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DJIHAD IN MODERNEN ZEITEN Aus der Sicht Said Nursis

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DJIHAD IN

MODERNEN

ZEITEN

Aus der Sicht Said Nursis

Unser Dank gilt besonders Frau Dr. Martina Häusler, Ahrweiler, die die Texte dieser Taschenbuchausgabe ü-bersetzt und gegengelesen hat.

Die Redaktion

DJIHAD IN

MODERNEN

ZEITEN

Aus der Sicht Said Nursis

Djihad in modernen Zeiten

(Interpretationen und Kommentare zum Risale-i Nur; Islam)

ISBN 978-3-935-165-39-0

© Köln, Istanbul, Asya Verlag 2011

Printed IMAK Ofset, in Turkey.

Asya Verlags GmbH

Kalk-Mülheimer Str. 93-97; D-51063 Köln, Germany Tel.: 0221 168 22 342; Fax: 0221 168 22 342

Onlinebestellung:

www.Risaleshop.de; www.Risaleshop.euU

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[email protected]

INHALT Einführung: ……………………………………………....7 Nursis Interpretation des Jihad. ………...………….11 Die Einstellung des Alten Said und seine Handha-bung des Jihad …………………………….…….....…12

Wissenschaftlicher Jihad (Jihad-i ’Ilmi)….………14

Zivilisation und Jihad ..………………………..….....16

Der äußere Jihad beim Alten Said ……….................21

Der Physische Jihad beim Alten Said ........................22

Zwei wichtige Punkte, die den politischen Kampf und die öffentliche Ordnung betreffen .....................23 Der Neue Said..………………………..………...….26 Manevi Jihad..……………………….………..…….28 Das Schwert des „Sicheren Glaubens“ ...........................31 Der tatsächliche Kampf ..……………………………..35 Der ‚Manevi Jihad’ und Nursis Haltung gegenüber der Politik ..…………………………………………..….….37 Manevi Jihad und ‚positives Handeln’ ...........................42

Weitere Aspekte des ‚positiven Handelns’ .....................46

Der Dritte Said ......................................................................48

6 SÜKRAN VAHIDE

Unterstützung von Menderes und seiner Demokrati-schen Partei ...........................................................................50 Ausweitung der Publikation .............................................54 Ausweitung der Risale Bewegung ....................................55 Islamische Einheit (Ittihad-i Islam) .................................55 Die Medresetü’z-Zehra .......................................................57 Haltung dem Westen gegenüber ......................................56 Zusammenfassung ................................................................59 Nursis Sicht der europäischen Geisteswissenschaften und Philosophie ...................................................................65 Said Nursi ( 1877 – 1960 ) …..…………………....….......68 Das Gesamtwerk Risale-i Nur im Überblick ..............71 Informationen über das Gesamtwerk Risale-i Nur und Bediüzzaman Said Nursi: …..……………….….......73

7

SAID NURSIS INTERPRETATION DES JIHAD

1BSükran Vahide

Einleitung Bevor wir Said Nursis Interpretation des jihad unter-

suchen, sollten wir uns einen oder zwei Punkte über das allgemeine Konzept des jihad ins Gedächtnis rufen. Ers-tens nimmt er eine wichtige Stellung im Islam ein; der Prophet Mohammed bezeichnete ihn als „den Gipfel des hoch aufragenden Islam.“F

1F Und als er gefragt wur-

de, ob es etwas gäbe, das dem „jihad für die Sache Got-tes“ gleichkomme, sagte er:“ Nichts, das du tun könn-test, kommt ihm gleich.“F

2F Auch seine umfassendere Be-

deutung sollten wir uns nochmals vor Augen führen. Der Begriff jihad ist keineswegs beschränkt auf die manchmal dargestellte Bedeutung „heiliger Krieg gegen

1 Ibn Kayyim el-Cevziyye, Zadu’l-Mead; [Türk. Übers. Özen et. Al.] (Istanbul 1989)iii, 121.

2 Kutub-i Sitte [Türk. Übers. und Kommentar von Ibrahim Canan] (Ankara 1988) v, 26

8 SÜKRAN VAHIDE

die Ungläubigen“, sondern leitet sich ab von der Wurzel jahada und bedeutet „sich anstrengen, aufs äußerste be-mühen“ und deckt damit eine Vielzahl von Bedeutun-gen ab.

Im Zad al-Ma’ad besteht der jihad beispielsweise aus vier „Hauptstufen“ oder „Stadien“: jihad gegen die Seele, gegen den Satan, gegen Ungläubige und gegen Heuchler. Die erste Stufe wiederum besteht aus vier „Stadien“: sich mit der Seele darum bemühen, die Wahre Religion kennen zu lernen; zweitens sich bemühen, in Einklang mit dieser Erkenntnis zu handeln; drittens danach zu streben, andere darin zu unterweisen; und viertens Ge-duld zu üben und angesichts der Schwierigkeiten und Unterdrückung, die man erfährt, weil man andere zur Religion Gottes ruft, standhaft zu sein. Der jihad gegen den Satan besteht aus zwei „Stadien“: erstens zu versu-chen, die Saat des Zweifels, die der Satan bezüglich des Glaubens ins Herz sät, abzuwehren; und zweitens da-nach zu streben, die korrupten Begierden, die Satan suggeriert, abzulehnen. Durch den ersten dieser jihade erwirbt man „festen und sicheren Glauben“, und durch den zweiten Geduld und Standhaftigkeit. Die dritte und vierte Hauptform, d.h. der jihad gegen Ungläubige und Heuchler, bestehen aus vier „Stadien“: jihad mit dem Herzen, mit der Zunge, mit Besitztümern und mit dem eigenen Leben. Während der jihad gegen Ungläubige mit dem Schwert geführt wird, d.h. mit Gewalt, wird der ji-

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 9

dann sollte man sich ihnen im Herzen widersetzen.3

ligion zu unterstützen und Sein Wort aufrecht zu erhal-

had gegen Heuchler mit der Zunge geführt, d.h. durch Argumente, Beweise und Überzeugungsleistung. Eine letzte „Stufe“ besteht aus dem jihad gegen Unterdrücker, Neuerer und Übeltäter, und enthält drei weitere „Sta-dien“: hat man die Macht dazu, wird Gewalt angewandt; hat man nicht die Macht dazu, sollte man versuchen, mit Worten gegen sie vorzugehen; und ist dies auch nicht möglich,

F

In anderen Werken wurde der jihad definiert als Be-

wusstes, aktives und beständiges Bemühen, die Verfü-gungen des Islams zu lernen, sie anderen beizubringen, sie sowohl im privaten, als auch im sozialen Leben zu praktizieren und andere dazu zu ermuntern, dies zu tun, andere zum Islam zu rufen, und alle Hindernisse zu ü-berwinden, die der Umsetzung dieser Dinge im Wege stehen, d.h. Hindernisse sowohl auf persönlicher Ebene, als solche, die innerhalb oder außerhalb der Gesellschaft liegen.F

4F Sein Zweck wurde beschrieben als „Gottes Re-

3 Zadu’l-Mead, iii, 24-25, 198

4 Ahmet Özel, „Cihad“ in TDV Islam Ansiklopedisi (Istanbul 1993) vii 530-531.

10 SÜKRAN VAHIDE

ten“F

5F und „ den Unglauben zu bezwingen und dafür zu

sorgen, dass die Wahrheit [haqq] vorherrscht.“F

6 Verse, die in Mekka vor der Hijra offenbart worden

waren, und die koranische Erlaubnis, Gewalt mit Ge-waltF

7F zu begegnen, ermahnten den Propheten eindring-

lich: “Darum höre nicht auf die Ungläubigen, sondern setze ih-nen mit dem [Koran] heftig zu [jihadan kabiran].“F

8F Dies ver-

deutlicht einerseits, wie wichtig der jihad mit der „Zunge“ ist, d.h. sich darum zu bemühen, den Islam und Gottes Wort durch Wissen, Argumente und intellektuelle An-strengung zu schützen, und andererseits wird dadurch klar, dass der jihad bestimmten Bedingungen unterliegt, die die Erfordernisse der Situation berücksichtigen.

Nachdem ich nun die allgemeine Bedeutung des jihad und seine Wichtigkeit im Islam erläutert habe, werde ich auf Nursis Interpretation und seine beispielhafte Praxis des jihad eingehen, ohne weiter auf die unterschiedlichen

5 Elmalili M. Hamdi Yazir, Hak Dini Kur’an Dili (Istanbul o.J.) ii, 167; iv, 347

6 Ibid., 153

7 Koran, 22:39

8 Koran, 25:52

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 11

Formen, wie der Jihad in der islamischen Literatur defi-niert wird, zu verweisen.

Nursis Interpretation des Jihad Bei der Untersuchung von Nursis Interpretation des

jihad fällt auf, durch welche Kontinuität seine Gedan-ken zu diesem Thema sein ganzes Leben hindurch ge-prägt waren, sowohl als Alter, als auch als Neuer Said. Dies ist deshalb so bemerkenswert, weil sowohl in sei-ner Umgebung, als auch in seinem Inneren während dieser beiden Hauptabschnitte seines Lebens große Ver-änderungen stattgefunden hatten. Der Alte Said umfasst die Periode von Nursis Jugend bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, d.h. die letzten Jahrzehnte des osmanischen Reiches, als der Islam immer noch „ der Grund für das Leben des Staates und seine Religion war.“F

9 Die Niederlage im Ersten Weltkrieg brachte den Zu-

sammenbruch des Reiches mit sich, und in den darauf-folgenden Jahren erschien der Neue Said, der sich im Gegensatz zum Alten Said und dessen vielfältigen und zahlreichen Bemühungen gänzlich aus dem öffentlichen Leben zurückzog. Diese Eigenschaft wurde verstärkt,

9 Nursi, „Bediuzzaman’in Fihrist-i Maksadi“ (Volkan Nr. 83) in Asar-i Bedi’iye (o. O., o.D.) 375

12 SÜKRAN VAHIDE

als die neuen Führer der Türkei den Weg der Verwestli-chung beschritten und Nursi sein Leben im Exil begann. Der Islam, der bis dahin die Grundlage für den Staat gewesen war, wurde nun unter dem Deckmantel der Sä-kularisierung systematisch aus allen Aspekten des Le-bens entfernt. Doch trotz der offensichtlich unter-schiedlichen Bedingungen, wie auch in Nursis Lebens-stilen und dem Wesen seiner Bemühungen, gibt es zahl-reiche Punkte, die eine Ähnlichkeit und Kontinuität in seinen Ideen aufweisen. Auch wenn seine Interpretation des jihad erst im Risale-i Nur (im Folgenden Risale ge-nannt) seine Reife und im Kampf des Neuen Said sei-nen vollkommenen Ausdruck fand, lohnt es sich den-noch, kurz zu skizzieren, welche Einstellung er dazu hatte und wie er damit in der früheren Periode umging.

Die Einstellung des Alten Said und seine Hand-

habung des Jihad Der erste wichtige Faktor, der Nursis Interpretation

des jihad prägte, hing damit zusammen, dass unsere Zeit das Zeitalter der Wissenschaft und ‚Zivilisation’ ist. Er schrieb: „Wenn die Zivilisation vorherrscht, dann wird die Welt von Wissenschaft und Wissen regiert....“F

10F. Und weiter: “Am

10 Nursi, „Nutuklar“, in Asar-i Bedi’iye, 351-352; Nursi, Divan-i Harb-i Örfi (Istanbul 1975) 63.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 13

Ende der Zeit wird die Menschheit nur noch aus Wissenschaft und Gelehrtheit schöpfen. Sie wird all ihre Stärke aus der Wis-senschaft beziehen. Macht und Herrschaft werden in die Hand der Wissenschaft übergehen.“F

11F Mit der Vorherrschaft von Wissen-

schaft und Verstand ging einher, wie Nursi ausführt, dass „die Menschen ihre wirksamste Waffe in der beredsamen Ausdrucks-weise finden werden.“F

12F Das heißt, mit dem Fortschritt von

Wissenschaft und Technologie sowie mit dem Fort-schritt der Menschen und des daraus hervorgehenden Zeitalters der Massenkommunikation würden die Men-schen sich darum bemühen, durch Beredsamkeit und Überzeugungskraft andere dazu zu bewegen, ihre Mei-nung anzunehmen. Und da die Massenmedien alle As-pekte des Lebens durchdrungen haben, wäre - oder wir können auch sagen, ist - der Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, Glaube und Unglaube größtenteils ein Kampf zwischen Herz und Verstand, ein Kampf der Überzeu-gungskraft, der Ideen und der Zivilisation. Es ist in ers-ter Linie ein kultureller und wirtschaftlicher Krieg, und weniger ein physischer jihad. Doch dies setzt sich natür-

11 Nursi, The Words (2. Bde.) [Engl- Übers.] (Istanbul 1998) 272

12 Ibid.

14 SÜKRAN VAHIDE

lich unter bestimmten Bedingungen und an einer Viel-zahl von Fronten fort.

Der zweite Faktor, der die Interpretation des Alten Said über den jihad prägte, bezog sich insoweit auf den ersten Faktor, als die muslimische Welt sich nicht über die Entwicklung der Wissenschaft im Westen auf dem Laufenden gehalten hatte und deshalb in Bezug auf Technologie und Fortschritt ins Hintertreffen geraten war. Dies öffnete nicht nur den Weg zur Unterwerfung durch ihren traditionellen Feind, sondern war auch der Grund dafür, dass der Koran und die Grundlagen des Islam dem Angriff preisgegeben wurden, insbesondere mit dem Aufkommen der materialistischen Philosophie.

Wissenschaftlicher Jihad (Jihad-i ’Ilmi)

Somit sehen wird, dass die bereits erwähnten Punkte den größten Einfluss auf Nursi in seiner Jugend ausüb-ten und dazu beitrugen, dass er sich auf eine neue Form des Kampfes vorbereitete. Seine Absicht, den Koran gegen die Angriffe, denen er ausgesetzt war, zu verteidi-gen, kristallisierte sich heraus, als er um die Jahrhun-dertwende von den ausdrücklichen Drohungen erfuhr, die der britische Staatsmann Gladstone gegen den Islam gerichtet hatte. Dieses Ereignis war für ihn eine Art Wendepunkt und veranlasste ihn dazu, sein Leben und

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 15

sein Lernen der Verteidigung des Korans zu widmen.F

13F

Zu jener Zeit beherrschte er bereits den Großteil der damaligen mathematischen und exakten Naturwissen-schaften, neben den traditionellen religiösen Wissen-schaften. Verschiedene Ereignisse, so wie der Traum, den er zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatteF

14F, bestärk-

ten seinen Entschluss, die „Wunderhaftigkeit des Ko-rans“ zu beweisen; d.h. dass der Koran das offenbarte Wort Gottes ist und die Quelle vom wahren morali-schen, spirituellen und materiellen Fortschritt des Men-schen.

Nursi bereitete sich schon früh auf diesen wissen-schaftlichen jihad vor. Wie seine ‚offizielle Biographie’ berichtet, war bereits im Alter von sechzehn oder sieb-zehn (d.h. um 1892-1894), während er in Bitlis wohnte, der Hauptgrund dafür, dass er sich intensiv mit dem Studium der wichtigsten Quellen der islamischen Wis-senschaften beschäftigt, die Absicht „den Zweifeln und dem

13 Nursi, Sikke-i Tasdik-i Gaybi (Istanbul 1960) 76

14 Nursi, Letters 1928-1932: From the Risale Collection [Engl. Übers.] (Istanbul 1997) 433

16 SÜKRAN VAHIDE

Skeptizismus über den Islam zu begegnen“F

15F (verursacht

durch Angriffe im Namen von westlicher Wissenschaft, Philosophie und Fortschritt). In Van studierte und be-herrschte er die modernen Wissenschaften – eine Tatsa-che, die für Religionsgelehrte zu jener Zeit einzigartig war -, denn er „war zu der Ansicht gelangt, dass in die-sem Jahrhundert der althergebrachte Stil der Wissen-schaft des kalam (scholastische Theologie) nicht aus-reichte, um die Zweifel zu widerlegen, die gegenüber dem Islam angebracht wurden.“ In anderen Worten be-stand ein Ziel seines wissenschaftlichen jihad darin, den kalam zu mod

ernisieren.

Nursi beschränkte seine Bemühungen nicht auf den Erwerb von Wissen; das Projekt, das er in jener Periode am aktivsten verfolgte war die Gründung seiner Univer-sität im Osten, der Medresetü’z-Zehra, wo er seine I-deen zu einer Bildungsreform, insbesondere der ge-meinsamen Lehre der traditionellen und modernen Wis-senschaften, umzusetzen hoffte.

Zivilisation und Jihad

Mit seinen Bemühungen verfolgte Nursi die Absicht, der islamischen Zivilisation wieder zu ihrem ange-

15 Risale-i Nur Külliyati Müellifi, Bediuzzaman Said Nursi, Ha-yati, Mesleki, Tercume-i Hali (Istanbul 1976) 43

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 17

stammten Platz zu verhelfen; dies stand im Mittelpunkt seines Anliegens. Denn seiner Ansicht nach war der Is-lam der Ursprung der wahren Zivilisation, und somit konnte die muslimische Welt nur mit Hilfe des Islams wahre Fortschritte machen und ihre rechtmäßige Herr-schaftsstellung wiedererlangen. Dies bedeutete auch, dass die ganze Menschheit nur durch den Islam und durch die Wiedereinsetzung der islamischen Zivilisation Erlösung und Frieden finden würde.

Insbesondere während der Tanzimat hatten die Herr-scher der Türkei den Fehler begangen, den wissen-schaftlichen Fortschritt, aus dem der klare militärische und wirtschaftliche Vorsprung Europas stammte, dem Denken und der Zivilisation des Westens zuzuschrei-ben, und hatten daher begonnen, den Islam zu verwer-fen und in vielen Lebensbereichen westliche Modelle zu übernehmen. Anders ausgedrückt hatten sie den Prozess der Verwestlichung in Gang gesetzt. Jedoch hatten sie nicht, wie von Nursi befürwortet, „nützliche Dinge“ wie Wissenschaft und Technologie vom Westen übernom-men, sondern seine „Ungerechtigkeiten und Laster“, und weil sie „die Religion im Gegenzug als Bestechung hergege-ben hatten, hatten sie nicht einmal die Welt gewonnen.“F

16F Ob-

16 Nursi, The Damascus Sermon (Istanbul 1996) 38.

18 SÜKRAN VAHIDE

wohl es zweifellos ihre Absicht war, das osmanische Reich zu stärken und seinen Verfall aufzuhalten, bewirk-ten diese höchst unglücklichen Schritte genau das Ge-genteil und trugen dazu bei, dass die Abhängigkeit der Osmanen von Europa weiter zunahm, und zwar nicht nur in wirtschaftlicher und materieller, sondern auch in intellektueller Hinsicht. Dies erzeugte bei den Osmanen, die dem europäischen Einfluss offen gegenüberstanden, einen Mangel an Vertrauen in den Islam. Sie schlossen sich den Feinden des Islams an und vertraten die Mei-nung, der Islam stehe Wissenschaft und Fortschritt feindlich gegenüber und sei sogar der Grund für den Niedergang der Osmanen.

Nursi bemühte sich deshalb zu zeigen, dass das Ge-genteil zutraf. So wie die Zivilisation nicht „das Eigen-tum des Christentums war“F

17F, sei der Islam „der Eigen-

tümer jeglicher Errungenschaft .. , geschmückt mit der wahren Zivilisation und den positiven und wahrhaften Wissenschaften“;F

18F der Islam fordere nachdrücklich den

Fortschritt und umfasse alle Erfordernisse der Zivilisa-

17 Siehe Nursi, Sunuhat (Istanbul 1977), 60-61; Nursi, Letters 1928-1932, 547.

18 Nursi, The Damascus Sermon, 36-37.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 19

tion.F

19F Aus diesem Grund, so Nursi, seien die Muslime

zivilisatorisch so weit vorangekommen, während sie gleichzeitig an ihrer Religion festhielten. Immer wenn sie die Religion weniger achteten, machten sie Rück-schritte und erlitten Niederlagen, während auf die Mit-glieder anderer Religionen das Gegenteil zutreffe.F

20 Sowohl während der erstgenannten Periode, als auch

unter der Republik (nach 1924) stellte Nursi viele Ver-gleiche zwischen der Zivilisation des Westens und der islamischen Zivilisation an, um diese Punkte aufzuzei-gen. Der Hauptunterschied zwischen den beiden rührt aus der Tatsache her, dass die islamische Zivilisation auf göttlicher Offenbarung basiert, während die westliche Zivilisation auf den Prinzipien der griechischen und rö-mischen Philosophie gründet. Da die westliche Zivilisa-tion fern vom wahren Christentum ist, überwiegen die Übel der Zivilisation ihre Vorteile. Ausschweifung und Genusssucht, soziale und wirtschaftliche Ungerechtig-keit herrschen vor und führen zu einem allmählichen

19 Nursi, „Bediuzzaman’in Fihriste-i Maksadi“ (Volkan Nr. 83) in Asar-i Bedi’iye, 373.

20 Siehe Nursi, The Damascus Sermon, 28; Nursi, Münazarat (Istanbul 1977), 38; Nursi, Sunuhat, 36.

20 SÜKRAN VAHIDE

Niedergang, der letztendlich ihren Zusammenbruch verursachen und den Weg freimachen wird für die Ein-setzung der islamischen Zivilisation.F

21 Angesichts dieser Tatsachen erklärte Nursi, dass die-

ses Zeitalter, gekennzeichnet durch `Lobreis und Hochhalten des Wort Gottes ’- einer der Gründe des jihad und Pflicht für alle Gläubigen - vom „materiellen Fortschritt abhing“; das Wort Gottes hochzuhalten war dadurch möglich, dass „die wahre Zivilisation erreicht wurde...In der Zukunft werden die immateriellen Schwerter der wahren Zivilisation, der materielle Fort-schritt, Wahrheit und Gerechtigkeit, den Feind vernich-tend schlagen und zerstreuen, anstelle des [physischen] Schwerts.“F

22F

Nursi glaubte darüber hinaus, dass die Hauptgefahr für die Muslime in diesem Zeitalter nicht vom Feind von ’außen’ drohte, sondern vom dreifachen Feind in Gestalt von „Unwissenheit, Armut und Zwistigkeit“ – der Antithese des Islam. Diese „erbarmungslosen“

21 Siehe Nursi, Muhakemat (Istanbul 1977) 37-38. Zum Ver-gleich zwischen den beiden siehe Nursi, Sunuhat, 43-46; Nursi, The Words, (2 Bde.) (Izmir 1997) 145-146, 420-424, 745-748, Nursi, Isaratü’l-I’caz [Türk. Übers. Abdülmecid Nursi] (Istanbul 1978) 47-49.

22 Nursi, The Damascus Sermon, 85.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 21

Feinde und ihre Folgen waren der Grund für den Nie-dergang der muslimischen Welt und hielten die Muslime davon ab, ihrer Pflicht, das Wort Gottes hochzuhalten, nachzukommen.F

23

Der äußere Jihad beim Alten Said

Diese Sätze fassen zusammen, welche Form in Nursis Augen der äußere jihad im Idealfall in der modernen Welt annehmen sollte. Früher, im Mittelalter, waren die Muslime dazu gezwungen, angesichts der Barbarei, Bi-gotterie und Aggression jener Zeit das Schwert zu schwingen. Doch „in [dieser] Zeit der Zivilisation sind die Europäer zivilisiert und stark ...[und] aus der Sicht der Religion müssen die Zivilisierten durch Überzeugungskraft erobert werden, und nicht durch Gewalt; und durch die Beherzigung der Befehle [des Islams] durch Handeln und gute Moral sollen [die Musli-me] zeigen, dass der Islam erhaben ist und es verdient, geliebt zu werden.“F

24F Somit ist die Annahme und das Befolgen der

Moralität des Islams nicht nur ein wichtiger Bestandteil des Fortschritts, sondern zeigt den erhabenen und lie-

23 Nursi, „Reddü’l-Evham“ (Volkan Nr. 91) in Asar-i Be-di’iye, 381; Nursi, The Damascus Sermon, 78

24 Nursi, „Reddü’l-Evham“ (Volkan Nr. 91) in Asar-i Be-di’iye, 381-382.

22 SÜKRAN VAHIDE

benswerten Charakter des Islams. Dies ist ein bedeuten-der Bestandteil dessen, was mit „das Wort Gottes hochhal-ten“ gemeint ist, und würde bewirken, dass viele Men-schen dem Islam beiträten.F

25 Der letzte Punkt ist wichtig in Zusammenhang mit

dieser idealen Sichtweise des äußeren jihad. Wie bereits erwähnt war Nursi fest davon überzeugt, dass die Menschheit in der wahren Religion des Islams Erlösung finden würde und dass dadurch ein universaler Frieden eingerichtet würde. Er brachte viele Argumente vor, die diese Behauptung stützten, und wiederholte seine An-sicht bei vielen Gelegenheiten. Kurz gesagt meinte er, dass die Menschheit in diesem Zeitalter einerseits durch den wissenschaftlichen Fortschritt „erweckt“ worden war, und andererseits durch Krieg und ähnliche furchtbare Ereignisse. Hat man erst einmal ihre umfassende Natur und Möglichkeiten erfasst, dann könne man nicht länger ohne Religion leben; man musste den wahren Sinn des Lebens finden.F

26

Der Physische Jihad beim Alten Said

25 Siehe Nursi, The Damascus Sermon, 29.

26 Siehe ibid., 29-36, 39-43; Nursi, Münazarat, 37-38.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 23

Man sollte nicht denken, dass Nursi in irgendeiner Weise gegen den physischen jihad war. Wenn die Um-stände es erforderten, d.h. angesichts von Aggression von außen, gehörte Nursi zu den heldenhaftesten Kämpfern bei der Verteidigung des Landes. Die Miliz der Pelzkappen, die er auf Befehl von Enver Pascha in Ostanatolien aufbaute, waren schlagkräftige Kämpfer gegen die armenischen dashnak Revolutionäre und die Russen. Nursi erhielt sogar eine Kriegsmedaille für seine herausragenden Verdienste im Kampf gegen die Russen.

Man sollte dabei jedoch bedenken, dass Nursi seinen Stift niemals aus der Hand legte, wenn er diesen jihad gegen die russische Invasion kämpfte. Selbst unter hef-tigem russischen Beschuss ging er nur ungern in die Schützengräben und fuhr damit fort, die Mysterien der Wortordnung des Korans zu deuten und zu Pferde ei-nem Schreiber zu diktieren. Dies zeigt überdeutlich, für wie wichtig er den wissenschaftlichen jihad hielt, und drückte dies auch selbst im Vorwort des Werks aus, das er Isharat al-I’jaz nannte.F

27

27 Nursi, Isharatu’l-I’caz, 7-8.

24 SÜKRAN VAHIDE

10BZwei wichtige Punkte, die den politischen Kampf und die öffentliche Ordnung betreffen Es war Nursis Schicksal, dass er sowohl in der Periode

des Alten Said, als auch zur Zeit der Republik als Neuer Said Taten angeklagt wurde, die genau das Gegenteil von seinem eigentlichen Tun waren. Obwohl er in der ersten Zeit als ‚öffentliche Figur’ aktiv an jenen Berei-chen des öffentlichen Lebens teilnahm, die der Sache des Islams und dem osmanischen Reich dienen würden, vermied er eine direkte Einmischung in die Politik. Er hielt den politischen Kampf nicht für eine angemessene Form von jihad, weder zu jener Zeit, noch später. Wenn er sich mit der Politik befasste, dann nur zu dem Zweck, die Politik in den Dienst der Religion zu stellen, die Machthaber auf islamische Prinzipien aufmerksam zu machen oder nach Möglichkeiten zu suchen, den Ver-lauf der Ereignisse in islamische Kanäle zu leiten. Auf diese Frage wird im nächsten Abschnitt ausführlicher eingegangen.. Selbst in Hinblick auf die islamische Ein-heit, eine Sache, die er aktiv in der frühen Periode seines Lebens verfolgte und worüber er in seinen letzten zehn Jahren wieder sprach, befürwortete er keinen politischen Kampf.

Obwohl er das folgende im Namen des Ittihad-i Mu-hammedi Cemiyeti schrieb, der Gesellschaft für musli-mische Einheit, können wir davon ausgehen, dass es

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 25

seine eigene Meinung wiedergab: „Unser Weg befasst sich nur mit Moralität und Religion...sein Pfad soll durch die morali-schen Qualitäten des Propheten Mohammed geformt werden und seine Gepflogenheiten (Sunna) wiederbeleben; als Führer dient die hochgeschätzte Scharia; sein Schwert sind schlagende und logische Beweise; und sein Ziel ist es, das Wort Gottes hochzuhalten.“F

28F

„Die Methode der Gesellschaft besteht darin, mit der eigenen [ins-tinktiven] Seele den größeren jihad (jihad-i akbar) zu führen und andere zu leiten. Neunundneunzig Prozent [ihrer] Bestrebungen richten sich nicht auf die Politik, sondern auf legale Ziele wie z.B. edle Moral und richtiges Verhalten, die das Gegenteil von Politik sind....“F

29 Ein zweiter Punkt, dessen Nursi von den Gerichten

fälschlicherweise beschuldigt wurde, und zwar sowohl in der konstitutionellen Periode, als auch unter der Repu-blik – eine Angelegenheit, die für sein Verständnis des jihad wesentlich war – war die Frage der Aufrechterhal-tung von innerer Ordnung und öffentlicher Sicherheit. Auch diese Frage wird im nächsten Abschnitt eingehend behandelt werden. Hier möchte ich nur erwähnen, dass

28 Nursi, „Bediuzzaman’in Fihriste-i Maksadi“ (Volkan Nr. 84) in Asar-i Bedi’iye, 377.

29 Nursi, „Reddü’l-Evham“ (Volkan Nr. 90) in Asar-i Bedi’iye, 381; Nursi, Damascus Sermon, 84-85.

26 SÜKRAN VAHIDE

Nursi, obwohl er nach den Vorkommnissen vom 31. März unter dem Vorwand verhaftet wurde, in den Itti-had-i Muhammedi Cemiyeti verwickelt zu sein, der wie-derum beschuldigt wurde, die Revolte angezettelt zu ha-ben, tatsächlich durch Zeitungsartikel und persönliche Ansprachen nicht weniger als acht Bataillone meutern-der Soldaten davon überzeugt hatte, ihren Offizieren zu gehorchen und in die Kasernen zurückzukehren. Somit hatte er dazu beigetragen, die Revolte niederzuschla-gen.F

30F Und weil er jener Angelegenheit so viel Bedeu-

tung beimaß, ebnete Nursi darüber hinaus mehrere heikle Situationen in jener schwierigen Epoche, indem er seinen Einfluss, sein Ansehen und seine Redegabe einsetzte. Beispiele dafür sind die Versammlung der kurdischen Gepäckträger während des Boykotts von Waren aus Österreich, die Aufruhr während des Vor-trags von Mizanci Murad Bey im Ferah Theater in Seh-zadebasi, und das Treffend der medrese Studenten in Beyazit im Februar 1909.F

31

30 Siehe Nursi, Divan-i Harb-i Örf i (Istanbul 1975) 22-25.

31 Sükran Vahide, The Author of the Risale-i Nur, Bediuzzaman Said Nursi (Istanbul 1992) 68-71.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 27

Der Neue Said Mit der Errichtung der Republik im Jahr 1923 gelang-

ten die gegen den Islam gerichteten Elemente zur Vor-herrschaft und nutzten die Macht des Staates dazu, der türkischen Gesellschaft schrittweise ein „nicht-islamisches“ System aufzuerlegen. Sie übernahmen Re-gierungs- und Verwaltungszweige aus den verschiede-nen Ländern des Westens und machten die positivisti-sche Philosophie zur Grundlage, mit der Absicht, einen „modernen“ und „säkularen“ Staat nach westlichem Vorbild zu schaffen. So wie die Kultur und die Gepflo-genheiten des Westens in der Türkei zur Lebensweise werden sollten, so wurden die Prinzipien der westlichen materialistischen Philosophie zur Lebensgrundlage ge-macht. Kurz gesagt sollte die materialistische Philoso-phie den Platz der islamischen Religion einnehmen.

Auf diese Weise wurde die Türkei zur vordersten Front des Kampfes gegen Unglaube und Materialismus in der Form, die dieser Kampf in der heutigen Welt an-genommen hat, genauso, wie sie vier Jahrhunderte lang das Zentrum des Kalifats gewesen war, das „Banner der muslimischen Welt getragen“ und sie in den physischen jihad geführt hatte. Nursi selbst sagte bei mehreren Ge-legenheiten, dass, selbst wenn er sich in Mekka befinden würde, er in die Türkei gereist wäre, um „diesen Dienst am Koran auszuführen, nämlich den Glauben zu be-

28 SÜKRAN VAHIDE

wahren....“F

32F Bei der Untersuchung von Nursis Antwort

auf diese Entwicklungen findet man zwei erwähnens-werte Punkte, die dabei helfen, sie zu aufzuklären. Ers-tens hatte er mit seiner Verwandlung in den Neuen Said den Koran zu seinem „einzigen Führer“ gemacht; all sein Denken und seine weiteren Arbeiten wurden da-durch direkt inspiriert.

Zusätzlich hatte Nursi von Anfang an verstanden, welchen Weg die neuen Führer der Türkei nehmen würden, und dass man sie im Reich der Politik nicht würde schlagen können. Nach Ansicht seiner ‚offiziellen Biographie’ erkannte er, dass die Gottlosigkeit, die die neuen Führer demonstrierten, nur mit dem „Schwert der Wunderhaftigkeit des Korans“ besiegt werden kön-ne.F

33F Deshalb zog er sich ganz aus dem sozialen und po-

litischen Leben zurück, und als er 1925 ins Exil ge-schickt wurde, begann er, Abhandlungen zum Beweis der Glaubensgrundlagen zu schreiben, die direkt vom Koran inspiriert waren. In anderen Worten verlangte der Niedergang, der dazu geführt hatte, dass im ehema-ligen Zentrum des Islams ein dem Islam feindlich ge-sinntes Regime errichtet worden war und damit auf den

32 Nursi, Emirdag Lahikasi (Istanbul 1959) i, 191.

33 Risale-i Nur Külliyati Müellifi, 131.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 29

besorgniserregenden Zustand der islamischen Welt hin-wies, nach Ausbesserung, Erneuerung und Wiederauf-bau von Grund auf.

Manevi Jihad

Nursi nannte den Kampf, den er angeregt hatte, manevi jihad und „positives Handeln“, was mit „nicht-physischer jihad“, „jihad des Wortes“ oder „moralischer jihad“ übersetzt werden könnte. Wie angemessen dieser jihad war zeigt sich in der Tatsache, dass sich die Erneu-erungsbewegung, die Nursi begonnen hatte, beständig ausweitete und an Stärke gewann. Nach etwa zwanzig Jahren Kampf, gegen Ende der vierziger Jahre, konnte er behaupten, dass die Risale-i Nur Bewegung [im Fol-genden Nur Bewegung genannt] „den Rücken des Un-glaubens gebrochen“ und den „Atheismus vernichtend geschlagen hatte.“F

34 Darüber hinaus bestand kein Zweifel daran, dass die

Nur Bewegung und ihre Methode des „positiven Han-delns“ das Wiedererscheinen des Islams, das in der Tür-kei in den letzten Jahren zu beobachten ist, ermöglicht hatte,.

34 Z. B. Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 66, 123, 151.

30 SÜKRAN VAHIDE

Eine Schlüsselpassage, die das Konzept des manevi ji-had beschreibt, befindet sich am Ende des elften Licht-strahls (Meyve Risalesi).F

35F In dieser Passage drückt Nursi

indirekt die Ansichten aus, die er bereits Anfang des Jahrhunderts geäußert hatte, dass nämlich das Zeitalter von „Gewalt und Zwang“ vorbei sei, und dass der aktuelle Kampf im wesentlichen ein Kampf des Wissens, der Wissenschaft und Überzeugungskraft sei. Hier setzt er den Kampf jedoch in Zusammenhang mit bestimmten Prinzipien, die das Resultat dieser Entwicklung sind und sagt darüber hinaus, dass der Koran selbst auf diese Prinzipien anspielt. Für Nursi sind demnach Prinzipien wie „Gewissensfreiheit“ notwendige Ergebnisse des Zeitalters der Wissenschaft – des heutigen Zeitalters – und er sagt, dass der religiöse jihad eine Form haben sollte, die dem angemessen sei. Und so wie der Koran darauf hinweist, so liefert er auch die Mittel dazu, solch einen jihad zu verfolgen. Um die Reinheit solch eines ji-hads zu wahren, sollten diejenigen, die ihn ausführen, ei-nem politischen oder „materiellen“ Kampf fernbleiben. Es ist paradox, dass jemand, der die universale Aner-kennung von Prinzipien wie „Gewissensfreiheit“ in die-ser Form befürwortete, was der Ablehnung von Zwang

35 Nursi, The Rays Collection [Engl. Übers.] (Istanbul 1998) 289-290.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 31

in religiösen Angelegenheiten gleichkommt, und der so-gar gegen den politischen Kampf für die Sache der Reli-gion war, fünfunddreißig Jahre des Exils und der Haft erdulden musste unter dem Vorwand, gegen das Prinzip des Säkularismus verstoßen zu haben– dessen grundle-gender Bestandteil die Gewissensfreiheit ist.

Um das Konzept des manevi jihad besser zu verstehen, werden wir zunächst seine beiden wichtigsten „Waffen“ untersuchen, nämlich den durch Nachforschung erwor-benen sicheren Glauben (iman-i tahkiki) und das „imma-terielle Schwert“ des Risale-i Nur [im Folgenden Risale genannt], welches „Hunderte von Mysterien der Religi-on gelöst und darum materielle Schwerter überflüssig gemacht hatte.“ Zweitens werden wir ausführlich auf die Frage eingehen, welche Haltung Nursi der Politik ge-genüber einnahm, und warum er und die Studenten des Risale es vermieden, sich in die Politik einzumischen.

Das Schwert des „Sicheren Glaubens“

Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, dass nach der zu Anfang dieses Kapitels erwähnten Klassifi-kation von jihad lediglich zwei seiner dreizehn „Stadien“ den physischen jihad im Sinne der Gewaltanwendung enthalten. Der Hauptzweck des jihad ist es, den „Un-glauben zu bezwingen und dafür zu sorgen, dass das Recht vorherrscht“ und „Gottes Religion beizustehen und

32 SÜKRAN VAHIDE

sein Wort hochzuhalten.“ Wie ein zeitgenössischer Religi-onsgelehrter es ausdrückt, besteht somit, in Überein-stimmung mit dem Hadith „führt jihad gegen die Po-lytheisten...mit Worten,“F

36F eine wichtige Form des jihad dar-

aus, den Unglauben durch die Anwendung jeglicher Form von Beweis, Argument, Debatte, Propaganda und durch schriftliche oder mündliche Kommunikation mit allen Mitteln zu führen, so wie es die Situation erfor-dert.F

37 Selbst ein oberflächlicher Blick auf das Risale, der

Sammelbegriff für die Traktate, die Nursi zu schreiben begann, als er ins Exil geschickt wurde, zeigt, dass es Merkmale aufweist, die es dazu prädestinieren, einen solchen „verbalen“ jihad gegen Unglauben, Innovation und materialistische Philosophie zu führen, die der Tür-kei aufgezwungen wurden. Und viele seiner Leser haben bezeugt, dass sie genau durch diese Merkmale zu „si-cherem und bestätigtem Glauben“ geführt wurden.F

38F

Das herausragendste Merkmal des Risale ist, dass es fast ausschließlich von den Glaubenswahrheiten und damit

36 Abu Da’ud, „jihad“, 18 (2504); Nasa’i, “Jihad”, 1 (6,7), zi-tiert in Kutub-i Sitte, v, 67.

37 Siehe Kutub-i Sitte, v, 67.

38 Z.B. Nursi, Kastamonu Lahikasi (Istanbul 1960), 84

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 33

verwandten Dingen handelt. Durch logische und durch-dachte Argumente wird bewiesen und aufgezeigt, dass diese Wahrheiten rational und notwendig sind. Es ver-wendet den Vergleich und die Allegorie in einer Weise, die selbst die schwierigsten Fragen klärt. Ein wesentli-cher Teil basiert auf ausführlichen Vergleichen zwischen dem Koran, seiner Weisheit und Zivilisation, sowie der Philosophie des Westens, ihren „Folgen“ und der a-bendländischen Zivilisation. Die westliche Zivilisation und ihre Angriffe auf den Islam werden widerlegt, und es wird gezeigt, dass nur der Koran zur wahren Freude und zum wahren Fortschritt der Menschheit führen kann. Die Wahrheiten der Religion und der modernen exakten Naturwissenschaften werden einander gegen-übergestellt und viele dieser Wahrheiten werden im Licht der Wissenschaft beleuchtet. Dieser Punkt betrifft das Risale dort, wo es „das Antlitz des Korans darlegt, das sich auf die Moderne bezieht“, denn inspiriert durch die koranische Methode, die Menschen dazu anzuleiten, über die göttlichen Werke nachzudenken, die im Funk-tionieren des Universums manifestiert sind, eröffnete Nursi mit dem Risale und durch das reflektierende Nachsinnen über das Universum und die darin enthal-tenen Manifestationen der göttlichen Namen einen neuen und „direkten Weg zur Wirklichkeit“. Gleichzei-tig entkräftet es die materialistische Philosophie und wi-

34 SÜKRAN VAHIDE

derlegt klar und eindeutig die Konzepte von ‚Natur’ und ‚Kausalität’, auf denen sie basiert.

Diese einmalige und dynamische Methode des reflek-tierenden Denkens zeigt, so Nursi, „die Lichter der gött-lichen Einheit“ genau an den Stellen, die dem Natura-lismus und anderen materialistischen Philosophien als Grundlage für ihre irrigen Ideen dienen, und „zerreißt somit die Schleier, hinter denen sie sich verstecken wol-len.“F

39F Zusätzlich beweist das Risale durch die gerade

beschriebene Methode und in einer einfach zu akzeptie-renden Weise Glaubensfragen, vor denen selbst die größten Gelehrten früherer Zeiten ihre Ohnmacht be-kannt hatten, wie z.B. die körperliche Wiederauferste-hung, göttlichen Ratschluss (Vorherbestimmung), den Willen des Menschen und viele andere Mysterien, wie den beständigen Wandel im Universum, das Ego des Menschen oder die Bewegung der Partikel.F

40F Wir kön-

nen also sagen, dass das Risale eine Erklärung für die Re-ligion liefert, die für die Menschen des 20. Jahrhunderts von Bedeutung ist, da es sowohl ihren Verstand, als auch andere innere feine Fähigkeiten anspricht und auf die Bedürfnisse der Zeit eingeht. Für diejenigen, die der

39 Ibid. 174-175.

40 Nursi, Letters 1928-1932, 438-439.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 35

Methode des Risale folgen, wird der Glaube (iman) ein lebenswichtiger, andauernder Prozess und entwickelt sich in unzähligen Stufen bis zur Gewissheit.F

41 Nursi nannte einen derartigen Glauben iman-i tahkiki,

was mit ‚verifiziertem’ oder ‚bestätigendem’ Glauben übersetzt werden kann, oder ‚durch Erkundigung oder Nachforschung ermittelter Glaube’. Es ist das Gegenteil des taqlidi iman, d.h. Glaube durch blinde Imitation oder Gewohnheit. Heutige Wissenschaftler haben daher Nur-sis Bemühungen anerkannt, durch das Risale die Wissen-schaft des kalam zu erneuern, damit sie für heutige Be-dürfnisse von Belang ist.F

42

Der tatsächliche Kampf

Die natürliche Folge dieses dynamischen intellektuel-len Kampfes gegen den aufgezwungenen Unglauben be-stand aus dem tatsächlichen Kampf, die Traktate des Ri-sale unter den feindseligen und mittellosen Bedingungen der 1920er, 1930er und 1940erJahre zu schreiben und zu verbreiten. Die meiste Zeit war es nämlich faktisch ver-boten, religiöses Material zu schreiben und zu veröffent-

41 Siehe Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 102-103

42 Abdulkadir Harmanci, Said Nursi’nin Risalerinde Kelam-Felsefe Problemleri (Istanbul o.D.), 121

36 SÜKRAN VAHIDE

lichen, wenn auch nicht per Gesetz. Daher wurde das Risale im Gebirge und auf dem Land verfasst und Nursi diktierte es einem Schreiber. Da es nach der Abschaf-fung und dem Verbot der arabischen Schrift keine Dru-ckerpressen mehr gab, mussten alle Kopien von Hand geschrieben werden, ein Unterfangen, das Mut erforder-te, denn denjenigen von Nursis Studenten, die diese Aufgabe übernahmen, drohte Verhaftung, Gefängnis und Verfolgung durch die Behörden Diese Aufgabe ver-langte auch ein beträchtliches Maß an Selbstaufopfe-rung, da Papier und Tinte nur schwer zu beschaffen wa-ren und die meist armen Studenten ihren eigenen Le-bensunterhalt vernachlässigen mussten. Nursi ermutigte seine Studenten unentwegt bei diesem „Bemühen (muca-hede), die Lichter des Glaubens zu veröffentlichen“, und zitierte bisweilen das Hadith: „Am Tag des jüngsten Ge-richts wird die Tinte, die die Religionsgelehrten verbrau-chen, genauso viel wiegen wie das Blut der Märtyrer,“F

43F

und betonte dadurch die überragende Bedeutung dieser Aufgabe. Er impfte ihnen ein, dass ihre Arbeit „wichti-

43 Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 81; Nursi, The Flashes [Engl. Übers.] (Istanbul 2000) 222; Nursi, Kastamonu Lahikasi, 184; A. Hadith Ghazzali, Ihya’ ’Ulum al-Din (Cairo 1968) i, 6; al-Munawi, Fayd al-Qadir, vi, 466; al-’Ajluni, Kashf al-Khafa’, ii, 561; Suyuti, Jami al-Saghir, Nr. 10026.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 37

ger war als selbst die wichtigste andere Angelegen-heit.“F

44 Die Bewegung wuchs beständig, und Nursi verfolgte

das Ziel, dass sich unter den Studenten, zu denen er auch sich selbst zählte, eine kollektive Persönlichkeit (sahs-i manevi) bildete. Er legte daher großen Wert darauf, dass die Studenten Aufrichtigkeit (ihlas) erwarben und ihre individuelle Persönlichkeit oder ‚Egos’ für das ‚Wir’ der kollektiven Persönlichkeit aufgaben. Er war der An-sicht, dass im heutigen Zeitalter – dem Zeitalter des Ego – dieser Kampf mit der Seele (jihad-i akbar) nötig war, denn nur eine kollektive Persönlichkeit dieser Art konn-te erfolgreich die kollektiven Persönlichkeiten der Kräf-te von Irreleitung und Unglauben bekämpfen.F

45

Der ‚Manevi Jihad’ und Nursis Haltung gegen-über der Politik

Die Grundlage für Nursis manevi jihad und sein Ziel waren somit Erneuerung und Wiederaufbau auf der fundamentalsten Ebene – der Ebene des Glaubens. Er bestand immer darauf, dass dies alle anderen Angele-

44 Nursi, Hizmet Rebberi (Istanbul 1991) 170-172.

45 Siehe Nuris, Kastamonu Lahikasi, 102, 135; Nursi, Flashes, 203.

38 SÜKRAN VAHIDE

genheiten an Bedeutung übertraf und setzte diese „Auf-gabe“ in Zusammenhang mit dem Ende der Zeit und sagte, selbst wenn der Mahdi zu jener Zeit käme, dann würde er genau dies zur Grundlage seiner Mission ma-chen und nicht umfassendere Angelegenheiten wie das Kalifat oder die Scharia, auch wenn die beiden letzteren in der Öffentlichkeit für dringlicher gehalten werden.F

46F

Angesichts der derzeitigen Angriffe sind alle anderen Angelegenheiten zweitrangig und weniger wichtig als das Bewahren und die Erneuerung des Glaubens. Da, wie bereits erwähnt, die „nichtphysischen Schwerter“ des Risale aus dem Koran hervorgegangen waren, um diesen manevi jihad zu führen, bedarf es keines „materiel-len“ Kampfes.

Diese Frage ist besonders wichtig, da Nursi der Politik völlig gleichgültig gegenüberstand und sich nicht darin einmischte – auch wenn dies möglicherweise seiner Sa-che dienlich gewesen wäre und ihre Bedingungen er-leichtert hätte. Wir werden daher kurz Nursis Gründe für seine ablehnende Haltung beleuchten, und zwar an-hand von Antworten, die er auf ihm gestellte Fragen gab.

46 Siehe Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 259-261; Nursi, Kastamo-nu Lahikasi, 57, 104.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 39

Erstens mussten die Leute überzeugt und für die Wahrheit „gewonnen“ oder „zurück gewonnen“ wer-den; denn meistens hat die Politik eine negative Auswir-kung:

Die größte Gefahr, die den Leuten des Islam heute droht ist, dass ihre Herzen verdorben und ihr Glaube durch die Irreleitung verletzt wird, die aus der Wissenschaft und Philosophie hervorgeht. Die einzige Lösung dafür ist Licht; das Licht muss ihnen gezeigt werden, damit ihre Herzen reformiert werden können und ihr Glaube gerettet wird... Aus diesem Grund sehe ich mich gezwungen, das Licht mit all meiner Kraft an-zunehmen, doch der Klub der Politik kommt für mich nicht in Frage, unabhängig davon, welche Form er hat.F

47 Zweitens, die ‚Glaubenswahrheiten durften weder aus-

genutzt, noch herabgewürdigt werden. In Nursis Augen standen die Glaubenswahrheiten und der damit verbun-dene Dienst über allem in dieser Welt. Er selbst vermied peinlich jede Aktivität, die zur Ausbeutung dieser religi-ösen Wahrheiten hätte führen können.F

48F Sie durften für

nichts instrumentalisiert oder gar degradiert werden,

47 Nursi, Flashes, 143-144. Siehe auch Nursi, Letters 1925-1932 (Istanbul 1997), 68-70.

48 Siehe Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 266.

40 SÜKRAN VAHIDE

insbesondere nicht für politische Strömungen und Kräf-te. Aus diesem Grunde war es im Hinblick auf den „Dienst am Allweisen Koran“ den Risale Studenten „katego-risch verboten,“ sich in die Politik einzumischen.F

49 Der dritte und wichtigste Grund dafür, dass Nursi die

Politik mied, war die Aufrichtigkeit (ihlas), „die größte Kraft“ des Wegs des RisaleF

50F und seine „Grundlage“.

Die Aufrichtigkeit verlangte es, dass die Risale Studenten ihre „Pflichten“ gegenüber dem Koran so ausübten, dass sie sich „nicht in Gottes Belange einmischten“. Dies ist ein empfindlicher Punkt, wenn es um die Politik geht, und bedeutet, nicht überstürzt zu handeln und keine so-fortigen Ergebnisse zu erwarten.

Viertens stellte sich die Frage von Parteilichkeit und Aufrichtigkeit. Nursi schrieb „Die Aufrichtigkeit, die Grundlage unseres Weges, hält uns ab [von jeglicher Einmischung in die Politik]. Denn in dieser Zeit der Achtlosigkeit nutzt je-mand, der voreingenommene Ideale hat, alles für seinen eigenen Weg aus; ... Die Glaubenswahrheiten und der heilige Dienst des Risale können jedoch durch nichts im Universum instrumentali-siert werden. Ihr einziges Ziel kann nur Gottes Freude sein.“F

51 49 Siehe Nursi, Kastamonu Lahikasi, 96, 105.

50 Ibid., 107.

51 Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 38.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 41

Fünftens hat die Parteilichkeit, abgesehen davon, dass sie die Menschen dazu veranlasst, die Religion auszu-nutzen, weitere negative Folgen, eine davon ist die Zwietracht und das Zerstören der Einheit unter den Muslimen.F

52 Sechstens war die Tatsache, dass die Unschuldigen als

Folge davon Unrecht erleiden mussten ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass Nursi selbst und die Risale Studenten eine Einmischung mit aller Kraft zu vermei-den suchten. Nach Nursis Ansicht widersprach es völlig der islamischen Gerechtigkeit, wenn Unschuldige wegen Schuldigen leiden mussten. Er zitierte dazu den Vers: „Keiner, der Lasten trägt, wird die Last eines anderen tragen“ (z.B. 6:164) als Prinzip in verschiedenen Zusammen-hängen, doch insbesondere dann, wenn er Vergleiche zwischen der islamischen und der heutigen Zivilisation anstellt. Denn es ist ein Prinzip, das von dieser ‚Zivilisa-tion’ beständig verletzt wird. Im Lauf des folgenden Briefes geht er weiter auf den jihad ein und weist darauf hin, dass aus diesem Grund der Gebrauch von Gewalt, selbst wenn er im Namen der Religion erfolgte, im „Gebiet des Islam“ nicht legal sei. Zu bemerken ist hierbei, dass er in diesem letzten Satz (Islam dairesinde)

52 Siehe Nursi, Kastamonu Lahikasi, 84.

42 SÜKRAN VAHIDE

und nicht Dar al-Islam verwendet, wahrscheinlich wegen der politischen Konnotationen des letzteren Begriffs:

Beim jihad – selbst wenn er im Namen der Religion geführt wird – ist die Stellung der [nicht-muslimischen] Frauen und Kinder die gleiche. Sie dürfen zwar als Beu-te betrachtet und von den Muslimen ihrem Besitz hin-zugefügt werden; im „Gebiet des Islam’ kann jedoch die Familie eines Ungläubigen nicht als Besitz genommen werden. Die Rechte [solcher Leute] dürfen nicht verletzt werden. Denn wegen der Bande des Islams sind sie an den Islam und ihre islamische Gemeinschaft gebunden, und nicht an ihren ungläubigen Vater. Jedoch gehören die Kinder von Ungläubigen zu denen, die gerettet wer-den, doch das Gesetz sieht vor, dass diese Unschuldigen beim Ausruf des jihad zu Gefangenen gemacht und dem eigenen Besitz zugeführt werden dürfen, da sie Abhän-gige sind und mit ihren Vätern verbunden bleiben, so-lange sie leben.F

53

Manevi Jihad und ‚positives Handeln’

In der letzten ders (Lektion), die Nursi seinen Studen-ten vor seinem Tod gabF

54F, betonte er, dass das Konzept

53 Nursi, Emirdag Lahikasi, i, 38-39

54 Ibid., ii, 213-219.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 43

des manevi jihad für den Weg des Risale von zentraler Be-deutung sei und wiederholte, dass die Unschuldigen nicht wegen einiger Krimineller leiden dürften. Aus die-sem Grund ist die Anwendung von Gewalt innerhalb des ‚Gebiets des Islam’ nicht erlaubt. „Gewalt darf nur gegen Angriffe von außen angewandt werden, denn die Familien und Besitztümer des Feindes sind als Beute anzusehen.“ Und er wiederholte abermals den Vers: „Keiner, der Lasten trägt, wird die Last eines anderen tragen“ (6:164, 17:15, etc.) und bemerkte dazu, dass heutzutage der Unterschied zwischen externem jihad und internem jihad sehr groß sei. Das Handeln innerhalb dieses Landes, d.h. im ‚Gebiet des Islam’ muss „positi-ves Handeln“ sein. Da die Zerstörung nicht physischer oder materieller Natur ist, sondern moralischer und spi-ritueller (manevi), so sollte auch der Kampf dagegen glei-cher Art sein. „Unsere Pflicht muss das ‚positive Han-deln’ sein, nicht das ‚negative Handeln’. Es gilt, einzig dem Glauben [in den Religionswahrheiten] zu dienen, in Übereinstimmung mit dem göttlichen Wohlgefallen, und sich nicht in Gottes Belange einzumischen....der positive Dienst am Glauben, der die Wahrung öffentli-cher Ordnung und Sicherheit mit sich bringt....“F

55

55 Ibid., 213-214.

44 SÜKRAN VAHIDE

Tatsächliche beschrieb Nursi die Risale Studenten als die „Bewahrer des öffentlichen Friedens.“ Denn beim „Lehren der Glaubenswahrheiten pflanzen sie in den Kopf eines jeden ‚eine Barriere’ gegen [falsches Han-deln] ein, und bewahren dadurch die öffentliche Ord-nung und Sicherheit.“F

56 Der Grund dafür, warum Nursi dieser Funktion des

Risale so große Bedeutung beimaß, wird in einem Brief erläutert, den er Mitte der 1940 Jahre schrieb. Er sagt darin, dass das Risale „eine Art Rettung für dieses geseg-nete Land“ sei und dachte daher, es sei an der Zeit, dass es durch Veröffentlichung in Erscheinung treten sollte, um „die beiden schrecklichen Katastrophen abzuweh-ren“, die ihnen bevorstanden, und die Anarchie und Korruption, die sie zu verursachen suchten.F

57 Eine dieser beiden „Katastrophen“ oder „Strömun-

gen“ war der Kommunismus, der die Türkei nicht nur von Norden her bedrohte, sondern auch im Land Fuß gefasst hatte. Die zweite umfasste die Organisationen, „deren Wurzeln im Ausland lagen“, und deren Ziel es war, Atheismus und Streitigkeiten zu verbreiten und die muslimischen Völker zu verderben. Diese beiden Strö-

56 Ibid., 128.

57 Ibid., I, 101.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 45

mungen stellten den absoluten Unglauben dar. Ihr letzt-endliches Ziel war es, die Welt der Muslime zu zerstören und durch Propaganda die Verbindungen zu durchtren-nen, die noch zwischen ihr und dem ehemaligen Zent-rum des Islams bestanden. Die türkische Nation, die sowohl von ihrer natürlichen Unterstützung als auch vom Islam abgetrennt worden war, der Quelle ihrer Stärke, würde der Korruption der beiden gottlosen Strömungen nicht standhalten können und ein Opfer der Anarchie werden, die aus ihrer moralischen Zerstö-rung folgte.F

58F Denn in Nursis Worten konnte „eine Na-

tion ohne Religion nicht fortbestehen.“F

59F Das Risale war

eine „koranische Barriere“ gegen die Flut des Kommu-nismus aus dem Norden und gegen die „moralische und spirituelle Zerstörung“ durch seine versteckten Helfer im Land. Es war ein „Erneuerer mit der Kraft einer A-tombombe“, um die Korruption zu beheben, die von diesen beiden Strömungen ausging.

In einem als „äußerst wichtig“ gekennzeichneten Brief beschrieb Nursi die wichtigste Aufgabe der Risale Stu-denten zu jener Zeit als:

58 Ibid., 214-216; ii, 177-178.

59 Ibid., ii, 216.

46 SÜKRAN VAHIDE

Die taqwa – [sich der Sünde und dem Verbotenen zu enthalten und Gutes zu tun] – zur Grundlage für ihr Handeln gegen die [moralische] Zerstörung zu neh-men... Wo immer das Risale sich gegen diese fürchterli-che Zerstörung stellt, wiedersteht es ihr und bringt sie in Ordnung. Wie damals, als Gog und Magog Verderben in die Welt brachten, indem sie die Barriere des Dhu’l-Qarnayn zerstörten, so hat nun eine dunkle Anarchie und Gottlosigkeit, die noch schrecklicher ist als die von Gog und Magog, damit begonnen, das Leben und die Moralität zu verderben, indem sie versucht, die Barriere des Koran [und] der Scharia von Muhammad ins Wan-ken zu bringen. So Gott will wird das „nicht-materielle Engagement“ (manevi mücahedeler) der Risale Studenten angesichts dieser Ereignisse ihnen eine große Belohnung bei wenigen Handlungen einbringen, wie in den Zeiten der Gefährten [des Propheten]. F

60 Die Tatsache, dass die Kräfte, deren Absicht es war,

zu verderben und zu destabilisieren, erfolglos waren, obwohl sie in der Türkei aktiver gewesen waren als in anderen Länder, wie z.B. dem Iran, Ägypten und Nord-afrika, schrieb Nursi den 600.000 Exemplaren des Risale

60 Nursi, Kastamonu Lahikasi, 106-107.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 47

und den 500.000 Risale Studenten zu, die die Behörden dabei unterstützten, den Angriffen standzuhalten.F

61

Weitere Aspekte des ‚positiven Handelns’

Der Weg des Risale erforderte ‚positives Handeln’ ge-genüber den Anhängern anderer Wege im Islam, und sogar gegenüber Anhängern abtrünniger Sekten inner-halb des Islams und Christen. Dies galt selbst dann, wenn sie aggressiv oder feindselig waren. Die Gottes-fürchtigen mussten angesichts der Kräfte des Atheismus eine gemeinsame Front wahren und nicht in Streitereien verfallen:

Ermuntert solche Leute nicht dazu, zu diskutieren und Streitgespräche zu führen. Selbst wenn sie aggressiv sind, schlagt nicht zurück.....denn da sie glauben, sind sie in dieser Hinsicht wie Brüder..unser Weg gestattet es nicht, zurückzuschlagen, denn es gibt Feinde....die viel schlimmer sind als diese.....diese außergewöhnlichen Zeiten, unser Weg und unser heiliger Dienst erfordern es, dass wir uns nicht mit denen befassen, die glauben, selbst wenn sie abwegige Ideale haben, oder dass wir uns gar mit den Christen, die doch Gott anerkennen und an das Jenseits glauben, über bestimmte strittige

61 Nursi, Emirdag Lahikasi, ii, 77.

48 SÜKRAN VAHIDE

Punkte streiten.....F

62F Unser Weg ist es, positiv zu han-

deln. Er gestattet uns nicht, über andere [Gläubige] nachzudenken oder gar mit ihnen zu streiten.F

63 Ein weiterer Aspekt des ‚positiven Handelns’ waren

Geduld und Nachsicht angesichts von Unterdrückung; dies verlangte ein extrem hohen Maß an Selbstaufopfe-rung: „Es ist unsere Pflicht, positiv zu handeln, und nicht negativ. Sie besteht einzig daraus, [der Sache] des Glaubens zu dienen in Übereinstimmung mit dem gött-lichen Wohlgefallen, und uns nicht in Gottes Belange einzumischen. Wir haben die Aufgabe, in unserem posi-tiven Dienst des Glaubens jeder Schwierigkeit mit Ge-duld und Dank [zu begegnen]...“ Dann brachte sich Nursi selbst als Beispiel vor, der „ auf die ganze schlech-te Behandlung, die [er] in mehr als 30 Jahren erfahren“ hatte, „mit Geduld und Resignation reagierte, um posi-tiv, und nicht negativ zu handeln....“F

64 Als Grund dafür, dass er auf die „schwere Tyrannei

durch die heimlichen Feinde dieses Landes und der Re-ligion“ nicht mit „Gewalt“ oder „negativem“ Handeln reagiert hatte, gab er wiederum an, dass die unschuldige

62 Nursi, Kastamonu Lahikasi, 186-187.

63 Ibid., 183. Siehe auch Zwanzigster Lichtblitz.

64 Nursi, Emirdag Lahikasi, ii, 213.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 49

Mehrheit nicht wegen „10% gottloser Atheisten“ zu Schaden kommen sollte, und damit die öffentliche Ord-nung gewahrt bliebe.F

65

Der Dritte Said Wie bereits erwähnt bin ich der Meinung, dass Nursi

die allgemeinen Prinzipien, an die der jihad ‚für die Sache Gottes’ und das ‚Hochhalten des Wort Gottes’ in der heutigen Zeit geknüpft sein sollten, so wie dies der Alte Said in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ver-kündete, bereits in seiner Jugend formulierte. An diese Prinzipien hielt er sich sein ganzes Leben lang. Dennoch entwickelte er die ganzen Prinzipien des manevi jihad und des ‚positiven Handelns’ erst als Neuer Said, der dadurch gekennzeichnet war, dass er den Koran als sei-nen „einzigen Führer“ nahm und allein darauf vertraute. Nursi stellte diese Prinzipien niemals in irgendeiner Art von Manifest dar, sondern erklärte sie seinen Studenten, wie es die Umstände erforderten. So erkennen wir, wie mit der langsamen Veränderung und Erleichterung sei-ner Bedingungen während der fünfunddreißig Jahre Exil und Gefangenschaft, dieser jihad langsam Gestalt an-nahm. Meiner Ansicht nach passte er dabei nicht so sehr seine Meinung den sich verändernden Ereignissen an,

65 Ibid., 136-137.

50 SÜKRAN VAHIDE

sondern er bestimmte die Form und die Methode dieses jihads in Abhängigkeit davon, welchen Lauf die Dinge nahmen, und führte seine Studenten und Anhänger. Er legte sogar die Richtlinien dafür fest, wie dieser jihad nach seinem Tod fortzuführen sei, da er den manevi jihad und das ‚positive Handeln’ formulierte als er erkannt hatte, welchen Lauf die Dinge nehmen würden und er vorhersehen konnte, was in der Zukunft geschehen würde. Das außergewöhnliche Wachstum der Risale Be-wegung und ihr weltweiter Erfolg in den fünfunddreißig Jahren, die seither vergangen sind, bezeugt, dass dies tatsächlich der Fall ist.

Abgesehen von der Kontinuität in seinen Gedanken, die ich im Abschnitt über den Neuen Said vorgestellt habe, ist der stärkste Beweis dafür, dass Nursis manevi ji-had sich so entwickelte, wie er es vorhergesehen hatte die Tatsache, dass er in den letzten zehn Lebensjahren, die Periode, die als der Dritte Said bekannt ist, einige Ideen, die er zu Anfang des Jahrhunderts als Alter Said zum Ausdruck gebracht hatte, noch einmal erörterte. Denn mit der Niederlage der Republikanischen Volks-partei (RVP) und der Machtübernahme durch die De-mokratische Partei im Mai 1950 unter Adnan Menderes, der dem Islam positiv gesonnen war und beabsichtigte, die anti-islamischen Maßnahmen der RPV zu revidieren, wurden die Bedingungen für Nursi etwas leichter und ermöglichten es ihm, diesen jihad auszuweiten. Dabei

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 51

traten viele Ideen des Alten Said wieder neu zum Vor-schein, was ein weiterer Anhaltspunkt für die Kontinui-tät in seinem Denken ist. Ebenso legte er die Grundla-gen für die Fortsetzung dieses jihad in der Zeit, wenn er nicht mehr da sein würde, um ihn zu leiten.

Die wichtigsten Aspekte der Ausweitung dieses jihads sind folgende:

Unterstützung von Menderes und seiner Demo-kratischen Partei

In den 1950er Jahren unterstützte Nursi Menderes und die Demokraten auf Grund der Maßnahmen, die sie zu Gunsten von Islam und der Religion ergriffen und damit einen Teil des Schadens (manevi tahribat) behoben hatten, den die fünfundzwanzig Jahre der Herrschaft der RVP verursacht hatte. Dies geschah einerseits, um die RVP daran zu hindern, wieder an die Macht zu kom-men, da die Kommunisten diese Partei als Tarnung be-nutzten und dadurch eine Gefahr für das Land darstell-ten, was sich wenige Jahre nach Nursis Tod bewahrhei-ten würde. Andererseits war er davon überzeugt, dass die Demokraten „die Risale Studenten“ bei ihren Bemü-hungen unterstützten, eine „Barriere“ gegen die morali-sche Zerstörung zu bilden.F

66

66 Ibid., 52, 177-178

52 SÜKRAN VAHIDE

Diese Unterstützung beinhaltete keineswegs einen ak-tiven Eingriff in die Politik, sondern bestand aus Rat und Leitung in Hinblick auf diese Punkte und die Un-terstützung des Risale und der Sache des Islams. Nursi schrieb folgendes and Celal Bayar, nachdem dieser 1950 zum Präsidenten ernannt worden war: „Angesichts de-rer, die uns dadurch unterdrückt haben, indem sie die Politik in fanatischer Weise zum Werkzeug für die Gott-losigkeit gemacht haben, arbeiten wir für das Glück die-ses Landes und dieser Nation, indem wir die Politik zum Werkzeug und zum Freund der Religion machen.“F

67 Für Nursi war der Islam das einzige Mittel zur Erlö-

sung und zum Glück im Diesseits und im Jenseits. Die moralische Zerstörung durch Materialismus und Gottlo-sigkeit hätte Anarchie und Niedergang zur Folge und würde letztlich das Land und die Nation zerstören. Die Kräfte, die auf diese Zerstörung hin arbeiteten, stellten nur eine kleine Minderheit dar, und sie nutzten die Poli-tik für ihre gottlosen Zwecke und waren die Ursache für die ganze Verfolgung und das Unrecht, das Nursi und seine Studenten erlitten hatten. Gegen die Korruption dieser „5 Prozent“ und ihre unheilvollen Ziele hatte Nursi 25 Jahre lang gekämpft.

67 Ibid., 17.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 53

Somit nahm der Rat, den Nursi Menderes und den Demokraten gab, oft die Form an, dass er sie über die verschiedenen atheistischen Strömungen aufklärte und sie vor den möglichen zu erwartenden Folgen ihrer Zer-störung warnte. Als Gegenmittel schlug er verschiedene koranische Prinzipien vor, die diesen Vorgang aufhalten und umkehren würden. Er wollte ihnen klar machen, dass dies im Wesentlichen ein Kampf zwischen Glaube und Unglaube war, zwischen Religion und materialisti-scher Philosophie. Zwischen Glaube und Unglaube gab es nichts, keinen dritten Weg.F

68F Die philosophischen

Prinzipien des Westens, die während der Verwestli-chung übernommen worden waren, waren von Grund auf ungerecht und hatten zu extremer Parteilichkeit ge-führt, zu einer ausbeuterischen und despotischen Büro-kratie, Rassismus, Hass und einer Spaltung innerhalb der Gesellschaft, um nur einiges zu nennen. Durch die Zer-störung der öffentlichen Ordnung und der Einheit und Harmonie der Gesellschaft hatten sie eine erschrecken-de Korruption, Unordnung und Ungerechtigkeit ge-schaffen. Die einzige Lösung angesichts dieser Gefahren waren bestimmte islamische Prinzipien, die zu Brüder-lichkeit, dem Gefühl für eine reine islamische „Nation“,

68 Siehe ibid., 60-61.

54 SÜKRAN VAHIDE

zu öffentlicher Ordnung, wahrer Gerechtigkeit, Solida-rität etc. führten.F

69F Daneben war Nursi der Meinung,

dass nicht „physische Kräfte oder internationale Ab-kommen“ die Gottlosigkeit und ihre Zerstörung aufhal-ten würden, sondern die „Glaubenswahrheiten und der Koran und die religiöse Überzeugung des Herzens (ma-neviyat-i kalbiye).“ Daher begrüßte er die Schritte der Re-gierung, in den Schulen Religionsunterricht als Pflicht-fach einzuführen.F

70 Nursi erinnerte an jene, die in früheren Epochen ähn-

liche Ziele angestrebt hatten, und um sie in dieser Hin-sicht anzuspornen, nannte er die Demokraten Ahrarlar und jene, die für die Hürriyet-i seri’iye arbeiteten, die Frei-heit in Übereinstimmung mit der Scharia.F

71

Ausweitung der Publikation

Angesichts der Tatsache, dass sich das Risale bei der Behebung der moralischen und spirituellen Zerstörung wirkungsvoll gezeigt hatte, versuchte Nursi, offizielle Unterstützung für seine Umsetzung zu bekommen. Er

69 Ibid., 142-145.

70 Ibid., 60.

71 Z.B. ibid., 20,25.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 55

z

iese charakteris-ti

ersuchte die Regierung auch gelegentlich darum, es dru-cken und veröffentlichen zu lassen.F

72F Doch diese Ver-

suche schlugen fehl, und erst im Jahre 1956, als das Risa-le endlich durch das Gericht in Afyon „entlastet“ wor-den war, erlaubte Nursi seinen Studenten, es auf mo-dernen Druckerpressen in lateinischer Schrift drucken u lassen. Von 1950 an wohnten einige von Nursis Studenten in

Ankara, um Arbeiten dieser Art auszuführen. Sie trafen sich mit Abgeordneten der Nationalversammlung und unterstützten aktiv die Sache des Risale. Ankara wurde auch zum Zentrum der Veröffentlichung nach 1956, so dass Nursi seine Studenten dort als ‚an der Front’ (müca-hede cephesinde) bezeichnete.F

73F Bemerkenswert ist, dass die

Risale Studenten die erste gedruckte Kopie in grünen Stoff binden ließen – grün war ja die Farbe des Islam – und es Nursi schenkten, der sich in Isparta aufhielt. Nursi ließ jedoch den Einband entfernen und von ei-nem Buchbinder vor Ort durch einen roten Buchdeckel ersetzen – rot als Farbe des jihad – und d

sche Farbe wurde seither eingehalten.

72 Ibid. 10-11, 151, 178

73 Ibid., 57.

56 SÜKRAN VAHIDE

In den 1950er Jahren ließ Nursi ebenfalls die wichtigs-ten Werke des Alten Said wieder veröffentlichen, wie z.B. die Münazarat und Iki Mekteb-i Musibetin Sehadetname-si veya Divan-i Harb-i Örfi, welche Erörterungen vieler der bereits diskutierten Themen enthielten. Er selbst über-setzte seine berühmte Hutbe-i Samiye (Damaskspredigt) v röffentlichte sie m

nd die Bewegung zunahm. Als Folge davon wur-den im ganz zentren) eröff-n

ch darum zu bemühen, das Risale

om Arabischen ins Türkische und veit einigen Zusätzen.

Ausweitung der Risale Bewegung

Die großangelegte Veröffentlichung des Risale in der neuen Schrift führte dazu, dass die Zahl der Leser des Risale u

en Land dershaneler (Studienet.74 F

Islamische Einheit (Ittihad-i Islam)

Eine weiteres Problem, das in den Bereich des manevi jihad des Dritten Said fällt, und mit dem sich Nursi in seiner Jugend befasst hatte, ist die islamische Einheit. Dies beinhaltete sowohl, Menderes dazu zu drängen, die Beziehungen mit der muslimischen Welt zu erneuern, die seit der Gründung der Republik quasi nicht mehr e-xistierten, als auch si

74 Siehe ibid., 101, 105, 203.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 57

in

achfolger des Itthiad-i Muhammedi ( Ge-se

Nursi wieder voller Hoffnung von der zukünftigen

s Arabische übersetzten und in der arabischen Welt verbreiten zu lassen.

In seinen Briefen an Menderes und die Regierung misst er dieser Angelegenheit die größte Bedeutung bei. Er warnte ihn nicht nur vor der „Strömung“, die ver-suchte, durch Verbreitung der Gottlosigkeit in der mus-limischen Welt Misstrauen und Feindschaft gegenüber der Türkei zu erzeugen, sonder forderte die Demokra-ten dazu auf, den Koran anzunehmen, da sie auf diesem Wege vierhundert Millionen Brüder gewinnen würden und die „Reservetruppen der muslimischen Welt“ hinter sich hätten.F

75F Wegen der Wichtigkeit der bereits er-

wähnten Strömung und dem Streben nach islamischer Einheit bezeichnete Nursi die Risale Studenten sogar als Mitglieder und N

llschaft für muslimische Einheit), der Anfang 1909 ak-tiv gewesen war.F

76 Zu jener Zeit, den späten 1940er und 1950er Jahren,

als verschiedene muslimische Länder in Asien und Afri-ka ihre Unabhängigkeit von den Kolonialmächten er-langten und „islamische Staaten“ errichteten, beginnt

75 Ibid., 56, 178.

76 Ibid., 24-25, 34.

58 SÜKRAN VAHIDE

Vorherrschaft des Islams zu sprechen, der er sich An-fang des Jahrhunderts so sicher gewesen war.F

77F Um sei-

ne Behauptung zu stützen führt er Zeichen dafür an, dass der Islam im Westen angenommen wurde. Nursi sieht die islamischen Staaten sogar als Föderation, die auf der Verbrüderung des Glaubens beruht, und schrieb dazu, wahrscheinlich Anfang 1950: „Wir gratulieren euch herzlich anlässlich dieses heiligen Fests (’id) So Gott will werdet ihr ein großes Fest der muslimischen Welt erleben. Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass der Koran, die Quelle der Gesetze der ‚Vereinigten Is-lamischen Staaten’, in der Zukunft die Oberhand ge-winnen und der Menschheit ein wahres Fest bereiten w

ird.“F

78

Die Medresetü’z-Zehra

Nursi verglich die Universität, die die demokratische Regierung in der Osttürkei bauen wollte, mit seiner Medresetü’z-Zehra und forderte die Regierung dazu auf, ihr eine religiöse Grundlage zu geben, auch im Hinblick darauf, dass er solch einer Institution eine wichtige Rolle beimaß und davon ausging, dass sie dazu beitragen wür-de, gegen den trennenden Rassismus zu arbeiten und

77 Ibid., 100.

78 Ibid., 76.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 59

ch die Diskussion um die Universitä

würde, und er beschrieb dies in einigen Brie-fe

den Frieden und die Einheit unter den muslimischen Völkern im Osten zu sichern.F

79F Im selben Licht sollte

sein Unterstützungsschreiben für den Aufbau des CENTO gesehen werden, das au

t im Osten enthält.

Haltung dem Westen gegenüber

Wie bereits beschrieben vertrat Nursi die Ansicht, im modernen Zeitalter sollte den Europäern die erhabene Natur des Islams gezeigt werden, denn würde dies ge-schehen, dann würden sie zahlreich zum Islam übertre-ten, „denn die Zivilisierten müssen durch Überzeu-gungskraft erobert werden.“ Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte Nursi weitere Anzeichen dafür, dass der Islam im Westen zukünftig angenommen werden

n.F

80 Darüber hinaus war er der Ansicht, dass die aus dem

Kommunismus und der Gottlosigkeit hervorgehende Anarchie die größte Gefahr für die Menschheit darstell-te und befürwortete folglich nach dem Zweiten Welt-krieg eine politische Allianz mit dem Westen gegen die-

79 Ibid., 195-197.

80 Ibid., i, 237, 244-245, 262-263.

60 SÜKRAN VAHIDE

se Gefahr. Er glaubte, dass die europäischen Mächte, die bislang gegen die islamische Einheit gewesen waren, dieser nun nicht mehr entgegenstanden, sondern sie nun vielmehr benötigtenF

81F, und daraus resultierte seine Un-

terstützung für den Bagdad Pakt. Auch hielt er die Ver-einigten Staaten für ein Land, das sich „ernsthaft um die Religion bemühte“, und dass auf dieser Basis aufrichtig freundschaftliche Beziehungen mit den USA hergestellt werden könnten.F

82F Tatsächlich geht aus Nursis Brief an

den Präsidenten und Premierminister anlässlich des Aufbaus des CENTO hervor, dass er davon überzeugt war, dass Friede und Versöhnung auf der Grundlage von Religion, Wissen und Gelehrsamkeit gefördert wer-den sollte, nicht nur unter den muslimischen Völkern, so dem Westen und dem Islam.F

83

ndern auch zwischen

Zusammenfassung Mit der Formulierung des jihad als manevi jihad und

‚positives Handeln’ beabsichtigte Nursi, gegen das zu kämpfen, was er als die größte Gefahr für den Islam und für die ganze Menschheit in diesem Jahrhundert an-

81 Ibid., ii, 24

82 Ibid., 178.

83 Ibid., 195-196.

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 61

im W

Fortschritt erweckt wurden, und bietet die Grundlage

sah, nämlich die materialistische Philosophie des Wes-tens. Die Erneuerung des Glaubens und das Bestreben, die Religion des Islams für die Masse der Gläubigen wichtig und bedeutsam zu machen, insbesondere für je-ne, die der ‚Philosophie’ ausgesetzt worden waren, wür-de die Grundlage legen für eine echte Erneuerung und einen Wiederaufbau der muslimischen Welt und die Wiederherstellung der islamischen Zivilisation. Dadurch würde nicht nur der Glaube der Muslime gerettet, son-dern solch ein jihad würde auch zahlreiche Menschen

esten für die wahre Religion des Islams gewinnen. Da der Kampf zwischen Wahrheit und Unwahrheit in

der heutigen Zeit eher ein ideologischer und kultureller Kampf war als ein gewaltsamer Kampf, waren „die Waf-fen“ von Nursis manevi jihad logische Beweise der Glau-benswahrheiten, durchdachte Argumente und Überzeu-gungskräfte, die einerseits „mit dem Schwert des Korans gegen Natur und Kausalität [die Grundlagen der materi-alistischen Philosophie] ausgeführt wurden“ und die Zweifel zerstreuten, die sie verursachten, und auf der anderen Seite dem Menschen zu „sicherem und bestätigtem Glauben“ verhalfen. Diese Art der Realität (hakikat) ist direkt vom Koran und seinem Prachtglanz inspiriert und geht insbesondere auf die Bedürfnisse derjenigen ein, die in diesem Jahrhundert vom wissenschaftlichen

62 SÜKRAN VAHIDE

für die Entwicklung von wahrer taqwa und islamischer Moralität.

Ein derartiger Glaube ist auch die Grundlage für den zweiten Bestandteil von Nursis jihad, dem ‚positiven Handeln’, dessen wichtigster Aspekt darin besteht, die moralische und spirituelle Korruption (manevi tahribat) der verschiedenen Ableger der materialistischen Philo-sophie zu bekämpfen, wie den Kommunismus und an-dere internationale atheistische Organisationen. So wie diese Bewegungen oder „Ströme“ eine ideologische Kriegsführung betreiben, so besteht auch ihr Ziel darin, zu verderben, zu spalten und Anarchie zu erzeugen und dadurch letztendlich die muslimischen Länder zu desta-bilisieren und zu zerstören. Daher hielt Nursi es für die oberste Pflicht der Risale Studenten, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu wahren, selbst angesichts der vorsätzlichen und schweren Provokationen, Unter-drückung und Ungerechtigkeit, worunter sie zu leiden hatten, und für die Einheit und Solidarität der Gesell-schaft zu arbeiten.

Selbst in den härtesten Tagen der Herrschaft der RVP hielt Nursi lediglich fünf bis zehn Prozent für die de-struktiven anti-islamischen Maßnahmen verantwortlich, die durchgeführt wurden. Diese heimlichen Helfer des Kommunismus und anderer „Strömungen“ versuchten einerseits, ihn und seine Studenten zu beseitigen, ande-rerseits kämpfte er gegen sie, wie er den Gerichten sag-

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 63

te. Angesichts ihrer Absichten, die er nur zu gut verstand, stellte sich Nursi nicht gegen die Regierung oder das von ihr eingeführte System. Um die öffentliche Sicherheit zu wahren und ihre Pläne zu durchkreuzen führte er seinen jihad innerhalb des Systems durch und nutzte es sogar zu seinem Vorteil, trotz seiner extrem unvorteilhaften Position, und trotz der fünfunddreißig Jahre Ungerechtigkeit, die er im Namen des Säkularis-mus und dieses Systems hatte erdulden müssen.

Dieser geduldige Kampf verhalf Nursi und seinen Studenten zum Sieg über ihre Feinde. Unter Menderes und den Demokraten war es ihm nicht nur erlaubt, das Risale zu veröffentlichen, sondern Nursi konnte sogar, wie gerade beschrieben, den Umfang seines jihads aus-dehnen, nachdem die Demokraten 1950 an die Macht gekommen waren.

Nursi war davon überzeugt, dass der Koran und die islamische Zivilisation in der Zukunft herrschen würden und dass das Wort Gottes die Oberhand gewinnen wür-de. Inspiriert durch den Koran erkannte Nursi, dass dies nur durch Erneuerung, Instandsetzung und Wiederauf-bau auf unterster Ebene geschehen konnte, was einen allmählichen Wandel erforderte, der die ganze Gesell-schaft umfasste. Dies stellte den Hauptunterschied zum dem Alten Said dar, der den materiellen Fortschritt be-tont hatte.

64 SÜKRAN VAHIDE

Obwohl Nursi die Prinzipien des manevi jihad und des ‚positiven Handelns’ unter den restriktiven Bedingungen der frühen Jahrzehnte der türkischen Republik entwi-ckelt und dabei einerseits die grundsätzliche Natur des Kampfes zwischen Wahrheit und Unwahrheit in der heutigen Zeit deutlich gemacht und unter dem Ge-sichtspunkt von Koran und der ‚Philosophie’ erklärt hatte und dabei wichtige Mittel an die Hand lieferte, ers-teren zu verteidigen und letztere zu bekämpfen, und da-durch dass er andererseits darauf bestand, die Korrupti-on in der Gesellschaft, die von den Kräften verursacht wurde, die jene ‚Philosophie’ repräsentierte, auf ‚positi-ve’ Weise zu beheben, legte er die Grundlage für einen jihad, dessen Bedeutung weit in die Zukunft reichen würde. Ja, Nursi hoffte, dass diese positive Methode der Erneuerung in der ganzen muslimischen Welt über-nommen werden und dadurch eine stabile Grundlage für ihre zukünftige Einheit bieten würde.

65

Nursis Sicht der europäischen Geistes-wissenschaften und Philosophie

Wolf D. Ahmed Aries und Rüstem Ülker

In ihrer Auseinandersetzung mit dem Vordringen der europäischen Mächte traf die islamische Welt auf die atheistischen und materialistischen Philosophien, die durchweg eine kritische Einstellung zur Religion hatten. Philosophie wurde hier mit den Namen Nietz-sche und Karl Marx fest verbunden. Aussagen gleich “Gott ist tot” oder “Es gibt keinen Gott” führten zu grundsätzlichem Widerstand der Gelehrten und breiter Kreise in der Bevölkerung.

Die Intellektuellen in der islamischen Welt spalteten sich in der Diskussion in zwei Lager. Während die ei-nen sich um den Anschluss an die Entwicklung der Ingenieurswissenschaften, Technologie, Forschung und wissenschaftlichen Entwicklungen bemühten, sa-hen die anderen die Lösung der gesellschaftlichen Probleme im japanischen Modell, d.h. ohne den eige-nen Glauben und die eigenen Traditionen aufzugeben, mit Europa aufzuschließen. Ein wichtiger Aspekt in diesem islamischen Diskurs war die Auseinanderset-zung um den Verstand bzw. die Vernunft. Dabei ge-

66 SÜKRAN VAHIDE

wann die durch die französische Philosophie geprägte Gruppe die Oberhand. Ihre Vertreter behaupteten, dass Religion und Demokratie niemals zusammenkä-men. Ihre Schule wurde in Anlehnung an die französi-sche Entwicklung als laizistisch gekennzeichnet.

Im Gegensatz dazu bestand die zweite Gruppe dar-auf, dass der Gläubige ohne Probleme auch Demokrat sein konnte und kann. Die Auseinandersetzungen in der türkischen bzw. islamischen Öffentlichkeit wur-den mit aller Härte geführt. Die antireligiösen Kräfte instrumentalisierten dabei die Justiz und versuchten, über sie die anderen Ansätze zu verdrängen. Da sich dieser Konflikt bis in die fünfziger Jahre hinzog, ge-rieten diese Auseinandersetzungen in den Ost-West-Konflikt.

Als der neugeschaffene türkische Staat in diesem Konflikt entschied, das politische und religiöse Khali-fat per Gesetz abzuschaffen, schuf er im Anschluss ei-ne religiöse Behörde, die den Namen “Amt für Reli-giöse Angelegenheiten” (Diyanet) trug.

Außerhalb der Türkei gelangte man zu der Überzeu-gung, der Friede mit und in der islamischen Welt wäre nur über das so entstandene türkische Modell zu ge-winnen.

Die innertürkische Diskussion beruhigte sich nicht

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 67

mit der erfolgreichen Arbeit des neuen Amtes; viel-mehr hatte man den Eindruck, die Verdrängung der Religion in den Gesellschaften Europas hinge damit zusammen, dass das Christentum der Rationalität feindlich gegenüber stand. Die laizistische Schule ü-bernahm diese Behauptung für den Islam, wonach sich Glauben und Vernunft widersprachen.

Said Nursi wandte dagegen ein, und schrieb: “Wir sind den Europäern dankbar, dass sie uns, den Musli-men, Wissen und Forschung gelehrt haben. Deswegen sind wir Europa gegenüber nicht feindselig eingestellt, sondern wir betrachten sie mit Liebe und Bewunde-rung!“

Seine Forderung hieß, die traditionelle Ausbildung der Medresen mit der universitären zusammen zu bringen, was erst mit dem Beginn des 21. Jahrhunder-tes realisiert wurde.

Um den hier angesprochenen geschichtlichen Ablauf einordnen zu können, haben die Autoren einen histori-schen Überblick an das Ende des Buches gestellt.

68

SAID NURSI ( 1877 – 1960 )

Der islamische Gelehrter Said Nursi (1877 – 1960) wurde in Europa lange Zeit allein unter der Perspektive der türkischen Revolution der zwanzi-ger Jahre und ihres Vorlaufes gesehen. Dabei über-sah man dessen enormes Werk, das während seiner Verbannung und in den Jahren seines Gefängnis-aufenthaltes entstanden ist, und Generationen von türkischen Muslimen zu einer lebendigen Ausei-nandersetzung mit ihrem Glaube anregte. Hierüber entstand nicht nur eine Schülergemeinschaft, die in Said Nursi ihren Lehrer sah, sondern zugleich eine Art Bewegung, die jama´at-i nur, deren Zentrum das von ihm hinterlassene Werk, das Risale-i-Nur, ist. Die wörtliche Übersetzung des Titels lautet: “Send-schreiben des Lichtes“. Hinter diesem heute ein wenig altmodisch klingenden Namen steht eine Ar-beit, die lebhaft an die ebenfalls im Gefängnis ent-standenen Werke Dietrich Bonhoeffers oder Alfred

JIHAD IN MODERNEN ZEITEN 69

Delps erinnert. Alle drei bezeugten sowohl durch ihr Leben als auch ihre Arbeit ihren Glauben im Widerstand gegen die Bedrohung totalitärer Regime und regten ihre Mitwelt zugleich an, über dessen Begründung im Glauben nachzudenken.

War schon zu Nursis Lebzeiten eine breite in-tellektuelle Gemeinschaft entstanden, durch deren Diskurse manche der heutigen Politiker der Türkei geprägt wurden, so setzte sich das Werk selber in-ternational im Laufe der zweiten Hälfte des vergan-genen Jahrhundertes durch. Das äußere Zeichen hierfür sind die alle zwei Jahre in Istanbul stattfin-denden internationalen Said Nursi Symposien, die im letzten Jahrzehnt Nachfolger in zahlreichen is-lamischen Ländern fand.

Mit der Übersetzung des Risale-i Nur in die eu-ropäischen Sprachen erhielten auch Nicht-Muslime Zugang zu den Überlegungen des Reformers, so daß ein islamischer Beitrag zur Moderne zugänglich geworden ist, der wahrhaft bemerkenswert ist, denn Nursi fragt nicht danach, was die Natur- und tech-nischen Wissenschaften leisten, sondern schlicht

70 SÜKRAN VAHIDE

nach dem Sinn des menschlichen Da-Seins und seiner Begründung. Dabei bezieht er sich in radika-ler Weise auf die Glaubensurkunde der Muslime, den Koran.

Obwohl Said Nursi gezwungen war seine Texte im Geheimen zu schreiben, die später aus den je-weiligen Gefängnissen geschmuggelt wurden und per Hand abgeschrieben im Lande kursierten, at-men sie die Freiheit eines unabhängigen Geistes, der sich weder zu Ressentiments noch zu Verurtei-lungen seiner Verfolger hinreißen ließ. Ihm ging es um den Glauben und seine Bewahrung angesichts einer Moderne, die sich gegen diesen wandte. Hier-von haben sich in den vergangenen Jahren auch Europäer ansprechen lassen.

Redaktionsteam

71

Das Gesamtwerk Risale-i Nur im Überblick

1-Die Worte 2-Die Briefe 3-Die Lichtblitze 4-Die Lichtstrahlen 5-Zeichen des Wundercharakter des Koran (Ischarat-ul I’jāz) 6-Die Biographie Bediüzzaman Said Nursis 7-Kurze Worte (1-9. Wort) 8-Die Auferstehung und das Jenseits(10. Wort) 9-Die Wunderhaftigkeit des Koran (25. Wort) 10-Der Stab Mose (Asay-i Musa) 11-Das Höchste Zeichen (7. Lichtstrahl) 12-Gespräche für die Zukunft (Münâzarat) 13-Predigt in Damaskus (Hutbe-i Schamiyye) 14-Natur, Ursache oder Wirkung? (23. Lichtblitz) 15-Heilmittel für Kranke (25.Lichtblitz) 16-Was ist der Mensch? (23. Wort) 17-Früchte vom Baum des Lichtes (11. Lichtstrahl) 18-Über den Ramadan, Genügsamkeit und Dank 19-Aufrichtigkeit und Brüderlichkeit (20. u. 21 Lichtblitz und 22. Brief) 20-Des Propheten Weg 21-Die Eröffnende Sure des Koran 22-Die Wunder Muhammeds (19. Brief) 23-Schlüssel zum Glauben (20. Brief) 24-Tröstung für die Alten (26.Lichtblitz)

25-Leitfaden für die Jugend 26-33 Fenster zur göttlichen Existenz und Einheit 27-Das glaubende Ich (30. Wort)

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Informationen über das Gesamtwerk Risale-i Nur

und Bediüzzaman Said Nursi:

Weiterführende Literatur:

Vahide S.: Ein Beitrag zu einer “Intellektuellen Biographie” Said Nursis. Söz Basim Yayin: Istanbul, 2004 Vahide S.: Islam in der modernen Türkei, die intellektuelle Biografie des Bediüzzaman Said Nursi, Lit-Verlag, 2009 Mary Weld.: Islam in modern Turkei. Suny. New York, 2005 Aries W., Ülker R. (Hrsg.): Das Bild vom Menschen. Lit, Ber-lin, 2009 Aries W., Ülker R. (Hrsg.): Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Said Nursi: Christentum und Islam im Gegenüber zu den Totalitarismen. Lit, Münster, 2004 Michel T.: Christlich-Islamischer Dialog und die Zusammen-arbeit nach Bediüzzaman Said Nursi. Söz Basim Yayin: Istan-bul, 2004 Michel T.: Said Nursi´s Views on Muslim-Christian Under-standing. Söz Basim Yayin: Istanbul, 2005 Paksu M.: Said Nursi. Die Biographie eines modernen Hel-den. Nesil: Istanbul, 2008 Sahinöz C.: Die Nurculuk Bewegung. Entstehung, Organisa-tion und Vernetzung. Nesil: Istanbul, 2009 Ülker R., Aries W.: Gläubiger Bürger in der pluralen Gesell-schaft – Muslime im Dialog. Lit, Berlin, 2006

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ISBN 978-3-935-165-39-0