mit der Deutschen Bauernpartei und seinen unterschiedli-chen Gruppierungen, dem späteren Landbund, kommt gesamtösterrei-chisch nicht zu Stande. Obmann des Verbandes der Abgeordneten derGroßdeutschen Volkspartei bleibt Dinghofer zwischen 1920 und 1926, alsobis zu seinem Eintritt in die Regierung, ins Kabinett Seipel.

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Präsidentschaftskandidat 1920

Bei Dinghofer überdeckt - um der Gesamtwertung vorzugreifen - niemalsder Ehrgeiz den Realpolitiker. Das erkennt man besonders deutlich, als eranlässlich der ersten Präsidentenwahl der Republik im Jahre 1920 nach ei-nigem Hin und Her Präsidentschaftskandidat der Großdeutschen wird. Inden ersten Gesprächen zwischen Christlichsozialen und Großdeutschenwird von einem christlichsozialen Kandidaten gesprochen, der dem An-schlussgedanken offen gegenübersteht, wobei Seipel an einen Spitzenpo-litiker oder Landeshauptmann der westlichen Bundesländer denkt.Ursprünglich ist an Michael Mayr gedacht, doch als später auch JohannNepomuk Hauser erwähnt wird, ist es Dinghofer, der ein Veto einlegt. An-dererseits dürfte Hauser ein christlichsoziales Einschwenken auf den groß-deutschen Kandidaten Dinghofer verhindert haben. Eine andere Gruppeder Großdeutschen hatte inzwischen mit dem Sozialisten Seitz verhandelt,der vorgibt, mit der Kandidatur seiner Person wenig Freude zu haben unddurchblicken Iässt, dass die Sozialisten einer Kandidatur Dinghofers zustim-men könnten. Seipels taktische Überlegenheit ist deutlich spürbar, als sichdie Waage zu Gunsten Hainischs neigt. Schürff muss im großdeutschenKlub zugeben, man habe seine eigenen Kräfte überschätzt und Parteiob-mann Kandl meint, den Sozialisten sei es weniger um Dinghofer gegan-gen, als darum, die beiden anderen Parteien „hineinzulegen". Die Skepsisund die Zurückhaltung Dinghofers der den sozialistischen Hinweisen niegetraut hatte und der nur 30 von 218 Stimmen erhält, zeigt seine realisti-sche Einstellung. Er geht überdies politisch eher gestärkt aus diesem Tau-ziehen hervor12. Für Oberösterreichs Landesgeschichte ist von Interesse,dass 1920 von sechs Kandidaten, die zur Wahl stehen oder genannt wer-den, drei aus Oberösterreich stammen (Dinghofer, Hauser, Mayr).

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Seipel holt sich Dinghofer

Beim Gehen und Kommen der Regierungen und Minister (für den nationa-len Bereich: Roller, Waber, Frank, Kraft, Schürff) ist Dinghofer der ruhendePol - übrigens auch angesichts der wechselnden Nationalratspräsidentender anderen Parteien. Er zeigt vorerst keinen besonderen Ehrgeiz eines dervon den Großdeutschen zu besetzenden Ministerien (Inneres, Justiz, Han-del) zu übernehmen. Dann ist es Seipel, der in Dinghofer längst den verläs-slichen Partner erkannt hatte, ihn 1926 zum Vizekanzler und Innenministerseines vierten Kabinetts macht. Nach Einbeziehung des Landbundes imdarauf folgenden Jahr 1927 wird Dinghofer Minister ohne Geschäftsbe-reich, gleichzeitig aber mit dem Aufbau des Justizministeriums beauftragt,damit auch präsumtiver Justizminister und schließlich Justizminister. Sofortsetzt hier Kritik ein, denn das Justizministerium war ursprünglich dem Spar-stift zum Opfer gefallen, und jetzt wird es wegen eines komplizierter ge-wordenen Parteiproporzes wieder eingerichtet. Diese und auch dienachfolgende Kritik wegen der Übernahme der Funktion des Ersten Präsi-denten des Obersten Gerichtshofes richtet sich mehr gegen den Regie-rungschef, also gegen Seipel, als gegen Dinghofer. Die eineinhalb Jahreder Vizekanzlerschaft des Ministers ohne Ressort und des Justizministerssind angesichts der kurzen Lebensdauer der Ministerien und der 13 Kabi-nette der Zwischenkriegszeit gar kein so kleiner Zeitraum. Auch jetzt sollDinghofers Wirken nur angedeutet werden: Die Rechtsangleichung andas Deutsche Reich, der Versuch, das Mietenproblem einer Lösung zuzu-führen. All das wird überdeckt durch den 15. Juli 1927, durch Schattendorfund die nachfolgenden Ereignisse. Fehlurteile der Geschworenengerichtekonnte man allerdings Dinghofer nicht zum Vorwurf machen und bei dennachfolgenden Ereignissen stehen der „Arbeitermörder“ Schober und Sei-pel, der „Prälat ohne Milde", im Vordergrund. Entscheidend für DinghofersRücktritt aber wird eine ganz andere, unter heutigem Blickwinkel würdeman sagen abseitige, fast skurrile Angelegenheit im rechtlich-politischenGrenzbereich, nämlich die verweigerte Ausweisung eines der führendenMänner der ungarischen Räterepublik, des damaligen Sowjetdelegiertenund später in der Sowjetunion hingerichteten Bela Kun, während die un-garische Regierung Kuns Auslieferung nach Budapest gefordert hatte.Jetzt kommt der Sturm aus den eigenen Reihen, während sich lediglichdie Großdeutschen Oberösterreichs und Vorarlbergs mit Dinghofer solida-risch erklären. Und während Dinghofer aus Karlsbad telegraphiert: „Her-

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stelle Einvernehmen mit Bundeskanzler", informiert Obmann Wotawa seineeigenen Parteifreunde mit einem leicht geänderten Text und dem Zusatz„herstelle sofort Einvernehmen mit dem Bundeskanzler wegen Demission".Dinghofer muss die krisenhaften Beziehungen zu seiner eigenen Parteinoch vor der Bela-Kun-Affäre richtig eingeschätzt haben, denn als derPräsident des Obersten Gerichtshofes Roller (im Jahre 1921 für die Groß-deutschen kurzfristig Justizminister in der ersten Regierung Mayr) Ende 1927in den Ruhestand tritt, ist Dinghofer - eben erst zum Justizminister ernannt -einziger Kandidat. Die erneuten Angriffe gegen Dinghofer und Seipelwehrt der Bundeskanzler folgendermaßen ab: Der weitere Verbleib Ding-hofers in der Bundesregierung sei „mit Rücksicht auf die politischen Ver-hältnisse" wünschenswert, eine Demission Dinghofers werde nichtangenommen. Dinghofer sollte als Präsident des Obersten Gerichtshofesso lange beurlaubt bleiben, bis er das Amt des Justizministers nicht mehrausübt. Die Bela-Kun-Affäre löst dann das Dilemma rascher, als dies Ding-hofer dachte und Seipel wünschte; Dinghofer ist in diesem Jahr 1927 erst55 Jahre alt. Jetzt verlässt er die Politik endgültig, auch wenn die ober-österreichische Landesparteileitung der Großdeutschen Volkspartei dieBeibehaltung seines Abgeordnetenmandates wünscht. Das wäre abererst recht ein kaum tragbarer Interessenskonflikt.

Übrigens wird Dinghofers Nachfolger als Justizminister im Kabinett Streeru-witz wieder ein Oberösterreicher, der Welser Dr. Franz Slama.

Noch gibt es eine gewiss bescheidene sachliche Kritik aus den eigenenReihen. Angesichts seines 20jährigen politischen Wirkens und der Tatsa-che, dass Dinghofer schon 1907 als junger Richter beurlaubt worden war,nennen ihn Freunde und Parteifreunde „ihren obersten Laienrichter". Aberdie Kritik verstummt im Zuge seiner Amtsführung rasch. Dinghofer behältseine Führungsfunktion im Obersten Gerichtshof übrigens auch in den Jah-ren zwischen 1934 und 1938. Als der 64jährige am 2. Mai 1938 hastig pen-sioniert wird, wird diese Amtsführung zweifellos ungewollt undunbeabsichtigt gelobt; sie scheint für die Pensionierung wesentlicher, alsDinghofers Engagement für die demokratische Republik. Vergessen undignoriert wird Dinghofers konsequentes Eintreten für den Anschluss, die Ab-lehnung des Friedensvertrages. Der nunmehrige Justizminister im „An-schluss-Kabinett" von Seyß-lnquart, der Dinghofers Entfernung realisiert, istinteressanterweise wieder ein Oberösterreicher. Dr. Franz Hueber, derSchwager Hermann Görings. Später soll Dinghofer der NSDAP beigetretensein, ohne irgendwann aktiv in Erscheinung zu treten.

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Kritik und Lob

Die Kritik am politischen Wirken Dinghofers setzt schon zu dessen Lebzeitenein und kommt vorerst - es wäre gar nicht anders möglich - aus dem na-tionalen und nationalsozialistischen Lager. Der Wiener Historiker ReinholdLorenz wertet in seinem 1940 in Berlin erschienenen Werk „Der Staat widerWillen - Österreich 1918-1938", nach einem Lob des christlichsozialen Lan-deshauptmannes Prälat Hauser Dinghofer als „Großdeutschen“ mit Anfüh-rungszeichen. Er sei mehr „objektiv" als begeisternd in seinerAnschlussarbeit gewesen13. Der frühere Landeshauptmann der SteiermarkRintelen, der nach dem Dollfußmord Kanzler hätte werden sollen, erwähntin seinem 1941 erschienenen Band „Erinnerungen an Österreichs Weg"Dinghofer vorsichtshalber überhaupt nicht14.

Für die Sozialisten und die den Sozialisten nahe stehenden Historiker istDinghofer als Mitschöpfer des so genannten „Bürgerblocks", eines Aus-drucks, der von der politischen Propaganda in manche Geschichtsdar-stellung hinüberglitt, eher in den Hintergrund getreten; ihre Angriffe in denspäteren Jahren sind vorwiegend gegen Schober gerichtet. Bei Dinghoferwird hauptsächlich sein Wirken in den Jahren 1918 und 1919 in den Vor-dergrund gestellt. Für die späteren Jahre meint man, nicht zu Unrecht, ersei im Schatten Seipels gestanden.

Minister Hans von Hammerstein-Equord, der Dinghofer zweifellos persön-lich gut gekannt hat, meint in seinen Erinnerungen „lm Anfang war derMord", Dinghofer sei „im Grunde seines schwarzrotgoldenen Herzens gutschwarzgelb gesinnt" gewesen15. Der Historiker Walter Goldinger, der dreiAnschlusstendenzen im nationalen Lager aufzeigt, ordnet Dinghofer undFrank jener Gruppe zu, die, ähnlich wie Seipel, die Meinung vertrat, Öster-reich könne auf eine Kredithilfe von außen nicht verzichten16.

Adam von Wandruszka, einer der besten Kenner des nationalen Lagers inÖsterreich, wertet in seinem schon 1953 erschienenen und auch heutenicht überholten Beitrag „Österreichs politische Struktur“ in dem bedeu-tenden Sammelwerk „Geschichte der Republik Österreich" sehr ausführ-lich Schober und nur am Rande Dinghofer. Aber vieles, was er hier sagt,von der vom „josephinischen Staatsethos bestimmten Handlungsweise",vom „Vorrang der Staatsinteressen vor den Parteiinteressen" gilt gleicher-

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maßen für Dinghofer. Wandruszka meint andererseits von Frank, Waber,Dinghofer, Schürff und Wotawa sie hätten „alle ihnen anvertrauten Auf-gaben mit Gewissenhaftigkeit und Sachkenntnis durchgeführt; bedeuten-de Politiker oder gar populäre Volksführer waren sie nicht."17

In dem Band „Faschismus in Österreich - von Schönerer zu Hitler“ von Fran-cis L. Carsten wird im Abschnitt „V. Das völkische Lager" Dinghofer ausführ-lich und sachlich gewertet. „Vielfach diametrale Meinungen im eigenenLager, gepaart mit dem Unverständnis in der Reichsparteileitung für parla-mentarische Gepflogenheiten, erleichtern die Arbeit Dinghofers kaum.Sein Handeln und Denken waren zu einem großen Teil noch vom altöster-reichischen Beamtenstand her bestimmt, aus dem er als Richter kam. Zuseinen obersten Prinzipien zählten Sauberkeit in der Amtsführung und dieVoranstellung der Staatsinteressen vor Parteiinteressen. [...] Sicher be-herrschte Dinghofer die Kunst der Massenbeeinflussung nicht in jenemGrad wie die Führer der beiden Großparteien. In vielen Fällen dachte erzu real und zu wenig politisch."18

Der einstige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel wertet Dinghofer als „ei-ne der hervorragendsten Persönlichkeiten der so genannten DrittenKraft."19

Der amerikanische Historiker Evan Burr Bukey unterstreicht in dem eben er-schienenen Werk "Hitlers hometown. Linz, Austria 1908-1945" vor allemDinghofers antitschechische und antisemitische Gesinnung20.

Den jungen, feurigen und gelegentlich auch eigenwilligen Politiker sollman nicht zuletzt deshalb in jungen Jahren auf verantwortliche Posten ge-holt haben, um ihn zu bändigen; in den späteren Jahren machte manihm - und nicht zuletzt seiner eigene Partei - den Vorwurf, zu ausgeglichen,zu sehr ein Mann der Mitte zu sein. War dies ein Erbe, eine Frucht seineskommunalpolitischen Wirkens als Bürgermeister; war es ein Fortleben jenerGesinnung, als man in der Spätphase der Monarchie um das bestmögli-che Wahlrecht rang? Natürlich ist auch bei Dinghofer politischer Ehrgeizwie bei jedem anderen Politiker sichtbar. Nie überdeckte dieser EhrgeizDinghofers Realpolitik. 1918, als er den Linzer Bürgermeisterposten verließ,gingen Realpolitik und politischer Ehrgeiz Hand in Hand. Nie klebte Ding-hofer an seinem Posten, klug wusste er allerdings auch, sich einen neuenvorzubereiten. Zweifellos blieb Dinghofer trotz seiner Führungsrolle bei derGründung der Republik, der Habsburgermonarchie geistig stark verbun-den. Das ist nicht ganz unverständlich, denn von seinen 83 Lebensjahren

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erlebte er 45, also mehr als die Hälfte, in der Habsburgermonarchie - undnoch dazu jene Jahre, die den jungen Mann am stärksten beeinflussen.War Dinghofer der „radikale Antisemit", als den er sich selbst in jungenJahren bezeichnete? Der Historiker wird diesen Ausspruch eher einschrän-ken oder nur auf wenige Jahre beschränken müssen. Dinghofer hatte inder Stadt Linz die Zusammenarbeit mit Bürgern aller politischen Gruppengelernt; er hat sie nach 1918 im größeren Rahmen praktiziert. Als einstigemRichter und späteren Politiker bedeutete ihm Rechtsstaatlichkeit gleicher-maßen viel wie Demokratie. Sein Weg der politischen Mitte brachte ihmmanche persönliche Schwierigkeit, machte gleichzeitig den entscheiden-den Faktor in der Wertung Dinghofers und seines Wirkens für die letztenJahre der Monarchie und fast für die ganze Zwischenkriegszeit aus.

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Zeittafel

6.4.1873 geboren in 0ttensheim/OÖ

1879-1884 Volksschule Ottensheim

1884-1892 Gymnasium Freistadt

1892 Reifeprüfung

Einjährig-Freiwilligenjahr beim Tiroler Kaiser-Schützenregiment

1892 Universität Graz

4.3.1897 Promotion zum Dr. jur.

1897 Rechtspraktikant

24.11.1898 Richteramtsprüfung

1898 – 1907 Richter in Linz, Urfahr und Wien

Mitbegründer des „Deutschen Volksbundes"

Obmann der „Großdeutschen Volkspartei"

1901 Wahl für den Il. Wahlkörper in den Linzer Gemeinderat (bis 1918)

1905 – 1907 Erster Vizebürgermeister der Landeshauptstadt Linz

1907 – 1918 Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz

1909 Wahl zum Landtagsabgeordneten; er verzichtet zugunsten Lan-goths

1911 – 1918 Reichsratsabgeordneter

1914 Landtagsabgeordneter

1915 Ernennung zum Landesgerichtsrat

1918 – 1919 Mitglied der Provisorischen Landesregierung

1918 Einer der drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung

1918 – 1926 Dritter Präsident der Konstituierenden Nationalversamm-lung und des Nationalrates

1919 Bestellung zum Oberlandesgerichtsrat

1920 Präsidentschaftskandidat (30 von 218 Stimmen)

1921 Titel „Hofrat"

1924 Vorsitzender Rat beim Oberlandesgericht Wien

1926 - 1927 Vizekanzler im Kabinett Seipel IV

31.8.1927 bis 4.7.1928 Aufbau des Justizministeriums, Bundesminister für

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Justiz

1.1.1928 Erster Präsident des Obersten Gerichtshofes

1938 Zwangspensionierung; Enteignung seines Besitzes „Schöllergut" inLinz Niedernhart

12. 1. 1956 gestorben in Wien, begraben in Linz

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Anmerkungen

1 Friedrich MAYRHOFER, Dr. Franz Dinghofer (1873-1956). Phil. Diss. Wien 1968.

Friedrich MAYRHOFER, Franz Dinghofer - Leben und Wirken (1873-1956); in: Hist.Jahrbuch der Stadt Linz, 11-152.

Friedrich MAYRHOFER. Franz Dinghofer, Verkünder der Republik; in: Oberösterrei-cher, Bd. 1. 1981, 185-199.

Harry SLAPNICKA, Oberösterreich - Die politische Führungsschicht 1918-1938, 1976.63-65.

Georg GRÜLL. Das Linzer Bürgermeisterbuch. 1959, 117.

KRACKOWIZER-BERGER, Biographisches Lexikon von Österreich ob der Enns. 1927,47; Osterreicher der Gegenwarf 1951, 44.

M. KHIL, Biogr. Lexikon von Oberösterreich, 1. Lieferung 1955.

Franz LANGOTH, Kampf um Österreich, 1951. 55.2 Kurt WIMMER. Liberalismus in Oberösterreich. Am Beispiel des liberalpolitischenVereins für Oberösterreich in Linz (1896-1909), 1979.3 Harry SLAPNICKA, Oberösterreich unter Kaiser Franz Joseph (1861-1918), 1982.4 Harry SLAPNICKA, Oberösterreich 1861-1918, 1982, 202-213.

Harry SLAPNICKA. Das Welser Kaiser Joseph-Denkmal und die Frühgeschichte desParteiwesens in Oberösterreich; in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landes-archivs. Festschrift für Hans Sturmberger. Bd. 1411984,449-464.5 Harry SLAPNICKA, Oberösterreich 1861-1918, 1982, 214-224.

Kurt TWERASER, Der Linzer Gemeinderat 1880-1914. Glanz und Elend bürgerlicherHerrschaft; in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1979, Linz 1980. 293-341.

Kurt TWERASER (Fayeiteville, USA), Der Linzer Gemeinderat 1914-1934. Krise der par-lamentarischen Demokratie; in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1980, Linz1981, 199-275.

Else BEURLE, Dr. Carl Beurle 1860 bis 1919, 1960.6 Friedrich ACHLEITNER, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Band I,1980. 140-206.7 LOEWENFELD-RUSS, Die Regelung der Volksernährung und Landwirtschaft imKrieg. 1920.

Robert MATEJA, Oberösterreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Phil. Diss. 1948.8 Die Landtagsmatrik (1909-1931) ist vermutlich nicht ganz richtig; sie erwähnt ne-ben der Wahl vom 30.6.1913 die Anerkennung der Wahl am 24. Feber 1914. Ande-rerseits informieren die Stenographischen Landtagsprotokolle von einerAngelobung Dinghofers am 3. Februar 1914. Tatsächlich tagt der Landtag in der II.(ordentlichen) Session der XI. Gesetzgebungsperiode zwischen 29. Dezember 1911 und dem 26. Jänner 1912 und dann wieder zwischen dem 3. Feber 1914 unddem 27. Feber 1914 in 31 Sitzungen. Allein im Feber gab es angesichts der Wahl-

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rechtsreformdebatte 13 Sitzungen, an denen Dinghofer teilnahm, aber nie dasWort ergriff.)9 (Carl BEURLE), Oberösterreichische Politik 1870-1912, o. J. (1912).10 Das nationale Lager Österreichs der Zwischenkriegszeit ist relativ gut durch-forscht; hier nur die wichtigsten Beiträge:

Adam WANDRUSZKA, Das „nationale Lager", in: Weinzierl-Skalnik, Österreich 1918-1938, Geschichte der Ersten Republik, Band 1, 1983, 277-315.

lsabella ACKERL, Die Großdeutsche Volkspartei 1920-1934. Versuch einer Parteige-schichte, Phil. Diss. Wien 1967;

F. L. CARSTEN, Das völkische Lager, in: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zuHitler, 1977, 81-97.

Fritz WOLFRAM. Schober und das dritte Lager; in : Johannes Schober, 0. J. (1982).59-85.11 Harry SLAPNICKA. Oberösterreich von der Monarchie zur Republik (1918-1927). 3.Auflage, 1979.

Harry SLAPNICKA, Oberösterreich 1917-1977. Karten und Zahlen, 1977.12 Lothar HÖBELT, Die Bundespräsidentenwahlen in der 1. und 2. Republik. Heft 7der Sozialwissenschaftlichen Schriftenreihe, 1986, 7-10.13 Reinhold LORENZ Der Staat wider Willen Österreich. 1918-1938, 1940.14 Anton RINTELEN, Erinnerungen an Österreichs Weg, 1941.15 Hans von HAMMERSTEIN, Im Anfang war der Mord. Erlebnisse als Bezirkshaupt-mann von Braunau am Inn und als Sicherheitsdirektor von Oberösterreich in denJahren 1933 und 1934,1981,95.16Walter GOLDINGER, Österreich 1918-1945, 1954, 122.17 Adam von WANDRUSZKA, Österreichs politische Struktur; in: Geschichte der Re-publik Ostenelch, 1954. 369-421.18 F. L. CARSTEN. Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. 1977.19 Heinrich DRIMMEL, Vom Umsturz zum Bürgerkrieg. Österreich 1918-1927,1985(Dramatispersonal).20 Evan Burr BUKEY, Hitlers hometown. Linz. Austria 1908-1945, 1986.

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Kurzbiographie des VortragendenHarry SlapnickaGeb. 1918, Studium der Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft, Publizistik undGeschichte an der Prager deutschen Karlsuniversität. Nach Kriegsdienst-leistung zwischen 1940 und 1945, zuletzt als Oberleutnant d. R. und Gefan-genschaft publizistisches Wirken, zuletzt als Chefredakteur derTageszeitung „Linzer Volksblatt" tätig. Zwischen 1971 und 1983 Aufbau undLeitung der Abteilung „Zeitgeschichte am Oberösterreichischen Landesar-chiv. Herausgeber der biographischen Reihe „Oberösterreicher" und derReihe „Oberösterreich-Dokumente". Autor der Bände zur jüngeren Ge-schichte Oberösterreichs: „Oberösterreich unter Kaiser Franz Joseph(1861,1918)", „Oberösterreich - Von der Monarchie zur Republik (1918-1927)", „Oberösterreich zwischen Bürgerkrieg und ,Anschluß' (1927-1938)",„Oberösterreich als es ,Oberdonau' hieß (1938-1945)" und „Oberösterreich- zweigeteiltes Land (1945-1955)". Zur Parteiengeschichte Oberösterreichserschien der Band „Christlichsoziale in Oberösterreich (1845-1934)". Diebeiden Bände über die politische Führungsschicht Oberösterreichs für dieJahre 1861 bis 1918 und 1918 bis 1938 umfassen rund 600 Politiker-Biogra-phien aller politischen Gruppen Oberösterreichs.

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Dinghofer im Reichsrat

Dinghofer Franz, Dr., Bürgermeister, wurde am 17. Juli 1891 im Reichsrat alsAbgeordneter des Wahlbezirks Oberösterreich 2 angelobt und war in fol-genden Ausschüssen tätig: Ausschuss für Angelegenheiten der Staatsan-gestellten, Eisenbahnausschuss, Teuerungsausschuss, Verfassungsausschussund voklswirtschaftlicher Ausschuss.

Seine erste Rede hielt er am 25. April 1912 zum Thema "Reform der Haus-zinssteuer".

Parlamentarische Aktivitäten Dinghofers im Reichsrat (Faksimile)

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Rede am 25. April 1912 zur Reform der Hauszinssteuer

Hohes Haus! Die große Anzahl der Antragsteller allein beweist schon, daßdie Reform der Gebäudesteuer eine äußerst dringliche geworden ist. Sieist dringlich geworden, wegen der nicht zu leugnenden verschlechtern-den Wirkung auf unsere Wohnweise. Sie ist schwer zu lösen, nicht bloßdeshalb, weil sie eine sehr große Bedeutung und Wichtigkeit in finanziellerBeziehung für Staat, Land und Gemeinden hat und weil sie den Säckelder Bevölkerung sehr schwer belastet, sondern insbesondere auch des-halb, weil sie mit eine Ursache an der speziell in den Städten und Industrie-zentren herrschenden Wohnungsnot und an all den Überständen mitschuld ist, welche ungesunde und überfüllte Wohnungen in Bezug auf dieGefährdung der Volksgesundheit und der Volkskraft im Gefolge haben.

Trotz dieser tiefernsten und bedauerlichen Wirkung wäre es verlockend,die ganze Angelegenheit von der heiteren Seite anzufassen; denn sie istwieder ein Mal ein Teil, wo sich unsere österreichische Verwaltungskunstleider nicht in hervorragender und hervorleuchtender Weise zeigt, und wirkönnen erst in den letzten Jahren Ansätze bemerken, welche den Schlußziehen lassen, daß man auch in Regierungskreisen endlich zur Überzeu-gung kommt, daß der Hausbau nicht bloß von der fiskalischen Seite anzu-fassen ist, sondern daß die Wohnungsfrage in einer ungünstigen Lösungdie traurigsten und gefährlichsten Folgen nach sich ziehen kann.

Die Frage der Reform der Gebäudesteuern ist in Österreich eigentlich äl-ter als das Parlament Existenzjahre zählt und der Herr Finanzminister könntedaher mit einigem Recht schon eine Reihe von Jubiläen feiern und zudenselben die österreichische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit - dennmehr oder weniger, direkt oder indirekt, werden doch alle durch dieselbegetroffen - laden. Es könnte aber auch die Finanzminister, seine Kollegenaus anderen Kulturstaaten herbeirufen, damit diese aus eigener Wahrneh-mung kennen lernen, wie die österreichische Bevölkerung geduldig diesehärteste aller Steuern trägt und wie die österreichische Bevölkerung aufKosten ihrer Gesundheit und ihrer Volkskraft gedrückt wird.

Es kann niemand leugnen, daß die Gebäudesteuer ein Hauptmitschuldi-ger unserer elenden Wohnungsverhältnisse ist, und es ist daher höchsteZeit, daß dieselbe ehestens einer Verjüngung, aber nicht im fiskalischen,sondern im sozialen Sinne unterzogen werde und daß sich die Reform denseit längerer Zeit von Jahr zu Jahr immer mehr wahrzunehmenden Gesell-schaftsschichtungen, die sich insbesondere in der Abwanderung der Be-

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völkerung vom Lande in die Stadt bemerkbar machen, was ja nichtdurchgehends von Vorteil ist, auch anpasse. Ich unterschätze die Wichtig-keit und Bedeutung des Gebäudeertrages für die Besteuerung, seineleichte steuertechnische Erfassbarkeit nicht; gewiß, der Staat soll, derStaat muß leben, er kann aus nichts nicht seine zahlreichen Aufgaben er-füllen, aber meines Erachtens war es ein grundlegender Fehler der Regie-rungsweisheit, welcher bis in das letzte Jahrzehnt bestanden hat, daß derHausbau eben nur vom Standpunkte der Einnahmen für den Staat be-trachtet wurde.

Die Geschichte der Gebäudesteuer rechtfertigt einigermaßen die Auffas-sung, das Wohnungsbedürfnis des Menschen als Steuerquelle zu betrach-ten, weil dieselbe in Zeiten höchster Finanznot entstanden ist. Sie ist eineArt Kriegessteuer, sie war eine Folgeerscheinung der napoleonischen Krie-ge; sie erfuhr in den Jahren 1850 und 1869 fiskalische Erweiterungen infol-ge der Kriegsjahre 1848 und 1866 und sie entstand in Zeiten, wo es nochnicht genügend Mittel und Wege gab, den wirklichen Besitz steuerrecht-lich besser zu erfassen.

Es ist daher begreiflich, daß in jenen Zeiten der großen Finanznöte die so-ziale Gefahr, welche eine derartige Steuer unabänderlich nach sich zie-hen mußte, in den Hintergrund getreten ist. Und trotzdem können wirReformversuche schon seit langer Zeit verzeichnen. Die ersten führen zu-rück bis auf Bruck im Jahre 1850, die dann von Plener, Brestel und de Pretisfortgeführt wurden, die sich aber auf das ganze Gebiet der direkten Steu-ern erstreckt haben. Insbesondere wird an unserer Hauszinssteuer mit mehroder minder großer Intensität seit dem Gesetze über die direkten Perso-nalsteuern, also seit dem Jahre 1896 herumlaboriert und herumgedoktert.Trotzdem können wir die erst vor wenigen Monaten beschlossenen De-zembergesetze in der Wohnungsfürsorge- und auch der Gebäudesteuer-frage als einen zweckentsprechenden Fortschritt bezeichnen. Es ist ja garkein Zweifel: die Lösung ist eine außerordentlich schwierige und es magdaher der jetzt eingeschlagene Weg, Teilstücke aus dem großen Komplexder Gebäudesteuerfrage herauszureißen und sie abgesondert einer Be-handlung zuzuführen vielleicht der bessere sein, schon deshalb, weil ja andie Gebäudesteuerreform Anforderungen gestellt werden, welche alle zubefriedigen, und zwar zu gleicher Zeit zu befriedigen, meines Erachtensganz ausgeschlossen ist. Zweifellos ist dieser Weg aber der kürzere. DerStaat, das Land und die Gemeinden behaupten, einer Gebäudesteuerre-form, welche ihnen Opfer auferlegt, nur dann nahetreten zu können,

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wenn sie fiskalisch anderweitig entschädigt werden, der Hausbesitzer er-wartet von derselben eine größere Rentabilität seines im Hause investier-ten Kapitals, der Mieter eine Herabsetzung der Mietzinse, der Handwerkereine Verbilligung seiner Betriebsstätte und nicht zuletzt die Allgemeinheitdie Behebung der Wohnungsnot und die Besserung der Wohnweise.

Wenn wir nun diese Anforderungen gegenseitig und im Verhältnis zuein-ander vergleichen, so kommen wir zu dem Schlusse, daß die letzte Forde-rung, die Forderung auf Schaffung gesunder und preiswerter Wohnungen,weitaus die wichtigste ist, daß aber die Erfüllung dieser Forderung gerade-zu unmöglich ist, wenn die öffentlichen Faktoren und insbesondere auchdie zur obersten Förderin der Gesamtwohlfahrt in erster Linie berufeneStaatsverwaltung nicht willens sind, größere Opfer in dieser Sache zu brin-gen. Die Opfer, die bis jetzt gebracht werden sollen, sind vollkommen un-genügend. Es kann doch als kein entsprechendes Opfer bezeichnetwerden, wenn der Staat erklärt, einer Gebäudesteuerreform in der Rich-tung zuzustimmen, daß auch für die Zukunft dem Staate nicht bloß seinebisherigen Einnahmen gesichert sind, sondern daß ihm auch eine gewisseSteigerung dieser Einnahmen gesichert wird. Wie dann aber die Mietzinsegeringer werden sollen, kann ich nicht begreifen. Und trotzdem möchteich sagen, daß unsere Gebäudesteuerfrage mit Rücksicht auf die sozialeBedeutung mehr wert sein muß; denn die Forderung nach preiswertenund gesunden Wohnungen ist die Forderung aller Volksklassen, sie ist nichtSache einer Partei, sie ist nicht Sache einzelner Idealisten, welche viel-leicht aus Überfluß an Zeit auf diese Frage sich geworfen haben, sie istauch nicht Sache etwa der Armen und Minderbemittelten, nein, sie be-rührt die Lebensinteressen der gesamten Bevölkerung; denn, volksverder-bende Epidemien, welche meistens in überfüllten und ungesundenWohnräumen ihre Grundursache haben, machen vor niemand halt, siemachten auch nicht halt vor den Toren der Reichen, und wenn auch un-sere Städte, Gott sei Dank möchte ich sagen, nicht so rasch angewach-sen sind wie anderwärts, so ist doch sicher, daß auch in unseren Städtenzum Teil elende Wohnungsverhältnisse bestehen, daß auch in unserenStädten unsere Wohnverhältnisse keine befriedigende sind und dass dieStatistik hie und da geradezu verzweifelte Zustände zeigt. Es scheint miraußerordentlich bedenklich, wenn in den Städten das Schlafgängerwe-sen, diese Geisel der Arbeiterschaft, blüht und gedeiht (Sehr richtig!), esscheint mir bedenklich, wenn in Wien mehr als ein Drittel der gesamtenBevölkerung in Untermiete wohnt, ja, wenn es vorkommt, daß ganze Fami-lien in Untermiete wohnen (Hört! Hört!), es scheint mir bedenklich, wenn in

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den Vororten einer größeren Stadt Nordböhmens über 70 Prozent derWohnungen gar keine Küchen haben. Das sind Zustände, die zum Nach-denken anregen und wenn wir uns nach der Ursache fragen, so liegt die-selbe in den unerschwinglichen Wohnungspreisen, welche oftmals, undzwar insbesondere bei den schlechter Gestellten, geradezu ein Drittel desjährlichen Einkommens erfordern; der Verdienst von hundert Arbeitstagenmuß für die Wohnungsmiete hingegeben werden. Das ist ein Mißverhältnisund es ist Tatsache, daß, je geringer das Einkommen ist, desto drückenderdie Mietlast wirkt oder mit anderen Worten, daß man für denselben Kubik-meter Luftraum in kleinen Wohnungen mehr Geld ausgeben muß als ingrößeren. Vor wenigen Tagen hat der Bürgermeister von Rom bei der Er-öffnung des Kongresses für Tuberkulose dem Sinne nach die Äußerung ge-macht, daß heutzutage für moderne Staaten die Tuberkulose einegrößere Gefahr bedeutet als die Cholera und die Pest. Ich schließe michdieser Anschauung vollkommen an.

Nun aber, meine Herren, ist die Tuberkulose gerade eine Wohnungskrank-heit und entsteht in den überfüllten Wohnungen, wo allzu viele Menschenbei schlechter Luft zusammengepfercht sind. Dort hat sie ihren Herd, dortfordert sie ihre meisten Opfer und ich sage, alle Bemühungen um die ge-sundheitliche Hebung unseres Volkes, jeder Kampf gegen die Tuberkuloseund gegen andere Volksseuchen ist vergeblich, wenn ein großer Teil unse-rer Volksmassen in nicht einwandfreien Wohnstätten lebt, ebenso sindaber auch alle Bemühungen zur volkswirtschaftlichen und kulturellen He-bung des Volkes umsonst, wenn die Wohnung einen zu großen Teil desEinkommens verschlingt und dadurch die Wohnbedürfnisse kulturwidrigherabgemindert werden.

Es ist ein trauriges Wahrzeichen, welches ich in meiner Eigenschaft als Ver-treter einer größeren Stadt bei der Ausmusterung zur allgemeinen Wehr-pflicht sehr oft wahrnehmen konnte, daß von Jahr zu Jahr immer mehrund mehr das Menschenmaterial in seiner Kraft und Blüte sinkt. Diese De-generationserscheinungen bedeuten aber nicht bloß eine Einbuße dervolkswirtschaftlichen Wertigkeit des Einzelindividuums, sondern sie bedeu-ten in ihrer Gesamtheit eine Einbuße der volkswirtschaftlichen Kraft desgesamten Volkes. Daher, meine Herren, mögen Sie aus diesen wenigenWorten den Beweis entnehmen, daß es zweifellos im Interesse des Staatesliegt, in dieser Frage größere Opfer zu bringen, daß es Pflicht der Allge-meinheit ist, jedem Mitgliede der Gesellschaft ein entsprechendes Maß anLuft und Licht zu gewähren, daß eine glückliche Lösung der Wohnungsfra-

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ge eine Kultur-, eine Volksnotwendigkeit und von außerordentlicher Wich-tigkeit ist, weil sie innig mit der Tüchtigkeit eine Volkes zusammenhängt.Und gerade die weitestgehende Entlastung des Hausbesitzes scheint ei-nes der hervorragendsten Mittel zu sein, hier mitzuhelfen. Wir haben keinRecht auf unsere Kultur stolz zu sein, wenn ein erheblicher Teil unserer Be-völkerung in ungesunden Wohnungen verkümmert. Diese Verkümmerungzeigt sich besonders in den Städten, die man zwar die Brennpunkte unse-res geistigen Lebens nennt, die aber auch die verzehrenden Öfen derVolkskraft sind. Ich habe die Überzeugung, daß im Wohnungswesen gera-de in den Städten die dringendste Hilfe nottut. Eine Teilhilfe wurde ge-schaffen durch die bereits erwähnten Dezember-Gesetze, aber dieselbensorgen nur teilweise für den zukünftigen Hausbau und lassen die Zuständein den derzeitigen Wohnungsverhältnissen vollkommen unberührt. Ich ge-he daher bei der Besprechung der Gebäudereform lieber auf die Vorlagevom Jahre 1908 zurück, welche geschickt und fachlich die Materie zu-sammenfaßt und welche mir eine ausgezeichnete Grundlage für die Be-ratung, auch vom Standpunkte der Wohnungsfürsorge aus zu sein scheint.Freilich bin ich mit verschiedenen materiell-rechtlichen Bestimmungen inderselben nicht einverstanden. So scheint mir der größte Mangel in derVorlage des Jahres 1908, ein Mangel, der übrigens wahrscheinlich auch inden späteren Vorlagen zu finden sein wird, der zu sein, daß der Staat inder Gebäudesteuerfrage keine nennenswerten Opfer zu bringen bereitsei. Ich habe erwähnt, der Staat sichert sich nicht nur seine bisherigen Ein-nahmen, sondern er will auch noch an der Steigerung für die Zukunft teil-nehmen. Dagegen werden in dieser Vorlage von den Gemeinden ganzbedeutende Opfer gefordert. Nicht mit Unrecht, meine Herren, denn ichsage ganz offen, daß auch die Gemeindeverwaltungen ein ganz außer-ordentliches Interesse daran haben, wie ihre Bewohnerschaft wohnt undwie sie lebt. Allein es geht nicht an, daß die Staatsverwaltung den Ge-meinden, welche ohnehin unter den Lasten seufzen, fortwährend neueLasten aufbürdet, dagegen dieselben in ihren Einnahmen beschränkt undbeengt. Die Zuerkennung der vollen sechsjährigen Steuerfreiheit für Neu-bauten hat für die Gemeinden und die Länder einen Verzicht auf Millio-nen laufender Einnahmen zur Folge und es ist daher klar, daß dieStädtetage gegen eine derartige Bestimmung mit Energie Stellung ge-nommen haben. Und trotzdem habe ich die Empfindung, daß sich dieGemeinden auch darüber hinwegsetzen würden, wenn ihnen anderwei-tig entsprechender Ersatz geboten würde. Sie haben sich ja zum Teile be-reits darüber hinweggesetzt; manche Gemeinden haben bereits zu dem

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Mittel gegriffen, freiwillig Baufreijahre zu geben. Dieses Mittel ist sozialpoli-tisch gewiß von Bedeutung, denn es ist geeignet, die Bautätigkeit zu he-ben und dadurch der Wohnungsnot zu steuern.

Den Ersatz für den Ausfall an Einnahmen beziehungsweise Auslagen den-ke ich mir für die Städte zunächst darin, daß die Staatsverwaltung endlicheinmal ihren vollkommen unberechtigten Widerstand gegen die Einhe-bungsmöglichkeit von Zuschlägen auf die staatlichen Verlassenschaftsge-bühren aufgibt. Diese Zuschlagsmöglichkeit besitzen dermalen nur ganzwenige Städte, ich glaube, sie an den Fingern abzählen zu können. Ichbin kein Anhänger der Umlagewirtschaft, aber bei unserem Steuersystembleibt auch den Gemeinden und den Ländern nichts anderes übrig, alsmit dieser Steuerform ihre finanziellen Bedürfnisse zu decken. Ich halte esweiter als eine selbstverständliche Pflicht des Staates, endlich einmal denGemeinden für die Besorgung der Geschäfte des übertragenen Wirkungs-kreises eine Entschädigung zu geben, und zwar zumindest durch die Über-lassung der damit verbundenen Stempelgebühren. Ich halte es für einGebot der Gerechtigkeit und der Billigkeit, daß insbesondere den Statut-arstädten, deren Bevölkerung ja den weitaus größten Teil der Einkommen-steuer zahlt, ein Teil aus der Einkommensteuer überwiesen wird. Unterdiesen Voraussetzungen können auch von den Gemeindeverwaltungenmit Recht entsprechende Opfer in der Gebäudesteuerfrage verlangt wer-den.

Was die allmähliche Ermäßigung des Steuerzinsfußes anbelangt, so ist diein der Vorlage vorgeschlagene vollkommen ungenügend. Die Ermäßi-gung muß im Laufe der Zeit bis auf das Niveau von 5 Prozent herab ge-hen, soll wirklich Hilfe geschaffen werden. Ich gebe zu, daß durch einederartig große und bedeutende Ermäßigung mit einem Ausfall von Millio-nen für den Staat zu rechnen sein wird, aber ich sage, mit Rücksicht aufdie große Bedeutung, mit Rücksicht auf die Wichtigkeit für unsere Volksge-sundheit ist es ein derartiges Opfer wert und vielleicht lassen sich ja nochandere Gebiete finden, wo eventuell Ersatz auch für den Staat gefundenwerden kann, insbesondere in mancher Richtung der Besteuerung desmobilen Kapitals, was auch den Vorteil hätte, daß sich dasselbe naturge-mäß wieder mehr der Fundierung in Inmobiliarwerten zuwenden würdeund daher die Bautätigkeit und damit auch die Wohnungsfürsorge nurgewinnen könnte.

Was die in der Vorlage vorgeschlagenen Bestimmungen über das Verfah-

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ren anbelangt, so bedeuten dieselben eine wesentlichen Fortschritt ge-genüber den unklaren, veralteten und harten Normen, die den Hausbesit-zer bisher bedrückt und ihm viele Scherereien verursacht haben. Ich mußaber vom Städte- und Gemeindestandpunkte aus auch hierbei auf eineUmstand aufmerksam machen. Es soll nämlich die Erstattung der Zinsbe-kenntnisse in einjährigen Fristen stattfinden. Nun ist es Tatsache, daß dieGemeinden jetzt bei der zweijährigen Zinssassion diese Fassionen verhält-nismäßig spät erlangen. Sie brauchen sie aber unbedingt, weil sie ja dieUmlage auf keinem anderen Wege ziffermäßig festsetzen können. Ichfürchte, daß durch die einjährige Zinssatierung eine ordentliche Budgetie-rung für die Gemeinden geradezu unmöglich gemacht wird.

Ich glaube daher, daß hier irgendwie Mittel und Wege zur Abhilfe gefun-den werden müssen, die ich mir in einer rascheren Aufarbeitung der ver-schiedenen Zinssatierungen und insbesondere derart denke, daß dieverschiedenen Zinssassionen partienweise möglichst bald den Gemeinde-verwaltungen zur Verfügung gestellt werden. Ich habe die Überzeugung,daß eine derartige Unsicherheit im Gemeindehaushalte auch der Staats-verwaltung nicht wünschenswert sein kann trotz der Gleichgültigkeit, diesie den finanziellen Bestrebungen der Gemeinden beharrlich entgegen-bringt. Ich muß hier konstatieren, daß es die Regierung trotz der seit Jahr-zehnten vernehmlichen Klagen der Städtetage nicht der Mühe wertgefunden hat, überhaupt irgendeine Antwort zu geben, trotz mündlicheVorsprachen, trotz schriftlicher Eingaben.

Ich will Ihnen diese Gleichgültigkeit unserer Staatsverwaltung gegenüberder Gemeindewirtschaft noch an einem praktischen Beispiel erweisen. Inletzterer Zeit ist durch die Verstaatlichung verschiedener Bahnen im Nor-den unseres Reiches, wobei den an diesen Strecken liegenden Gemein-den eine gewisse Einnahme garantiert wurden, die Erwerbsteuertangentein den anderen Gemeinden außerordentlich zurückgegangen. Einen Be-griff von dem kolossalen Rückgang können Sie sich dadurch machen,daß zum Beispiel die Stadtgemeinde Linz aus der Erwerbsteuer der k.k.Staatsbahnen in diesem Jahre nahezu 200.000 K weniger Einnimmt als frü-her (Hört! Hört!). Sie können daraus entnehmen, daß ein derartiger Rück-gang geradezu ruinös auf eine Gemeindewirtschaft wirken muß. Dazukommt noch ein erschwerender Umstand. Von diesem kolossalen Rück-gang, durch den besonders die Landeshauptstädte betroffen werden, er-fahren die einzelnen Gemeindeverwaltungen erst nach Jahren, nachzwei und drei Jahren, also zu einer Zeit, wo sie das Geld schon längst aus-

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gegeben haben, die Gemeindeverwaltung kommt also dann in die un-angenehme Lage, nicht bloß eine Bedeckung dafür suchen zu müssen,sondern auch noch die unterdessen von der Staatsverwaltung an Erwerb-steuer zu viel gezahlten Summen zurückzuzahlen (Zustimmung). Wie wenigman in dieser Richtung den Gemeindeverwaltungen entgegenkommt,zeigt, daß es bisher nicht einmal möglich war, kleine entsprechende Ra-tenzahlungen für diese Rückzahlungen zu erreichen (Hört! Hört!). Sie kön-nen sich denken, in welche verzweifelte Lage manche Gemeindedadurch gekommen ist. Da drängt sich unwillkürlich die Empfindung auf,daß man sich in Regierungskreisen absolut nicht darüber klar ist, welcheungeheure Tragweite und welche unabsehbaren Folgen es auch für dasStaatsleben haben wird, wenn einmal die Gemeinden unter den ihnenübertragenen Lasten in ihrer Wirtschaft zusammenbrechen (Sehr richtig!).

Um nach diesem kurzen, etwas schmerzvollen Rückblick auf die Gemein-definanzen wieder auf die Gebäudesteuerreform zurückzukommen, sohalte ich bei der dermaligen Hauszinssteuer für eine große Ungerechtig-keit die Verschiedenheit im Steuerfuß und die Verschiedenheit der so ge-nannten Erhaltungsprozente. Es wird niemand recht einsehen, warum einHaus in einer Landeshauptstadt an Erhaltung um die Hälfte weniger Ko-sten verursachen sollte als ein Haus in der Nachbargemeinde (Zustim-mung). 15 Prozent an Erhaltungskosten für ein Stadthaus sind an und fürsich zu wenig und ich halte es nur für recht und billig, daß die Erhaltungs-prozente gleichmäßig, und zwar wenigstens mit 30 Prozent für alle Häuserfestgesetzt werden. Ich gebe aber zu, daß eine gleichmäßige Festsetzungdes Steuerfußes in Österreich einigen Schwierigkeiten begegnen wird,denn es ist ja klar, daß die Verhältnisse in den verschiedenen Teilen derMonarchie, auch die Verhältnisse zwischen Stadt und Land, zwischen deneinzelnen Nationen, zwischen Ost und West und Nord und Süd, sehr ver-schiedene sind.

Es geht aber nicht an, in der einen Richtung eine Stadt in einer höherenSteuerstufe zu belassen, sie aber auf der anderen Seite, wo es sich um Lei-stungen des Staates handelt, zu verkürzen. Ich erinnere da an das Beispielder Stadtgemeinde Urfahr. Urfahr hat den Steuerfuß von 26 2/3 Prozentmit der Begründung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse in Linz und Ur-fahr die gleichen sind. In der Aktivitätszulagenklasse der Stadt Linz stehenaber die Urfahrer Staatsbeamten nicht, sondern sie sind in einer viel niedri-geren Klasse. Das muß das Gefühl der Ungerechtigkeit, der ungleichenBehandlung auslösen und das sollte in einem geregelten Staatsleben

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doch nicht vorkommen.

Ich komme nun zu einer hochinteressanten Neuerung, welche meines Er-achtens nicht bloß vom Standpunkte der Gemeinden, sondern auch vondem der Mieter auf das lebhafteste zu begrüßen ist. Es ist das die, daß inHinkunft bei Gemeinden, welche bereits eine Gemeindeumlage auf dieHauszinssteuer von über 50 Prozent erreicht haben, im Ausmaße bis zu 20Prozent dieser Teil der Gemeindeumlage in der Zinssassion als Abzugspostanerkannt werden soll. Meine Herren! Zweifellos wäre es das Gerechteste,wenn sowohl die ganze Landesumlage wie die Gemeindeumlage als Ab-zugspost anerkannt würde (Sehr richtig!), denn faktisch reitet bei dem jetztbestehenden Zustande eine Steuer auf der anderen. Es ist nichts anderesals eine Steuerreiterei und dieselbe ist meines Erachtens unmoralisch. Aberauch die erwähnte Bestimmung scheint mir bereits ein großer Erfolg zusein. Die Folge der bisherigen Verhältnisse war, daß, wenn eine Gemeindeoder ein Land gezwungen war, die Umlage zu erhöhen und der Hausbe-sitzer dieselbe nicht aus eigener Tasche zahlen wollte, dieselbe im doppel-ten Maße auf den Mieter überwälzt werden musste, um den Betrag zuergeben, um welchen ziffernmäßig die Umlage erhöht worden ist. DieseSache ist so bekannt, daß ich sie an einem Beispiel nicht zu erläutern brau-che. Es ist daher zu begrüßen, daß dieser Doppelbesteuerung in Zukunftwenigstens zum Teil und wenigstens in jenen Gemeinden begegnet wer-den soll, wo die Umlage bereits eine ziemliche Höhe erreicht hat. Man-che Gemeinden sind diesem Übelstande bis jetzt dadurch begegnet, daßsie Mietzinsheller eingeführt haben.

Aber auch in dieser Richtung sind manche Gemeinden an der Grenzeder Leistungsfähigkeit angekommen und es ist daher der sehnlichsteWunsch vieler und nicht unbedeutender Gemeinden, daß diese Bestim-mung der alten Gebäudesteuervorlage ehestens Gesetzeskraft erlange.Ich gestatte mir daher an den Steuerausschuß die dringendste Bitte zurichten, diese Bestimmung aus der Materie herauszureißen und sie ehe-stens der Beschlußfassung und Erledigung im Hause zuzuführen. Ich glau-be, daß diesem Umstande kein Hindernis entgegensteht, weil weder dieVorlage als Ganzes, noch andere Interessen nachteilig berührt werden.

Meine Herren! Ein Gedanke, der sehr interessant ist und der hie und daauftaucht, aber meines Erachtens mit Recht bisher in keiner Vorlage Auf-nahme gefunden hat, ist der der Differenzierung der Mietzinssteuer. EineDifferenzierung der Mietzinssteuer könnte nach Häusern und nach Woh-nungen stattfinden. Ich würde beides für ungerecht halten. So viel ist si-

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cher, daß mit einer derartigen Differenzierung wieder die größeren Städteauch die größeren Lasten zu tragen hätten. Aber es ist auch so viel sicher,daß die Größe des Hauses bei uns gerade im umgekehrten Verhältnis zuder Wohlhabenheit der in dem betreffenden Hause wohnenden Mietpar-teien steht, denn wir haben auch immer in den Städten leider Mietkaser-nen und noch nicht das Ein- oder Zweifamilienhaus, welches freilich dasIdeal für die Zukunft bilden wird. Aber die Differenzierung nach Wohnun-gen scheint mir deshalb ungerecht zu sein, weil gerade derjenige, der ei-ne größere Familie hat, dessen Wohnungsbedürfnis daher ein größeres ist,dessen Lebenskampf infolge der größeren Kopfzahl der Familienangehöri-gen ein viel schwererer ist, nun auch stärker belastet werden soll.

Meine sehr geehrten Herren! Ich habe in möglichster Kürze die wichtigstenMomente hervorgehoben, welche mir vom Standpunkte der Städte undvom Standpunkte der Allgemeinheit notwendig erschienen, um dieDringlichkeit der Hauszinssteuerreform zu beweisen. Wenn ein französi-scher Finanzminister vor einigen Jahren die Tür- und Fenstersteuer Frank-reichs als eine Besteuerung von Luft und Licht gebrandmarkt hat, soschließe ich mich der Anschauung eines unserer eifrigsten Vorkämpfer inder Wohnungsfürsorge und der Wohnungsreform, des Herrn Professors Dr.Rauchberg, an, welcher die österreichische Mietzinssteuer als eine Be-steuerung der Gesundheit und der Sittlichkeit des Volkes bezeichnet. Undwenn unser verstorbener Kronprinz Rudolf im Jahre 1887 bei einer mir nichterinnerlichen Gelegenheit gesagt hat: "Das kostbarste Material der Staa-ten und der Gesellschaft ist der Mensch", so muß ich dem beifügen, daßes deshalb die oberste Pflicht und die höchste Aufgabe der Staatsverwal-tung und der Allgemeinheit ist, dieses kostbare Material möglichst zu hü-ten, zu schützen und zu hegen. Eine unumgängliche Voraussetzung hierfürist aber eine gesunde und eine preiswerte Wohnung. Und so gestatte ichmir, hoch verehrte Herren, an die Regierung sowie an das hohe Haus dieBitte zu richten, im Interesse der Volksgesundheit mit Rücksicht auf die Be-deutung dieser Frage dieselbe möglichst zu fördern und ehestens in sozialbefriedigender Weise zu lösen und zu verabschieden (Lebhafter Beifallund Händeklatschen - Redner wird beglückwünscht).

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Dinghofer in derNationalversammlungDinghofer Franz, Dr., Bürgermeister, Linz - Oberösterreich 2, Linz (Stadt)wurde am 21. Oktober 1918 zum Präsidenten der Natinonalversammlunggewählt. In dieser Funktion verlas er am 12. November 1918 den Text derneuen Verfassung auf der Balustrade des Parlaments und gilt seit dem als"Verkünder der Republik". An diesem Tag hielt er auch eine Rede zum To-de Viktor Adlers, der am Vortag verstorben ist.

Rede am 12. November 1918 zum Tod vonViktor Adler

Meine Herren! Schwere Trau-er erfüllt uns. (Das Haus er-hebt sich.) Einer unsererBesten, Dr. Viktor Adler, wur-de gestern plötzlich aus unse-rer Mitte gerissen, gerade zueiner Zeit, wo wir seiner Mitar-beit besonders bedürftigsind. Tief ist der Schmerz, deruns alle ohne Unterschiedder politischen Richtung be-wegt. Mit ihm scheidet einePersönlichkeit aus dem öf-fentlichen Leben, derenüberragende Bedeutung,wenn sie auch seinen Zeitge-nossen schon zum Bewußt-sein gekommen ist, volleWürdigung doch erst in derZukunft erfahren wird.

1852 als Sohn eines Kaufman-nes in Prag geboren, widme-te sich Adler zunächst denmedizinischen Studien, er-langte das Doktorat der Me-

Parlamentarische Aktivitäten von Franz Dinghofer

in der provisorischen Nationalversammlung

(Faksimile)

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dizin, trat jedoch bald ins politische Leben ein und betätigte sich in orga-nisatorischer und publizistischer Richtung. Als Gründer der "Arbeiter-Zei-tung", welche in der Folge zum Zentralorgan der österreichischenSozialdemokratie ausgestaltet wurde, erlangte er frühzeitig eine führendeStellung in der Sozialdemokratischen Partei. Eifrige Studien der Fabriks- undGewerbegesetzgebung, deren Ergebnisse er eingehend schriftstellerischverwertete und die er durch vielfältige Reisen im In- und Auslande immermehr vertiefte, ließen ihn auch berufen erscheinen, im Interesse seiner Par-tei auf dem Gebiete des Arbeitschutzes wertvolle Arbeit zu leisten.

So gelangte Adler, theoretisch und praktisch gründlich vorbereitet, imJahre 1905 in die Vertretungskörper, den niederösterreichischen Landtagund den Reichsrat. Nun hatte er die Möglichkeit, seine große organisatori-sche Begabung, sein hervorragendes politisches Talent zur vollsten Ent-wicklung zu bringen. So wurde er zum Führer der Partei im Inlande undzum Vertreter ihrer Interessen auf dem internationalen sozialdemokrati-schen Kongressen.

Insbesondere seine Wirksamkeit im Abgeordnetenhause ist noch in unseraller Erinnerung. Seine bedeutende Führergabe kam hier zur größten Gel-tung. Ein Redner von Glanz und Gehalt, ein Debatter von seltener Schlag-fertigkeit, der, so oft er sprach, immer einer aufmerksamen Zuhörerschaftsicher sein konnte, ein Unterhändler von ebenso weiser Mäßigung alsenergischer Tatkraft war Dr. Adler bei Parteigenossen wie politischen Geg-nern gleich hoch geachtet und beliebt. So steht sein Bild vor unseren gei-stigen Augen.

Auch ein schweres körperliches Leiden, das ihn vor Jahren heimsuchte,vermochte nicht, ihn seinen öffentlichen Pflichten zu entfremden. Sostand er, wenn auch siech am Körper, in der vordersten Reihe jener, diedaran gingen, für die Deutschen in Österreich ein neues Vaterland aufzu-richten. Willig und opferfreudig nahm er die schwere Bürde auf sich, dieihm das neue Deutschösterreich mit dem Staatsamte des Äußeren bot. Invorbildlicher Pflichttreue hat er sich den gewichtigen Aufgaben diesesAmtes unterzogen und am großen Werte des Friedens restlos gearbeitet.Noch letzten Samstag hörten wir ihn im Staatsrate in klugen Worten denAnschluß Deutschösterreichs an das große deutsche Nachbarreich emp-fehlen. Es sollte seine letzte politische Mahnung sein. Das Schicksal hat esihm verwehrt, den Weg, den er zu weisen begonnen, mit uns zu Ende zugehen.

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Aber die Erinnerung an seine Mitarbeit wird unlösbar verbunden bleibenmit dem Werden Deutschösterreichs.

Sie haben sich, meine Herren, zum Zeichen der Trauer von den Sitzen er-hoben und damit Ihr Einverständnis dargetan, daß diese Kundgebungdem amtlichen Protokolle der heutigen Sitzung einverleibt werde.

Die feierliche Ausrufung der Republik Deutschöster-reich am 12. November 1918

Am Dienstag dem 12. November 1918 wurde der Gesetzesentwurf überdie Staats- und Regierungsform, durch den Deutschösterreich zur Republikerklärt wird, einstimmig durch die provisorische Nationalversammlung an-genommen.

Artikel 1 lautet: "Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alleöffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt."

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Rede am 6. Februar 1919 zur konstituierenden Sitzungder Nationalversammlung der Weimarer Republik

Hohes Haus! Wir stehen nunmehr am Schlusse der Tagung der Provisori-schen Nationalversammlung, welche in ihrer ersten Sitzung am 21. Okto-ber 1918 die Pflicht übernommen hat, das deutsche Volk in Österreich biszum Zusammentritte der konstituierenden Nationalversammlung zu vertre-ten und bis zu diesem Zeitpunkte die Staatsgeschäfte zu führen.

Es ist ein merkwürdiger Zufall, eine Schicksalsfügung: Wir beschließen jetztunsere Tätigkeit, in Weimar hat die große deutsche Republik fast zur sel-ben Stunde ihre Tätigkeit begonnen. (Beifall und Heilrufe.)

Eine verhältnismäßig kurze Tagung ist es, die wir heute beschließen, dochdie Tagung voll ernster Arbeit in einer schicksalsschweren, ereignisreichenZeit, die einer der denkwürdigsten Wendepunkte in der Geschichte derVölker und Staaten aller Zeiten bleiben wird.

Auf den Trümmern des alten Österreich, das nach mehr als 4 jährigemKampfe seinen äußeren und inneren Feinden erlegen ist, haben wir denneuen demokratischen Freistaat Deutschösterreich aufgerichtet und inder Sitzung vom 21. Oktober 1918 unser Recht auf Selbstbestimmung undeigene unabhängige Staatlichkeit feierlich erklärt. Es ist ein neuer Staat,den wir gegründet haben, der Staat des deutschen Volkes in Österreich,auf den niemand ein Anrecht besitzt, in welchem nur das deutscheStaatsvolk einzig und allein das ausschließliche Recht in Gesetzgebungund Verwaltung ausübt. Wir lehnen es nachrücklichst ab, die Rechtsnach-folger des alten Österreich zu sein. (Lebhafte Zustimmung.) Niemals hat ei-ne Volksvertretung vor schwereren Aufgaben gestanden, als dieprovisorische Nationalversammlung. Der alte Staat ist völlig zusammenge-brochen und hat neben einer ungeheuren Schuldenlast leere Kassen undleere Speicher hinterlassen. Die buchstäbliche Sorge um das tägliche Brottrat drohend an uns heran, dem völligen Mangel an den notwendigstenBedarfsartikeln sollte abgeholfen, die Kohlenfrage mit ihrem weitverzweig-ten Nebenwirkungen sollte gelöst, der Hemmung der Produktion und derimmer mehr um sich greifenden Gefahr der Arbeitslosigkeit sollte Einhaltgeboten werden. Der Mangel an den nötigen Rohprodukten bereitetedem geordneten Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaftunüberwindliche Schwierigkeiten, die stetig zurückgehende Produktionbeeinflußte die Wirtschafts- und Finanzgebarung des Staates in der aller-

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bedenklichsten Weise. Dabei mußte die Entscheidung in den wichtigstenFragen der konstituierenden Nationalversammlung vorbehalten bleiben.Unsere Aufgabe konnte es nur sein, das ganze Staatswesen auf die Füßezu stellen, es über das kurze Provisorium hinüberzuleiten und mit aller Be-schleunigung die Vorbereitungen für den Zusammentritt der konstituieren-den Nationalversammlung zu treffen, deren Aufgabe es unter anderemsein wird, den Rohbau zu vollenden, das Staatsgebäude einzurichten undeine großzügige, weitausschauende Wirtschaftspolitik zu inaugurieren.

Hohes Haus! Die Provisorische Nationalversammlung hat die ihr gestelltenAufgaben mit voller Hingabe an den neuen Staat nach besten Kräftengelöst. Bürger, Bauern und Arbeiter haben sich, ohne Unterschied der Par-tei, zu gemeinsamer Arbeit zusammengefunden in dem einigenden Be-streben, die Errungenschaften der unblutigen Revolution zu schützen, diejunge Freiheit zu erhalten und das Recht der Selbstbestimmung auszuü-ben. Nur der unbeugsame Wille der Parteien, zusammenzuarbeiten, densie ohne Ausnahme unter Zurückstellung wesentlicher Forderungen betä-tigten, ermöglichte es, eine Fülle an Arbeit zu vollbringen. Völlig unvorbe-reitet mußten wir an diese Arbeit herantreten, die Ereignisse haben sichmit Eintritt des Herbstes überstützt, wir mußten unter dem Zwange des Au-genblickes handeln und konnten nur einen Rohbau zimmern, von dem wiruns klar sind, daß ihm noch große Mängel anhaften, die feinere Arbeitmußte ruhigeren Zeiten vorbehalten bleiben.

In der nicht ganz vier Monate dauernden Sitzungsperiode der Provisori-schen Nationalversammlung standen naturgemäß die verfassungs- undverwaltungsrechtlichen Fragen im Vordergrunde. Der erste Schritt, wel-cher der Erklärung vom 21. Oktober 1918, daß das deutsche Volk in Öster-reich entschlossen ist, seine künftige staatlichen Ordnung selbst zubestimmen, einen selbstständigen deutschösterreichischen Staat zu bil-den und seine Beziehungen zu den anderen Nationen durch freie Verein-barungen mit ihnen zu regeln, folgte, war der Beschluß über diegrundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, mit welchem die Aus-übung der gesetzgebenden Gewalt durch die provisorische Nationalver-sammlung sowie der Regierungs- und Vollzugsgewalt durch den aus ihrerMitte bestellten Staatsrat geregelt wurde.

Der nächste Schritt war als logische Folge der Beschluß vom 12. Novem-ber 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich. Ein-stimmig hat die Provisorische Nationalversammlung beschlossen: 1.Deutschösterreich ist eine demokratische Republik, 2. Deutschösterreich ist

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ein Bestandteil der Deutschen Republik. (Lebhafter Beifall und Händeklat-schen.)

Klar und unwiderruflich hat die Bevölkerung von Deutschösterreich durchihre frei gewählten Vertreter damit bekundet, daß es in Zukunft seinSchicksal selbst bestimmen und die Staatsgewalt die von ihm bestelltenOrgane selbst ausüben will. Deutschösterreichs Vertretung hat durch ein-stimmigen Beschluß kundgetan, daß es den Zusammenschluß mit demgroßen deutschen Mutterlande wünscht, mit dem es auch in der Zeit derhöchsten Not und Bedrängnis zu einer Schicksalsgemeinschaft verbundensein will. (Lebhafter Beifall.) Wir hoffen zuversichtlich, daß uns schon die al-lernächste Zeit die Verwirklichung dieses Beschlusses bringen wird, der mitAusnahme weniger ungeteilte Zustimmung in allen Schichten der Bevölke-rung gefunden hat. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) Die Deutsch-österreicher wollen zum deutschen Mutterlande gehören und nie sollensie wieder Hausmachtinteressen von demselben treffen. (Lebhafter Bei-fall.) In weiterer Folge wurden dann die Gesetze über das deutschösterrei-chische Staatsbürgerrecht und über Umfang, Grenzen und Beziehungendes Staatsgebietes von Deutschösterreich beschlossen.

Inzwischen sind weite, rein deutsche Gebiete in den Sudetenländern vonden Tschechen, in Südtirol von den Italienern und in Kärnten und Steier-mark von den Jugoslawen besetzt und der Ausübung der Gebietshoheitdurch Deutschösterreich entzogen worden.

Ich glaube im Namen des ganzen hohen Hauses zu sprechen, wenn ichsage, daß wir unsere Ansprüche auf diese mit Waffengewalt widerrecht-lich unserer Einwirkung entzogenen Gebiete voll und ganz aufrecht erhal-ten (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) und daß wir hoffen, daß nichtdurch einen Gewaltfrieden unseren Brüdern in diesen Gebieten ihr unver-äußerliches Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten werde. (Erneuterlebhafter Beifall und Händeklatschen.) Unseren Stammesbrüdern in diesenGebieten aber rufen wir zu: "Harret mutig aus, der Tag der Erlösung undder Vereinigung der großen deutschen Völkerfamilie wird uns muß kom-men."

Zur staatsrechtlichen Gruppe gehören dann noch die von der Provisori-schen Nationalversammlung beschlossenen Gesetze über das Press-, Ver-eins- und Versammlungsrecht, die Übernahme der Staatsgewalt in denLändern.

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Eine der Hauptaufgaben der Provisorischen Nationalversammlung war dieFestsetzung der Wahlordnung, auf Grund deren jetzt die konstituierendeNationalversammlung gewählt wird.

Das Haus war bestrebt, ein möglichst gerechtes Wahlrecht zu schaffen,das auch die Minderheiten berücksichtigt. Im Zusammenhange mit demWahlrechte wurden auch die Gesetze über die Einberufung der konstitu-ierenden Nationalversammlung und betreffend strafrechtliche Bestim-mungen zum Schutze der Wahlen und Versammlungsfreiheit geschaffen.

Auf dem Gebiete der Rechtsprechung wurde vor allem durch das Grund-gesetz über die richterliche Gewalt die Gerichtshoheit des Staates festge-setzt. Weiters wurden unter anderen Vereinfachungen derStrafrechtspflege und eine Amnestievorlage beschlossen.

Hohes Haus! Mit dem Niederbruche Österreichs ist auch seine Wehrmachtvöllig zusammengebrochen und der junge Staat Deutschösterreich standzunächst gänzlich wehrlos da. Die Versuche, einzelne Bestände der frühe-ren Wehrmacht zur Aufrechterhaltung der Ruhe um Inneren zu retten, hat-ten wenig Erfolg und wir mußten auch hier vollständig neu aufbauen undmit einem Notbehelf der Volkswehr, das Auslangen suchen. Bei dieser La-ge der Dinge war es nicht möglich, den feindlichen Einbrüchen in Deut-sches Gebiet einen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen, daß esdabei bisher gelungen ist, die Ordnung im Inneren aufrechtzuerhalten,abgesehen von den traurigen Vorfällen, die sich in den letzten Tagen inder oberösterreichischen Landeshauptstadt abspielten, ist vor allem derDisziplin der Bevölkerung zu verdanken, welche ihren Staat nicht gefähr-den wollte. Da der Staat aber für die Dauer eine Wehrmacht zu seinemSchutze nicht entbehren kann, hat die provisorische Nationalversamm-lung noch in der heutigen Sitzung die Grundlinien für das zukünftige Wehr-system beschlossen. Weiters wurde ein Gesetz über die Verfolgung vonPflichtverletzungen militärischer Organe im Kriege angenommen und wur-den neue Bestimmungen über das Militärstrafgesetz und das Militärstraf-verfahren getroffen.

Aus staatsfinanziellem Gebiet konnten in der Hauptsache nur vorläufigeMaßnahmen zur Fortführung der Staatswirtschaft während des Provisori-ums getroffen werden. Das große Werk des Wiederaufbaues unsererStaats- und Volkswirtschaft wird eine der ersten und wichtigsten Aufgabensein, welche die konstituierende Nationalversammlung zu vollbringen ha-ben wird.

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Die Provisorische Nationalversammlung hat die Gesetze, betreffend Än-derungen in der Organisation der Finanzverwaltung, über die Fortführungdes Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919, gegen dieSteuerflucht sowie erst gestern und heute eine allerdings sehr stattlicheReihe von Steuergesetzen angenommen, ohne, wie gesagt, einer durch-greifenden und großzügigen Finanzreform vorzugreifen, die unter Berück-sichtigung der Tragfähigkeit sämtlicher Volksschichten ehebaldigstgeschaffen werden muß.

Auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik wurden einige wichtige Gesetzebeschlossen, wie die Arbeitsvermittlung und der Arbeiterschutz bei der De-mobilisierung, die befristete Einführung des achtstündigen Arbeitstages infabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen, die Kinderarbeitund die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit,über die Enteignung zu Wohnzwecken, über den Schutz von Ziehkindernund unehelichen Kindern.

Auch hier harren der konstituierenden Nationalversammlung große Auf-gaben. Die zunehmende Arbeitslosigkeit wird eingedämmt werden müs-sen, und wir dürfen uns nicht verhehlen, daß dieArbeitslosenunterstützung, die wir unter dem Zwange der Verhältnisse lei-der vielfach auch nur in unzureichendem Maße gewähren konnten, spezi-ell wenn man die Wiener Verhältnisse in Betracht zieht, nur ein kurzfristigerNotbehelf sein kann. Wir müssen den Weg zur Arbeit und zur Produktionzurückfinden, wenn wir nicht in kurzer Zeit der vollständigen Verelendunganheimfallen wollen.

Hohes Haus! Ich habe damit die Tätigkeit der Provisorischen Nationalver-sammlung in dieser kurzen Spanne Zeit nur in den Hauptzügen und keines-wegs erschöpfend behandelt. Diese Arbeit konnte, wie schon betont, nurdurch die äußerste Anspannung der Kräfte und durch die restlose Hinga-be der Nationalräte an den neuen Staat, an unseren Staat, geleistet wer-den. Den Vorwurf der Unfruchtbarkeit, meine Herren, kann uns gewissniemand machen. (Lebhafte Zustimmung.) Wir haben in den wenigenMonaten mehr geleistet, als das alte Haus in Jahren zusammengebrachthat. (Lebhafter Beifall.) Der Vorwurf allzu großer Fruchtbarkeit wäre eherberechtigt.

Ich glaube auch im Namen meiner Herren Kollegen im Präsidium spre-chen zu dürfen, wenn ich zum Abschied den verehrten Nationalräten für

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ihre aufopfernde Tätigkeit im Hause und in den Ausschüssen den wärm-sten und innigsten Dank zum Ausdrucke bringe. Mein Dank gilt auch derverehrlichen Regierung mit dem Herrn Staatskanzler an der Spitze (Lebhaf-ter Beifall) für das rastlose Bestreben, die Arbeiten des hohen Hauses zufördern.

Ebenso danke ich den Beamten und sonstigen Angestellten des Hauses,die in der Ausübung ihres schweren Dienstes keine Mühe und kein Opfergescheut haben.

Wir müssen nun heute voneinander Abschied nehmen. Viele von Ihnenscheiden aus diesem Hause für immer. Ich kann nur meinem BedauernAusdruck verleihen, daß durch ihr Scheiden der künftigen Volksvertretungeine Fülle von Wissen und Erfahrung verloren geht. Gemeinsame Arbeit inernster Zeit hat uns trotz der vielfach poltischen gegensätzlichen Auffas-sungen einander näher gebracht. Wir haben uns gegenseitig schätzenund achten gelernt und ich darf daher auch wohl der Überzeugung Aus-druck geben, daß wir uns gegenseitig ein freundschaftliches Angedenkenbewahren werden. (Lebhafte Zustimmung.)

Hohes Haus! Ich kann nicht schließen, ohne dem Wunsche Ausdruck zugeben, daß die kommende Volksvertretung den schweren Aufgaben, dieihrer in größter Verantwortlichkeit harren, gewachsen sein möge; daß sievon der Macht, die in ihrer Hand ruht, zum Heile unseres schwer geprüftenVaterlandes und Volkes glücklichen und segenbringenden Gebrauchmacht. Unser junges Staatswesen ist noch vielen Gefahren ausgesetzt. Ichhoffe, daß die Vertiefung des Staatsgedankens im Volke, seine Klugheitund Besonnenheit, sein Verständnis für die Lage diese Gefahren überwin-den, und daß das Volk nicht wieder um die mit schweren Opfern erkauf-ten Früchte der Revolution betrogen wird. (Lebhafter Beifall.)

Ich hoffe, daß die Friedensverhandlungen, an deren Abschluß die konsti-tuierende Nationalversammlung mitzuwirken berufen ist, uns einen ge-rechten dauernden Frieden bringen werden, der jeder Anwendung vonGewalt mit weiser Vorsicht aus dem Wege geht. Wenn erst freie Völker infreien Staaten den Werten des Friedens nachgehen können, dann wer-den sie sich auch wieder zusammenfinden zum friedlichen Güteraus-tausch, zur gemeinsamen Wahrung des Friedens und zum gemeinsamenWiederaufbau und zur Höherentwicklung der Menschheitskultur, die durchden Krieg so sehr gelitten hat. (Zustimmung.) Eine solche Friedensarbeitaber kann nur erblühen, wenn die angestammten Siedlungsgebiete der

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Völker und damit auch des deutschen Volkes geachtet werden. (Beifall.)Wir wünschen und hoffen zuversichtlich, daß der Friedensschluß die Lei-denszeit beenden werde und daß unser heißgeliebtes Vaterland in engerstaatlicher Vereinigung mit dem Deutschen Reiche durch emsige Arbeitseiner friedlichen Bevölkerung einer neuen Periode der Blüte und desWohlstandes entgegengehe. In diesem Sinne lade ich Sie, verehrte Kolle-gen ein, einzustimmen in den Ruf: "Heil unserem jungen FreistaateDeutsch-Österreich! Heil unserem Deutschen Vaterland! Heil unserer de-mokratischen Republick." (Stürmische Heilrufe. Lebhafter anhaltender Bei-fall und Händeklatschen.)

Zum Worte hat sich der Herr Abgeordnete Freiherr v. Fuchsgemeldet; ich erteile ihm das Wort.

Abgeordneter Dr. Freiherr v. Fuchs: Meine sehr geehrten Herren! Gestat-ten Sie mir, als Senior des Hauses, wenige Worte an Sie zu richten. Der HerrPräsident hat soeben die Güte gehabt, in einer schwungvollen Rede derTätigkeit, und zwar, wie er sich ausgerückt hat, der ersprießlichen Tätigkeitdes hohen Hauses zu gedenken. Erlauben Sie mir, meine sehr geehrterHerren, als Senior des Hauses und ich glaube auch mit gutem Recht sa-gen zu dürfen, mit Ihrem Einverständnisse, dem Herrn Präsidenten für diesewarmen Worte wärmstens zu danken. (Lebhafter Beifall.) Wir fühlen unsaber nicht nur verpflichtet, dem Herrn Präsidenten für viele schöne Worte,die er an uns gerichtet hat, zu danken, sondern ich fühle mich auch ver-pflichtet, meine verehrten Herren, der ganzen Regierung, und zwar demPräsidium, dem Herrn Staatskanzler, den sämtlichen Staatssekretären undallen, von denen man sagen kann: Potentiam habentes, wärmstens fürdas zu danken, was sie im Interesse des jungen republikanischen Staatesgetan haben. (Beifall.)

Meine verehrten Herren! Wir werden oder Sie werden - ich spreche nichtmehr von mir - demnächst zur definitiven Nationalversammlung zusam-mentreten. Ich wünsche der neuen, definitiven NationalversammlungGottes Segen, ich wünsche, daß die staatliche und gesellschaftliche Ord-nung, echte Volksfreiheit, gesunder Fortschritt und das Steben nach wirkli-chem Frieden die Devise des neuen Hauses sein möge. (Lebhafter Beifallund Händeklatschen.)

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Unzensuriert-Jahrbuch 2010DAS JAHRBUCH FASST AUF ETWA 250 SEITEN DIE HEIßESTEN POLITISCHEN THEMEN DES JAHRESZUSAMMEN UND WIRD ANFANG DEZEMBER ZUM PREIS VON 10 EURO ERHÄLTLICH SEIN.VORBESTELLUNGEN SIND BEREITS JETZT UNTER [email protected] MÖGLICH. DAS BUCHEIGNET SICH BESONDERS ALS POLITISCHESWEIHNACHTSGESCHENK. BEI BESTELLUNGEN AB 10BÜCHER GIBT ES VERGÜNSTIGUNGEN.

Der Islam in unserer Gesellschaft

Die Sarrazin-Debatte hat das Augenmerk auf Zuwanderer gelenkt, diesich in unserer Gesellschaft nicht integrieren wollen. Die meisten davonstammen aus islamischen Ländern und stellen ihre Werte und ihr Rechtssy-stem über jene des Gastlandes. Daneben werden islamische Riten immermehr zur Normalität – vom Fastenbrechen im Ramadan über Halal-Fleischim Supermarkt bis hin zur Türk-Milch.

Bleiberecht für alle

Was mit Arigona Zgogaj begann, versuchen Flüchtlings-Hilfsorganisatio-nen mit den Komani-Zwillingen zu vollenden. Der Staat soll daran gehin-dert werden, seine Gesetze zu vollziehen. Sobald Kinder im Spiel sind undMenschen ohne Asylgrund nicht freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, be-deutet das faktisch: Bleiberecht für alle.

Familien zahlen alles

Das Budget für 2011 war schon vor seiner Fertigstellung in den Schlagzei-len. Verfassungsbruch aus niederen wahltaktischen Motiven warf die Op-position der Regierung vor. Das Ergebnis lässt die Kritik nicht verstummen:Die Familien zahlen die Krise. Auf lang ersehnte gesetzliche Maßnahmenwie ein Steuersplitting oder die gemeinsame elterliche Obsorge im Schei-dungsfall müssen sie hingegen weiter warten.

Die Uni brennt – wer „brennt“ die Uni?

Die Universitäten sind ein Hort des Widerstands gegen die bildungsfeindli-che Politik der Bundesregierung. Rund um den Budgetbeschluss, der denHochschulen erneut nicht die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt hat, so-

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lidarisierten sich diesmal auch die Lehrenden bis hinauf zu den Rektorenmit den protestierenden Studenten. Die Kundgebungen werden jedochregelmäßig auch für einseitige politische Agitation missbraucht.

Schmutzige Wahlkämpfe

Der Bundespräsident sowie die Landtage der Steiermark und Wiens warenheuer zu wählen. Zwei Kandidaten der FPÖ standen im Mittelpunkt des In-teresses: Barbara Rosenkranz, die Heinz Fischer erwartungsgemäß klar un-terlag, und Heinz-Christian Strache, der in Wien einen sensationellenTriumph feierte. Beiden wurden nicht nur vom politischen Mitbewerber,sondern auch von Medien heftig bekämpft.

Die Finanzkrise bedroht den Euro

Die Gemeinschaftswährung stand im Zuge der Finanzkrise kurz vor demAus und konnte nur durch enormen finanziellen Einsatz und eine deutlicheKompetenzüberschreitung der Regierenden gerettet werden, nachdemzunächst einmal Griechenland vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt wer-den musste. Doch ist der Euro damit über den Berg – oder droht ihm wieauch dem US-Dollar der völlige Zusammenbruch?

Die Justiz in der Krise

Schlamperei oder Absicht? Diese Frage drängt sich angesichts der zahlrei-che Justizpannen aus. Die ehemalige Höchstrichter Adamovich und Rzes-zut schlagen wegen der verpfuschten Ermittlungen im EntführungsfallNatascha Kampusch Alarm. Die Urteile im BAWAG-Prozess werden vonder Generalprokuratur zerpflückt, was die Stellung von Justizministerin Ban-dion-Ortner extrem schwächt.

Aus für die Wehrpflicht?

Deutschland macht es vor, und in Österreich wollen viele mitziehen. Dieallgemeine Wehrpflicht steht plötzlich zur Disposition. Wiens BürgermeisterMichael Häupl versuchte vergeblich, mit diesem Thema die Landtagswahlzu retten. Grüne und BZÖ wollen ein Berufsheer, die Regierungsparteiensind diskussionsbereit. Nur die Freiheitlichen beharren weiter auf die Wehr-pflicht. Wird nächstes Jahr das Volk entscheiden?

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Pressefreiheit in Gefahr

Der ORF lieferte den Medienskandal des Jahres, indem er bezahlte Skin-heads zu einem Auftritt von FPÖ-Obmann Strache mitnahm. Dennoch stili-sierte er sich sogar aus dieser Affäre heraus zum Opfer und sah diePressefreiheit bedroht. Dabei sind Inseratenabhängigkeit und das geplan-te Terrorismus-Präventionsgesetz wesentlich größere Gefahren für Mei-nungs- und Pressefreiheit.

Hohes Haus bleibt Baustelle

Das Parlament wartet immer noch auf den dringend nötigen Umbau. Da-für bekam es einen neuen Internet-Auftritt verpasst, dessen enorme Ko-sten allerdings ebenso zu gerichtlichen Ermittlungen führen könnten wiedie Verzögerung der Sanierung. Die Life-Ball-Gesellschaft fühlte sich dafürerstmals pudelwohl im Parlament.

Der Konsument als Allesfresser

Um die Lebensmittelsicherheit und auch um die Qualität steht es in Öster-reich nicht zum Besten. Aus dem Käse-Skandal mit neun Todesopfern wur-den nicht die nötigen Konsequenzen gezogen. Anstatt die Kontrollen zuverschärfen, achtet der Gesundheitsminister nicht einmal auf die Einhal-tung der schon jetzt vorgeschrieben Proben. Auch Gütesiegel geben denKonsumenten keine Sicherheit.

Der gläserne Mensch im Internet

Google und Facebook gehören zu den meistkritisierten – aber immernoch zu den erfolgreichsten – Unternehmen im Internet-Bereich. Ihr Um-gang mit persönlichen Daten wird heftig kritisiert. Google will in unserSchlafzimmer fotografieren, Facebook schnappt sich die Mailadressen un-serer Freunde. Ist Privatsphäre im Internet überhaupt noch möglich?

Wohnen muss wieder leistbar werden

Stetig steigt der Anteil des Einkommens, den die Menschen für Wohnraumausgeben müssen. Der soziale Wohnbau ist längst Geschichte, anstattdessen werden die Menschen – auf gesetzlicher Basis – abgezockt. EinMusterbeispiel dafür bilden die gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen,

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die von den Nutzern wesentlich mehr kassieren, als sie für ein kosten-deckendes Wirtschaften benötigen.

20 Jahre nach dem Kommunismus

Der Vielvölkerstaat Sowjetunion überwand vor zwanzig Jahren den Kom-munismus. Russland musste daraufhin die einzelnen Sowjetrepubliken indie Unabhängigkeit entlassen. Unzensuriert betrachtet ihre Entwicklung inden letzten beiden Jahrzehnten – von Estland bis Tadschikistan.

Die Welt im Zeichen des Fußballs

Die Weltmeisterschaft in Südafrika war für Unzensuriert ein Anlass, sich inneue Gefilde vorzuwagen. Mit dem WM-Tagebuch warfen wir Schlaglich-ter auf Ereignisse und Zusammenhänge, die in der sportlichen Berichter-stattung kaum Platz fanden.

Diese Bücher sollten Sie lesen

„Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin war sicherlich das Buchdes Jahres 2010. Doch es gab auch andere interessante Neuerscheinun-gen – von Heisig über Schwarzer bis Steinbach.

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ISBN 9-783-9502849-2-8

Dr. Franz Dinghofer gilt als der "Verkünder der Republik", weil er am12. November 1918 als Präsident der Provisorischen Nationalver-sammlung das Gesetz über die Staats- und Regierungsform vor demParlament verkündet hat. Der junge Staat Deutschösterreich wurdedadurch zur Republik.

Diese Broschüre beinhaltet den von Prof. Dr. Harry Slapnicka am11. März 1987 in Linz gehaltenen Festvortrag sowie zusätzlich drei hi-storische Reden Franz Dinghofers, die er als Abgeordneter zumReichstag und später als Präsident der Provisorischen Nationalver-sammlung gehalten hat.

Einleitende Worte des Präsidenten des Franz Dinghofer Instituts, Dr.Martin Graf, und des Präsidenten des wissenschaftlichen Beirats,Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Brauneder, weisen auf diehistorische Bedeutung Dinghofers hin.

Die Herausgabe dieser Broschüre erfolgte mitUnterstützung des Freiheitlichen Bildungsinstituts.

Unzensuriert.at

FranzDinghofer

FranzDinghoferInstitut(Hg.)