DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit

bdquoCaacutenticos de fuacutetbolldquo

Textlich kreatives Schaffen in Spaniens Fuszligballstadien

Eine literaturwissenschaftliche Analyse von Fangesaumlngen

Verfasser

Gregor Kleczkowski

angestrebter akademischer Grad

Magister der Philosophie (Mag phil)

Wien 2013

Studienkennzahl lt Studienblatt A 236 352

Studienrichtung lt Studienblatt Diplomstudium Romanistik Spanisch

Betreuer Mag Dr Wolfram Aichinger

1

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 3

2 Forschungsstand 5

21 Forschungsansatz und Methode 16

3 Einfuumlhrung in die Fankultur 21

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur 22

311 Entstehung 22

312 Ausbreitung und Anfaumlnge in Spanien 28

32 Moderne Fankultur 33

321 Stroumlmungen 33

33 Spaniens Fankultur 35

331 Aufkommen von Ultragrave und Hooligans in Spanien 36

332 Vereine Fans und politische Identitaumlten 38

4 Caacutenticos 40

41Voraussetzungen 41

42 Entstehung und Verbreitung 43

43 Einteilung 48

5 Caacutenticos y cantantes 51

51 Zu den ausgewaumlhlten Gruppen 51

511 Club Atleacutetico de Madrid - Frente Atleacutetico 53

512 Rayo Vallecano - Bukaneros 57

513 Real Madrid CF - Ultras Sur und Orgullo Vikingo 59

52 Analyse der Chants 62

521 Hymnen und Liebeslieder 62

522 Ausdruck von Identitaumlten 67

523 Schmaumlhgesaumlnge Persiflagen und Provokationen 72

2

6 Conclusio 76

7 Ausblick 79

8 Sammlung der caacutenticos nach Mannschaften 80

81 AT Atleacutetico de Madid - Frente Atleacutetico 80

82 RA Rayo Vallecano - Bukaneros 89

83 RE Real Madrid ndash Ultras Sur ndash Orgullo Vikingo 102

9 Quellenverzeichnis 110

10 Anhaumlnge 115

101 Anhang 1 ndash Bilder 115

102 Anhang 2 - Zeitzeugnis 118

103 Anhang 3 - Resumen castellano 122

104 Anhang 4 - Zusammenfassung 132

105 Anhang 5 - Curriculum Vitae 134

3

1 Einleitung

bdquoGanamos perdimos

igual nos divertimos―

(Galeano 1995 Vorwort)

Eduardo Galeano schreibt als Eroumlffnung seines Buches Fuacutetbol a sol y sombra er habe

drei Kinder diese kleine Strophe singen houmlren als diese vom Fuszligball spielen kamen

Es ist eine der am wenigsten dokumentierten Verbindungen im Dunstkreis des Fuszligballs

Das Spiel und der Gesang Dabei wird der Tanz mit dem Ball in allen Stadien der Welt vom

Gesang der Zuschauer begleitet Schon bei meinen ersten Stadionbesuchen als

Jugendlicher versetzte mich die Stimmung innerhalb dieser Ovale in Staunen Die

andauernden Anfeuerungsgesaumlnge sind laumlngst nicht mehr aus dem Fuszligball wegzudenken

Im Folgenden moumlchte ich mich mit genau diesen Fangesaumlngen beschaumlftigen Im

Besonderen mit den Gesaumlngen der spanischen Fuszligballfans

Um diese Lieder aus ihrem Kontext heraus verstehen zu koumlnnen bleibt zu klaumlren um wen

es sich bei ihren Erfindern und Saumlngern handelt Wer sind die singenden Menschen in der

Kurve der Stadien und wie definiert sich deren Subkultur die Fankultur

Besonders wichtig fuumlr das Verstaumlndnis der spanischen Fanlandschaft erscheint mir den

Unterschied zwischen den in Europa am weitesten verbreiteten Fankulturen

auszuarbeiten Dem britischen Stil und dem urspruumlnglich italienischen Ultrastil

Daher besteht ein Kapitel der Arbeit aus einem Abriss der Geschichte der europaumlischen

Fuszligballfankultur

Da die Ultrabewegung in Spanien gemeinhin mit singenden Fans gleichgesetzt wird

moumlchte ich vor allem Augenmerk auf deren Supportmethoden legen um dann auf die

Fangesaumlnge eingehen zu koumlnnen

Auf die Erlaumluterung der Fankulturen folgt die Definition des eigentlichen

Forschungsgegenstandes naumlmlich der Lieder der Fankurven

Ich moumlchte hierzu zuerst herausarbeiten worum es sich bei einem Fangesang eigentlich

handelt Welche Kriterien ein solches Lied ausmachen und ob es weitere Unterteilungen in

den gaumlngigen Anfeuerungsarten gibt

Nach den Erlaumluterungen dieser Grundlagen wende ich mich dem kreativen Schaffen in

Spaniens Fanbloumlcken zu Durch die Auswertung von Beispielen mittels Transkription und

einer inhaltlichen Analyse moumlchte ich versuchen die Lieder nach Themen einzuteilen und

4

sie so ihren Funktionen zuzuordnen

Auch die Ausbreitung der Weg den ein Chant von seinem Ursprung aus zuruumlcklegt und

die Verbreitung die er mit umfangreichen textlichen Modifikationen erreicht auf

verschiedenen Uumlberlieferungskanaumllen gilt fuumlr mich als Forschungsziel dieser Arbeit Durch

die Analyse der Verbreitung der Fangesaumlnge soll gezeigt werden welche

Fangruppierungen tendenziell eher adaptieren und welche eine eigenstaumlndige Produktion

von Liedgut haben Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach einem moumlglichen

Standardrepertoire der Fuszligballfans auf

Des Weiteren moumlchte ich auf diese textlichen Modifikationen und den Einfallsreichtum der

verschiedenen Fangruppen eingehen sowie den kreativen Prozess beleuchten der hinter

der Erzeugung und Etablierung neuer Fangesaumlnge steht

Es ist mir dabei auch ein Anliegen zu zeigen welch hoher Grad an kreativer Arbeit

Organisation und Engagement zu dem meist als Gegroumlle bezeichneten Gesang gehoumlrt

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

1

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 3

2 Forschungsstand 5

21 Forschungsansatz und Methode 16

3 Einfuumlhrung in die Fankultur 21

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur 22

311 Entstehung 22

312 Ausbreitung und Anfaumlnge in Spanien 28

32 Moderne Fankultur 33

321 Stroumlmungen 33

33 Spaniens Fankultur 35

331 Aufkommen von Ultragrave und Hooligans in Spanien 36

332 Vereine Fans und politische Identitaumlten 38

4 Caacutenticos 40

41Voraussetzungen 41

42 Entstehung und Verbreitung 43

43 Einteilung 48

5 Caacutenticos y cantantes 51

51 Zu den ausgewaumlhlten Gruppen 51

511 Club Atleacutetico de Madrid - Frente Atleacutetico 53

512 Rayo Vallecano - Bukaneros 57

513 Real Madrid CF - Ultras Sur und Orgullo Vikingo 59

52 Analyse der Chants 62

521 Hymnen und Liebeslieder 62

522 Ausdruck von Identitaumlten 67

523 Schmaumlhgesaumlnge Persiflagen und Provokationen 72

2

6 Conclusio 76

7 Ausblick 79

8 Sammlung der caacutenticos nach Mannschaften 80

81 AT Atleacutetico de Madid - Frente Atleacutetico 80

82 RA Rayo Vallecano - Bukaneros 89

83 RE Real Madrid ndash Ultras Sur ndash Orgullo Vikingo 102

9 Quellenverzeichnis 110

10 Anhaumlnge 115

101 Anhang 1 ndash Bilder 115

102 Anhang 2 - Zeitzeugnis 118

103 Anhang 3 - Resumen castellano 122

104 Anhang 4 - Zusammenfassung 132

105 Anhang 5 - Curriculum Vitae 134

3

1 Einleitung

bdquoGanamos perdimos

igual nos divertimos―

(Galeano 1995 Vorwort)

Eduardo Galeano schreibt als Eroumlffnung seines Buches Fuacutetbol a sol y sombra er habe

drei Kinder diese kleine Strophe singen houmlren als diese vom Fuszligball spielen kamen

Es ist eine der am wenigsten dokumentierten Verbindungen im Dunstkreis des Fuszligballs

Das Spiel und der Gesang Dabei wird der Tanz mit dem Ball in allen Stadien der Welt vom

Gesang der Zuschauer begleitet Schon bei meinen ersten Stadionbesuchen als

Jugendlicher versetzte mich die Stimmung innerhalb dieser Ovale in Staunen Die

andauernden Anfeuerungsgesaumlnge sind laumlngst nicht mehr aus dem Fuszligball wegzudenken

Im Folgenden moumlchte ich mich mit genau diesen Fangesaumlngen beschaumlftigen Im

Besonderen mit den Gesaumlngen der spanischen Fuszligballfans

Um diese Lieder aus ihrem Kontext heraus verstehen zu koumlnnen bleibt zu klaumlren um wen

es sich bei ihren Erfindern und Saumlngern handelt Wer sind die singenden Menschen in der

Kurve der Stadien und wie definiert sich deren Subkultur die Fankultur

Besonders wichtig fuumlr das Verstaumlndnis der spanischen Fanlandschaft erscheint mir den

Unterschied zwischen den in Europa am weitesten verbreiteten Fankulturen

auszuarbeiten Dem britischen Stil und dem urspruumlnglich italienischen Ultrastil

Daher besteht ein Kapitel der Arbeit aus einem Abriss der Geschichte der europaumlischen

Fuszligballfankultur

Da die Ultrabewegung in Spanien gemeinhin mit singenden Fans gleichgesetzt wird

moumlchte ich vor allem Augenmerk auf deren Supportmethoden legen um dann auf die

Fangesaumlnge eingehen zu koumlnnen

Auf die Erlaumluterung der Fankulturen folgt die Definition des eigentlichen

Forschungsgegenstandes naumlmlich der Lieder der Fankurven

Ich moumlchte hierzu zuerst herausarbeiten worum es sich bei einem Fangesang eigentlich

handelt Welche Kriterien ein solches Lied ausmachen und ob es weitere Unterteilungen in

den gaumlngigen Anfeuerungsarten gibt

Nach den Erlaumluterungen dieser Grundlagen wende ich mich dem kreativen Schaffen in

Spaniens Fanbloumlcken zu Durch die Auswertung von Beispielen mittels Transkription und

einer inhaltlichen Analyse moumlchte ich versuchen die Lieder nach Themen einzuteilen und

4

sie so ihren Funktionen zuzuordnen

Auch die Ausbreitung der Weg den ein Chant von seinem Ursprung aus zuruumlcklegt und

die Verbreitung die er mit umfangreichen textlichen Modifikationen erreicht auf

verschiedenen Uumlberlieferungskanaumllen gilt fuumlr mich als Forschungsziel dieser Arbeit Durch

die Analyse der Verbreitung der Fangesaumlnge soll gezeigt werden welche

Fangruppierungen tendenziell eher adaptieren und welche eine eigenstaumlndige Produktion

von Liedgut haben Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach einem moumlglichen

Standardrepertoire der Fuszligballfans auf

Des Weiteren moumlchte ich auf diese textlichen Modifikationen und den Einfallsreichtum der

verschiedenen Fangruppen eingehen sowie den kreativen Prozess beleuchten der hinter

der Erzeugung und Etablierung neuer Fangesaumlnge steht

Es ist mir dabei auch ein Anliegen zu zeigen welch hoher Grad an kreativer Arbeit

Organisation und Engagement zu dem meist als Gegroumlle bezeichneten Gesang gehoumlrt

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

2

6 Conclusio 76

7 Ausblick 79

8 Sammlung der caacutenticos nach Mannschaften 80

81 AT Atleacutetico de Madid - Frente Atleacutetico 80

82 RA Rayo Vallecano - Bukaneros 89

83 RE Real Madrid ndash Ultras Sur ndash Orgullo Vikingo 102

9 Quellenverzeichnis 110

10 Anhaumlnge 115

101 Anhang 1 ndash Bilder 115

102 Anhang 2 - Zeitzeugnis 118

103 Anhang 3 - Resumen castellano 122

104 Anhang 4 - Zusammenfassung 132

105 Anhang 5 - Curriculum Vitae 134

3

1 Einleitung

bdquoGanamos perdimos

igual nos divertimos―

(Galeano 1995 Vorwort)

Eduardo Galeano schreibt als Eroumlffnung seines Buches Fuacutetbol a sol y sombra er habe

drei Kinder diese kleine Strophe singen houmlren als diese vom Fuszligball spielen kamen

Es ist eine der am wenigsten dokumentierten Verbindungen im Dunstkreis des Fuszligballs

Das Spiel und der Gesang Dabei wird der Tanz mit dem Ball in allen Stadien der Welt vom

Gesang der Zuschauer begleitet Schon bei meinen ersten Stadionbesuchen als

Jugendlicher versetzte mich die Stimmung innerhalb dieser Ovale in Staunen Die

andauernden Anfeuerungsgesaumlnge sind laumlngst nicht mehr aus dem Fuszligball wegzudenken

Im Folgenden moumlchte ich mich mit genau diesen Fangesaumlngen beschaumlftigen Im

Besonderen mit den Gesaumlngen der spanischen Fuszligballfans

Um diese Lieder aus ihrem Kontext heraus verstehen zu koumlnnen bleibt zu klaumlren um wen

es sich bei ihren Erfindern und Saumlngern handelt Wer sind die singenden Menschen in der

Kurve der Stadien und wie definiert sich deren Subkultur die Fankultur

Besonders wichtig fuumlr das Verstaumlndnis der spanischen Fanlandschaft erscheint mir den

Unterschied zwischen den in Europa am weitesten verbreiteten Fankulturen

auszuarbeiten Dem britischen Stil und dem urspruumlnglich italienischen Ultrastil

Daher besteht ein Kapitel der Arbeit aus einem Abriss der Geschichte der europaumlischen

Fuszligballfankultur

Da die Ultrabewegung in Spanien gemeinhin mit singenden Fans gleichgesetzt wird

moumlchte ich vor allem Augenmerk auf deren Supportmethoden legen um dann auf die

Fangesaumlnge eingehen zu koumlnnen

Auf die Erlaumluterung der Fankulturen folgt die Definition des eigentlichen

Forschungsgegenstandes naumlmlich der Lieder der Fankurven

Ich moumlchte hierzu zuerst herausarbeiten worum es sich bei einem Fangesang eigentlich

handelt Welche Kriterien ein solches Lied ausmachen und ob es weitere Unterteilungen in

den gaumlngigen Anfeuerungsarten gibt

Nach den Erlaumluterungen dieser Grundlagen wende ich mich dem kreativen Schaffen in

Spaniens Fanbloumlcken zu Durch die Auswertung von Beispielen mittels Transkription und

einer inhaltlichen Analyse moumlchte ich versuchen die Lieder nach Themen einzuteilen und

4

sie so ihren Funktionen zuzuordnen

Auch die Ausbreitung der Weg den ein Chant von seinem Ursprung aus zuruumlcklegt und

die Verbreitung die er mit umfangreichen textlichen Modifikationen erreicht auf

verschiedenen Uumlberlieferungskanaumllen gilt fuumlr mich als Forschungsziel dieser Arbeit Durch

die Analyse der Verbreitung der Fangesaumlnge soll gezeigt werden welche

Fangruppierungen tendenziell eher adaptieren und welche eine eigenstaumlndige Produktion

von Liedgut haben Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach einem moumlglichen

Standardrepertoire der Fuszligballfans auf

Des Weiteren moumlchte ich auf diese textlichen Modifikationen und den Einfallsreichtum der

verschiedenen Fangruppen eingehen sowie den kreativen Prozess beleuchten der hinter

der Erzeugung und Etablierung neuer Fangesaumlnge steht

Es ist mir dabei auch ein Anliegen zu zeigen welch hoher Grad an kreativer Arbeit

Organisation und Engagement zu dem meist als Gegroumlle bezeichneten Gesang gehoumlrt

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

3

1 Einleitung

bdquoGanamos perdimos

igual nos divertimos―

(Galeano 1995 Vorwort)

Eduardo Galeano schreibt als Eroumlffnung seines Buches Fuacutetbol a sol y sombra er habe

drei Kinder diese kleine Strophe singen houmlren als diese vom Fuszligball spielen kamen

Es ist eine der am wenigsten dokumentierten Verbindungen im Dunstkreis des Fuszligballs

Das Spiel und der Gesang Dabei wird der Tanz mit dem Ball in allen Stadien der Welt vom

Gesang der Zuschauer begleitet Schon bei meinen ersten Stadionbesuchen als

Jugendlicher versetzte mich die Stimmung innerhalb dieser Ovale in Staunen Die

andauernden Anfeuerungsgesaumlnge sind laumlngst nicht mehr aus dem Fuszligball wegzudenken

Im Folgenden moumlchte ich mich mit genau diesen Fangesaumlngen beschaumlftigen Im

Besonderen mit den Gesaumlngen der spanischen Fuszligballfans

Um diese Lieder aus ihrem Kontext heraus verstehen zu koumlnnen bleibt zu klaumlren um wen

es sich bei ihren Erfindern und Saumlngern handelt Wer sind die singenden Menschen in der

Kurve der Stadien und wie definiert sich deren Subkultur die Fankultur

Besonders wichtig fuumlr das Verstaumlndnis der spanischen Fanlandschaft erscheint mir den

Unterschied zwischen den in Europa am weitesten verbreiteten Fankulturen

auszuarbeiten Dem britischen Stil und dem urspruumlnglich italienischen Ultrastil

Daher besteht ein Kapitel der Arbeit aus einem Abriss der Geschichte der europaumlischen

Fuszligballfankultur

Da die Ultrabewegung in Spanien gemeinhin mit singenden Fans gleichgesetzt wird

moumlchte ich vor allem Augenmerk auf deren Supportmethoden legen um dann auf die

Fangesaumlnge eingehen zu koumlnnen

Auf die Erlaumluterung der Fankulturen folgt die Definition des eigentlichen

Forschungsgegenstandes naumlmlich der Lieder der Fankurven

Ich moumlchte hierzu zuerst herausarbeiten worum es sich bei einem Fangesang eigentlich

handelt Welche Kriterien ein solches Lied ausmachen und ob es weitere Unterteilungen in

den gaumlngigen Anfeuerungsarten gibt

Nach den Erlaumluterungen dieser Grundlagen wende ich mich dem kreativen Schaffen in

Spaniens Fanbloumlcken zu Durch die Auswertung von Beispielen mittels Transkription und

einer inhaltlichen Analyse moumlchte ich versuchen die Lieder nach Themen einzuteilen und

4

sie so ihren Funktionen zuzuordnen

Auch die Ausbreitung der Weg den ein Chant von seinem Ursprung aus zuruumlcklegt und

die Verbreitung die er mit umfangreichen textlichen Modifikationen erreicht auf

verschiedenen Uumlberlieferungskanaumllen gilt fuumlr mich als Forschungsziel dieser Arbeit Durch

die Analyse der Verbreitung der Fangesaumlnge soll gezeigt werden welche

Fangruppierungen tendenziell eher adaptieren und welche eine eigenstaumlndige Produktion

von Liedgut haben Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach einem moumlglichen

Standardrepertoire der Fuszligballfans auf

Des Weiteren moumlchte ich auf diese textlichen Modifikationen und den Einfallsreichtum der

verschiedenen Fangruppen eingehen sowie den kreativen Prozess beleuchten der hinter

der Erzeugung und Etablierung neuer Fangesaumlnge steht

Es ist mir dabei auch ein Anliegen zu zeigen welch hoher Grad an kreativer Arbeit

Organisation und Engagement zu dem meist als Gegroumlle bezeichneten Gesang gehoumlrt

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

4

sie so ihren Funktionen zuzuordnen

Auch die Ausbreitung der Weg den ein Chant von seinem Ursprung aus zuruumlcklegt und

die Verbreitung die er mit umfangreichen textlichen Modifikationen erreicht auf

verschiedenen Uumlberlieferungskanaumllen gilt fuumlr mich als Forschungsziel dieser Arbeit Durch

die Analyse der Verbreitung der Fangesaumlnge soll gezeigt werden welche

Fangruppierungen tendenziell eher adaptieren und welche eine eigenstaumlndige Produktion

von Liedgut haben Dies wirft unweigerlich auch die Frage nach einem moumlglichen

Standardrepertoire der Fuszligballfans auf

Des Weiteren moumlchte ich auf diese textlichen Modifikationen und den Einfallsreichtum der

verschiedenen Fangruppen eingehen sowie den kreativen Prozess beleuchten der hinter

der Erzeugung und Etablierung neuer Fangesaumlnge steht

Es ist mir dabei auch ein Anliegen zu zeigen welch hoher Grad an kreativer Arbeit

Organisation und Engagement zu dem meist als Gegroumlle bezeichneten Gesang gehoumlrt

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

5

2 Forschungsstand

Das Phaumlnomen des spontanen Massengesangs in Fuszligballstadien ist ein verhaumlltnismaumlszligig

junges und wurde als solches in den spaumlten 1960ern erkannt Die wissenschaftliche

Auseinandersetzung begann in den 1970ern wobei wissenschaftliche Publikationen die

sich vornehmlich mit Fangesaumlngen beschaumlftigen sehr selten sind Meist findet die

Auseinandersetzung mit dem Thema nur am Rande in Arbeiten statt die sich in

irgendeiner Form mit Fuszligball oder Fankultur an sich beschaumlftigen Die wissenschaftliche

Beschaumlftigung mit Fankultur und ihrer anverwandten Themen ist zumeist

sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Natur

In den meisten dieser Publikationen die sich mit Fans und Fuszligball beschaumlftigen lassen

sich vereinzelt auch fuumlr das Thema dieser Arbeit relevante Aussagen finden allerdings oft

nur sehr beilaumlufig

Da die Gesaumlnge das Produkt der Fankurven sind dient mir aber die ausgiebige

soziologische Auseinandersetzung mit Fuszligballfans auch als Hintergrundwissen

So gibt es schon seit den Siebzigern tiefgehende Studien uumlber die sozialen Gebilde in den

Fuszligballstadien sowie uumlber die geistigen Grundhaltungen ihrer Besucher Ein Werk mit

Vorreiterrolle ist hier bdquoThe rules of disorderldquo (1978) von Peter Marsh Elisabeth Rosser und

Rom Harreacute sie analysieren in einer breit angelegten sozial-psychologischen Studie das

Verhalten von jugendlichen Fuszligballrowdies Ihre akribische dreijaumlhrige Beobachtung und

Aufzeichnung der Fankurve des Oxford United FC zeichnet ein in allen Belangen sehr

detailliertes Bild von Strukturen und Verhalten in den Fanbloumlcken Das Ziel der Autoren ist

jedoch genereller gefasst So versuchen sie mit den Erkenntnissen aus ihren

Beobachtungen die damals vorherrschende oumlffentliche Meinung die Destruktivitaumlt dieser

Jugendlichen sei willkuumlrlicher Natur zu entkraumlften und die sozialen Ablaumlufe dahinter zu

erklaumlren Fangesaumlnge oder auf Englisch bdquoChantsldquo ruumlcken in dieser Studie nur an zwei

Stellen etwas mehr in den Vordergrund Einmal in der Erklaumlrung der verschiedenen

Charaktere der Kurve und damit auch der Chant-Leader

Die Erkenntnisse sind die Folgenden

- Chant-Leader duumlrfen die Gesaumlnge anstimmen und leiten sofern sie

bestimmte physische Voraussetzungen mitbringen

- Chant-Leader muumlssen das gesamte Repertoire der Fankurve

beherrschen

- Chant-Leader sind an der Schoumlpfung neuer Gesaumlnge beteiligt probieren

diese bei Auswaumlrtsfahrten aus und entscheiden so auch uumlber deren

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

6

Aufnahme in das Repertoire

- Gesaumlnge werden durch das Besuchen von Auswaumlrtsspielen von

Fangruppen eines Vereins mit den Fangruppen des Gegners

ausgetauscht Werden also von einem Team auf das Andere uumlbertragen

- Gesaumlnge entstehen oft auch spontan etwa als Antwort auf Rufe und

Gesaumlnge gegnerischer Fans oder entstehen als Insiderwitz der

Auswaumlrtsreisenden etwa als Anspielung auf Ereignisse waumlhrend der

Anreise

Das zweite Mal tauchen die Gesaumlnge bei der Erklaumlrung verschiedener Funktionen und

Ablaumlufe von ritualisierter Gewalt am Ende des Buches auf Den Beobachtungen zufolge

dienen die Gesaumlnge zur Diffamierung der Gegner oder zur Besserstellung des Images der

eigenen Gruppe1

Wie Marsh Rosser und Harreacute beobachtete auch Desmond Morris in seiner Studie

bdquoThe Soccer Tribeldquo (1981) unter anderem den Oxford United FC

Morris versucht die im Fuszligball vorzufindenden sozialen Strukturen und Handlungen auf

das Konzept eines Stammes umzulegen Das Resultat ist ein uumlber 300 Seiten fassendes

buntes und umfangreiches Nachschlagewerk zum Thema Fuszligball

Verglichen mit Marsh Rosser und Harreacute raumlumt Morris den Fangesaumlngen verhaumlltnismaumlszligig

viel Platz ein und geht dabei auch ins Detail Er laumlszligt die Gesaumlnge waumlhrend vier

Erstligaspielen 1978-79 aufnehmen und transkribiert was gesungen wird Nach genauer

Aufschluumlsselung des Repertoirs vergleicht Morris die Ergebnisse mit Aufnahmen des

damals drittklassigen Oxford United FC2

Er kommt zu dem Schluss dass der Drittligaclub den Erstligisten zumindest was das

Singen angeht um nichts nachsteht Vertiefend analysiert Morris daraufhin die Aufnahmen

aller fuumlnfzehn Spiele des Oxford United FC eingehend

Auf acht Seiten listet Morris gesungene Chants nach deren Zweck geordnet auf Diese

Liste umfaszligt nicht alle aufgezeichneten Chants aber einige Beispiele fuumlr jede Funktion

die Morris den Chant zuordnet

1 Marsh Rosser amp Harreacute (1978) S 66f und S131 ff

2 Anm Woher die Aufzeichnungen der Oxford United Spiele kommen stellt Morris nicht klar Es liegt jedoch nahe

dass es sich dabei um dieselben Aufnahmen handelt welche Marsh Rosser und Harreacutes analysierten da sich die

Forschungsprojekte sowohl zeitlich als auch raumlumlich uumlberschneiden Marsh Rosser und Harreacute bedanken sich im

Vorwort bei der University of Oxford an der Morris zu dieser Zeit arbeitete Bei der Beschreibung von Desmond

Morris im Einband des Buches wird auch dessen Bekanntschaft mit Peter Marsh angesprochen

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2

7

Erkenntnisse uumlber Fangesaumlnge sind3

- Vor 1966 war das englische Publikum fuumlr seine kuumlhle Art bekannt Durch

den Austausch mit lateinamerikanischen Fans bei Groszligveranstaltungen

und das Hoch der Liverpooler Popkultur wurde der Spionacutes Kop4 zur

Wiege des Fangesangs

- Das Singen auf den Raumlngen breitete sich in England rasant aus und

erreichte binnen kurzer Zeit ungeahnte Ausmaszlige sodass die

Massenchoumlre in englischen Stadien in Vielfalt und Intensitaumlt einzigartig

waren Dies wird durch einen kurzen Vergleich mit dem italienischen

Fanwesen untermauert

- In Italien houmlrte man damals nur gelegentliche Anfeuerungsrufe

- Die Fans verschiedener Fuszligballvereine haben mit Ruumlcksichtnahme auf

leichte textliche Modifikationen ein gemeinsames Kernrepertoire

- Die Gesaumlnge sind mehr von der Stimmung der Fans als vom Spielverlauf

abhaumlngig

Mit der Popularitaumlt des Sportes und den Ausmaszligen des Massenspektakels einhergehend

fand der wissenschaftliche Diskurs hauptsaumlchlich in Britannien statt Durch die Entwicklung

verschiedener Jugend- und Subkulturen wie Skinheads Mods Casuals und Hooligans

und deren Praumlsenz in saumlmtlichen Fuszligballstadien ruumlckten die Fankurven immer mehr in

den Fokus der Medien Womit allerdings die Beschaumlftigung mit Fankultur immer flacher

und auf Themen wie Gewalt und Rassismus zentriert wurde5 Als die oumlffentliche Relevanz

des Themas mit den Katastrophen von Heysel und Hillsborough ihren traurigen Houmlhepunkt

fand war dies gleichzeitig der Anfang vom Ende fuumlr die Verbreitung der bdquoschuldbeladenenldquo

Subkulturen in den britischen Stadien6

3 Vgl Morris (1981) S 3o4-315

4 Spionacutes Kop ist die Bezeichnung einer Hintertortribuumlne im Stadion des Liverpool FC Der Name ist bezogen auf

einen im Burenkrieg von englischen Truppen kurzfristig eroberten Huumlgel

5 Anm Die Beschaumlftigung mit Themen wie Gewalt und Rassismus ist keinesfalls flach Gemeint ist dass diese Themen

in den Mittelpunkt des Interesses ruumlckten und kaum andere Themen in der Betrachtung der Fankulturen Platz hatten

Das Spektrum der behandelten Themen mit Bezug auf Fankultur flachte ab

6 Die Katastophe von Heysel Am 29 May 1985 rissen Liverpoolfans einen Absperrungszaun nieder der sie von

angrenzenden Juventus Turin Fans trennte In der folgenden Massenpanik im gestuumlrmten Sektor kamen 39 Juventus-

Anhaumlnger ums Leben

Die Katastrophe von Hillsborough Am 15 April 1989 wurden beim Spiel Nottingham Forest gegen FC Liverpool 96

Zuschauer getoumltet da die Polizei ein ansonsten versperrtes Tor oumlffnete und so den Gaumlstesektor hoffnungslos uumlberfuumlllte

Anstatt jedoch die Schuld und das inkompetente Handeln der Polizeikraumlfte einzugestehen schob der verantwortliche

Chief Superintendent die Schuld den Fans selbst in die Schuhe

Als Folge dieser beiden Vorkommnisse veranlasste die FA einen Bericht zur Sicherheit in den britischen Stadien der als

Taylor-Report in die Geschichte eingehen und die englischen Stadien sowie deren Fanlandschaft veraumlndern sollte

8

Die wissenschaftliche Erforschung von Fuszligballfans in Britannien verlegte sich in Folge

hauptsaumlchlich auf die Themen Rassismus und Gewalt

Ein Beispiel ist der von Adam Brown herausgegebene Sammelband bdquoFanatics Power

identity amp fandom in footballldquo

Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Fuszligball und Identitaumlt welche die verschiedenen

Autoren in verschiedensten Spektren ob sozio-psychologischer wirtschaftlicher oder

politischer Natur festmachen Auffaumlllig oft wird eine Korrelation von Identitaumlt Rassismus

Gewalt und Fuszligballfans hergestellt

Fangesaumlnge werden in diesem Buch in zwei Kapiteln nur am Rande erwaumlhnt in einem

anderen stehen sie dafuumlr im Vordergrund bdquo`We shall not be movedacute Mere sport mere

songs ndash A tale of scottish footballldquo von Joseph M Bradley7

Wie der zweite Teil des Titels verraumlt beschraumlnkt sich Bradley auf Chants schottischer

Supporter Genau genommen beschraumlnkt sich Bradley auf mit dem Originaltext gesungene

Volkslieder die in verschiedenen Fanblocks zu bestimmten Anlaumlssen angestimmt werden

Es geht bei den Songs primaumlr darum die irisch-katholische Identitaumlt von Celtic Glasgow

und damit die Sonderstellung des Vereines innerhalb der schottischen Nationalidentitaumlt

hervorzuheben

So werden drei Volkslieder zitiert welche von verschiedenen schottischen Vereinen bei

Spielen gegen Celtic Glasgow angestimmt werden meist Bezug zu geschichtlichen

Ereignissen haben und sich direkt gegen Iren und Katholiken richten Als einziges Beispiel

fuumlr den Ausdruck der Celticfans wird die inoffizielle Clubhymne das irische Volkslied The

Fields of Athenry veranschaulicht

Bradleys Beitrag liefert also keine verwertbaren Erkenntnisse zum kreativen Entstehungs-

oder Adaptionsprozess veranschaulicht aber eine Funktion der Gesaumlnge Naumlmlich den

Ausdruck einer gemeinsamen Identitaumlt der Anhaumlnger die nicht im Fuszligball oder im Verein

begruumlndet ist8

Ein anderer Sammelband von 1999 mit einem aumlhnlichen Ansatz heiszligt bdquoFootball Cultures

and Identitiesldquo herausgegeben von Gary Armstrong und Richard Giulianotti Die

verschiedenen Autoren beschreiben mit ihren Beitraumlgen den Fuszligball in ihren jeweiligen

Laumlndern So kommt ein globales Bild mit Beitraumlgen aus 18 Laumlndern zusammen

Auch hier ist meist sehr schnell Gewalt und Rassismus im Vordergrund sobald sich ein

Artikel mit Fans beschaumlftigt In Udo Merkels Beitrag bdquoFootball Identity and Youth Culture in

7 Vgl Brown (1998) S203

8 Brown (1998) S 203-216

9

Germanyldquo sind den Fangesaumlngen jedoch zwei Seiten gewidmet Er zitiert neun oft und bei

verschiedenen Teams zu houmlrende Gesaumlnge Gleichzeitig gibt Merkel an zu welchen

Situationen diese einfachen Gesaumlnge meist angestimmt werden

Zusammenfassend stellt Merkel fest9

- Viele Gesaumlnge sollen eine enge symbiotische Verbindung zwischen

Anhaumlngern und Verein demonstrieren

- Viele Gesaumlnge zeichnen ein allmaumlchtiges Selbstbild

- Gegner werden als moumlgliche Bedrohung dieses Selbstbildes gesehen

Folglich richten sich viele Gesaumlnge als Schmaumlhgesang oder Drohung

gegen den Gegner Oftmals durch den Vergleich mit sozialen oder

ethnische Minderheiten

- Das Geschehen auf dem Feld unterliegt einer sehr einseitigen

Betrachtung Es gibt keinerlei Anerkennung fuumlr Faumlhigkeiten Taktik oder

Leistung der gegnerischen Mannschaft

Die meisten neueren Publikationen zum Thema Fankultur stammen aus Deutschland und

Italien hier ist seit den spaumlten 1980ern einiges an Studien veroumlffentlicht worden In

Relation mit der Verbreitung der aus Italien nach Deutschland uumlbergeschwappten

Ultrakultur steigerte sich das wissenschaftliche Interesse immens Einfluss auf die Anzahl

der Publikationen hatten wohl auch die Erfolge der jeweiligen Nationalmannschaft die

Ausrichtung von Groszligveranstaltungen WM 1990 in Italien EM 1988 und WM 2006 in

Deutschland10 verschiedene Faninitiativen mit hoher Medienpraumlsenz sowie die politische

Auseinandersetzung und bdquoEinmischungldquo in Fanbelange durch das Verbot von Pyrotechnik

in Deutschland und die Einfuumlhrung der Tessera in Italien Der wohl ausgiebigste

wissenschaftliche Diskurs zu Fanrelevanten Themen findet momentan in Deutschland und

Italien statt

So gab zum Beispiel Thomas Koumlnig 2002 den Sammelband bdquoFankultur - Eine

soziologische Studie am Beispiel des Fuszligballfans― heraus

Fankultur soll ein fruchtbarer Erklaumlrungsansatz des Phaumlnomens bdquoFanldquo sein Das Kapitel in

dem Fangesaumlnge gesondert behandelt werden ist groszligteils eine Zusammenfassung der

musikwissenschaftlichen Studie bdquoFuszligballfangesaumlnge ndash Eine FANomenologieldquo von Kopiez

und Brink auf welches ich noch gesondert eingehen werde und liefert keine eigenen

Ergebnisse

9 Vgl ArmstrongGiulianotti (1999) S59 ff

10 Die EM 1988 fand in der BRD statt

10

Besondere Erwaumlhnung sollte hier auch noch der Ethimologe Christian Bromberger

erhalten Seit 30 Jahren beschaumlftigt sich Bromberger Professor an der Universitaumlt Aix En

Provence mit Themen aus dem Dunstkreis des Fuszligballs 1995 veroumlffentlicht er bdquoLe match

de football Ethnologie dlsquoune passion partisane agrave Marseille Naples et Turin― eine Studie

uumlber die Fans von Olympique Lyon Juventus Turin und dem SSC Napoli

Eine Vielzahl von weiteren wissenschaftlichen Publikationen zum Thema machen ihn zu

einem der wichtigsten Forscher uumlber Fuszligball und dessen Anhaumlnger uumlberhaupt

Relevante Grunderkenntnisse Brombergers sind

- Fuszligballarenen spiegeln die geografische und soziale Struktur einer Stadt

wieder11

- Die weltweite Fuszligballkultur ist von maumlnnlichen Geschlechterrollen

gepraumlgt

- Fuszligball gewinnt seine Faszination unter anderem dadurch als Metapher

fuumlr das Leben guumlltig zu sein Gluumlck Pech Gerechtigkeit und

Ungerechtigkeit vor allem Unberechenbarkeit sind im Fuszligball wie im

Leben tonangebend

- Stadionbesuche sind Ausbruumlche aus dem Alltag

- Fuszligballteams haben Einfluss auf regionale und nationale Identitaumlten vice

versa12

- Schon am Weg zum Stadion und im Stadion Stunden vor Anpfiff stimmen

die Fans Gesaumlnge an in denen sie ihr Team loben oder eine anderes

beschimpfen

- Ultragruppen verwenden oft militaumlrbezogene Symbole Bezeichnungen

und Formulierungen

- Die Vorlagen zu den Gesaumlngen stammen aus den verschiedensten

musikalischen Genres13

In Spanien ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fankultur generell eine

verhaumlltnismaumlszligig uumlberschaubare Durch die kurze aber intensive Ausbreitung der

Ultrakultur in Spanien (Siehe Kapitel 131) und deren spezieller Entwicklung sind Arbeiten

zum Thema meist stark auf gesellschaftliche Phaumlnomene wie Gewalt und Rassismus

begrenzt

11

Vgl Bromberger 1989 S1 12

Vgl Ders 1998 S285-301 13

Vgl Bromberger Hayot amp Mariottini 1987 S8-41

11

Die Behandlung in den Medien ist international ebenfalls sehr einseitig Artikel uumlber

Fuszligballfans sind meistens auf Ausschreitungen bezogen und nur selten auf stimmliche

Darbietungen auszliger sie sind rassistischer Natur Allerdings sind Medien nicht gleich

Medien So finden sich einige auf Fuszligball und Fankultur spezialisierte Magazine welche

sich bemuumlhen die Szene aus verschiedenen Standpunkten zu beleuchten und so den

meist negativen und reiszligerischen Medienberichten verschiedener Tageszeitungen einen

Gegenpol zu bieten Herausgegeben werden diese Magazine meist von aktiven kritischen

Fuszligballfans Man kann hier durchaus von Fachzeitschriften sprechen Hervorgehoben

seien hier das deutsche Magazin 11 Freunde das englische Four Four Two das

oumlsterreichische Magazin Ballesterer sowie die Zeitschrift Panenka aus Spanien

Da sich diese Arbeit jedoch nicht um Fankultur oder soziale Phaumlnomene in Fankurven an

sich dreht sondern um die Gesaumlnge dieses viel erforschten soziologischen Phaumlnomens

Fuszligballfan sind diese Publikationen mit sozialwissenschaftlichem Bezug zu Fankultur

eben nur teilweise relevant

De facto fand ich in meiner Recherche nur wenige wissenschaftliche Publikationen die

sich ausschlieszliglich mit Fangesaumlngen auseinandersetzten

Die fruumlheste stammt von Klaus-Juumlrgen Houmlfer ―Musik als Stimulus Studien zum

musikalischen Verhalten von Fuszligballfans― ist eine unveroumlffentlichte Hausarbeit der Ersten

Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt an Gymnasien eingereicht beim Wissenschaftlichen

Pruumlfungsamt Bochum Houmlfer untersuchte die Fans des 1 FC Koumlln in zwei Spielen Die

Ergebnisse seiner Arbeit liegen mir nur zusammengefasst von Reinhard Kopiez und Guido

Brink vor

- Jeder Verein hat ein festes Repertoire Die Melodien stammen in der

Saison 197778 hauptsaumlchlich aus Schlagern aber auch aus Gospels

und Shanties Volkliedern und zu ca einem Zehntel aus

Eigenschoumlpfungen

- Durch den Stadionlautsprecher verordnete Lieder finden keinen Anklang

- Die Sangeslust ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich

- Schon eine Stunde vor Spielbeginn singen sich die Fans ein uumlben dabei

das Repertoire und Probieren neue Fangesaumlnge aus Auch nach dem

Schlusspfiff wird weiter gesungen

- Ausdruck der Befindlichkeit der Fans sowie der Versuch der

Einflussnahme auf das Spielgeschehen sind Motive fuumlr Gesaumlnge

12

Aus dieser Arbeit geht ebenfalls eine Kategorisierung der houmlrbaren Fanaumluszligerungen

hervor welches eine Zuordnung der Fanaktionen ermoumlglicht und in folgenden

wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fangesaumlngen Anwendung fand (siehe Abb

1 im Anhang)

1983 verhalf Wilhelm Schepping den Fangesaumlngen zu akademischer Anerkennung als er

sie in dem Beitrag bdquoNeue Felder der Singforschungldquo als neuen Forschungsgegenstand

bezeichnete Schepping setzte sich allerdings mit Gesaumlngen von Eishockeyfans

auseinander Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren

- Das spontane oumlffentliche Singen hat mit dem traditionellen Lied in

Funktion und Form nur noch wenig zu tun

- Die Popularmusik hat auf das Repertoire mehr Einfluss als das klassische

Volkslied

Von Schepping betreut befasste sich Birgit Stieger in einer unveroumlffentlichten Hausarbeit

der Ersten Staatspruumlfung fuumlr das Lehramt der Primaumlrstufe mit einem den Fangesaumlngen

recht nahestehenden Thema Dem Fuszligballlied Es ging dabei um vereinsintern von

FuszligballerInnen gesungene Lieder des SuS Schaag Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen

mir zusammengefasst von Kopiez amp Brink vor14

- Vereinslieder dienen der Vermittlung eines bdquoWie-Gefuumlhlsldquo und der

Abgrenzung von anderen Vereinen das Liedgut wird dabei nur muumlndlich

innerhalb der Mannschaften bzw des Vereins uumlberliefert Den

Zuschauern sind diese Lieder unbekannt

- Die Lieder sind entweder Kontrafakturen oder Neuschoumlpfungen nach

bekannten Melodien

- In der Fruumlhzeit des Vereins war eine Gruppe von Mitgliedern mit der

Erschaffung neuer Lieder beschaumlftigt

Anlaumlsslich der Weltmeisterschaft 1990 publizierte Reinhard Kopiez seines Zeichens

Musikpsychologe einen Artikel in dem er zu folgenden relevanten Schluumlssen bezuumlglich der

Gesaumlnge welche Fans der deutschen Nationalmannschaft waumlhrend der Spiel sangen15

- Die Lieder des Volkes sind keine Volkslieder Fans bedienen sich des

14

Kopiez amp Brink 1999 S16f

15

Kopiez 1990 S357-364

13

gesamten musikalischen Spektrums unabhaumlngig von Genre

Als Antwort auf diesen Artikel publizierte 1992 Harald Asel einen Aufsatz mit dem Titel

bdquoFuszligball-Lieder ndash Keine Erfindung der Fans Antwort auf Reinhard Kopiez― Mit den

folgenden relevanten Ergebnissen16

- Das den Fangesaumlngen zugrunde liegende musikalische Material stammt

aus den Massenmedien

- Fans druumlcken durch ihre Art des Singens Ablehnung gegenuumlber dem

bloszligen Konsum industriell gefertigter Musik aus

- Die Gesaumlnge dienen auch der Selbstinszenierung der Fans gegenuumlber

dem Rest des Publikums

Im Rahmen einer in der Rheinisch-westfaumllischen Zeitschrift fuumlr Volkskunde veroumlffentlichten

Fallstudie17 ergaumlnzt Christoph Heuter 1994 folgende Thesen

- Die drei Gruumlnde fuumlr Fangesaumlnge sind Unterstuumltzung der eigenen

Mannschaft die psychologische Kriegsfuumlhrung gegen den Gegner und

die Bewaumlltigung der eigenen Emotionen

- Oft entstehen Gesaumlnge anlaumlsslich spezieller Ereignisse und koumlnnen

folglich nur schwer an andere Ereignisse angepasst werden

In einer anderen Ausgabe dieser Zeitschrift veroumlffentlicht auch Thorsten Ruumlhlemann 1996

eine Spezialstudie mit den folgenden Erkenntnissen

- Das Ritual ist der rote Faden der Fankultur Die Gesaumlnge sind Bestandteil

der Anfahrts- und Begruumlszligungsrituale sowie des ritualisierten Verhaltens

waumlhrend dem Spiel

- Rassistische Gesaumlnge wurden ab 1995 seltener gehoumlrt und oft durch das

Singen von Gegengesaumlngen unterbunden

- Die Gesaumlnge haben einen leistungssteigernden Effekt auf die Spieler

Die bekannteste und meist zitierte wissenschaftliche Arbeit ist bdquoFuszligball-Fangesaumlnge ndash

Eine FANomenologieldquo und stammt von den Musikwissenschaftlern Reinhard Kopiez und

Guido Brink Sie nehmen sich in einem 270 Seiten starken Werk ausschlieszliglich dem

Thema Fangesaumlnge an und liefern damit auch die ausfuumlhrlichste wissenschaftliche

Publikation zu diesem Thema Viele spaumlter erschienene Publikationen beschraumlnken sich in

16

Asel Harald 1992 S224ff

14

Folge darauf die Ergebnisse dieser Publikation neu aufzulegen

Kopiez und Brink kamen zu folgenden fuumlr uns relevanten Ergebnissen

- Fangesaumlnge stellen eine eigene Kulturform und zentrale Komponente

jeder Fuszligballkultur dar

- Durch die Betrachtung von Fangesaumlngen wird ein Einblick in

schoumlpferische Prozesse moumlglich bdquoDas kreative Volksvermoumlgenldquo (Kopiez

ampBrink 1999 S24) wird ersichtlich

- In der Antike waren Publikumsaktivitaumlten bei Sportveranstaltungen auf

Primaumlrreaktionen beschraumlnkt (S18)

- Massengesaumlnge bei Sportveranstaltungen sind ein verhaumlltnismaumlszligig

junges Phaumlnomen (S40)

- Sportarten sowie Stadien muumlssen bestimmte Voraussetzungen fuumlr das

Zustandekommen von Massengesaumlngen zu erfuumlllen (S46)

- Als Funktionalisierung oder Vereinnahmung des Singens werden

Ausnahmen wie etwa das Anspielen der Hymne vor dem Spiel oder das

Einspielen einer Tormusik nach einem Treffer von Fans geduldet

Ansonsten sind Verordnungen von Liedern nicht erfolgreich (S63)

- Der Song bdquoYouacutell never walk aloneldquo von Gerry and the Pacemakers kann

als Urhymne unter den Fangesaumlngen gesehen werden Der sogenannte

Soccer-Rhythmus als Urrhytmus stammt aus dem Song bdquoHold tightldquo von

Dave Dee Dozy Beaky Mick amp Tich (S69-71)

- Nur wenn Mannschaften gemeinsame Feinde haben werden Gesaumlnge

naumlmlich Schmaumlhgesaumlnge woumlrtlich uumlbernommen Ansonsten

unterscheiden sich die Gesaumlnge wenn auch nicht in der Melodie so doch

im Text (S129)

- Als schriftlose (Volks-)Kulturform unterliegen Fangesaumlnge

Voraussetzungen welche sie leicht merkbar und uumlberlieferbar gestalten

- bdquoFangesaumlnge werden im Normalfall sbquogefunden und nicht so sehr

sbquoerfunden― (S189)

- Ein Groszligteil der Kurzgesaumlnge sind Schmaumlhgesaumlnge (S223)

Die juumlngste wissenschaftliche Arbeit welche sich mit Fangesaumlngen auseinandersetzt ist A

por ellos oeacute anaacutelisis literario y cultural de los caacutenticos y los himnos de fuacutetbol― von

Karin Muumlhlbacher Als Diplomarbeit 2010 an der Universitaumlt Innsbruck entstanden

17

Vgl Heuter Christoph 1994 S 209-236

15

beschaumlftigt sich die Autorin hauptsaumlchlich mit Fangesaumlngen welche waumlhrend der Euro

2008 von Anhaumlngern der spanischen Nationalmannschaft gesungen wurden sowie mit

Hymnen verschiedener Nationen und Vereine

Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind18

- Der Entstehungsprozess von Fangesaumlngen ist eine Kombination

verschiedener teils spontaner Prozesse Aus der Erschaffung komplett

neuer Lieder oder haumlufiger der Adaptierung von existierenden Gesaumlngen

- Der Groszligteil der Fangesaumlnge sind bdquoKurzgesaumlngeldquo nach Houmlfers Modell

- Durch die Gesaumlnge koumlnnen nationale oder regionale Identitaumlten

ausgedruumlckt werden Das fuumlhrt in Spanien zu Spottgesaumlngen welchen die

Konflikte verschiedener spanischer Regionen zugrunde liegen

- Fangesaumlnge spiegeln Gemeinsamkeiten von Fuszligball und Religion wieder

- Die Verehrung von Idolen ist ein wichtiges Element von Fangesaumlngen

Waumlhrend also Fangesaumlnge an sich und deren Saumlnger wissenschaftlich schon bearbeitet

worden sind ist der Fokus jedoch meist sozial- kultur- oder musikwissenschaftlicher Natur

gewesen Karin Muumlhlbacher hat sich als einzige den Texten gewidmet

Im Mittelpunkt ihrer Recherche standen Vereinshymnen und die Gesaumlnge der Fans der

spanischen Nationalmannschaft Der kreative Schaffensprozess der zu Vereinshymnen

fuumlhrt unterscheidet sich von dem der Fangesaumlnge grundlegend Meist werden

Komponisten und professionelle Songwriter von den Vereinen beauftragt und die Hymnen

den Mitgliedern vom Verein praumlsentiert

Die Auswahl der Fangesaumlnge begruumlndet Muumlhlbacher mit der Authentizitaumlt der Gesaumlnge

Sie verwendete nur Gesaumlnge welche sie selbst schon im Stadion gehoumlrt hatte war selbst

jedoch nur bei Spielen der Nationalmannschaft Dies ist insofern schade als dass viele

grundlegende Aspekte von Fankultur diesem Rahmen fehlen Allein schon wegen der

Sprachbarrieren gibt es weitaus weniger Moumlglichkeiten fuumlr verbale Schlagabtaumlusche

zwischen Fangruppen Wegen der staumlndig wechselnden Spielstaumltte gibt es nur einen

kleinen Kern an Fans der regelmaumlszligig den Spielen der Nationalmannschaft beiwohnt

waumlhrend der Groszligteil des Publikums eher Gelegenheitsbesucher sind Das begrenzt nicht

nur die Moumlglichkeiten ein Repertoire aufzubauen sondern auch die Auswahl der Gesaumlnge

Chants muumlssen schnell erlernbar oder schon bekannt und adaptierbar sein damit jeder

mitmachen kann

18

Vgl Muumlhlbacher 2011 S94f

16

21 Forschungsansatz und Methode

Die Natur dieses Themas setzt einen interdisziplinaumlren wissenschaftlichen Ansatz voraus

da sich die Texte nicht losgeloumlst von den Liedern und die Lieder nicht losgeloumlst von den

Saumlngern betrachten lassen Dies wuumlrde dem Leser ein zu eingeschraumlnktes Bild vermitteln

Schlieszliglich geht es bei der Behandlung des Themas auch darum den weitverbreiteten

Eindruck des banalen Herumgegroumlles von Fuszligballfans etwas zu zerstreuen und

aufzuzeigen was wirklich dahinter steckt

Ich sehe also die Behandlung der Texte als Hauptaufgabe in dieser Arbeit will gleichzeitig

dem Leser aber einen Einblick in den Mikrokosmos vermitteln in dem diese sich

begruumlnden

Bei einem Blick in das Quellenverzeichnis dieser Arbeit wird auffallen dass viele der

Quellen aus dem Internet stammen Dies liegt zum einen an der groumlszliger werdenden Anzahl

von wissenschaftlichen Publikationen in diesem Medium zum anderen an der

Fokussierung auf Spanien Viele der Quellen sind Kanaumlle uumlber die Fans direkt

kommunizieren und damit eigentlich Informationen aus erster Hand Eine ausgiebige

Recherche im Netz ist also fuumlr die Behandlung des Themas wichtig speziell wenn man

wie ich nicht die Moumlglichkeit hatte empirische Studien uumlber die gesamte Laumlnge einer

Saison oder laumlnger zu machen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fuszligballanhaumlngern ist in Spanien wie schon

angesprochen weit weniger umfangreich als vergleichsweise in Deutschland England

Oumlsterreich oder Italien Auch liegt der Fokus hier auf den Ursachen der Gewaltbereitschaft

der Fuszligballfans oder Entstehung und Aumluszligerungen von Rassismus19

Da also ein Werk wie jenes von Kopiez amp Brink mit Bezug auf spanische Fangesaumlnge

nicht vorlag gestaltete ich meinen Forschungsweg in Anlehnung an den der erwaumlhnten

Autoren Diese Arbeit stellt naumlmlich meines Erachtens die tiefgehendste wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit dem Thema bisher dar

Wie auch Desmond Morris Reinhard Kopiez und Christian Bromberger arbeite ich mit

Audioaufnahmen von Fankurven

Zu diesem Zweck unternahm ich im Februar 2009 eine Reise nach Spanien Ich machte

dort Aufnahmen von Spielen der drei madrilenischen Teams Atleacutetico de Madrid Rayo

Vallecano und Real Madrid CF sowie Espanyol Barcelona und Betis Sevilla Ich knuumlpfte

waumlhrend dieser Reise auch Kontakte zu verschiedenen Fangruppierungen um in kurzen

19

Anm In den meisten Arbeiten zum Thema Rassismus wird jedoch vermieden die verbalen Entgleisungen woumlrtlich zu zitieren was die Texte fuumlr diese Arbeit interessanter gemacht haumltte

17

Interviews informellen persoumlnlichen Gespraumlchen und spaumlter Emailkorrespondenzen

Einblicke in den kreativen Prozess erlangen zu koumlnnen

Aus persoumlnlichen Gruumlnden vor allem der Geburt meiner Tochter legte ich jedoch die

Fortsetzung dieser Arbeit noch 2009 auf Eis und setzte sie erst 2012 wieder fort Die

groszlige Zeitspanne zwischen der empirischen Recherche vor Ort und der Fertigstellung der

Arbeit brachte den Vorteil die Entwicklungen der Repertoires laumlnger beobachten zu

koumlnnen aber auch den Nachteil bei der notwendigen Ergaumlnzung der Daten auf

Aufzeichnungen anderer angewiesen zu sein

Dies machte nun mangels einer zweiten Forschungsreise Video- und Audioquellen aus

dem Internet als Grundlage fuumlr meine Arbeit unumgaumlnglich Hierbei durfte ich feststellen

dass sich bei den spanischen Fangruppen in diesen drei Jahren in puncto Praumlsentation

und Praumlsenz in neuen Medien doch einiges entwickelt hatte Ein Umstand der mich auch

zu neuen Erkenntnissen brachte und schlieszliglich die Arbeit um die Forschungsfrage nach

der Konstanz der Uumlberlieferungsmethode von Fangesaumlngen bereicherte

Die Recherche fuumlr diese Arbeit basiert also sowohl auf eigener Feldforschung durch

Beobachtung und Aufzeichnung von Fangesaumlngen vor Ort sowie Interviews mit Fans und

Experten als auch auf der Auswertung von Video- und Audiomaterial aus verschiedenen

Quellen und eingehender Literaturrecherche zum Thema

Zu Gute kam mir dabei die Anzahl an Internetforen und Plattformen welche die

Fangruppen zur Kommunikation nuumltzen Dazu sei gesagt dass diese fuumlr mich nicht

gegebenermaszligen als zuverlaumlssige Quellen gelten vielmehr bedurften die uumlber diesen

Weg erlangten Daten weiterer Recherchen zu deren Verifizierung

Freilich flieszligen folglich in diese Arbeit und die erarbeiteten Theorien nur uumlberpruumlfte und

verifizierte Daten dieser Erhebungsmethode ein

In der Annahme dass die kreativen Ablaumlufe in den verschiedenen Fangruppen sich aumlhneln

und sie sich in ihrem Repertoire groszligteils uumlberschneiden richte ich mein Hauptinteresse

auf die drei besuchten Vereine aus Madrid

Dies hat einige praktische Gruumlnde Zunaumlchst bringe ich zu diesen Vereinen das meiste

Hintergrundwissen mit da ich selbst 2002 schon ein Jahr in Madrid gelebt habe weiters

konnte ich durch die geographische Naumlhe der Vereine zueinander und die guumlnstige

Konstellation des Spielplans von diesen Mannschaften am meisten Spiele besuchen und

zu guter Letzt sind mit den Bukaneros von Rayo Vallecano und Frente Atleacutetico vom Club

Atleacutetico de Madrid zwei der aktivsten Fangruppen in diesen Vereinen beheimatet

Die Befragungen welche ich zum Zwecke der Veranschaulichung des kreativen Prozesses

18

durchfuumlhrte waren teils Leitfadeninterviews teils Befragungen mittels Frageboumlgen oder

gaumlnzlich offene Gespraumlche Die Frageboumlgen standen einen bestimmten Zeitraum online

und umfassten einige offene Fragen

Aufgrund der skeptischen Natur vieler Fangruppen gegenuumlber fremden Fragestellern legte

ich die Frageboumlgen als anonyme Befragungen an sodass keine persoumlnlichen Angaben

gemacht werden mussten Die Einteilung der Befragten ist nur sofern moumlglich als dass

den verschiedenen Fangruppen auch Links zu verschiedenen Frageboumlgen gegeben

wurden Die Antworten koumlnnen also einer bestimmten Anzahl an Mitgliedern einer

bestimmten Fangruppe zugeordnet werden nicht aber einzelnen Personen Die

Moumlglichkeit eines Einzelnen Beauftragten fuumlr Fangesaumlnge in einer Gruppe wird mit der

ersten Frage im Fragebogen erhoben

Um eine Inhaltliche literarische Analyse der Texte machen zu koumlnnen mussten die Texte

der Aufnahmen transkribiert werden

Zur Transkription gibt es verschiedene Ansaumltze So haben die meisten Autoren welche

das Thema in Publikationen behandelt hatten nur die Texte der Gesaumlnge angefuumlhrt und

den Rhythmus auszliger Acht gelassen

Da es sich aber um Gesaumlnge handelt ist der Rhythmus das vielleicht wichtigste Element

Fuumlr die Andeutung des Rhythmus finden sich jedoch auch folgende Moumlglichkeiten

- Adaption des Textes durch Wiederholung von Buchstaben bei Laumlngen

oder das Einfuumlgen von Satzzeichen fuumlr Pausen und Intonation

bdquoHeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Argentina (oh ah)

I wanna knowwwwwwwwwwww

How to lose a war

(clap clap clap clap)―

(Piffer 2009 S 135)

bdquoAsiacute asiacute asiacute asiacute gana el Madriacute―

(Caacuteceres 2006 S41)

- Anfuumlhrung des Titels des Originalliedes neben dem adaptierten Text

bdquohellip―Ziagtacutes den Bayern die Lederhosacuten aus― nach der Melodie von

bdquoYellow Submarine―hellip―

(Farnberger amp Simon 2005 S155)

- Anfuumlhrung als Notenbeispiel

19

(Kopiez amp Brink 1998 S109)

Die sinnvollste dieser Transkriptionsmethoden ist ohne Frage das Anfuumlhren eines

Notenbeispiels da der Leser oder die Leserin sofern ersie des Notenlesens maumlchtig ist

alle notwendigen Informationen bekommt um das Lied zu rekonstruieren

Selbst ohne Kenntnis der Noten wird der Text unter der Notenzeile in die richtigen

Abstaumlnde unterteilt um ihn rhythmisch verhaumlltnismaumlszligig korrekt wiedergeben zu koumlnnen

Fuumlr die Textanalyse ist dies ein kleines Dilemma denn das Notenbeispiel liefert mit den

Tonhoumlhen eine fuumlr diese Art von Analyse uumlberfluumlssige Information bildet aber gleichzeitig

den Rhythmus am genauesten ab Gewiss bestuumlnde die Moumlglichkeit nur den Text eines

Notenbeispiels zu verwenden in der Praxis steht das Ergebnis allerdings nicht im

Verhaumlltnis zum betriebenen Aufwand20

Da ich selbst keine Notenbeispiele erstellen kann werde ich den Text des Fangesangs

niederschreiben und sofern bekannt die Ursprungsmelodie angeben

Eine andere Problematik stellt die schriftliche Darstellung der mit Instrumenten erzeugten

Geraumlusche dar welche zur Rhythmusbildung verwendet werden Ob es sich nun um

Klatschen Trommeln oder andere Laute handelt Auch hier verfolgen die Autoren

verschiedene Loumlsungen Die Uumlblichste allerdings ist an der Stelle an der ein Laut kommt

die Bezeichnung fuumlr den Laut oder eine lautmalerische Alternative in Klammern

einzufuumlgen An selbiges Vorgehen werde ich mich demnach auch halten Fuumlr Klatschen

verwende ich die lautmalerische Umschreibung bdquo(clap)ldquo andere Geraumlusche wie

Trommelschlaumlge oder Pfiffe fuumlhre ich nur sofern sie relevant sind an und dann einfach

deren Bezeichnung in Klammern etwa so bdquo(Pfiff)ldquo

Zusammenfassend naumlhere ich mich dem Thema also zunaumlchst empirisch mit qualitativen

Forschungsmethoden durch Expertenbefragung und Interview sowie der Auswertung und

20

Mit Aufwand ist hier der Vorgang des Beschaffens von Notenbeispielen nur um dann den Text zu extrahieren

20

Transkription von Video- und Audiomaterial

Nachdem die Gesaumlnge und Anfeuerungsrufe aber Ausdruck einer eigenen Subkultur sind

moumlchte ich dem Leser dieser Arbeit einen gewissenhaften Einblick in diese Fankultur

geben bevor ich mich der Analyse seiner Ausdruckform widme und hole deshalb im ersten

Kapitel etwas weiter aus

Zusammenfassend sind mir fuumlr diese Arbeit folgende Fragestellungen wichtig

1 Wie entstehen Fangesaumlnge

2 Was wird ausgedruumlckt

3 Wer kopiert was wie und von wem

4 Wie werden die Texte weitergegeben

Thesen

Die Erschaffung der Fangesaumlnge sowie die Pflege des Repertoires ist von Gruppe

zu Gruppe unterschiedlich und oftmals ein komplexer Prozess von der Erfindung

bis zur Etablierung in der Kurve

Die Uumlberlieferungskultur der Fangesaumlnge unterliegt einem Wandel insofern als

dass durch die vermehrte Nutzung von Internetforen und Videoplattformen die

traditionelle muumlndliche Uumlberlieferung ergaumlnzt wird

21

3 Einfuumlhrung in die Fankultur

bdquoUna vez por semana el hincha huye de su casa y acude al estadio

Flamean las banderas suenan las matracas los cohetes los tambores llueven las

serpentinas y el papel picado la ciudad desaparece la rutina se olvida solo existe el

templo

(Galeano 1995 S7)

Fuszligball ist in Europa die mit Abstand meist gesehene Sportart Kaum ein Tag an dem sich

nicht zumindest eine Fuszligballsendung im Fernsehprogramm findet das Minimum von einer

Seite im Sportteil ist in den meisten Tageszeitungen sogar waumlhrend der spielfreien Zeiten

im Winter und im Hochsommer reserviert Es ist moumlglich sich fuumlr Fuszligball nicht

interessieren aber ihn zu ignorieren ist nicht leicht

Andererseits kann man im Fuszligball auch untergehen oder seinen Lebensinhalt finden Die

Moumlglichkeiten sind schier unendlich und der oft gestellte Vergleich zwischen Fuszligball und

Religion gibt Aufschluss uumlber den Status dieses Sportes

Was jedoch macht den Fuszligball zu so einem besonderen Sport Nur das Spiel Es ist ein

Mannschaftssport ausgetragen in einem begrenzten Feld zwischen zwei Teams gleicher

Spieleranzahl unter gleichem Regelwerk Beide Mannschaften versuchen einen Ball in

das jeweils gegnerische Tor zu befoumlrdern und gleichzeitig zu vermeiden den Ball in das

eigene Tor zu lassen Ein schoumlnes Spiel bei dem jeder mitmachen kann Auch ohne mit zu

spielen

Die wirkliche Faszination des Fuszligballs liegt in der Dimension die diese Sportart in unserer

Gesellschaft erreicht hat und dies verdankt sie vor allem der Tatsache ein Zuschauersport

zu sein Durch den fluumlssigen Ablauf die Vielzahl an gleichzeitig stattfindenden Aktionen

und die unmittelbare Dramatik hat das Spiel alles was man sich von guter Unterhaltung

erwartet Die ausgekluumlgelten Liga- und Pokalvarianten tragen ihren Teil dazu bei dass das

Spiel nicht nur uumlber die Spieldauer hinweg interessant und spannend ist sondern uumlber die

Zeit des gesamten Wettbewerbs Nun uumlberschneiden sich die Wettbewerbe zeitlich

sodass die Spannung nie komplett abreiszligt und sollte sie ein Tief erreichen gibt es da ja

noch die verschiedensten Rekorde und Preise um das Interesse nicht abreiszligen zu lassen

Hinzu kommt das Drumherum Trainer Trainingsmethoden Spieler Spielertransfers

Schiedsrichter Weltverbaumlnde Helden Mythen korrupte Funktionaumlre eine komplett eigene

Wirtschaftswelthellip willkommen im Sog des Fuszligballs

Auch wenn es oft nicht leicht ist den Fuszligball zu ignorieren so ist es ganz einfach durch

22

den Fuszligball den Rest der Welt zu vergessen Wie schon Galeano im eingangs zitierten

Text bemerkt Jedes Wochenende finden sich in den meisten groumlszligeren Staumldten Europas

Zehntausende in Fuszligballstadien ein um ihre Mannschaft spielen zu sehen

Die Welt eines Fans dreht sich hauptsaumlchlich um Fuszligball Die Welt vieler Fans dreht sich

hauptsaumlchlich um Fuszligball und das verbindet sie macht sie zu einer Gemeinschaft

bdquoSubkultur die

hellipinnerhalb eines Kulturbereichs einer Gesellschaft bestehende von einer

bestimmten gesellschaftlichen ethnischen o auml Gruppe getragene Kultur mit

eigenen Normen und Werten―

(Duden online am 8122012)

Wir koumlnnen bei Fans hier durchaus von einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb einer

Gesellschaft sprechen welch ein durchaus eigenes Normen- und Wertverstaumlndnis hat

Die Fuszligballfans haben also eine eigene Subkultur die Fankultur

31 Wie kam es dazu Ein geschichtlicher Abriss - das Fuszligballspiel und seine Fankultur

311 Entstehung

Auch wenn man das Fuszligballspiel in seinen Fruumlhformen und global gesehen uumlber die

englischen Rohformen des Fuszligballs das italienische Calcio das franzoumlsische Choule

chinesische griechische und japanische Varianten bis zu den Olmeken in Mittelamerika

um 1500 v Chr zuruumlckverfolgen kann gilt gemeinhin England als die Wiege des Fuszligballs

und ist damit auch der Ausgangspunkt der Fankultur Diesen Status verdankt England der

Tatsache dass das heute weltweit gespielte Fuszligballspiel im 19 Jahrhundert in England

seinen Rohschliff bekam

bdquo1848 Erste allgemeine Fuszligballregeln in Cambridge (dokumentiert 1856) hellip

1857 Gruumlndung des Sheffield FC am 24 Oktober hellip

1863 Oktober Trinity College bdquoCambridge University Rue― ndash 26 Oktober Treffen

zur Gruumlndung der Football Association (FA) in London 10 November Gruumlndung

der FA 8 Dezember Verabschiedung der Regeln der FA―

(Bausenwein 2006 S541)

Der Fuszligball verdankt also England das organisatorische Gebilde das Regelwerk die

23

Clubs die Verbaumlnde und die Wettbewerbe Damit war der Anstoszlig zu einem geregelten

Spielbetrieb gegeben und der Grundstein fuumlr den auf der vorigen Seite beschriebenen

Sog des Fuszligballs gelegt

Der Anspruch den das Fuszligballspiel bei den Zuschauern fand war groszlig und die

Regelmaumlszligigkeit der Austragung von Spielen durch die Bewerbe fuumlhrte zu einem

explosionsartigen Anstieg der Besucherzahlen

bdquoZum ersten Cup-Finale von 1872 als die Gentlemen noch unter sich waren kamen

2000 Zuschauer 1885 als die Profis bereits den Ton angaben waren es 8000

sieben Jahre spaumlter sahen 25000 Menschen das letzte Finale im ehrwuumlrdige

Kennington Oval Beim naumlchsten Endspiel 1893 in Everton kamen fast doppelt so

viele Fans 1897 setze Crystal Palace mit 66000 eine neue Houmlchstmarke Als

erstes Spiel mit sechsstelliger Zuschauerzahl ist im Guiness-Buch der Rekorde das

Finale von 1901 zwischen den Tottenham Hotspurs und Sheffield United vermerkt

Diese Zahl 110820 Zuschauer hielt bis 1913 als nochmals 11000 Fuszligballfans

mehr kamen―

(Bausenwein 2006 S280 ff)

Innerhalb von knapp 30 Jahren haben sich die Zuschauerzahlen also um ein vielfaches

erhoumlht Dies war jedoch nicht nur auf die Attraktivitaumlt des Spiels zuruumlck zu fuumlhren sondern

auch auf die demografischen Erscheinungen dieser Zeit wie Verstaumldterung die

Entstehung des Proletariats rasante Erhoumlhung der Mobilitaumlt durch die Eisenbahn und zu

guter Letzt der Freizeit

Freizeit nach unserem heutigen Verstaumlndnis setzt geregelte Arbeitszeiten und

Grundversorgung voraus und war in dieser Form eigentlich nur den oberen

Gesellschaftsschichten vorbehalten21 Erst durch die Regelungen der Arbeitszeiten in den

Fabriken und Betrieben wurde die Freizeit auch der breiten Masse der Bevoumllkerung ein

Begriff

Fuszligball fand aber nicht nur als sportliche Freizeitbetaumltigung Anklang Seit seiner

nationalen Verbreitung in England lockte der Fuszligball Zuseher an Waumlhrend der ersten

Saison der Fuszligball-Liga in England 1888-89 wurden die Matches von etwa 600000

Zuschauern besucht vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in der Saison 1913-14 waren

es in der First Division 87 Millionen22

Diese ersten Jahrzehnte des Fuszligballs zeichneten sich vor allem durch den Uumlbergang von

einem Elitezeitvertreib zum schichtenuumlbergreifenden Massenspektakel aus Verschiedene

Quellen belegen wie populaumlr Fuszligball schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Und das

21

Vgl Bausenwein 2006 S282 22

Armstrong amp Giulianotti 1999 S15

24

nicht nur in Britannien

1904 wurde in Paris die Feacutedeacuteration Internationale de Football Association (FIFA) der

Fuszligballweltverband gegruumlndet und legte den Grundstein fuumlr ein globales Spiel mit einem

weltumspannenden Spielbetrieb Die Gruumlndungsmitglieder waren die Landesverbaumlnde

Frankreichs Belgiens Daumlnemarks Hollands Portugals Schwedens und der Schweiz Der

deutsche Verband trat am Gruumlndungstag noch per Eiltelegram bei Einziger Club und

sozusagen Vertreter Spaniens bei der Gruumlndung der FIFA war der Madrid FC23

1908 wurde Fuszligball eine olympische Disziplin 1920 1924 und 1928 wurde der

olympische Fuszligballwettbewerb von der FIFA offiziell als Amateurweltmeisterschaft

ausgetragen ehe 1930 die erste offizielle FIFA-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen

wurde Mit ein Beweggrund fuumlr die Organisation des Turniers war der Publikumsansturm

auf die vorgehenden olympischen Turniere

Die Begeisterung fuumlr Fuszligball war in den Zwanziger- und Dreiszligigerjahren weltweit drastisch

gestiegen

Ein Bericht des Wiener Sport Tagblattes uumlber das erste Spiel Oumlsterreichs gegen Spanien

am 27 September 1924 auf der Hohen Warte beendet die Beschreibung des Spieltages

mit einem Absatz tituliert bdquoDie Hohe Warte ist zu kleinldquo (Wiener Sporttagbatt 2891924

S3) Weitergehend wird ausgefuumlhrt dass die 55000 Plaumltze bei weitem nicht ausreichten

Der Spielbericht in der spanischen Zeitung La Voz am 28September 1924 beziffert die

Zuschauerzahl dieses Spiels sogar mit 8000024

Besucherzahlen von uumlber 50000 waren selbst in Oumlsterreich nicht ungewoumlhnlich

Wie man an Beschreibungen und verschiedenen Fotografien erkennen kann war das

Fuszligballerlebnis damals noch ein anderes Auch wenn der Andrang groszlig war und bei

wichtigen Matches sogar die Baumwipfel um die Stadien herum mit Menschen bevoumllkert

waren25 galt doch eine gewisse buumlrgerliche Etikette Man zog sich ordentlich an26 und

zelebrierte den Sonntag Nachmittag Von Fangruppen oder Streitigkeiten ist nie die Rede

immer ist das sportliche Ereignis im Vordergrund Dem Gegner fuumlr einen guten Spielzug zu

applaudieren war anscheinend keineswegs ein Frevel Heute waumlre dies in vielen Stadien

kaum vorstellbar

Bis in die Sechzigerjahre aumlnderte sich nicht viel im Fuszligball und an der Art wie er

23

Vgl httpenwikipediaorgwikiFIFA abgerufen am 21122012

Anm Der spanische Fuszligballverband RFEF wurde erst 1913 gegruumlndet

24

La Voz am 2891924 S 6

25

Siehe Fotos Anhang 2

26

Vgl Abbildung 2