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druck ein, Luhmann hege den Verdacht, die Theologie könne raffinierter beobachten, wenn sie selbst zur Systemtheorie würde. Dass Gott auch Systemtheoretiker sei, wird freilich nirgends behauptet (es wird ihm aber auch nicht vorge- worfen). Der Adept der Systemtheorie wird be- wundern, wie es Luhmann gelungen ist, seine äl- teren Auffassungen in die konzeptuelle Architek- tur des Spätwerkes und die an Spencer Brown angelehnte neue Terminologie der Beobachtung und der Differenz zu integrieren. Alois Hahn POLITISCHE SOZIOLOGIE Stefan Lange und Dietmar Braun: Politische Steuerung zwischen System und Akteur. Eine Einführung. Grundwissen Politik. Herausge- geben von Arthur Benz, Roland Czada und Georg Simonis. Band 30. Opladen: Leske + Budrich 2000. 184 Seiten. ISBN 3-8100- 2947-5. Preis: DM 29,80. Das Buch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil rekonstruiert Stefan Lange die geschichtliche Entwicklung des Steuerungsbegriffs im Rahmen der Systemtheorie. Im zweiten widmet sich Diet- mar Braun der Kontroverse zwischen system- und akteurzentrierten Ansätzen im Diskurs über die politische Gesellschaftssteuerung. Beide Teile bauen aufeinander auf: Während Stefan Lange die Geschichte systemtheoretischer Begriffe und Fragestellungen skizziert, bezieht Dietmar Braun mehr oder weniger deutlich eine kritische Posi- tion gegenüber der im wesentlichen von Niklas Luhmann vertretenen Auffassung politischer Steuerung. Ein Buch, das den Anspruch auf eine Einfüh- rung erhebt, kann man nicht nur an der Voll- ständigkeit und Korrektheit der dargestellten Po- sitionen messen, sondern auch an seiner Ver- ständlichkeit für eine definierte Zielgruppe: Stu- dierende der Sozialwissenschaften. Das vorliegen- de Buch, das aus dem Angebot der FernUniversi- tät Hagen entwickelt wurde, setzt dagegen beim Leser fast schon zu viel voraus. Zwar mag sich der system- und steuerungstheoretisch geschulte Leser daran erfreuen, dass er noch einmal in kompakter Form die zahlreichen Argumente zum Verhältnis von System und Akteur in der Steue- rungsdebatte verfolgen kann. Aber gerade wegen dieser anspruchsvollen Darstellung bleiben Zwei- fel, ob dies für eine Einführung angemessen ist, zumal beide Autoren immer wieder in den Jar- gon der von ihnen referierten Autoren verfallen. Eine alltagssprachliche „Übersetzung“ der system- theoretischen Sprachspiele wäre an der einen oder anderen Stelle wünschenswert gewesen. Es ist auch zu bedauern, dass zur Illustration der komplexen Steuerungstheorien nur zwei Bei- spiele aus der politischen Praxis (Landwirtschaft und Technologieparks) kurz dargestellt werden. So verbleiben die Einwände, die Dietmar Braun gegen den systemtheoretischen Steuerungspessi- mismus vorbringt, immer im wissenschaftsimma- nenten Diskurs, deren empirische Unterfütterung um so wünschenswerter wäre, je berechtigter sei- ne Einwände sind. Dennoch ist ihm in dem Be- fund zuzustimmen, dass von der systemtheoreti- schen Variante Luhmannscher Prägung für die Frage nach der politischen Steuerung kaum mehr bleibt als die Erkenntnis, dass es Grenzen der ge- sellschaftlichen Steuerbarkeit gibt. Damit erwies sich Luhmann in der Phase der Planungseupho- rie als Mahner zur Bescheidenheit. Heute hat sich diese Mahnung zur Abkehr von illusionären Konzeptionen umfassender Gesellschaftssteue- rung allein schon aus finanzpolitischen Gründen erledigt. Überzeugte Systemtheoretiker dürften mit diesem Fazit sicher ihre Probleme haben. Das Buch bietet einen guten Überblick über die verschiedenen theoretischen Positionen zur Frage der politischen Steuerung, wobei das be- hutsam und begründet wertende Fazit gerade in einer „Einführung“ dem Versuch einer wertfreien und neutralen Darstellung vorzuziehen ist. Es ist wegen der komprimierten Darstellung grundle- gender Positionen auch eine solide Grundlage für eine Weiterentwicklung des Diskurses über das Verhältnis von System und Akteur in der politi- schen Steuerung. Für die weitere theoretische Auseinandersetzung über diese Frage ist daher die vorliegende Darstellung eine Zwischenbilanz, hinter die man nicht mehr zurück kann. Manfred Mai GESCHICHTE DER SOZIOLOGIE Dirk Kaesler (Hg.): Klassiker der Soziologie. Bd. 1: Von Auguste Comte bis Norbert Elias. München: C. H. Beck 1999. 360 Seiten. ISBN 3-406-42088-5. Preis: DM 28,–. Bd. 2: Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu. München: C. H. Beck 1999. 277 Seiten. ISBN 3-406-42089-3. Preis: DM 28,–. Die soziologischen Klassiker, so schrieb Luh- mann einmal, sind blank vom Abgreifen und zu- Literaturbesprechungen 589

Dirk Kaesler (Hg.): Klassiker der Soziologie

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druck ein, Luhmann hege den Verdacht, dieTheologie könne raffinierter beobachten, wennsie selbst zur Systemtheorie würde. Dass Gottauch Systemtheoretiker sei, wird freilich nirgendsbehauptet (es wird ihm aber auch nicht vorge-worfen). Der Adept der Systemtheorie wird be-wundern, wie es Luhmann gelungen ist, seine äl-teren Auffassungen in die konzeptuelle Architek-tur des Spätwerkes und die an Spencer Brownangelehnte neue Terminologie der Beobachtungund der Differenz zu integrieren.

Alois Hahn

POLITISCHE SOZIOLOGIE

Stefan Lange und Dietmar Braun: PolitischeSteuerung zwischen System und Akteur. EineEinführung. Grundwissen Politik. Herausge-geben von Arthur Benz, Roland Czada undGeorg Simonis. Band 30. Opladen: Leske +Budrich 2000. 184 Seiten. ISBN 3-8100-2947-5. Preis: DM 29,80.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teilrekonstruiert Stefan Lange die geschichtlicheEntwicklung des Steuerungsbegriffs im Rahmender Systemtheorie. Im zweiten widmet sich Diet-mar Braun der Kontroverse zwischen system-und akteurzentrierten Ansätzen im Diskurs überdie politische Gesellschaftssteuerung. Beide Teilebauen aufeinander auf: Während Stefan Langedie Geschichte systemtheoretischer Begriffe undFragestellungen skizziert, bezieht Dietmar Braunmehr oder weniger deutlich eine kritische Posi-tion gegenüber der im wesentlichen von NiklasLuhmann vertretenen Auffassung politischerSteuerung.

Ein Buch, das den Anspruch auf eine Einfüh-rung erhebt, kann man nicht nur an der Voll-ständigkeit und Korrektheit der dargestellten Po-sitionen messen, sondern auch an seiner Ver-ständlichkeit für eine definierte Zielgruppe: Stu-dierende der Sozialwissenschaften. Das vorliegen-de Buch, das aus dem Angebot der FernUniversi-tät Hagen entwickelt wurde, setzt dagegen beimLeser fast schon zu viel voraus. Zwar mag sichder system- und steuerungstheoretisch geschulteLeser daran erfreuen, dass er noch einmal inkompakter Form die zahlreichen Argumente zumVerhältnis von System und Akteur in der Steue-rungsdebatte verfolgen kann. Aber gerade wegendieser anspruchsvollen Darstellung bleiben Zwei-fel, ob dies für eine Einführung angemessen ist,zumal beide Autoren immer wieder in den Jar-

gon der von ihnen referierten Autoren verfallen.Eine alltagssprachliche „Übersetzung“ der system-theoretischen Sprachspiele wäre an der einenoder anderen Stelle wünschenswert gewesen.

Es ist auch zu bedauern, dass zur Illustrationder komplexen Steuerungstheorien nur zwei Bei-spiele aus der politischen Praxis (Landwirtschaftund Technologieparks) kurz dargestellt werden.So verbleiben die Einwände, die Dietmar Braungegen den systemtheoretischen Steuerungspessi-mismus vorbringt, immer im wissenschaftsimma-nenten Diskurs, deren empirische Unterfütterungum so wünschenswerter wäre, je berechtigter sei-ne Einwände sind. Dennoch ist ihm in dem Be-fund zuzustimmen, dass von der systemtheoreti-schen Variante Luhmannscher Prägung für dieFrage nach der politischen Steuerung kaum mehrbleibt als die Erkenntnis, dass es Grenzen der ge-sellschaftlichen Steuerbarkeit gibt. Damit erwiessich Luhmann in der Phase der Planungseupho-rie als Mahner zur Bescheidenheit. Heute hatsich diese Mahnung zur Abkehr von illusionärenKonzeptionen umfassender Gesellschaftssteue-rung allein schon aus finanzpolitischen Gründenerledigt. Überzeugte Systemtheoretiker dürftenmit diesem Fazit sicher ihre Probleme haben.

Das Buch bietet einen guten Überblick überdie verschiedenen theoretischen Positionen zurFrage der politischen Steuerung, wobei das be-hutsam und begründet wertende Fazit gerade ineiner „Einführung“ dem Versuch einer wertfreienund neutralen Darstellung vorzuziehen ist. Es istwegen der komprimierten Darstellung grundle-gender Positionen auch eine solide Grundlage füreine Weiterentwicklung des Diskurses über dasVerhältnis von System und Akteur in der politi-schen Steuerung. Für die weitere theoretischeAuseinandersetzung über diese Frage ist daher dievorliegende Darstellung eine Zwischenbilanz,hinter die man nicht mehr zurück kann.

Manfred Mai

GESCHICHTE DER SOZIOLOGIE

Dirk Kaesler (Hg.): Klassiker der Soziologie. Bd.1: Von Auguste Comte bis Norbert Elias.München: C. H. Beck 1999. 360 Seiten.ISBN 3-406-42088-5. Preis: DM 28,–. Bd. 2:Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu.München: C. H. Beck 1999. 277 Seiten.ISBN 3-406-42089-3. Preis: DM 28,–.

Die soziologischen Klassiker, so schrieb Luh-mann einmal, sind blank vom Abgreifen und zu-

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gleich schwarz von den vielen Kerzen, die manvor ihnen angezündet hat. Willkommen im Klubder Ikonen!

Allein diese Veränderung zeigt, dass es höchs-te Zeit war, Dirk Kaeslers verdienstvolle, aber inder Lehre ergraute Sammlung der soziologischenKlassiker zu renovieren. Wie differenzierungs-theoretisch nicht anders zu erwarten, hat sich seit1976/78 die Anzahl der Klassiker mehr als ver-doppelt: Bestand die alte, ebenfalls zweibändigeAusgabe noch aus 14 Sachartikeln, so sind in derneuen Taschenbuchausgabe insgesamt 31 Perso-nen erläutert. Allein Max Scheler hat die Probeals Klassiker nicht bestanden, er fehlt in der neu-en Ausgabe und wurde durch Robert E. Park er-setzt. Neu aufgenommen wurden Marcel Mauss,Maurice Halbwachs, Norbert Elias, Paul F. La-zarsfeld, Talcott Parsons, Theodor W. Adorno,Hans Freyer, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky,Raymond Aron, George C. Homans, Robert K.Merton, C. Wright Mills, Erving Goffman, Ni-klas Luhmann, Jürgen Habermas und PierreBourdieu. Der Umfang der Artikel wurde vondurchschnittlich 50 auf 19 Druckseiten reduziert,vor allem durch Egalisierung der SonderklassikerMarx, Simmel, Weber und Mannheim, die inder alten Ausgabe teils über hundert Seiten bean-spruchten. Insgesamt gibt es also, wie in jedemfortschreitenden Wissensgebiet, auch bei denKlassikern eine Tendenz zur Lexikalisierung ehe-maliger Handbücher. Auch Komplexitätsreduk-tionen können komplexer werden.

Die Spuren des Wandels zeigen sich ebenfallsin der Einleitung des Herausgebers. 1976 führteder (damals noch nicht internationalisierte) DirkKäsler die Bedeutung der Klassiker anhand desZusammenhangs zwischen Historismus und einerSoziologie ein, die der historischen Gebunden-heit allen Wissens die gesellschaftliche Bedingt-heit hinzugefügt habe. Die Beschäftigung mitden Klassikern ermögliche der Disziplin, in die-sen schwankenden Sumpf der Relativität Pfeilervorzutreiben, die den Grund sondieren. 1999 da-gegen ist es die unüberschaubare, kaum mehr ei-ne gemeinsame Sprache oder einen gemeinsamenGegenstand findende Lage des Faches, durch diesich die Frage nach seiner Identität verschärfthabe. Die Klassiker, so Kaesler, sind unersetzbar,weil sie allein diese Identität zu stiften vermögen.Kaesler findet hier ein wunderschönes Bild, daser zur Allegorie ausbaut: Er vergleicht die Sozio-logie mit einem Haus, an dem permanent weiter-gebaut werde, sodass es sich im Laufe der Zeit zueinem großen Komplex mit vielen Stockwerken,Erkern, Gängen und Tunneln entwickelt habe.In diesem Haus gebe es aber eine große Gemein-schaftsküche, in der sich die Bewohner regelmä-

ßig versammelten und die das Haus mit Energieversorge: „Die Werke der soziologischen Klassi-ker, oder genauer: deren immer wieder zu bear-beitende Konzepte, Begriffe, Hypothesen undForschungsergebnisse sind dazu da, die Energiefür das Herdfeuer der soziologischen Forschungin Gegenwart und Zukunft zu liefern.“

Dies Bild gerät im Folgenden freilich aus denFugen, weil Kaesler seine Villa Kunterbunt so-gleich zur Schule umfunktionieren möchte: DieSoziologie für das 21. Jh. könne es sich nichtmehr leisten, werturteilsfrei zu forschen, sie müs-se am neuen Wertkonsens der Gesellschaft mit-bauen. Der Intellektuelle, der ihre Schule verlas-se, müsse über empirisch fundiertes Wissen mittheoretischem Anspruch und ein sozialpolitisch-ethisches Gewissen verfügen. Nicht nur den post-modernen Pipi Langstrumpfs der Disziplin läuftan dieser Stelle ein Schauder über den Rücken.Jeder Weberianer, der einmal gelernt hat, dassWerturteilsfreiheit die einzige Möglichkeit ist,der Wissenschaft unter der Bedingung konkurrie-render Weltanschauungen in pluralistischen Ge-sellschaften die Geltung ihrer Aussagen zu erhal-ten, denkt mit Grausen an die Gesinnungsprü-fungen im Kaeslerschen Schulhaus der Soziolo-gie, in denen kontrolliert wird, ob der Absolventauch für Multikulturalität, Ökologie und Globa-lisierung einsteht. Die Lehrplanänderungen wä-ren absehbar: Jedes Jahrzehnt hat uns bislangnoch mit seinen eigenen apokalyptischen Nah-und heilsgeschichtlichen Fernerwartungen ver-sorgt: gestern Atombombe und Friedensbewe-gung, heute Klima und Ökologie und schonmorgen werden die Absolventen in einer kolla-bierenden Altersgesellschaft auf ihren Kinder-wunsch überprüft.

Besteht man also auf der funktionalen Ar-beitsteilung moderner Gesellschaften und koppeltdie Kaeslersche Schule vom Haus der Soziologieab, so wird der Blick frei für den Kern der Ein-leitung: Wer ist warum ein Klassiker? Kaeslerentwickelt die Kriterienliste von 1976 fort undbenennt unter der Prämisse, dass jeder Klassiker„gemacht“ sei, drei Kriterien: Relevanz für dieWeiterentwicklung der Theorie, Entdeckung ei-nes wichtigen Problembereichs, Entdeckung ei-ner neuen Methode. Und schließlich müsse sichauch eine Rezeptionsgeschichte anschließen, diezeigt, dass das Werk der so bestimmten Klassikerweiterhin lebendig sei, also wieder und immerwieder gelesen und interpretiert werde.

Die Auswahl, die Kaesler nach diesen Krite-rien getroffen hat, überzeugt in großen Teilen(für James S. Coleman und Anthony Giddensfanden sich keine Autoren). Da die Wahl auchvon den Desideraten beeinflusst wurde, die in

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den Rezensionen von 1976/78 angemahnt wur-den, möchte ich das Spiel weitertreiben undschon einige Pflöcke für die Neuausgabe des Jah-res 2020 einrammen: Es widerspricht dem vonKaesler für gute Soziologen angemahnten Ge-rechtigkeitssinn, wenn Freyer, Gehlen und Schel-sky sich auf dem schmalen Raum eines Artikelsdrängeln müssen, während Adorno sich ohne dienahe liegende Konkurrenz von Horkheimer undMarcuse breit machen darf. Völlig unverständlichauch, wie René König durch das Raster fallenkonnte. Die Geschichte der Soziologie inDeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lässtsich ohne ihn gar nicht verstehen, und wenigs-tens die (Wieder-)Entdeckung von Methodenkann man ihm wohl kaum abstreiten. Undschließlich: Gibt es im weiten Raum einer Wis-senschaft, die sich schon immer viel auf ihr be-sonderes Verhältnis zu politischer Moral undEmanzipation zugute hielt, tatsächlich keine ein-zige Klassikerin?

Damit genug der Kritik. Nun fehlt hier derRaum, um 28 Artikel einzeln zu besprechen undzu bewerten. Das macht die durchgängige Quali-tät auch nicht nötig. Die Artikel über Weber undMead sind von den gleichen Verfassern wie inder Ausgabe von 1976/78. Bei der Wahl der neu-en Autoren hatte Kaesler jedenfalls eine glückli-che Hand, sind die Beiträge doch durchgängigstringent und verständlich formuliert, sofern esdie Natur der darzustellenden Theorie überhauptzulässt. Günstig hat sich auch das strenge Korsettausgewirkt, das der Herausgeber seinen Autorenverpasste: Alle Artikel sind mit der DreiteilungBiographie, Werk und Wirkung klar gegliedertund durch den Platzzwang von wohl tuenderSachlichkeit. Es bleibt wenig Raum, um in denInterpretationskämpfen über Bedeutung undWert der einzelnen Klassiker eine dezidierte Posi-tion zu entfalten, allenfalls der Schluss bietet hierund dort Angriffspunkte für einen Widerspruch.Für die Lehre sind die beiden Bände ohne jedeEinschränkung wärmstens zu empfehlen, zumaldie Artikel in ihrer Kürze den Lesebedürfnissenheutiger Studenten entgegenkommen.

Clemens Albrecht

Horst Pöttker, unter Mitwirkung von VolkerUphoff (Hg.): Öffentlichkeit als gesellschaftli-cher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaftüber Journalismus und Medien. Konstanz:Universitätsverlag Konstanz 2001. 498 Seiten.ISBN 3-87940-632-4. Preis: DM 68,–.

Über die Nützlichkeit klassischer Beiträge derSoziologie für die aktuelle Forschungsarbeit derMedien- und Kommunikationswissenschaften hatman sich innerhalb der eigenen Disziplin bislangkaum Rechenschaft abgelegt. Vorurteile, dass essich bei der Medien- und Öffentlichkeitsfor-schung um eine typische Nachkriegsbindestrich-soziologie handele, die erst auf der Basis amerika-nischer Grundlagenarbeiten in Europa diffundie-ren konnte, sollten spätestens nach Vorlage derhier präsentierten Sammlung sozialwissenschaftli-cher Klassiker als widerlegt gelten. Die Geschich-te der Fachdisziplin wird uns hier anhand derausgewählten Textdokumente vor allem als einedeutsche Rezeptionsgeschichte vorgestellt. Dabeiwird eine rund hundertjährige Traditionslinievon Karl Marx bis Theodor Geiger erkennbar, indie sich selbst noch Emile Durkheim und RobertE. Park als zwei, diesem geistesgeschichtlichenHintergrund ebenso verpflichtete Autoren einrei-hen können. Aus der Perspektive der erkenntnis-theoretischen Begriffsbildung mag die Dominanzder deutschen Wissenschaft in diesem Kontextnur wenig überraschen. Eindruckvoll ist aber, wiebereits im ausgehenden 19. Jahrhundert von füh-renden Vertretern der sozialwissenschaftlichenDisziplinen empirisch angeleitete Auseinanderset-zungen mit dem expandierenden Zeitungswesengeführt wurden.

Das Verdienst der Herausgeber liegt sicherlichdarin, diese selbst einem interessierten Fachpubli-kum wohl weitgehend unbekannten Quellen als„verschüttete Erkenntnisse“ an den Anfängen ei-ner Disziplin in Form einer lehrbuchartigenSammlung auch einem breiteren Leserkreis wie-der zugänglich zu machen. Die Fundstücke wer-den in umfangreichen, originalgetreuen Extrak-ten präsentiert und laden dazu ein, sich auf eineanregende Lektüre und Neubestimmung derKlassiker einzulassen. Editorische Eingriffe be-schränken sich auf eine Einleitung und knappeKommentierung der ausgewählten Autoren undihrer Werke und stellen damit für den Lesernützliche Querverbindungen und Interpretations-anleitungen her. Eine weiter gehende Straffungund thematische Bündelung des Textmaterialshätte allerdings angesichts der allzu kursorischen,abschweifenden und zeitgebundenen Ausführun-gen einzelner Autoren ohne Deutungsverlustedurchgeführt werden können und sollte bei einer

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