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Christoph Ableitinger
Diskrete biomathematische Modelle im Schulunterricht -Chancen aus der Sicht der Mathematikdidaktik
Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Naturwissenschaften, vorgelegt an der Fakultat for Mathematik der Universitat Wien.
Gutachter:
Betreuer:
Prof Dr. Hans-Wolfgang Henn Prof Dr. Werner Georg Nowak Prof Dr. Hans Humenberger
Datum der miindlichen Priifimg: 15. Dezember 2008
Rauber-Beute-Modelle, Wachstumsprozesse und das SIR-Modell sind Themen, die in der Rubrik Biomathematik in der mathematikdidaktischen Literatur an der einen oder anderen Stelle zu finden sind. Die Biomathematik bietet allerdings noch viele andere Einsatzmoglichkeiten fur den Schulunterricht, und das nicht nur fur die Oberstufe. Werden namlich diskrete Modelle anstatt der in der Fachliteratur gebrauchlichen kontinuierlichen Modelle betrachtet, so genugen die mathematischen Kenntnisse aus der Unterstufe. Ziel der Dissertation war neben der fachdidaktischen Aufbereitung biomathematischer Modelle, diese Moglichkeiten aufzuzeigen und Chancen fUr den Mathematikunterricht der Sekundarstufe abzuleiten. 1m ersten Kapitel werden ein kurzer geschichtlicher Uberblick und eine Zusammenschau der wichtigsten Bereiche der Biomathematik gegeben, nicht zuletzt urn die Genese dieser Disziplin aus Anwendungen heraus sowie die Etablierung der Biomathematik als wichtiges Teilgebiet der Mathematik hervorzuheben. Das zweite Kapitel beschaftigt sich mit den mathematischen Konzepten, die fUr den Einsatz im Unterricht essentiell sind. Dabei ist zu betonen, dass die Bearbeitung diskreter biomathematischer Modelle mit relativ bescheidenen mathematischen Methoden (in erster Linie mit der qualitativen Analyse von (Systemen von) Differenzengleichungen) auskommt, was einen Einsatz schon in der Sekundarstufe I ermoglicht und das Ausrichten des Fokus auf andere Tatigkeiten, wie das Modellieren und das Interpretieren erlaubt. Das dritte Kapitel stellt anschlieBend eine Fulle von biomathematischen Modellen vor, die in der Schule aufunterschiedlichen Niveaus bearbeitet werden konnen. Die meisten davon haben bisher weder in didaktischen Arbeiten, noch in gangigen Schulbuchem Platz gefunden. Es werden dabei aIle etablierten Teilgebiete der Biomathematik aufgegriffen und damit ein wichtiger Beitrag v. a. zur ersten Winter'schen Grunderfahrung geleistet (vgl. Winter 2003). Die Anwendungen spannen den Bogen von diversen Wachstumsmodellen aus der Demographie uber die Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Spezies (z. B. Konkurrenz urn Ressourcen, symbiotische Systeme, Rauber-Beute-Beziehungen) und der Anderung von Genhaufigkeiten durch Mutation und Selektion bis hin zu Modellen aus der Epidemiologie zur Beschreibung der Ausbreitung bzw. Eindammung von Krankheiten.
(JMD 30 (2009) H. 1, S. 80-81)
Dissertationen 81
Der didaktische Kern der Arbeit liegt im Kapitel vier: Dieses zeigt auf, dass durch die Beschliftigung mit diskreten biomathematischen Modellen im Schulunterricht zum einen zahlreiche Aspekte und Forderungen des osterreichischen AHS-Lehrplans erfUllt werden konnen und zum anderen groBes didaktisches Potenzial in der durch Tabellenkalkulationen untersrutzten Bearbeitung diskreter Modelle schlummert. Exemplarisch kann hier angeftihrt werden, dass etwa gerade im Fehlen von expliziten Darstellungen fUr manche Iterationsfolgen (z. B. fUr das diskrete logistische Wachstum) eine groBe Chance besteht. Dadurch wird man namlich gezwungen, abseits der kalkiilhaften Ebene (die etwa bei den Funktionsuntersuchungen im Schulunterricht vorherrscht) die qualitative und verstandnisorientierte Analyse von Fixpunkten und ihren Attraktionsgebieten bzw. von anderen Eigenschaften der betrachteten Iterationsfolgen (z. B. Monotonie, Konvergenz, Abhlingigkeit vom Startwert) starker zu betonen (vgl. dazu Weigand 1990). Weiters leistet das Thema einen wertvollen Beitrag zur Forderung des Systemdenkens in Abgrenzung zu einfachen linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhangen, in denen wir Menschen nur allzuoft denken und argumentieren. Auch die Moglichkeit der Vernetzung algebraischer, qualitativer, grafischer und numerischer Methoden sowie der Wechsel von Reprasentationsmitteln zur Darstellung dynamischer Systeme (schematische Darstellungen, Differenzengleichungen bzw. Rekursionsformeln, Tabellen, Zeit- bzw. Phasendiagramme) werden eingehend besprochen. In den Kapiteln fiinf bis sieben werden Vorschlage zur konlaeten, schiilerzentrierten Umsetzung im Unterricht fUr die Schulstufen 7 bis 12 gemacht, die den Forderungen Freudenthals nach beziehungshaltigem Mathematikunterricht und dem Anwenden von Mathematik Rechnung tragen sollen. Zum mathematischen Modellieren findet man dann im achten Kapitel etliche Anregungen, es werden dazu einige Modellierungsaufgaben aus dem Bereich der Biomathematik formuliert. SchlieBlich wird im Schlusskapitel tiber Erfahrungen im Unterricht und in der Lehreraus- und -fortbildung sowie tiber die empirischen Erkenntnisse berichtet, das iterative Denken bei Lernenden, welches fUr das Verstandnis von diskreten dynamischen Systemen notwendig und als Basis fUr das Begreifen von kontinuierlichen dynamischen Systemen sehr dienlich ist, durch den Einsatz von Tabellenkalkulationsprogrammen zu fOrdern.
Literatur: Weigand, H.-G. [1990]: Iterationen und Darstellungsformen. In: Beitriige zum Mathematikunter
richt 1990. S. 313 -316. Winter, H. [2001]: Mathematikunterricht und Allgemeinbildung. In: Materialienfiir einen reali
tiitsbezogenen Mathematikunterricht. Band 8, S. 6-15.
Adresse des Autors
Christoph Ableitinger Universitlit Wien Fakultlit fiir Mathematik NordbergstraBe 15 A-I090 Wien E-mail: [email protected]