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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 FEATURE ÄGYPTENS ROCKEFELLER WAS DIE KOPTISCHE FAMILIE SAWIRIS MIT IHREN MILLIARDEN MACHT VON MATTHIAS HOLLAND-LETZ 17.04.2013/// 22.03 Uhr Redaktion: Wolfram Wessels Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Atmo: Yacht fährt los Sprecher: Im Hafen von El Gouna am Roten Meer liegen Sportboote der Luxusklasse. Schneeweiß, mit mächtigen Aufbauten. Ich sehe Villen und Hotels, erbaut auf künstlichen Inseln, umgeben von kleinen Parkanlagen. Eine Retortenstadt, aus dem ägyptischen Wüstensand gestampft. 20.000 Menschen sollen hier leben. Atmo: Im Café am Hafen (Jazz-Musik, leise Unterhaltung, Vögel zwitschern) Sprecher: Große Teile der Stadt gehören der Baufirma Orascom Development. Dessen Hauptaktionär ist Samih Sawiris. Seine Firma besitzt in El Gouna 18 Hotels, Wohnanlagen, den Golfplatz, die Kläranlage, das Kraftwerk, zwei Schulen und ein Krankenhaus. Außerdem das El Gouna Fußball-Stadion für 10.000 Zuschauer. Der El Gouna Fußballclub, finanziert von Samih Sawiris, spielt in der ersten Liga Ägyptens. Die Sawiris sind Kopten, gehören zur christlichen Minderheit in einem zunehmend vom Islam geprägten Land.

Dok 5 – Das Feature - swr.online

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SWR2 MANUSKRIPT

ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 FEATURE

ÄGYPTENS ROCKEFELLER

WAS DIE KOPTISCHE FAMILIE SAWIRIS

MIT IHREN MILLIARDEN MACHT

VON MATTHIAS HOLLAND-LETZ

17.04.2013/// 22.03 Uhr

Redaktion: Wolfram Wessels

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung

und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Atmo: Yacht fährt los Sprecher: Im Hafen von El Gouna am Roten Meer liegen Sportboote der Luxusklasse. Schneeweiß, mit mächtigen Aufbauten. Ich sehe Villen und Hotels, erbaut auf künstlichen Inseln, umgeben von kleinen Parkanlagen. Eine Retortenstadt, aus dem ägyptischen Wüstensand gestampft. 20.000 Menschen sollen hier leben. Atmo: Im Café am Hafen (Jazz-Musik, leise Unterhaltung, Vögel zwitschern) Sprecher: Große Teile der Stadt gehören der Baufirma Orascom Development. Dessen Hauptaktionär ist Samih Sawiris. Seine Firma besitzt in El Gouna 18 Hotels, Wohnanlagen, den Golfplatz, die Kläranlage, das Kraftwerk, zwei Schulen und ein Krankenhaus. Außerdem das El Gouna Fußball-Stadion für 10.000 Zuschauer. Der El Gouna Fußballclub, finanziert von Samih Sawiris, spielt in der ersten Liga Ägyptens. Die Sawiris sind Kopten, gehören zur christlichen Minderheit in einem zunehmend vom Islam geprägten Land.

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Zitator: „Ägyptens Rockefeller: Was die koptische Familie Sawiris mit ihren Milliarden macht. Ein Feature von Matthias Holland-Letz.“ Sprecher: Samih Sawiris, der Brahms und Puccini liebt, zählt zu den reichsten Männern Afrikas. Auch sein Vater, Onsi Sawiris, ist schwerreich. Ebenso die beiden Brüder, Nassef und Naguib. Die Familie Sawiris besitzt laut US-Zeitschrift Forbes, trotz Wirtschaftskrise in Ägypten, ein Vermögen von 11 Milliarden Dollar. Atmo: Arabische Stimmen, Marktlärm, Musik Sprecher: Kairo. Die Megastadt am Nil. Atmo: Verkehrslärm, Autohupen Sprecher: Hier wohnen zwischen 15 und 20 Millionen Menschen. 60 Prozent leben in sogenannten informellen Siedlungen. Also in Slums. Atmo: Im fahrenden Tuk-Tuk (dreirädiges Gefährt) Sprecher: Ich besuche eines der Slumviertel: Moytamadeia. Atmo: Im fahrenden Tuk-Tuk Sprecher: Die Bewohner des Viertels nennt man Zabaleen, auf Deutsch: Die Müllmenschen. Es sind zumeist koptische Christen. Atmo: Stimmen, Esel schreit, Hunde bellen. Sprecher: Die koptischen Zabaleen ziehen jeden Tag zu Tausenden los, mit Eselskarren oder kleinen Lastautos. Sie sammeln Abfälle ein, vor den Wohnblocks, auf dem Markt, in kleinen Läden. Atmo: Stimmen, Esel schreit, Hunde bellen. Sprecher: Zurück im Viertel, wird der Müll sortiert. Glas zu Glas, Pappe zu Pappe, Plastik zu Plastik. Sprecher: Die Sawiris zählten nie zu den Armen, zu den gesellschaftlich Ausgegrenzten. Die Familie kommt aus dem oberägyptischen Landadel. Zitator: 1950. Sprecher: Onsi Sawiris, geboren 1930, gründet eine kleine Baufirma. Zitator: 1961. Sprecher: Der Bauunternehmer wird unter Staatschef Nasser enteignet. Onsi Sawiris geht nach Libyen. Zitator: 1976.

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Sprecher: Rückkehr nach Ägypten. Gründung der Firma Orascom. Das Unternehmen entwickelt sich zu einer der wichtigsten Baufirmen des Landes. Neue Geschäftsfelder kommen hinzu. Die Tochterfirma Orascom Telecom handelt mit Computern und Telefontechnik. Sie vertritt laut eigenen Angaben nahezu alle wichtigen US-Firmen dieser Branche. Zitator: „...etwa Microsoft, Hewlett Packard, Compaq, IBM, Lucent Technologies, Oracle und Novell.“ Sprecher: Nach und nach übernehmen die drei Söhne Verantwortung in der Firmengruppe. Zitator: Nassef Sawiris, geboren 1961. Sprecher: Er ist Chef von Orascom Construction Industries, der wertvollsten Aktiengesellschaft Ägyptens. Der Konzern besitzt Baufirmen, Stahlwerke und Düngemittelfabriken. Tochterfirmen in Algerien und Nigeria. Beteiligt am Weiterbau der U-Bahn in Kairo. Errichtet Kläranlagen in Abu Dhabi. Baut für die US-Luftwaffe und für britische Truppen Munitionsdepots und Landebahnen in Afghanistan. Umsatz im Jahr 2011: 5,5 Milliarden US-Dollar. Zitator: Samih Sawiris, geboren 1957. Sprecher: Er leitet Orascom Development, zuständig für die Entwicklung und den Bau vor allem von Tourismus-Resorts. Orascom Development besitzt in Ägypten 51 Millionen Quadratmeter Land. Baute nahe Kairo einen Stadtteil für Normalverdiener. Projekte auch in den Arabischen Emiraten, in Marokko, Montenegro, Rumänien oder Großbritannien. Umsatz in 2011: Umgerechnet 272 Millionen US-Dollar. Zitator: Naguib Sawiris, Jahrgang 1954. Sprecher: Er schuf die Orascom Telecom Holding, machte das Unternehmen zu einem der größten Mobilfunkanbieter Afrikas. 2008 erhält Orascom Telecom die Lizenz, um in Nordkorea Mobilfunkdienste anzubieten. Tochterfirmen in Algerien, Burundi, Zimbabwe, Bangladesh und Kanada. Umsatz in 2011: 3,6 Milliarden US-Dollar. Naguib Sawiris besitzt zudem Anteile an einer ägyptischen Tageszeitung und ist Miteigentümer eines privaten Fernsehsenders. Sprecher: Alle drei Söhne sprechen fließend Deutsch. Sie besuchten in Kairo eine renommierte deutsche Privatschule, die Deutsche Evangelische Oberschule. Nassef studierte anschließend in Chicago. Naguib ging an die ETH, die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Samih machte sein Diplom als Ingenieur an der Technischen Universität Berlin. Atmo: Stimmen, Hund bellt, Eselskarren holpert vorbei. Sprecher: Zusammen mit Medhat, dem Englischlehrer der nahen Schule, stehe ich in der staubigen Gasse des Zabaleen-Viertels. Plattgedrückte Joghurtbecher liegen herum, zerfetzte Schachteln, Folienreste. Auch Kot von Tieren. Die

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Zabaleen halten Ziegen. Sie werden mit den Gemüseresten gefüttert, die die Zabaleen aus den Abfällen klauben. Atmo: Stimmen, Geklapper, Glas scheppert. Sprecher: In der Gasse arbeitet Rayan, 37 Jahre alt. Er trägt verdreckte Jeans, verblichenes grünes Hemd und einen alten rosafarbenen Hut. Mit der Hand wuchtet Rayan leere Bananenkartons in eine mechanische Presse. Heraus kommen Ballen, die sich gut transportieren lassen. O-Ton Müllsammler Rayan: arabisch Overvoice Rayan: „Wenn Pappe und Altpapier in gutem Zustand sind, bekomme ich mehr Geld. Ist das Altpapier schmutzig, wie das hier, gibt es weniger.“ Sprecher: Sagt Rayan. Wann er morgens anfängt, möchte ich wissen. Medhat übersetzt. O-Ton Müllsammler Rayan: arabisch Overvoice Rayan: “Ich arbeite von morgens sechs Uhr bis abends 6 Uhr.” Sprecher: Sebastian Drabinski ist Angestellter eines Hilfsprojekts, das die Müllmenschen unterstützt. Er kennt die Lebensbedingungen im Viertel. O-Ton Sebastian Drabinski: „Es gibt mehr Krankheiten, ne höhere Säuglingssterblichkeit, zum Beispiel. Da die Sortierer meist ohne Schutzkleidung im Müll sitzen und diesen per Hand sortieren...Schnittwunden, die sich entzünden, beispielsweise. Krankheiten, die bedingt auf mangelnde Hygiene zurückzuführen sind. Oder verschiedene halt.“ Sprecher: Immerhin wohnen die koptischen Zabaleen inzwischen in festen Häusern aus Backstein. Dank einer Kooperative, die vor rund 30 Jahren gegründet wurde, von der deutschen Nonne Schwester Maria Grabis. Dennoch sind die Wohnverhältnisse im Viertel schlecht. O-Ton Sebastian Drabinski: „Ein Mangel an Infrastruktur, kann man sagen. Also angefangen von Wasser, Abwassernetzwerken, öffentliche Einrichtungen. Es gibt wenig Schulen. Keine Gemeindezentren. Keine Frei- oder Grünflächen. Ja, und enorm hohe Bevölkerungsdichten.“ Sprecher: Auch Familie Sawiris kümmert sich um die Zabaleen. 2001 gründete sie eine Stiftung. Zitator: “Sawiris Foundation for Social Development.” Sprecher: Die Stiftung unterstützte beispielsweise ein Gesundheitsprojekt zugunsten der Müllsammler. Sie vergibt Mikrokredite an Bedürftige, kümmert sich um die Erhaltung alter koptischer Schriften und verleiht Preise für Literatur und

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Film. Wohltätige Zwecke erfüllt auch eine zweite Sawiris-Stiftung, die Stiftung der Orascom Construction Industries. Zitator: „OCI Foundation.“ Sprecher: Die OCI-Stiftung kümmert sich um Bildungsprojekte, vergibt Stipendien an begabte Studenten. Beide Stiftungen zusammen schütteten 2011 in Ägypten umgerechnet 3,3 Millionen Euro aus. So viel Wohltätigkeit bringt den Sawiris Lob und Anerkennung. Und lässt sich vortrefflich für’s Marketing nutzen. Zitator: „Unser Engagement für die soziale und ökonomische Entwicklung Ägyptens, unseres Heimatlandes, ist absolut.“ Sprecher: Schreibt die Sawiris-Firma OCI, mit Verweis auf die Sawiris-Stiftungen. Doch 3,3 Millionen Euro sind eine überschaubare Summe, bei einem Familienvermögen von 11 Milliarden. Sprecher: Wie gelang es den Sawiris, ihr märchenhaftes Vermögen aufzubauen? Naguib Sawiris, der älteste der drei Söhne, gewährt mir ein Interview. Ich frage ihn nach dem Erfolgs-Geheimnis der Sawiris-Brüder? Warum konnten sie so reich werden? O-Ton Naguib Sawiris: „Weil wir gut erzogen wurden. Gott fürchtend. Sehr gläubig, alle. Hart gearbeitet, alle, die ganze Zeit. Und das Wichtigste, hätte ich zuerst sagen sollen. Wir haben die beste education gehabt. Und das war deutsch. Für mich das hat mein Leben gestaltet. Ich hab dann Goethe gelesen, Kafka, Schopenhauer. Und für mich, das hat mein Leben entwickelt, verstehen sie?“ Sprecher: Er selbst sei ein Kämpfertyp, sagt Naguib Sawiris. Ein Mann, der sich zu wehren weiß. O-Ton Naguib Sawiris: „Wenn man auch mich schießt, ich gehe vorwärts, ich gehe nicht zurück. Wenn man mich versucht zu stolpern, dann breche ich den Bein desjenigen, der das versucht hat. Obwohl ich eine gläubiger Christ bin. Jesus hat gesagt, wenn jemand dich auf die eine Seite schlägt, gib ihm die andere. Das habe ich nie gemacht. Leider.“ (lacht) Sprecher: Soweit die Selbstdarstellung. Mit einer guten Kinderstube allein läßt sich der Aufstieg der Sawiris aber nicht erklären. Ich erkundige mich bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, kurz SWP. Sie wird vom Bundeskanzleramt finanziert. Experten der Stiftung beobachteten bereits vor Jahren, wie unter Mubarak eine kleine Gruppe von Unternehmern immer reicher wurde. Eine Gruppe mit besten Verbindungen zum herrschenden Regime, das in den 1990er Jahren begann, öffentliche Unternehmen zu privatisieren. Zitator: „Durch inoffizielle Verbindungen zu politischen Entscheidungsträgern hatten sie - die regimenahen Unternehmer - einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Aufträgen und konnten Privatisierungsentscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen.“

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Sprecher: Heißt es in einem Bericht der Berliner Stiftung, veröffentlicht im Juli 2007. Die Folge dieser Entwicklung, so die Stiftung: Zitator: „Unternehmerfamilien wie den Sawiris oder den Mansours und Einzelunternehmen wie Ahmed Ezz und Shafiq Gabr gelang es, in vielen Wirtschaftszweigen nahezu marktbeherrschende Stellungen aufzubauen.“ Sprecher: Marktbeherrschende Stellung? Die Sawiris als Teil der ägyptischen Wirtschaftsoligarchie? Was sagt Naguib Sawiris dazu? O-Ton Naguib Sawiris: „Ich sage, dass der Schriftsteller wahrscheinlich zu den Linken in Deutschland gehört.“ (lacht) „Nein, ich mach nur Spass. Wenn Sie nach Korea gehen, dann finden sie das ganze Südkorea mit 10 große Namen, die herrschen. Das ist der Hyundai, der Herr von Samsung, der Herr von Daewoo. Das heißt, in jedes Land gibt es große Entrepreneure, die einfach größer werden. Das ist wie Krupp in Deutschland, die Krupp-Familie und Flick-Familie und so weiter. Warum hat man dann nicht diesen gleichen Satz dort geschrieben, verstehen sie?“ Atmo: Im Café am Hafen (Jazz-Musik, leise Unterhaltung, Vögel) Sprecher: Zurück in El Gouna. Im Ort sehe ich Werbeplakate der Orascom Development. Zitator: “Was es in El Gouna nicht gibt: Umweltverschmutzung. Verkehr. Stress.“ Sprecher: Aber es gibt Immobilien, zum Beispiel ein Apartment, 121 Quadratmeter groß, mit zwei Schlafzimmern. Preis: Zitator: “520.000 US-Dollar.” Sprecher: Oder eine Villa, 300 Quadratmeter, fünf Schlafzimmer. Zu haben für: Zitator: „1,6 Millionen US-Dollar.“ Sprecher: Vor allem wohlhabende Ägypter kauften. Sagt Franz Kielnhofer, Manager eines der großen Hotels in El Gouna. O-Ton Franz Kielnhofer: „Der Grossteil ist sicherlich lokale Ägypter, die hier ein Apartment oder eine Villa gekauft haben. Aber es sind auch viele Engländer, Italiener und auch Deutsche, die hier ein Apartment oder eine Villa gekauft haben.“ Sprecher: Oder eine Yacht besitzen. An vielen Booten lese ich die Namen von Steueroasen. Den von Panama, der Kanalinsel Guernsey oder dem US-Bundesstaat Delaware. O-Ton Franz Kielnhofer: „Die frühere ägyptische Regierung war immer sehr darauf erpicht, dass sie große Stücke vom Land an private Investoren weitergibt, die das entwickeln für devisenbringende Geschäfte. El Gouna war das Pilotprojekt

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hierzu. Das Land ist weggeben worden, private Investoren haben das entwickelt. Und inzwischen hat sich so eine richtig kleine Stadt entwickelt.“ Sprecher: Ägyptens Großunternehmer profitierten unter Mubarak zudem davon, dass unabhängige Gewerkschaften verboten waren. Wer sich an Streiks beteiligte, der landete im Gefängnis. Wurde misshandelt, gefoltert. Nach dem Sturz Mubaraks begannen die Arbeiter, sich zu organisieren, bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Hier habe das Land weiterhin großen Nachholbedarf, sagt Rainer Herret, der Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo. O-Ton Rainer Herret: „Zunächst brauchen wir in den ägyptischen Betrieben Arbeitsbedingungen, die wenigstens den Forderungen der internationalen Arbeitsorganisation ILO entsprechen.“ Sprecher: …also der UNO-Organisation, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzt. O-Ton Rainer Herret: „Da sieht die Realität doch noch sehr anders aus. Wir haben Unarten, dass, wenn ein Arbeitnehmer eingestellt wird, er schon seine Blankokündigung ebenfalls dem Arbeitgeber hinlegen muß. Womit man das Kündigungsschutzrecht umgeht.“ Sprecher: Außerdem: Kaum Investition in Ausbildung der Mitarbeiter. O-Ton Rainer Herret: „Die Unternehmen betrachten einen Azubi als wertloses Kapital. Die sagen: Der kann ja nichts. Wieso sollen wir einem Azubi überhaupt Geld bezahlen.“ Sprecher: Eines der größten Probleme: Niedriglöhne, mit denen sich nur schwer eine Familie ernähren läßt. O-Ton Rainer Herret: „Insoweit wundert man sich auch nicht, wenn man sieht, dass ägyptische Firmen oftmals Gewinnspannen von 30 Prozent haben. Wo wir in Deutschland zufrieden sind, wenn wir mit 10 Prozent Gewinn abschließen. Da wird einfach zuviel abgeschöpft aus der Produktivität, die das Land eigentlich haben könnte, und landet dann auf irgendwelchen Auslandskonten.“ O-Ton Rainer Herret: „Und dieses ganze System, das muß durchbrochen werden. Wir brauchen hier eigentlich eine zweite Revolution. Wir haben ja erst eine politische Revolution gehabt. Wir brauchen noch eine Revolution in Ägypten, die die Denke angreift und diese Fehlentwicklungen anspricht.“ Atmo: Muezzin ruft via Lautsprecher zum Gebet Sprecher: Die Revolution von 2011 bedeutet auch: Der Islam gewinnt enorm an Einfluss. Eine Entwicklung, die Naguib Sawiris, der Kopte, als Bedrohung erlebt. 2011, nach der Revolution, geht der Telekom- und Medienmogul in die Politik. Er gründet die Partei der Freien Ägypter. Sie vertritt liberale, westliche Werte, steht für die Trennung von Staat und Religion. Als die Opposition im Dezember 2012 gegen Mursis islamistischen Kurs auf die Straße geht und Protestcamps aufschlägt, mischt die Partei der Freien Ägypter kräftig mit.

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Zitator: „Die Liberalen sind keine Massenpartei, aber sie haben Geld…Reiche wie Sawiris sorgen dafür, dass die Opposition mit Zelten, Plakaten und Sendezeit gesegnet ist. Sie werden im kommenden Parlamentswahlkampf Millionen gegen die Islamisten investieren.“ Sprecher: Schrieb die Wochenzeitung Die Zeit im Dezember 2012. O-Ton Naguib Sawiris: „Ich wollte nicht in die Politik gehen. Ich wollte nur nicht, dass mein Land unter eine faschistische, religiöse dictatorship landet. Leider kann ich nicht sagen, dass ich das verhindern konnte.“ Sprecher: Sprecher: Dass Naguib Sawiris das autoritäre Regime Mubaraks anprangerte, ist hingegen nicht bekannt. Wenn’s ihm nützlich erscheint, hat er auch kein Problem, sich lachend, Hand in Hand mit Nordkoreas Diktator fotografieren zu lassen. Aber er verabscheut Präsident Mursi und dessen Politik. Sein Bruder Nassef sehe allerdings manches anders, räumt Naguib Sawiris ein. O-Ton Naguib Sawiris: „Wir sind auch in der Familie gesplittet. Es gibt Leute in meiner Familie, die sagen, schau, die Muslimbrüder sind jetzt hier. Wir müssen das jetzt akzeptieren und wir müssen mit ihnen arbeiten. Und es gibt jemand wie ich, der ist ein bisschen mehr auf der extremen Seite, der sagt, ja, aber nicht unter diesen Bedingungen.“ Atmo: Gesang und Schlaginstrumente während eines koptischen Gottesdienstes in Alt-Kairo Sprecher: Zwischen fünf und neun Millionen Kopten leben in Ägypten. Eine Minderheit im 85-Millionen-Einwohner-Land. Was hat sich für sie nach der Revolution geändert? Atmo: Gesang und Schlaginstrumente während eines koptischen Gottesdienstes in Alt-Kairo Sprecher: Heilige Messe in Alt-Kairo, in der koptischen Kirche „Maria Kasriat El Rehan“. Der Bischof, im weißen Gewand, zelebriert den Gottesdienst. Ihm zur Hand gehen vier weitere Würdenträger, ebenfalls in Weiß. Sie stehen vor dem Altar. Hölzerne Rundbögen und Schnitzereien. Bilder zeigen Jesus beim Abendmahl und die zwölf Apostel. Es riecht nach Weihrauch. Etwa 200 Gläubige sitzen auf den Holzbänken. Links die Männer, rechts die Frauen. Atmo: Würdenträger liest liturgischen Text auf Arabisch vor Sprecher: Die Gläubigen stehen auf, gehen nach vorne zur Heiligen Kommunion. Erst sind die Männer an der Reihe. Dann die Frauen. Atmo : Würdenträger liest liturgischen Text auf Arabisch vor Sprecher: Auch in den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Angriffe gegen Kopten, Streit um den Bau von Kirchen. Der Kopte Boutros Boutros-Ghali brachte es unter Mubarak bis zum stellvertretenden Außenminister. Anschließend

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wurde er UNO-Generalsekretär. Eine große Ausnahme. Auch zu Mubaraks Zeiten war es Kopten kaum möglich, in hohe öffentliche Ämter zu gelangen. Doch jetzt fühlen sich viele Kopten systematisch bedroht. Atmo: Bombenanschlag auf Kirche in Alexandria am 31.12.2010 Zitator: Silvesternacht 2010, wenige Wochen vor dem Umsturz in Ägypten. Sprecher: Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria. 23 Tote, fast 100 Verletzte. Atmo: Koptische Jugendliche singen in der Krypta der Sankt-Markus-Kirche in Kairo Zitator: „Warum koptische Christen Ägypten verlassen.“ „Koptische Auswanderungswelle in die USA“. Sprecher: Mehr als 100.000 Kopten, so ist zu lesen, sollen Ägypten seit der Revolution bereits verlassen haben. Atmo: Stimmen auf der Strasse, Automotor, Hupen. Sprecher: Ich höre mich im Kairoer Stadtteil Roda um. Said, ein 52jähriger Muslim, hat einen kleinen Lebensmittelladen an der Ecke. O-Ton Said, Lebensmittelhändler: arabisch Overvoice Said: „Ich verkaufe Käse, Oliven und Fleisch.“ Sprecher: Wie das Geschäft denn läuft? O-Ton Said, Lebensmittelhändler: arabisch Overvoice Said: „Ich habe weniger Einkommen als früher. Wegen der Schwierigkeiten im Land.“ Sprecher: Gibt es im Stadtviertel Konflikte zwischen Kopten und Muslimen? O-Ton Said, Lebensmittelhändler: arabisch Overvoice Said: „Nein, mit meinen koptischen Nachbarn und Kunden habe ich keine Probleme.“ Atmo 21: Schlüsselfräse in der Werkstatt. Sprecher: Auf der anderen Strassenseite betreibt Hanafi einen Schlüsseldienst. Hanafi ist 60 Jahre und ebenfalls Muslim. Er scheut sich, vor dem Mikrofon Negatives zu sagen. O-Ton Hanafi, Schlüsseldienstinhaber: arabisch

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Overvoice Hanafi: „Die Lage heute hat gute Seiten und schlechte Seiten. Auch unter dem alten Regime gab es gute Seiten und schlechte Seiten.“ Sprecher: Auch Hanafi versichert: Er habe ein gutes Verhältnis zu den Kopten im Viertel. O-Ton Hanafi, Schlüsseldienstinhaber: arabisch Overvoice Hanafi: „Ich bin Muslim und er ist Kopte. Wir sind wie Brüder.“ Sprecher: Und was sagt er zu denen, die das Land verlassen wollen? Ägypten sei das beste Land der Welt, beteuert er. Niemand solle gehen. Hanafi fordert, Geduld zu haben. O-Ton Hanafi, Schlüsseldienstinhaber: arabisch Overvoice Hanafi: „Es dauert lange, bis es besser wird.“ O-Ton Hanafi, Schlüsseldienstinhaber: „The future good – inschallah.“ Overvoice Hanafi: „Die Zukunft wird gut. So Gott will.“ Sprecher: Doch es gibt auch andere Stimmen. Ich treffe einen 34jährigen Familienvater. Er ist Kopte – und will raus aus Ägypten. O-Ton Kopte: “The days of mister mubarak…We have no secure. We have no traffic.” Overvoice Kopte: “Die Mubarak-Zeit ...er sorgte dafür, dass es im Land keine Regeln gibt. Und wir machen jetzt so weiter. Es gibt keine Sicherheit. Wir haben keinen funktionierenden Straßenverkehr.“ Sprecher: Er stöhnt über die ständigen Staus auf Kairos Straßen. In Europa oder in den USA seien die Verhältnisse besser, sagt er. O-Ton Kopte: “I have visited many countries…And I love the systems there.” Overvoice Kopte: “I habe viele Länder besucht, London, Frankreich, die USA. Die Menschen dort leben nach Regeln. Und ich liebe die Systeme dort.“ Sprecher: Er sagt: Seine Frau und er verbessern ihre Englischkenntnisse, lernen Französisch. Ihr Ziel: Die französischsprachige Provinz Quebec in Kanada. - Was rät die koptische Kirche den Christen, die überlegen, auszuwandern? Ich fahre zur Residenz des koptischen Papstes Tawadros II (sprich: Tauardus) im Kairoer Stadtteil Al-Azbakiyya. Die Zufahrt wird von Polizisten bewacht. Unser Auto holpert über zwei Bodenschwellen. Dann parken wir im weitläufigen Innenhof. Atmo: Stimmen vor der Residenz, Automotor

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Sprecher: Viele Besucher. Frauen und Männer, die wie Passanten wirken. Ein Verkaufsstand für koptische Souvenirs. Rechter Hand führt eine breite Treppe hinauf zur Kathedrale St. Markus. Links geht es zur Residenz. Atmo: Stimmen in der Residenz/ Tür fällt ins Schloss Sprecher: Wir warten in einem holzvertäfelten Raum. Ein Gewusel von Menschen. Männer in dunklen Anzügen. Koptische Würdenträger. Atmo: Schritte, Gehuste, Gelächter. Sprecher: Der Papst habe leider keine Zeit für ein Interview, erfahre ich. Er sei „fully booked“, komplett ausgebucht. Doch sein Privatsekretär, Vater Saraphim Elsouriany, sagt mir, wie sich die koptische Kirche gegenüber den Ausreisewilligen verhält: O-Ton Vater Saraphim Elsouriany: “When they say, can we due advices to leave the country… and to solve the problems.” Overvoice Saraphim: “Wenn sie fragen, ob wir dazu raten können, das Land zu verlassen oder ein anderes Land zu wählen. Dann sagen wir entschieden Nein. Dies ist Dein Land. Es ist ein großer Verlust für das Land und für Dich, wenn Du gehst. Und wir ermutigen die Führer des Landes, diesen Menschen zu helfen und die Probleme zu lösen.“ Sprecher: Und welches Verhältnis hat die Kirche zum muslimischen Präsidenten? Der Privatsekretär antwortet diplomatisch – und trotzdem eindeutig. O-Ton Vater Saraphim Elsouriany: “We always respect in honour.. We are in good terms with the leaders.” Overvoice Saraphim: „Wir respektieren immer ehrenvoll den Führer eines Landes, sei es ein Präsident oder ein König, wenn es ein Königreich ist. Als religiöse Organisation, als Kirche wünschen wir ihnen immer Frieden. Und die Weisheit des Himmels. Dass Gott sie führen möge. Weil es eine gewaltige Aufgabe ist, ein Land zu regieren. Wir stehen in einem guten Verhältnis zu den Führern des Landes.“ Sprecher: Anschließend werde ich dann doch zu Papst Tawadros II vorgelassen. Eine Zwei-Minuten- Audienz. Ein kurzes, freundliches Gespräch. Der Fotograf macht ein Erinnerungsfoto. Dann bin ich entlassen. Sprecher: Bei der Revolution 2011 standen religiöse Fragen nicht im Vordergrund. Es ging um Gerechtigkeit, um die Lebensbedingungen, um Politik und Wirtschaft. Nach dem erzwungenen Rücktritt Mubaraks rollte eine eine Streikwelle über das Land. Rainer Herret von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer: O-Ton Rainer Herret: „Bei dieser Streikwelle ging es nicht nur um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern vielfach haben die Arbeitnehmer auch gegen ein korruptes Management protestiert. Das heißt, die haben sehr wohl

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mitbekommen, dass ihre Firma schlecht gemanagt wird. Dass die Pfründe, die die Firma hat, ausgebeutet werden von diesem Management, und sie wollten diese Leute loswerden.“ Sprecher: Der alten Elite, einschließlich der regimenahen Großunternehmer, geht es an den Kragen. Die Staatsanwaltschaft beginnt zu ermitteln. Zitator: „Nach dem Sturz Mubaraks werden fast täglich einflussreiche Ägypter festgenommen. Das macht sich auch im Yachthafen von El Gouna bemerkbar.“ Sprecher: Berichtet die Tageszeitung Die Welt am 5. Juni 2011. Der Yachthafen sei menschenleer, schreibt sie. Keine Touristen, keine Bootseigentümer. Zitator: „Ein Bootsbesitzer, der Industrielle Ahmed Ezz,...kürzlich in Handschellen im Fernsehen präsentiert...Luxusvillenbesitzer und Ex-Tourismusminister Zoheir Garana...ebenfalls im Gefängnis.“ Sprecher: Andere hatten sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt. Etwa der ehemalige Industrieminister Rachid Mohamed Rachid. Oder der Unternehmer Hussein Salem, der unter Mubarak den Export von Erdgas nach Israel kontrollierte – und so steinreich wurde. Zitator: „Das Land der korrupten Oligarchen“. Sprecher: Titelte ZEIT Online im Februar 2011. Die Liste mit Vorwürfen gegen Superreiche ist lang. Zitator: „Die Anklagepunkte reichen von Unregelmäßigkeiten bei Landverkäufen des Staates an private Unternehmen über die Erschleichung staatlicher Genehmigungen und Aufträge bis hin zu Geldwäsche und Veruntreuung öffentlicher Mittel.“ Sprecher: So die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik im April 2011. Gegen die Sawiris-Familie wird offenbar nicht wegen Korruption ermittelt, so Osama Diab, Experte für dieses Thema. O-Ton Osama Diab, Korruptionsexperte: “The sawiris family was smart enough… and to become more independent.” Overvoice Diab: „Die Familie Sawiris war klug genug, sich von der Mubarak-Familie zu distanzieren. Sie traten nie der regierenden Partei bei. Sie schafften es, vom herrschenden Regime Abstand zu halten und unabhängig zu werden.“ Sprecher: Osama Diab arbeitet für die ägyptische Menschenrechtsorganisation EIPR, die Egyptian Initiative for Personal Rights. O-Ton Osama Diab, Korruptionsexperte: “What the public in Egypt are focusing…”

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Overvoice Diab: “Worauf sich die Öffentlichkeit in Ägypten konzentriert, das ist der Kern des Regimes. Mubarak und seine Söhne, die Ehefrauen, die Schwiegertöchter, die Minister der letzten Regierung.“ Sprecher: Doch ganz so sauber ist die koptische Milliardärsfamilie dann doch nicht. Zu dem engeren Kern versuchte sie zwar, öffentlich Distanz zu halten, etwa zum Mubarak-Sohn Gamal, der lange als künftiger Präsident gehandelt wurde. Dennoch lassen ihre Geschäfte auf gute Beziehungen zur Politik schließen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik schrieb damals: Zitator: „Während einige…ihr Schicksal mit dem des Präsidentensohns eng verbunden haben, versuchen andere, wie die Sawiris, zumindest vordergründig Distanz zu wahren. Doch auch sie dürften nicht ernsthaft an einem Wechsel innerhalb der Kernelite interessiert sein. Ihre ökonomische Vormachtstellung in Ägypten und der Region steht in einem direkten Zusammenhang mit der Kontinuität der gegenwärtigen politischen Machtverhältnisse.“ Sprecher: So berichtete die Stiftung, dass Samih Sawiris 2006 die Aktienmehrheit der Garana Touristic Group kaufte. Dessen Inhaber Zoheir Garana war damals Mubaraks Tourismusminister. Zitator: „Dass Letzterer – also Garana – bei politischen Entscheidungen die Geschäftsinteressen der Sawiris-Familie ignoriert, ist daher nur schwer vorstellbar.“ Sprecher: Nassef Sawiris gehörte zum Unternehmersekretariat der Mubarak-Partei NDP. Als Mitglied einer neoliberalen Denkfabrik half er, unternehmerfreundliche Wirtschaftsreformen der Mubarak-Regierung vorzubereiten. Sprecher: Die Frau von Onsi Sawiris, Yousriya Loza Sawiris, sass von 1995 bis 2000 auf Vorschlag Mubaraks im ägyptischen Parlament. Sprecher: Mubaraks Frau Suzan warb laut Presseberichten für die Stiftung, die die Familie Sawiris gegründet hatte. Sprecher: Der Schweizer Tagesanzeiger berichtet: Nassef und Naguib Sawiris besuchten gemeinsam mit dem Mubarak-Sohn Gamal 1998 die Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich. So weit kann es mit der Distanz zum Mubarak-Regime nicht gewesen sein. Atmo: Wasser plätschert im Innenhof. Sprecher: Zurück in El Gouna. Termin in einer Einrichtung, die man in diesem Touristen-Resort nicht erwartet. Atmo: Tür geht auf, Schritte, Tür fällt ins Schloss. Sprecher: Eine Zweigstelle der Technischen Universität Berlin.

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O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Drei Gebäudekomplexe sind’s, jeweils mit einem Innenhof. Der erste Hof ist ein Event-Hof, wo wir Veranstaltungen machen, wenn wir Konferenzen haben, feiern.“ (lacht) Sprecher: Heba Aguib zeigt mir die Räume. Die 28jährige ist promovierte Ingenieurin. Studiert hat sie Maschinenbau in München. Zuvor war sie, wie die Sawiris-Brüder, an einer deutschen Privatschule in Kairo und hat dort ihr Abitur gemacht. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Am nächsten Hof ist die Cafeteria und der letzte Komplex ist der Hof, wo die Labore und die technische Halle und so weiter ist.“ Sprecher: Der Campus ist nagelneu, eröffnet im Oktober 2012. Die TU Berlin bietet hier, nach Berliner Lehrplänen, Master-Studiengänge an. Bildet Ingenieure aus, für Energietechnik, für Wasserwesen und für Stadtentwicklung. Hier studieren vor allem Frauen und Männer aus Ägypten, aber auch aus China, Indien und Südafrika. Unterrichtssprache ist Englisch. Die TU Berlin betont: Das Projekt sei Teil der Internationalisierungsstrategie der Hochschule. Zitator: „El Gouna eröffnet der Universität und dem Land Berlin einen idealen Zugang zu Forschungsaufgaben und –vorhaben im Nahen Osten sowie Nordafrika.“ Atmo: Wasserplätschern und Stimmen im Innnenhof. Sprecher: Im Innenhof treffe ich einen der Studenten. Er ist 26 Jahre alt, ein entspannter Typ. O-Ton ägyptischer Student: “I am sorry i have a cigarette, is it a problem? Okay?“ (lacht) Overvoice Student: “Tschuldigung, ich habe eine Zigarette. Ist das ein Problem?“ Sprecher: Er komme aus Kairo, habe zuvor als Architekt gearbeitet, erzählt der 26jährige. Was er denn von El Gouna als Studienort hält, fernab jeder größeren Stadt? Er findet’s prima. O-Ton ägyptischer Student: “Actually you can find the clear weather, no traffic, no noises, no something like this. You can feel like concentrating on your studies.” Overvoice Student: „Du hast hier klare Luft. Keinen Verkehr. Keinen Krach. Nichts von diesen Dingen. Du kannst Dich auf Dein Studium konzentrieren.“ Sprecher: Heba Aguib zeigt mir das Audimax, den zentralen Hörsaal. Er bietet Platz für 400 Personen. Sehr schick – und hochmodern. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Die ersten Reihen sind mit dem Equipment für Live-Übersetzung ausgestattet. Es gibt Übersetzerräume oben in den Kabinen. Und hier finden hauptsächlich Konferenzveranstaltungen statt.“

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Sprecher: Der Campus hat eine Nutzfläche von 10.000 Quadratmetern. Seminar- und Vorlesungsräume. PC-Arbeitsplätze. Büros. Labore. Und die technische Halle, in der moderne Maschinen und Anlagen stehen. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Das sieht sehr aus wie eine deutsche Fabrikhalle. Das ist aber ein typisches Raum für deutsche Universitäten mit technischem Hintergrund, für ingenieurwissenschaftliche Ausbildung.“ Sprecher: Solarspeicher. Anlage für Wasseranalysen. Dampfturbine. Anlage für Messungen in der Strömungsmechanik. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Die neuesten Modelle…Wir haben extra die Geräte ausgewählt, dass die hier vor Ort benutzt werden können und damit wir hier Forschungen machen kann, die man nicht in Berlin machen kann.“ Sprecher: El Gouna soll also den Forschungsstandort Berlin ergänzen. TU-Professor Bernd Kochendörfer lehrt auf dem Campus Stadtentwicklung. Er sagt: Die technische Ausstattung hier sei besser als an der TU in Berlin. O-Ton Professor Bernd Kochendörfer: „Hier alles neu. Klar, mit besserem Standard. Und in Berlin mühen wir uns teilweise ab, den Standort zu verbessern. Aber das Niveau von hier werden wir nicht erreichen.“ Sprecher: Laut Technischer Universität hat der Campus El Gouna einen Wert von rund 38 Millionen Euro. Und wer hat bezahlt? Der deutsche Steuerzahler? Nein. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Bisher hat für das Gesamtprojekt, hat Herr Sawiris das Gesamtbudget gegeben. Der Campus und die Mittel für die Mitarbeiter, das Gesamtbudget ist von Samih Sawiris. Es fließen in das Projekt keine deutschen Steuergelder ein.“ Sprecher: Samih Sawiris, der ehemalige TU-Student, als großzügiger Förderer der Wissenschaft. Was Ägypten am meisten brauche, sei Bildung, erklärt der Unternehmer. Die wolle er mit seinem Geld fördern. Doch das Master-Studium ist nicht billig. O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Die Studiengebühren sind 5.000 Euro pro Semester. Das heißt, für das gesamte Masterstudiengang sind es 20.000 Euro. Das ist natürlich viel, klingt viel, ist aber für den Aufwand des Gebäudes und für die technische Ausstattung des Gebäudes nicht ausreichend, um die akademischen Betriebskosten abzudecken.“ Sprecher: Ausgelegt ist der Campus für 180 Studierende. Wieviel sind es heute, wenige Monate nach dem Start? O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Eigentlich haben sich über 100 beworben, von denen wir 70 ausgewählt haben für die Studiengänge. Und es konnten nur 29 anfangen, unter anderem wegen der finanziellen Probleme.“ Sprecher: Zwei Drittel der 29 Master-Studenten haben ein Stipendium bekommen. 15 davon finanziert die TU Berlin.

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O-Ton Heba Aguib, TU Berlin: „Die Sawiris-Foundation hat ebenfalls Stipendien gegeben, und auch Firmen. Es gibt bereits ägyptische Firmen, die bereits Stipendien gegeben haben, wie OCI zum Beispiel. Orascom Construction Industries.” Sprecher: Die Firma seines Bruders, Nassef Sawiris. Atmo: Alphorn Sprecher: Andermatt, im Schweizer Kanton Uri. Auch hier engagiert sich Samih Sawiris. Atmo: Alphorn Zitator: „Touristische Entwicklungshilfe in einem der reichsten Länder der Welt.“ Sprecher: ...kommentierte Der Spiegel im September 2006. Und schrieb: Zitator: „Der ägyptische Milliardär Samih Sawiris will ein unwirtliches Schweizer Alpental in ein luxuriöses Ferienresort umwandeln.“ Sprecher: Das Örtchen Andermatt liegt zwei Autostunden südlich von Zürich, 1.440 Meter hoch, umgeben von den Bergen des Gotthard-Massivs. Größter Arbeitgeber war jahrzehntelang die Schweizer Armee. Dann zogen die Soldaten ab. Nun wird das ehemalige Militärgelände von Samih Sawiris bebaut. Im ganz großen Stil. Geplant sind: Zitator: „6 Hotels, jeweils mit 4 oder 5 Sternen. 20 bis 30 Villen. 490 Wohnungen. 18-Loch-Golfplatz. Ein Sportzentrum. Ein Parkhaus für knapp 2.000 PKW.” Sprecher: Außerdem entschied der Ägypter, die Skigebiete von Andermatt und dem Nachbarort Sedrun zu verbinden und auszubauen. Zitator: „17 neue Bahnanlagen. 100 Kilometer neue Pisten. Beschneiungsanlagen und Parkplätze.“ Sprecher: Wie die Schweizer Presse berichtete, hatte das Sawiris-Unternehmen bislang rund 300 Millionen Schweizer Franken investiert. Das schaffe Arbeitsplätze, sichere den Tourismusstandort Andermatt, sagten viele im Tal. Umwelt- und Naturschützer hingegen schlugen Alarm. Zitator: „Gigantismus in Andermatt“. Sprecher: Heißt die Protestwebseite von pro natura, mountain wilderness, WWF und anderen. Die Naturschützer warnten: Die unberührte alpine Landschaft lasse sich nur durch massive Eingriffe, etwa durch Sprengungen, pistentauglich machen. Der Wasser- und Energieverbrauch durch das Projekt sei gewaltig. Zitator: „Mit dem benötigten Strom für die Beschneiungsanlangen kann ein Viertel der Bewohner von Andermatt ein ganzes Jahr versorgt werden.“

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Sprecher: Die Projektgegner erhoben zudem den Vorwurf, dass die Schweizer Steuerzahler zur Kasse gebeten würden. Zitator: „Klammheimlich hat die öffentliche Hand...Steuererleichterungen (Erlass der Grundstückgewinnsteuern) beschlossen und damit ein Geschenk von schätzungsweise 100 Millionen Franken an Samih Sawiris gemacht.“ Sprecher: Doch Sawiris ließ nicht locker. Er warb um Käufer für die Andermatt-Immobilien, knüpfte Netzwerke, gewann die Skisportlegende Bernhard Russi als Unterstützer. In der Öffentlichkeit gibt er sich charmant und bodenständig. Einer Schweizer Reporterin erzählte der ägyptische Investor, wie er sich auf dem Rolling Stones-Konzert in London amüsierte. Zitator: „Zweieinhalb Stunden hätten er und seine Freunde da getanzt, und das nicht nur mit Coca-Cola…“ Sprecher: Hieß es später im freundlichen Zeitungsporträt. Überschrift: Zitator: „Sawiris ganz privat“. Sprecher: Andere Presseberichte fielen kritischer aus. Zitator: „Sawiris-Leute bezahlen Urner Journalisten für PR-Texte“/ „Skandal auf Sawiris Luxus-Baustelle. 58-Stundenwoche und kein Lohn.“ Sprecher: Samih Sawiris muß Rückschläge hinnehmen. Die Tourismusflaute in Ägypten trifft seine Firma hart. Denn am Roten Meer bleiben derzeit viele Hotelbetten leer. Die Schuldenlast der Orascom Development ist laut Zeitungsberichten drastisch gestiegen. Da sind Erfolge in der Schweiz dringend vonnöten. Immerhin, das Fünf-Sterne-Hotel The Chedi Andermatt wächst, soll im kommenden Winter eröffnet werden. Zum Chedi-Komplex gehören Apartments, die inzwischen Käufer gefunden haben. Vermögende Schweizer, aber auch Deutsche, Briten und Skandinavier besitzen nun Immobilien in Andermatt. Im Januar 2013 gaben Umweltschützer, Kantonsvertreter sowie Skianlagen-Betreibergesellschaft zudem bekannt, dass man sich auf einen Kompromiss geeinigt habe. Das neue Skigebiet fällt kleiner aus, es wird naturverträglicher gebaut, Ersatzmaßnahmen für die Eingriffe in Natur und Landschaft sind vorgesehen. Atmo: Straßenverkehr vor den Sawiris-Hochhäusern Sprecher: Kairo, östliches Nilufer. Hier liegt das ägyptische Hauptquartier der Sawiris-Firmen. Die… Zitator: „…Nile City Towers“. Sprecher: Zwei Wolkenkratzer, jeweils gekrönt von vier Türmen, die eine Kuppel tragen. Symbol für Reichtum und Macht der Familie Sawiris. Doch wie ägyptisch sind die Sawiris-Firmen noch? Hat die koptische Milliardärsfamilie nicht lange vor

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dem Umsturz begonnen, ihr Vermögen außer Landes zu bringen? Fernab auch vom möglichen Zugriff des ägyptischen Fiskus? Sprecher: Samih Sawiris verlegte den Hauptsitz der Orascom Development bereits 2008 in die Schweiz. Ganz in die Nähe seines Projektes in Andermatt, nach Altdorf, im Kanton Uri. Zitat aus der Kantonswerbung: Zitator: „In Uri profitieren Unternehmen seit Jahren von einer tiefen Flat Tax... Sprecher: ...also einer niedrigen Einheitssteuer. Zitator: „Zudem kennt das Urner Steuersystem großzügige Abschreibungsmöglichkeiten.“ Sprecher: Nassef Sawiris verkaufte 2007 die Zement-Sparte der Orascom Construction Industries an den französischen Baustoffriesen Lafarge – für knapp 13 Milliarden US-Dollar. Sechs Milliarden behielt die Familie Sawiris für sich. Das berichtet Stephan Roll, Ägyptenexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik: O-Ton Stephan Roll, Stiftung Wissenschaft und Politik: „Der Preis, der für die Zementsparte bezahlt wurde, kam eben nicht Orascom Construction zugute und wurde dadurch auch nicht reinvestiert. Sondern er kam direkt der Sawiris-Familie zugute. Und damit kann man schon sagen, dass durch diesen Deal ganz klar Kapital aus Ägypten abgezogen wurde.“ Sprecher: Wohin floss das Geld? Stephan Roll: O-Ton Stephan Roll, Stiftung Wissenschaft und Politik: „Was man weiß, ist, dass es hier über verschiedene Schachtelgesellschaften letztlich Gesellschaften auf den Cayman Islands gibt, in Zypern gibt, über die solche Gelder dann gehalten werden. Beziehungsweise über die auch die Aktienpakete, über die die Sawiris-Familie verfügt, gehalten werden.“ Sprecher: Auch Naguib Sawiris machte Kasse, verkaufte bedeutende Teile seines Unternehmens. Gut sechs Milliarden US-Dollar, teilweise bezahlt in Aktien, erhielt er, als der russische Telekom-Konzern Vimpelcom 2011 die Mehrheitsbeteiligung an der Orascom Telecom Holding erwarb. In einem zweiten Schritt verkaufte der älteste Sawiris-Sohn weitere Orascom-Anteile. 2012 übernahm France Telecom die Firma Mobilnil, Orascoms Mobilfunkanbieter in Ägypten. Sprecher: Derweil verschärft sich die wirtschaftliche Krise Ägyptens weiter. Investoren warten ab. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Touristen, mit die wichtigsten Devisenbringer des Landes, bleiben fern. Die Staatsverschuldung nimmt zu. Die deutsche Entwicklungshilfebehörde GIZ berichtet: Zitator: „Im Finanzjahr 2011/2012 muß die ägyptische Regierung 18 Mrd. US-Dollar für den Schuldendienst aufwenden, mehr als für Bildung, Gesundheit und andere öffentliche Investitionen zusammen vorgesehen sind.“

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Sprecher: Die Regierung Mursi steht enorm unter Druck. Längst laufen deshalb Verhandlungen mit den ägyptischen Großunternehmern, die ins Ausland geflohen sind. Rainer Herlett von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer: O-Ton Rainer Herret: „Wir haben in Ägypten die juristische Möglichkeit, dass bei einem Korruptionsvorwurf der Beschuldigte das Verfahren einstellen lassen kann gegen freiwillige Zahlung von Geld. Da wird regelrecht ausgehandelt, wie viel Gelder in die Staatskasse zurücküberwiesen werden müssen, um den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Und im Gegenzug verzichtet dann der Staat auf eine aufwändige Strafverfolgung. Und gegebenenfalls auf eine mühsame Suche, auf irgendwelchen Auslandskonten, um da irgendwelche Geldbeträge sichtbar zu machen.“ Sprecher: Prominenter Fall derzeit: O-Ton Rainer Herret: „Es gibt das Beispiel von Herrn Hussein Salem, der im Augenblick im Exil in Spanien lebt und der anbietet, die Hälfte seines Vermögens zurückzugeben an den Staat, freiwillig.“ Sprecher: Hussein Salem, der durch umstrittene Gasgeschäfte mit Israel schwerreich wurde. Wieviel Herr Salem möglicherweise zurückzahlen muß? O-Ton Rainer Herret: „Wir reden über Milliarden hier.“ Sprecher: Auch Naguib Sawiris gehört zu den Großunternehmern, die sich zur Zeit nicht in Ägypten aufhalten. Zitator: „Die politische Lage veranlasst Naguib Sawiris dazu, sein Heimatland zu verlassen.“ Sprecher: Meldete Die Welt im Januar 2013. Dieser Schritt von Naguib Sawiris habe für die Kopten große Bedeutung, urteilt Rainer Herret von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. O-Ton Rainer Herret: „Dass eine gewisse Symbolkraft für die Kopten entsteht, wenn so ein Vorzeige-Unternehmer dann ins Ausland geht. Und das wird sicherlich von vielen Kopten sehr bedauert. Die ihm vertraut haben und auch noch vertrauen. Und eigentlich einen so einflussreichen Unternehmer hier sehr vermissen.“ Sprecher: Das Interview, das ich mit Naguib Sawiris führe, findet in Paris statt, in den Büroräumen der Accelero Capital, einer Investmentgesellschaft, die Naguib Sawiris gehört. Der 58jährige trägt Business-Anzug, Krawatte und weißes Hemd. Er sagt: Er reise erst wieder nach Kairo, wenn dort Oppositionelle nicht mehr verfolgt werden. Gegen ihn liege zwar nichts vor, niemand ermittele gegen ihn. Jedoch: O-Ton Naguib Sawiris: „Ich kann morgen runtergehen. Und übermorgen senden sie irgendeinen Anwalt, der für die Muslimbrüder arbeitet. Und da Herr Sawiris, Naguib ein Störmitglied ist. Okay, sie gehen und verklagen ihn. Er wird dann automatisch nicht die Erlaubnis zu haben, weiterzureisen. Und als Geschäftsmann

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mit so viel Geschäfte rund der Welt. Wenn sie mich nicht reisen lassen, machen sie mein gesamtes Geschäft kaputt.“ Sprecher: Sawiris weiter: O-Ton Naguib Sawiris: „Und dann können sie dich auch ins Gefängnis werfen. Und nach zwei, drei Jahren, wo das ganze Prozess raus ist, dann können sie dich rauslassen und sagen, sorry, wir haben einen Fehler gemacht.“ Sprecher: Ich frage ihn: Wie nah stand seine Familie dem Mubarak-Regime? Er betont: Sein Bruder Samih habe von den Geschäften mit Tourismusminister Zoheir Garana nicht profitiert. Das habe eine Untersuchung bestätigt. Naguib Sawiris räumt jedoch ein: Auf Anti-Mubarak-Kurs war die Familie nicht. O-Ton Naguib Sawiris: „Wann man so eine Familie sieht, die ganz aktiv, die über 250.000 Angestellte hat. Die den größten Steuereinkommen in Ägypten zahlt. Die den größten Sozialhilfe liefert. Dann auch ein Regime wie Mubarak hat uns nicht als Anti-Regime bezeichnet. Aber wir waren definitely nicht auch in ihrem, sagen wir, engen Kreis.“ Sprecher: Der 58jährige sagt: O-Ton Naguib Sawiris: „Wir waren klug genug, um zu wissen: Jeder, die sich mit einem Regime identifiziert, lebt und stirbt mit diesem Regime.“ Sprecher: Und warum habe die Familie so früh begonnen, Firmenanteile zu verkaufen, ins Ausland zu gehen? O-Ton Naguib Sawiris: „Wir haben dann gemerkt, okay, wir sind jetzt zu groß in Ägypten. Das kann ziemlich gefährlich sein. Weil man hat Hass und Neid. Und wir sind noch Christen dazu. Also es ist besser, wenn wir diversifizieren und im Ausland investieren gehen. Und das haben wir auch gemacht.“ Sprecher: Naguib Sawiris stellt klar: O-Ton Naguib Sawiris: „Der Sinn war nicht Steueroasen. Der Sinn war, dass es sehr gefährlich ist, weil wir eben so dominierend sind, wenn man alle seine Eier in ein Basket hat.“ Sprecher: Der Milliardär gibt zu, dass er im Ausland auch Niederlagen hinnehmen mußte. Etwa im Streit um die ertragreiche algerische Mobilfunkfirma Djezzy, die ihm lange gehörte. O-Ton Naguib Sawiris: „Hat die algerische Regierung meine 14-Milliarden-Firma einfach, zwischen Tag und Nacht, blockiert, gefroren. Sie kennen die Geschichte? Ein Tag aufgewacht und gesagt, der macht zu viel Gewinn. Dann haben sie mich blockiert. Dann haben sie versucht, nicht richtige Steuern anzuklagen. Was überhaupt keinen juristischen Grund hatte.“ Sprecher: Steuerforderungen, als politisches Druckmittel gegen einen erfolgreichen Investor. So sieht es Naguib Sawiris.

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O-Ton Naguib Sawiris: „Und das passiert auch in Ägypten in letzter Zeit. Die kommen, schmeissen da Steueranklagen, damit man angst… und wenn man nicht zahlt, wird man verhaftet und so was.“ Sprecher: Ich möchte noch wissen: Was sagt er zu den Rückkehr-Verhandlungen, die Ägyptens Antikorruptionsbehörde mit den geflohenen Großunternehmern führt? O-Ton Naguib Sawiris: „Sie haben jetzt entdeckt in Ägypten, dass man ohne die business comunity nicht eine Ökonomie bauen kann. Und mit den neuen Muslimbrüder als Symbole für business…alleine können sie nichts machen. Die Großen sind alle weggegangen. Weil man hat sie bedrängt mit Anklagen, auch mit Verbot von travelling und auch mit Gefängnis, zum Teil. Manche haben Gefängnisstrafe gekriegt und so. Und deswegen haben sie gemerkt, dass sie diese Leute brauchen.“ Sprecher: Mir fällt die Wortwahl auf. „Die Großen sind alle weggegangen“, sagt Naguib Sawiris. Und: „Man hat sie bedrängt“. Dass einige möglicherweise zu Recht angeklagt wurden, das kann sich der älteste Sawiris-Sohn offenbar nicht vorstellen. Sprecher: Derweil gerät Nassef Sawiris, der jüngste der Sawiris-Brüder, unter Druck. Im Januar hatte die ägyptische Presse berichtet: Zitator: „Orascom Construction Industries und eine Gruppe amerikanischer Investoren starteten eine Transaktion, um OCI in eine niederländische Firma umzuwandeln.“ Sprecher: In eine Firma, deren Aktien in Amsterdam gehandelt werden, nicht mehr in Kairo. Das wäre ein schwerer Schlag für den Börsenplatz Kairo. Kurz darauf wurde bekannt, dass der OCI gewaltige Steuernachzahlungen drohen. Es geht um die Milliarden-Gewinne aus dem Verkauf der Zementsparte an Lafarge. Der ägyptische Fiskus spricht laut Presseberichten von... Zitator: „...13,6 Milliarden Ägyptischen Pfund an unbezahlten Steuern“. Sprecher: Umgerechnet sind das 1,7 Milliarden Euro. Laut Orascom Construction beträgt die Steuernachforderung lediglich 4,7 Milliarden Ägyptische Pfund, umgerechnet 600 Millionen Euro. Versucht der ägyptische Fiskus, aus einem Großunternehmen ordentlich Geld zu pressen, bevor das Unternehmen im Ausland verschwindet? Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist da vorsichtig: O-Ton Stephan Roll, Stiftung Wissenschaft und Politik: „Unterm Strich muß natürlich geprüft werden, ob damals gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Hier scheint es gegensätzliche Standpunkte zu geben. Auf der einen Seite die Steuerbehörde, die das behauptet, auf der anderen Seite Orascom beziehungsweise die Sawiris-Familie, die sagt, sie hätte sich gesetzeskonform verhalten.“

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Sprecher: Gut möglich, dass die Gesetze der Mubarak-Zeit eingehalten wurden. Gesetze, die oft sehr fragwürdig waren. O-Ton Stephan Roll, Stiftung Wissenschaft und Politik: „Das Problem liegt eben auch darin, dass die Großunternehmer unter Mubarak und auch die Sawiris soviel Einfluss auf die Politik bekommen hatten, dass sie Gesetze entsprechend ihrer Wünsche ausgestalten konnten. Und das ist das ganz zentrale Problem in diesem Zusammenhang.“ Sprecher: Nun laufen die Verhandlungen. Nassef Sawiris erklärte laut Zeitungsbericht: Zitator: „Orascom ist zuversichtlich, den Disput mit der ägyptischen Steuerbehörde beizulegen und wird völlig transparent sein, was die Einnahmen aus dem Lafarge-Deal betrifft.“ Sprecher: Keine Frage: Der ägyptische Staat ist auf höhere Steuereinnahmen dringend angewiesen. Schon allein, um die marode öffentliche Infrastruktur zu verbessern. Etwa zugunsten von Kindern und Heranwachsenden. Atmo: Kartons werden sortiert, Stimmen, Hund bellt Sprecher: Zurück in Kairo, im Slum von Moytamadeia. Eine Frau sortiert Müll. Ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, schleppt schwere Plastiktüten zu einem Karren. O-Ton Sebastian Drabinski: „Die Kinder sind natürlich dazu da, mitzuarbeiten. Verschiedene Aufgaben, Müll sortieren, wie wir jetzt grad sehen, Müll aufladen. Ähm, genau. Sie sind integriert in die Arbeit.“ Sprecher: Sagt Sebastian Drabinski von dem Hilfsprojekt, das Schwester Maria Grabis gegründet hatte. Doch zumindest ein Teil der Kinder besitzt die Möglichkeit, eine Schule im Viertel zu besuchen. Atmo: Schulhof mit Kindergeschrei O-Ton Sebastian Drabinski: „Wir haben ne Schule und nen Kindergarten. In der Es-Salam-Schule sind ungefähr 450 Kinder. Im Alter von 4 bis 13 Jahren.“ Sprecher: An der Finanzierung der Schule beteiligt sich Familie Sawiris nicht. Teilweise fließen Spenden aus Deutschland. O-Ton Sebastian Drabinski: „Zum Teil natürlich mit Schulgebühren. Wir sind eine Privatschule, uns wird vorgeschrieben vom Staat, was wir an Schulgebühren bekommen und auch die Gehälter der Lehrer.“ Sprecher: Und wie hoch sind die Schulgebühren? O-Ton Sebastian Drabinski: „Pro Schuljahr liegen die, umgerechnet in Euro, ja, so ungefähr 130 Euro, pro Schuljahr.“

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Sprecher: Viel Geld für die Zabaleen. Doch wer das Schulgeld irgendwie aufbringen kann und einen Platz bekommt, schickt seinen Nachwuchs gerne hierher. Ägyptische Familien tun alles für ihre Kinder. Müllsammler Sabri jedenfalls weiß, was er sich für die Zukunft wünscht. O-Ton Sabri, Müllsammler: arabisch Overvoice: “Ich wünsche, dass Gott mir hilft, meine Kinder großzuziehen.” Sprecher: Inzwischen verhängte die Staatsanwaltschaft ein Reiseverbot gegen Onsi und Nassef Sawiris. Beide dürfen Ägypten nicht verlassen. Das Reiseverbot steht im Zusammenhang mit der Steuernachforderung in Höhe von umgerechnet 1,7 Milliarden Euro, die Orascom Construction Industries begleichen soll. Darauf demonstrierten mehrere Tausend Mitarbeiter der Orascom Construction in Kairo - gegen die Steuernachforderung, für die Sawiris-Familie. Wie der Streit ausgeht, ist offen. Offen ist auch, ob sich Präsident Mursi halten kann, angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen Probleme des Landes. Und was wird aus den Sawiris? Viel spricht dafür, dass die milliardenschwere Familie bereits vor Jahren entschieden hat: Unsere Zukunft, die liegt nicht in Ägypten. Zitator: „Ägyptens Rockefeller: Was die koptische Familie Sawiris mit ihren Milliarden macht. Ein Feature von Matthias Holland-Letz.“ Die Sprecher waren: Ton und Technik: Regie: Maria Ohmer Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks 2013